Abschaffung oder Differenzierung des Maßregelvollzugs?

Das Wort Massnahme ist das Schweizerische Pendant zur deutschen Massregel. In der deutschen Debatte um die Frage, wo künftig Personen mit psychischen Störungen, insbesondere mit Persönlichkeitsstörungen, zu behandeln seien, sind viele Argumente vorgetragen worden. Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e. V. (DGSP) plädiert für eine Transformation des Sanktionenrechts zugunsten einer Abschaffung der Maßregeln nach den §§ 63, 64 StGB, einen Verzicht auf die Prüfung der Schuldfähigkeit im Strafverfahren und eine organisationale und rechtliche Konversion von bisherigem Straf- und Maßregelvollzug. Von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der forensischen Psychiatrie wird dagegengehalten und für eine strikte Trennung von Straf- und Maßregelvollzug argumentiert. Die Debatte adressiert insbesondere die Behandlung von persönlichkeitsgestörten Personen mit dissozialer Problematik, denn diese wird genauso ungern von nichtspezialisierten Einrichtungen, wie allgemeinpsychiatrischen Kliniken, übernommen, weil sie als Milieustörer gelten (Schalast et al. 2003).

Auch die Schweiz führte die Debatte über geeignete Vollzugsorte. Hier wurde ab Mitte des 19. Jh. eine Trennung psychischer Kranker von StraftäterInnen und Straftätern vollzogen. Ein Argument gegen einen getrennten Vollzug adressierte eher die Behandlung von psychisch kranken StraftäterInnen und Straftätern außerhalb des Vollzugs: So wurde behauptet, Maßnahmepatientinnen und -patienten würden im Vergleich zu Strafgefangenen zu wenig Arbeitsmöglichkeiten und Freizeitbeschäftigung in Anspruch nehmen können (Heer 2023). Tatsächlich halten aber die großen forensischen Kliniken der Schweiz, wie z. B. das Zentrum für Stationäre Forensische Therapien der Klinik für Forensische Psychiatrie der PUK („Rheinau“) oder die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel durchaus Arbeits- und Tagesstrukturangebote vor.

Inzwischen gibt es in der Schweiz ausdifferenzierte Behandlungsangebote für psychisch kranke Straftäterinnen und Täter jeder Couleur: Im Kliniksetting des stationären Maßnahmenvollzugs nach Art. 59 CH-StGB werden vorwiegend Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrecher mit Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis behandelt. Junge Erwachsene mit Auffälligkeiten der Persönlichkeit werden in pädagogisch und arbeitsagogisch ausgerichteten Maßnahmezentren für junge Erwachsene behandelt (Art. 61 CH-StGB). Innerhalb des Strafvollzugs existieren im Rahmen der sog. ambulanten Maßnahme nach Art 63 CH-StGB Angebote vorwiegend für Gewalt- und Sexualstraftäter. Außerdem gibt es Abteilungen im Vollzug, die eine stationäre Behandlung innerhalb der Strukturen einer Justizvollzugsanstalt ermöglichen. Daneben wurden mit den sog. Maßnahmezentren Einrichtungen geschaffen, die den in Deutschland geplanten sozialtherapeutischen Anstalten ähneln. Sie adressieren persönlichkeitsgestörte Delinquenten und Sexualstraftäter. Personen mit Störungen durch psychotrope Substanzen werden im 63er-Setting vollzugsbegleitend oder unter Aufschub der Haft ambulant behandelt. Stationäre Entwöhnungskliniken, wie im Maßregelvollzug nach § 64, D‑StGB, existieren in der Schweiz nicht.

Hinsichtlich der Forderung der Abschaffung des psychiatrischen Maßregelvollzugs erscheint ein Blick in die Schweiz daher hilfreich, in der die Maßnahmelandschaft weniger ein „Entweder-oder“ ist, sondern vielmehr ein „Sowohl-als-auch“. Im Folgenden werden als Beitrag zur Debatte über die Reform des deutschen Maßregelvollzugs entsprechende Vor-, aber auch Nachteile des Schweizer Sanktionensystems diskutiert.

Persönlichkeitsstörungen

Doch was hat es mit den Schwierigkeiten um die Behandlung von persönlichkeitsgestörten Personen auf sich?

Persönlichkeitsstörungen und daraus resultierende kriminogene Risiken

Die Behandlung von Personen mit Persönlichkeitsstörungen stellt eine große Herausforderung für die Justiz, deren Vertreterinnen und Vertreter, forensische Psychiaterinnen und Psychiater und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und die Gesellschaft dar. Einerseits geht das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung mit einem erhöhten Risiko für Gewalt- und Sexualstraftaten einher, andererseits erweisen sich Persönlichkeitsstörungen als schwer und nur langsam veränderbar. Denn: Störungen der Persönlichkeit betreffen die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem Einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität verleihen, und umfassen somit Aspekte des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens und der Beziehungsgestaltung im Sinne erheblicher subjektiver Beschwerden und/oder nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung (Saß 2000). Schwierigkeiten in der Behandelbarkeit zeigen sich entsprechend dem Schweregrad der Störung. Dieser kann anhand der ICD-11, der aktuellen Version des Diagnosemanuals der Weltgesundheitsorganisation, an Funktionsbeeinträchtigungen in den Lebensbereichen Selbst, interpersonelle Beziehungen, Emotionalität, Wahrnehmung und Verhalten und psychosoziale Auswirkungen festgemacht werden. Der kontinuierliche Übergang von unauffälligen Charaktereigenschaften zur Persönlichkeitsstörung wird dadurch deutlicher. Bei einer Persönlichkeitsstörung können sog. Domänen spezifiziert werden (negative Affektivität, Bindungslosigkeit/Distanziertheit, Dissozialität, Enthemmung, Zwanghaftigkeit, Borderline) (Herpertz 2018), die deutlich machen, dass es besonderer Rahmenbedingungen bedarf, um therapeutische Veränderungen zu bewirken. Durch dieses neue quantifizierbare Konzept wird die Diagnose künftig häufiger gestellt, aber auch häufiger widerrufen werden (Hauser et al. 2021). Dabei wird im forensischen Kontext zu klären sein, was als „schwere psychische Störung“ gelten kann und was nicht, sodass für eine Quantifizierung entsprechende Indikatoren notwendig werden.

Dass Rahmenbedingungen für die Behandlung persönlichkeitsgestörter Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrecher vorgehalten werden müssen, verdeutlicht die Häufigkeit dieser Störungen im forensischen Kontext: Während nur etwa 3–10 % der Allgemeinbevölkerung eine Persönlichkeitsstörung aufweisen, sind es 40–60 % psychisch erkrankter Patientinnen und Patienten (Fiedler 2018). Zudem beeinflussen Persönlichkeitsstörungen den Verlauf und die Prognose psychiatrischer Erkrankungen in der Regel ungünstig und sind relevant für Kriminalität und kriminelle Rückfälle, ohne dass eine Monokausalität hergestellt werden darf (Herpertz und Saß 2003). Außerdem geht das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung mit einem 3fach höheren Suizidrisiko als in der Allgemeinbevölkerung einher, was Einrichtungen eine besondere Fürsorge abverlangt. Insgesamt gelten Persönlichkeitsstörungen als schwierig zu behandeln, insbesondere antisoziale Persönlichkeit und Psychopathie (Saß 2013).

Im forensischen Kontext gewinnen Persönlichkeitsstörungen auch dadurch an Bedeutung, dass deren Prävalenz unter Straftäterinnen und Straftätern signifikant erhöht ist: 40–60 % der Gefängnispopulation und bis zu 80 % der forensisch-psychiatrischen Patientinnen und Patienten weisen eine Persönlichkeitsstörung auf, am häufigsten die dissoziale (Dulz et al. 2018).

Allerdings ergibt sich der Zusammenhang zwischen antisozialer Persönlichkeitsstörung und Straftäterinnen und Straftätern schon aus dem Diagnosekriterium „normverletzendes Verhalten“, sodass kein unkritischer Zirkelschluss zwischen psychiatrischer Diagnose, kriminellem Verhalten oder umgekehrt erfolgen darf. Dennoch ist der negative Einfluss auf die Kriminalprognose statistisch gut belegt (Stadtland und Nedopil 2005). Entsprechend bildet das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung ein Item in vielen der gängigen Prognoseinstrumente, wie dem HCR-20 V3 (Douglas et al. 2013), VRAG‑R (Rettenberger et al. 2017) oder der Dittmann-Liste (Hachtel et al. 2019).

Behandelbarkeit von Persönlichkeitsstörungen

Weiss und Lau haben darauf hingewiesen, dass die Behandlung Persönlichkeitsgestörter dadurch erschwert wird, dass es sich insbesondere im forensischen Kontext um eine vorwiegend männliche Klientel handelt, die betreffend der therapeutischen Erreichbarkeit ohnehin einige Schwierigkeiten aufweise (Weiss und Lau 2021): Sie sahen die Hemmnisse darin, dass Männer von sich aus seltener Hilfssysteme aufsuchen, eine restriktivere Ansicht zu psychischen Störungen haben, sich oftmals durch das Aufsuchen von psychischer Hilfe stigmatisiert fühlen, weniger Vertrauen in das Gesundheitssystem haben, negative Erwartungen bei Inanspruchnahme von Hilfe aufweisen, „typisches“ Therapeutenverhalten aversiv erleben und in der forensischen Psychiatrie meist auf Therapeutinnen treffen. Diese können wiederum Vorurteile aufweisen, z. B. dass Männer nur auf Druck in eine Therapie gingen und die Therapie mit Männern allgemein schwierig sei. Für Männer seien oftmals die Kerninhalte von Psychotherapie mit Gefühlssprache, Zugeben von Verwundbarkeit und die Intimität schwierig auszuhalten.

In diesem Sinne argumentiert auch der Strafrechtsprofessor Martin Killias in der Sonntagszeitung (15.09.2013), wenn er vor einer „fatalen Therapiegläubigkeit“ warnt und moniert, dass viele „Therapien nicht adäquat überprüft“ werden. Die Evidenz ist in der Tat mäßig: Die europaweit größte Evaluation des sozialtherapeutischen Strafvollzugs (im Bundesland Nordrhein-Westfalen) zeigte: Sozialtherapie senkt Rückfälle im Vergleich zur Kontrollgruppe nur um lediglich 4 %. Eine ähnliche schweizerische Studie aus dem Gefängnis Lenzburg musste abgebrochen werden, als die provisorischen Daten darauf hinwiesen, dass die behandelte Gruppe häufiger rückfällig wurde als die Kontrollgruppe. In der prospektiven Prognosestudie von Seifert zeigten nur 12 % einen negativen Verlauf, was im Vergleich zu früheren Untersuchungen eine erfolgversprechende Veränderung darstellt (Seifert et al. 2003). Dies sollte jedoch nicht zum Schluss „nothing works“ verleiten (Duggan 2009), denn es gibt durchaus Konzepte für die Behandlung von Personen mit Psychopathie (Hauser et al. 2022).

Verschiedenen Autorinnen und Autoren haben Kriterien beschrieben, die ein Ansprechen auf therapeutische Interventionen bei persönlichkeitsgestörten Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrechern begünstigen bzw. erschweren (Tab. 1). Letztlich bleibt eine solche Behandlung ein Spagat zwischen Risiko- und Resozialisierungsorientierung.

Tab. 1 Behandelbarkeit und Behandlungsprognose (Mod. nach Müller et al. 2018)

Tatsächlich gibt es eine – wenn auch dünne – Evidenz für die Wirksamkeit der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen im klinischen Setting; ebenso ergeben sich Hinweise, dass eine Behandlung auch in Bezug auf die Rückfälligkeit hilfreich sein kann (Krüppel et al. 2023). Geeignete Behandlungsansätze fokussieren die individuellen Risikoeigenschaften und eine gute Risikokommunikation auf der Grundlage einer sorgfältigen Deliktanalyse. Zum Risikomanagement gehört eine regelmäßige Behandlungsevaluation.

Umgekehrt könnte man festhalten, dass es jedenfalls keinen überzeugenden Beleg gibt, dass Therapie unwirksam ist. Somit ist mit einem zurückhaltenden Optimismus anzumerken, dass Therapie in vielen Fällen möglich, jedoch keine Universallösung für das gesellschaftliche Phänomen Kriminalität ist.

Mit diesen Überlegungen zu forensischer Relevanz und Behandelbarkeit von Persönlichkeitsstörungen stellt sich die Frage, an welchem Ort und in welchem Rahmen eine solche am zielführendsten angeboten werden kann. Die Abschaffung von Einrichtungen des Maßregelvollzuges und die vollständige Behandlung von Personen mit Persönlichkeitsstörungen in Institutionen des Vollzugs scheinen den vielschichtigen Herausforderungen keinesfalls ausreichend Rechnung tragen zu können. In der Schweiz ist das Maßnahmesystem differenzierter und durchlässiger.

Das Sanktionensystem der Schweiz

Übersicht

Die sog. Maßnahmen in der Schweiz sollen einen therapeutischen Auftrag erfüllen, wobei das Verhältnis von Besserung und Sicherung im Einzelfall im Sinne der therapeutischen Erreichbarkeit zu prüfen ist. Eine Maßnahme kann angeordnet werden, wenn 1) eine Strafe allein nicht genügt, der Gefahr weiterer Taten zu begegnen und 2) ein Behandlungsbedürfnis der Täterin oder des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert (Art. 56 CH-StGB 1a–1b). Dazu ist eine forensisch-psychiatrische Begutachtung gesetzliches Obligatorium. (Ar. 56 Abs. 3 CH-StGB). Resozialisierende Maßnahmen haben Vorgang vor isolierenden (Art. 56a Abs 1), dennoch können mehrere Maßnahmen nebeneinander angeordnet werden (Art. 56 Abs. 2). Nach dem dualistisch-vikariierenden Prinzip tritt der Vollzug einer Maßnahme weitgehend an die Stelle der Strafe (Art. 57 I 1).

In der Schweiz sind die therapeutischen Einrichtungen getrennt vom Strafvollzug zu führen (Art. 58). Da es im Gegensatz zu Deutschland verhältnismäßig wenige spezialisierte forensisch-psychiatrische Klinikeinrichtungen gibt (Habermeyer et al. 2019b), existieren sog. Maßnahmezentren. In diesen werden neben forensisch-psychiatrischen Therapieangeboten auch pädagogische, arbeitsagogische und sozialtherapeutische Interventionen angewendet. Die meisten dieser Einrichtungen verfügen über geschlossene und offene Betreuungsabteilungen sowie Außenwohngruppen. Einige Einrichtungen nehmen vor der Übernahme einer Behandlung therapeutische Eignungsabklärungen vor, bei denen sie auch die Bereitschaft zur Therapie prüfen. Diese Einrichtungen werden in der Regel von den kantonalen Justiz- und Polizeidepartementen betrieben. Eine genaue Übersicht gibt der sog. Katalog der Justizvollzugseinrichtungen, der regelmäßig vom Bundesamt für Statistik veröffentlicht wird). Unten werden einige Maßnahmezentren exemplarisch beschrieben.

Die Maßnahmen

Insgesamt existieren 4 therapeutische und eine sichernde Maßnahmen: 1) die stationäre Behandlung von schweren psychischen Störungen nach Art. 59 CH-StGB, 2) die stationäre Suchtbehandlung nach Art. 60 CH-StGB, 3) die Maßnahme für junge Erwachsene nach Art. 61 CH-StGB, 4) die ambulante Behandlung von psychischen Störungen und Suchtkrankheiten nach Art. 63 CH-StGB und 5) die ordentliche oder lebenslängliche Verwahrung (Art. 64 CH-StGB).

Der Art. 59 entspricht in Deutschland etwa der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nach § 63 D‑StGB, wobei in Deutschland dafür eine eingeschränkte oder aufgehobene Schuldfähigkeit vorausgesetzt wird, was in der Schweiz nicht der Fall ist. Maßnahmen nach Art. 59 StGB können sowohl in Maßnahmezentren (vgl. unten), forensischen Kliniken oder Wohneinrichtungen im Sinne von Wohn- und Arbeitsexternaten, aber auch in spezialisierten Abteilungen von Gefängnissen durchgeführt werden. Eine individuelle Anpassung an die kriminologischen und psychiatrischen Bedürfnisse ist also möglich. Sie dauern max. 5 Jahre, können aber wiederholt um weitere 5 Jahre verlängert werden, wenn die Bedingungen für eine Freilassung noch nicht erfüllt sind.

Steht bei Straftäterinnen oder Straftätern eine Störung durch psychotrope Substanzen im Vordergrund, kann nach Art. 60 CH-StGB eine 3‑jährige stationäre Suchtbehandlung angeordnet werden, die nur um ein Jahr verlängert werden kann. Allerdings gibt es in der Schweiz keine mit den deutschen Entzugskliniken nach § 64 D‑StGB vergleichbaren Einrichtungen. Suchtmaßnahmen werden eher in offen geführten allgemeinpsychiatrischen Institutionen oder spezialisierten Wohneinrichtungen durchgeführt (Höfer et al. 2020) – oder von vorneherein vollzugsbegleitend oder ambulant vollzogen, dann unter dem Art. 63 CH-StGB.

Ein Beispiel für Einrichtungen, in denen sowohl 59er-, 60er- und 63er-Maßnahmen vollzogen werden können, stellt das offene Maßnahmenzentrum St. Johannsen dar. Es wird vom Amt für Justizvollzug des Kantons Bern betrieben und dient der Behandlung von psychisch belasteten oder suchtkranken Straftätern im Rahmen von Maßnahmen nach Artikel 59 (stationäre Behandlung von psychischen Störungen), Artikel 60 (stationäre Suchtbehandlung), Art. 63 (Freiheitsstrafen mit vollzugsbegleitender ambulanter Behandlung) und in Ausnahmefällen auch Art. 64 (Verwahrung) CH-StGB. Auch der vorzeitige Maßnahmevollzug nach Art. 236 der schweizerischen Strafprozessordnung ist möglich. Methodisch bietet St. Johannsen ein psycho-, sozialtherapeutisches und arbeitsagogisches Behandlungsumfeld auf der Basis eines stufenweisen, individuellen Vollzugs- und Behandlungsplan mit angemessen und legalprognostisch vertretbaren Übungsfeldern zur gesellschaftlichen Integration.

Der Kanton St. Gallen betreibt das Maßnahmenzentrum Bitzi (MZB), wo ebenfalls strafrechtliche Maßnahmen von Straftätern mit einer psychischen Störung und/oder einer Suchterkrankung vollzogen werden. Das MZB verfügt für 55 Insassen über eine geschlossene Betreuungsabteilung mit zwei Gruppen, eine offene Betreuungsabteilung mit drei Gruppen und eine Außenwohngruppe. Auch hier kommt ein individuell geplanter milieutherapeutischer und forensischer Ansatz zur Umsetzung.

Für junge Gewaltstraftäterinnen und Täter kommt in der Schweiz die Maßnahme für junge Erwachsene nach Art 61 CH-StGB infrage. Die Hoffnung ist hier, dass sich antisoziale Verhaltensweisen und ihre Persönlichkeit(sstörungen) noch nicht verhärtet haben (Manzoni et al. 2018). Bei dieser Maßnahme stehen – angesichts der Unreife der Persönlichkeit jugendlicher Straftäterinnen und Straftäter – pädagogische Strategien und die berufliche Förderung im Vordergrund (Meister et al. 2010). 61er-Maßnahmen werden getrennt von den übrigen Anstalten in speziellen Einrichtungen für junge Erwachsene durchgeführt. Die jugendlichen oder adoleszenten Täter müssen bei der Begehung des Anlassdelikts zwischen 18 und 25 Jahren alt gewesen sein, ihre Tat(en) muss/müssen mit einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang stehen. Die 61er-Maßnahme ist auf 4 Jahre angelegt, und es besteht nicht die Möglichkeit einer Verlängerung. Neben dem übergeordneten Ziel der Nachreifung der Persönlichkeit wird an Themen wie der Förderung der Motivation für eine konstruktive Mitgestaltung einer deliktfreien Zukunft, einer Auseinandersetzung mit Differenzen zwischen eigenen Therapie- und Lebenszielen und den juristisch angeordneten Behandlungszielen gearbeitet. Die beruflichen Fähigkeiten werden durch Aus- und Weiterbildung gefördert, das Rückfallrisiko durch sozialpädagogische und therapeutische Hilfe vermindert, es handelt sich also um eine sonderpädagogisch-therapeutische Maßnahmeform, die vom Erziehungsgedanken des Kinder- und Jugendstrafrechts geprägt ist (BGE 118 IV 351, E.ee). Entsprechend werden diese Institutionen geführt (Zahradnik und Humm 2016). Im Kanton Zürich befindet sich z. B. das Maßnahmezentrum Uitikon (MZU) für straffällige männliche Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 25 Jahren mit 64 Vollzugsplätzen, davon 30 im geschlossenen und 34 im offenen Vollzug. Unter dem Konzept der „Risikoorientierten Täterarbeit (ROTA)“ wird durch eine Verminderung der Rückfallwahrscheinlichkeit und eine möglichst effiziente Deliktprävention ein effektiver Opferschutz angestrebt. Die eingewiesenen jungen Straffälligen sollen nach dem stationären Aufenthalt in der Lage sein, möglichst selbstständig und legal zu leben und für ihre Lebensgestaltung in jeder Beziehung Verantwortung zu übernehmen, daher besteht auch die Möglichkeit einer qualifizierten Berufsausbildung.

Ähnlich konzipiert ist Maßnahmenzentrum für junge Erwachsene Arxhof (MZjE Arxhof) für 46 junge Straffällige aus der Nordwest- und Innerschweiz. Das MZjE Arxhof arbeitet mit delikt- und risikoorientierten Psychotherapiekonzepten in einem sozialtherapeutischen Milieu. Alle Eingewiesenen durchlaufen eine Ausbildung in den Berufen Berufsfachmann Unterhalt, Forstwart, Koch, Landschaftsgärtner, Maler, Metallbau oder Schreiner. Allerdings gibt es aktuell keine geeigneten Einrichtungen für junge erwachsene Frauen in der Schweiz. Maßnahmen für deutschschweizerische junge Frauen werden einzig in der JVA Hindelbank in einem geschlossenen (inkl. Hochsicherheit) und einem offenen Bereich vollzogen. Ähnlich den Maßnahmezentren für junge männliche Erwachsene wird ein Wohngruppenvollzug mit integrierter Sozialarbeit und Bezugspersonensystem praktiziert.

Neben den aufgezeigten stationären Sanktionsformen gibt es im Schweizer Sanktionenrecht außerdem die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung von Personen mit schweren psychischen Störungen oder Abhängigkeitserkrankungen im Rahmen des Art. 63 CH-StGB. Diese Maßnahme spielt quantitativ eine bedeutende Rolle. Im Jahr 2019 lag der Bestand von ambulanten Behandlungen im Kanton Zürich (repräsentiert ca. einen Fünftel der Schweizer Bevölkerung) bei 275 Fällen. Die Behandlung im Rahmen der ambulanten Maßnahme kann – begrifflich auf den ersten Blick etwas verwirrend – nicht nur sprichwörtlich ambulant, sondern auch vollzugsbegleitend (d. h. während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe) erfolgen. In diesem Fall ist nicht die zu behandelnde Person das ambulante Element (Besuch der Therapiepraxis in Freiheit), sondern es sind die Behandelnden, indem sie die Inhaftierten in der Vollzugsinstitution aufsuchen (Mokros und Habermeyer 2012).

Das Gericht kann aber auch auf eine haftbegleitende Durchführung verzichten und den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben. Es kann dann für die Dauer der Behandlung Bewährungshilfe anordnen und flankierende Auflagen, wie regelmäßige Abstinenz- oder Medikamentenspiegelkontrollen, erteilen. Hier ist die verurteilte Person das ambulante Element. Für Straftäterinnen und Straftäter mit Störungen durch psychotrope Substanzen stellt das eine sinnvolle Behandlungsalternative zum geschlossen Maßregelvollzug, wie es im Rahmen des § 64 in Deutschland erfolgt, dar (Höfer et al. 2019). Ob die Maßnahme mit Strafaufschub oder während des Vollzugs der Freiheitsstrafe vollzogen wird, hängt von der Strafhöhe, dem Rückfallrisiko und der Behandlungsprognose ab (Urwyler 2018).

Wenn eine 63er-Maßnahme haftbegleitend durchgeführt wird, beinhaltet das Behandlungskonzept zumeist Interventionen, die Einzeltherapie, Gruppentherapie, Milieutherapie und therapeutische Ausgänge bis hin zu Arbeitsexternat umfassen.

Die zuständige Behörde kann außerdem verfügen, dass die verurteilte Person zu Beginn der eigentlich ambulanten Maßnahme für maximal 2 Monate stationär behandelt wird (sog. stationäre Einleitung), wenn dies zur Erleichterung der ambulanten Behandlung geboten ist (z. B. medikamentöse Einstellung oder Entzugsbehandlung).

Die Ausgestaltung einer ambulanten Maßnahme nach Art. 63 CH-StGB kann also je nach Durchführung unterschiedlicher kaum sein: Wird sie nicht haftbegleitend vollzogen, leben die Verurteilten zu Hause oder in höher oder niedrigschwellig betreuten Wohneinrichtungen, gehen einer Arbeit im ersten Arbeitsmarkt oder eine anderen Tagesstruktur nach und kommen einmal in der Woche zu einem ambulanten Therapiegespräch in ein forensisches oder allgemeinpsychiatrisches Ambulatorium. Unter dem gleichen Rechtstitel kann aber auch eine Behandlung in einem hochstrukturierten Setting erfolgen, wie z. B. in der „Forensisch-Psychiatrischen Abteilung“ (FPA) der Pöschwies. In dieser Spezialabteilung der JVA Pöschwies in Regensdorf stehen 24 Plätze zur Behandlung von Männern mit Persönlichkeitsstörung, die Sexual- oder Gewaltstraftaten begangen haben, zur Verfügung. Der Alltag dort ist vom Aufstehen bis zum Zubettgehen strukturiert und therapeutisch begleitet.

Platzierung und Durchlässigkeit

Die Platzierung der zu einer Maßnahme verurteilten Personen wird von den die Maßnahme führenden Bewährungs- und Vollzugsdiensten organisiert. Personen mit Persönlichkeitsstörungen werden in Maßnahmezentren behandelt, wie in den beiden, die oben beispielhaft beschrieben wurden. Personen, die eine schwere psychische Störung im Sinne einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis aufweisen, werden eher in forensischen Kliniken, wie z. B. dem Zentrum für stationäre Forensische Therapien der Klinik für Forensische Psychiatrie Zürich (ZSFT), behandelt. Diese (wenigen) Kliniken werden in der Regel von den kantonalen Gesundheitsdepartementen betrieben. Sie sind ärztlich geleitete Institutionen mit einem therapeutischen Milieu. Das ZSFT verfügt als größte forensische Klinik der Schweiz über 27 Plätze im Sicherheitsbereich sowie 2 geschlossene Stationen mit erhöhter Betreuungsintensität, 2 geschlossene Stationen mit milieutherapeutischem Schwerpunkt und eine offene Maßnahmestation, die der Entlassungsvorbereitung dient.

Wenn sich Straftäterinnen und Straftäter mit schweren psychischen Störungen in Justizvollzugsanstalten befinden, dann überwiegend im Status der Untersuchungshaft, wobei hier häufig von der verfahrensführenden Behörde ein vorzeitiger Maßnahmeantritt initiiert wird, also die Verlegung in eine forensische Klinik vor Abschluss des Gerichtsverfahrens.

Insgesamt ist das Schweizer System also recht differenziert und bietet unterschiedliche Behandlungsszenarien an. Maßnahmen können in Allgemeinpsychiatrischen oder forensischen Kliniken, Maßnahmezentren, Wohneinrichtungen und vollzugsbegleitend durchgeführt werden. Junge psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter können getrennt von den Erwachsenen behandelt werden. Außerdem ist das Sanktionensystem relativ durchlässig: So kann bei Personen, die zunächst zu einer Freiheitsstrafe und einer ambulanten Maßnahme während des Vollzugs verurteilt wurden, nachträglich eine stationäre Maßnahme angeordnet (BGer 6B_135/2012) oder diese verwahrt werden (BGE 6B_1076/2021).

Herausforderungen

Neben den Vorzügen, die das Schweizer Sanktionensystem bietet, ergeben sich allerdings auch Herausforderungen durch die Diversität von Sprache und Mentalität, Unterteilung der Kantone und verschiedene Vollzugskonkordate. Dies trug bis 1980 zu einem geringen Interesse an forensischer Psychiatrie und einer fehlenden Zertifizierung forensische Experten bei. High-Profile-Fälle, wie der Mord an Pasquale Brumann im Jahre 1993 sowie andere schwere Straftaten durch mehrfach vorverurteilte Täter führten in den 80er- und 90er-Jahren zu Novellierungen. Die Notwendigkeit von Qualitätsverbesserung der forensischen Gutachten, von amtlichen und strafrechtlichen Abläufen und der Ausgestaltung von Maßnahmen und Therapien wurde erkannt. Unter anderem wurden Fachkommissionen gegründet, in denen ein interdisziplinäres Team unabhängiger Experten Fälle von schwerer Gewalt bewertet, die Gemeingefährlichkeit von Täterinnen und Tätern beurteilt und Empfehlungen hinsichtlich Lockerungen oder Entlassungen ausspricht, die als Empfehlung für das Gericht dienen (Sachs et al. 2014).

Außerdem wurde 2006 die Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie (SGFP) gegründet, die sich der Förderung eines professionellen Austauschs und der Entwicklung von forensischen Qualitätsstandards verschrieben hat. Inzwischen existiert ein Forensik-Curriculum mit einer Zertifizierung zum Forensischen Psychiater SGFP, der seit 2014 von der Foederatio Medicorum Helveticorum (FMH) Schwerpunkt „Forensische Psychiatrie und Psychotherapie“ abgelöst wurde.

Eine Revision des schweizerischen StGB von 2007 brachte neue Probleme mit sich. Im Art. 19 CH-StGB heißt es: „War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe.“

Damit fehlt etwas Entscheidendes im Gesetzestext, und zwar das ursprünglich ins Auge gefasste Eingangsmerkmal der „schweren psychischen Störung“. Aufgrund des hohen Sicherheitsbedürfnisses entstand eine Tendenz, das Konzept von psychischen Störungen zu erweitern. Inzwischen ist es zu einer Verlagerung in Richtung der Zuschreibung von Gefährlichkeit gekommen, indem jedes als gefährlich eingestufte Verhalten pathologisiert werden kann (Habermeyer et al. 2019), während die Therapiemöglichkeiten und Effektivität von Behandlungen überschätzt werden. Denn Gefährlichkeit ist mit psychotherapeutischen Methoden nur angehbar, soweit sie tatsächlich auf einer psychischen Störung beruht und nicht auf einem kriminellen Selbstkonzept.

Die Gesetzesänderung führte zu einem deutlichen Anstieg der Verurteilungen zu stationären Maßnahmen nach Art. 59 und zu einer Abnahme von Verurteilungen zu Verwahrungen (in den 5 Jahren vor der Revision wurden 87 VerwahrungenFootnote 1 verfügt, nach der Revision 23 (2007–2011)). Außerdem ist die Anordnung von Maßnahmen für junge Erwachsene und von stationären Suchtmaßnahmen rückläufig (Tab. 2). Die Ursachen dieser Entwicklung sind unklar.

Tab. 2 Entwicklung der Sanktionen, 2007–2019

Insgesamt machen Maßnahmen ohnehin nur einen kleinen Teil der angeordneten Sanktionen aus. Der Anteil an Personen, die neben einer Maßnahme zusätzlich eine Freiheitsstrafe erhalten, ist hoch (Tab. 3).

Tab. 3 Verurteilungen mit Hauptsanktionen, 2021 und 2022

Der Anstieg der 59er-Maßnahmen ist mit einer erheblichen Zunahme der Sanktionskosten verbunden, zwischen 2007 und 2011 von 44 auf 93 Mio. CHF/Jahr. Dem gegenüber steht an Mangel an Therapieplätzen: Nur die Hälfte der Personen mit einer stationären therapeutischen Maßnahme kann in einer geeigneten Einrichtung betreut werden; die andere Hälfte ist in Strafanstalten oder anderen Institutionen platziert, wo keine adäquate Begleitung oder Behandlung möglich ist.

Das Schweizer Modell des ambulanten Behandlungsansatzes im Rahmen der Maßnahme nach Art. 63 StGB stellt für die Gruppe mäßig gefährlicher psychisch kranker Personen und für Personen mit Störungen durch psychotrope Substanzen häufig eine zweckdienliche, kostengünstigere und passgenauere Behandlungsform dar als eine stationäre Behandlung. Dennoch ist in der Schweiz aufgrund des Mangels geschlossen geführter Institutionen für stationäre Suchtmaßnahmen nach Art. 60 CH-StGB eine Unterversorgung von schwerstabhängigen Straftäterinnen und Straftätern zu beklagen, für die eine ausschließlich ambulante Behandlung oder ein offen geführtes Maßnahmezentrum zu kurz greifen. Viele renommierte Suchtfachkliniken in der Schweiz wiederum lehnen die Durchführung angeordneter Behandlungen im Rahmen des Art. 60 CH-StGB ab.

Im wesentlichen Unterschied zu den deutschen Maßregeln kann eine Schweizer Maßnahme auch gegenüber voll schuldfähigen Täterinnen und Tätern angeordnet werden, wenn eine Behandlungsbedürftigkeit aufgrund von Gefährlichkeit gesehen wird. Darüber hinaus hat sich die Erwartung an die Forensische Psychiatrie erhöht, und neben der Risikominimierung wird zunehmend eine Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme verlangt. Es besteht die Gefahr, zu einem Fachgebiet mit diffusen – weniger medizinischen als vielmehr sicherheitspolitischen – Aufgaben der Gefahrenabwehr zu werden. Krankheit und Schuldfähigkeit verlieren an Relevanz, es kommt zu einer Rollendiffusion mit der Entwicklung der forensischen Psychiatrie hin zu einer juristischen Disziplin.

Eine Rückbesinnung auf die Ursprünge der forensischen Psychiatrie als ein medizinisches Fachgebiet ist geboten, in der die forensische Psychiatrie juristische Behörden berät und unterstützt, sich als Gehilfe, aber nicht Erfüllungsgehilfe anbietet. Dabei ist eine Bindung an definierte und quantifizierbare Krankheitsbegriffe angezeigt, um vor gesellschaftlicher bzw. politischer Instrumentalisierung geschützt zu sein.

Fazit: differenzieren statt gleichschalten

Auch, wenn das schweizerische und deutsche Sanktionensystem auf den ersten Blick viele Gemeinsamkeiten aufweisen, bestehen wesentliche Unterschiede hinsichtlich 1) der Anordnung einer Maßnahme in der Schweiz, unabhängig von der Schuldfähigkeit, 2) der Vollzugshoheit, die bei den Bewährungs- und Vollzugsdiensten liegt, 3) der externen Evaluation von Vollzugslockerungen durch sog. Fachkommissionen, 4) spezieller Maßnahmen, nämlich denen für junge Erwachsene (Art. 61 StGB) und der ambulanten Maßnahme nach Art. 63 StGB und 5) einer größeren Ausdifferenzierung und Durchlässigkeit.

Das schweizerische Sanktionensystems hat, wie oben aufgezeigt, durchaus Schwächen. Seine ausgewiesenen Stärken betreffend ist festzuhalten, dass die geringe Größe des Landes – trotz aller Hindernisse – einen engen professionellen Austausch ermöglicht. Besonders schwierige Klientinnen können dank solcher Absprachen z. B. durch verschiedene Einrichtungen rotieren, sodass Behandlungsteams immer wieder entlastet werden können. Mit der Möglichkeit von ambulanten Maßnahmen und der Möglichkeit von Maßnahmen für junge Erwachsene mit dem Ziel der Persönlichkeitsreifung stehen außerdem juristisch interessante Sanktionsformen zur Verfügung.

Insgesamt bestehen in Bezug auf die Behandlung persönlichkeitsgestörter Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrecher mehrere geeignete Optionen: Im besten Fall werden diese Störungen im Rahmen der Maßnahme für junge Erwachsene früh angegangen und gelangen gar nicht erst zu voller Blüte. Für persönlichkeitsgestörte Erwachsene gibt es verschiedene Einrichtungen mit Rahmenbedingungen, die eine Therapie unter einem geeigneten Sicherheitsdispositiv ermöglichen. Dies kann ebenso eine vollzugsbegleitende Therapieoption sein, weil auch milieutherapeutische stationäre Angebote in den Justizvollzugsanstalten existieren, wie eine ambulante Behandlung im Lebensumfeld der Person.

Aus hiesiger Sicht stellt gerade die Breite des Angebots eine entscheidende Ressource dar, möglichst vielen Personen eine individuell auf ihre Behandlungsbedürftigkeit und ihre kriminogenen Risiken angepasste Behandlung anzubieten.

Das von der DGSP empfohlene Vorgehen einer Abschaffung des Maßregelvollzuges zugunsten vollzugsbegleitender Behandlungen scheint auf einem Idealbild von Therapiemöglichkeiten in Justizvollzugsanstalten zu beruhen, das der Realität nicht standhalten kann. Dabei unterscheiden sich Auftrag, Milieu, Regelwerk und Ausbildung des Personals in Anstalten des Vollzugs grundsätzlich von den Bedingungen in Klinikeinrichtungen (oder Maßnahmezentren). Welche Klinikdirektorinnen und Direktoren sehen sich selbst als Gefängnisdirektorinnen und Direktoren? Welche JVA hält einen qualifizierten Therapeutinnen- und Therapeutenstab vor? In modernen Therapiekonzepten spielen Erprobungen der in der Therapie erlernten Fertigkeiten durch Lockerungen zunehmend im Vordergrund. Wie wären diese im Strafvollzug mit seinen engeren und rigideren Regeln umzusetzen? Fehlverhalten in Kliniken wird therapeutisch aufgegriffen, im Justizvollzug mit Disziplinarmaßnahmen geahndet. Außerdem scheint die Subkultur von Justizvollzugsanstalten mit Insassenhierarchien, gegenseitiger Diskriminierung und der Orientierung an devianten Normen kein geeignetes Milieu für einen therapeutischen Behandlungsansatz zu bieten (Laubenthal 2006).

Daher bleibt zu bedenken, dass die Abschaffung des Maßregelvollzugs u. a. wegen stigmatisierender Eingangskriterien, so sehr sie das auch sein mögen, letztlich Probleme schafft, die aus der gemeinsamen Unterbringung von psychisch gesunden und psychisch erkrankten Straftätern und Straftäterinnen resultiert: Im Strafvollzug gelten engere und rigidere Regeln als in Kliniken (oder den Schweizer Maßnahmezentren), sodass die Aufrechterhaltung eines therapeutischen Milieus, die Durchführung therapeutischer Ausgänge sowie die Umsetzung individueller Behandlungspläne kaum und wenn, dann nur unter dem Einsatz erheblicher personeller und organisatorischer Ressourcen umsetzbar sind. Zu befürchten ist, dass es nach einigen Jahren schließlich zu einer Trennung von Strafvollzug und Therapie innerhalb der Vollzugsinstitutionen kommen wird, die von jeder Anstalt selbstständig und nicht kriteriengeleitet vorgenommen würde.

Vielmehr könnte man sich damit zufriedengeben, dass die Formulierungen der deutschen Eingangskriterien abgeschwächt wurden und ein bisschen mehr Swissness in der Ausdifferenzierung des Maßregelvollzugs wagen. Eine Abkehr vom Maßregelvollzug mit seinen entsprechenden Eingangskriterien würde – wie in der Schweiz schon geschehen – nur das Label „Gefährlichkeit“ stärken, und damit eine Abkehr von psychiatrischen Indikationen hin zu einer Pathologisierung von als problematisch erachtetem Verhalten begünstigen – und dies zum Preis der Vernachlässigung psychischer kranker Straftäterinnen und Straftäter.