Einleitung

Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung wissenschaftlicher Forschung zur effektiven Gesundheitskommunikation auf dramatische Weise herausgestellt. Sie machte Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Virus erforderlich, die von der Bevölkerung verstanden, als sinnvoll erachtet und eingehalten werden sollten.

Der Strafvollzug, für den sowohl ein erhöhtes Verbreitungsrisiko als auch besondere Folgen im Falle eines COVID-Ausbruchs angenommen werden mussten, wurde in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion kaum fokussiert. Dabei weisen Strafgefangene eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung wesentlich höhere Prävalenz physischer und psychischer Erkrankungen auf (Fazel und Baillargeon 2011), die eine erhöhte Anfälligkeit für COVID-19 bedingen könnten.

Als einen relevanten Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf und eine erhöhte Mortalität konnte außerdem das Alter identifiziert werden (Li et al. 2021). Vor dem Hintergrund der weltweit alternden Gefangenenpopulation (Williams et al. 2012) verdient dieser Risikofaktor besondere Aufmerksamkeit.

Wegen der räumlichen Nähe der Gefangenen in Gefängnissen muss grundsätzlich ein erhöhtes Verbreitungsrisiko von Krankheitserregern angenommen werden (Lemasters et al. 2020; Maner et al. 2021). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass infizierte Gefängnisbedienstete das Virus auch über die Gefängnismauern hinaus verbreiten können. Somit kommt dem Infektionsgeschehen in Vollzugseinrichtungen auch unter dem Gesichtspunkt der Public Health große Bedeutung zu.

Social Distancing im Strafvollzug

Bezogen auf die Allgemeinbevölkerung ist das Social Distancing bzw. die physische Isolation die effektivste Strategie, um die Verbreitung des SARS-CoV-2 zu reduzieren (Chen et al. 2020; Henry 2020). Doch ist diese Maßnahme im Strafvollzug nur schwer auf rechtssicherem und ethisch vertretbarem Wege umzusetzen (Carvalho et al. 2020). Davon abgesehen können Maßnahmen des physischen oder sozialen Isolierens per se als restriktiv und potenziell bestrafend wahrgenommen werden (Tomlin 2020), wobei die Art, wie die Entscheidungen und Maßnahmen von der Gefängnisleitung oder dem Personal kommuniziert werden, die Wahrnehmungen der Inhaftierten entweder verschärfen oder abmildern können (Garrihy et al. 2023). Nicht irrelevant sind dabei Zusammenhänge zwischen der Perzeption und klinisch relevanten Symptomen der Inhaftierten (Tomlin 2020) und auch hinsichtlich deren Lebenszufriedenheit und des sozialen Klimas (Liebling 2011).

Das Cocooning bezeichnet die Isolation von älteren und aufgrund von Vorerkrankungen besonders vulnerablen Inhaftierten (Garrihy et al. 2023). Bei der Untersuchung dieser Schutzmaßnahme und deren Wahrnehmung durch betroffene Inhaftierte zeigte sich, dass die Strafgefangenen der Maßnahme anfangs ambivalent gegenüberstanden und sie sowohl als eine Bestrafung, ähnlich einer Einzel- oder Isolationshaft, auffassten als auch das Ziel ihres Schutzes verstanden. Nach einiger Zeit jedoch berichteten die Teilnehmenden sowohl einen gravierenden Einfluss auf ihre mentale und physische Gesundheit als auch negative Konsequenzen hinsichtlich ihrer Handlungsfähigkeit und ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen (Garrihy et al. 2023). Die Vermutung liegt nahe, dass das Cocooning die Wirkung des ohnehin deprivierenden strafvollzuglichen Alltags (Crewe 2011), der mit Isolation, restriktivem Zugang zu (medizinischen) Dienstleistungen und engen Handlungsspielräumen einhergeht und damit der physischen und psychischen Gesundheit der Inhaftierten schadet, in ihrer Intensität noch verstärkt (Garrihy et al. 2023; Johnson et al. 2021). So deuten viele Studien auf eine Verschlimmerung von (u. a.) Depressions- und Angstsymptomatik während der Pandemie hin (Gray et al. 2021; Suhomlinova et al. 2022).

Diesen Befunden zum Trotz zählte die Einschränkung der Besuchskontakte zu den weltweit sehr extensiv eingesetzten Strategien und führte in Ländern wie Brasilien, Kolumbien und Italien zu negativen Konsequenzen wie Gefängnisaufständen und -ausbrüchen (Avafia et al. 2020; Henry 2020).

Besteht die Möglichkeit, die ungünstigen Effekte pandemiebedingter Schutz- und Hygienemaßnahmen im Strafvollzug zu mildern? Um die negativen Effekte des Social Distancing zu reduzieren, werden zahlreiche Implikationen aufgezeigt: Die mit der Isolierung assoziierten – und oben benannten – Risiken sollen berücksichtigt und es soll darauf geachtet werden, dass die Maßnahmen auf fairem Weg etabliert werden (Silva und Smith 2020). Dazu gehört auch die Berücksichtigung der möglichen Wahrnehmung und Interpretation der Restriktionen durch die Inhaftierten. Unproduktive Wahrnehmungen sind weniger wahrscheinlich, wenn die Beschränkungen als legitim aufgefasst werden (Tomlin et al. 2020; Tomlin 2020).

Im ersten Schritt müssen demnach die Maßnahmen in adäquater Form an die Inhaftierten vermittelt werden, sodass sie diese bestenfalls verstehen, als sinnvoll erachten und einhalten wollen. Bei effektiver Kommunikation in Krisensituationen geht es um einen „interaktiven Prozess des Informations- und Meinungsaustauschs zwischen Individuen, Gruppen und Institutionen“ (Hyland-Wood et al. 2021, S. 2). Es erscheint daher unerlässlich, neben einer Informationsvermittlung auch den Wissens- und Meinungsstand der Adressaten sowie die Dynamiken und Normen des jeweiligen sozialen Gefüges zu berücksichtigen.

Die zweite Aufgabe besteht also offenbar darin, die Interessen und Bedürfnisse der Inhaftierten bei der Entscheidung über die notwendigen Schutz- und Hygienemaßnahmen zu berücksichtigen, damit es nicht zu unverhältnismäßigen Einschnitten kommt.

Diese Überlegungen schließen einen einseitigen Kommunikationsakt, beispielsweise durch eine Durchsage oder einen Anschlag am schwarzen Brett, aus. Vielmehr scheint die Grundbedingung für erfolgreiche Kommunikation von Schutzmaßnahmen und den damit einhergehenden Einschränkungen darin zu bestehen, Reaktionen zuzulassen, Bedenken zu hören und darauf angemessen einzugehen und so ein gemeinsames Verständnis der Bedrohungssituation und der Lösungsstrategie zu entwickeln.

Ziel der Untersuchung

Im Rahmen dieser Arbeit soll zunächst betrachtet werden, inwiefern in deutschen Strafvollzugseinrichtungen während der COVID-Pandemie ein derartiger erklärungsorientierter Kommunikationsstil praktiziert wurde. Zudem soll untersucht werden, wie sich die Art der Vermittlung der pandemiebedingten Einschränkungen auf die Wahrnehmung, Zweck- und Ursachenzuschreibung (Kausalattribution, im Folgenden auch einfach (Zweck‑)Attribution; Heider 1958) dieser Maßnahmen seitens der Gefangenen auswirkte, und ob diese subjektiven Maße wiederum den Einfluss der Maßnahmen auf verschiedene Ergebnismaße (Ablehnung der Maßnahmen und Belastungserleben) vermittelten. Dahinter steht die Überlegung, dass einschränkende Maßnahmen dann als besonders belastend erlebt werden, wenn sie als willkürlich, sinnlos oder unfair wahrgenommen werden. Andererseits könnte gerade die Haft eine derart problematische Zweckattribution begünstigen, da der Freiheitsentzug zwar die Resozialisierung anstrebt, jedoch zweifellos eine Entmündigung bedeutet.

Der Strafvollzug fordert Anpassung, unabhängig davon, ob der Einzelne die Sinnhaftigkeit der zu befolgenden Regeln erkennt oder nicht. Aufgrund des enormen Ausmaßes an hierarchischer Kontrolle könnte aus Sicht des Anstaltspersonals der Eindruck entstehen, dass man auf Erklärungen und Akzeptanz zur Durchsetzung der nötigen Einschränkungen nicht im gleichen Maße angewiesen ist wie außerhalb des Strafvollzugs. Somit könnte ein erklärendes, einbeziehendes Vorgehen in seiner Bedeutung unterschätzt oder aufgrund organisatorischer Gegebenheiten (z. B. starre Strukturen und Zuständigkeiten, Ressourcenknappheit) schlicht nicht in Betracht gezogen werden.

Als weitere möglicherweise beeinflussende Variable soll das Alter betrachtet werden. Es besteht die Vermutung, dass ältere Inhaftierte aufgrund von Vorerkrankungen (Meyer 2016) oder einer altersbedingten Vulnerabilität (Hoffmann und Sieber 2017) den Maßnahmen sowohl weniger ablehnend gegenüberstehen als auch eine produktivere Zweckattribution (Fürsorge und Schutz) aufweisen.

Vor diesem Hintergrund werden folgende Fragen untersucht:

  • Wie wurden die pandemiebedingten Maßnahmen, in der Wahrnehmung der Inhaftierten, seitens der Anstalten kommuniziert?

  • Wie hat sich die Art der Kommunikation seitens der Anstalt auf die Wahrnehmung und Kausalattribution der Gefangenen ausgewirkt?

  • Vermittelten diese subjektiven Maße den Einfluss der Kommunikation auf die Ablehnung der Maßnahmen und das Belastungserleben der Inhaftierten?

  • Gibt es Hinweise für mögliche Alterseffekte hinsichtlich der Wahrnehmung und Ablehnung der Maßnahmen?

Methode

Datenerhebung und Stichprobe

Die Befunde dieser Studie basieren auf der Auswertung des Gefangenenfragebogens des Projektes Corona Behind Bars (CoBeBar), das in Kooperation zwischen dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und der Arbeitsgruppe Rechtspsychologie des Instituts für Psychologie der Universität Hildesheim durchgeführt wurde. Im Fokus des Projekts standen die Auswirkungen der Coronapandemie in deutschen Strafvollzugseinrichtungen. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden in dem Zeitraum von Januar 2022 bis Dezember 2022 neben Mitarbeitenden des allgemeinen Vollzugsdienstes insgesamt n = 956 Gefangene anhand von Fragebogen bezüglich ihrer Wahrnehmung der pandemierelevanten Maßnahmen und deren Kommunikation befragt.

Erfasst wurden außerdem Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden und die Lebensqualität, auf die Gemeinschaft zwischen den Inhaftierten, Angaben zur Impfbereitschaft und zu Verschwörungsnarrativen. Für nichtdeutschsprachige Inhaftierte wurde der Fragebogen in 9 weitere Sprachen übersetzt (englisch, französisch, spanisch, polnisch, russisch, rumänisch, bulgarisch, türkisch und arabisch).

Zwecks Anonymisierung der Daten wurden personenbezogene Angaben wie u. a. das Alter lediglich in Kategorien abgefragt (Tab. 1).

Tab. 1 Demografische Daten der Inhaftierten

Analysemethoden

Sämtliche Berechnungen wurden anhand der Statistiksoftware R (Version 4.3.2) durchgeführt. Die Beantwortung der offenen Fragen konnte mittels der Analysesoftware MAXQDA (Version 24) der VERBI Software GmbH ausgewertet werden.

Operationalisierungen

Die Art der Kommunikation der pandemiebedingten Maßnahmen wurde mittels eines Items erfasst. Die Inhaftierten konnten angeben, ob die Vermittlung der Maßnahmen mit (= 3), teilweise mit (= 2) oder ohne (= 1) Erklärung resp. Begründung stattfand. Sofern die Befragten angaben, dass die Maßnahmen erklärt und begründet wurden, konnten sie zudem eine zusätzliche offene Frage zu den Rahmenbedingungen der Kommunikation beantworten („Wenn es Maßnahmen gegeben hat oder noch gibt, wie wurden diese von der Anstalt vermittelt? In welchem Rahmen?“).

Die Wahrnehmung (Kausalattribution) bezüglich der mit den Schutzmaßnahmen verfolgten Zwecke wurde mithilfe folgender Frage mit Mehrfachwahlmöglichkeit erfasst: Wenn es Maßnahmen gegeben hat oder noch gibt, wie haben Sie diese wahrgenommen? Die Antwortoptionen waren: „als Fürsorge“, „als Schikane“, „als Schutz der Bediensteten“ und „als Schutz für die Menschen draußen“. Aus den Antworten wurden 4 Variablen kodiert: Die Attributionen als Fürsorge, Schikane, Schutz der Bediensteten und Schutz der Menschen draußen bildeten jeweils eine separate, bei Vorliegen mit 1 und ansonsten mit 0 kodierte Variable.

Die Erfassung der Ablehnung der Maßnahmen erfolgte ebenfalls mittels eines Items („Halten Sie persönlich die Maßnahmen im Gefängnis rückblickend für insgesamt angemessen?“), das in einem 4‑stufigen Format zu beantworten war (1 = Nein, insgesamt zu lasch, 2 = Ja, (weitgehend) angemessen; 3 = Einige waren angemessen, andere überzogen; 4 = Nein, insgesamt überzogen).

Das Belastungserleben wurde anhand der Depressions-Angst-Stress-Skala (DASS; Nilges und Essau 2021) untersucht. Die insgesamt 12 Items (α = 0,90) wurden auf einer 4‑stufigen Likert-Skala erfasst (1 = trifft nicht zu; 2 = trifft etwas zu; 3 = trifft zu; 4 = trifft sehr zu) und sollten von den Inhaftierten für den Zeitraum der letzten Woche vor der Befragung eingeschätzt werden. Für die einzelnen Subskalen Depression (M = 7,29, SD ±3,16), Angst (M = 6,40, SD ±2,88) und Stress (M = 8,0, SD ±3,08) betrug die interne Validität α = 0,85, 0,79 und 0,82.

Hypothesen

Zwischen der wahrgenommenen Kommunikation seitens der Anstalt und der Attribution der Maßnahmen bestehen folgende Zusammenhänge:

H1

Die wahrgenommene Kommunikation hängt positiv mit der Attribution auf sinnvolle Ziele wie Fürsorge, dem Schutz der Menschen außerhalb des Strafvollzugs und dem Schutz der Bediensteten zusammen.

H2

Die wahrgenommene Kommunikation hängt negativ mit der Attribution als Schikane zusammen.

Zwischen der Attribution und der Ablehnung der Maßnahmen bestehen folgende Zusammenhänge:

H3

Die Attribution auf sinnvolle Ziele (Fürsorge und Schutz anderer Menschen) hängt negativ mit der Ablehnung der Maßnahmen zusammen.

H4

Die Attribution als Schikane hängt positiv mit der Ablehnung der Maßnahmen zusammen.

Zwischen der Attribution und der DASS-Skala bestehen folgende Zusammenhänge:

H5

Die Attribution auf sinnvolle Ziele hängt negativ mit dem DASS-Gesamtwert und den DASS-Subskalen zusammen.

H6

Die Attribution als Schikane hängt positiv mit dem DASS-Gesamtwert und den DASS-Subskalen zusammen.

Es werden folgende weitere Zusammenhänge angenommen:

H7

Das Alter hängt negativ mit der Ablehnung der Maßnahmen zusammen.

H8

Das Alter hängt positiv mit einer produktiven Attribution (Fürsorge, Schutz anderer) zusammen.

Es wird darüber hinaus angenommen, dass die Effekte des Alters und der wahrgenommenen Kommunikation auf die Ablehnung der Maßnahmen und auch auf Depression, Angst und Stress zumindest teilweise durch die Attribution mediiert werden.

Ergebnisse

Deskriptive Ergebnisse

Die deskriptiven Befunde zu den Fragen, wie die Maßnahmen seitens der Anstalt vermittelt wurden, und wie sie von den Inhaftierten wahrgenommen und abgelehnt wurden, sind in Tab. 2 zusammenfassend dargestellt. So gaben über 40 % der Befragten an, dass die Maßnahmen ohne Erklärung vermittelt wurden, wohingegen etwas mehr als ein Fünftel der befragten Inhaftierten von einer Erklärung und Begründung der Maßnahmen berichten. Von den insgesamt 956 Gefangenen interpretierten 383 die pandemiebedingten Restriktionen als eine Form der Schikane, während fast zwei Drittel sie als Schutz anderer Personengruppen und knapp über 40 % als eine Form der Fürsorge gegenüber den Inhaftierten wahrnahmen. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass die Inhaftierten den Maßnahmen nicht nur ablehnend gegenüberstanden: Knapp 70 % finden die Maßnahmen (mindestens teilweise) angemessen.

Tab. 2 Vermittlung und Wahrnehmung der pandemiebedingten Maßnahmen

Die Frage, in welchem Rahmen die Maßnahmen vermittelt wurden, konnte zudem von den Befragten in einem offenen Format beantwortet werden. Insgesamt wurde diese Möglichkeit von 104 Inhaftierten genutzt. Die Antworten wurden inhaltlich in direkte und indirekte Kommunikationsansätze untergliedert.

Die indirekte Maßnahmenkommunikation erfolgte laut Angaben der Inhaftierten v. a. schriftlich, z. B. durch Aushänge (36 Nennungen), Info-Flyer oder Briefe, seltener mündlich, z. B. in Gesprächen, Versammlungen, Gruppenangeboten oder über Durchsagen (8 Nennungen). Eine Kombination dieser beiden Kommunikationsformen wurde in 19 Fällen benannt. Indirekte Informationsvermittlung wurde berichtet in Form von vermehrtem Einschluss (7 Nennungen), reduzierten Angeboten (z. B. Sport, Gruppen), Quarantäne und Isolationshaft und anderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen (Test- und Maskenpflicht, Impfangebot, Abstandsregelungen, Infektionsfälle in der Anstalt).

Einige Befragte nutzen die Freitextfelder, um die Kommunikation seitens der Anstalt zu bewerten. Sie melden zurück, die Vermittlung der Maßnahmen seitens der Anstalt sei „unzufriedenstellend“, „ungenügend“ gewesen, sei nur „rückwirkend und nachdem sich zu viele beschwerten“ geschehen, „manchmal wären etwas mehr Infos gut“ gewesen und „Infos werden oft zu wenig weitergegeben“. Es gab aber auch positive Rückmeldungen (z. B. „Begründung mit Gesetzestexten zur Pandemie (gute Infoweitergabe)“, „alles richtig gut“).

Zusammenhangsanalyse

Die Korrelationen der vier Attributionsvariablen mit der wahrgenommenen Kommunikation seitens der Anstalt, dem Lebensalter der Inhaftierten und der Ablehnung der Maßnahmen gehen aus Tab. 3 hervor. Eine als erklärungsorientiert wahrgenommene Kommunikation seitens der Anstalt ging mit schwächerer Ablehnung der ergriffenen Maßnahmen einher, τ = −0,24, p < 0,001. Wie erwartet hängt die wahrgenommene Kommunikation seitens der Anstalt mit der Attribution der Maßnahmen auf sinnvolle Ziele wie Fürsorge, τ = 0,26, p < 0,001, und Schutz der Menschen draußen, τ = 0,10, p < 0,001 (H1), sowie negativ mit der Attribution als Schikane zusammen, τ = −0,25, p < 0,001 (H2). Der erwartete positive Zusammenhang mit der Wahrnehmung als Schutzmaßnahme für Bedienstete (H1) zeigte sich hingegen nicht. Es zeigten sich zudem ein schwacher Zusammenhang der Attribution als Fürsorge (H8) mit dem Lebensalter, τ = 0,10, p < 0,001. Mit der Ablehnung der Maßnahmen zeigte die Attribution insgesamt die erwarteten Zusammenhänge (H3 und H4). Die Ausnahme bildete wiederum die Attribution als Schutz der Bediensteten, mit der sich keine Assoziation zeigte.

Tab. 3 Korrelationen (Kendalls τ) der Wahrnehmung der pandemiebedingten Maßnahmen mit dem wahrgenommenen anstaltsseitigen Kommunikationsverhalten und dem Lebensalter

Mit den DASS-Skalen zeigte die Attribution der Maßnahmen (H5 und H6) nur in Bezug auf Schikane und Fürsorge einen Zusammenhang. Wie erwartet korrelierte das Alter negativ mit der Ablehnung der Maßnahmen (H7), wobei der Zusammenhang sehr schwach ausfiel, τ = −0,06, p = 0,02.

Da die Attributionsvariablen Schutz Bediensteter und Schutz der Menschen draußen aufgrund ihrer schwachen bzw. nichtsignifikanten Zusammenhänge als Mediatoren der Auswirkungen von Kommunikation und Alter auf die Akzeptanz der Maßnahmen und depressive Symptome (DASS) ausscheiden, werden sie in den weiteren Analysen nicht mehr betrachtet. Aus Platzgründen werden für die regressionsanalytischen Verfahren auch die DASS-Subskalen für Depression und Angst, die vergleichsweise niedrig mit der wahrgenommenen Kommunikation korrelieren, nicht weiter berücksichtigt.

Mediationsanalysen

Tab. 4 sind die Ergebnisse der Mediationsanalysen zur abhängigen Variablen Ablehnung der Maßnahmen zu entnehmen. Die Attributionsvariablen Fürsorge und Schikane erwiesen sich auch zusammen mit Alter und Kommunikationsverhalten als jeweils signifikanter Prädiktor der Ablehnung der Maßnahmen. Während Fürsorge keine signifikante mediierende Wirkung zeigte, führte die Einführung des Prädiktors Schikane zu der erwarteten Reduktion des Effekts des wahrgenommenen anstaltsseitigen Kommunikationsverhaltens auf die Ablehnung der Maßnahmen, und zwar von vormals b = −0,26, p < 0,001 im Referenzmodell auf b = −0,18, p < 0,001 im Mediationsmodell 2, bdiff = 0,08, p = 0,015. Es handelt sich somit um eine partielle Mediation.

Tab. 4 Lineare Regressionen der Ablehnung der Maßnahmen auf Kommunikationsverhalten, Alter und Attribution der Maßnahmen

Wie aus Tab. 5 hervorgeht, findet sich keine Mediation des Einflusses von Alter und/oder wahrgenommenem anstaltsseitigen Kommunikationsverhalten auf den DASS-Gesamtwert oder die Subskala Stress durch die Zweckattribution der Maßnahmen.

Tab. 5 Lineare Regressionen der depressiven Symptome (DASS) auf Kommunikationsverhalten, Alter und Attribution der Maßnahmen

Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, die Kommunikation der Maßnahmen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in den deutschen Strafvollzugseinrichtungen zu ergreifen waren, zu untersuchen. Ausgangspunkt waren Überlegungen, wie mit einer Pandemie, den dadurch notwendigen Maßnahmen und ihren möglicherweise negativen Wirkungen im Strafvollzug umgegangen werden sollte.

Aus den Freitextantworten der Inhaftierten ließ sich lesen, dass die pandemiebedingten Maßnahmen in den untersuchten Strafvollzugseinrichtungen über vielfältige Wege kommuniziert wurden. Mehrheitlich genannt wurde jedoch die schriftliche Form der Kommunikation, beispielsweise über Aushänge oder Flyer. Auch die mündliche Vermittlung der Maßnahmen durch das Personal und in verschiedenen Settings im Gefängnisalltag konnte unter den Antworten vorrangig identifiziert werden. Es wird eine Unzufriedenheit mit der Art der Vermittlung der Maßnahmen deutlich, wobei zu vermuten steht, dass möglicherweise überproportional viele unzufriedene Personen die Freitextfelder nutzten, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Stimmig dazu verhält sich jedoch, dass 40 % der Befragten die Maßnahmen (auch) als Schikane wahrgenommen haben.

Vor dem Hintergrund dieser Befunde und aufgrund der organisatorischen und strukturellen Gegebenheiten des deutschen Strafvollzugs (z. B. Personalknappheit und -ausfälle) kann davon ausgegangen werden, dass die Risiko- und Krisenkommunikation wohl selten ein interaktiver Austauschprozess zwischen dem Personal oder Entscheidungsträger:innen und den Gefangenen war, wie ihn Hyland-Wood et al. (2021) vorschlagen. Auch scheinen Prinzipien der prozeduralen Gerechtigkeit, die die Sozialpsychologie bereits in den 1970er-Jahren als bedeutsame Variable der sozialen Wahrnehmung und Interaktion in den Blick nahm, z. T. verletzt worden zu sein. Dies gilt sicher für den von Leventhal (1980) formulierten Grundsatz der Repräsentativität – die Interessen aller Beteiligten sollten berücksichtigt werden – und vermutlich auch für den der Ethik – das Entscheidungsverfahren sollte den Werten der Beteiligten entsprechen. Die daraus resultierende Unzufriedenheit seitens der Gefangenen mag die negativen Wirkungen, die die einschränkenden Pandemiemaßnahmen zusätzlich zum an sich schon potenziell schädlichen Freiheitsentzug (Sykes 2007) haben (Hewson et al. 2020), mitbedingt und verschärft haben.

Die Ergebnisse der inferenzstatistischen Analysen stützen diesen Eindruck zumindest z. T. Die Vermittlung der Maßnahmen ohne Erklärung oder Begründung ist mit deren Wahrnehmung als Schikane assoziiert. Diese Wahrnehmung wiederum korreliert sowohl mit der Ablehnung der Maßnahmen als auch mit erhöhter Belastung durch Stress‑, Depressions- und Angstsymptome.

Die gefundene partielle Mediation des Effekts der Kommunikation auf die Ablehnung der Maßnahmen durch ihre Attribution als Schikane (rot in Abb. 1) deutet darauf hin, dass eine negative Wahrnehmung der anstaltsseitigen Kommunikation eine Wahrnehmung der Maßnahmen als Schikane begünstigt, und dass dies die Ablehnung der Maßnahmen verstärkt. Für die Krisenkommunikation im Strafvollzug scheint es daher sinnvoll zu sein, eine Form der Kommunikation und Vermittlung zu wählen, die insbesondere die Interpretation der Maßnahmen als Schikane, also als eine böswillige oder rechtsverdrehende Handlung (Widulle 2004), minimiert.

Abb. 1
figure 1

Mediation des Zusammenhangs zwischen der anstaltsseitigen Kommunikation und der Ablehnung der pandemiebedingten Maßnahmen durch deren Attribution als Schikane. Farbig illustriert die indirekten Effekte von Alter (blau; n.s.) und anstaltsseitigem Kommunikationsstil (rot)

Unter anderem aus der Marketingforschung und der Forschung zu Krisenkommunikation lassen sich Prinzipien für erfolgreiche Kommunikationsstrategien ableiten, die in jeder Krisenkommunikation angewendet werden sollte. Die Prinzipien fordern eine aktive und frühzeitige, transparente und sachliche, kurze und einfache, einheitliche und koordinierte Krisenkommunikation. Weiterhin kann der Ausdruck von Empathie und des Respekts das Vertrauen in die zu übermittelnden Nachrichten sowie die Glaubwürdigkeit der übermittelnden Personen und Institutionen fördern, sowie krisenbezogene Ängste und Unsicherheiten reduzieren (Coombs 2020; Paek und Hove 2021). Prinzipien wie diese sind zwar nicht spezifisch für den Strafvollzug entwickelt worden, sollten jedoch auch dort umgesetzt werden, damit Maßnahmen als sinnvoll und fair wahrgenommen und problematische Attributionen vermieden werden können.

Eine erfolgreiche Krisenkommunikation im Strafvollzug sollte sich darüber hinaus durch eine zielgruppengerechte Aufbereitung und Vermittlung relevanter Informationen auszeichnen, um den Kenntnisstand, mögliche Risikogruppen (z. B. Vorbelastungen durch Alter oder Erkrankungen) und soziale Dynamiken in angemessener Weise zu berücksichtigen. Wichtig wäre ein Meinungsaustausch zwischen mindestens dem Vollzugspersonal, den Entscheidungsträger:innen und Inhaftierten, um die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse im Rahmen der zu treffenden Entscheidungen zu berücksichtigen. Gerade ältere Inhaftierte scheinen den Maßnahmen eher positiv gegenüberzustehen. Zudem scheinen nicht nur der egoistische Zweck des Selbstschutzes (d. h. Attribution der Maßnahmen als Fürsorge) akzeptanzförderlich zu wirken, sondern auch andere sinnvolle Zwecke wie der Schutz der Menschen draußen, wenn auch in schwächerem Ausmaß (Tab. 4). Dies deutet darauf hin, dass ein Appel an das Verantwortungsgefühl, wie er in Zeiten der Pandemie von der Politik an die Allgemeinbevölkerung adressiert wurde, auch Strafgefangenen gegenüber durchaus sinnvoll ist. Inhaftierten mit einer die Maßnahmen akzeptierenden Haltung und der (sinnvoll begründeten) Motivation, sich gesundheitsförderlich und verantwortungsbewusst zu verhalten, könnten wiederum im Austausch eine positive Wirkung auf andere, eher unzugängliche, Inhaftierte ausüben.

Aus methodischer und statistischer Perspektive lassen sich einige Limitationen konstatieren. Zunächst soll erwähnt werden, dass es sich bei den Angaben der Inhaftierten um retrospektive Einschätzungen handelt. Die Datenerhebung fand im Jahr 2022 statt und somit erst nach den ersten Pandemiewellen und dem Höhepunkt des Infektionsgeschehens. Retrospektive Daten sind anfällig für verschiedene Formen der Verzerrung, insbesondere Erinnerungseffekte, welche die Verlässlichkeit der Angaben und damit deren Aussagekraft einschränken können.

Darüber hinaus handelt es sich bei der vorliegenden Studie um eine korrelative Querschnittanalyse, sodass die Daten grundsätzlich keine kausalen Rückschlüsse erlauben. Die hier angenommenen Kausalwirkungen können durch nichtberücksichtigte Drittvariablen bestimmt werden, beispielsweise durch einen feindseligen Attributionsstil oder misstrauisch oder paranoide Tendenzen.

Weiterhin ist anzumerken, dass die Operationalisierung der wahrgenommenen Kommunikation und Attribution mit je einem Item sehr grob erfolgte. So erfasst das Kommunikationsitem allein das Vorhandensein einer Erklärung der Maßnahmen. Ergänzend dazu hätten weitere Angaben erhoben werden können, beispielsweise dazu, ob die Erklärung für die Inhaftierten nachvollziehbar war, sie zu den tatsächlichen Maßnahmen passte, die Erklärung wie ein Vorwand wirkte oder so, als seien die Übermittler:innen der Maßnahmen z. B. hinsichtlich ihrer Angemessenheit und Wirksamkeit überzeugt.

Das Item zur Erfassung der Attribution enthielt die 4 Kategorien „Schikane“, „Fürsorge“, „Schutz der Menschen draußen“ und „Schutz der Bediensteten“. In zukünftiger Forschung sollten unterschiedliche Attributionsdimensionen getrennt betrachtet werden: Wird mit den Maßnahmen vonseiten der Anstalt überhaupt ein Zweck angestrebt? Dient dieser Zweck (primär, nachrangig oder gar nicht) dem eigenen Wohlergehen? Wenn die Maßnahmen auf den Schutz vor einer Gefahr abzielen, von wem geht die Gefahr (in der Vorstellung der Entscheidungsträger:innen) aus?

Der Strafvollzug sah sich während der COVID-19-Pandemie vor besondere Herausforderungen gestellt. Hygiene- und Schutzmaßnahmen bedeuteten für die Gefangenen zusätzlich zum Freiheitsentzug weitere Entbehrungen und Einschränkungen, sodass die Rechtfertigung ihrer Anordnung seitens der verantwortlichen Personen äußerstes Fingerspitzengefühl verlangte. Dennoch ist man auch im Zwangskontext Strafvollzug auf eine selbstverantwortliche Kooperation der Gefangenen angewiesen, die nicht allein durch begründungslose Anweisungen erreicht werden kann. Sämtliche Maßnahmen sollten transparent, verständlich und zielgruppengerecht vermittelt werden, damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie als sinnvoll und beachtenswert verstanden und eingehalten werden. So sollte im Rahmen der Krisenkommunikation dafür Sorge getragen werden, dass Restriktionen mit Schutzfunktion nicht als Schikane verstanden werden.