Einleitung

Die demografische Entwicklung in den meisten Industrieländern führt dazu, dass der durchschnittliche Patient in Klinik und Praxis generell älter ist als noch vor der Jahrtausendwende. In Deutschland rechnen die Statistiker damit, dass mehr als 50 % der Gesamtbevölkerung 2030 über 60 Jahre alt sein werden.

Dementsprechend wird die Mehrheit der Patienten im Schlaflabor in Kürze Senioren sein bzw. ist es je nach Schlaflabortyp (ambulant, stationär, Schwerpunkt neurologisch oder pulmologisch, regionaler Standort) jetzt schon. Die angloamerikanische Literatur definiert älter, geriatrisch, ab dem Rentenalter von 65 Jahren, die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland ab dem 70. Lebensjahr.

Wichtig für alle medizinischen Berufe ist daher zunächst ein Verständnis des normalen Schlafes des älteren Menschen, denn was normal ist und was pathologisch bzw. therapiebedürftig, wird erst durch die für viele Menschen verlängerte Lebensspanne zwischen Renteneintrittsalter und Tod so richtig bedeutsam. In dieser Lebensspanne bekommt das subjektive Alter eines Menschen Einfluss darauf wie der Einzelne seinen Schlaf empfindet [1]. Ob eine 70-jährige Frau z. B. 75 % Schlafeffizienz als altersbedingt normal empfindet oder sich von ihrer Hausärztin wegen Insomnie ein Schlafmittel verschreiben lässt, hängt von diesem subjektiven Alter ab. Es fehlt derzeit in der Medizin durch mangelndes Wissen über normalen Schlaf noch das professionelle Korrektiv, was leider zu oft zu unnötigen medikamentösen Therapieversuchen führt. Im höheren Lebensalter stehen gesellschaftlich normatives Schlafverhalten (7–8 h nächtliches Durchschlafen) und altersbedingt natürliches Schlafverhalten (verlängerte Einschlafzeit, frakturierter Schlaf) mehr im Widerspruch als in der Ausbildungs- und Berufszeit [2].

Für die Unterscheidung zwischen normalem und pathologischem Schlaf bei älteren Menschen ist zunächst die Unterscheidung zwischen normalem, gesunden Altern und im Alter häufiger auftretenden Erkrankungen wie z. B. Demenz, Herzinsuffizienz, Gelenkserkrankungen u. a. notwendig. Schlafstörungen bei Senioren können oft sekundärer Natur sein (z. B. komplexe Schlafapnoe bei Herzinsuffizienz, Hypersomnie und gestörter circadianer Rhythmus bei Demenz) [3]. Eine gute schlafmedizinische Diagnostik setzt also die Kenntnis über bestehende Grunderkrankungen, besonders auch beim älteren Patienten voraus.

Schlaf beim älteren Menschen ist ein zunehmend interessantes Forschungsthema geworden und durch Metaanalysen von Schlafstudien und altersbezogener Analysen großer klinischer Studien wie der „Sleep, Heart and Health“ können wir heute mehr über den normalen und pathologischen Schlaf bei älteren Menschen erfahren als noch zu Beginn des Jahrhunderts [4,5,6].

Schlafarchitektur beim älteren Menschen

Bei der Betrachtung veränderter Schlafarchitektur im höheren Lebensalter muss grundsätzlich bedacht werden, dass unterschiedliche Auswertekriterien (Rechtschaffen und Kales oder American Academy of Sleep Medicine [AASM] 2007–2017) bereits zu Fehlbeurteilungen aus älteren Untersuchungen führen können. Dies gilt auch für Analysen aus sehr lang andauernden Studien, wie der „Sleep Heart Health“, während derer Dauer sich die Auswertekriterien der AASM geändert haben.

Für die Beurteilung des Elektroenzephalogramms (EEG) beim älteren Menschen ist entscheidend, dass die Amplituden aller Wellen im Alpha- bis Deltabereich mit dem Alter abnehmen. Bei den normalerweise hochamplitudigen Deltawellen fällt dies besonders auf, sie fallen z. T. beim gesunden älteren Menschen deutlich unter 75 uV. Die zeitliche Dauer der Entladungen verändert sich kaum. Die Frequenzen (1–12 Hz) in den Schlafstadien bleiben also gleich [7]. Der Grund für dieses Phänomen dürfte beim gesunden älteren Menschen die physiologisch bedingte Abnahme von Synapsen und vor allem myelinummantelter Nervenfasern sein [8]. Dies hat nichts mit dem Untergang von Nervenzellen bei Demenz zu tun. Delta- bzw. Tiefschlaf wird deshalb im Routineschlaflabor bzw. von automatischen Auswertesystemen oft unterschätzt und fälschlicherweise als Non-REM 2 ausgegeben. Allerdings zeigen sich die Rückgänge der Amplituden im Deltabereich wesentlich deutlicher bei Männern als bei Frauen.

Geht man von einer altersberücksichtigenden, korrekten, manuellen Auswertung aus, dann ergeben sich Hinweise auf einen deutlichen Rückgang an Tiefschlaf bei Männern über 70 Jahren auf 4,5–6,5 % „total sleep time“ (TST) gegenüber mittelalten Männern (9,9–12,6 % TST) und bei Frauen kein Rückgang, eher ein Anstieg vom im Schnitt 14,2 %TST auf 17,2 % TST [4]. Dementsprechend steigen bei Männern die Non-REM („rapid eye movement“)-Stadien 1 und 2 an und bei Frauen reduzieren sie sich leicht. Diese unterschiedliche Stadienverteilung der Geschlechter ist wegen der oben beschriebenen Schwierigkeit, Delta-Schlaf vor allem bei älteren Männern genau von Non-REM 2 abzugrenzen, umstritten [7].

Bei beiden Geschlechtern gibt es einen minimalen Rückgang des prozentualen REM-Anteils. Die Augenbewegungsdichte nimmt im Alter ab und macht es sowohl für manuelle Auswerter als auch für die automatisierte Auswertung schwieriger, REM-Schlaf leicht zu identifizieren [8]. Übereinstimmend haben Meta- und Langzeitanalysen ergeben, dass vom mittleren Alter zu den über 70-Jährigen die Schlafeffizienz leicht abnimmt von 85 auf 80 % im Schnitt und dies unabhängig vom Geschlecht. Beim gesunden Alterungsprozess liegt die Schlafeffizienz damit aber immer noch in einem Bereich für erholsamen Schlaf.

Die Häufigkeit der nicht respiratorischen und nicht beinbewegungsbezogenen Arousals nimmt im Alter zu, sie steigt auf 18–27 Arousals pro Stunde an [9] Gesunde ältere Menschen wachen auch öfters während des Schlafes auf als jüngere Menschen, haben aber in der Regel kein Problem wieder einzuschlafen ([10]; Tab. 1).

Tab. 1 Schlafstadienverteilung (Durchschnitt ohne Standardabweichung in Prozent der totalen Schlafzeit) bei 2685 weitgehend gesunden Personen, ohne diagnostizierbare Schlafstörungen in der Polysomnographie (PSG) und ohne Schmerzsymptomatik, in den verschiedenen Altersgruppen aus der Sleep Heart Health Studie [4]

Circadiane Rhythmik beim älteren Menschen

Es gilt grundsätzlich, dass die circadiane Rhythmik beim gesunden älteren Menschen weniger stark ausgeprägt ist als beim jüngeren und mittelalten Menschen. Der Grund dafür dürfte in der reduzierten Produktion bzw. Ausschüttung von circadian wirksamen Hormonen und Neurotransmittern (Melatonin, Cortisol, Östrogen, Dopamin, Orexin u. a.) liegen. Eine reduzierte Melatoninfreisetzung bei beginnender Dunkelheit verstärkt noch bei Senioren mit grauem Star, würde auch Phasenverschiebungen erklären, insbesondere hin zu einer verspäteten Einschlafphase („delayed phase syndrome“). Dass ältere Menschen diesen physiologischen Vorgang als unangenehm und nicht gesellschaftlich normativ empfinden und daher ihre Bettgehzeiten immer weiter nach vorne verlegen, um dies zu kompensieren, hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass Schlafforscher dies als verfrühte Einschlafphase („advanced phase syndrome“) missinterpretiert haben [11]. Bei Desynchronisierungs (Bunker)-Studien hat sich gezeigt, dass ältere gesunde Menschen grundsätzlich mehr Aufwachphasen während der Schlafperioden haben als jüngere. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Gesamtschlafzeit. Generell gilt, dass eine reduzierte Gesamtschlafzeit deutlich unter 7 h bei älteren Menschen als Hinweis auf Erkrankungen im Alter gelten muss und selbst, wie auch bei jüngeren Menschen, als Risikofaktor für diverse Folgeerkrankungen bzw. als erhöhtes Mortalitätsrisiko gilt [2].

Eine Entwicklung vom monophasischen Nachtschlaf hin zum polyphasischen Schlaf über den Tag verteilt ist möglicherweise beim älteren Menschen nicht nur eine Folge von Veränderungen im Arbeits- und Sozialleben, sondern wie Resultate aus der Tierforschung von Säugetieren bis hin zu Drosophila zeigen ein natürlicher Altersprozess. Auch für Tiere gilt jedoch, dass die Gesamtschlafzeit im Alter nicht abnimmt [12]. Im Gegenteil dürfte die Gesamtschlafzeit sowohl bei Tieren wie auch beim Menschen im Alter etwas zunehmen [13]. Eine Gesamtschlafzeit von bis zu 9 h am Tag kann beim älteren Menschen normal sein. Dies ist insofern wichtig als bei der Beurteilung positiver und negativer Effekte von Naps bzw. deutsch Nickerchen am Tage tatsächlich entscheidend ist welche Gesamtschlafzeit sich ergibt. Resultiert aus der Gesamtschlafzeit der Hinweis auf eine Hypersomnie (TST am Tag deutlich über 9 h), so kann dies ein Hinweis auf verschiedenste Erkrankungen wie Demenz oder klinisch relevante Schlafapnoe sein und mit einer erhöhten Mortalität einhergehen. Bleibt die TST am Tag im normalen Korridor von 6,5–9 h, so können die Naps auch als Powernaps mit positivem Effekt auf ein gesundes Altern gesehen werden.

Inzwischen gut dokumentiert ist, dass mit zunehmendem Alter die Fähigkeit der willkürlichen (Schlaf nachholen) oder Lichteinfall bedingten Phasenverschiebung (Jet lag kompensieren) kontinuierlich abnimmt. Diese reduzierte Möglichkeit der willentlich beeinflussbaren Phasenverschiebung (Schlaf nachholen) im Alter gilt auch für andere Säugetiere [14,15,16]. Aus diesem Grund ist Schichtarbeit für Menschen ab einem Alter von über 50 Jahren noch belastender als für jüngere Menschen. Die Rückkehr in den normalen circadianen Rhythmus nach Interkontinentalflugreisen dauert bereits ab dem 30. Lebensjahr mit jedem Lebensjahr länger. Die immer noch gültige wissenschaftliche These dafür, warum dies so ist, bezieht sich auf strukturelle Veränderungen im Nucleus suprachiasmaticus ab einem bestimmten Alter, vermutet wird bereits ab dem 20. Lebensjahr [17]. Offensichtlich nimmt hier die Sensitivität für Melatonin linear zum Älterwerden ab. Veränderungen der circadianen Rhythmik im Alter können damit also sowohl mit geringerer Melatoninausschüttung als auch geringerer Melatoninsensitivität zusammenhängen.

Schlaf und Atmung beim älteren Menschen

In der Schlafmedizin besteht die Diskussion, ab wann die verschiedenen Formen von Schlafapnoe beim älteren Menschen behandelt werden sollten, sprich ob bei älteren Menschen höhere Apnoe-Indices tolerabel und als altersphysiologisch einzustufen sind. Medizinisch vernünftig ist es natürlich, jede Schlafapnoe beim älteren Menschen nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln wie beim jüngeren und mittelalten Menschen und zwar entsprechend dem Vorhandensein klinischer Symptome wie vermehrte Tagesmüdigkeit.

Grundsätzlich gilt: Obstruktive Apnoen und Hypopnoen nehmen beim älteren Menschen aus altersphysiologisch bedingten Gründen zu und damit die Prävalenz für eine Schlafapnoe gemäß Definition nach klassischen AHI(Apnoe-Hypopnoe-Index)-Grenzwerten [18].

Bei beiden Geschlechtern, statistisch gesehen bevorzugt bei Männern, kommt es zu einer höheren Kollapsibilität der oberen Atemwege und einem höheren Atemwegswiderstand in den oberen Atemwegen durch den Verlust elastischer Fasern im Bindegewebe, Fetteinlagerung und einen leichten Abbau der Pharynxmuskulatur [19]. Bevorzugt bei Männern (siehe oben) trägt eine Stadienumverteilung vom apnoearmen Delta-Schlaf hin zu den Non-REM-Stadien 1 und 2 ebenfalls zu mehr obstruktiven Apnoen und Hypopnoen bei, bei Frauen verstärkt sich die Kollapsibilität der oberen Atemwege durch die Reduktion der positiv auf die Muskelspannung der oberen Atemwege wirkenden weiblichen Sexualhormone. Insbesondere der Abfall des Progesteronspiegels spielt hier die entscheidende Rolle [20, 21].

Eine wahrscheinliche, noch kontrovers diskutierte Reduktion des „loop gain“ nach Apnoen bei älteren Menschen durch verringerte Sensitivität der CO2- und O2-sensiblen Neurone im Glomus caroticum, bei Frauen auch infolge verringerten Atemantriebs durch reduziertes Progesteron, gleicht offensichtlich die strukturellen Veränderungen der oberen Atemwege nicht genügend aus, um die Anzahl repetitiver Apnoen nach Arousals wieder zu reduzieren [22].

Trotz der Bekanntheit dieser Phänomene und der altersphysiologisch eindeutigen Zunahme obstruktiver Apnoen mit dem Älterwerden gibt es noch keine neu definierten Grenzwerte für den AHI bei älteren Menschen, also z. B., dass ein AHI bis 15 bei Hochbetagten noch als normal angesehen werden könnte. Die Verantwortung, die klinische und damit therapiewürdige Bedeutung eines erhöhten Apnoe-Index bei Senioren zu beurteilen, bleibt daher beim behandelnden Arzt.

Dies gilt auch, wenn man zum Apnoe-Hypopnoe-Index als Marker noch den Sauerstoff-Entsättigungsindex hinzuzieht und insbesondere die durchschnittliche Sauerstoffsättigung im Blut (SaO2) betrachtet. Aufgrund der geringeren Lungenkapazität im Alter durch Verlust elastischer Fasern und den Abbau am Sauerstoffaustausch teilnehmenden Lungengewebes kommt es altersphysiologisch zu einer Absenkung der durchschnittlichen SaO2 beim älteren Menschen. Eine Durchschnitts SaO2 von 93–92 % im Schlaf darf bei über 70-Jährigen in der Nacht als normal angesehen werden ([23]; Abb. 1; Tab. 2).

Abb. 1
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Diskutierte Zusammenhänge zwischen erhöhter Prävalenz für Schlafapnoe im Alter und möglichen klinischen Folgen (© N. Netzer [24])

Tab. 2 Praktische Aspekte bei älteren Menschen in der Polysomnographie (© N. Netzer)

Fazit

Es gibt einige durch das Älterwerden bedingte physiologische Veränderungen des Schlafes und der Atmung im Schlaf, die bei Menschen im „best ager“ (>55–70) – und im höheren Lebensalter zum Tragen kommen. Grundzüge dieser Veränderungen, wie im vorliegenden Artikel beschrieben, sollten jedem Mediziner und allen behandelnden Pflegekräften bekannt sein, damit Fehleinschätzungen, voreilig gestellte Diagnosen und daraus resultierende unnötige, vorwiegend medikamentöse Therapien reduziert werden können. Aufgabe aller aktiven Kräfte im Gesundheitswesen ist es, bei echten oder vermeintlichen Schlafstörungen das Gespräch mit dem älteren Patienten zu suchen und ihn quasi im physiologischen Alterungsprozess zu begleiten, bei deutlich pathologischen Veränderungen hingegen therapeutisch einzugreifen und nicht auf eine Laissez-faire-Schiene zu geraten, die alle Störungen des Schlafes als altersbedingt abtut.