Am 13.03.2023 ist Dr. Steffen Lau (Abb. 1), für uns alle unerwartet, im Alter von 57 Jahren verstorben. Nach dem Studium der Humanmedizin in Hamburg und London absolvierte er seine Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin: Von der Allgemeinpsychiatrie am Krankenhaus Moabit wechselte er am 01.11.1998 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Institut für Forensische Psychiatrie im Klinikum Benjamin Franklin der Freien Universität, das seit 1996 von H.-L. Kröber geleitet wurde. Seit Juni 1999 hatte er die Stelle eines Oberarztes inne. 2002 promovierte er an der Charité mit einer Vergleichsstudie über zivilrechtliche Unterbringungen psychisch Kranker. In den 7 Jahren am Institut war er intensiv wissenschaftlich und auch gutachterlich tätig, die Themen waren u. a. rechtsradikale Straftäter, Persönlichkeitsstörung und Straffälligkeit, Einflussfaktoren auf die Rückfälligkeit von Maßregelpatienten. Immer wieder standen schizophren Erkrankte bei ihm im Fokus, auch in Beiträgen für das Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Zusammen mit den Aussagepsychologen des Instituts verfasste er Publikationen zur Aussagetüchtigkeit psychisch Kranker und Persönlichkeitsgestörter.

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Dr. med. Steffen Lau. (Bildnachweis: Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, mit freundlicher Genehmigung)

Nachdem er vorher schon im Coaching von Maßregelvollzugskliniken aktiv war, übernahm er im November 2005 die ärztliche Leitung der Forensisch-Psychiatrischen Klinik in Altscherbitz bei Leipzig und stellte sich unmittelbar der Aufgabe, einen humanen, ressourcenorientierten Maßregelvollzug zu gestalten, nicht zuletzt durch intensive Anleitungs- und Trainingsarbeit mit seinen Mitarbeitern.

Zum 01.07.2009 konnte das Institut für Forensische Psychiatrie in Berlin, das 2010 dann Teil der Charité wurde, Steffen Lau für die Übernahme der Leitung der Forensisch-Therapeutischen Ambulanz des Instituts gewinnen. Die FTA, direkt gegenüber der JVA Tegel gelegen, betreute damals 40 aus der Sotha der JVA entlassene Strafgefangene und 40 entlassene Maßregelpatienten, bei denen jeweils ein hohes verbleibendes Risiko gesehen wurde. Sehr ungern ließen die Kolleginnen und Kollegen ihn dann nach Zürich ziehen, aber die engen Kontakte brachen nie ab.

Im April 2010 begann Steffen Lau seine Tätigkeit an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, wo er ab 2011 als Chefarzt des Zentrums für Stationäre Forensische Therapie und seit 2013 als stellvertretender Klinikdirektor fungierte. In den folgenden Jahren hat Steffen Lau mit hohem Engagement und einem durchgängigen Anspruch, die klinische Versorgung in Richtung eines behandlungsorientierten Maßnahmenvollzugs zu entwickeln, nicht nur das ihm anvertraute Zentrum, sondern die gesamte Zürcher Klinik für Forensische Psychiatrie und die schweizerische Forensik geprägt.

Es war ihm dabei durchgängig ein Anliegen, gerade für schizophren Erkrankte Behandlungsbedingungen zu schaffen, die ihren Defiziten und insbesondere ihren Ressourcen Rechnung tragen. Dabei war er stets bereit, sich im Interesse der ihm anvertrauten Patienten zu exponieren und die notwendigen Auseinandersetzungen zu führen. Er war zutiefst davon überzeugt, dass diese eine fachlich hervorragende, auf eine Entlassungsperspektive abzielende Behandlung nicht nur benötigen, sondern ein Anrecht darauf haben. Großen Widerwillen hatte er gegen paternalisierende bzw. entmündigende Haltungen. Er war immun gegen die Tendenz, simple „Erklärungen“ für Delikte zu formulieren und die komplexen Hintergründe, die auch bei schwerwiegenden Erkrankungen zur Delinquenz beitragen, zu vernachlässigen.

Mit Steffen Lau geht unserem Fach nicht nur ein engagierter Arzt und Klinikchef, sondern auch ein wichtiger Ausbilder, Lehrer und Mentor verloren. Er hat auf vielen Tagungen vorgetragen, war ein in verschiedenen Kliniken geschätzter Supervisor, gestaltete Workshops zu unterschiedlichen Themen und engagierte sich in der Psychotherapieausbildung sowohl in der Forensischen- als auch Allgemeinpsychiatrie. Seine Begeisterung für die Sache, die auch in dem von ihm geprägten Podcast „was ist richtig“ deutlich wurde, hat viele von der Forensischen Psychiatrie überzeugt und für das Fach motiviert. Dies gelang ihm über seine lebhaften und didaktisch versierten Vorträge, seine pointierten Wortbeiträge an Tagungen, aber auch mithilfe seiner humorvollen und immer wieder auch selbstironischen Art.

Steffen Lau hinterlässt eine empfindliche Lücke, weil er stets dezidiert für eine forensische Psychiatrie als Teil der Psychiatrie einstand. Seine durch und durch therapeutische und stets das Individuum adressierende Haltung steht im Gegensatz zu Haltungen, die forensisch psychiatrische Fälle vorwiegend im Licht des Delikts und letztlich als Ansammlung von Risikomerkmalen betrachten. Seine aufmerksame Neugier galt dem hinter dem Delikt stehenden Menschen. Er hat sich gegen eine „kriminaltherapeutische“ Technokratie gestellt und Menschen behandelt, nicht Straffälligkeit. Es ging ihm darum herauszufinden, welche individuellen Faktoren jemanden dazu gebracht haben, einem anderen Menschen etwas Schlimmes anzutun, und mit dieser Person zu arbeiten, damit diese künftig ein straftatfreies, besseres Leben führen kann.

Mit der Beschreibung seiner psychiatrischen, gutachterlichen und wissenschaftlichen Leistungen ist aber das Phänomen Steffen Lau noch nicht hinreichend erfasst. Das betrifft die Frage, warum ihm die Herzen aller zuflogen, die ihm begegneten und mit ihm gearbeitet und gefeiert haben, ob nun beruflich, bei seinem Theaterspielen mit den „Hidden Shakespeares“, oder auch familiär und privat. Er hatte einen unverwüstlichen Charme, mit dem er sich in seiner unstillbaren Neugier auf Menschen und ihre Eigenheiten anderen zuwandte. In der persönlichen Begegnung war er verblüffend unkompliziert, unprätentiös, mit einer hellwachen Aufmerksamkeit für die Anliegen und die Positionen des Gesprächspartners. Seine Zuwendung und seine Wahrnehmung waren getragen von einem tiefen Humor, mit Freude gerade an dem Merkwürdigen, Krummen, ja auch Bedürftigen, und nicht zuletzt an der Verrücktheit der „Normalen“. Sein Lachen wird keiner vergessen. Er war temperamentvoll, leistungsfreudig, in der Durchführung übernommener Aufgaben absolut zuverlässig. Sehr viel Stärke bezog er aus seiner Herkunftsfamilie; er war ein fürsorglicher Ehemann und Vater, ein beispielhaft liebevoller Mensch, und er wurde zurückgeliebt. Wir werden ihn ganz sicher nicht vergessen.