Internationale Freiwilligendienste, Erasmus, Backpacken, Work and Travel und nicht zuletzt Couchsurfing: Auf (längere) Reisen fernab des ‚klassischen Tourismus‘ zu gehen, liegt für junge Erwachsene hoch im Trend und wird in der Jugendforschung als Jugendmobilität bezeichnet. In diesem Beitrag wird Jugendmobilität im Rahmen einer ethnografischen Forschung (sie fand im Zusammenhang mit meinem Dissertationsvorhaben in deutschen und lateinamerikanischen Städten statt) in der Couchsurfing-Community kritisch beleuchtet. Es wird die Frage diskutiert, wie und welche junge(n) Erwachsene urbane Räume der Couchsurfing-Community mitprägen und welche Auswirkungen dies auf die urbanen Räume hat und gleichzeitig diskutiert, welchen (neuen) Herausforderungen sich die soziale Arbeit in diesem Feld zu stellen hat.

Da es nicht den ‚einen‘ Mobilitätsbegriff gibt, auf den zurückgegriffen werden kann, wird Mobilität in diesem Beitrag als Beweglichkeit im mehrdimensionalen Raum angesehen und bezieht sich auch auf „räumliche, zeitliche, soziale, kulturelle und/oder generationelle Bewegungsprozesse, die in der einschlägigen Literatur zumeist auf zwei Perspektiven zugespitzt und manchmal auch reduziert werden“ (Bonß und Kesselring 1999, S. 40): die physikalische und die soziale Mobilität. Im physikalischen Kontext steht die Bewegung von Objekten, im sozialen Kontext die Bewegung von Menschen im Vordergrund (vgl. Bonß und Kesselring 1999, S. 40). Fokussiert man sich auf den sozialen Kontext, ist „Mobilität (ist) mit dem Versprechen einer Erweiterung der Handlungsräume verbunden und ist in der Sicht der Heranwachsenden grundlegende Voraussetzung, um an gesellschaftlichen Lebensbereichen zu partizipieren und das eigene Leben zu gestalten“ (Grell und Waldmann 1999, S. 180).

Dieser soziale Kontext soll diesem Artikel zugrunde liegen und konzentriert sich auf das Potenzial der Couchsurfing-Community als ein relativ neues ‚Reiseformat‘, jungen Erwachsenen neue Handlungsräume zu eröffnen. Der Text nimmt schwerpunktmäßig Bezug auf urbane Räume als neue Handlungsräume von mobilen jungen Erwachsenen. Als junge Erwachsene werden hier Personen bezeichnet, die sich der Couchsurfing-Community zugehörig fühlen. Das Durchschnittsalter der Couchsurfer liegt bei 28 Jahren (vgl. Anthes et al. o.J.); die generelle Altersspanne ungefähr zwischen 18 und 30 Jahren.

Transnationale Vergemeinschaftung

Couchsurfing wurde im Jahr 2004 von Casey Fenton gegründet und ist heute das größte existierende sogenannte (Online‑) Gastfreundschaftsnetzwerk weltweit. Über die Internetseite www.couchsurfing.com kann man sich mit Personen (den sogenannten Hosts) verbinden, die einem weltweit kostenlos einen Schlafplatz zur Verfügung stellen. Die weitere Idee von Couchsurfing ist, dass nicht nur kostenlose Schlafplätze angeboten werden, sondern dass es darüber hinaus auch die Möglichkeit einer sozialen Erfahrung gibt: HostFootnote 1 und Couchsurfer unternehmen gemeinsam Aktivitäten – dies kann sowohl im privaten Raum des Hosts, als auch darüber hinaus (im urbanen Raum) stattfinden. Eine soziale Erfahrung wird als vorübergehende, situative, hochsoziale Gesellschaftsform mit weniger bindenden Wirkungen verstanden und ist mit dem Verständnis von Vergemeinschaftung gleichzusetzen. Vergemeinschaftung bedeutet in diesem Zusammenhang die Herstellung einer ganz bestimmten, zeitlich begrenzten Gemeinsamkeit, bei der die gemeinsame Erfahrung in den Mittelpunkt rückt. Das Hauptaugenmerk liegt hier somit auf der gemeinsamen Erfahrung in urbanen Räumen junger Erwachsener, die Teil der Couchsurfing-Community sind – Vergemeinschaftung wird deshalb in diesem Fall als Communitisierung bezeichnet.

Transnationale Communitisierung findet in urbanen Räumen statt. Es werden bereits feststehende öffentliche Räume (wie Restaurants, Kneipen, Konzerthallen) als Bühnen genutzt, um über bestimmte internationale Requisiten (Bier) Gemeinsamkeit zu generieren. Dies zeigen auch die beiden folgenden Ausschnitte aus den ethnografischen Protokollen:

Mit einem Host im urbanen Raum (im Irish Pub in Argentinien) (BP9, 89): Wir trinken Bier. (…)

Mit einem Host im urbanen Raum (auf einem Konzert) (BP8.1, 170–172): Das Konzert fängt an und wir trinken zusammen den ersten 1Liter-Becher Bier.

In beiden Beispielen werden urbane Räume aufgesucht, die keinen nationalen Charakter aufweisen. Sowohl im Irish Pub, der seine Wurzeln sicherlich in Irland hat, als auch auf dem Konzert, das unspezifisch in seiner Ausrichtung bleibt (man weiß nicht, ob hier internationale oder nationale Musik gespielt wird), wird das internationale Getränk Bier getrunken. Der Stadt beziehungsweise dem urbanen Raum, in dem sich die jungen Erwachsenen in diesem Moment befinden, wird wenig bis gar keine nationale Bedeutung zugesprochen. Sie beziehungsweise er wird von der Gruppe genutzt, um gemeinsame Aktivitäten zu unternehmen, die begleitet werden von internationalen Requisiten – wie das internationale, allen bekannte Getränk Bier.

Vertraute urbane vs. unbekannte ländlichen Räume

Das Wort ‚urban‘ zeigt ebenfalls, dass von geografisch gut positionierten Stadtvierteln („gut“ im Sinne von im Zentrum der Stadt oder in ‚angesagten‘ Stadtteilen liegend) gesprochen wird, in denen die Orte zu finden sind, die die Couchsurfer aufsuchen. Urbanität wird auch zu einem wichtigen Thema gemacht, wenn es darum geht, dass ländliche Räume nicht genutzt werden (können), um dort zu übernachten. Denn urbane Räume haben (im Gegensatz zu ländlichen Räumen) den Vorteil, dass sie einen Bekanntheitsgrad und einen Wiedererkennungswert haben, den die Gruppe der Couchsurfer benötigt, um sich in einem anderen Land bzw. in einer anderen Stadt wohlzufühlen. Zwei Beispiele aus dem ethnografischen Material sollen dies noch verdeutlichen:

Vor dem privatem Raum (Haustür) eines Hosts (BP10, 62–66): Die Straße befindet sich mitten im Zentrum (…) und sieht aus wie ein Haus mit vielen verschiedenen Büros.

Obwohl das Haus von außen wie ein Bürokomplex und nicht wie ein Wohnhaus aussieht, führt es zu keiner Irritation oder Verwunderung bei den Couchsurfern. Mitten im Zentrum steht im starken Gegensatz zu den am Stadtrand verorteten Wohnräumen der Hosts und zeigt somit ein der Couchsurfing-Community angepasstes Wohnen.

Auf dem Weg zu einem Host (BP2, 72–82): Der Taxifahrer fährt dann eine große Straße herunter, die ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, von einer asphaltierten Straße zu einer lehmigen, nicht asphaltierten Straße wird. Er wird langsamer und hält letztlich vor einem der letzten Häuschen auf der rechten Seite, bevor sich links und rechts nur noch weite Felder und Weiden erstrecken.

Hier wird der Dualismus Stadt versus Land deutlich. Der Stadtkern wird als geschäftig und positiv wahrgenommen, der Stadtrand dagegen als etwas in der Peripherie Liegendes, Schwammiges, nicht greifbares Negatives. Diese Negativ-Konstruktion wird festgemacht an bestimmten Markern, die im Kontrast zum westlich Bekannten stehen: Der Asphalt hört auf und die Straße wird schlammig. Mit Asphalt assoziiert man Urbanität, mit der schlammigen Straße dagegen eine eher ländliche Gegend. Das Urbane steht also demnach für das Bekannte und Sichere und das vermeintlich Ländliche für das Unsichere und Unbekannte. Die Beschreibungen des ländlichen Raumes werden als etwas Unbekanntes, nicht Vertrautes und Unerwartetes wahrgenommen. Häuser verkleinern sich hier (aus Häusern werden Häuschen) und der ländliche Raum wird unübersichtlicher (nur noch weite Felder und Weiden). Der Dualismus scheint insofern ein Gegensatz zu sein, als das der urbane Raum als erschlossen, bekannt und übersichtlich und der ländliche Raum als unbekannt und unübersichtlich konstruiert wird.

Dadurch wird auch die Dichotomie Sicherheit versus Unsicherheit zwischen Stadt und Land sichtbar. Der lehmige Untergrund, das letzte Häuschen und die weiten Felder und Weiden scheinen Angst und Unsicherheit auszulösen. Die Couchsurfer bewegen sich in einer Situation, die sie nicht greifen können. Ihr Wunsch ist es aber, diese Unsicherheit zu verhindern und immer wieder konkrete Situationen herzustellen, die bekannt und demnach sicher sind. Auch werden die Beschreibungen des Ländlichen (Felder und Weiden) als ein Synonym für ihr Unwohlsein genutzt. Die beiden Couchsurfer scheinen sich in diesem Moment nicht wohl zu fühlen, weil ihre Anwesenheit im ländlichen Raum für sie bedeutet, weit weg von der Zivilisation zu sein. Dies unterstreicht die Formulierung letzte Häuschen: Danach scheint es keine Urbanisation mehr zu geben.

Auswirkungen der Couchsurfing-Community auf urbane Räume

Genau an dieser Stelle setzen nun die Erkenntnisse aus der ethnografischen Forschung an. Sie zeigen, dass die Couchsurfing-Community keinesfalls dazu beiträgt, ein heterogenes urbanes Bild in Städten zu prägen – im Gegenteil: homogene Lebensstile und Lebensweisen werden durch sie eher noch verstärkt und kulturelle und soziale Widersprüche werden klein gehalten (vgl. Bartels 2019). In der Jugendmobilitätsforschung spricht man hier auch von sogenannten transnationalen Blasen (vgl. Mangold 2013, S. 295) oder Kosmohomogenität (vgl. Bartels 2019, S. 161): ähnliche Menschen, mit ähnlichen Interessen und Bildungsstand aus unterschiedlichen Nationen treffen aufeinander – Differenzerfahrungen werden kaum bis gar nicht gemacht. Gerade solche Aushandlungen mit Differenzerfahrungen, das Sich-Ausprobieren und der Umgang mit eigenen Grenzerfahrungen, sind aber wichtige Prozesse für das ‚Erwachsen-Werden‘ eines jeden jungen Menschen – und auch für das urbane Miteinander sind sie höchst wichtig, um ein heterogenes Stadtbild mitzuprägen.

Durch transnationale Communitisierungsprozesse der Couchsurfing-Community (wie z. B. in dem obigen Beispiel aufgeführt das Bier trinken im Irish Pub in Argentinien) werden homogene Verhaltensweisen noch verstärkt. So treten junge Erwachsene „häufig als Avantgarden von Globalisierungsprozessen auf. Als Produzenten und Konsumenten sind sie zwar nicht die ressourcenstärkste, aber vermutlich die innovativste, flexibelste und mobilste Zielgruppe, die das Projekt einer weltweiten, kulturellen Homogenisierung vorantreibt“ (Roth 2002, S. 25). Die Couchsurfing-Community steht so für einen bestimmten homogenen Lifestyle, der über Mobilität (Reisen) hergestellt wird und seinen Höhepunkt darin findet, dass sich eine sehr ähnliche Gruppe von jungen Erwachsenen in urbanen Räumen formiert, die eine solch globalisierte beziehungsweise internationalisierte Infrastruktur aufweist, dass sie sich an jedem Ort der Welt befinden könnte.

Durch die Couchsurfing-Community wird so ein homogenes urbanes Stadtbild mitgeprägt, dass Vorurteile und Stereotypen reproduzieren, Ungleichheit verstärken und zu weniger Diversität im Stadtbild beitragen kann. So gewinnen beispielsweise bestimmte, ohnehin schon beliebte urbane Räume durch die Couchsurfing-Community noch mehr an Bedeutung und werden sozusagen ‚überschwemmt‘ von dieser Art des neuen Tourismus, während andere, weniger beliebte Stadtteile oder ländliche Räume immer mehr an Bedeutung verlieren.

Außerdem wird nur einem bestimmten höhergestellten Personenkreis Mobilität durch die Couchsurfing-Community erleichtert bzw. möglich gemacht. In der ethnografischen Forschung wird dies wie folgt beschrieben und problematisiert: Der westliche (deutsche) Akademiker-Couchsurfer trifft auf einen ebenfalls studierten (nicht-westlichen) Akademiker-Host. Der Unterschied beider liegt in ihrer Herkunft, aber nicht in ihrem Bildungsmilieu. Folgendes Szenario wird dadurch unvorstellbar: Beide treffen in einer westlichen Großstadt in Randbezirken (wie beispielsweise in einer Plattenbausiedlung in Deutschland) aufeinander – oder, zusammengewürfelt gedacht: Bildungs- und Herkunftsmilieu (in Bezug auf den Wohnort) mischen sich – Nicht-Akademiker_in trifft Akademiker_in; Plattenbau trifft gehobene Wohngegend (vgl. Bartels 2019, S. 152).

Neue Reisephänomene in der Jugendforschung mitdenken

Die Jugendforschung sollte zunehmend auch neue Reisephänomene wie Couchsurfing innerhalb der Jugend- und Mobilitätsdebatten mitdenken und sich in diesem Kontext die Frage stellen, wie Städte in Zukunft aussehen sollen bzw. wie es möglich sein kann, (weiterhin) urbane Orte für die Repräsentation und Darstellung verschiedener sozialen Gruppen zu schaffen, um sich nicht (weiterhin) der Gefahr auszusetzen Räume mit zu reproduzieren, die nur von bestimmten homogenen Gruppen mitgestaltet und geprägt werden. Diese Homogenisierung anzuerkennen, um dahingehend eine Vielfältigkeit anzustreben, ist an dieser Stelle der erste Schritt. Wie können Hemmschwellen und Barrieren abgebaut werden, dass auch fernab der oberen Bildungsschichten junge Erwachsene andere urbane Räume durch Couchsurfing kennenlernen und mitprägen können? Wie kann auch dem ländlichen Raum, gerade für junge Menschen, wieder mehr Bedeutung gegeben werden? Diese Fragen weiterhin (mit) im Blick zu haben, kann ein weiterer Schritt sein, um urbane und auch wieder ländliche Räume im Bezug auf neuere Mobilitätsphänomene – im Interesse der Jugendforschung bzw. Jugendmobilität – für eine breitere Gruppe von jungen Erwachsenen attraktiv und somit auch (wieder) heterogener zu gestalten, um so allen bzw. vielen jungen Erwachsenen Handlungsräume zu öffnen und zu erschaffen, die für ihre persönliche Weiterentwicklung im Jugendalter eine wichtige Rolle spielen.