Die Frage, ob Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung (im Folgenden ASP genannt; DSM-5: 301.7, ICD-10: F60.2 „dissoziale Persönlichkeitsstörung“) überhaupt einer psychotherapeutischen Behandlung zugänglich sind, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Betrachtet man die Kriterien der ASP, wie sie im DSM‑5 beschrieben sind, zeigt sich, dass die Defizite in der Beziehungsgestaltung, die Neigung zu Regelverletzungen, Manipulation und Verantwortungslosigkeit die Behandler vor entscheidende Herausforderungen stellen können. Ferner wirkt sich komplizierend die häufig nur begrenzt vorliegende Einsicht in die eigene Problematik und ein Widerstand gegenüber der – häufig ja auch von außen aufoktroyierten, also nicht intrinsisch motivierten – Therapie aus. Dennoch arbeiten Psychotherapeut:innen in verschiedenen Settings durchaus erfolgreich mit Personen, bei denen eine ASP diagnostiziert wurde.

Angesichts einer geschätzten Prävalenz von 50 % oder mehr in männlichen Straftäterpopulationen (z. B. Fazel und Danesh 2002) und der Relevanz der ASP für gewalttätige Rückfälle ist der gesellschaftliche Nutzen, der von einer erfolgreichen Behandlung ausgeht, nicht zu unterschätzen. In der empirischen Psychotherapieforschung wurde das Störungsbild bisher jedoch stiefmütterlich behandelt, und es bestehen nahezu kaum kontrollierte Studien zum Behandlungserfolg (Wilson 2014).

Dass die Stärke der therapeutischen Allianz einen wichtigen Wirkfaktor in psychotherapeutischen Behandlungen darstellt, gilt als unumstritten (Martin et al. 2000; Baier et al. 2020). Um eine erfolgreiche psychotherapeutische Arbeit zu gewährleisten, ist es notwendig, dass Patient:in und Psychotherapeut:in sich auf gemeinsame Aufgaben und Ziele verständigen und eine Arbeitsatmosphäre herrscht, in welcher beide konstruktiv arbeiten können. Dafür bedarf es verschiedener Faktoren, von denen einige allgemeine Gültigkeit beanspruchen – z. B. Empathie und Aufrichtigkeit (Nienhuis et al. 2018) –, andere Faktoren hingegen können sich je nach Population unterscheiden.

Wie aber lässt sich eine starke therapeutische Allianz etablieren, wenn die dafür entscheidenden Faktoren wie Zusammenarbeit und der Aufbau einer persönlichen Bindung zentrale Probleme des Patienten darstellen?

Forscher aus den Niederlanden (Aerts et al. 2023) setzten sich deswegen mit der Frage auseinander, auf welche Mittel Behandler zurückgreifen, um trotz dieser besonderen Schwierigkeiten eine gedeihliche therapeutische Arbeitsatmosphäre herzustellen. Dabei griffen sie auf das von Bordin (1979) postulierte Konzept der therapeutischen Allianz zurück, das – anders als einige andere, stärker schulenspezifisch geprägte Konzepte – auf jede Therapieausrichtung anwendbar ist. In diesem Konzept wird die kooperative Beziehung zwischen Patient und Therapeut im gemeinsamen Bemühen, das Leiden des Patienten zu überwinden und selbstzerstörerischen Tendenzen zu begegnen, unterstrichen.

Bezogen auf das Risk-Need-Responsivity-Prinzip wird die therapeutische Allianz hier als wichtiger spezifischer Responsivitätsfaktor betrachtet. Um also die spezifischen Anforderungen in der Arbeit mit Patient:innen mit ASP zu identifizieren, verfolgten die Autoren einen explorativen, qualitativen Untersuchungsansatz. In halbstrukturierten Interviews wurden 15 erfahrene Psychotherapeut:innen befragt, welche zwischen 10 und 33 Jahren Berufserfahrung aufwiesen, davon mindestens 5 Jahre in der Behandlung von ASP. Die Interviewer arbeiteten mit einer vorher festgelegten Themenliste, gestalteten die Interviews jedoch ansonsten offen. Sie wählten ein induktives Vorgehen bei der Auswertung der Interviews, wobei zur Sicherstellung der Reliabilität ein Abgleich zwischen verschiedenen Ratern vorgenommen wurde.

Insgesamt fanden sie sechs übergreifende Themen in der Schaffung eines therapeutischen Arbeitsbündnisses bei ASP, welche die Bedürfnisse des Patienten, die Regulierung der interpersonellen Dynamik, eine konnektive, d. h. von Authentizität, Offenheit und Beständigkeit geprägte Haltung und den Einsatz konnektiver, eine Brücke zum Patienten herstellender Fähigkeiten seitens der Therapeut:innen sowie spezifische Eigenheiten des Behandlungsprozesses und der Behandlungsziele betrafen. Die Antworten der Expert:innen wiesen untereinander eine hohe Übereinstimmung auf, sie unterschieden sich lediglich hinsichtlich Betonung und Fokus. Bemerkenswert erschien, dass sich hinsichtlich des Settings, in dem die Therapeuten tätig waren (freiwillig vs. unfreiwillig, ambulant vs. stationär), keine Unterschiede in der therapeutischen Herangehensweise auffanden.

Bei Personen mit ASP bestehe ein erhöhtes Bedürfnis nach Respekt und Autonomie, wobei Letzteres daher rühre, dass die Patienten auf das Gefühl, unabhängig zu sein, angewiesen seien. Darüber hinaus bestehe ein Bedürfnis nach Vertrauen, da Misstrauen bei dieser Patientengruppe häufig ausgeprägt sei.

Was die Gestaltung der interpersonellen Dynamik anbelangt, ergaben sich fünf relevante Subthemen. Eine Hauptaufgabe während der Therapie bestehe in dem Ringen um ein Gleichgewicht zwischen persönlicher Nähe und Distanz, wobei darauf geachtet werden müsse, das Bindungssystem weder zu sehr noch zu wenig zu aktivieren. Auch zwischen Restriktion und Freiraum müsse eine Balance gefunden werden, wobei einerseits entschieden auf Grenzverletzungen und Manipulation reagiert werden müsse, andererseits aber auch genügend Freiheiten gewährt werden müssten. Darüber hinaus sei ein besonderes Augenmerk auf Misstrauen, feindseliges und bedrohliches Verhalten zu legen. Wichtig sei es zudem, die Patienten hinsichtlich ihrer Sensibilität nicht zu unterschätzen, so reagierten Patienten mit ASP überaus empfindlich auf Ablehnung und Desinteresse.

Unter einer konnektiven Haltung verstanden die Autoren eine Haltung, die von Authentizität und Natürlichkeit sowie von Offenheit, ohne Verurteilung, gekennzeichnet ist. Dies adressiert die Empfindlichkeit dieser Klientel gegenüber Autorität. Therapeut:innen sollten darüber gewahr sein, dass die Abkehr von einem delinquenten Lebensstil für die Patienten nicht angenehm ist, sondern eine Herausforderung darstellt. Die psychotherapeutische Haltung sollte darüber hinaus von Neugier, Verständnis, Transparenz und Vertrauen gekennzeichnet sein. Von spezifischer Bedeutung bei ASP sei außerdem eine standhafte („firm“) Haltung, wobei Therapeuten die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und Entschlossenheit und Ausdauer zu zeigen, aufweisen müssen, um sich Vertrauen und Respekt des Patienten zu erarbeiten.

Die Autoren betonen die Rolle der konnektiven Fähigkeiten der Therapeuten, welche beinhalten, eine aktive Verbindung zu den Patienten herzustellen, flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse einzugehen, wobei dem korrekten Timing von Interventionen Bedeutung zukomme. Wichtig sei es zudem, nicht vom gezeigten Verhalten auf die zugrunde liegende Person zu schließen. Weiter werde vom Therapeuten ein klares, strukturiertes Vorgehen gefordert, sowie die Fähigkeit, Grenzen zu setzen und wachsam zu sein. Von herausragender Bedeutung seien die reflektiven Fähigkeiten des Therapeuten, welcher imstande sein muss, die Situation und sich selbst mit emotionaler Distanz zu betrachten.

Für den Behandlungsprozess von Bedeutung erscheinen zu Beginn die Anerkennung der eigenen Verantwortung, was eine Veränderung im Verhalten erst ermöglicht, sowie die Entwicklung von Vertrauen. Letzteres sowie das Durcharbeiten problematischer Muster stellten fortlaufende Aufgaben im Prozess dar.

Die Therapieziele beträfen einerseits die Verringerung des persönlichen Leidens und andererseits die Verbesserung interpersoneller Beziehungen, beides sicherlich Themen, die recht allgemein gültig erscheinen. Spezifisch jedoch in der Arbeit mit Patienten mit ASP erfordere die Risikoreduktion, insbesondere in forensischen Settings, eine besondere Aufmerksamkeit. Einige Patienten hätten ebenfalls eine tiefgreifende Veränderung der Persönlichkeit zum Ziel.

Auch wenn die hier beschriebenen Ergebnisse in einem klinischen Kontext wenig überraschen mögen, erscheint diese Untersuchung doch als lohnenswerter Ausgangspunkt, um die empirische Psychotherapieforschung zu dieser herausfordernden Patientengruppe weiter in Bewegung zu setzen. So besteht eine Fülle an klinischen Erkenntnissen zu antisozialen Persönlichkeiten aus kognitiv-behavioralen Ansätzen, aber ebenso in psychodynamisch orientierten Verfahren, wie z. B. der übertragungsfokussierten Therapie (Clarkin 2010) und der mentalisierungsbasierten Therapie (Bateman und Fonagy 2019), welche hinsichtlich des Verständnisses des Krankheitsbildes und möglicher Interventionen von therapeutischem Nutzen sind, es dominiert jedoch bisher ein Mangel an Outcome-Forschung. Insbesondere vor dem Hintergrund eines erheblichen Eklektizismus von Therapieansätzen gerade im forensischen Setting erscheint es wichtig, sich auf eine gemeinsame Sprache zu einigen. Begrüßenswert erscheint somit auch die Integration eines aus dem klinischen Denken stammenden Begriffs der therapeutischen Allianz in den kriminologisch gut erforschten Risk-Need-Responsivity-Rahmen. Ebenfalls stimmt das Ergebnis der Studie optimistisch, dass es zwischen den Experten unterschiedlicher Verfahren zu einer großen Übereinstimmung kam.

Methodisch kann an der Untersuchung sicherlich bemängelt werden, dass kein objektives Kriterium benutzt wurde, sondern Expert:innen nach ihren Meinungen gefragt wurden, sodass kritisch gefragt werden könnte, ob es sich hier um evidenz- oder doch eher „eminenzbasierte“ Forschung handelt. Stellt man diesen Vorwurf jedoch beiseite, kann die Untersuchung als durchaus vielversprechender Beginn einer Forschungsreihe gesehen werden, an deren Endpunkt eine evidenzbasierte und risikoorientierte Psychotherapie stehen könnte.