Multiprofessionelle Zusammenarbeit in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit kann verschiedenartig organisiert werden, zum Beispiel als Zusammenarbeit zwischen Organisationen. Sowohl im Hinblick auf die persönlichen Netzwerke von Adressat_innen als auch als institutionelle Vernetzung gelten Netzwerke inzwischen als fester Bestandteil der Grundorientierung Sozialer Arbeit. Kooperation und Vernetzung sind eine fachliche Strategie, um angesichts der Fragmentierung von Zuständigkeiten und somit getrennt voneinander agierenden Organisationen und professionellen Akteur_innen eine Ganzheitlichkeit der Unterstützungsleistungen für Adressat_innen zu gewährleisten. Mit der Vernetzung von Akteur_innen in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit sind hohe Erwartungen verbunden.

In diesem Beitrag fragen wir, inwiefern Vernetzung tatsächlich als ein Weg zur Herstellung von Multiprofessionalität angesehen werden kann. Hier ist ein differenzierter Blick angebracht. Es gilt zu fragen, mit was für Netzwerken es Einrichtungen in verschiedenen Handlungsfeldern eigentlich zu tun haben und welche Art der multiprofessionellen Zusammenarbeit darin möglich ist. Wir gehen davon aus, dass sich die Netzwerke von Einrichtungen unterscheiden und dass auch die Vernetzungsanlässe in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit vielfältig sind (vgl. Böllert 2008, S. 61). Insofern ist auch zu fragen, inwiefern Organisationen durch Vernetzung automatisch dem Ziel einer multiprofessionellen Zusammenarbeit näherkommen und in welchen Kontexten die multiprofessionelle Zusammenarbeit von Einrichtungen überhaupt als funktional wahrgenommen wird.

Anhand von zwei Forschungsprojekten illustrieren wir verschiedene Arrangements der netzwerkförmigen Zusammenarbeit. Im Fokus stehen dabei der Fall eines Familienzentrums und der Fall eines Jugendzentrums. Wir zeichnen ein kurzes Bild der Einrichtungen in ihrem jeweiligen Handlungsfeld und bilden dann mit Hilfe von sogenannten Netzwerkkarten die Kooperationsbeziehungen aus Sicht der Einrichtungen ab. Diese werden im Hinblick auf die jeweilige netzwerkförmige Herstellung multiprofessioneller Kooperationsarrangements analysiert.

Netzwerkstrukturen als Forschungsgegenstand

Mit der folgenden beispielhaften Analyse möchten wir den Blick für Unterschiede in der Ausgestaltung multiprofessioneller Zusammenarbeit im Netzwerk sensibilisieren. Die beiden Fälle (Familienzentrum und Jugendzentrum) wurden kontrastiv ausgewählt und entstammen zwei Forschungsprojekten. In beiden Untersuchungen wurden Leitungskräfte gebeten, Kontakte ihrer Einrichtung auf einer Netzwerkkarte zu positionieren und über ihre Netzwerkbeziehungen zu erzählen. Dabei wird der Blick nicht auf vorab festgelegte Akteur_innen (z. B. vertraglich festgelegte Kooperationspartner_innen) beschränkt. Stattdessen können auch informelle Akteur_innen einschließlich der Adressat_innen, Gelegenheitsstrukturen und die subjektive Wichtigkeit der Kontakte aus Sicht der Einrichtung abgebildet werden. So können die in den Netzwerken der befragten Einrichtungen enthaltenen Sinnstrukturen rekonstruiert werden. Methodologisch ist dieses Vorgehen orientiert am Procedere der Qualitativ Strukturalen Analyse (vgl. Herz et al. 2015). Unser Vorgehen zielt darauf ab, Netzwerke in ihrer Komplexität und Kooperationen in ihrem jeweiligen sozialen Kontext zu erfassen (vgl. Jütte 2005).

Fall A ist einer Untersuchung entnommen, die auf die Netzwerke von Familienzentren in Nordrhein-Westfalen fokussiert. Die Verknüpfung der Bereiche Kindertagesbetreuung, Familienbildung und -hilfe sowie die Vernetzung und Kooperation mit Akteur_innen des Gesundheitswesens, Grundschulen und weiteren sozialräumlichen Akteur_innen wurde vor allem als Reaktion auf veränderte familiäre Bedarfslagen und fragmentierte Angebotsstrukturen als Resultat institutioneller Zergliederung pädagogischer Zuständigkeiten forciert (Diller 2006). Die Zielebene umfasst somit sowohl die Ebene der Adressat_innen, indem ein für diese aufeinander abgestimmtes, sozialraumorientiertes, niedrigschwelliges und flexibles Angebot geschaffen wird und zum anderen die Ebene der Einrichtungen, da durch Kooperation und Vernetzung Synergieeffekte entstehen und Doppelstrukturen vermieden werden sollen (MFKKI 2020). Die landesspezifische Besonderheit liegt darin, dass Kindertageseinrichtungen als Ausgangspunkt der Weiterentwicklung zu Familienzentren durch die Koordination, Kooperation und Vernetzung zum einen mit einem neuen Aufgabenfeld konfrontiert sind und zum anderen eine Art „Führungsrolle“ einnehmen sollen (vgl. Böllert 2008, S. 64).

Fall B entstammt einer Forschung im Feld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, in der Netzwerke von Jugendzentren untersucht werden. Von Interesse ist, welche Rolle Netzwerke für den Umgang mit Religion als pädagogische Herausforderung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit spielen. Hier ist die Ausgangslage, dass Jugendzentren durch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen der Bedeutung von Religion im Aufwachsen junger Menschen vor neuen Herausforderungen stehen (z. B. Birkner und Hetzinger 2014). Oftmals ist diese Feststellung mit einem Ruf nach mehr Vernetzung der Jugendarbeit verbunden. Dahinter liegt die Annahme, dass die Jugendarbeit komplexe Problemstellungen im Kontext von Religion durch die Zusammenarbeit mit Fachstellen und Expert_innen besser bearbeiten kann (Lutz und Kiesel 2016). Das Forschungsprojekt rekonstruiert deshalb, welche Rolle Jugendzentren Religion in ihren Netzwerken tatsächlich zuschreiben, wie sie diese diskursiv konstruieren und wie der organisationale Umgang mit Religion mit den Netzwerkbeziehungen in Zusammenhang steht.

Im Folgenden analysieren wir beide Fälle im Hinblick auf die jeweilige Logik der Zusammenarbeit der Einrichtung mit ihren Kontakten. Darauf folgt ein Vergleich mit Fokus auf unterschiedliche Formen der netzwerkförmigen Herstellung multiprofessioneller Kooperationsarrangements.

Zwei Fälle von Multiprofessionalität im Netzwerk (Abb. 1 und 2)

Abb. 1
figure 1

Netzwerkkarte Familienzentrum, Fall A

Abb. 2
figure 2

Netzwerkkarte Jugendzentrum, Fall B

Hier haben wir die für diesen Beitrag stark anonymisierten Netzwerkkarten der zwei ausgewählten Fälle einander gegenübergestellt. In der Mitte der Karte ist jeweils die Einrichtung markiert, „Ego“. Auf den konzentrischen Kreisen um Ego herum wurden von dem/der Befragten die Kontakte nach Wichtigkeit positioniert. Was als wichtiger wahrgenommen wird, findet sich näher an Ego als die als unwichtiger wahrgenommenen Kontakte in größerer Distanz.

Fall A: Multiprofessionalität als Ko-Existenz

Auf der Netzwerkkarte des Familienzentrums sind vor allem organisationale Akteur_innen bzw. Leistungsbereiche aufgeführt. Die Adressat_innen der Einrichtung fehlen. Die Mehrheit der Akteur_innen auf der Netzwerkkarte, mit einer Ausnahme, ist nah am Zentrum platziert. Es gibt jedoch keine Überlappung von innerem Kreis und den Akteur_innen. Welche Beziehung die Einrichtung zu den Akteur_innen hat oder wie diese zueinander in Beziehung stehen, wird nicht ersichtlich.

Von dieser Beschreibung aus stellt sich zunächst die Frage, nach welcher Logik die Platzierung der Akteur_innen folgt: Welche Bedeutung hat die Unterscheidung der Akteur_innen hinsichtlich ihrer Entfernung zur Einrichtung – sowohl die Abgrenzung von Einrichtung (Ego) und Kooperationspartner_innen als auch die Unterscheidung zwischen ebendiesen? Die Analyse des Interviews gibt darüber Aufschluss. So äußert die Befragte im Zuge der Platzierung: „Wenn Sie jetzt keine Zwischenfragen haben und ich das Wort Bedeutung richtig verstehe, dann, äh, sind alle gleichermaßen von gleicher Bedeutung […] für das/für unser Haus für das Familienzentrum.“ (Fall A, Z. 83–88).

An weiteren Interviewpassagen wird deutlich, dass die befragte Person ihre Einrichtung als Kindertageseinrichtung wahrnimmt und der mit Weiterentwicklung zum Familienzentrum einhergehende Einbezug der Familien nicht ihrem professionellen Selbstverständnis entspricht, was die Trennung und Abgrenzung zwischen Einrichtung und Kooperationspartner_innen auf der Netzwerkkarte erklärt. Einer organisationalen Logik folgend sind für den Funktionsbereich des Familienzentrums alle aufgeführten Akteur_innen gleichbedeutend, denn diese stehen stellvertretend für Bereiche, welche die Einrichtung in der entsprechenden Funktion abdecken muss. Adressat_innenspezifische Bedarfe sind für die Logik der Bewertung der Kooperationen hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht ausschlaggebend, was damit gerahmt wird, dass die Familien im Interview als nicht unterstützungsbedürftig konstruiert werden. Die/der abseits platzierte Akteur_in hat dieser Logik folgend eine geringere Bedeutung:

So, (..) Dann haben wir noch die (..) [Name Träger] Familienbildung (schreibt). (4) […] die tue ich mal nach hier, da sie ein bisschen seltener in unserem Haus vertreten sind. […] Also hier haben wir keinen Kooperationsvertrag mit. […] Sondern das sind aber immer An/Angebote, auf die wir auch zurückgreifen […] wenn wir das suchen […]. (Fall A, Z. 114–134)

Die Entfernung wird hinsichtlich Häufigkeit des Kontakts und Präsenz in der Einrichtung legitimiert. Die Zusammenarbeit ist keine dauerhafte organisationale Aufgabe, sondern sie erfolgt bedarfsorientiert. Darüber hinaus wird in dieser Aussage beispielhaft deutlich, wie die Beziehungen zu den Kooperationspartner_innen nach Ansicht der befragten Person im besten Fall gestaltet werden, nämlich als eine Art Dienstleistung, auf welche die Einrichtung bei Bedarf zurückgreifen kann. Dem Wunsch der Wahrung der eigenen organisationalen Autonomie folgend möchte die Einrichtung darüber bestimmen, wann und wem sie sich öffnet.

Die Grenzen werden zudem innerhalb der Kooperationsbeziehungen gezogen, wie ein Auszug zum Austausch mit dem Beratungszentrum deutlich macht:

Also es findet KEIN Austausch über Familien statt. Äh, das ist ein anderer Punkt. Sondern, äh, das Beratungszentrum sehen wir als Möglichkeit, es Eltern anzubieten, aber als/nicht als Pflichttermin. Und ich tausche mich auch mit den Herrschaften nicht drüber aus über Familien und die tauschen sich natürlich nicht mit uns aus. Also das/diese Vertraulichkeit, die halte ich total für/für absolut unerlässlich, sonst, äh, brauche ich da nicht hin zu beraten. (Fall A, Z. 706–727)

Ein Austausch über die Koordination der Angebote hinaus ist nicht angelegt und geschieht, wenn überhaupt, nebenher. Multiprofessionalität kann in diesem Fall als Ko-Existenz beschrieben werden. Jede_r Akteur_in hat einen klaren Zuständigkeitsbereich und es findet keine Vermischung statt. Dies ist auch nicht gewünscht, denn die Weiterentwicklung zum Familienzentrum fand aufgrund von Trägervorgaben statt und wurde nicht aufgrund einrichtungsspezifischer Bedarfe forciert. Ziele der Zusammenarbeit werden bilateral ausgehandelt. Wie bereits die Netzwerkkarte zeigt, fehlt es an Beziehungen der Akteur_innen untereinander. Übergeordnete Netzwerktreffen und damit verbunden eine Bearbeitung von den bilateralen Beziehungen übergreifenden Angelegenheiten finden nicht statt. Begründet wird dies mit unterschiedlichen Handlungsbereichen und Herausforderungen: „Ich weiß gar nicht, was das bringen sollte. Weil, äh, letzten Endes, jeder hat so sein/seinen/seinen Bereich […].“ (Fall A, Z. 1590–1594) Der Fall zeigt, dass die Vernetzung unterschiedlicher Akteur_innen nicht zwangsläufig auch zu multiprofessioneller Kooperation führt. Ist eine solche für die organisationalen Bedarfe aus Sicht der Einrichtung nicht zielführend, so führt dies dazu, dass Multiprofessionalität zwar angelegt ist, aber nicht gelebt wird.

Fall B: Multiprofessionalität als Strategie, Probleme zu lösen

Bei der Netzwerkkarte des Jugendzentrums fällt zunächst die klare Ausrichtung auf den rechten Teil der Karte auf. Dies erweckt den Anschein einer „Einseitigkeit“ des Netzwerks und lädt zur Hypothese einer strategischen Auswahl der Kontakte des Jugendzentrums oder auch einer deutlichen Positionierung des Jugendzentrums innerhalb seines Netzwerks ein. Je nach Perspektive kann die Einrichtung als isoliert und „ohne Rückendeckung“, aber auch als an der Spitze eines hierarchisch strukturierten Netzwerks gelesen werden. Ein näherer Blick auf die eingetragenen Verbindungslinien zwischen dem Jugendzentrum und den auf der Karte eingezeichneten Akteur_innen zeigt, dass hier ausschließlich verschiedenartige Pfeile eingetragen wurden. Die Beziehungen zu den Netzwerkkontakten des Jugendzentrums verweisen dadurch nicht auf Reziprozität, sondern vielmehr auf eine Selbstdarstellung der Einrichtung als Impuls- oder Auftraggeber im Dienst der „Jugendlichen“ (umkreist im innersten Zirkel).

Der Hypothese einer absichtsvollen und aktiven Gestaltung des Netzwerks folgend erweist sich das Interviewmaterial als erkenntnisreich. So stellt sich die Einrichtung als seit vielen Jahren in der Jugendmigrationsarbeit und interkulturellen Bildung aktiv und gut vernetzt dar. Mit neuen Adressat_innen, die Angebote der „Offenen Tür“ des Jugendzentrums wahrnehmen sowie durch das Engagement ehrenamtlicher junger Erwachsener sind in jüngerer Zeit neue, noch schwache Kontakte in das Netzwerk hinzugekommen. Diesen schreibt das Jugendzentrum in vielfältiger Weise eine Relevanz von Religion zu, auf die es eingehen möchte. Dabei sieht sich das Jugendzentrum mit Herausforderungen konfrontiert.

Das Jugendzentrum sieht eine Relevanz von „Antisemitismus oder dem äh, islamischen, also dem Rassismus gegenüber dem Islam und ähnliches“ (Fall B, Z. 590–592) und sucht diesbezüglich nach einem Umgang mit Religion in der Offenen Arbeit zwischen Akzeptanz, Ermöglichung und Kritik. Mit dieser Herausforderung sieht sich das Jugendzentrum bisher allein.

Auf der Suche nach Partner_innen für eine Zusammenarbeit klopft das Jugendzentrum zunächst bei seinen, laut Netzwerkkarte wichtigsten, Kontakten an. Mit dem konkreten Ansinnen, „ein Projekt“ zu machen „oder uns Leute einladen“ (Fall B, Z. 514–525), geht es auf seine bestehenden Kooperationspartner_innen zu. Durch eine Zusammenarbeit möchte die Einrichtung das „Thema, was kritisch gesehen wird“ aufgreifen, gemeinsam tätig werden, und durch die Kontaktaufnahme mit Externen („uns Leute einladen“) zu einer Erweiterung der professionellen Perspektiven beitragen. Davon verspricht sich das Jugendzentrum sicherer, passgenauer und innovativer in der Offenen Arbeit auf die wahrgenommenen Herausforderungen reagieren zu können. Doch das Anliegen blitzt ab:

[…] so und dann habe ich also gehört, die IGS [Stadtteil A] hat damit kein Problem, die sozial, also die Jugendeinrichtungen haben damit auch kein Problem, das ist kein Thema. (Fall B, Z. 530–532)

Der Versuch, über das Thema „Religion“ bestehende Netzwerkkontakte zu aktiveren, scheitert. Zugespitzt formuliert könnte man hier feststellen: Multiprofessionelle Zusammenarbeit scheitert bereits an unterschiedlichen Problemwahrnehmungen. Das Netzwerk ist vorhanden, doch die Zusammenarbeit wird auf weniger kontroverse Themenbereiche begrenzt (z. B. Sportangebote im Rahmen der Ganztagsbetreuung: Fall B, Z. 124). Doch das Jugendzentrum lässt nicht ab. Durch wiederholte Anfragen und Diskussionen wird versucht, das Problembewusstsein anderer Einrichtungen und damit deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu erhöhen. Es reagiert auf seinen selbst festgestellten Bedarf mit dem Wunsch nach inhaltlicher Erweiterung bestehender Netzwerkkontakte.

Es wird aber auch nicht diskutiert, also wie gesagt, ich habe das ja versucht auch immer wieder auch anzufragen, habt ihr da und äh wie steht ihr denn dazu und ist das für euch ein Thema? Für uns ist das kein Thema. Und das glaube ich nicht. Also da bin ich jetzt echt skeptisch, weil ich glaube, es wird einfach nur nicht gehört. Und es gibt nicht die Ebene, das auch tatsächlich, oder den Raum das auch tatsächlich zu formulieren. (Fall B, Z. 898–905)

Allein mit seiner Problemanalyse in einem fest etablierten Netzwerk fordert das Jugendzentrum Räume, in denen die Grundlagen einer neu ausgestalteten Zusammenarbeit ausgehandelt werden können. Die bloße Anwesenheit verschiedenster Akteur_innen, mit denen seit Jahren verlässlich zusammengearbeitet wird, kann das Bedürfnis nach einer Erweiterung der professionellen Perspektiven des Jugendzentrums im Umgang mit Religion nicht befriedigen. Multiprofessionelle Zusammenarbeit im Hinblick auf die neue Herausforderung „Religion“ in ihren unterschiedlichen Facetten scheint hier an den mangelnden Gelegenheiten zu scheitern, sich im bestehenden Netzwerk vertieft über unterschiedliche Wahrnehmungen und Bedarfe auszutauschen.

Multiprofessionalität braucht Anschlussfähigkeit und Räume

In beiden Fällen wurde deutlich, wie die untersuchten Einrichtungen ihre Kontakte für eine multiprofessionelle Zusammenarbeit zu nutzen und gestalten versuchen. Dabei wurden auf struktureller Ebene Zusammenhänge sichtbar, die für eine inhaltlich koordinierte und motivierte Zusammenarbeit der beteiligten Netzwerkpartner_innen eher hinderlich sind.

Multiprofessionalität als angestrebtes Ergebnis der Netzwerkaktivität der untersuchten Einrichtungen zeigt sich als äußerst fragil. In beiden Fällen zeigt sich, dass ein einheitliches Interesse aller Akteur_innen an einer Zusammenarbeit trotz des formalen Bestehens eines Netzwerks nicht selbstverständlich ist. So sind aus Sicht der Einrichtungen in beiden Fällen zwar alle notwendigen Kontakte vorhanden. Doch in Fall B scheitert die angestrebte Zusammenarbeit daran, dass die Netzwerkpartner_innen sich nicht auf eine gemeinsame Problemdefinition verständigen. Es mangelt an Gelegenheiten oder Räumen, um die inhaltliche Grundlage einer multiprofessionellen Zusammenarbeit auszuhandeln. In Fall A wird die Zusammenarbeit von der Einrichtung selbst auf einem oberflächlichen Niveau gehalten, da das Familienzentrum die Sinnhaftigkeit der Zusammenarbeit in Frage stellt. Hier fehlt die organisationale Anschlussfähigkeit des Konzeptes der Multiprofessionalität durch Netzwerkarbeit, um die Einsatzbereitschaft der Einrichtung in ausreichendem Maße zu gewährleisten.

Die Analyse der Netzwerkbeziehungen eines Jugend- und eines Familienzentrums mit einem qualitativ-strukturalen Zugang ermöglicht darüber hinaus einen differenzierteren Blick auf die Netzwerkstrukturen aus Sicht der Einrichtungen über formale Kooperationsbeziehungen hinaus. In beiden Fällen wurde die Bedeutung von „informellen“ Akteur_innen sichtbar, die mit einer engeren Setzung von Multiprofessionalität als Form der ausschließlich inter-organisationalen Zusammenarbeit nicht in den Blick geraten wären. Die Beziehungen zu Adressat_innen beispielsweise erweisen sich als zentral für die Ausgestaltung der multiprofessionellen Netzwerkarbeit. Dies zeigt sich in Fall B an der zentralen Bedeutung, die den „Jugendlichen“ als Ausgangspunkt der Netzwerkaktivität des Jugendzentrums zukommt. Die Einrichtung entwickelt hier ein Interesse an multiprofessioneller Zusammenarbeit als Strategie zur Bearbeitung von Problemen in der Beziehung zu Adressat_innen. In Fall A versteht sich die Einrichtung mehr als Kita denn als Familienzentrum und konstruiert die Klientel darüber hinaus als nicht unterstützungsbedürftig. Deshalb sind die Bedarfe des Adressat_innenkreises „Familien“ bei der Ausrichtung der Angebotsstruktur und der Adressierung der Kooperationspartner_innen des Familienzentrums nachrangig und führen zu einer Ko-Existenz der Akteur_innen.

In diesen Beobachtungen zeigt sich, dass Multiprofessionalität in Netzwerken mehr braucht als lediglich das Zusammenführen organisational verfasster Netzwerkpartner_innen. Der Vergleich der Kooperationsnetzwerke als „Blick hinter die Strukturen“ eines Jugend- und eines Familienzentrums zeigt, dass netzwerkförmige Kooperationsarrangements nicht per se die Chancen multiprofessioneller Zusammenarbeit nutzbar werden lassen. Wir stellen fest, dass es für eine gelingende Zusammenführung professioneller Perspektiven im Netzwerk zum einen ein gemeinsames Problemverständnis bzw. einen immanenten Sinn und vor allem Diskussionsräume braucht, um über gemeinsame Bedarfe übereinzukommen. Ebenso ist eine organisationale Anschlussfähigkeit der Kooperationsidee unerlässlich. Insofern zeigt der differenzierte Blick in die netzwerkförmigen Arrangements von Multiprofessionalität, wie herausfordernd die praktische Gestaltung dieser Form der Zusammenarbeit ist.