Die Freiheit nach der Haft birgt für viele Haftentlassene nicht nur Chancen, sondern auch Risiken wie Obdachlosigkeit. Diese nimmt auch in Ländern mit hohem Einkommen, insbesondere bei jungen Menschen, zu (Fazel et al. 2014). Die Folgen von Obdachlosigkeit reichen von einer verkürzten Lebenserwartung über ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Erkrankungen bis hin zu einer vermehrten Viktimisierung. Psychiatrische Erkrankungen wiederum können zu erneuter Delinquenz beitragen. Welche Faktoren begünstigen bei Inhaftierten das Risiko, nach der Haft wohnungslos zu werden? Inwieweit beeinflussen psychiatrische Vorerkrankungen oder Substanzmissbrauch dieses Risiko? Wie hängt Wohnungslosigkeit mit erneuter Straffälligkeit zusammen, und wie unterscheidet sich das Risiko zwischen Männern und Frauen?

Um diesen Fragen nachzugehen, haben die Autor:innen Nilsson et al. in einer nationalen Registerstudie alle strafmündigen Personen in Dänemark untersucht, die zwischen 2001 und 2021 aus der Haft entlassen wurden (Nilsson et al. 2023). Insgesamt wurden 37.382 Erstinhaftierte (davon 7 % Frauen) im Alter von 15 bis 41 Jahren in die Studie eingeschlossen. Als Datenbasis dienten das Zentralstrafregister, das Obdachlosenregister, das nationale Patientenregister und das zentrale psychiatrische Forschungsregister.

Im Nachbeobachtungszeitraum von 5,4 Personenjahren wurden 4,9 % aller Erstinhaftierten nach der Entlassung wohnungslos. Für 71,5 % war es die erste Erfahrung mit Wohnungslosigkeit. Weibliche Haftentlassene wiesen im ersten Jahr nach Haftentlassung mit 4,3 % eine deutlich höhere Wohnungslosigkeit auf als männliche Haftentlassene (2 %). Personen, die bereits vor der Haft wohnungslos waren, waren nach der Haftentlassung häufiger erneut wohnungslos. Das Inzidenzratenverhältnis (IRR) betrug 16 (95 %-Konfidenzintervall (95 %-KI) 15–18), d. h., die Inzidenz der erneuten Wohnungslosigkeit war 16-mal höher als bei Personen, die nie zuvor wohnungslos waren. Kam eine alkohol- oder substanzbezogene Störung hinzu, erhöhte sich die IRR auf 24 (95 %-KI 20–28). Bei Personen, die vor der Inhaftierung mehr als 3‑mal in einer Obdachlosenunterkunft registriert waren, war erneute Wohnungslosigkeit sogar 39fach wahrscheinlicher als bei Personen, ohne entsprechende Kontakte (95 %-KI 34–45). Insbesondere bei jüngeren Personen (< 20 Jahre) stand vorherige Wohnungslosigkeit in einem engen Zusammenhang mit erneuter Wohnungslosigkeit nach Entlassung (IRR 31,6; 95 %-KI 20,8–48,1). Bei Personen, die vor der Haft wohnungslos waren, war eine kürzere Haftdauer (< 6 Monate) mit einer erhöhten Inzidenz für Wohnungslosigkeit verbunden (IRR 18; 95 %-KI: 15,8–20,0).

Das Regressionsmodell berücksichtigte bereits Faktoren wie Geschlecht, Alter und Kalenderjahr. In einem erweiterten Modell wurden darüber hinaus das Herkunftsland, das Bildungsniveau, der Beziehungsstatus, die Dauer der aktuellen Inhaftierung, frühere Wohnungslosigkeit, psychiatrische Erkrankungen sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch berücksichtigt. Die im zweiten Modell berücksichtigten Faktoren reduzierten die ausgewiesenen IRR-Werte jedoch nur geringfügig.

Der Rückfallbegriff in dieser Studie wurde weit gefasst und schloss nicht nur erneute Straftaten, sondern auch Verstöße gegen Bewährungsauflagen mit ein. Das Risiko, innerhalb von 2 Jahren nach der Entlassung rückfällig zu werden, betrug 73,2 % und war bei Männern höher als bei Frauen (74,4 % vs. 57,7 %). Bei Personen, die nach der Haft wohnungslos wurden, war das Rückfallrisiko 50 % höher als bei Personen mit Unterkunft (IRR 1,5; 95 %-KI 1,3–1,7). Die Rückfallwahrscheinlichkeit der Wohnungslosen war bei zusätzlichem Substanzmissbrauch sogar doppelt so hoch (IRR 2,3; 95 %-KI 1,8–3,0). Alkoholabhängigkeit führte bei wohnungslosen Frauen häufiger zu erneuter Delinquenz als bei Männern (IRR 4,5; 95 %-KI: 2,4–8,2 vs. IRR 1,5; 95 %-KI = 1,1–2,1), ebenso das das Vorliegen psychiatrischer Erkrankungen (IRR 2,9; 95 %-KI = 1,8–4,7 vs. IRR 1,8; 95 %-KI = 1,4–2,2). Schizophrenie-Spektrum-Störungen wurden nur bei wohnungslosen Männern berichtet und waren nahezu mit einer Verdoppelung erneuter Straffälligkeit verbunden (IRR 1,9; 95 %-KI = 1,3–3,0). Diese Ergebnisse blieben auch im erweiterten Regressionsmodell erhalten.

Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Phase nach der Haftentlassung für Personen mit bestimmten Risikofaktoren ein erhebliches Wohnungslosigkeitsrisiko birgt. Besonders gefährdet waren Personen, die bereits vor der Inhaftierung wohnungslos waren, Frauen, Personen mit kurzen Haftstrafen, jüngere Personen und Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen, einschließlich Suchterkrankungen. Wohnungslosigkeit wiederum stand im Zusammenhang mit erneuter Straffälligkeit, insbesondere wenn Faktoren wie psychiatrische Erkrankungen oder Suchterkrankungen hinzukamen. Frauen waren stärker gefährdet als Männer.

Die große Kohorte eines ganzen Landes und der lange Beobachtungszeitraum sind Stärken der Registerstudie. Die verwendeten Modelle berücksichtigen zudem potenzielle Verzerrungsfaktoren. Dennoch gibt es einige Limitationen, die bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden sollten. Erstens definiert die Studie Wohnungslosigkeit als „registrierte Übernachtung in einer Obdachlosenunterkunft für mindestens einen Tag“. Ohne die Berücksichtigung von unterkunftsloser Wohnungslosigkeit („Leben auf der Straße“) oder verdeckter Wohnungslosigkeit (Wohnen bei Freunden oder Verwandten) bleibt das Bild an dieser Stelle undifferenziert in Bezug auf Ursachen und Folgen der verschiedenen Formen von Wohnungslosigkeit. Zweitens ist es möglich, dass die Daten zu psychiatrischen Störungen unvollständig sind, da Informationen von Allgemeinärzt:innen in den Registern fehlen. Dies könnte zu einer Unterbewertung des Zusammenhangs zwischen psychiatrischen Störungen und Wohnungslosigkeit geführt haben. Die verwendeten Register sind dadurch eingeschränkt, dass sie keine Informationen über die Behandlung während der Haft, extramurale Angebote nach der Entlassung, soziale Unterstützung, mögliche Traumatisierung, Medikation und andere Faktoren, die mit Wohnungslosigkeit oder Rückfälligkeit im Zusammenhang stehen könnten, enthalten. Der weit gefasste Rückfallbegriff erschwert die Vergleichbarkeit mit anderen Studien. Die Übertragbarkeit auf den deutschsprachigen Raum ist zwar limitiert; Daten aus dem Wohnungslosenberichterstattungsgesetz sprechen jedoch für ähnliche Problemfelder in Deutschland (BMAS 2022).

Die Studie unterstreicht die Bedeutung eines erfolgreichen Übergangsmanagements nach der Haftentlassung. Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit ist zwar ein wesentlicher Schritt, reicht aber allein nicht aus, um das Rückfallrisiko zu reduzieren. Ein Übergangsmanagement sollte individuelle Risikofaktoren für Wohnungslosigkeit und Delinquenz identifizieren und diesen durch eine koordinierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen während und nach der Haft entgegenwirken.