Wenn bei schweren Gewaltstraftaten Kinder unter 14 Jahren an der Tat beteiligt sind, wird in Deutschland regelmäßig über eine Senkung des Alters der Strafmündigkeit diskutiert. Hintergrund ist § 19 des Strafgesetzbuches (StGB), der einer Bestrafung von Kindern bis zu dieser Altersgrenze entgegensteht. Zuletzt war der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise aus Freudenberg, die im März 2023 von zwei 12- und 13-jährigen Mädchen getötet wurde, Anlass für die Debatte (Wüstenberg 2023). Davor forderte beispielsweise im Jahr 2019 der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, im Zuge der Ermittlungen zu einer Vergewaltigung in Mühlheim an der Ruhr mit minderjährigen Tatverdächtigen eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre (Maxwill et al. 2019). Dagegen sprach sich die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) aus, wobei sie argumentierte: „Strafrechtliche Verantwortung setzt einen bestimmten Entwicklungsstand voraus, der bei Kindern unter 14 Jahren regelmäßig nicht gegeben ist“ (Rwa 2023).

In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden 19.571 Straftaten im Jahr 2022 erfasst, bei denen ein tatverdächtiges Kind unter 14 Jahren beteiligt und zugleich ein Kind dieser Altersgruppe von der Tat betroffen war. Außerdem wurden in diesem Jahr 5166 von einem Kind verübte Straftaten an einer erwachsenen Person (Deutscher Bundestag 2023, S. 2) – bei insgesamt 5.628.584 registrierten Straftaten (Bundeskriminalamt 2022a) – in die PKS aufgenommen. Bei der Interpretation der PKS-Zahlen ist jedoch stets zu berücksichtigen, dass von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist, da die Anzeigebereitschaft bei Tatverdächtigen unter 14 Jahren als gering einzuschätzen ist (Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 2006, S. 11).

Im Hinblick auf die Entwicklung der Anzahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren wird von 2009 bis 2014 ein Rückgang beobachtet (2009: 96.627 tatverdächtige Kinder; 2014: 68.295 tatverdächtige Kinder). 2015 und 2016 stieg die Anzahl der tatverdächtigen Kinder in der PKS bis auf ein Niveau von 90.610 tatverdächtige Kinder wieder an. In den Folgejahren stagnierte die Anzahl und erreichte 2020 mit 62.668 Tatverdächtigen unter 14 Jahren das bislang niedrigste Niveau. Es folgte ein erneuter Anstieg bis 2022 auf 93.095 Tatverdächtige des entsprechenden Alters, wobei die im Jahre 2009 erfasste Anzahl nicht erreicht wurde (Deutscher Bundestag 2023, S. 3). Wird die Tatverdächtigenbelastungszahl (Tatverdächtige [unter 14 Jahren]/100.000 Einwohner, TVBZ) herangezogen, zeigt sich 2022 ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Jahr 2002. Während 2022 insgesamt 1607 Tatverdächtige unter 14 Jahren/100.000 Einwohner registriert wurden, belief sich die Rate 2002 Jahre zuvor auf 2228. Dies entspricht einer (negativen) Steigerungsrate von −27,9 % (Bundeskriminalamt 2022b).

Die häufigsten Delikte, die von Kindern begangen werden, sind laut der PKS Sachbeschädigung, Ladendiebstahl, Körperverletzung und Brandstiftung. Taten von erheblicher Schwere werden selten beobachtet. Die TVBZ für Gewaltkriminalität lag 2022 bei 186 tatverdächtigen Kindern/100.000 Einwohnern und, bezogen auf die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, betrug die Rate/100.000 Einwohnern 13,5. Straftaten gegen das Leben wurden noch deutlich seltener von Kindern begangen (2022: 0,3 tatverdächtige Kinder/100.000 Einwohner). Die dargestellte Entwicklung der im Hellfeld erfassten Taten, bei denen Kinder unter 14 Jahren vermutet werden, liefert somit allein noch keinen Anlass, um grundsätzliche Änderungen im Hinblick auf die Senkung der Strafmüdigkeitsgrenze zu fordern (Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V. 2023, S. 1).

Nach dem StGB und dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) werden Kinder, Jugendliche und Heranwachsende hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit unterschiedlich beurteilt. Damit korrespondieren gesetzlich festgelegte Altersgrenzen, die mit bestimmten Entwicklungsschritten, Rechten und Verantwortlichkeiten in Beziehung gesetzt werden (Günter und Karle 2010, S. 561 f.). Personen unter 14 Jahren (Kinder) sind dabei nach dem deutschen Gesetz sind nicht strafmündig, d. h., rechtswidrige Taten von Kindern können strafrechtlich nicht geahndet werden. Dies gilt auch bei schwerwiegenden Vorwürfen und auch dann, wenn ein Kind bei der Tatbegehung die erforderliche Reife zur Einschätzung des Unrechts hat. Zugleich gibt es in Fällen von Kinderdelinquenz umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten durch die Jugendämter und Familiengerichte, die überwiegend im achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) geregelt sind. So ist eine geschlossene Unterbringung der kriminell in Erscheinung getretenen Kinder möglich, auch kann beispielsweise der Entzug der elterlichen Sorge nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) angeordnet werden (Günter und Karle 2010, S. 562).

Im Gesetz als „Jugendliche“ bezeichnete Personen, d. h. Minderjährige, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind, werden als grundsätzlich strafrechtlich verantwortlich angesehen, sofern die auf die Tat bezogene erforderliche Verantwortlichkeit nach § 3 JGG vorliegt. Diese Voraussetzungen hat ein Jugendgericht in dieser Altersgruppe somit stets zu prüfen. Fehlt es an der Verantwortlichkeit im Sinne des § 3 JGG können (wie bei straffällig gewordenen Kindern) Maßnahmen nach dem achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und dem BGB durch ein (Familien‑)Gericht angeordnet werden.

Im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit werden „Heranwachsende“, d. h. 18- bis 20-jährige Personen, grundsätzlich wie Erwachsene behandelt. Es wird allerdings im Einzelfall gemäß §§ 105 ff. JGG entschieden, ob das Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht angewendet wird. Auf Letzteres wird dabei zurückgegriffen, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass diese zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch einer jugendlichen Person gleichstand, oder wenn es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

Eine feste chronologisch verankerte Altersgrenze der strafrechtlichen Reife kann empirisch nicht begründet werden, da sich der Übergang allmählich vollzieht (Lösel und Bliesener 1994; Günter und Karle 2010, S. 564). Eine Ablösung vom Elternhaus und eine Hinwendung zu Gleichaltrigen, sog. Peergroups, sind dabei grundlegend. Auch spielt der Übergang von einer an individuellen Konsequenzen orientierten (präkonventionellen) Moral hin zu einer an sozialen Standards orientierten (konventionellen) Moral eine Rolle (Schütze und Schmitz 2003). Im Besonderen ist die Ausbildung eines differenzierten Selbst und einer integrierten Identität Voraussetzung für autonomes Handelns und für die Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

Im europäischen Vergleich ist das Strafmündigkeitsalter unterschiedlich geregelt. Während man z. B. in Österreich, Slowenien und Spanien wie in Deutschland mit 14 Jahren strafmündig ist, können in England, Wales und Nordirland Kinder ab 10 Jahren strafrechtlich verfolgt werden. In den Niederlanden wurde die Altersgrenze zur Strafmündigkeit auf 12 Jahre und in Norwegen auf 15 Jahre festgelegt. In Polen liegt das Strafmündigkeitsalter bei 17 Jahren, für schwerwiegende Taten (wie z. B. Mord) können hier allerdings bereits 15-Jährige strafrechtlich belangt werden.

Berücksichtigt werden muss, dass Jugendkriminalität in ganz unterschiedlichen Formen auftritt. Mehrheitlich werden von Kindern und Jugendlichen keine schweren Straftaten, sondern Bagatelldelikte begangen. Auch sind Kinder im Strafvollzug in erhöhtem Maß der Gefahr von Mobbing und Gewalt (durch ältere Insassen) ausgesetzt (Rehman 2023). Zugleich stellt sich die Frage, welche Wirkung eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters in Deutschland zur Folge hätte. Der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der LMU München, Ralf Kölbel, verweist dazu in einem Interview darauf, dass Strafen bei Kindern keine Abschreckungswirkung hätten. Zur Tatwiederholung käme es nur selten, da es sich meist um emotionsgeleitete Taten handele, die aus der Situation heraus begangen würden (Schröder 2023).

Empirisch gesicherte Befunde zu den Auswirkungen des Kontakts mit dem Justizsystem in der Kindheit auf die Adoleszenz sind begrenzt. Eine von Novak in den USA durchgeführte Studie nahm sich dieser Forschungslücke an und untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit dem Justizsystem in der Kindheit und Straffälligkeit, Verhaftung sowie Schulabbruch in der Adoleszenz (Novak 2019). Die Ergebnisse zeigen, dass der Kontakt mit dem Justizsystem mit einer negativen Entwicklung korreliert (Novak 2019, S. 543 f.). So war die Wahrscheinlichkeit, im Alter von 18 Jahren mindestens 3‑mal verhaftet zu werden, in der untersuchten Gruppe der Kinder, die in ihrer Kindheit Kontakt mit dem Justizsystem hatten, höher als bei denjenigen, die mit 12 Jahren straffällig wurden. Außerdem wurde für die Kinder, die mit 12 Jahren ihren ersten Kontakt zum Justizsystem hatten, ein proportionaler Anstieg des Abbruchs der High School im Alter von 18 Jahren festgestellt.

Diese Befunde stehen im Einklang mit früheren Ergebnissen, nach denen ein Zusammenhang zwischen dem Erstkontakt mit dem Justizsystem in der Jugend und einer wiederholten Straffälligkeit besteht (Farrington 1977; Klein 1986). Aus empirischer Sicht existiert keine Möglichkeit, einen allgemeingültigen Zeitpunkt festzulegen, ab dem eine Person strafmündig ist (Schild und Zabel 2023). Eine Absenkung des Alters der Strafmündigkeit wird jedoch von Expertinnen und Experten überwiegend abgelehnt.