Zusammenfassung
Der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 wird teilweise der Arbeitsmarktreform des Jahres 2005 (Hartz IV) zugeschrieben, die „verdeckte“ Arbeitslosigkeit offengelegt hätte. Im folgenden Beitrag wird deshalb mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen und Datensätzen erstmals untersucht, welchen Umfang diese Umschichtung von verdeckter zu offener Arbeitslosigkeit hatte.
Der Umfang des in Anlehnung an die ILO abgegrenzten sogenannten „Discouragements“ ist nach den Daten des Mikrozensus zwischen 2004 und 2005 tendenziell gestiegen, d.h. in der Querschnittsbetrachtung hat die auf diese Weise operationalisierte Stille Reserve nach Hartz IV sogar zugenommen. Aufbauend auf einem am DIW entwickelten Konzept zeigten sich mit Daten des Sozioökonomischen Panels auch im Längsschnitt keine bedeutsamen Umschichtungen zwischen Stiller Reserve und Arbeitslosigkeit. Abschließend wurde mit Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine Simulation gerechnet, die eine Situation ohne und eine mit Hartz IV abbildet. Auch diese Schätzung legt einen bestenfalls schwachen Einfluss von Hartz IV auf die Stille Reserve nahe. Alles in allem dürfte Hartz IV die westdeutsche Stille Reserve nur wenig reduziert haben. Die Resultate sprechen eher für die Annahme, dass Hartz IV in erster Linie das Erwerbspersonenpotenzial um bislang dem Arbeitsmarkt fern stehende Personen ausgeweitet hat.
Abstract
Unemployment in Germany strongly increased in 2005. Beside other influences a labor market reform that came into force in 2005 (Hartz IV reform) was ascribed to redistribute hidden to open unemployment. Using different methodological approaches and data sets this article analyses the scale of this change from hidden to open unemployment in West Germany.
Yet, the number of discouraged workers, due to the German Microcensus and following ILO-definitions, increased from 2004 to 2005 when compared year by year. For a longitudinal analysis the data from the Socioeconomic Panel were used to estimate the hidden unemployed based on a concept, which was developed at the German Institute for Economic Research (DIW). The results do not show any significant change from hidden to open unemployment. As a final step our analyses isolated the influence of Hartz IV by a simulation study that compares the estimated number of hidden unemployed for different labor market regimes. For this estimation data we used data from the Institute for Employment Research (IAB). The simulation only shows a weak impact of the reform on the scale of hidden unemployment. All in all, the Hartz IV reform did not have any strong effect on the hidden unemployment in West Germany. The results are in favor of a different view, which says that above all the labor force was expanded by the reform.
Notes
Einer Studie von Gong (2010) zufolge, der den „added worker“- und den „discouragement“-Effekt am Beispiel australischer Frauen untersuchte, ist es leichter, die Arbeitsstunden zu erhöhen als die Arbeitsmarktaktivität zu erhöhen.
Es ist möglich, dass die verschiedenen Gruppen über die Zeit miteinander korrelieren, z.B. weil die Individuen älter werden und – mit ihrem Erwerbsverhalten – in die nächsthöhere Altersklasse wandern. Dies wurde im Originaldatensatz nicht ausreichend berücksichtigt. Mit den Daten von Fuchs und Weber (2005) wurde deshalb eine SUR („Seemingly Unrelated Regression“) gerechnet (mit dem Programm EViews, Version 7). Im Rahmen dieser Systemschätzung werden sämtliche Gleichungen zusammen geschätzt. Die Schätzung bestätigt das Ergebnis der Einzelgleichungen, d.h. die Parameter sind alle weiterhin signifikant und stimmen im Vorzeichen und dem Betrag nach weitgehend mit den Schätzungen aus den Einzelgleichungen überein. Die Berücksichtigung der Interdependenzen dürfte also das Niveau der Stillen Reserve kaum verändern.
Beim vorliegenden nichtlinearen (logistischen) Regressionsmodell ist der Effekt einer Variablen auf die Erwerbsquote vom Niveau der Kovariablen abhängig. Fuchs/Weber schätzen diesen Effekt bei ihrem Datensatz auf der Basis einiger Simulationen jedoch als schwach ein (Fuchs und Weber 2007: 13 und 23).
Angewandt wurde ein Hodrick-Prescott-Filter mit dem für Jahreswerte üblichen Glättungsparameter λ=100.
Die Benchmarks für die spezifischeren Arbeitsmarktindikatoren schätzten Fuchs und Weber (2005) mittels einer Regression zwischen der allgemeinen Arbeitslosenquote und den spezifischen Arbeitsmarktindikatoren.
Für den Mikrozensus liegen zwei Paneldatensätze vor, die jedoch nur die Zeiträume 1996–1999 und 2001 bis 2004 abdecken. Zudem bestehen einer Machbarkeitsstudie von Böhm (2011) zufolge größere Probleme mit der Längsschnittgewichtung.
Die Beschränkung auf die 30- bis unter 55-Jährigen erfolgt, weil beim Erwerbsstatus im Vorjahr nicht die Arbeitsbereitschaft (Erwerbslos, Arbeitsuchend) abgefragt wird. Möglicherweise konfundieren die Angaben deshalb bei Älteren und Jüngeren mit Ruhestands- bzw. Bildungsentscheidungen.
Diese Berechnungen basieren auf den von Fuchs und Weber (2005) publizierten Gleichungen.
Wie bereits angesprochen wurde, ergibt sich ein Teil dieses Anstiegs aus der Interaktion zwischen der Arbeitslosigkeitsvariable und den übrigen Kovariaten.
Literatur
Agbola FW (2005) Integrating hidden unemployment in the measurement of unemployment in selected OECD countries. Appl Econ Int Dev 5(2):91–107
Armstrong D (1999) Hidden male unemployment in Northern Ireland. Reg Stud 33(6):499–511
BA (Bundesagentur für Arbeit) (2005) Der Übergang von der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Sonderbericht August 2005. Nürnberg
BA (Bundesagentur für Arbeit) (2006) Arbeitsmarkt 2005. Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, 54. Jg, Sondernummer August 2006
BA (Bundesagentur für Arbeit) (2010) Arbeitsmarktberichterstattung: Grundsicherung in Deutschland – 5 Jahre SGB II. Nürnberg
BA (Bundesagentur für Arbeit) (2012) Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland – Monatsbericht März 2012. Nürnberg
Bach HU, Gartner H, Klinger S, Rothe T, Spitznagel E (2008). Arbeitsmarkt 2008: Der Aufschwung lässt nach. IAB-Kurzbericht 3
Benati L (2001) Some empirical evidence on the ‘discouraged worker’ effect. Econ Lett 70:387–395
Blundell R, Ham J, Meghir C (1998) Unemployment, discouraged workers and female labour supply. Res Econ 52:103–131
Böhm K (2011) Schätzung der Stillen Reserve mit dem Mikrozensuspanel 2001–2004. IAB-Forschungsbericht 2
Castillo MD (1998) Persons outside the labor force who want a job. Mon Labor Rev 121(7):34–42
Chagny O, Döpke J, Plane M, Schmidt R (2001) Labour supply and labour force participation in Europe—a discussion of some recent developments and projections. Kiel working paper 1049. Institut für Weltwirtschaft, Kiel
Dernburg T, Strand K (1966) Hidden unemployment 1953–62: a quantitative analysis by age and sex. Am Econ Rev 56(1):71–95
De La Fuente A (2011) New measures of labour market attachment. Eurostat – Statistics in Focus, No 57
Flaim PO (1973) Discouraged workers and changes in unemployment. Mon Labor Rev 3:8–16
Fuchs J, Weber B (2005) Neuschätzung der Stillen Reserve und des Erwerbspersonenpotenzials für Westdeutschland (inkl Berlin-West). IAB-Forschungsbericht 15
Fuchs J, Weber B (2007) Vollbeschäftigungsannahme und Stille Reserve: Eine Sensitivitätsanalyse für Westdeutschland. IAB-discussion paper 17
Fuchs J, Weber B (2010) Umfang und Struktur der westdeutschen Stillen Reserve: Aktualisierte Schätzungen. IAB-Forschungsbericht 11
Gellner CG (1975) Enlarging the concept of labor reserve. Mon Labor Rev 4:20–28
Gong X (2010) The added worker effect and the discouragement worker effect for married women in Australia. IZA discussion paper 4816
Gregg P (1994) Out for the count: a social scientist’s analysis of unemployment in the UK, Part 2. J R Stat Soc A 157:253–270
Hartmann M, Riede T (2005) Erwerbslosigkeit nach dem Labour-Force-Konzept – Arbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch: Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wirtsch Stat 4:303–310
Holst E (2000) Die Stille Reserve am Arbeitsmarkt: Größe – Zusammensetzung – Verhalten. Sigma, Berlin
Holst E, Schupp J (1997) Hohe Fluktuation in der Stillen Reserve. DIW-Wochenber 47:921–928
Holst E, Schupp J (2000) Stille Reserve wichtig für die Arbeitsmarktflexibilität in Deutschland. DIW-Wochenber 29:457–465
Holst E, Spiess K (2002) Labour market attachment of people outside the labour force. Schmollers Jahrb Wirtsch- Sozwiss 122:55–84
Hussmanns R, Mehran F, Verma V (1990) Surveys of economically active population, employment, unemployment and underemployment: an ILO manual on concepts and methods. International Labour Office, Geneva
Jones SRG, Riddell WC (1999) The measurement of unemployment: an empirical approach. Econometrica 67(1):147–167
Kettner A, Rebien M (2007) Hartz-IV-Reform: Impulse für den Arbeitsmarkt. IAB-Kurzbericht 19
Klinger S, Rothe T (2012) The impact of labour market reforms and economic performance on the matching of the short-term and the long-term unemployed. Scott J Polit Econ 59(1):90–114
Kohara M (2010) The response of Japanese wives ‘labor supply to husbands’ job loss. J Popul Econ 23:1133–1149
Kollmann R (1994) Hidden unemployment—a search-theoretic interpretation. Econ Lett 46:351–355
Lenten LJA (2000) The profile of labour force discouragement in Australia. Aust J Labour Econ 4(1):3–17
Maloney T (1991) Unobserved variables and the elusive added worker effekt. Economica 58:173–187
Mincer J (1973) Determining who are the “hidden unemployed”. Mon Labor Rev 3:27–30
Mitchell WF (2000) Hidden unemployment in Australia and the United States – updated estimates. Centre of Full Employment and Equity, Working paper 00-08
Mitchell F (2007) Hidden Unemployment in Australia 2007. Centre of Full Employment and Equity, Working paper 07-05
OECD (1995) Employment outlook, July. OECD, Paris
Rengers M (2004) Das international vereinbarte Labour-Force-Konzept. Wirtsch Stat 12:1369–1383
SVR (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) (2008) Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken. Jahresgutachten 2008/09. Internet: www.sachverstaendigenrat.org
Tachibanaki T, Sakurai K (1991) Labour supply and unemployment in Japan. Eur Econ Rev 35:1575–1587
Van Ham M, Mulder CH, Hooimeijer P (2001) Local underemployment and the discouraged worker effect. Urban Stud 38(10):1733–1751
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Fuchs, J. Der Einfluss von Hartz IV auf die westdeutsche Stille Reserve – Ergebnisse auf Basis unterschiedlicher methodischer Ansätze. AStA Wirtsch Sozialstat Arch 8, 33–48 (2014). https://doi.org/10.1007/s11943-014-0138-5
Received:
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11943-014-0138-5