Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 erfährt die Position des Kindes im Hinblick auf Inklusion und einen freien Zugang zu Bildung offenkundig eine stärkere Anerkennung. Bereits durch die der UN-BRK vorausgehende Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) 1992 ist die „Gewährleistung umfassender Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte im privaten wie auch im öffentlichen Raum“ (Maywald 2010, S. 8) festgeschrieben.

Kinder werden demnach als Rechtsträger_innen im internationalen sowie deutschsprachigen Gesetzgebungskontext in hervorgehobener Weise sichtbar und positioniert. Teilhabe und Partizipation erfahren mit der UN-BK und auch der UN-KRK offensichtlich eine rechtliche Fundierung, wobei sich die UN-KRK unmittelbar auf Kinder und ihre Positionierung in Gesellschaft bezieht (vgl. Kessl 2017).

Anerkennung der gesellschaftlichen Position von Kindern im Zeichen inklusiver Bildung

Gerade die UN-BRK und ein damit einhergehender rechtlich verfasster Anspruch auf Teilhabe an Bildung aller Kinder zieht weitreichende Konsequenzen für das Bildungs- und Sozialwesen nach sich und für die Frage nach der Position von Kindern. Mit der begonnenen Re-Organisation des Bildungswesens im Sinne eines tendenziellen Abbaus von Förderschulen zugunsten eines Aufbaus von inklusiven Regelschulen scheint dieser Anforderung nach Inklusion und sozialer Teilhabe Rechnung getragen zu werden. Im Zuge der bildungsinstitutionellen Kehrtwende – im Sinne einer rückläufigen Bildungssegregation-, werden nun Mittel und Wege für die gemeinsame Beschulung aller Kinder erschlossen. Zuvorderst Schule, aber auch Kinder- und Jugendhilfe, gelten als Instanzen, denen inklusive Bildung zugetraut, aber auch abverlangt wird. Gekennzeichnet wird inklusive Bildung nach wie vor mit der Hervorhebung eines notwendigen Umgangs mit Heterogenität, durch die Perspektive der Orientierung am Kind, die in der individuellen Förderung zum Ausdruck kommen sollte (etwa auch im Zuge von didaktischen Konzepten).

Während UN-BRK und UN-KRK für eine rechtliche Stärkung stehen, zeigen sich in pädagogischen Institutionen deutliche Hinweise für eine Stärkung von Individuen im Bildungsgeschehen. Demnach kommt eine Anerkennung der gesellschaftlichen Position von Kindern als Rechtssubjekt und Bildungssubjekt zum Vorschein. Diese Beobachtungen, wonach Kinder einer Anerkennung in ihrer Positioniertheit erfahren, lassen sich ebenfalls für breitere fachwissenschaftliche Kontexte nachzeichnen.

Kinder als Akteur_innen im Kontext einer neueren, erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung

In der neueren erziehungswissenschaftlichen Kindheitsforschung liegt zwischenzeitlich eine differenzierte, gleichwohl keineswegs abgeschlossene Debatte zu dem Verständnis von Kindheit vor, mit dem mindestens seit den 1980er Jahren ein Paradigmenwechsel einzieht (vgl. z. B. Heinzel et al. 2012; Kelle 2019). Seither werden die Gestalt und die Vorstellung von Kindheit breit gefächert diskutiert. Ein zentraler Beitrag der Kindheitsforschung ist es, die Akteurschaft von Kindern herauszuarbeiten und damit ihre Positioniertheit im Sozialen zu systematisieren. Als wesentlich hat sich dabei eine Vorstellung von Kindheit etabliert, die Kinder als Akteur_innen mit „Handlungsmächtigkeit“ (agency) zentral stellt (Balzer und Huf 2019; Eßer 2019). Damit rückt gerade auch die Perspektive von Kindern, dessen Erleben und Mitgestaltung der eigenen Lebenswelt in den Vordergrund. Diese Perspektive auf eine Akteurschaft von Kindern einzunehmen, geschieht in Reflexion generationaler Machtverhältnisse aus Kindern und Erwachsenen (vgl. Kelle 2019). Ausgehend von einer Kritik an der Vorstellung von Kindern als „Erwachsene im Werden“ wird auf die strukturelle und praktische Hervorbringung der Differenz von Erwachsenen und Kindern aufmerksam gemacht (vgl. ebd.).

Die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern, vor allem die strukturellen Merkmale von Kindheit(en) in modernen Gesellschaften, finden erst in jüngerer Zeit systematisch Berücksichtigung. Vor allem in den letzten vier Jahrzehnten ist Kindheit als ein „wandelbares Element der Sozialstruktur moderner Gesellschaften“ (Heinzel et al. 2012, S. 11) in den Fokus gerückt. Kindheit in der Moderne steht im Zeichen spezifischer Vorstellungen einer „guten“ Kindheit. Das Bild von der „wohlbehüteten Kindheit“ (vgl. Bühler-Niederberger 2011) ist historisch und kulturell gewachsen und kann keinesfalls als ein globales und universelles Ideal beansprucht werden. Vielmehr unterscheiden sich die lebensweltlichen Realitäten von Kindern nicht nur global, sondern auch lokalräumlich im Kontext einer wohlfahrtstaatlichen Ordnung.

Aufwachsen von Kindern bedeutet im eurozentrischen Raum sowohl Familienkindheit als auch Kindheit in Institutionen (vgl. Betz et al. 2019), die sich entlang von Bildern einer „guten“ Kindheit in ihrer Gegenseitigkeit stützen. Im Zuge der Ausweitung des Aufenthalts von Kindern in Institutionen wie Kita und Ganztagsschule kann dabei keineswegs eine Bedeutungsabnahme des Familialen bemerkt werden. Vielmehr zeigt sich bezogen auf Bildung ein hoher Grad der Responsibilisierung von Eltern im Sinne einer bestmöglichen Förderung ihres Kindes in der familialen Privatheit. Insofern hat tendenziell die Ausweitung einer öffentlichen Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur stattgefunden bei gleichzeitiger privat zu organisierender Unterstützungs- und Gelegenheitsstrukturen durch Eltern (bzw. vor allem nach wie vor durch Mütter) (vgl. Richter et al. 2020). Zu beobachten ist insgesamt eine immense Dynamik bezogen auf die Bildungsanforderungen an Eltern. Debatten um die Gestaltung inklusiver Bildung bleiben von diesen Dynamiken keinesfalls unberührt. Eltern – vor allem privilegierter Milieus – erweisen sich als wesentliche und auch einflussmächtige Gruppe, die sich gegenwärtig sowohl als „Förderer“ als auch als „Bedenkenträger“ inklusiver Bildung ausmachen lassen und in ihren Positionierungen vermehrt in fachwissenschaftlichen und gerade auch fachpolitischen Debatten Gehör finden (vgl. Zur Nieden und Karakayali 2016).

Trotz der rechtlichen Bestimmung inklusiver Bildung scheint die freie Wahl des individuellen Bildungsgangs eingeschränkt. Die Aussicht im Bildungswesen zu bestehen setzt Maßstäbe an die Möglichkeitsstrukturen von Eltern. Denn entgegen einer „Öffnung von Schule“ (vgl. z. B. Holtappels 2004) lassen sich vielmehr „geschlossene Türen“ (Zur Nieden und Karakayali 2016, S. 81) ausmachen, die es wenig verwunderlich erscheinen lassen, wenn Eltern sich bevorzugt für die Förderschule und gegen das Gemeinsame Lernen in der Regelschule entscheiden.

Kinder sehen sich heute enormen Bildungsherausforderungen gegenüber, die sie nur in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden – vor allem elterlichen – Ressourcen tatsächlich bewältigen können. Für Kinder, die den spezifischen Leistungsanforderungen nicht gerecht werden, rückt mit der Anerkennung ihrer Handlungsfähigkeit auch eine individuell zu erbringende, also kompensatorische Leistung in den Fokus. Schulbegleitung oder die sonderpädagogische Unterstützung steht in der Gefahr, jene Dynamik zu befördern. Kinder sehen sich dann der Anforderung gegenüber, entlang bestimmter Vorstellungen von Leistungserbringung mit ihren Altersgenoss_innen gleichziehen zu müssen. In dieser Weise kann die individuelle Förderung auch als Zumutung erfahren werden. Im Zuge einer Feststellung der Befähigung des Kindes werden zwar individuelle Leistungen möglich gemacht, verdunkeln jedoch die Sicht auf die strukturellen Einschränkungen. In der Ab- und Zuschreibung von Befähigungen steht das Kind wiederholt in der „Bringschuld“, unterdessen sich der Wohlfahrtsstaat in seiner Verantwortung zurückziehen kann (vgl. zum „Ableism“ Kaiser und Pfahl 2020). Die Anerkennung von Kindern als Akteur_innen (und Bildungssubjekte) in ihrer Handlungsfähigkeit geht in dieser Perspektive in einer der neoliberalen Logik unterworfenen Individualisierung auf, da das Kind einmal mehr als „Humankapital“ und „Erwerbsarbeiter_in“ von morgen adressiert wird.

In der Entscheidung von Eltern für ein Lernen an der Förderschule artikuliert sich damit möglicherweise auch die Entscheidung für einen „exklusiven“ Lernort, an dem die individuelle Befähigung gesehen und Resonanz erfährt. Die Förderschule könnte gegenwärtig in der bestehenden Bildungslandschaft eine Art „Insel“ darstellen, bei der die individuelle Befähigung aufgrund des sowieso schon zieldifferenten und vom Curriculum abweichenden Unterrichts scheinbar eine geringere Rolle spielt und auch als Entlastung erfahren werden kann.

(Un‑)Möglichkeiten von Anerkennung in pädagogischen Institutionen

Gegenwärtig obliegt es vor allem pädagogischen Institutionen wie Schule und Kinder- und Jugendhilfe, Inklusion alltäglich „herzustellen“ und dies unter zumeist prekären strukturellen Bedingungen bei gleichzeitiger, regelmäßiger Kritik der (Fach‑)Öffentlichkeit. Inklusive Bildung scheint sich hier mit hohen Anforderungen ihrer Realisierung zu verbinden. Dabei geraten Verteilungsfragen aus dem Blick sofern inklusive Bildung ausschließlich auf die Zuständigkeit pädagogischer Institutionen reduziert wird. Mit diesem reduzierten Blick werden die generationalen Machtverhältnisse verkannt, die als normative Bezugspunkte für gesellschaftliche Verteilungsfragen gelten können (vgl. Kelle 2019). Das kann für pädagogische Institutionen insbesondere bedeuten, auf die Möglichkeitsbedingungen von Bildungsräumen die Aufmerksamkeit zu richten. Wie müssen Räume aussehen, die an die Interessen von Kindern gebunden sind und eine partizipative Gestaltung eröffnen?

In Bezug auf diese Frage ist zunächst empirisch näher zu beschreiben, wie die Erfahrungs- und Lebenswelten des Kindes in institutionellen Kontexten, wie u. a. in der Schule geordnet und strukturiert sind. Schule als Bildungsort für Kinder sowie weitere pädagogische Institutionen können nicht außerhalb gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge angenommen werden und sind dementsprechend nicht losgelöst von einer kapitalistischen Ordnung, die seine Gesellschaftsmitglieder zu ökonomisieren sucht und in den globalen marktwirtschaftlichen Wettbewerb schickt, in den Blick zu nehmen.

Die Beschreibung von Bedürfnissen, Abhängigkeiten sowie von Entwicklungsprozessen durch Erwachsene lässt es zu, das Kind als Bildungssubjekt hervorzuheben und in seiner Befähigung zu bewerten. Das ereignet sich oftmals in der Form einer Feststellung von Ressourcen und Kapitalien und bedeutet die Zuschreibung prekärer Verhältnisse von Kindern. Einschränkungen und Bedürfnisse, die den Kindern zugeschrieben werden, können im Lichte einer diskursiven Ordnung, von mehr- oder weniger Befähigungen des Kindes und einem mehr- oder weniger an privater Förderung und entsprechenden Voraussetzungen zur individuellen Entwicklung, gelesen werden. Diese Praxis lässt aber auch die (Un‑)Möglichkeitsbedingungen von Bildungsräumen vermuten. Das Kind als Bildungssubjekt ist in dieser Weise neben dem Kind als Rechtssubjekt in ökonomische Verhältnisse verstrickt. Politische Entscheidungen zu der ressourcengebundenen Unterstützung der Bildungssysteme können das Kind davor schützen, dem Leistungswettbewerb allein überantwortet zu sein und Bildungsprozesse im Sinne eines Erfahrungsaustausches von lebensweltlichen Bezügen ermöglichen. Aufgrund der ökonomischen und rechtlichen Position des Kindes kann eine strukturelle Veränderung im Sinne einer Umverteilung von Macht und Ressourcen nur von erwachsenen Akteur_innen ausgehen.

Im gleichen Maß wie für professionelle Fachkräfte gilt es für alle Gesellschaftsmitglieder die Aufgabe zu formulieren, in der alltäglichen Handlungspraxis Reflexionsräume schaffen. Zu betonen ist dennoch, dass Kinder in der pädagogischen Situation besondere Resonanz zu ihrer sozialen Position als Kind und als Bildungssubjekt erfahren. Gerade der normative Horizont „normaler“ und „guter“ Kindheiten (vgl. Bühler-Niederberger und Mierendorff 2009) kann von professionellen Akteur_innen unter ihrer Anleitung machtkritisch befragt werden.

Dabei gilt es die selbstverständliche Verteilung gesamtgesellschaftlicher Ressourcen zu untersuchen und nicht in Vorleistung an einzelne Subjekte zu stellen. Im Zuge einer wohlfahrtsstaatlichen Politik ist es keinesfalls aussichtslos, den regulativen Praktiken kapitalistischer Ordnungen zu entgegnen.