Definition und Epidemiologie

Als primäre Immundefekte (PID)/Angeborene Krankheiten des Immunsystems („inborn errors“) werden kongenitale Krankheiten des Immunsystems bezeichnet bei denen humorale/lösliche und/oder zelluläre Komponenten des Immunsystems fehlen oder dysfunktionell sind.

Entsprechend der Richtlinien der International Union of Immunological Societies (IUIS) können aktuell (Stand 2017-18) > als 350 primäre Immundefekte anhand immunologischer Labordiagnostik und den zugrundeliegenden Gendefekten unterschieden werden [1, 2, 3]. PID Diagnosen, deren Nomenklatur durch die rasch fortschreitende technologische Entwicklung bei Labor- und genetischen Methoden rasant gestiegen sind, können entsprechend der zugrunde liegende immunologischen Defekte und der unterschiedlichen funktionellen Mechanismen des Immunsystems bzw. anhand der phänotypischen Ausprägungen in 8 (9) Gruppen unterteilt werden (Tab. 1).

Tab. 1 Nomenklatur/Gruppeneinteilung Primäre Immundefekte lt. International Union of Immunological Societies – IUIS (2017). Diagnosen unterteilt in 8 (9) Gruppen nach Picard et al. [2] und Bousfiha et al. [3].

Genaue Zahlen zur Prävalenz der unterschiedlichen Erkrankungen fehlen und es scheint auch, dass Inzidenzen und Prävalenzen sich regional und nach Bevölkerungsgruppen stark unterscheiden können [4, 5].

Viele Einzeldiagnosen der primären Immundefekte (PID) gehören zu den seltenen Erkrankungen, welche durch eine Inzidenz von <1:2000 charakterisiert werden. Neuere epidemiologische Erhebungen (USA 2016) zeigen jedoch, dass die Prävalenz von 1:1200 bis 1:2000 für die Gesamtzahl von primären Immundefekterkrankungen deutlich höher liegt als bisher angenommen [1, 4]. Zahlenmäßig nimmt die IgA Defizienz mit einer Prävalenz von 1:400 eine Sonderstellung ein, wobei diese Entität in den meisten Fällen einem Laborbefund, und nicht einer manifesten Erkrankung entspricht.

Für Europa ergeben epidemiologische Schätzungen für klinisch relevante Immundefekte eine Anzahl von 600.000 Patienten mit angeborenen („primären“) immunologischen Erkrankungen [6], denen allerdings 2014 im Patientenregister der European Society for Immunodeficiencies (ESID-Register) lediglich 19.355 registrierte Patienten gegenüberstanden [7].

Allerdings konnte in den letzten Jahren durch eine verbesserte Aufklärung und fachliche Weiterbildungen („awareness“) ein deutlicher Anstieg der Diagnoseraten für primäre Immundefekte erzielt werden [8, 9]. Der Zeitpunkt der Diagnose hat einen entscheidenden Einfluss auf die Prognose der PatientInnen. Daten der European Society of Immunodeficiencies (ESID) zeigen, dass das Mortalitätsrisiko mit jedem Jahr diagnostischer Verzögerung um 1,7 % steigt [1]. Um den medizinischen Fortschritt in dieser Hinsicht voranzutreiben wurden kürzlich von der ESID Arbeitsdefinitionen und klinische Kriterien zur Erfassung von Patienten mit angeborenen Immundefekten im ESID Patientenregister vorgestellt [10].

Mittlerweile ist die Bedeutung dieser Erkrankungen und die Tatsache, dass nur durch frühzeitige Diagnose und Behandlung lebenslange Beeinträchtigung hintangehalten oder gar fatale Folgen vermieden werden können weitgehend akzeptiert [11]. Die Diagnostik dieser mannigfaltigen Erkrankung gestaltet sich oft als aufwendig und es gilt als erwiesen, dass die Qualität der Betreuung optimiert werden kann, wenn das Management interdisziplinär erfolgt und von spezialisierten Zentren übernommen oder koordiniert wird.

Symptomatik und Diagnose

Mehr als die Hälfte der primären Immundefekt Erkrankungen sind mit einem Antikörpermangel assoziiert, welcher auch im niedergelassenen Bereich durch die Laborbestimmung der Serumimmunglobuline erkannt werden kann. Alle weiteren PID zeigen zusätzlich oder ausschließlich zelluläre Defekte, oder beruhen auf dem Fehlen oder der Dysfunktion anderer humoraler Faktoren des Immunsystems, hier seien exemplarisch die Komplementdefekte genannt. Im klinischen Erscheinungsbild/Phänotyp können Immundefekterkrankungen hochgradig heterogen erscheinen, was sich in den Konsensus-Berichten der IUIS widerspiegelt in welchen die PatientenInnen anhand ihres Immun-Phänotyps unterschieden wurden [2, 3]. Um in dieser phänotypischen Vielfalt eine ärztliche Handlungsanleitung zur Identifizierung und Diagnostik primärer Immundefekterkrankungen zu erstellen, hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), basierend auf einer ersten Version von 2011, im Jahre 2017 eine Leitlinie zur „Diagnostik auf Vorliegen eines primären Immundefekts“ neu erarbeitet [12]), dessen wesentliche Punkte unter Berücksichtigung rezenter Übersichtsartikel aus der Fachliteratur als Grundlage für den vorliegenden Educational Artikel dient.

Leitsymptome von primären Immundefekten

Pathologische Infektionsanfälligkeit und ihre Charakterisierung

Ein wesentliches Leitsymptom primärer Immundefekte ist das Vorhandensein einer pathologischen Infektionsanfälligkeit. Die Grenze zwischen physiologischer und pathologischer Infektionsanfälligkeit ist in der Praxis oftmals schwer zu ziehen, da ein Mangel an Richtwerten für eine altersübliche physiologische Infektionsanfälligkeit besteht. Diesbezüglich existieren keine prospektiven Studien. Altersabhängige Infektionsanfälligkeit konnte zwar belegt werden [13], jedoch wird das klinische Bild durch den Einfluss zahlreicher altersunabhängiger Parameter ebenso beeinflusst: soziale Struktur/Wohnqualität, im Kindesalter der Besuch einer Kinderbetreuungseinrichtung, oder Umweltfaktoren insbesondere Aktiv- oder Passivrauchen [14]. Um Ärzten/Ärztinnen die Diagnosestellung zu erleichtern wurde im Rahmen der AWMF-Leitlinien das Akronym ELVIS (Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität, Summe) eingeführt (Farmand S et al.: Leitlinie „Diagnostik auf Vorliegen eines primären Immundefekts“ – Abklärung von Infektionsanfälligkeit, Immundysregulation und weiteren Symptomen von primären Immundefekten. AWMF 10/2017: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/112-001.html). In der Praxis helfen somit folgende Punkte eine pathologische Infektionsanfälligkeit zu identifizieren und den Verdacht eines primären Immundefekts auszusprechen:

Erreger.

E bezieht sich auf das Erregerspektrum, wie etwa das Auftreten einer Infektion mit einem opportunistischen Keim. Hierzu zählen zum Beispiel eine Candidasepsis oder Darminfektionen durch Cryptosporidien oder Mikrosporidien.

Lokalisation.

Eine ungewöhnliche Lokalisation von Infektionsherden, etwa einer Toxoplasmose des ZNS oder wiederkehrende schwere polytope Infektionserkrankungen, legen den Verdacht auf eine systemische Immunschwäche nahe.

Verlauf.

Der Verlauf von Infektionserkrankungen ist im Rahmen eines Immundefektes häufig protrahiert oder chronisch und/oder die Infektion spricht nur unzureichend auf (orale) Antibiose an. Ein typisches Beispiel wäre die chronische Rhinosinusitis, wo immer wiederkehrende Verschlechterung und hartnäckige Therapieresistenz einen klaren Verdachtsmoment für das Vorliegen eines Immundefektes nahelegen [15].

Intensität.

Ebenso ist die Intensität von Infektionserkrankungen bei Immundefekten häufig erhöht. Ein vermehrtes Auftreten von sogenannten Major-Infektionen wie Pneumonien, Meningitiden, Osteomyelitiden, Septitiden, septischen Arthritiden, Empyemen und/oder tiefen Viszeralabszessen gelten als Warnsignale [16, 17, 18].

Summe.

Schließlich ist eine große Summe (Häufigkeit) von Infektionen ein Hinweis auf das Vorliegen eines PID, wobei allerdings keine exakten Schwellenwerte festgelegt werden können – siehe Tab. 2.

Tab. 2 Kriterien für pathologische Infektionsanfälligkeit. Adaptiert nach Monto et al. [13] und Wahn et al. [19]

Beeinträchtigung der Immunregulation und ihre Charakterisierung

Das klinische Erscheinungsbild von PID kann, abgesehen von immer wiederkehrenden und ungewöhnlichen Infektionen, auch durch die Störung der Immuntoleranz gegenüber körpereigenen Strukturen geprägt werden (Störung der immunologischen Homöostase). Immundysregulation manifestiert sich dabei in Form von Autoimmunerkrankungen, Hautekzemen, chronischen Darmentzündungen, Allergien, chronisch-rezidivierendem Fieber, sowie der Ausbildung von Granulomen. Immundysregulation kann mit oder ohne begleitende Infektionsanfälligkeit einhergehen. Zur besseren Beschreibung von Immundysregulation im Rahmen von PID wurde das Akronym GARFIELD etabliert (Granulome, Autoimmunität, Rezidivierendes Fieber, ungewöhnliche Ekzeme, Lymphoproliferation, chronische Darmentzündung) [12].

Granulome

(„sarcoid-like lesions“) sind entzündliche Infiltrate, welche durch Einwanderung von Makrophagen in parenchymatöse Organe verursacht werden, die als knötchenförmige Strukturen imponieren. Granulome sind pathognomonisch für bestimmte Infektionserkrankungen bzw. Entzündungsreaktionen und assoziiert mit spezifischen Erregern (z. B. M. tuberculosis). Eine Assoziation zwischen spezifischen Erregern und Granulomen ist jedoch bei PatientInnen mit primären Immundefekten nur selten nachweisbar. Granulome werden insbesondere in Patientenkollektiven mit septischer Granulomatose und CVID beobachtet [20]. Eine rezente Metastudie zur Prävalenz von Granulomen in PID PatientInnen zeigte allerdings lediglich ein Auftreten bei 1 bis 4 % der PatientInnen, was nahe legt, dass Granulome insgesamt, in Bezug auf alle Immundefekterkrankungen, eine eher seltene Erscheinung sind [21].

Autoimmunität.

Eine wesentliche Erscheinung bei PID sind Autoimmunerkrankungen. Was in älteren Lehrbüchern als Paradoxon beschrieben wurde, ist inzwischen etabliertes Wissen und wird als Immundysregulation bezeichnet (überschießende immunologische Reaktion bei Immundefekt/-defizienz). Häufig kommt es zu Autoimmunzytopenien, welche nicht unbedingt mit einer erhöhten Infektionsanfälligkeit kombiniert sein müssen. Weitere Manifestationen sind Gelenksbeteiligungen/Arthritis, Vitiligo, Sicca-Syndrom, Sjögren-Syndrom, Diabetes mellitus, multiple Sklerose und die autoimmune Thyreoiditis [22, 23]. Eine Zusammenstellung von Autoimmunerkrankungen mit nachgewiesenem Zusammenhang mit PID ist in Tab. 3 dargestellt.

Tab. 3 Autoimmunerkrankungen mit nachgewiesenem Zusammenhang mit PID modifiziert nach Cunningham-Rundles et al. [24]

Ausprägungen von Autoimmunphänomen bei PID sind sowohl in ihrer klinischen Manifestation als auch bezüglich des Zeitpunktes ihres ersten Auftretens hochgradig variabel. Gut definierte Erkrankungen mit Immundysregulation stellen das IPEX Syndrom, das Omenn-Syndrom oder das Autoimmun-Lymphoproliferative Syndrom (ALPS) dar. Bei anderen PID zeigen sich bei ca. 20–40 % autoimmunologische klinische Bilder, z. B. bei Wiskott-Aldrich Syndrom, CVID und septischer Granulomatose [23, 24].

Rezidivierendes Fieber

ohne zugrunde liegende Infektion ist das Hauptsymptom der periodischen Fiebersyndrome (Erkrankungen der Gruppe VII PID Nomenklatur – Tab. 1). In dieser Krankheitsgruppe werden u. a. das familiäre Mittelmeerfieber, das Hyper-IgD-Syndrom, das TNF-Rezeptor-assoziierte periodische Syndrom (TRAPS) und das Cryopyrin-assoziierte periodische Syndrom (CAPS) zusammengefasst [25]. Typische Begleitsymptome periodischer Fiebersyndrome sind das Auftreten von Pharyngitis, zervikaler Lymphadenopathie und aphtöser Stomatitis, sowie Serositis welche Abdominalschmerzen, Thoraxschmerzen oder Gelenksschmerzen verursachen können [25].

Ekzematöse Hauterkrankungen.

Weitere frühe Symptome für PID sind Pathologien der Haut, die bei 40–70 % der diagnostizierten PatientInnen auftreten [26]. Weitere Hautsymptome bei PID sind Erythrodermien, Hautgranulome, Dysplasien der Haut, Haare und Nägel sowie Vaskulitiden. Da die Haut ein gut zugängliches Organ darstellt, und ihre Veränderungen entsprechend leicht wahrnehmbar sind, sind Hautveränderungen sehr hilfreich für die Diagnose von PID. Eine umfassende und nützliche Gegenüberstellung von Hauterscheinungen, ihrer möglichen genetischen Ursachen und den zu ihrer Bestimmung nötigen labordiagnostischen Maßnahmen wurde kürzlich von Ettinger und Kollegen publiziert [27].

Lymphoproliferation.

Als weiteres Leitsymptom von PIDs ist die überschießende Proliferation von Lymphozyten (Lymphoproliferation) sowohl im Rahmen von (bestimmten) Infektionserkrankungen, als auch autochton zu nennen. Diese treten auf Grund von Störungen von lymphozytären Regulationsmechanismen zu Tage und manifestieren sich als Splenomegalie, Hepatomegalie und Lymphoadenopathie und können zur Ausbildung von tertiärem lymphatischem Gewebe vorwiegend in der Lunge und im Gastrointestinaltrakt führen.

Chronische Darmentzündung.

Häufige gastrointestinale Symptome bei PID reichen von milden Symptomen wie Meteorismus über rezidivierende Diarrhöen, Malabsorptionssyndrome, bis zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Die Häufigkeit von GI-Symptomen bei PID erklärten sich dadurch, dass der Gastrointestinaltrakt mit seinem assoziierten lokalen Immunsystem meist als größtes immunologisches Organ eingestuft wird (geschätzte Oberfläche: >100 m2), welches sich kontinuierlich mit potentiellen Krankheitserregern (Mikroorganismen des GI-Trakts-Mikrobiom) auseinandersetzen muss. Demgemäß kann eine Vielzahl sowohl infektiöser Pathologien, aber auch nicht infektiöser Pathologien des GI-Trakts auf einen PID hinweisend sein. Entzündungen des GI-Trakt treten bei diversen PID-Erkrankungen (5–50 % aller PID PatientInnen) auf und tragen zur erhöhten Morbidität bei. Diese PID-assoziierten GI-Erkrankungen zeichnen sich wiederholt durch eine ausgeprägte Therapieresistenz gegenüber konventionellen Behandlungen aus und können den weiteren Erkrankungsverlauf beträchtlich verkomplizieren. Als spezifische Krankheitsbeispiele seien die GI-Beteiligung bei CVID, bei IL-10R Defekt und bei LRBA Defizienz genannt.

PID und erhöhte Disposition zur Entwicklung von Lymphomen

Schon früh wurde erkannt, dass PID mit einer erhöhten Prädisposition für die Ausbildung von bestimmten Malignomen vergesellschaftet ist [28], was durch rezente Studien bestätigt wurde, die gezeigt haben, dass sich in Kollektiven von PID-PatientInnen eine 10-fach (Männer) bzw. 8,5-fach (Frauen) erhöhte Inzidenz für Lymphome zeigt. Neben der fehlenden Immunkontrolle und chronischen Entzündungen tragen dabei Störungen der DNA-Reparaturmechanismen wesentlich zur Lymphomneigung bei [29].

Im Gegensatz dazu haben die Daten des Registers des United States Immune Deficiency Networks für PID-PatientInnen nur geringfügig erhöhte Inzidenzraten für Malignome insgesamt gezeigt. So wurde insgesamt ein nur etwa 1,42-fach erhöhtes relatives Risiko ermittelt, wobei sich dies im Wesentlichen durch die 1,91-fach erhöhte Malignominzidenz bei Männern zurückzuführen ließ, während weibliche PID-Patientinnen keinen signifikanter Unterschied zur Kontrollpopulation aufwiesen [30]. Für die vier häufigsten Krebsarten (Lungen‑, Colon‑, Brust- und Prostatakrebs) bestand bei beiden Geschlechtern kein Unterschied zur Kontrollgruppe [28].

Andere Leitsymptome mit geringerer Häufigkeit

Mit zunehmender Datenlage zeigt sich, dass in der pädiatrischen Population zahlreiche syndromale Erkrankungen mit Immundefekten assoziiert sind. Dazu gehören z. B. das Wiskott-Aldrich Syndrom mit seinem charakteristischen Hautausschlag und der Thrombozytopenie, das DiGeorge Syndrom mit dem kombinierten Auftreten typischer Fehlbildungen (kardiale Vitien, Kieferspalten, Retardierung psychomotorischer Entwicklung, Sprachentwicklungsstörung, bei Erwachsenen Di George PatientInnen 20 % Schizophrenie), oder aber Kleinwuchs, Microencephalie oder Albinismus. Neuromuskuläre Störungen mit Problemen der Bewegungskoordination können als Hinweis auf das Vorliegen einer Ataxia telengiectasia dienen, eine schlaffe Lähmung nach einer oralen Polio-Immunisierung (wird durch verstärkte Migration auch im europäischen Raum wieder gesehen) kann ein Anzeichen für einen kombinierten Immundefekt oder einen Antikörpermangel sein. Das Auftreten kognitiver Beeinträchtigungen, Nystagmus und Neuropathien bestehen typischerweise im Rahmen eines Chediak-Higashi Syndroms [31].

Medizinische Notfälle unter den primären Immundefekten

In einigen Fällen, vor allem bei Neugeborenen und Säuglingen, kann eine PID-Erkrankung unmittelbar lebensbedrohlich sein und einen medizinischen Notfall darstellen. Die Leitlinien des AWMF enthalten daher eine Liste von Erscheinungen, die den sofortigen Kontakt mit einem immunologischen Expertisezentrum verlangen [12].

  • Erythrodermie in den ersten Lebenswochen (V. a. schweren kombinierten Immundefekt)

  • schwere Lymphopenie im 1. Lebensjahr (V. a. schweren kombinierten Immundefekt)

  • persistierendes Fieber und Zytopenie (V. a. primäres Hämophagozytosesyndrom)

  • schwere Neutropenie im Kindesalter (<500/μl, V. a. schwere kongenitale Neutropenie)

  • schwere Hypogammaglobulinämie (V. a. schweren kombinierten Immundefekt oder Agammaglobulinämie).

(Früh‑)Erkennung PID bei Kindern und Erwachsenen

Die Früherkennung von PID spielt eine wichtige Rolle, um langfristige Folgeschäden zu vermeiden [1, 6]. Dementsprechend wurden zahlreiche, beständig aktualisierte Tabellen mit typischen Warnzeichen zur Erkennung primärer Immundefekte publiziert [32]. Eine Gemeinsamkeit dieser Listen ist, dass sie nicht unbedingt auf systematischen Studien basieren, sondern ExpertInnenmeinungen repräsentieren. Eine rezente Evaluierung der durch die „European Society for Immunodeficiencies“-ESID veröffentlichten Liste von 6 Warnzeichen zur Identifikation von PID bei adulten PatientInnen [33] zeigte, dass diese unzureichend ist [34]. Daher hat die Leitliniengruppe der AWMF eine überarbeitete Liste erstellt, die ELVIS und GARFIELD berücksichtigt und zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheidet (siehe Tab. 4; [12]).

Tab. 4 Revidierte Liste der Warnzeichen zur (Früh‑)Erkennung von PatientInnen mit PID leicht modifiziert nach der AWMF Leitlinie von 2017

PID bei Erwachsenen

Etwa die Hälfte aller PID-Erkrankungen manifestieren sich frühzeitig, was dem Charakter vieler angeborener Erkrankungen entspricht. Dennoch manifestiert sich die Erkrankung bei 50 % der PatientInnen erst im Erwachsenenalter [35].

Auch im Erwachsenenalter sind die häufigsten PID-Antikörpermangelerkrankungen [36]. Tatsächlich gibt es z. B. beim variablem Immundefektsyndrom (CVID) zwei Höhepunkte für die Erkrankungsmanifestation, welche einerseits typischerweise im Kindheitsalter bis zu 10 Jahren und andererseits später im Alter von 30–40 [37] angesiedelt sind.

Die Steigerung der „awareness“ scheint vor allem für die rasche Diagnose der CVID Erkrankung in Erwachsenenkollektiven relevant zu sein, da in dieser Altersgruppe die Symptome, sich aus zunächst völliger Gesundheit entwickeln.

Aktuell liegen in Österreich die Zahlen in den registrierten Immundefektkohorten sowohl für Erwachsene, als auch Kinder- und Jugendliche deutlich unter den zu vermutenden, wenn Vergleiche mit anderen europäischen Ländern angestellt werden. Die Dunkelziffer bei der Diagnose von Immundefekterkrankungen muss daher als hoch eingestuft werden.

Differentialdiagnosen

Eine erhöhte Infektionsanfälligkeit, ein Schlüsselsymptom von PID-PatientInnen, kann auch die Folge zahlreicher anderer chronischer Erkrankungen sein. So ist diese typisch für chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Fettleibigkeit oder diverse Herzerkrankungen, und tritt ebenso im Rahmen des Asthma bronchiale und angeborenen Erkrankungen der Lunge, wie etwa der zystischen Fibrose auf. Auch sekundäre Immundefekte, wie zum Beispiel iatrogene Formen von Antikörpermangel (nach B‑Zell-Depletionstherapie/Rituximab® oder nach CD19-CAR-T-Zell-Therapie) oder virusassoziierte sekundäre Immundefekte wie bei HIV Infektion, müssen ausgeschlossen werden. Die oftmals schwierige Abgrenzung zu anderen Erkrankungen kann bei PID zu einer deutlichen Diagnoselatenz führen. Es wurde von mehrjährigen Verzögerungen zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung berichtet, teils mit gravierenden Folgen [5]. In einer dänischen Studie betrug die mittlere Diagnoseverzögerung bei CVID-PatientInnen 7 Jahre [38].

Diagnostische Wertigkeit von auffälliger Klinik und auffälligen Laborbefunden

De Vries et al. haben die Kernaussagen von zahlreichen publizierten Leitfäden zusammengefasst und kamen zu dem wesentlichen Schluss, dass insbesondere das Bewusstsein („awareness“) für PID-Erkrankung weiter gesteigert werden muss, da aufgrund der Heterogenität von PID-assoziierten Symptomen und aufgrund der Seltenheit der Einzeldiagnosen auch heute noch eine hohe diagnostische Latenz besteht [39]. Als praktische Umsetzung vor allem des ELVIS Schemas sei hier noch einmal die erste diagnostische Annäherung geschildert. Als auffälligste erste klinische Erscheinungen nennen de Vries und Kollegen sinopulmonale Infektionen, z. B. Sinusitiden, Bronchitiden, Pneumonien, sowie gastrointestinale Störungen, z. B. Diarrhoen [39]. Wenn wiederkehrende Infektionen sich polytop manifestieren und sich zudem ungewöhnlich schwerwiegend, kompliziert und als Antibiotika-resistent erweisen sollten, sowie bei Infektionen mit atypischen Erregern, ist ein erster Verdacht auf Vorliegen eines PID begründet. Ebenso verhält es sich bei chronischen Diarrhoen, insbesondere wenn im Säuglingsalter und bei Kleinkindern Gedeihstörungen hinzukommen oder bei Erwachsenen ein signifikanter Gewichtsverlust (ohne andere Ursache) zu Tage tritt. Des Weiteren stellen Soor-Ösophagitiden, orale Aphten, Parodontitis, sowie Hautekzeme und entzündliche Dermatosen „Warnhinweise“/Leitsymptome von Immundefekterkrankungen dar.

Labordiagnostisch kann auch im niedergelassenen Bereich durch Quantifizierung der Immunglobuline (IgG, IgA, IgM und IgE!) und des Differentialblutbildes unter Beachtung der altersabhängigen Normwerte eine immunologische Basisabklärung in Angriff genommen werden. Es muss allerdings bedacht werden, dass Normalwerte bei diesen Parametern keine endgültige Entwarnung rechtfertigen, da v. a. Defekte der angeborenen Immunität (etwa des Komplementsystems, sowie Störungen von immunregulatorischen Mechanismen, u. a. m.) in diesen Befunden nicht miterfasst werden. Allerdings können nicht nur verminderte, sondern auch erhöhte Immunglobulinspiegel auf einen Immundefekt hinweisen. Dies gilt im Speziellen für IgE, IgM, aber auch für erhöhtes IgG (Laborzeichen einer Immundysregulation). Auch das Differentialblutbild stellt einen wesentlichen Parameter dar. Wichtig sind die Absolutzahlen aller Zellpopulationen, da prozentuelle Werte nur eine eingeschränkte Aussagekraft aufweisen. Weitere Hinweise auf das Vorliegen eines PID kann eine Eosinophilie liefern.

Da bei rund der Hälfte aller PID-PatientInnen ein Antikörpermangel nachweisbar ist, ist der Stellenwert der Serumantikörperbestimmung besonders wichtig. Allerdings sind gerade in den ersten Lebensmonaten und -jahren altersgemäße Normwerte zu beachten. So können einerseits frühkindlich noch Antikörper aus dem mütterlichen Blut nachweisbar sein, anderseits muss der Entwicklung des Immunsystems Rechnung getragen werden.

Weitergehende komplexe labordiagnostische Algorithmen für die Abklärung von PIDs sollten nur bei stark begründetem Verdacht und von SpezialistInnen initiiert werden. Die Befundinterpretation ist komplex und aus diesem Grund betont die deutschsprachige S2-Leitlinie auch die Bedeutung spezialisierter Immundefektzentren zur Betreuung von PatientInnen mit Immundefekten.

Steigender Wert der genetischen Diagnostik

Um die Diagnose eines PID letztlich abzusichern, bedarf es idealerweise des direkten Nachweises des zu Grunde liegenden Gendefekts. Beachtenswert ist die Tatsache, dass dieselben Genmutationen sich phänotypisch unterschiedlich auswirken können, was insbesondere dann der Fall ist, wenn das betroffene Genprodukt nicht völlig fehlt oder funktionslos ist, sondern noch in geringerem Ausmaß exprimiert wird, aber teils dysfunktionell ist. Eine solche fehlende strikte Genotyp-Phänotyp Korrelation (also eine exakt wiederkehrende Korrelation zwischen Gendefekt und symptomatischem Erscheinungsbild) besteht zudem oft auch in umgekehrter Hinsicht, d. h., ähnliche klinische Erscheinungen können aus Defekten unterschiedlicher Gene resultieren. Eine Diagnose kann daher nicht ausschließlich auf Basis eines genetischen Tests gestellt werden, sondern nur unter Berücksichtigung der Ergebnisse der immunologischen Laboruntersuchungen und der klinischen Präsentation. Hinzu kommt, dass zwar die meisten bislang bekannten PID monogenetisch determiniert sind, eine zunehmende Zahl an Erkrankungen aber durch multiple Gendefekte bedingt zu sein scheint. Obwohl die genetische Diagnostik bei PID-PatientInnen aufwendig und langwierig sein kann (>350 Gendefekte bereits 2017 definiert), ist es state-of-the-art bei entsprechender Klinik plus auffälligen immunologischen Laborbefunden die genetische Diagnostik voranzutreiben. Die pathophysiologische Klärung, der in den Krankheitsverlauf kausal involvierten Gene, kann eine zielgerichtete personalisierte Therapie i. S. präzisionsmedizinischer Maßnahmen nach sich ziehen und den Krankheitsverlauf in relevantem Maß beeinflussen. Wie eine rezente Studie zeigte, konnten z. B. durch den systematischen Einsatz der Exom-Sequenzierung in 24 % der untersuchten PID-PatientInnen neue pathogene Varianten eines bereits etablierten PID-Gens gefunden werden und in 34 % der PatientInnen resultierte aus der genetischen Analyse eine neue Behandlungsmöglichkeit [40]. Eine weitere Metastudie zeigte, dass durch Next-Gen-Sequencing Untersuchungen an klinisch definierten, aber genetisch ungeklärten PatientInnen zwischen 15 und 79 % der PatientInnen genetisch diagnostiziert werden konnten [41]. Der Stellenwert und die Priorisierung von „targeted Next-Gen-Sequencing platforms“ wird aktuell im Vergleich zu anderen genetisch-diagnostischen Technologie noch diskutiert [42].

Weitere detailliertere immunologische Untersuchung

Zu den weiteren, in der Leitlinie der AWMF diskutierten immunologischen Untersuchungen gehören die Bestimmung der Impfantikörper, woraus unter Berücksichtigung der jeweils vorgenommenen Impfung und des Alters der PatientInnen Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit des Immunsystems möglich sind (immunologische Gedächtnisfunktion/Effizienz eines Impfboosters getestet nach Re-Vakzinierung). Ebenso ist die Bestimmung der IgG-Subklassen unter Berücksichtigung des PatientInnenalters in der Zusammenschau mit der klinischen Diagnostik ein wichtiger Indikator für PID.

Ein weiterer diagnostischer Parameter, der bei entsprechendem Hintergrundwissen und ausreichender Erfahrung von großem Wert ist, ist die Lymphozytenphänotypisierung (anhand der Durchflusszytometrie/FACS-Analyse [43]), deren Ergebnis für die Wahl weiterer Diagnosemaßnahmen essentiell sein kann. Von vergleichsweise geringerem Wert ist die Eiweißelektrophorese zur Diagnose von Paraproteinämie oder Hypoproteinämie, weil damit nicht zwischen Antikörperklassen unterschieden werden kann.

Eine detaillierte immunologische Diagnostik kann auch funktionelle Untersuchungen von Leukozytenpopulationen erfordern. Dies gilt vor allem für die Diagnostik von Granulozytenfunktionsdefekten, wo mit gut etablierten durchflusszytometrischen (FACS) Tests, Störungen im respiratory burst (O2-Sauerstoffradikalbildung) nachweisbar sind. Weitere zelluläre Funktionstests sind für Lymphozyten-Proliferationsmessungen und NK-Zell Zytotoxizitätsanalysen etabliert. Im Rahmen der Lymphozytenfunktionstestung können Störungen der Antigen-präsentierenden Zellen von Störungen der T Lymphozytenaktivierung abgegrenzt werden.

Untersuchungen der Komplementfunktion erscheinen ebenso ausschließlich bei begründetem Verdacht (bei typischer Klinik: schwere bakterielle Infekte plus Autoimmunerkrankung) sinnvoll.

Einerseits weil die Tests auf CH50 (klassische Komplementaktivierung) und AH50 (alternativer Weg der Komplementaktivierung) bei verzögerter Untersuchung wegen langer Transportwege häufig falsch positive Ergebnisse liefern, zum anderen da Komplementdefekte innerhalb der PID-Erkrankungen eine Rarität darstellen.

Therapie von PID und Management der nichtinfektiösen Manifestationen

Angesichts der großen Anzahl an PID und der geschilderten Heterogenität der klinischen Phänotypen sowie der diversen pathophysiologischen Ursachen von PID gibt es keine allgemeingültigen Richtlinien für deren Behandlung. Während Infektionen auf Grund von Antiköperproduktionsstörungen mittels passiver Immunglobulin-Substitution und antimikrobieller Therapie behandelt werden können, stellt das Management der nichtinfektiösen Manifestationen eine große Herausforderung dar. Therapieansätze orientieren sich hier an bereits etablierten Therapien der jeweiligen Fachrichtungen bzw. am spezifischen PID zugrundeliegenden Gendefekt.

Immunglobulinersatztherapie

Antikörpermangelerkrankungen stellen die größte Gruppe der angeborenen Immundefekte dar. Der Nutzen einer Immunglobulinersatztherapie konnte in vielen Kohortenstudien belegt werden [44, 45, 46, 47]. Ziel einer Immunglobulin Therapie ist es die Anzahl an infektiösen Erkrankungen zu minimieren. Zur Einschätzung, wann eine Immunglobulinersatztherapie indiziert ist, wird neben einer pathologischen Infektionsanfälligkeit die Impfantwort der PatientInnen als wesentliches Kriterium herangezogen. Als Grenzwert hat sich dabei aus überwiegend praktischen Gründen eine Verdopplung der spezifischen Pneumokokken-IgG Konzentration innerhalb von 4–6 Wochen nach Booster-Impfung im Vergleich zum Kontrollwert vor der Impfung etabliert. Ist die Impfantwort unzureichend, empfiehlt die neueste Leitlinie der AWMF mit sehr starkem Konsens den Beginn einer Immunglobulinersatztherapie, wobei bezüglich ihrer Wirksamkeit verschiedene Krankheitsgruppen unterschieden werden [48].

Ein klar erwiesener Nutzen der Ig-Therapie ist bei Agammaglobulinämie und bei Hypogammaglobulinämie mit eingeschränkter Impfantwort gegeben. Wenn zusätzlich eine Immundysregulation festgestellt wird, wird auch bei fehlender Infektionsanfälligkeit die Erwägung einer Immunglobulinersatztherapie empfohlen. Ein wahrscheinlicher Nutzen der Therapie liegt bei Hypogammaglobulinämie mit normaler Impfantwort und pathologischer Infektionsanfälligkeit vor. Dies kann z. B. für PatientInnen mit sogenannter „unclassified anitbody deficiency“ vorliegen, sowie bei spezifischem/selektivem Antikörpermangel und bei ausgewählten monogenetischen PID mit quantitativer und/oder qualitativer Störung der Antikörperproduktion.

Immunsuppressive und immunmodulierende Therapien

Der Einsatz dieser Therapien bei verschiedenen Organmanifestation ist am besten beim mannigfaltigen CVID beschrieben. Die häufig auftretenden autoimmunen Zytopenien werden oft vor der eigentlichen Diagnose des PIDs erkannt. Für die Therapie der Zytopenien stellen Glukokortikoide die First-Line-Therapie dar [49]. Bei PatientInnen mit refraktären Zytopenien ist die Behandlung mit anti-CD20, Rituximab, eine Therapieoption und führte bei 50 % der CVID-PatientInnen zu einem klaren Ansprechen [50]. Im Fall gastrointestinaler Beteiligungen stellen nach Ausschluss einer Infektion neben diätologischen Maßnahmen Glukokortikoide die Therapie der Wahl dar. Für therapierefraktäre PatientInnen könnte eine Verbesserung der Symptome durch eine Therapie mit Infliximab erzielt werden. In einer kleinen Fallstudie konnte zwar eine Verbesserung der klinischen Symptomatik, allerdings kein Einfluss auf das histologische Erscheinungsbild gezeigt werden [51]. Beim Auftreten schwerer zöliakieähnlicher Symptome können immunmodulatorische Therapien mit 6‑Mercaptopurin und Azathioprin in Kombination mit einer Immunglobulinsubstitution angestrebt werden [52]. Bei auftretenden Granulomen konnten bisher keine effektiven Behandlungsstrategien etabliert werden. Fallstudien beschreiben ein teilweises Ansprechen der Granulome auf Infliximab [53].

Im Falle einer Gelenksbeteiligung wird die Diagnosestellung durch das eventuelle Fehlen von Autoantikörpern (ANA und RF) erheblich erschwert. Nach dem obligaten Ausschluss einer infektiösen Ursache kann die Ig-Substitutionstherapie eine Verbesserung der Symptomatik erzielen [54]. Im Falle einer destruierenden Arthritis sollten die für die rheumatoide Arthritis geltenden Guidelines angewendet werden [55]. Im Falle von periodischen Fiebersyndromen, wie dem häufig vorkommenden familiären Mittelmeerfieber, stellt Colchizin die Therapie der Wahl dar. Bei Nichtansprechen auf diese Therapieform kann die Blockade des IL‑1-Rezeptor-Signalweges erwogen werden. Hier stehen zur Zeit drei Biologika zur Verfügung: Rilonacept, Canakinumab und Anakinra. In ausgewählten Fällen wurden auch Januskinase-Inhibitoren eingesetzt [56].

Kurative hämatopoetische Stammzelltransplantation

Im Falle von Antikörpermangelerkrankungen und zusätzlich bestehenden zellulären Immundefekten ist die alleinige Behandlung mit Immunglobulinen und/oder immunmodulierenden Substanzen nicht ausreichend, für diese Fälle stellt die Stammzelltransplantation die einzige Möglichkeit für eine kausale Therapie dar.

Gentherapie als Zukunftshoffnung

Eine Weiterentwicklung der hämatopoietischen Stammzelltherapie stellt die Stammzelltherapie mit gentechnisch „korrigierten“ Zellen dar. Für diesen Ansatz werden autologe Stammzellen der PatientInnen gewonnen, das defekte Gen durch ein korrektes ersetzt und anschließend die so behandelten Stammzellen autolog transplantiert [57].

Erste zugelassene Gentherapie für den schweren kombinierten Immundefekt (SCID), welcher aufgrund eines ADA Enzymmangels entsteht, ist das Präparat Strimvelis®.

Der eminente Vorteil ist die Kompatibilität der transplantierten genetisch korrigierten Stammzellen. Entwicklungsbedarf und Optimierung der meisten bisherigen Techniken wird auf Seite der Vektoren zu leisten sein, welche die korrekten Gene in kompatible Genabschnitte der Stammzellen inserieren.

Schließlich eröffnen sich auch durch die Entwicklung von „genome editing platforms“ sowie durch die CRISPR/Cas9-Technologie neue Möglichkeiten, deren Anwendungen zur Behandlung von PID in experimentellen Ansätzen getestet werden [58].

Ausblicke: Neugeborenen-Screening und Zentren der PID-Diagnostik und -therapie

Da sich viele PID bereits früh, d. h. im Säuglingsalter, manifestieren können und daher bei mangelhafter Diagnose und Therapie mit hohen Morbiditäts- und Mortalitätsraten verbunden sind, wurde über viele Jahre hinweg die Etablierung eines Neugeborenen-Screenings für schwere kombinierte Immundefekte (SCIDs), gefordert. Nachdem im Jahre 2018 alle US-Staaten Neugeborenen-Screenings etabliert haben [59], sind solche SCID-Screenings seit Anfang 2019 in der Schweiz und seit Juli 2019 auch in Deutschland ein Teil des Neugeborenen-Screenings (ursprünglich Stoffwechsel-Screening-Untersuchungen), nachdem eine Kosten-Nutzenbewertung positiv ausfiel. Auch in Österreich wurde in den Jahren 2018–2019 eine Pilotstudie für das Neugeborenen-Screening auf schwere T‑Zell- und schwere B‑Zell-Defekte durchgeführt. Die Entscheidung zur flächendeckenden Umsetzung dieses Verfahrens wird auf gesundheitspolitischer Ebene zu fällen sein.

Aufgrund einer Schätzung, dass ungefähr 70 % der PatientInnen, die an PID leiden, nicht korrekt oder mit relevanter zeitlicher Verzögerung diagnostiziert werden, erhebt sich die Forderung nach der Etablierung von spezialisierten Zentren, sowohl in der Erwachsenenmedizin, als auch in der Kinder- und Jugendheilkunde die mit Labors zur spezialisierten Diagnostik zusammenarbeiten. Durch Verfügbarkeit von SpezialistInnen und detaillierten Nachweismethoden existiert die Möglichkeit PID-Erkrankungen frühzeitig zu diagnostizieren und durch zielgerichtete Behandlung Kosten für das Gesundheitssystem im Langzeitverlauf zu reduzieren. Die frühzeitige Behandlung würde auch unmittelbar zur Senkung der Morbidität und Mortalität der PatientInnen beitragen, daher wird auch in den Leilinien der AWMF die Betreuung von PatientInnen in Expertisezentren empfohlen.