Rechte, nationale, xenophobische, antisemitische, rassistische, homophobe und andere Positionen aus dem Spektrum der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu erkennen, fällt zunehmend schwerer. Zuweilen werden sie als witzig, nicht so ganz ernst gemeinte Äußerungen ausgegeben. Manchmal garnieren sie Argumentationen am Rande, werden übersehen oder überhört. Dennoch prägen sie wesentlich Alltagskommunikationen und zunehmend durchweben sie auch fachpolitische Gespräche und Debatten, ohne dass die menschenfeindlichen Sprachfiguren durchgehend erkannt und Anlass für kritische Kommentierungen werden.

Positionen, die den Holocaust leugnen oder zu relativieren versuchen, die nicht die Vernichtung von Menschen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern verurteilen und die Existenz von Ausschwitz meinen Verleugnen zu können oder feststellen, „dass in Sachsenhausen 1943 eine Gaskammer erbaut wurde, obwohl längst nachgewiesen wurde, dass es niemals Gaskammern auf deutschem Boden gegeben hat“ (Roeder 2006 [1978]), sind relativ schnell und nachvollziehbar zu widerlegen. Dass diese Sprachspiele motiviert werden von völkischen, nationalsozialistischen Ideologiefragmenten, ist offensichtlich. Ihren national-völkischen Tenor dokumentieren auch Sprachspiele, die herausstellen, dass zwar die „Vielfalt der Völker als Träger der Kulturen“ anzusehen ist, sich aber „die Würde des Menschen als soziales Wesen (…) vor allem in der Volksgemeinschaft“ verwirklicht und nicht der „Einwanderungsstaat, sondern der Sozialstaat als ‚Volksgemeinschaft‘ (…) die persönliche Freiheit“ (Nationaldemokratische Partei Deutschlands 2010) garantiert.

Wenn jedoch Positionen geteilt werden wie „Menschen sollten wichtige Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen überlassen“, „durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie eine Fremder im eigenen Land“, „bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein“ oder „es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“ (Decker et al. 2016), Statements auf die jeweils und kontinuierlich weit über 20 % der Gesellschaft zustimmend reagieren, dann sind chauvinistische, homophobe, rassistische und fremdenfeindliche, national-autoritäre und sexistische Attribuierungen vielleicht schon weniger eindeutig und konsensual zu treffen.

Die eindeutige Identifizierung von xenophobischen, fremdenfeindlichen, national-rechten und insbesondere von autoritär-nationalen Rhetoriken ist inzwischen auch schwierig, weil in Alltagsgesprächen, auch in pädagogischen Diskussionen und auch in publizierten Beiträgen zur Sozialen Arbeit und zu sozialpolitischen Fragen rassistisch und national-autoritär gefärbte, zumindest jedoch als rechtpopulistisch anzusehende Argumentationen sich weitgehend unsichtbar einmischen, Zustimmung finden und Bedeutung für Selbst- und Weltpositionierungen erlangen. Wenn entsprechende Beiträge in eindeutig als rechts-national oder gar als völkisch sich präsentierenden Publikationen wie der „Blauen Narzisse“ oder der „Sezession“ oder beispielsweise dem Portal der identitären Bewegung publiziert werden, fällt eine Zuordnung zum rechtspopulistischen Milieu ebenfalls leicht. Werden sie jedoch über Blogs und Portale wie „Tichys Einblick“, „unbesorgt“, „Tapfer im Nirgendwo“, „Denken Erwünscht“ oder „Schlaglichter“ publiziert, wird eine eindeutige Erkennung schon schwieriger.

In den genannten Publikationsorganen sowie auf den erwähnten und weiteren Internetportalen sind inzwischen vielfältige Beiträge zu finden, die Fragen der Sozial- und Bildungspolitik sowie der Sozialen Arbeit aus einer rechts-nationalen Perspektive thematisieren, ohne dass die sie grundierenden rechtspopulistischen Argumentationsfiguren sogleich deutlich zu erkennen sind. Nicht wenige der Beiträge greifen Rhetoriken auf, die auch in fachlichen Gesprächen in den Einrichtungen der Sozialen Arbeit oder in sozialpädagogischen Hochschulveranstaltungen vorgetragen werden, ohne dass sie sogleich als nationalistische, autokratische oder xenophob inspirierte Beiträge gemeint, etikettiert und identifiziert werden. Die auch in pädagogischen wie sozialpädagogischen Gesprächen, Diskussionen und Diskursen vorgetragenen Sichtweisen auf das Weltgeschehen enthalten zuweilen Ablehnungs- und Zuschreibungskonstruktionen, die national-autoritären Ungleichwertigkeitsannahmen und damit im Kern fremdenfeindlichen Rhetoriken nicht fernstehen. Vorschläge, Tugenden wie Sauberkeit und Ordnung, Tapferkeit und Disziplin in der sozialpädagogischen Praxis wie in den diesbezüglichen Diskursen mehr Bedeutung beizumessen, sind konservativ-autoritär, vielleicht rechts-autoritär, sicherlich jedoch nicht durchgehend rechtspopulisch motiviert. Sie tragen jedoch dazu bei, rechtspopulistische Sicht- und Denkweisen in der Sozialen Arbeit und Pädagogik zu normalisieren.

Sozialstaat, Kultur und Heimat

In dem Blog „achgut.com“ veröffentlichte Gerd Held, Privatdozent am „Institut für Stadt- und Raumplanung“ der TU Berlin, Leitartikler und Essayist bei der Tageszeitung „Die Welt“, im September 2018 einen Beitrag unter der Überschrift „Hautfarbe oder Herkunft? Egal. Es geht um Gemeingüter!“ Über den Blog findet er bekannte Mitstreiter_innen, wie Gunnar Heinsohn, bis zu seiner Emeritierung Hochschullehrer für Sozialpädagogik an der Universität Bremen, Walter Krämer, bis 2017 Hochschullehrer für Wirtschafts- und Sozialstatistik und Sprecher eines Sonderforschungsbereiches der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der TU Dortmund, Cora Stephan, Publizistin und Schriftstellerin sowie den Autor Henryk M. Broder und die ehemalige Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld.

„Der Platz“, so führt Held aus, „den normalerweise die Gemeingüter (…) eines Landes einnehmen, ist entleert. (…) An der Stelle, wo sich eigentlich die Gemeingüter der Republik befinden, klafft ein Loch namens ‚Offenheit‘.“ (Held 2018)Footnote 1 Zunächst könnte die Annahme gestärkt werden, dass hier die sozialstaatlichen Sicherungssysteme insgesamt als nicht ausreichend beschrieben werden, um die Bevölkerung vor sozialen, kulturellen und insbesondere ökonomischen Krisensituationen zu schützen. Doch diese Interpretation wird schon relativ schnell enttäuscht, wird doch festgehalten, dass es gegenwärtig aufgrund einer „willkürlichen Massenmigration“ um das „Sein oder Nichtsein der Gemeingüter“ ginge und diese sich nicht vertrage „mit starken Gemeingütern, weil sie diese Gemeingüter“ nur ausnutze und keineswegs aufbaue.

Die entfaltete Argumentation wirkt zunächst irritierend und zugleich geschickt. Nicht das unterkomplexe, strukturell mit zu geringen finanziellen Ressourcen ausgestattete soziale Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland wird als „Grundkonflikt“ ausgemacht, sondern „die Migration“ macht dieses erst „so brisant“. „Die Immigration nutzt die fertigen Gemeingüter, die das Land in einem mühevollen, langwierigen Aufbauprozess gebildet hat. Wo daher eine massenhafte, willkürliche Migration auf ein institutionell und zivilisatorisch entwickeltes Land stößt, wird sie zum Raubbau und zur Zerstörung.“

Argumentiert wird damit nicht gegen Migrant_innen, sondern gegen eine Politik, die mit humanitären Motiven Migration zulässt und befürwortet, dass sich Menschen mittels einer „simplen Ortsveränderung Zugang zu den Ergebnissen einer langwierigen Aufbauanstrengung anderer Menschen (…) verschaffen“. Migration zuzulassen, forciere, so der Autor weiter, die „Enteignung“ des sozialen Sicherungssystems und stelle „eine eklatante soziale Ungerechtigkeit dar“, die die „soziale Frage“ neu und anders als bislang auf die politische Agenda platziere. „Allein schon auf Grund ihres zahlenmäßigen Umfangs“ stelle Migration für die politische Infrastruktur insgesamt, den Komplex der „inneren Sicherheit“ wie auch für das öffentliche Bildungswesen, das Wirtschafts- wie das Rechtssystem „eine Bedrohung“ dar. Argumentiert wird, dass „ein Großteil von ihnen aus Weltregionen“ komme, „die weder institutionell noch zivilisatorisch das Niveau der modernen Welt“ hätten. Sie stünden „auf einer anderen Stufe“, weil sie „noch keine größere Epoche der Aufklärung durchlaufen“ hätten, und daher „ein Großteil der gegenwärtigen Massenmigration (…), den Gemeingütern der Länder, in die sie vordringt, fremd gegenüber“ stehen würde.

Held reklamiert, Migration lediglich als eine soziale Frage im Sinne einer Bedrohung des bundesrepublikanischen Sozialstaates zu diskutieren. Eine Gefährdung sieht er keineswegs darin, dass Migrant_innen Menschen sind, „die eine andere Hautfarbe, andere Blutsverwandtschaften oder eine Herkunft von einem anderen ‚Boden‘ haben“. Nachdrücklich versucht er, seine Argumente von essentialistischen, ethnischen Zuschreibungen zu entlasten und betont, dass seine Vorbehalte gegenüber Migrationsbewegungen „ganz ohne ‚Fremdenfeindlichkeit‘ und erst recht ohne ‚Rassismus‘“ auskämen und lediglich „eine Unvereinbarkeit zwischen Massenmigration und Gemeingütern“ herausstellen würden – konkret: „Illegale Migration wird zum illegalen Zugriff auf den Sozialstaat“, um einen „organisierten Sozialbetrug (…), um ein kriminelles, sozial bindungsloses Milieu, das mit dem Recht des Stärkeren und Arglistigeren“ vorginge, zu befördern.

Entgegen aller Selbstbekundungen entwickelt Held seine Argumente gegen Migration über biologistische, naturalistische und ethnische, völkisch-nationale Rhetoriken. Zudem meint er, die Politik darauf hinweisen zu können, dass die Sicherheit und die Systeme des Staates durch Migration gefährdet seien, sie diese kulturell öffnen und damit in ihrer Substanz zur Disposition stellen. Implizit wird an Diskurse der Identitären Bewegung angeknüpft, die die gegenwärtige Politik bestimmende Position kritisch adressieren, weil diese sich gegen „unser Land und unser Volk“ richte, das „Fremde dem Eigenen, das Nicht-Wir dem Wir“ (Kubitschek 2017, S. 20) gleichstelle oder sogar vorzöge. Multikulturelle, migrationssensible Positionen kritisierend wird mit fremdenfeindlichen, xenophobischen und partiell national-völkischen Rhetoriken für einen neuen Ethnopluralismus geworben, der meint, dass Völker und Kulturen eine vom „Selbsthass“ befreite, konsistente Identität nur in ihren heimatlichen, volkseigenen und ethnienhomogenen Territorien erlangen können.

Erziehung und das „Wiederfinden“ von Autorität und Führung

Diagnosen wie die, dass es geboten erscheint, den „Blick auf die Jugendkultur der Gegenwart zu richten“ weil dieser „schmerzhafte Blick (…) vor Augen führen dürfte, was für ein massenhaftes Versagen in den Bereichen von Bildung, Erziehung und Kultur vorliegt und wie groß der Schaden“ sei, „den bald ein Dreivierteljahrhundert des Liberalismus in den Köpfen und Herzen der Menschen angereicht“ habe (Feldgiebel 2020), motivieren konservative wie um die nationale Identität besorgte Pädagog_innen, Erziehungswissenschaftler_innen und Sozialwissenschaftler_innen in „Verantwortung für Volk und Familie“ zu konstatieren, dass „Kinder und Jugendliche mehr Autorität brauchen“, um „wahrhaft persönlich wachsen“ zu können (Feldgiebel 2020).

Unter anderem knüpfen Heike Diefenbach und Michael Klein, insbesondere in dem von ihnen betriebenen Blog namens „ScienceFiles“, aber auch in mehr oder weniger ausgewiesenen Fachpublikationen mit Beiträgen zur „linken Identitätspolitik“, zum „Genderismus“ und zum „staatlich verordneten Feminismus“ an diese Gegenwartsbetrachtungen an. Über Tugenden wie „Ausdauer und Kraft“, „Beweglichkeit und Durchhaltevermögen“, die über „Sport“ sowie „vormilitärische und militärische Ausbildung“ erlebbar werden,  könnten „Kameradschaft und Uneigennützlichkeit“, „Führung“ und Verantwortung erlernt und darüber überhaupt erst „die Bedingungen von Bildung“ hergestellt werden (Bosselmann 2020). Heiner Bosselmann und ebenso Caroline Sommerfeld (2019) empfehlen, die „Klassiker“ der Pädagogik neu und anders zu lesen und zu verstehen. Die studierte Pädagogin Sommerfeld erlangt gegenwärtig mit ihrem im rechts-publizistischen Verlag Antaios aufgelegten Text „Wir erziehen. Zehn Grundsätze“ besondere Aufmerksamkeit. Vorangestellt sind den zehn Thesen Hinweise auf ihren eigenen Selbstläuterungsprozess. Aufgewachsen in einem für Fragen der Natur aufgeschlossenen, aber konservativen Elternhaus, dann „früh Mutter“, lebte sie zunächst in einem „Milieu zwischen Bioernährung, Kinderladen, Gemeinschaftsgarten und Freier Schule“, um jedoch zu erfahren, dass sich dieses „innerlich verwandelt“ (Sommerfeld 2019, S. 11) habe.

Folgt man der biographischen Erzählung, dann bewegte sich Sommerfeld zum beginnenden neuen Jahrtausend noch in einer grün-alternativ geprägten Welt. Die Erkenntnis, dass durch Laissez-faire-Erziehung die Durchflutung kindlicher Alltage mit Medien, „mit Mündigkeit, Kompetenz, Potentialentfaltung und Verantwortungsübertragung aufs Kind“ das „Leben nicht besser“ würde, initiierte ihre Umorientierung. Sie verabschiedete sich, wie sie schreibt, von „Freiheitsratgebern: von der obligatorischen Erziehung zur Mündigkeit (Adorno) über A. S. Neills Prinzip Summerhill, später dann Dein kompetentes Kind (Jesper Juul) bis zu Jedes Kind ist hoch begabt (Gerald Hüther)“ (Sommerfeld 2019, S. 13). Nun geht es ihr um die „neuerliche ‚Wiederentdeckung der Grenze‘“, „der Grenze des Menschen, der Schöpfung, der historischen Gewordenheit und Geworfenheit“ (Sommerfeld 2019, S. 27). Sie entdeckt die gesuchten Antworten auf ihre Verunsicherungen in dem „konservativ revolutionären Geist“ der Reformpädagogik, meint zu erkennen, „daß die Reformpädagogen Grundbegriffe wie Führung, Autorität, Askese, Glauben und Volk auf Lager haben“, von denen kaum einer wüsste und die es nun gelte „wieder zu finden“ (Sommerfeld 2019, S. 29).

Die von Sommerfeld vorgestellten zehn Grundsätze sind wesentlich von einer Relektüre dieser, vornehmlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Ideen geprägt – insbesondere von den sogenannten Tugenden Gemeinschaft und Führung. Und diese neu entdeckten Lebensleitlinien stehen „zueinander in einem lebendigen Beziehungsgeflecht“, denn, so wird ausgeführt, „Führung und Distanz setzen eine geistige Ebene voraus, ohne Beheimatetsein ist Gemeinschaft undenkbar“. Diese prägten, wird der Argumentation weiter gefolgt, „wiederum Begriffspaare wie Führung und Wachsenlassen, Distanz und Nähe, Kind und Erwachsener“. Und erwachsen kann nur sein, wer „etwas von Führung, Askese, Dienst und geistiger Entwicklung“ (Sommerfeld 2019, S. 32) verstehe.

Die in diesen Passagen durchschimmernde Rhetorik durchzieht die zehn Grundsätze. Der vorgetragenen Diagnose nach verabschiedet sich Erziehung von zentralen, Kinder wie Jugendliche anleitenden und führenden Normen und Werten und werde nun unbeschützt den Einflüssen und Einflüsterungen einer unkontrollierten, globalisierten Welt überlassen. Den beobachteten kulturellen Freisetzungen sollten die bewährten, leider jedoch vergessenen oder nicht mehr favorisierten Werte wie Askese und Anstrengungsbereitschaft sowie das Gefühl von Unverdrehtheit und die Suche nach Beheimatetsein entgegen gesetzt werden.

Die Reaktivierung dieser weitgehend konservativ und autokratisch grundierten, vielleicht sogar noch als diskussionswürdig anzusehenden Grundsätze wird jedoch über eine nationalistische, tendenziell völkisch motivierte Argumentation gerahmt: „Wo Individuen Ich-Bewusstsein haben, haben Völker Wir-Bewusstsein,“ so Sommerfeld, „wo Individuen eine kontinuierliche Biographie haben, haben Völker eine Geschichte, und beide streben nach Selbsterhaltung und Reproduktion.“ Askese und Beheimatetsein über erziehende Führung lernen, ermögliche, „ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln“ – so wird zugelassen, die „Ab-Erziehung des Sinnes für das eigene Volk“ zu „erkennen und historisch herleiten“ zu können (Sommerfeld 2019, S. 260).

Die „neue“ Idee von Erziehung soll den gegenwärtigen „Ethnomasochismus“ als „Leitkultur“ ablösen, denn „Völker sind weder beliebige ‚Konstruktionen‘“ noch „Subjekte kollektiver historischer Schuld“ (Sommerfeld 2019, S. 260). Spätestens mit diesen sprachlichen Pirouetten verortet sie sich im Milieu der Identitären Bewegung und der dort anzusiedelnden ethnopluralistischen Weltsicht, der nach auf einem konkreten räumlichen Territorium nur Menschen einer Rasse oder Ethnie leben können, um Selbstbewusstsein und kulturelle Identität zu erlangen, denn „Normen müssen auf der Geltungsebene verallgemeinerbar sein“. „Die Gefahren der Einbeziehung der Weltbevölkerung in den Geltungsbereich westlicher Individualrechte sind einem Ethnopluralisten bewußt. Er will eine Welt souveräner Völker erhalten ohne imperialen Herrschaftsanspruch der Normensysteme bestimmter Völker“ (Sommerfeld 2019, S. 261).

Das Miteinander von unterschiedlichen Kulturen in einem Land, so das entfaltete Sprachspiel, führe gegenwärtig noch dazu, dass sich diffuse, kulturentfremdete Identitäten, die statt auf einer „Bewahrungs- und Beharrungstendenz“ auf „Auflösung, Zerstörung, Entstrukturierung“ basieren (Sommerfeld 2019, S. 302), herausbilden. Doch „wenn das Individuum weit genug ist in seiner Entwicklung“ und im Zuge „der Menschheitsentwicklung (…) von selbst die Gliederung in Rassen und Völker immer unwichtiger“ würde, dann „dürfen wie ein Baugerüst“ Kategorien wie „Volk und Rasse“ „abgebaut werden (...). Wenn sie zu früh abgebaut werden – auch durch ‚interkulturelle Pädagogik‘ – stürzt das Individuum in den Abgrund“ (Sommerfeld 2019, S. 262).

Die von Sommerfeld für unumgänglich erachtete Wende in der Erziehung ist nur vordergründig lediglich eine Reaktivierung konservativer Ideen. Die von reformpädagogischen Ideen inspirierte Kernrhetorik entpuppt sich bei genauerer Durchsicht als ein national gefärbtes, autoritäre Positionierungen wachrufendendes, mit ethnopluralistischen und damit mit völkischen Überlegungen kokettierendes Programm.

figure a

Beginn des Beitrags „100 Jahre Waldorf, oder: der Bumerangeffekt“ von Caroline Sommerfeld (https://sezession.de/61638/100-jahre-waldorf-oder-der-bumerangeffekt)

Menschenfeindliche Rhetoriken und Soziale Arbeit

Die hier diskutierten Positionen sind vielleicht nicht durchgängig als nationalistische, xenophobische oder national-autoritäre Rhetoriken anzusehen oder als solche zu erkennen. Auch verbitten sich einige der Autoren und Autorinnen derartige Zuordnungen – zumindest öffentlich. Jedoch Beiträge, die Ansprüche an die sozialstaatlichen Sicherungssystemen auf diejenigen zu begrenzen fordern, die historisch und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem nationalstaatlichen Territorium hierzu die Berechtigung erwarben, oder die Teilnahme an den kulturellen, sozialen und ökonomischen Ressourcen lediglich denjenigen zugestehen, die Gefühle eines „Sinnes für das eigene Volk“ auszudrücken vermögen, argumentieren mit rechts-nationalen, fremdenfeindlichen Argumenten. Attribuiert werden so Migrant_innen, Geflüchtete und auch die Engagierten in gegenkulturellen Bewegungen, die keinen Konsens mit konservativen und den hegemonialen Werten, Normen und Ritualen westlicher Gesellschaften herstellen können oder wollen respektive denen die kulturellen und sozialen Fähigkeiten abgesprochen werden, diesen Konsens herstellen zu können, als Fremde und gesellschaftlich nicht Dazugehörende.

Die vorgestellten und diskutierten Rhetoriken gehören sicherlich nicht zum genuinen Kanon sozialpädagogischen Denkens. Mit Sicherheit ist aber nicht auszuschließen, dass Fragmente der diskutierten rechtspopulistischen, partiell national-völkischen Selbst- und Weltbeschreibungen Eingang finden in die alltäglichen Sprachfiguren der Akteur_innen der Sozialen Arbeit. Rhetoriken, die konservativ-autoritäre Tugenden revitalisieren, essentialistische Argumente verwenden oder sich gegenüber solchen nicht offensiv abgrenzen, enthalten immer auch problematische Ablehnungskonstruktionen. Diese Sprachspiele in der Sozialen Arbeit offen zu diskutieren scheint ebenso notwendig und wünschenswert wie es angebracht ist, sich gegenüber xenophobisch, rechtsnationalistisch orientierten Jugendlichen und Erwachsenen zu positionieren und menschenfeindliche, selbst- und fremdzerstörerische Beiträge zu kritisieren (Thole und Ziegler 2018). Rhetoriken und Praktiken, die menschfeindliche, national-rechte Denkfiguren und Ablehnungen von Fremden stabilisieren und Ideologien der Ungleichheit nicht als solche markieren, sind eindeutiger und sichtbarer als bislang auch an den Orten der Sozialen Arbeit kritisch zu thematisieren.