1 Einleitung

Angaben zur Stillen Reserve sind Teil der Arbeitsmarktberichterstattung und müssen in diesem Kontext bewertet werden. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da es verschiedene Systeme der Arbeitsmarktberichterstattung gibt. Zu den umfangreichsten und international bekanntesten Systemen gehört – neben dem System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen VGR (System of National Accounts SNA) – das Labour-Force-Konzept. Unter der Bezeichnung Labour-Force-Konzept werden hier international anerkannte Definitionen von Arbeitsmarktindikatoren verstanden, die in Resolutionen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO) vereinbart wurden (siehe auch Rengers 2004; und Abschn. 2.1). Das Labour-Force-Konzept definiert verschiedene Indikatoren in Bezug zur Produktionsabgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und verfolgt das Ziel, die internationale Vergleichbarkeit arbeitsmarktbeschreibender Kennzahlen zu erhöhen. Dabei werden auch statistische und analytische Einheiten differenziert, Angaben zu Tabellierungen und zur internationalen Berichterstattung gemacht, und es wird auf verschiedene Datenerhebungsprogramme – mit Strategien für die Periodizität der Datenerhebung, Festlegung unterschiedlicher Beobachtungszeiträume und Aussagen zur Verwendung verschiedener Datenquellen – Bezug genommen. Arbeitskräfteerhebungen spielen dabei eine zentrale Rolle, aber auch spezialisierte und allgemeine Haushaltserhebungen, die Volkszählung, Verwaltungsaufzeichnungen sowie Wirtschaftszählungen werden explizit genannt. Es besteht der Anspruch, diese verschiedenen Datenquellen in Verbindung miteinander zu bringen und dabei Kohärenz und Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu beurteilen.

Auf nationaler Ebene sind insbesondere Registerdaten der Arbeitsverwaltung eine zusätzliche bedeutende Datenquelle. Sie verfolgen wichtige eigene Zwecke, sind aber weniger als Quelle international vergleichbarer Arbeitsmarktdaten geeignet, insbesondere, weil sie von (landesspezifischen) gesetzlichen und administrativen Bestimmungen abhängig sind. Außerdem werden von diesen Registerdaten generell „nur“ diejenigen Arbeitslosen erfasst, die sich auch tatsächlich bei den Arbeitsverwaltungen melden. Dennoch liegt in vielen Ländern der Fokus bei der Erfassung von Arbeitslosigkeit auf diesen Verwaltungsdaten.

Die Arbeitskräfteerhebung, die in Deutschland in den vom Statistischen Bundesamt (StBA, Destatis) durchgeführten Mikrozensus integriert ist, weist für die Bevölkerung im Alter von 15–74 Jahren im Jahr 2019 gut 42,2 Mio. Erwerbstätige bei gleichzeitig knapp 1,4 Mio. Erwerbslosen aus. Im gleichen Jahr lag die Zahl der registrieren Arbeitslosen der Bundesagentur für Arbeit (BA) bei knapp 2,3 Mio. Personen. Der Größenunterschied zwischen der Zahl der Erwerbslosen und der Zahl der registrierten Arbeitslosen ist insbesondere durch eine unterschiedliche definitorische Abgrenzung bedingt, die an späterer Stelle erläutert wird. Beiden Kennzahlen ist jedoch gemein, dass sie mit einer Zahl zur „Stillen Reserve“ vervollständigt werden sollten.

Zur Stillen Reserve zählen Personen ohne Beschäftigung, die grundsätzlich erwerbsbereit sind, aber in Zeiten einer schlechten Arbeitsmarktlage aus den verschiedensten Gründen nicht in allen offiziellen Statistiken erscheinen: Manche, die ihren Job verlieren, geben entmutigt die Arbeitsplatzsuche auf, weil sie sich chancenlos sehen. Andere gehen vorzeitig in Rente. Viele Arbeitskräfte nehmen an arbeitsmarktpolitischen Programmen teil, wie an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung, und zählen somit nicht zu den bei den Arbeitsagenturen registrierten Arbeitslosen. Ein Teil dieser Personen taucht in den Erwerbslosenzahlen der Arbeitskräfteerhebung auf, obwohl die Gesamtzahl der Erwerbslosen niedriger ist als die der registrierten Arbeitslosen. Die in der Arbeitskräfteerhebung verwendeten strengen Kriterien zur Abgrenzung der Erwerbslosigkeit führen jedoch dazu, dass auch hier das Bild nur durch Hinzuziehung der Stillen Reserve vervollständigt werden kann.

Der Zusammenhang zwischen Beschäftigungsumfang und Entwicklung der Erwerbs- beziehungsweise Arbeitslosigkeit ist seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Analysen. Mit dem Begriff „discouraged worker“ werden in der Literatur Arbeitskräfte bezeichnet, die sich nach einem Arbeitsplatzverlust entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückziehen (Fuchs 2002). Damit nimmt die Arbeitslosenzahl im konjunkturellen Abschwung nicht im gleichen Maße zu, wie die Zahl der Beschäftigten zurückgeht. Dies wird als „discouragement effect“ (DE) bezeichnet. Die Zusatzarbeiter-Hypothese („added worker effect“, AWE) beschreibt den umgekehrten Effekt. Danach könnte die Arbeitslosigkeit eines Haushaltsmitglieds andere Haushaltsangehörige zwingen, einen Arbeitsplatz zu suchen (vgl. Lundberg 1985). Die Existenz des AWE wird von vielen, meist mikroökonometrischen Studien bestätigt, wobei erhebliche länderspezifische Unterschiede hinsichtlich seiner Stärke und auch des konkreten Zusammenhangs mit der Arbeitsmarktkonjunktur festgestellt wurden (vgl. Bredtmann et al. 2018). Beide Effekte, DE und AWE, können durchaus gleichzeitig auftreten (vgl. Provenzano 2017).

Mit umfangreichen Daten aus Arbeitskräfteerhebungen versucht man dagegen, über Befragungen nicht nur den Erwerbsstatus einer Person zu erfassen, sondern Anhaltspunkte dafür zu finden, unter welchen (zukünftigen) Rahmenbedingungen eine personenbezogene Arbeitsmarktreserve aktiviert werden kann. Dazu gehören Fragen nach den Gründen für die Inaktivität am Arbeitsmarkt (z. B. Entmutigung bei den sogenannten „discouraged jobseekers“), Fragen zur familiären Situation (Kinderbetreuung) und zum Qualifikationsniveau, gepaart mit Angaben zu soziodemografischen Merkmalen.

Für Deutschland liegen zu beiden Vorgehensweisen aktuelle Schätzungen seitens des Statistischen Bundesamtes (Destatis 2020a) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Fuchs und Weber 2021) vor. Wie sie die Stille Reserve jeweils ermitteln, wird im Weiteren erläutert. Der Beitrag vergleicht beide Ansätze sowohl hinsichtlich ihrer konzeptionellen Grundlage als auch hinsichtlich der Ergebnisse. Dabei wird ebenfalls aufgezeigt, welche arbeitsmarktrelevanten Fragestellungen sich mit den jeweiligen Konzepten beantworten lassen und welche nicht. All dies zusammen ist die Basis für Überlegungen, ob und inwieweit zusätzliche Erkenntnisse aus der Kombination beider Konzepte gewonnen werden können.Footnote 1

Mit dem folgenden Abschn. 2 wird zunächst das Vorgehen des StBA zur Schätzung der Stillen Reserve dargestellt, während der darauffolgende Abschn. 3 das IAB-Konzept erläutert. Abschn. 2 und 3 weichen in ihrer jeweiligen Untergliederung teilweise deutlich voneinander ab, was eine unmittelbare Folge der mit den unterschiedlichen Konzepten verbundenen Auswertungsmöglichkeiten ist. Auf diese konzeptionellen Unterschiede wird sodann in Abschn. 4 Bezug genommen, nachdem zunächst ein quantitativer Vergleich der Ergebnisse erfolgt. Unsere Schlussfolgerungen diskutieren wir im Fazit in Abschn. 5.

Eine Einschränkung gilt für den empirischen Teil. Der Beitrag vergleicht die Ergebnisse für das Jahr 2019, obwohl natürlich die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Stille Reserve im Jahr 2020 von besonderem Interesse wären. Die Corona-Krise hatte jedoch (weltweit) massive Auswirkungen auf die Datenerfassung in Arbeitskräfteerhebungen (vgl. Eurostat 14,15,b, c; ILO 28,29,a, b). In Deutschland, wo die Arbeitskräfteerhebung in den Mikrozensus integriert ist, wurde darüber hinaus das System der Haushaltsstatistiken mit dem Berichtsjahr 2020 vollständig neu konzipiert (vgl. Hundenborn und Enderer 2019). Diese methodische Neugestaltung ist mit Zeitreihenbrüchen verbunden und führt zusammen mit den oben genannten Folgen der Corona-Krise dazu, dass die in diesem Beitrag durchgeführten empirischen Analysen in dieser umfangreichen Form und Datenqualität für das Jahr 2020 – zumindest derzeit – nicht machbar sind und darüber hinaus die Vergleichbarkeit mit Ergebnissen der Vorjahre stark eingeschränkt wäre (Destatis 2021a).

2 Schätzung der Stillen Reserve beim Statistischen Bundesamt

2.1 Das Labour-Force-Konzept und seine Umsetzung auf europäischer und nationaler Ebene

Im Jahr 2013 wurde auf der 19. Internationalen Konferenz der Arbeitsstatistiker (International Conference of Labour Statisticians – ICLS) der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO) eine neue umfassende Resolution über Arbeitsstatistiken, Erwerbstätigkeit und die Unterauslastung des Arbeitskräfteangebots angenommen (ILO 2013). Es handelt sich hierbei um eine vollständige Überarbeitung der zuvor gültigen Resolution von 1982 (ILO 1982). Auf Basis dieses Labour-Force-Konzeptes wird die Bevölkerung zunächst mit den international vereinbarten Abgrenzungen des Erwerbsstatus in Erwerbstätige, Erwerbslose und Nichterwerbspersonen unterteilt (siehe Abb. 1).Footnote 2

Abb. 1
figure 1

Stille Reserve und ungenutztes Arbeitskräftepotenzial beim Labour-Force-Konzept (ESS Europäisches Statistisches System, NEP Nichterwerbspersonen). aUnterbeschäftigt Erwerbstätige mit einer Vollzeittätigkeit werden bei ILO (2013, 2014) durch die Anwendung einer „Stundenschwelle“ ausgeklammert und auch im Rahmen des Europäischen Statistischen Systems bisher nicht ausgewiesen (siehe Eurostat 17,18,a, b, 2020a). Die angewandte Stundenschwelle muss nach ILO allerdings nicht auf der Grenze zwischen Vollzeit- und Teilzeittätigkeit basieren, sondern kann auch auf dem Median oder Modalwert der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden oder auf Arbeitszeitnormen beruhen. bNach ILO (2013) wird die Gruppe der Sonstigen Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch, hier als Stille Reserve Kategorie C bezeichnet, in ihrer Namensgebung von der Stillen Reserve A + B („potential labour force“) separiert und mit „willing non-jobseekers“ beschrieben.). (Quelle: Veränderte Darstellung von Rengers 2016)

Zu den Erwerbstätigen zählen alle Personen im erwerbsfähigen Alter, die in einem einwöchigen Berichtszeitraum mindestens eine Stunde lang gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet haben. Als erwerbstätig gilt ebenfalls, wer sich in einem formalen Arbeitsverhältnis befindet, welches im Berichtszeitraum nur vorübergehend, beispielsweise wegen Urlaub oder Krankheit, nicht ausgeübt wurde. Diese extensive Abgrenzung von Erwerbstätigkeit führt umgekehrt dazu, dass Erwerbslosigkeit als Situation des totalen Fehlens von Arbeit betrachtet wird. Gleichzeitig muss zur Erfüllung der ILO-Kriterien der Erwerbslosigkeit in den letzten vier Wochen vor der Berichtswoche aktiv nach einer Tätigkeit gesucht worden sein und eine eventuell angebotene Arbeit innerhalb von zwei Wochen aufgenommen werden können.

Die extensive ILO-Definition der Erwerbtätigkeit in Verbindung mit der restriktiven Definition der Erwerbslosigkeit haben zu einem Bedarf an weiteren Indikatoren geführt. In der Resolution von 2013 wurden deshalb zusätzliche Maße der Unterauslastung des Arbeitskräfteangebots („measures of labour underutilization“) eingeführt. Neben der Erwerbslosigkeit zählen dazu die sogenannten Unterbeschäftigten („time-related underemployment“) und die Stille Reserve („potential labour force“).

Unterbeschäftigte sind Erwerbstätige, die den Wunsch nach Erhöhung ihrer Arbeitszeit haben und dafür auch zur Verfügung stehen. Auch wenn sie in diesem Beitrag nicht im Fokus der Betrachtung liegen, werden sie hier kurz erwähnt, da der Gesamtindikator zur Messung der Unterauslastung des Arbeitskräfteangebots in der ILO-Resolution aus der Summe der genannten Größen „Unterbeschäftigung“, „Erwerbslosigkeit“ und „Stille Reserve“ ermittelt wird.

Personen in Stiller Reserve haben ebenso wie die gemäß ILO definierten Erwerbslosen überhaupt keine Arbeit. Zur Stillen Reserve gehören nach ILO zum einen Personen, die zwar aktiv Arbeit suchen, jedoch kurzfristig (innerhalb von zwei Wochen) für eine Arbeitsaufnahme nicht zur Verfügung stehen (im Folgenden als Kategorie A bezeichnet). Des Weiteren zählen auch Personen zur Stillen Reserve, die aus verschiedenen Gründen aktuell keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich gerne arbeiten würden und dafür auch verfügbar sind (Kategorie B). Beide Arten der Stillen Reserve sind in der ILO-Resolution als „potential labour force“ definiert. In §§ 51–55 der Resolution sind darüber hinaus Sonstige Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch („willing nonjobseekers“) erwähnt, die von der ILO jedoch nicht in das Gesamtmaß der Unterauslastung des Arbeitskräfteangebots („labour underutilization“) einbezogen werden. In Abb. 1 sowie im gesamten Beitrag wird diese Personengruppe – im Unterschied zur ILO-Resolution – alternativ auch als Stille Reserve Kategorie C bezeichnet.

In den genannten Paragraphen wird außerdem die Personengruppe der sogenannten „entmutigten Arbeitsuchenden“ („discouraged jobseekers“) erwähnt, für die empfohlen wird, sie als Untergruppe der Stillen Reserve Kategorie B gesondert auszuweisen. Auf die Abgrenzung dieser Personengruppe und die Frage, ob eine Beschränkung auf die Kategorie B zu ihrer Erfassung ausreichend ist, wird in den weiteren Ausführungen eingegangen, wenn die Gründe für die Inaktivität von Nichterwerbspersonen thematisiert werden.

Insbesondere die Auflistung der einzelnen Gründe für Inaktivität in Abschn. 2.2.3 zeigt, dass das Labour-Force-Konzept bei der Identifizierung von ungenutztem Arbeitskräftepotenzial die gesamte Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter im Fokus hat und die Gründe für Inaktivität vollkommen wertneutral behandelt. Zum ungenutzten Potenzial werden beispielsweise auch Personen gezählt, deren Inaktivität am Arbeitsmarkt gesundheitlich bedingt ist oder auf Gründen der Aus- und Weiterbildung beruht. Eine Wertung in sinnvoll oder nicht sinnvoll wird bewusst unterlassen. Auch für jüngere und ältere Personen, die einen anderen Hauptstatus haben – Schüler und Studenten, Rentner, Hausfrauen und -männer – ist entscheidend, ob ein Wunsch nach Arbeit vorhanden ist. So werden Studenten, die einen Job suchen, aber kurzfristig wegen Prüfungen nicht verfügbar sind, zur Stillen Reserve gezählt. Gleiches gilt für Rentner mit Arbeitswunsch, die beispielsweise krankheitsbedingt die Arbeitssuche unterbrechen mussten. Unter dem Gesichtspunkt, das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial vollständig identifizieren zu wollen, ist die Zurechnung solcher Gruppen zur Stillen Reserve durchaus zielgerecht.

Obwohl die obigen Definitionen auf den ersten Blick eindeutig aussehen, ist die konkrete Operationalisierung durchaus mit schwierigen Fallkonstellationen verbunden. Abb. 2 zeigt die Klassifikation der Nicht-Erwerbstätigen in Erwerbslose, Stille Reserve und Sonstige Nichterwerbspersonen im Mikrozensus beziehungsweise der Arbeitskräfteerhebung, die im Wesentlichen auch durch EU-Verordnungen (Verordnungen (EG) Nr. 577/98, Nr. 377/2008) zu ihrer Durchführung beruhen. Das ILO-Kriterium der aktiven Suche wird von Eurostat (2021) über bestimmte Suchmethoden festgelegt, dazu zählen: (A) die Suche bei der Agentur für Arbeit oder anderen Behörden der Arbeitsvermittlung; (B) die Suche bei privaten Arbeitsvermittlungen; (C) die Bewerbung auf nicht ausgeschriebene Stellen; (D) die Nachfrage bei Freunden, Verwandten, Bekannten; (E) die Aufgabe von Stellenanzeigen oder Bewerbung auf Stellenanzeigen; (F) das Durchsehen von Stellenanzeigen; (G) Tests, Vorstellungsgespräche, Prüfungen; für die Suche nach einer Tätigkeit als Selbstständiger die Methoden (H) Suche nach Grundstücken, Geschäftsräumen, Ausrüstungsgegenständen und (I) Bemühungen um Genehmigungen, Konzessionen oder Geldmittel; sowie für generell alle Tätigkeitsarten die Methode (M) sonstige Bemühungen. Zu den passiven Methoden wird das Warten auf das Ergebnis von Suchbemühungen gezählt, im Einzelnen sind dies die Methoden (J) warten auf die Antwort auf eine Bewerbung oder das Ergebnis von anderen Bemühungen, (K) warten auf die Antwort der Agentur für Arbeit oder von anderen Behörden der Arbeitsvermittlung und (L) warten auf das Ergebnis eines Auswahlverfahrens im öffentlichen Dienst.

Abb. 2
figure 2

Klassifikation der Nicht-Erwerbstätigen im Mikrozensus beziehungsweise der Arbeitskräfteerhebung (In eckigen Klammern die Nummern der entsprechenden Fragen des Mikrozensus 2019. Zeile 4: Methoden A, B, C, D, E, F, G, H, I, M werden im Text erläutert. Zeile 9: Methoden J, K, L werden im Text erläutert. Zeile 12: EL = Erwerbslose; A1–A6 = Subgruppen der Stillen Reserve Kategorie A; B = Stille Reserve Kategorie B; C1–3 = Subgruppen der Stillen Reserve Kategorie C. Zeile 13: Personen im Alter von 15–74 Jahren, in 1000 – Ergebnisse für das Jahr 2019. Zeile 14: Entmutigte Arbeitssuchende (discouraged jobseekers) im Alter von 15–74 Jahren, in 1000 – Ergebnisse für das Jahr 2019. Zeile 15: Personen im Alter von 15–64 Jahren, in 1000 – Ergebnisse für das Jahr 2019. Zeile 16: Entmutigte Arbeitssuchende (discouraged jobseekers) im Alter von 15–64 Jahren, in 1000 – Ergebnisse für das Jahr 2019). (Quelle: Eigene Darstellung)

Nicht-Erwerbstätige, die die Kriterien der aktiven Suche erfüllen und für eine Tätigkeitsaufnahme kurzfristig zur Verfügung stehen oder aber die Suchbemühungen bereits erfolgreich beendet haben und eine neue Tätigkeit innerhalb von 3 Monaten aufnehmen, werden als Erwerbslose klassifiziert (Gruppen I und VII in Abb. 2). Die übrigen Nichterwerbspersonen, die also weder erwerbstätig noch erwerbslos sind, werden nach den Gründen für ihre Inaktivität gefragt. Eine konkrete Liste möglicher Gründe ist ebenfalls in der EU-Durchführungsverordnung zur Umsetzung der Arbeitskräfteerhebung enthalten. Unterschieden werden dabei Gründe für die Inaktivität der Stillen Reserve Kategorie A, nämlich die Nichtverfügbarkeit, kurz AVAIREAS, und Gründe für die Nichtsuche der Stillen Reserve Kategorie B, kurz SEEKREAS. Wie Abb. 2 zeigt, bekommt die Teilgruppe C1 der Stillen Reserve C sowohl die AVAIREAS- als auch die SEEKREAS-Fragen gestellt.Footnote 3

Die zahlenmäßig größte Teilgruppe der Stillen Reserve A ist A1 (Gruppe II in Abb. 2). Im Jahr 2019 umfasste sie 269.000 Personen in der Altersklasse der 15- bis 74-Jährigen. Hinzugefügt werden außerdem die kleineren Teilgruppen A2–A6. Diese Personen, die passiv suchen (Gruppe III), Personen, die suchen, aber weder aktive noch passive Suchmethoden benutzt haben (Gruppe V) und Personen, die bereits eine Tätigkeit gefunden haben (Gruppen VIII, IX, X). Zusammen ergeben die besonderen Fallkonstellationen 168.000 Personen, und machen somit bei einer Stillen Reserve A mit 437.000 Personen insgesamt 38,5 % aus. Das ist deshalb von Bedeutung, weil diese besonderen Teilgruppen bei der konkreten Operationalisierung der Definition der Stillen Reserve immer wieder unterschiedlich behandelt wurden, wie Abb. 3 zeigt. Während bei der ILO die Teilgruppen nicht erwähnt und nur jeweils die Hauptgruppen der Stillen Reserve A, B und C genannt werden, ist das auf europäischer Ebene nicht der Fall. Bei Destatis (2010) und Rengers (2010) wurden die Teilgruppen III und V zunächst zur Stillen Reserve B gezählt, später zur Stillen Reserve A. Die in diesem Beitrag gemachten Zuordnungen entsprechen denjenigen, die zuletzt von Destatis (2020a)Footnote 4 benutzt wurden und für die Stille Reserve der Kategorie A und B mit derjenigen von Eurostat (2013) übereinstimmte. Neuere Überlegungen (Eurostat 2020a) führen dazu, dass einige Teilgruppen von A wieder zur Stillen Reserve B gezählt werden, was zuvor bereits schon einmal in nahezu identischer Form Vorschlag einer entsprechenden Task Force war (Eurostat 2010).

Abb. 3
figure 3

Chronik der Definitionen zur Stillen Reserve bis heute (II Aktiv suchend, aber nicht verfügbar innerhalb von 2 Wochen. III Passiv suchend und verfügbar innerhalb von 2 Wochen. IV Passiv suchend und nicht verfügbar innerhalb von 2 Wochen. V Suchend, aber keine aktive oder passive Suchmethode benutzt und verfügbar innerhalb von 2 Wochen. VI Suchend, aber keine aktive oder passive Suchmethode benutzt und nicht verfügbar innerhalb von 2 Wochen. VIII Tätigkeit gefunden, mit Start innerhalb von 3 Monaten und nicht verfügbar innerhalb von 2 Wochen. IX Tätigkeit gefunden, mit Start nach mehr als 3 Monaten und verfügbar innerhalb von 2 Wochen. X Tätigkeit gefunden, mit Start nach mehr als 3 Monaten und nicht verfügbar innerhalb von 2 Wochen. XI Arbeitswunsch, aber weder aktiv noch passiv suchend und verfügbar innerhalb von 2 Wochen. XII Arbeitswunsch, aber weder aktiv noch passiv suchend und nicht verfügbar innerhalb von 2 Wochen.). (Quelle: Eigene Darstellung)

2.2 Ergebnisse aus dem Mikrozensus

2.2.1 Generelle Auswertungsmöglichkeiten

Europäische Arbeitskräfteerhebungen liefern Informationen zu Erwerbstätigkeit, Erwerbslosigkeit, Stiller Reserve sowie Beruf, Wirtschaftszweig, Verdienst, Arbeitsbedingungen, Arbeitszeitwünschen, Gründen für Inaktivität am Arbeitsmarkt, zur beruflichen Tätigkeit einer eventuell vorhanden früheren Erwerbstätigkeit, etc. Gleichzeitig erfassen sie aber auch wichtige soziodemografische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Familienstand und Bildung.

In Deutschland ist die Arbeitskräfteerhebung (Labour Force Survey – LFS) in den umfangreicheren Mikrozensus integriert. Zusätzlich zum Fragenkatalog der Arbeitskräfteerhebung werden weitere Merkmale zur Wohn‑, Lebens- und Einkommenssituation erfasst. Im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Struktur der Stillen Reserve sind insbesondere die Angaben zu Lebensformen kombiniert mit Alter des jüngsten im Haushalt lebenden Kindes und zum überwiegenden Lebensunterhalt von Interesse.

Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick zu den wichtigsten Erkenntnissen und beschränken sich auf eine Auswahl der zuvor genannten Merkmale (umfangreichere Analysen bei Rengers 2012, 2016). Normalerweise basiert die Analyse auf der Bevölkerung in Privathaushalten im Alter von 15–74 Jahren, was den üblichen Abgrenzungen auf europäischer Ebene entspricht. In diesem Beitrag wird dagegen überwiegend eine Altersabgrenzung von 15–64 Jahren betrachtet, da diese Altersabgrenzung bei der Stillen Reserve des IAB zur Anwendung kommt und die Vergleichbarkeit beider Konzepte hier nicht unnötig erschwert werden soll.

2.2.2 Bestand und soziodemografische Strukturen der Stillen Reserve

850.000 Personen in Stiller Reserve A und B, weitere fast 1,2 Mio. in Stiller Reserve C

Die in Privathaushalten lebende Bevölkerung im Alter von 15–64 Jahren hatte im Jahr 2019 eine Größenordnung von fast 53,6 Mio. Personen, wovon knapp 41,1 Mio. erwerbstätig waren. Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial im Sinne des Labour-Force-Konzeptes setzte sich aus knapp 1,4 Mio. Erwerbslosen, rund 2,1 Mio. Unterbeschäftigten und 850.000 Personen in Stiller Reserve der Kategorien A und B zusammen (Anhang, Tab. 4).

7,6 % der Nichterwerbspersonen im Alter von 15–64 Jahren gehörten damit zur Stillen Reserve im engeren Sinne. Weitere 10,4 % der Nichterwerbspersonen beziehungsweise 1,157 Mio. zählten zu den Sonstigen Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch, die hier als Stille Reserve C bezeichnet werden. Insgesamt waren 18,1 % der Nichterwerbspersonen in der erweiterten Stillen Reserve A + B + C; im Westen 17,2 % und im Osten 21,9 %. Männer sind relativ stärker betroffen als Frauen (West-Männer 9,3 %, West-Frauen 6,0 %, Ost-Männer 10,3 %, Ost-Frauen 8,3 %).

Männer und Frauen gleichmäßig auf Stille Reserve A + B verteilt

Die Stille Reserve A + B setzte sich im Jahr 2019 aus je 425.000 Männern und Frauen zusammen. Mit 9,5 % war der Anteil an den Nichterwerbsperson bei den Männern jedoch größer als bei den Frauen (6,4 %), was daran lag, dass die Anzahl der Nichterwerbspersonen der Frauen fast das 1,5-fache der Männer betrug: 4,474 Mio. Männer und 6,644 Mio. Frauen. Von den 1,157 Mio. Personen der Stillen Reserve C waren dagegen rund 60 % Frauen. Hier betrug der Anteil an den Nichterwerbspersonen bei den Männern und bei den Frauen jeweils 10,4 %.

Junge und mittlere Altersklasse am meisten betroffen

Die Aufteilung der Bevölkerung im Alter von 15–64 Jahren in junge Menschen (15–29 Jahre), Menschen mittleren Alters (30–49 Jahre) und ältere Menschen (50–64 Jahre) zeigt, dass bei den Jüngeren der Anteil der Stillen Reserve A + B an der gesamten Bevölkerungszahl der Jüngeren mit 2,3 % am höchsten war. Bei der mittleren Altersgruppe betrug der Anteil 1,5 % und bei den Älteren 1,2 %. Ähnliches gilt für die erweiterte Stille Reserve A + B + C: hier waren die Anteile 4,9 % (jung), 3,7 % (mittel) und 3,0 % (älter) (Anhang, Tab. 5).

Die Rangfolge verändert sich, wenn die Stille Reserve in Bezug zu den Nichterwerbspersonen gesetzt wird, da bei den jungen Menschen ein verhältnismäßig größerer Anteil ohne Arbeitswunsch ist. Die Stille Reserve A + B machte 6,3 % bei den jungen Nichterwerbspersonen aus, 13,1 % bei denen der mittleren Altersklasse und 6,0 % bei den älteren Nichterwerbspersonen. Bei der Stillen Reserve A + B + C waren dies 13,4 % (jung), 33,4 % (mittel) und 14,5 % (älter).

Mutterschaft und Lebensform für Frauen (im mittleren Alter) entscheidend

Der Mikrozensus liefert auch Informationen darüber, ob ein Kind im Haushalt lebt und welches Alter das jüngste im Haushalt lebende Kind hat. Die Ergebnisse zeigen, dass Mutterschaft bei den 30- bis 49-jährigen Frauen einen großen Einfluss auf das Erwerbsverhalten hat, was zusätzlich abhängig vom Alter des jüngsten Kindes ist. Die gut 3,2 Mio. Frauen dieser Altersklasse, bei denen kein Kind in der Familie/LebensformFootnote 5 lebt, hatten 2019 eine ErwerbstätigenquoteFootnote 6 von 88,6 %. Bei den 1,5 Mio. Frauen mit mindestens einem Kind, wovon das Jüngstes unter drei Jahren war, lag die Erwerbstätigenquote dagegen nur bei 61,3 %. Gleichzeitig zählten aber 6,8 % der letztgenannten Gruppe zu den Sonstigen Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch (Stille Reserve C) und 2,0 % zur Stillen Reserve A + B, was zusammen eine Stille Reserve A + B + C in Höhe von 8,8 % dieser 1,5 Mio. Frauen bedeutet. Zum Vergleich: Von allen Frauen der mittleren Altersklasse zählten im Jahr 2019 rund 4,6 % zur Stillen Reserve A + B + C – und im Übrigen 2,9 % der Männer (Anhang, Tab. 5).

Darüber hinaus hat die Lebensform einen weiteren Einfluss auf das Erwerbsverhalten und damit auf die Zugehörigkeit zur Stillen Reserve. Mütter im Alter von 30–49 Jahren, die mit einem Ehepartner leben, waren 2019 mit einem Spitzenwert von 16,8 % in der Gruppe der Sonstigen Nichterwerbspersonen ohne Arbeitswunsch vertreten. Bei keiner anderen Lebensform gab es einen derart hohen Wert. Entsprechend war diese Personengruppe in der gesamten Stillen Reserve A + B + C relativ seltener vorzufinden. Von den insgesamt 10,444 Mio. Frauen im mittleren Alter lebten 5,168 Mio. mit einem Ehepartner und mindestens einem ledigen Kind im Haushalt, darunter waren 1,6 % in der Stillen Reserve A + B und 2,2 % in der Stillen Reserve C.

Mehr niedrig als hoch Qualifizierte in Stiller Reserve

377.000 Personen beziehungsweise 44,7 % der Stillen Reserve A + B und 564.000 beziehungsweise 49,0 % der Stillen Reserve C wiesen 2019 ein mittleres Qualifikationsniveau auf und bilden damit absolut gesehen die stärkste Gruppe (Anhang, Tab. 6).Footnote 7 Bezogen auf alle 15- bis 64-Jährigen mit mittlerem Bildungsniveau können 0,6 % zur Stillen Reserve A + B und 1,9 % zur Stille Reserve C gerechnet werden.

Mit zunehmenden Qualifikationsniveau steigt die Erwerbstätigenquote von 49,4 % bei den gering Qualifizierten auf 89,0 % bei den Hochqualifizierten. Entsprechend waren die ErwerbslosenquoteFootnote 8 und auch die Stille Reserve-QuoteFootnote 9 bei den Niedrigqualifizierten höher. Zur Stillen Reserve A + B zählten 3,2 % der Niedrigqualifizierten, weitere 4,0 % gehörten zur Stillen Reserve C (Hochqualifizierte: 0,4 % in A + B und 1,2 % in C). Von den Niedrigqualifizierten äußerten allerdings 39,0 % keinen Arbeitswunsch.

Ausländische Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund verstärken Tendenzen

Die zusammen knapp 7,9 Mio. 15- bis 64-jährigen Männer und Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind eine Teilgruppe der insgesamt knapp 14,8 Mio. in Deutschland lebenden Bevölkerung mit MigrationshintergrundFootnote 10 (Anhang, Tab. 7). Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind seltener erwerbstätig als Deutsche (Ähnliches gilt für den Vergleich von Personen mit versus ohne Migrationshintergrund.). Am niedrigsten ist die Erwerbstätigenquote mit 57 % bei Frauen ausländischer Staatsangehörigkeit, gefolgt von der Gruppe der Frauen mit Migrationshintergrund mit 62 %. Personen mit Migrationshintergrund sind auch häufiger unterbeschäftigt und erwerbslos als Personen ohne Migrationshintergrund. Sie sind auch häufiger in der Stillen Reserve. Bezogen auf alle Nichterwerbspersonen waren 16,8 % der Männer mit ausländischer Staatsangehörigkeit und 7,9 % der Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit in der Stillen Reserve A + B. Bei den Frauen waren das 7,7 % respektive 6,0 %. Im Vergleich Ausländer-Deutsche lag der Anteil der Stillen Reserve C an der Bevölkerung bei 16,7 % zu 9,0 % (Männer) beziehungsweise 14,7 % zu 9,3 % (Frauen).

Die oben erwähnte gleichmäßige Aufteilung von Männern und Frauen auf die absolute Zahl der Stillen Reserve A + B ergab sich im Zusammenspiel der Untergruppen, denn sowohl bei ausländischer Staatsangehörigkeit als auch bei vorhandenem Migrationshintergrund sind mehr Männer als Frauen in der Stillen Reserve A + B, während es bei deutscher Staatsangehörigkeit und ohne Migrationserfahrung weniger Männer als Frauen sind. Das Männer-Frauen-Verhältnis unterscheidet sich allerdings bereits auf der Bevölkerungsebene: bei Personen mit ausländischer Nationalität 53:47, bei Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit gerundet 50:50. Ähnliches gilt auch für die Differenzierung nach Migrationshintergrund.

2.2.3 Gründe für Inaktivität am Arbeitsmarkt

Die Gründe für Inaktivität am Arbeitsmarkt hängen nicht nur vom Geschlecht, sondern auch von der Lebensphase und damit vom Alter ab. Im Folgenden werden deshalb die 15- bis 64-Jährigen wiederum in junge Menschen, Menschen mittleren Alters und Ältere eingeteilt. Dabei werden zunächst die Gründe für Nichtverfügbarkeit (AVAIREAS) analysiert, die nicht nur bei Personen in der Stillen Reserve der Kategorie A, sondern auch bei den Sonstigen Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch, also der Stillen Reserve C, erfasst werden (siehe dazu noch einmal Abb. 2). Als Hauptgrund (keine Mehrfachnennungen) für die Nichtverfügbarkeit sind vier Antwortmöglichkeiten vorgesehen: 1. Aus- oder Fortbildung, Studium, 2. Persönliche oder familiäre Verpflichtungen, 3. Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und 4. Sonstige Gründe.

„Aus- oder Fortbildung, Studium“ war 2019 bei jungen Menschen der Hauptgrund für die Nichtverfügbarkeit am Arbeitsmarkt. Dies galt sowohl für die Stille Reserve Kategorie A mit einem Anteil von 49,8 % (Männer) beziehungsweise 43,5 % (Frauen) als auch für Stille Reserve C, bei der die Anteile mit 57,8 % (Männer) und 40,6 % (Frauen) einmal höher und einmal niedriger lagen (Anhang, Tab. 8).

Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der mittleren Altersklasse

In der mittleren Altersklasse gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Gründen für Nichtverfügbarkeit. Männer der Stillen Reserve A nannten mit 39,0 % am häufigsten „andere Gründe“ für ihre Nichtverfügbarkeit; bei C waren es vor allem „Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit“ (53,6 %). Frauen dieser Altersklasse nannten „Persönliche oder familiäre Verpflichtungen“ mit 41,7 % (Stille Reserve A) und 50,9 % (Stille Reserve C) mit Abstand am häufigsten.

Bei den älteren Menschen in Stiller Reserve A oder C war – unabhängig vom Geschlecht – „Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit“ der Hauptgrund für die Nichtverfügbarkeit. Die Spanne lag dabei zwischen 55,7 % (Frauen, Kategorie A) und 82,0 % (Männer, Kategorie C).

Analog zu den Gründen für Nichtverfügbarkeit werden Personen der Stillen Reserve B zu den Gründen für die Nichtsuche (SEEKREAS) befragt. Auch ein Großteil der Personen der Stillen Reserve C bekommt diese Frage gestellt, und zwar die Subgruppe C1, die trotz eines Arbeitswunsches angibt, nicht verfügbar zu sein und nicht zu suchen (Abb. 2). Die vier oben genannten Antwortmöglichen bei den Gründen für die Nichtverfügbarkeit entsprechen – trotz kleinerer Formulierungsänderungen – auch denen der Nichtsuche. Hinzu kommen noch zwei weitere Antwortkategorien, nämlich „Ruhestand“ und „Glaubt, dass es keine Arbeit gibt“.Footnote 11

Die 15- bis 29-Jährigen der Stillen Reserve B und auch die der Stillen Reserve C nennen am häufigsten den Grund „Allgemeine oder berufliche Ausbildung, Studium“, warum sie nicht suchen. Die Spanne reicht hier von 43,9 % (Frauen, Kategorie C1) bis 62,8 % (Männer, Kategorie C1). „Sonstige Gründe“ spielen bei den jungen Männern der Stillen Reserve B mit 35,1 % und den jungen Frauen mit 18,6 % auch noch eine große Rolle, bei den Frauen zusätzlich noch „Betreuung/Persönliche oder familiäre Verpflichtungen“ (16,3 %); in der Stillen Reserve C1 liegt dieser Anteil sogar bei 34,3 % (Anhang, Tab. 9).

Bei Frauen im mittleren Alter war die Kategorie „Betreuung/Persönliche oder familiäre Verpflichtungen“ mit 45,1 % (Stille Reserve B) und 54,2 % (Stille Reserve C1) der am häufigsten genannte Grund für die Nichtsuche nach Arbeit. Männer im mittleren Alter der Stillen Reserve B nannten zu 50,2 % „Sonstige Gründe“, gefolgt von „Eigene Krankheit oder Behinderung“ mit 18,8 %. Die Reihenfolge dieser beiden Gründe war bei den 30- bis 40-jährigen Männern der Stillen Reserve C1 umgekehrt, hier gaben 50,8 % „Eigene Krankheit oder Behinderung“ an und 22,1 % „Sonstige Gründe“. „Betreuung und familiäre Verpflichtungen“ spielten bei Männern mittleren Alters kaum eine Rolle (9,3 % in B und 7,7 % in C1).

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede sind in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen geringer. Männer und Frauen gaben hier häufiger als jüngere Personen „Eigene Krankheit oder Behinderung“ an, in der Stillen Reserve C1 sogar zwischen 64,3 % (Frauen) und 73,4 % (Männer). Für Frauen dieser Altersgruppe blieb „Betreuung/Persönliche oder familiäre Verpflichtungen“ mit 21,1 % (B) und 15,0 % (C1) weiterhin von Bedeutung.

Entmutigte nur ein kleiner Anteil der Stillen Reserve

Wie in Abschn. 2.1 erwähnt, werden Entmutigte („discouraged jobseekers“) in der ILO-Resolution als Subgruppe der Stillen Reserve B über den Grund für die Nichtsuche nach Arbeit (SEEKREAS) ermittelt. Es werden diejenigen dazu gezählt, die den Grund „Glaubt, dass es keine Arbeit gibt“ angeben. Im Jahre 2019 waren dies 44.000 Personen (siehe auch Zeile 16 der Abb. 2). Das entspricht einem Anteil von 10,5 % an der Stillen Reserve B. Entmutige bilden damit im Labour-Force-Konzept der ILO nur einen kleinen Teil der Stillen Reserve.

Die Frage nach dem Grund für die Nichtsuche wird allerdings nicht nur Personen der Stillen Reserve B gestellt, sondern auch der Mehrheit der Personen der Stillen Reserve C (Subgruppe C1) sowie den Sonstigen Nichterwerbspersonen, die den generellen Wunsch nach Arbeit verneinen. In der Stillen Reserve C1 gehörten nach diesen Angaben noch weitere 22.000 Personen zu den Entmutigten (Zeile 16, Abb. 2). Zusammen mit den 93.000 Entmutigten bei den Personen ohne Arbeitswunsch würde man damit eine Größenordnung in Höhe von insgesamt maximal 159.000 Personen im Alter von 15–64 Jahren bekommen.

3 Schätzung der Stillen Reserve beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

3.1 Das Konzept des IAB

Die Stille Reserve ist Teil des IAB-Erwerbspersonenpotenzials, der Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und Stiller Reserve. Das IAB schätzt die Stille Reserve aus einer makroökonomischen Perspektive heraus und verbindet dafür einen auf der „discouragement“-Hypothese beruhenden Makroansatz mit dem regionalen Ansatz von Armstrong (1999).Footnote 12

Nach der „discouragement“-Hypothese (DE) verändert sich die Arbeitslosenzahl im konjunkturellen Auf- und Abschwung schwächer als die Zahl der Beschäftigten. Im Abschwung, also mit steigender Arbeitslosigkeit, sinkt dadurch die ErwerbsquoteFootnote 13, im Aufschwung steigt sie. Liegt ein „added worker effect“ (AWE) vor, ist der Zusammenhang genau anders herum. Auf dieser theoretischen Basis lässt sich ein Regressionsmodell formen, das die Erwerbsquote als abhängige Variable und die Arbeitsmarktlage, beispielsweise gemessen mit der Arbeitslosenquote, als erklärende Variable enthält.

Das IAB-Modell untersucht diesen Zusammenhang von Erwerbsquote und Arbeitsmarkt mit einem zeitreihenökonometrischen Modell vor dem Hintergrund vielfältiger Erfahrungen – insbesondere bei der Variablenauswahl – aus ähnlich aufgebauten Studien für unterschiedliche Zeiträume und Länder (vgl. Literaturübersicht bei Fuchs und Weber 2021). Der Literatur zufolge können die Ergebnisse länderspezifisch unterschiedlich ausfallen (z. B. Filatriau und Reynès 2012).

Da der DE und der AWE gleichzeitig auftreten können (Fuchs und Weber 2017; Provenzano 2017) misst das Regressionsmodell den Nettoeffekt aus beiden. Je nachdem welcher Effekt überwiegt, ergibt sich makroökonomisch ein Zuwachs (AWE) oder ein Verlust (DE) bei den statistisch ausgewiesenen Erwerbspersonen.

Auf der Basis von Jahresdaten des Mikrozensus werden für 40 Subpopulationen Regressionsgleichungen geschätzt, und zwar nach den soziodemografischen Merkmalen Alter (5er-Altersgruppen), Geschlecht und Nationalität (Deutsche/Ausländer). Es erfolgt eine Begrenzung auf Personen im Alter von 15–64 Jahren, da lange Zeitreihen von Erwerbsquoten der über 64-Jährigen aufgrund zu geringer Fallzahlen nicht durchgehend nach Geschlecht und Nationalität vorliegen. Die Grundstruktur zeigt Gl. 1:

$$\hat{a}_{\mathrm{jt}}=b_{j0}+b_{j1}Z_{t}+c_{j}U_{t}$$
(1)
âjt:

ist die geschätzte Erwerbsquote einer Subpopulation j im Jahr t. (Das Dach ^ auf dem a kennzeichnet eine Schätzung)

Zt:

ist ein Regressor (oder ein Vektor von Regressoren), z. B. Trendglieder, die Teilzeitquote, Löhne etc.

Ut:

ist ein Regressor, der als Indikator der Arbeitsmarktkonjunktur dient, z. B. die Arbeitslosenquote oder die Vakanzquote „Offene Stellen in Relation zur Arbeitnehmerzahl“

b0, b1 und c:

sind geschätzte Regressionsparameter

Die Erwerbsquote ajt einer Gruppe j ist eine Funktion des Arbeitsmarktindikators U und der sonstigen Einflussfaktoren Z. Der Arbeitsmarktindikator U bildet die Schwankungen der Erwerbsquote ab, die auf Veränderungen der Arbeitsmarktlage zurückzuführen sind. Angenommen, der Arbeitsmarktindikator U ist die Arbeitslosenquote, dann entspricht ein negativer Regressionsparameter von U einem DE. Beim AWE dreht sich die Wirkungsrichtung und der Parameter c wäre positiv.

Bei der jüngsten Schätzung des IAB gehen neben der allgemeinen Arbeitslosenquote auch die Arbeitslosenquote von Frauen und die von Ausländern ein. Außerdem erwiesen sich die Variable „Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen bezogen auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte“ sowie die Vakanzquote (bei den Arbeitsagenturen gemeldete „Offene Stellen in Relation zur Arbeitnehmerzahl“) als statistisch signifikant (vgl. Tab. 1 bei Fuchs und Weber 2021).

Mit den Regressoren Z werden weitere Einflüsse der Erwerbsbeteiligung modelliert. Darunter fallen beispielsweise der Einfluss des Renteneintrittsalters, die Lohnentwicklung, die Geburtenrate usw. (vgl. Tab. 2 bei Fuchs und Weber 2021). Denkbar wäre es also, mit Z nicht konjunkturell bedingte Einflüsse hypothetisch zu modellieren, wie den Effekt eines anderen Renteneintrittsalters. Im Rahmen des IAB-Konzepts würde dies als „latentes“ Erwerbspersonenpotenzial bezeichnet (Fuchs 2002).

Um mit Hilfe von Gl. 1 die Stille Reserve zu erhalten, setzt man in die Gleichung statt des tatsächlichen Wertes von U einen „Vollbeschäftigungswert“ Uv ein. Wenn eine Gleichung die Arbeitslosenquote als Arbeitsmarktindikator enthält, dann wäre der Vollbeschäftigungswert eine extrem niedrige Arbeitslosenquote (z. B. Agbola 2005; Thon und Bach 1998). Wie Fuchs und Weber (2021) hinweisen, ist der Begriff „Vollbeschäftigung“ eine sprachliche Vereinfachung. Die Arbeitslosigkeit ist auch dann noch größer null, aber die Stille Reserve sinkt auf null, wenn die Arbeitslosenquote diesen „Vollbeschäftigungswert“ annimmt. In Gl. 2 wird der tatsächlich gemessene Wert Ut durch seinen Vollbeschäftigungswert Uv ersetzt. Dies führt zu einer Erwerbsquote unter Vollbeschäftigungsbedingungen âvjt:

$$\hat{a}_{jt}^{v}=b_{j0}+b_{j1}Z_{t}+c_{j}{U}_{t}^{v}$$
(2)

Der Schätzwert für die nach Subpopulationen differenzierte Stille Reserve-Quote rjt ergibt sich aus der Differenz der Erwerbsquote mit Vollbeschäftigungswert (Gl. 2) und geschätzter Erwerbsquote (Gl. 1), siehe Gl. 3:

$$r_{\mathrm{jt}}=\hat{a}_{\mathrm{jt}}^{v}-\hat{a}_{\mathrm{jt}}$$
(3)

Gl. 3 ist zentral für das Verständnis, wie das IAB die Stille Reserve definiert. Der Umfang der Stillen Reserve ist eine Folge der Anspannung am Arbeitsmarkt, denn nur darin unterscheiden sich âvjt und âjt. Im Falle einer linearen Funktion ergibt sich die Stille Reserve-Quote rjt entsprechend Gl. 4. Je mehr die Vollbeschäftigungsarbeitslosigkeit Uv vom tatsächlichen Wert abweicht, umso höher ist die Stille Reserve:

$$r_{jt}=\hat{a}_{jt}^{v}-\hat{a}_{jt}=\left(b_{j0}+b_{j1}Z_{t}+c_{j}{U}_{t}^{v}\right)-\left(b_{j0}+b_{j1}Z_{t}+c_{j}U_{t}\right)=c_{j}({U}_{t}^{v}-U_{t})$$
(4)

Allerdings wird die Erwerbsquote beim IAB nicht mit einem linearen Ansatz geschätzt, denn dabei könnten Schätzwerte außerhalb des möglichen Wertebereichs [0,1] auftreten. Um dies zu vermeiden, legt das IAB seinen Schätzungen eine logistische Regressionsfunktion mit der Obergrenze eins zugrunde. Wegen der nichtlinearen Regressionsfunktion ist der Effekt von c U bzw. c Uv somit auch (geringfügig) vom Niveau der übrigen Variablen abhängig und die Stille Reserve-Quote r kann nur mit Gl. 3 ermittelt werden.

Die gesamte Stille Reserve gewinnt man durch Hochrechnung der Stille Reserve-Quoten mit der entsprechenden Bevölkerung und Summierung über alle Teilpopulationen.

Der Umfang der Stillen Reserve hängt offensichtlich davon ab, welchen Wert man für die jeweiligen Arbeitsmarktindikatoren als Vollbeschäftigungswert einsetzt. Die Festlegung dieser Werte für die verschiedenen Arbeitsmarktindikatoren ist das zentral zu lösende Problem des IAB-Ansatzes. Ältere Studien begründen ihre Festlegung sicherlich gut, trotzdem haftet ihnen eine gewisse Willkür an (z. B. Agbola 2005; Chagny et al. 2001; Tachibanaki und Sakurai 1991; Thon und Bach 1998; für die Kritik Mincer 1973).

Ein Indikator für die Höhe des möglichen Vollbeschäftigungswertes wird in der jüngsten Schätzung von Fuchs und Weber (2021) aus einem Regionalvergleich gewonnen, der sich an das „Benchmark-Verfahren“ von Armstrong (1999) anlehnt. Fuchs und Weber orientieren sich dabei an den über alle Bundesländer niedrigsten Wert eines Arbeitsmarktindikators als Benchmark. Die regional niedrigste Arbeitslosenquote zeigt, was bei weitgehend gleichen gesellschaftlichen, rechtlichen und tariflichen Rahmenbedingungen grundsätzlich beim Erwerbsverhalten möglich ist. Den besten Wert für den Benchmark liefern seit Jahren fast immer Bayern und Baden-Württemberg. Der auf diese Weise für einen Arbeitsmarktindikator U abgeleitete Benchmark wird anschließend für Uv verwendet und in die Gleichung statt U eingesetzt.

Tab. 1 stellt die von Fuchs und Weber (2021) für die Jahre 2018 und 2019 verwendeten Arbeitsmarktindikatoren und ihre Benchmarks am Beispiel der allgemeinen Arbeitslosenquote (U1) und der Arbeitslosenquote für Frauen (U2) zusammen. U2 ist hier etwas niedriger als U1. Dies war in der Vergangenheit nicht immer der Fall, d. h. die auf den regionalen Daten basierenden Bestwerte können für die verschiedenen Arbeitslosenquoten auch schon einmal anders ausfallen. Die Benchmarks werden allerdings für eine gewisse Zeit unverändert gelassen, also nicht jedes Jahr neu festgelegt.

Tab. 1 Ausgewählte Arbeitslosenquoten und Vollbeschäftigungswerte, in %. (Quelle: Fuchs und Weber 2021)

Der Benchmark für die allgemeine Arbeitslosenquote U1 ist kompatibel mit einer Analyse von Weber (2014), der die Zu- und Abgangsraten in und aus Arbeitslosigkeit und die regionale Arbeitslosigkeit untersuchte. Er kommt für Deutschland auf eine Arbeitslosenquote von 2–3 %, bei der man von Vollbeschäftigung sprechen könnte. Es wäre also sogar denkbar, niedrigere Benchmarks für die Arbeitslosenquoten anzusetzen, was zu einer höheren Stillen Reserve führen würde. Die mit Hilfe des Benchmark-Verfahrens gewonnene Stille Reserve ist also nicht so exakt wie es zunächst aussieht.

3.2 Ausgewählte Ergebnisse der IAB-Schätzungen

Die Schätzung der Stillen Reserve basiert auf den Erwerbsquoten des Mikrozensus. Zu beachten ist, dass die nicht sofort verfügbaren Arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen (ASU) in den Mikrozensusveröffentlichungen früher als Erwerbslose galten und die Erwerbsquoten sie deshalb bis einschließlich 2004 enthielten. Ab 2005 ist das nicht mehr der Fall, d. h. die Erwerbsquoten werden ohne die ASU gebildet. Jedoch werden sie seitdem separat als Subgruppe der Nichterwerbspersonen ausgewiesen. Sie lassen sich damit den Erwerbsquoten des Mikrozensus hinzurechnen. Somit ist es möglich, ab 1991 durchgehende Erwerbsquoten zu bilden, welche die ASU einschließen. Weil damit längere auf dem Mikrozensus basierende Zeitreihen verfügbar sind, haben Fuchs und Weber (2021) mit diesen um die ASU erweiterten Erwerbsquoten geschätzt. Für den Ausweis der gesamten Stillen Reserve müssen am Ende die sich aus den Regressionen ergebenen Schätzwerte und die ASU addiert werden.Footnote 14

Mit dem Logit der Erwerbsquote als abhängige Variable wurden nach Altersgruppen, Geschlecht und Nationalität Regressionsgleichungen geschätzt. Für alle 40 Subpopulationen ergaben die Schätzungen einen DE. Ausführlich sind die Ergebnisse bei Fuchs und Weber (2021) dargestellt, weshalb hier nur die wesentlichsten Aspekte angesprochen werden. Die grundsätzliche Modellstruktur wird im Folgenden am Beispiel der 40- bis 44-jährigen deutschen Frauen diskutiert (Tab. 2).

Tab. 2 Schätzergebnis für die 40- bis 44-jährigen deutschen Frauena. (Quelle: Fuchs und Weber 2021)

Die Berechnungen basieren auf Daten seit der Wiedervereinigung, d. h. der Stützzeitraum umfasst – je nach Datenverfügbarkeit – die Jahre 1991/1992 bis 2019. Die Schätzungen stützen sich immer auf den gesamten verfügbaren Zeitraum. Sobald Daten für ein neues Jahr zur Verfügung stehen, wird neu geschätzt, und zwar mit dem nun längeren Stützzeitraum. Mit einer Neuschätzung können sich die Regressionsparameter und somit auch die Werte für die Stille Reserve ändern.Footnote 15

Der Arbeitsmarktindikator in der Gleichung für die 40- bis 44-jährigen deutschen Frauen ist die Arbeitslosenquote der Frauen (U2) mit einem Lag von einer Periode. Das negative Vorzeichen des Koeffizienten lässt auf den erwarteten DE schließen. Da die Erwerbslosen (nach ILO) Teil der Erwerbsquote sind und auf der rechten Seite der Gleichung die Arbeitslosenquote (Arbeitslose nach dem Sozialgesetzbuch) steht, könnte die Arbeitslosenquote die Erwerbsquote beeinflussen und umgekehrt. Der Lag bei der Arbeitslosenquote umgeht dieses Kausalitätsproblem. Auch inhaltlich ist der Lag gut begründbar, denn in vielen Fällen bestehen bei Eintritt der Arbeitslosigkeit Leistungsansprüche. Ein Rückzug vom Arbeitsmarkt ist somit erst nach einer gewissen Verzögerung rational.

Die Variable D2005 ist eine 0‑1-Dummy-Variable, die ab dem Jahr 2005 den Wert eins annimmt. Sie trägt dem Einfluss der Hartz-Reformen Rechnung. Die Erwerbsquoten folgen vermutlich selten unmittelbar Änderungen in den Einflussgrößen. Mit einer einfachen dynamischen Modellierung, die den zeitverzögerten Regressanden LGAFG40(-1) auf der rechten Seite der Gleichung aufnimmt, lässt sich der Effekt modellieren. Außerdem reduziert das normalerweise die Autokorrelation.

Zur Berechnung der Stillen Reserve nach Gl. 3 wird in die Arbeitslosenquote der Benchmark von U2 eingesetzt. In Abb. 4 sind neben der Stillen Reserve-Quote auch die Ist-Werte und die Schätzwerte für die Erwerbsquote der 40- bis 44-jährigen deutschen Frauen angegeben. Die Schätzung der Erwerbsquote stimmt alles in allem weitgehend mit den Ist-Werten überein. Die Stille Reserve-Quote war vor allem in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung sehr hoch, außerdem um das Jahr 2005, zum Zeitpunkt der Hartz-Reformen, also der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und Einführung des Arbeitslosengeldes II (vgl. Fuchs 2014). Nach 2006 sinkt die Stille Reserve-Quote. Sie lag 2019 (ohne ASU) bei den 40- bis 44-jährigen deutschen Frauen unter 0,2 %. Schließt man die ASU ein, dann waren es 0,6 % Stille Reserve in dieser Gruppe (ohne Abb.).

Abb. 4
figure 4

Erwerbsquote und Stille Reserve-Quote (ohne ASU) der 40- bis 44-jährigen deutschen Frauen (1991–2019, in Prozent der betroffenen Bevölkerung, linke Skala Erwerbsquote (EQ), rechte Skala Stille Reserve-Quote). (Quelle: Fuchs und Weber 2021)

Abb. 5 zeigt die über alle Altersgruppen zusammengefasste Stille Reserve getrennt nach Geschlecht und Nationalität für den gesamten Schätzzeitraum. Man erkennt erneut den starken Anstieg der Stillen Reserve nach der Wiedervereinigung, als der deutsche Arbeitsmarkt von hoher Arbeitslosigkeit gezeichnet war. Außerdem nähert sich die Geschlechterrelation bei den IAB-Schätzungen deutlich an. Seit 2012 ist die Stille Reserve tendenziell im Sinken – parallel zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Abb. 5
figure 5

Stille Reserve (ohne ASU) nach Geschlecht und Nationalität (1991–2019, in 1000). (Quelle: Fuchs und Weber 2021)

Wie bereits erwähnt wurde, sind zu der mit den Regressionen geschätzten Stillen Reserve noch die ASU zu addieren, die unmittelbar dem Mikrozensus entnommen werden.

4 Vergleich der Schätzungen

4.1 Quantitativer Vergleich der Ergebnisse

Die vom IAB geschätzte Stille Reserve war in den vergangenen Jahren immer etwas umfangreicher als die des StBA (Abb. 6). Die Differenzen sanken allerdings von gut 200.000 beziehungsweise 100.000 Personen in den Jahren 2011 und 2012 auf Werte zwischen 20.000 und 70.000 Personen in den Jahren 2013–2018, bis schließlich für 2019 beide Ergebnisse nahezu gleichauf lagen: 896.000 Personen (IAB) zu 899.000 Personen (StBA).Footnote 16

Abb. 6
figure 6

Vergleich des Umfangs der Stillen Reserve (2011–2019 in 1000). (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von Destatis (2021b) und Fuchs und Weber (2021))

Da die ASU, die sich aus den Gruppen A1 und A2 der Stillen Reserve des StBA zusetzen (vgl. Fn. 14), bei beiden Konzepten enthalten sind, könnte auch ein höherer Anteil an der jeweiligen Stillen Reserve zu einer Angleichung der vom IAB und vom StBA ausgewiesenen Werte eine Rolle spielen. Im Jahr 2011 betrugen die veröffentlichten Zahlen zur Stillen Reserve beim IAB das 1,2-Fache derjenigen des StBA. Würde man bei beiden Konzepten die ASU unberücksichtigt lassen, hätte die Stille Reserve des IAB in 2011 sogar das 1,3-Fache betragen. Im Jahr 2019 zeigten dagegen die Stille Reserve des IAB und die des StBA sowohl mit als auch ohne ASU eine fast identische Größenordnung. Die Teilgruppe ASU ist dabei mitverantwortlich für diese Entwicklung: während der Anteil der ASU bei beiden Stillen Reserven im Jahr 2019 jeweils ungefähr 36 % betrug, waren die Unterschiede im Jahr 2011 mit 40,6 % (ASU-Anteil an Stiller Reserve des StBA) und 34,1 % (ASU-Anteil an Stiller Reserve des IAB) noch deutlich größer. Dennoch ist die Entwicklung der Teilgruppe ASU nicht der Hauptgrund für die Annäherung beider Schätzungen. Der Angleich der Größenordnungen ist auch eine Folge von sich im Aggregat ausgleichenden Unterschieden in der Alters- und Bevölkerungsabgrenzung sowie in der soziodemografischen Struktur der Stillen Reserve beider Konzepte.

Das StBA grenzt seine Stille Reserve standardmäßig für 15- bis 74-jährige Personen ab, während das IAB die für den Arbeitsmarkt besonders wichtige Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen betrachtet. Der Vergleichbarkeit halber wird nachfolgend, wie bereits zuvor in diesem Beitrag, die Stille Reserve des StBA auf 15- bis 64-Jährige beschränkt. Die Altersbegrenzung von 74 Jahren auf nun 64 Jahre reduziert die bei Destatis (2021b) veröffentlichte Stille Reserve A + B um knapp 50.000 Personen beziehungsweise 5,6 % auf 850.000.

Tab. 3 vergleicht die Strukturen für das Jahr 2019. Mit gerundet 50 % war der Frauenanteil an der Stillen Reserve bei beiden Ansätzen nahezu identisch. Fast ein Viertel der Stillen Reserve hatte nach den Schätzungen des IAB eine ausländische Staatsangehörigkeit, beim StBA waren es 28,6 % bei der Stillen Reserve A + B und 29,7 % bei C.

Tab. 3 Vergleich ausgewählter Strukturen der Stillen Reserve, 2019. (Quelle: Eigene Darstellung)

Bei der Altersstruktur fällt auf, dass das StBA 100.000 weniger ältere Personen in der Stillen Reserve A + B ausweist als das IAB und – nachdem die Jüngeren etwa gleich vertreten sind – entsprechend mehr Personen mittleren Alters. Bevor hier eine inhaltliche Interpretation versucht wird, bleibt zu klären, ob diese voneinander abweichenden Altersstrukturen durch unterschiedliche Bevölkerungseckzahlen bedingt sein können.

Die Mikrozensus-Stichprobe, auf der die Stille Reserve des StBA basiert, wird quartalsweise an 24 disjunkte Subpopulationen der Bevölkerung hochgerechnet, die sich aus einer Kreuzkombination von drei Altersklassen, Geschlecht und vier Nationalitäten ergeben (vgl. Destatis 2020b; Afentakis und Bihler 2005). Die dazu benötigten Bevölkerungseckwerte werden mit Hilfe der laufenden Bevölkerungsfortschreibung und des Ausländerzentralregisters geschätzt. Sie beziehen sich auf die Gesamtheit der in Deutschland lebenden deutschen und ausländischen Bevölkerung, unabhängig davon, ob es sich bei ihrer Unterkunft um einen Privathaushalt oder eine Gemeinschaftsunterkunft handelt.

Da die geviertelten Quartalshochrechnungsfaktoren zugleich die Jahreshochrechnungsfaktoren bilden, beinhalten die Jahresergebnisse des Mikrozensus eine durchschnittliche Gesamtbevölkerung, die dem Mittel von vier Stichtagswerten der Bevölkerungsfortschreibung entspricht. Seit dem Mikrozensus 2017 wird davon allerdings nur noch die Bevölkerung in Privathaushalten veröffentlicht, wobei die Art der Unterkunft aus den Angaben der Mikrozensusbefragten ermittelt wird.Footnote 17

Das IAB berechnet zwar auf Basis des Mikrozensus die subgruppenspezifischen Stille Reserve-Anteile an dieser Mikrozensus-Bevölkerung, rechnet diese Quoten aber mit den durchschnittlichen Bevölkerungsbeständen aus der Bevölkerungsfortschreibung, getrennt nach Alter, Geschlecht und Nationalität, direkt hoch. Die durchschnittliche Bevölkerung ergibt sich dabei aus den Beständen zum 31.12. der Jahre t und t − 1 und umfasst auch Gemeinschaftshaushalte.

Die Gegenüberstellung dieser verschiedenen Bevölkerungszahlen zeigt, dass das IAB im Jahr 2019 bei den 15- bis 64-Jährigen 220.000 Personen mehr berücksichtigte als das StBA. Die dennoch ähnlichen Größenordnungen beider Stillen Reserven kamen durch eine höhere Stille Reserve-Quote des IAB zustande (1,7 % im Vergleich zu 1,6 % des StBA bei der Stillen Reserve A + B; siehe Tab. 3).

Bezüglich der Altersverteilung der Bevölkerung ergaben sich zwischen den 15- bis 64-Jährigen in Privathaushalten und denjenigen, die zusätzlich Gemeinschaftshaushalte berücksichtigen, quasi keine Differenzen: beide Bevölkerungszahlen verteilen sich näherungsweise zu 25 %, 40 % und 35 % auf die Altersklassen jung-mittel-älter. Ihre unterschiedlichen Anteile an der Stillen Reserve beider Konzepte müssen also überwiegend inhaltlich bedingt sein.

Bei den älteren Personen dürfte eine Rolle spielen, wie sehr sich Nichterwerbspersonen selbst als arbeitsmarktnah sehen. Beim IAB-Konzept ist das ohne Bedeutung, denn nur das makroökonomisch zu beobachtende Verhalten bei Änderungen der Arbeitsmarktbedingungen ist relevant. Insbesondere Ältere im (Vor‑)Ruhestand könnten sich jedoch selbst wenig arbeitsmarktnah sehen und somit bei der Befragung angeben weder Arbeit zu suchen noch verfügbar zu sein (bei vorzeitigem Rentenbezug droht unter bestimmten Bedingungen eine Anrechnung von Arbeitslohn auf die Rente). Dies könnte die höhere Stille Reserve-Quote des IAB von 1,8 % im Vergleich zu 1,2 % beim StBA erklären. Die zusätzliche Berücksichtigung der Stillen Reserve C des StBA bestätigt den durchaus vorhandenen Wunsch nach Arbeit in der Altersgruppe 50–64 Jahre: 2019 zählten 331.000 Ältere zur Stillen Reserve C, das waren mehr als bei der Stillen Reserve A + B zusammen, mit lediglich 233.000 Personen (Anhang, Tab. 5).

4.2 Vergleich der Konzeptionen

Die beiden diskutieren Ansätze unterscheiden sich in konzeptioneller Hinsicht erheblich. Das StBA wertet aus einer mikroökonomischen Perspektive unmittelbar die Fragen des Mikrozensus aus. Die Stille Reserve ergibt sich dabei direkt aus den Antworten der Befragten. Dies ermöglicht andere Unterteilungen sowie Quertabellierungen der Stillen Reserve, beispielsweise nach regionalen Aspekten, nach Qualifikation, Lebensform, Migrationshintergrund usw. Insbesondere lassen sich damit auch die Gründe für die Inaktivität näher beleuchten. Die einzige Grenze für die Auswertung, sieht man von den vorhandenen Variablen ab, ergibt sich aus dem Stichprobenumfang. Mit dem Mikrozensus wird etwa 1 % der Bevölkerung erfasst, wovon im Jahr 2019 knapp 2/3 zu den 15- bis 64-Jährigen zählten. Der Mikrozensus ist damit die größte jährliche Haushaltsbefragung in Deutschland und Europa. Dennoch kommt man aufrund des Stichprobenfehlers bei sehr tiefer Untergliederung der Ergebnisse an die Grenze der statistischen Ausweisbarkeit. Als Faustregel gilt hier, dass hochgerechnete Werte unter 5000 Personen nicht mehr aussagekräftig sind (Destatis 2020b, S. 7). Die Stille Reserve des StBA lässt sich damit problemlos nach West-Ost, Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund, Qualifikationsniveau und Altersgruppen differenzieren. Bei der Differenzierung der Gründe für Inaktivität nach Alter kommt man für einige Untergruppen jedoch in den Bereich der statistischen Unsicherheit (vgl. Anhang, Tab. 7 und 8).

Das IAB schätzt auf der Basis von Erwerbsquoten und berücksichtigt dabei makroökonomische Einflussfaktoren. Untergliedert wird die Stille Reserve nach 5er-Altersgruppen, Geschlecht und Nationalität. Quertabellierungen wie beim Ansatz des StBA, z. B. nach Qualifikation, sind nicht möglich. Um weitere Merkmale zu berücksichtigen, müssten erst entsprechende Schätzungen gerechnet werden. Möchte man beispielsweise den Bildungsstand berücksichtigen, müssten Gleichungen geschätzt werden, die dieses Merkmal auf der linken Seite, beim Regressanden, enthalten. Natürlich gilt die Beschränkung hinsichtlich der Stichprobengröße auch für die Bildung der Erwerbsquoten, sofern diese tiefer untergliedert werden sollten.

Die im Jahr 2019 in Absolutzahlen gleichen Größenordnungen der Stillen Reserve des IAB und der Stillen Reserve A + B des StBA legen den Schluss nahe, dass sich eine Personenanzahl dieser Größenordnung durch eine absolut günstige konjunkturelle Arbeitsmarktsituation (Vollbeschäftigungssituation) aktivieren lässt. Ob es sich bei der Stillen Reserve des IAB wirklich eins zu eins um genau die Personen der Stillen Reserve A + B handelt oder eben nur die Anzahl an Personen derjenigen von A + B entspricht, ist allerdings unklar.

Das StBA weist insgesamt 1,157 Mio. Nichterwerbspersonen aus, die weder Arbeit suchen noch verfügbar sind, aber einen Erwerbswunsch äußern (Destatis 2020a). Diese Personen, die in diesem Beitrag Stille Reserve C genannt werden, könnten unter Umständen, bei gewissen Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt gewonnen werden. Das IAB spricht in diesem Zusammenhang von einem „latenten Erwerbspersonenpotenzial“ (Fuchs 2002). Mit den Schätzgleichungen des IAB wäre es prinzipiell möglich, andere wirtschafts- und sozialpolitische Rahmenbedingungen zu simulieren, z. B. durch die Wahl eines anderen Renteneintrittsalters, und auf diese Weise das latente Erwerbspersonenpotenzial zu ermitteln. Damit ließe sich annähernd einschätzen, wie die Stille Reserve C aktiviert werden könnte.

Auch die über Mikrozensus-Befragungen des StBA ermittelte Stille Reserve eröffnet durch die Kombinationsanalysen mit einer Vielzahl zusätzlicher Merkmale die Möglichkeit, die Auswirkungen veränderter wirtschafts- und sozialpolitischer Rahmenbedingungen (wie z. B. Kinderbetreuungsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeitmodelle, mobiles Arbeiten, Weiterbildungsprogramme) auf die Aktivierbarkeit der Stillen Reserve A, B sowie der Stillen Reserve C abzuschätzen. Darüber hinaus können solche Quertabellierungen ebenfalls Anhaltspunkte für die Auswirkungen sich verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen (wie z. B. neue Geschlechterrollenbilder oder neue Altersbilder der Gesellschaft) auf die Stille Reserve A, B und C liefern (siehe zu beiden Aspekten Rengers 2016, 2012).

5 Fazit

Die Stille Reserve ist zwar eine vielbeachtete, aber nicht unmittelbar beobachtbare Arbeitsmarktgröße. Der vorliegende Beitrag vergleicht zwei verschiedene Ansätze zu ihrer Bestimmung. Das Statistische Bundesamt (StBA) schätzt sie aus einer mikroökonomischen Perspektive heraus und schließt aus den Antworten auf Fragen im Mikrozensus zur Erwerbsbeteiligung auf die Zugehörigkeit zur Stillen Reserve. Die makroökonomische Methode des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt aufgrund der Abhängigkeit der Erwerbsquote von der jeweiligen Arbeitsmarklage zu einer Schätzung der Stillen Reserve.

Beide Ansätze zur Bestimmung der Stillen Reserve verwenden zwar mit dem Mikrozensus dieselbe Datenbasis, es war aber aufgrund des völlig unterschiedlichen Vorgehens nicht zwingend zu erwarten, dass die geschätzte Größenordnung einigermaßen gut übereinstimmt. Die Stille Reserve für die 15- bis 64-Jährigen in Deutschland betrug im Jahr 2019 beim Konzept des StBA 850.000 Personen und beim IAB 898.000. Die in beiden Stillen Reserven enthaltenen Arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen (ASU) erklären dabei nur teilweise diese weitgehende Übereinstimmung der Größenordnungen der Stillen Reserve des IAB und des StBA. Kleinere Unterschiede ergaben sich durch unterschiedliche Bevölkerungseckwerte (ohne versus mit Gemeinschaftshaushalten). Eine dichotome Einteilung der jeweiligen Stillen Reserve nach Nationalität zeigte vergleichbare Strukturen. Noch deutlicher stimmten die Werte der rein geschlechtsspezifischen Verteilung überein. Insbesondere bei der Altersstruktur gab es allerdings Unterschiede zwischen beiden Schätzungen der Stillen Reserve.

Die auf dem Labour-Force-Konzept basierende Abgrenzung der Stillen Reserve des StBA bietet auf der Mikroebene die Möglichkeit, weitere soziodemografische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Familienstand und Bildung mit den Personen der Stillen Reserve in Verbindung zu bringen.

Das IAB schätzt die Stille Reserve getrennt nach den demografischen Merkmalen Alter, Geschlecht und Nationalität. Vor allem ist ihr unmittelbarer Zusammenhang mit der Arbeitsmarktlage hervorzuheben. Die geschätzten Regressionsgleichungen zeigen zudem die Reagibilität der Erwerbsquoten auf die Einflussfaktoren, denn neben der Arbeitslosigkeit werden bei den Schätzungen weitere Einflüsse berücksichtigt, wie Löhne, Geburtenziffern, Indikatoren für die Kinderbetreuung und das Renteneintrittsalter. Damit lässt sich ein – in der IAB-Terminologie – latentes Erwerbspersonenpotenzial ermitteln, das über die Erwerbspersonen und die Stille Reserve hinausgeht, und womit man den Effekt arbeits- und sozialpolitischer Maßnahmen testen kann.

Die beiden hier diskutierten Ansätze sind für verschiedene Fragestellungen unterschiedlich geeignet. Für makroökonomische Fragen dürfte die Stille Reserve des IAB eher geeignet sein, für mikroökonomische die des StBA. Dies gilt vor allem, wenn weitere Differenzierungen und tiefer gegliederte Auswertungen, z. B. nach Bundesländern, gewünscht sind. Wird andererseits gefragt, wie sich die Stille Reserve voraussichtlich aufgrund der Arbeitsmarktlage entwickeln wird, dann kann der IAB-Ansatz eine Vorausschätzung liefern.

Weil beide Ansätze einigermaßen kompatible Ergebnisse liefern, lassen sie sich nach unserer Auffassung gut kombinieren. Die Kombination beider Konzepte deutet für das Jahr 2019 darauf hin, dass sich bei einer „Vollbeschäftigungssituation“ eine Stille Reserve hätte aktivieren lassen, die der Größenordnung der Summe aus Personen, die zwar aktiv Arbeit suchen, jedoch kurzfristig für eine Arbeitsaufnahme nicht zur Verfügung stehen (Kategorie A, StBA) und Personen, die aus verschiedenen Gründen aktuell keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich gerne arbeiten würden und dafür auch verfügbar sind (Kategorie B, StBA) entspricht. Dagegen ist eine Stille Reserve der Größenordnung von Sonstigen Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch (Kategorie C, StBA) eher im Zusammenhang mit dem „latenten Erwerbspersonenpotenzial“ des IAB zu sehen, welche sich gegebenenfalls durch eine Veränderung anderer Rahmenbedingungen als der konjunkturell bedingten Arbeitsmarktlage aktivieren lässt.

6 Rechtsgrundlagen

  • Verordnung (EG) Nr. 377/2008 der Kommission vom 25. April 2008 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 577/98 des Rates zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der Gemeinschaft im Hinblick auf die ab 2009 für die Datenübermittlung zu verwendende Kodierung, die Verwendung einer Teilstichprobe für die Datenerhebung zu Strukturvariablen und die Definition der Referenzquartale (Amtsblatt der EU Nr. L 114, S. 57–84)

  • Verordnung (EG) Nr. 577/98 zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der Gemeinschaft (Amtsblatt der EG Nr. L 77, S. 3–7), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1372/2007 (Amtsblatt der EG Nr. L 315, S. 42 f.)

  • Durchführungsverordnung (EU) 2019/2240 der Kommission vom 16. Dezember 2019 zur Festlegung der technischen Angaben des Datensatzes, zur Festlegung der technischen Formate für die Übermittlung von Informationen und zur Festlegung der Modalitäten und des Inhalts der Qualitätsberichte über die Durchführung einer Stichprobenerhebung im Bereich Arbeitskräfte gemäß der Verordnung (EU) 2019/1700 des Europäischen Parlaments und des Rates (Amtsblatt der EU L 336 S. 59–124)

  • Delegierte Verordnung (EU) 2020/257 der Kommission vom 16. Dezember 2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2019/1700 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der Anzahl und der Titel der Variablen für den Bereich Arbeitskräfte (Amtsblatt der EU L 54 S. 9–15)

  • Verordnung (EU) 2019/1700 zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für europäische Statistiken über Personen und Haushalte auf der Grundlage von Einzeldaten aus Stichprobenerhebungen, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 808/2004, (EG) Nr. 452/2008 und (EG) Nr. 1338/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1177/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 577/98 des Rates (Amtsblatt der EU Nr. L 261 I S. 1–32)