Einleitung

Die Sozialtherapie gilt in Deutschland als Mittel der Wahl zur Behandlung von Gewalt- und Sexualstraftätern mit mittlerem bis hohem Rückfallrisiko, die eine breite Anzahl von kriminogenen Risikofaktoren („needs“) aufweisen, und bei denen eine gute Ansprechbarkeit auf Behandlung („responsivity“) antizipiert wird. Die Ausgestaltung der Sozialtherapie weist dabei regionale Unterschiede auf (Kury 1999; Wößner 2002): Je nach Bundesland unterscheiden sich die Einrichtungen in ihrer jeweiligen Größe und den damit verbundenen unterschiedlichen Organisation ihrer Stationen, ihrer therapeutischen Ausrichtung sowie den angewandten Behandlungsprogrammen.

Studien, die sozialtherapeutische Therapieprogramme im deutschen Sprachraum bzw. die Wirksamkeit von Sexualstraftätertherapie im englischen Sprachraum evaluieren, produzierten in den vergangenen Jahren unterschiedliche Ergebnisse (Gannon et al. 2019; Mews et al. 2017; Wischka 2014), wobei eine Metaanalyse methodisch hochwertiger Studien eine signifikante Rückfallreduktion von 26 % für behandelte Sexualstraftäter nachweisen konnte (Schmucker und Lösel 2017). Wenngleich dies zunächst die Effektivität von Sexualstraftätertherapien nahelegt, so konnte bislang nicht eindeutig konkretisiert werden, welches die wirksamen Komponenten der angebotenen Therapien sind (Seifert 2014). Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit eine zufriedenstellende quantitative Evaluation der Sozialtherapie überhaupt möglich ist (Guéridon 2016). Befunde aus der allgemeinen klinisch-psychotherapeutischen Forschung legen hingegen nahe, dass eine spezifische Technik oder ein Therapiemanual nur einen Bruchteil einer erfolgreicher Therapie vorhersagt (Lambert 2013) – weitaus relevanter für die Vorhersage von erfolgreichen Therapieabschlüssen oder klinisch bedeutsamer Symptomreduktion erscheint hierbei die Bildung einer tragfähigen und stabilen therapeutischen Allianz (Horvath et al. 2011), welche als allgemeiner Wirkfaktor von Psychotherapie gilt (Grawe 2005; Orlinsky und Howard 1987). Das stärkere Selbstverständnis der Sozialtherapie als Kriminal- denn als Psychotherapie mag dabei ein Grund für die Vernachlässigung allgemeiner Wirkfaktoren in der Evaluationsforschung der Sozialtherapie sein. Mit einigen wenigen Ausnahmen (Pecher und Stark 2013; Seifert 2014; Suhling et al. 2013) konzentriert sich diese bisher eher auf die Evaluation einzelner Therapieprogramme (Wischka 2014) oder betrachtet Unterschiede zwischen Einrichtungen mittels Benchmarking (Carl et al. 2019; Suhling und Guéridon 2016). Gleichwohl betonen praktisch tätige Psycholog*innen in Justizvollzugseinrichtungen die Bedeutsamkeit allgemeiner Wirkfaktoren. Insofern erscheint eine Notwendigkeit gegeben, die Bedeutung der therapeutischen Beziehung (sowie Brüchen in derselbigen) für die Effektivität der Sozialtherapie dezidierter zu erforschen. Neben der erhöhten Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen bei Inhaftierten begünstigt eine generelle Mitarbeiterfluktuation innerhalb der psychologischen Fachdienste das Auftreten von Therapeut*innenwechseln, welches gegebenenfalls die Effektivität der Behandlung reduziert. Die vorliegende qualitative Arbeit soll daher versuchen, die aufgezeigte Forschungslücke zu schließen, und widmet sich der Beantwortung folgender Fragen: Aus welchen Gründen finden Therapeut*innenwechsel statt, bei welchen Klienten werden sie vermieden, und inwieweit wird Wechselwünschen vonseiten der Inhaftierten stattgegeben?

Theoretischer Hintergrund

Mit den revidierten Empfehlungen des Arbeitskreises Sozialtherapie (Revidierte Empfehlungen des Arbeitskreises Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug e. V. 2013) wurden 2013 die Mindestanforderungen an Organisationsform und Personalausstattung sozialtherapeutischer Einrichtungen näher definiert. Der Wunsch nach kontinuierlicher Versorgung durch ein und denselben Therapeuten ist dabei nicht näher formuliert. In den Leitlinien für wirksame Sozialtherapie (Wischka und Specht 2001) finden sich nähere Ausführungen zur konkreten Ausgestaltung sozialtherapeutischer Maßnahmen, wobei auch hier keine direkte Betonung der therapeutischen Beziehung als zu beachtender Wirkfaktor erfolgt. Am nächsten kommt dem Konzept die Forderung nach einem „Aufbau tragfähiger emotionaler Beziehungen“ in der Sozialtherapie, wobei hierunter mitunter auch Beziehungen zum allgemeinen Justizvollzugsdienst oder Mitinhaftierten verstanden werden können. Wenngleich die Leitlinien durch den Arbeitskreis stetig aktualisiert werden, so bleibt der Begriff dennoch unscharf, und es gibt nicht „die“ eine Sozialtherapie. Je nach Anstalt und Zeitgeist werden verschiedene therapeutische Methoden (z. B. Milieutherapie vs. Psychotherapie, tiefenpsychologische vs. verhaltenstherapeutische Ausrichtung) gemischt (Kury 1999; Wößner 2002) und entgegen bzw. gemäß ihrer ursprünglichen Konzeption auch umgesetzt oder fortlaufend variiert (Guéridon 2016), weswegen die erhebliche Variation von einigen Autoren kritisiert wurde (Kaiser und Schöch 2002). Einigkeit besteht darüber, dass zumeist nicht die Heilung psychischer Störungen, sondern die Abmilderung krimineller Dispositionen oder Risikofaktoren im Vordergrund steht (Endres und Groß 2020). Im Folgenden soll zunächst der Zusammenhang zwischen therapeutischer Allianz, Allianzbrüchen und Therapeut*innenwechseln näher erörtert werden. Hierbei stellt sich vor allem die Frage, inwieweit Letztere Folge oder Ursache von Allianzbrüchen sein können.

Therapeutische Allianz und Allianzbrüche

Bereits Freud wies vor über 100 Jahren darauf hin, dass es „das erste Ziel der Behandlung bleibt, ihn [den Patienten] an die Kur und an die Person des Arztes zu attachieren“ (Freud 1913). Klassischerweise wird die Allianz nach Bordin (1979) definiert, welcher die Übereinstimmung in Zielen, Aufgaben sowie die affektive Bindung zwischen Therapeut*in und Klient*in als wesentliche Bestandteile der Arbeitsbeziehung formulierte. Dass die therapeutische Allianz einen wesentlichen Wirkfaktor für den Therapieerfolg darstellt, hat sich als robustes Ergebnis verschiedener Metaanalysen erwiesen (Flückiger et al. 2012; Horvath et al. 2011; Martin et al. 2000). Im Vergleich zu anderen allgemeinen Wirkfaktoren wie Empathie (d = 0,63), positiver Wertschätzung (d = 0,56) und Therapieerwartung (d = 0,24) weist die therapeutische Allianz eine Effektstärke von d = 0,57 auf (Wampold und Imel 2015). Im speziellen Kontext der Sozialtherapie ist zu erwarten, dass eine Übereinstimmung hinsichtlich der Ziele der Therapie und Aufgaben, die von dem Inhaftierten umzusetzen sind, nur in geringem Maße vorliegt und nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Häufig stehen für Inhaftierte extrinsische Ziele wie Lockerungen oder eine vorzeitige Entlassung im Vordergrund, die nicht zwangsläufig vom psychologischen Fachdienst geteilt werden. Neben motivationalen Unterschieden zwischen Straftätern und nicht straffällig gewordenen stationären oder ambulanten Patienten zeichnet sich die sozialtherapeutische Klientel von Sexual- und Gewaltstraftätern durch eine ggü. der allgemeinpsychiatrischen Population überdurchschnittlich hohe Prävalenz (je nach Substichprobe und Studie zwischen 27 und 63 %) an Persönlichkeitsstörungen aus (Frädrich und Pfäfflin 2000; Harsch et al. 2006); ein Störungsbild, welches häufiger mit Schwierigkeiten im Aufbau der therapeutischen Beziehung assoziiert ist (Lingiardi et al. 2005; Taft et al. 2004). Persönlichkeitsstörungen, die zuweilen auch passender als Beziehungs- bzw. Interaktionsstörungen bezeichnet werden (Sachse 2000), sind dabei durch das Anwenden interpersoneller Tests gekennzeichnet, auf die der Therapeut entsprechend komplementär reagieren muss, um die Beziehung aufrechtzuerhalten (Sachse 2016). Als solches ist zu konstatieren, dass Therapierende in sozialtherapeutischen Einrichtungen häufiger mit Herausforderungen in der Behandlung persönlichkeitsgestörter Klienten konfrontiert sind, die den Aufbau einer Allianz nur erschwert zulassen (Kury 2001).

Wie in jeder anderen sozialen Beziehung ist das therapeutische Arbeitsbündnis nicht immun für Brüche bzw. Rupturen. Rupturen können hierbei auf einem Kontinuum auftreten und von geringfügigen Unstimmigkeiten zwischen beiden Parteien bis hin zu einem vollständigen Abbruch der Therapie aufgrund nicht lösbarer Divergenzen rangieren. So definieren Safran et al. (2011) Allianzbrüche als „episodes of tension or breakdown in the collaborative relationship between patient and therapist“. Brüche können sich hierbei auf allen drei Ebenen der therapeutischen Allianz bemerkbar machen, z. B. in Form mangelnder Zusammenarbeit in Bezug auf anstehende Ziele. Im Kontext der Sozialtherapie ist hierbei zu erwarten, dass Beziehungsbrüche vor allem Folge mangelnder Therapiemotivation seitens des Inhaftierten oder einer Nicht-Übereinstimmung über die Ziele der Therapie sind. Nicht jeder Allianzbruch führt jedoch automatisch zur Verschlechterung der therapeutischen Allianz, bei rechtzeitigem Erkennen und erfolgreichem Lösen des Bruchs kann die therapeutische Beziehung gegebenenfalls sogar verbessert werden (Eubanks et al. 2018; Zilcha-Mano et al. 2020).

Allianzbrüche und Therapeut*innenwechsel

Therapeut*innenwechsel (TW) können sowohl Ursache als auch Folge von Allianzbrüchen sein. Ein unbeabsichtigter TW (z. B. aus organisatorischen Gründen) kann Ursache für einen abrupten Bruch in der affektiven Komponente der Allianz zum alten Therapeuten sein und den Aufbau einer Bindung zu einer neuen Therapeutin notwendig machen. Wird dieser Wechsel erfolgreich durch den Klienten gemeistert, kann durch die erlebte Beziehungserfahrung ggf. sogar der Therapieerfolg verbessert werden (Klient erlebt sich als fähig, Beziehungsabbrüche zu verkraften und neue Beziehungen aufzubauen), unter Umständen können abrupte oder häufige TW jedoch auch maladaptive Grundannahmen über andere Personen verstärken („Auf andere Menschen ist kein Verlass“, „Beziehungen sind nicht stabil“). Andersherum können nichtaufgelöste Allianzbrüche in einer bestehenden therapeutischen Arbeitsbeziehung auch zum Wechselwunsch des Klienten oder des Therapierenden führen. In diesem Fall wäre ein TW Folge des Allianzbruchs. Dies ist in ambulanten Settings häufig dann zu beobachten, wenn Klienten in schwierigen Phasen die Therapie abbrechen bzw. einen neuen Behandler suchen.

Wenngleich wenig Forschung zu den Auswirkungen von Behandlerwechseln existiert, so zeigen die bestehenden Befunde auf, dass ein Wechsel mit einer signifikanten Verringerung von Allianzwerten einhergeht (Zimmermann et al. 2019). Da die therapeutische Allianz ihrerseits eine Schlüsselrolle für Symptomreduktion, Behandlungsadhärenz (Martin et al. 2000) sowie Therapiemotivation (Taft et al. 2004) einnimmt, ist zu erwarten, dass TW mit einem Anstieg der klinischen Symptomatik sowie einer Verringerung der Therapiemotivation einhergehen könnten. In einer älteren Fallstudie, die die Auswirkungen zweier Therapeut*innenwechsel auf die Gruppenpsychotherapie schizophrener und persönlichkeitsgestörter Patient*innen beschreibt (Belinkoff et al. 1962), beobachteten die Autoren, dass Patient*innen sich infolge des Wechsels häufiger zur Therapie verspäteten, die organisatorischen Rahmenbedingungen der Gruppe infrage stellten und neu zu verhandeln suchten, sowie Unzufriedenheit mit dem therapeutischen Vorgehen äußerten. In einem positiven Sinne erschien der Wechsel gleichzeitig jedoch auch den therapeutischen Prozess zu stimulieren, nachdem dieser auf einem Plateau stagniert hatte. Während diese Ergebnisse für einen Einfluss von TW auf Motivation und Zufriedenheit der Patienten sprechen, so konnte in zwei Studien kein Einfluss von TW auf den Anstieg der klinischen Symptomatik nachgewiesen werden (Sauer et al. 2017; Zimmermann et al. 2019). In einer methodisch hochwertigen Studie von Zimmermann et al. (2019) zeigten Patient*innen, die von einem Wechsel betroffen waren, keinen Anstieg in der Symptomatik in den darauffolgenden Sitzungen gegenüber Personen, die keinen Wechsel erlebten. Hierbei ist zu erwähnen, dass es sich bei der Stichprobe um ambulante Patient*innen einer universitären Ambulanz handelte, die überwiegend aufgrund von Depressionen und Angststörungen in Behandlung waren (4 % erhielten die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung), und bei denen ein Wechsel eventuell häufiger aus organisatorischen Gründen denn aus interpersonellen Gründen stattfand. (Allianzbrüche wären somit häufiger Folge als Ursache eines Wechsels.) Angesichts der geringfügigen Prävalenz von Achse-II-Störungen in diesem Sample sind die Befunde somit nicht ohne Weiteres auf die forensische Population, welche eine deutlich höhere Prävalenz an Persönlichkeitsstörungen aufweist, übertragbar.

Gründe für Therapeut*innenwechsel

In nichtforensischen psychotherapeutischen Settings können TW aus einer Vielzahl von Gründen erfolgen (Altmann et al. 2014). Hierbei lassen sich zwei Kategorien von Wechseln unterscheiden: klienteninitiierte sowie therapeuteninitiierte Wechsel. Favorisiert der Klient einen anderen Behandlungsansatz oder Behandler und bekommt bei diesem auch einen Therapieplatz, ist ein Wechsel möglich. Vom Klienten initiierte Wechsel scheinen vor allem aus wahrgenommenen Passungsproblemen, enttäuschten Therapieerwartungen oder Unzufriedenheit mit dem Behandlungssetting (Weitkamp et al. 2019) heraus zu entstehen, wobei von Behandlerseite aus teilweise vermutet wird, dass Wechselwünsche Ausdruck von Vermeidung und Deflexion sein können. Gleichwohl sind von Klient*innen initiierte Wechsel auch aus organisatorischen Gründen (z. B. Umzug in ein anderes Bundesland) möglich (Altmann et al. 2014). Von Therapierenden initiierte Wechsel können dabei auf der Tatsache beruhen, dass der Therapeut nach den probatorischen Sitzungen bspw. ein anderes Verfahren für indizierter hält und dem Klienten zu einem Wechsel rät (Altmann et al. 2014). Findet ein therapeuteninitiierter Wechsel im Verlauf der Therapie statt, so erscheinen häufiger organisatorische Gründe (wie z. B. Elternzeit, Aufgabe der Praxis, Beendigung der Tätigkeit in einer Ausbildungsambulanz) für den Wechsel verantwortlich, wobei auch hier Passungsprobleme als Grund nicht ausgeschlossen werden können. Dennoch arbeiten die meisten approbierten Psychotherapeut*innen mit der Maßgabe, auch „schwierige“ Klient*innen zu behandeln, und sind durch ihre Berufsausbildung auf etwaige Konfrontationen (z. B. Beziehungstests oder Abwertung durch persönlichkeitsgestörte Klient*innen) vorbereitet, die nicht direkt zum Anlass genommen werden, eine Therapie abzubrechen.

Offene Forschungsfragen und Hypothesen

Zu dem speziellen Phänomen von Behandlerwechseln in der Sozialtherapie ist in der Forschung bislang wenig bekannt. Dabei stellt sich zunächst die Frage, inwieweit das Thema von Relevanz ist und TW ein häufiges Phänomen im praktischen Alltag sozialtherapeutischer Einrichtungen sind. Im zweiten Schritt ergibt sich die Frage, aus welchen Gründen solche Wechsel stattfinden, und ob die obig benannten Gründe aus nichtforensischen ambulanten Settings auf das stationäre Setting der Sozialtherapie übertragbar sind. Dies bringt die Frage mit sich, ob Inhaftierten in der Sozialtherapie die Möglichkeit eingeräumt wird, einen TW zu initiieren. Angesichts der Tatsache, dass der Therapie im Vollzug ein gewisser Zwangscharakter innewohnt, lässt sich hier die Hypothese aufstellen, dass Inhaftierten wenig Mitspracherechte bei Auswahl und Wechsel des ihnen zugewiesenen psychologischen Fachdienstes haben und dementsprechend keine TW von Klienten initiiert werden können. Zudem wird vermutet, dass TW aus organisatorischen (z. B. Krankheitsausfall), inhaltlichen (z. B. Stagnation im Behandlungsverlauf) sowie interaktionellen Gründen (z. B. Passungsprobleme) heraus stattfinden. Allgemein wird angenommen, dass TW in der Sozialtherapie seltener infolge eines Allianzbruchs durchgeführt werden und häufiger Ursache für Brüche sind und somit die Häufigkeit organisatorischer Wechsel die Häufigkeit interaktioneller Wechsel überwiegen. Zuletzt ergibt sich die Frage, ob bei bestimmten Gruppen von Inhaftierten TW stärker vermieden werden. Aufgrund der Erfahrung, dass persönlichkeitsgestörte Klienten größere Schwierigkeiten im Aufbau der therapeutischen Beziehung haben (Spinhoven et al. 2007), ist zu vermuten, dass bei diesen Inhaftierten ein TW stärker vermieden wird als bei anderen Straftätergruppen.

Methodik

Studiendesign und Stichprobe

Alle 19 Interviews wurden im Zeitraum von Dezember 2021 bis März 2022 geführt. Die Studie wurde durch die Ethikkommission der Universität Hildesheim und die kriminologischen Dienste der teilnehmenden Länder genehmigt. Ausschlusskriterium zur Teilnahme an der Studie waren sozialtherapeutische Anstalten bzw. Abteilungen (SothAn), die gemäß der Stichtagserhebung der Kriminologischen Zentralstelle vom 31.03.2021 (Moosburner 2021) weniger als 20 Behandlungsplätze vorhielten bzw. deren Belegungszahl 20 unterschritt. Hier wurde davon ausgegangen, dass in ebensolchen Einrichtungen u. U. nur ein psychologischer Fachdienst tätig sein würde, sodass die Möglichkeit eines TW nicht gegeben wäre. Durch dieses Ausschlusskriterium fielen Einrichtungen aus der Datenerhebung heraus, in denen Frauen untergebracht waren. Bei den Einrichtungen der Interviewten handelte es sich damit ausschließlich um SothAn für adoleszente und erwachsene Männer. Weitere Voraussetzung für die Teilnahme an der Befragung war, dass Personen eine koordinierende oder leitende Position innerhalb des psychologischen Fachdienstes innehatten und Auskunft über Zuordnungsprozesse und TW innerhalb ihrer Einrichtung geben konnten.

Von den ursprünglich 12 angefragten kriminologischen Diensten der Bundesländer meldeten 7 Bundesländer ein positives Votum zurück, wobei in zwei Bundesländern kein Interviewtermin mit den jeweiligen Verantwortlichen innerhalb des Studienzeitraums ausgemacht werden konnte. Ein Bundesland sagte die Teilnahme ab; aus den verbliebenen vier Bundesländern wurde keine Rückmeldung abgegeben. Auf eine Anfrage bei den übrigen Bundesländern wurde abgesehen, da sich ab der Durchführung des 14. Interviews eine Saturation der Daten abzeichnete.

Die resultierende Stichprobe umfasste 19 Expert*innen aus 18 sozialtherapeutischen Einrichtungen (hiervon 2 für männliche adoleszente Straftäter, 16 für erwachsene Männer) aus fünf Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein). Eine Person war im Prognosezentrum ihres Bundeslandes tätig, bezog ihre Antworten jedoch auf die vormalige Tätigkeit in einer SothA. Die Größe der befragten Einrichtungen variierte von 24 bis zu 154 Inhaftierten (M = 40,8, SD ± 29,2). Im Schnitt arbeiteten M = 4,9 Psycholog*innen oder approbierte Therapeut*innen in der jeweiligen Einrichtung (inkl. der befragten Person). Bei den 19 Befragten handelte es sich um 12 approbierte psychologische Psychotherapeut*innen, von den verbliebenen 7 Personen hatten 5 einen psychologischen, eine Person einen kriminologischen sowie eine Person einen medizinischen Hintergrund.

Material

Expert*innen wurden mittels eines halbstrukturierten Interviewleitfadens, bestehend aus 21 Fragen befragt. Für die vorliegende Forschungsfragestellung wurden vier Fragen ausgewertet, die sich auf TW bezogen: 1.) Kommt es in Ihrer Einrichtung zu TW? 2.) Wenn ja, wann kommt es zu Wechseln? 3.) Wird bei bestimmten Klientengruppen ein TW eher vermieden? 4.) Von wem kann der Wechsel initiiert werden (auch von Klienten)? Alle Interviews wurden am Telefon durchgeführt, per Diktiergerät aufgezeichnet und anschließend transkribiert.

Qualitative Datenauswertung

Alle Interviews wurden manuell ausgewertet und einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) unterzogen. Hierbei wurde eine thematische fallübergreifende Analyse vorgenommen (Döring und Bortz 2016). Ober‑, Unter- und Subkategorien wurden induktiv anhand des vorliegenden Datenmaterials gebildet. Dabei konnte jede gebildete Kategorie nur einmal pro Interview kodiert werden. Zum Ende der Auswertung wurden im Sinne des zirkulären Vorgehens bei qualitativer Datenauswertung alle gebildeten Kategorien gesichtet, revidiert und anhand thematischer Gemeinsamkeiten zu Unter- und Subkategorien zusammengefasst. Anschließend wurden die Interviews ein zweites Mal gesichtet, um zu prüfen, ob dies zu einer Veränderung der Häufigkeiten der jeweiligen Kategorien führte. Bei der Auszählung der Häufigkeiten einzelner Kategorien wurde eine Frequenzanalyse nach Mayring (2010) angewandt.

Ergebnisse

In allen untersuchten SothAn kam es zu Wechseln des Therapierenden. Bei den Gründen hierfür bildeten sich organisatorische, inhaltliche sowie interaktionelle Aspekte als Oberkategorien heraus (Tab. 1). Unter organisatorischen Gründen wurden hierbei Stationswechsel des Therapierenden oder Inhaftierten, Elternzeit/Schwangerschaft, Erkrankung des Therapierenden, Personalwechsel und Personalausfall allgemein subsumiert. Unter Personalwechsel wurden Gründe wie Fluktuation, Neueinstellungen sowie Weggang alter Kolleg*innen zusammengefasst. Die Restkategorie Personalausfall allgemein wurde kodiert, wenn durch Interviewte lediglich angegeben wurde, dass ein Personalausfall zu Wechseln führte, nicht jedoch der nähere Grund (z. B. Krankheit, Elternzeit etc.) spezifiziert wurde. Unter inhaltlichen Gründen für Wechsel bildeten sich die Unterkategorien Stagnationen im Behandlungsverlauf, Wechsel des thematischen Behandlungsschwerpunkts sowie allgemeine inhaltliche Gründe heraus. Unter Stagnationen im Behandlungsverlauf wurden hierbei die Subkategorien lange Haftdauer, komplexe Störungsbilder sowie allgemeine Stagnationen kodiert. Ein Wechsel fand demnach statt, wenn aufgrund einer langen Haftdauer oder einer komplexen Störung inhaltlich ein Wechsel durch das Behandlungsteam indiziert schien, um es dem Inhaftierten zu ermöglichen, mit einem neuen Behandler Fortschritte zu machen. Unter Wechsel des thematischen Behandlungsschwerpunkts wurden in Abgrenzung zur vorherigen Kategorie solche Wechsel kodiert, die nicht zwingend aus einer Stagnation heraus erfolgten, sondern trotz einer erfolgreich voranschreitenden Therapie aus inhaltlichen Gründen notwendig wurden, wie z. B. um eine Entlassung vorzubereiten (Wechsel zu einem Therapierenden außerhalb der Einrichtung) oder um Spezialaspekte in der Behandlung zu fokussieren (z. B. Thematisierung von sexuellen Gewaltfantasien mit einem männlichen statt einer weiblichen Therapeutin, um die therapeutische Beziehung nicht über Gebühr zu belasten). Wechsel erfolgten hierbei weniger aufgrund von Problemen in der therapeutischen Beziehung, sondern im Hinblick auf eine neue Therapieausrichtung. In einer Einrichtung wurde lediglich die Angabe von inhaltlichen Gründen gemacht, ohne diese auszuführen (allgemeine inhaltliche Gründe).

Tab. 1 Gründe für Therapeut*innenwechsel in der sozialtherapeutischen Behandlung

Unter der Oberkategorie interaktionelle Gründe bildeten sich Nähe-Distanz-Probleme sowie Probleme in der therapeutischen Beziehung als Unterkategorien heraus. Während Erstere vor allem Grenzüberschreitungen beinhaltet, umfasst Letztere in Abgrenzung zur vorherigen Unterkategorie Probleme in der Passung zwischen Therapeut*in und Klient, welche sich aus verschiedenen Gründen ergeben konnten. Hierbei wurden jedoch von den meisten Befragten keine näheren Angaben über die Art der Passungsprobleme gemacht, weswegen die meisten Nennungen unter der Subkategorie allgemeine interaktionelle Probleme kodiert wurden.

Im Hinblick auf die zweite Forschungsfrage ergaben sich folgende Gründe, aus denen TW vermieden wurden: Persönlichkeitspathologie des Inhaftierten (hierunter Bindungs- und Beziehungsstörungen [31,58 %], Rigidität/Misstrauen [10,53 %], schizoide Anteile [5,26 %]), Alter (5,26 %) sowie Kontinuitätsgründe bei langstrafigen Inhaftierten (5,26 %) oder weil bereits viele Wechsel erfolgt waren (5,26 %). Drei der Interviewten beschrieben, dass sie Wechsel generell vermeiden würden, konnten jedoch keine nähere Angabe machen, bei welchen Personengruppen dies der Fall war. Sechs Einrichtungen machten keine nähere Angabe.

Die Frage, inwieweit Wechsel auch von Klienten initiiert werden können, wurde von vier Befragten bejaht (21,05 %; Wechsel möglich bei guter Begründung), von 7 Personen (36,84 %) grundsätzlich verneint. 8 Expert*innen (42,11 %) gaben an, Wechsel nur in Ausnahmefällen auf Wunsch des Klienten zuzulassen. Hierunter wurden Einrichtungen kodiert, die eine Initiierung durch den Klienten zwar eher ablehnten, diese in Ausnahmefällen aber ermöglichten, wobei dies in den Interviews mit Formulierungen wie „teilweise“, „extrem selten“ oder „tatsächlich de facto fast nie“ umschrieben wurde. Jeder der Befragten konnte dabei genau einer Kategorie (ja/nein/in Ausnahmefällen) zugeordnet werden.

Diskussion

Während viel über den Einfluss der therapeutischen Allianz für das Outcome psychotherapeutischer Behandlung bekannt ist, so ist unklar, inwieweit in deutschen SothAn die Kontinuität der Behandlung gewahrt werden kann, um ein möglichst gutes Behandlungs-Outcome bei Sexual- und Gewaltstraftätern zu erzielen. Obgleich über die relative Häufigkeit von Wechseln anhand der vorliegenden Daten keine Aussage getroffen werden kann, so bleibt festzuhalten, dass ein Großteil der Befragten sich darüber einig war, dass TW ein seltenes Ereignis in ihren Einrichtungen waren. Zeitgleich wurde von einigen Einrichtungen auch über eine erhöhte Mitarbeiterfluktuation berichtet, die dazu führte, dass Inhaftierte z. T. bis zu 5 Wechsel innerhalb ihrer 2‑jährigen Behandlung erlebten. Um die Häufigkeit von Wechseln genauer zu erfassen, erscheinen hier in Zukunft längsschnittliche Erhebungen sinnvoll. Als häufigst genannter Wechselgrund ergaben sich konträr zu den Erwartungen allgemeine Interaktionsprobleme zwischen Therapeut*in und Inhaftiertem. Wechsel könnten somit häufiger Folge von Allianzbrüchen als deren Ursache sein, wobei aufgrund der verschiedenen Subkategorien nicht näher zu bestimmen ist, ob Wechsel tatsächlich häufiger aus interaktionellen Gründen denn aus organisatorischen Gründen auftraten. Gleichwohl stützt der Befund die Beobachtung, dass es sich bei SothA-Inhaftierten um eine schwierige Klientel handelt, deren Persönlichkeit es häufig innewohnt, Beziehungsabbrüche herauszufordern. Des Weiteren lassen sich Unterschiede zu nichtforensischen Patienten in der Art der Wechselgründe erkennen, mit einer Vielzahl von Gründen aus dem Spektrum der Grenzüberschreitungen.

Implikationen für Praxis und Forschung

Knapp 79 % der Befragten gaben an, einen Wechsel nicht oder nur in Ausnahmefällen auf Wunsch von Inhaftierten durchzuführen. Während diesbezüglich also ein weitestgehender Konsens besteht, ist gleichzeitig eine Heterogenität in den Gründen für die Entscheidung erkennbar: Während einige Einrichtungen Wechselwünsche durch Inhaftierte rundheraus ablehnten („Vollzug ≠ Wunschkonzert“), ermöglichten andere Einrichtungen den Inhaftierten bereits zu Beginn der Therapie die freie Wahl eines Behandelnden und nahmen daher spätere Wünsche nach einem Wechsel nicht mehr an. Für die Praxis und zukünftige Forschung stellt sich dabei die Frage, welches Vorgehen am sinnvollsten für den Behandlungserfolg ist: Bewirkt die Therapie bei einem Behandler, mit dem keine hohe Allianz besteht, eine Veränderung im Inhaftierten, da sie ihn lehrt, mit Antipathie besser umzugehen? Oder schürt sie im schlimmsten Fall mehr Reaktanz und befördert Therapieabbrüche, da der Inhaftierte sich nicht auf die Person des Therapeuten einlassen kann? Welche Konsequenz haben somit Wechsel für die therapeutische Allianz und das nachfolgende Behandlungsergebnis? Hat die Sozialtherapie eventuell sogar ggü. ambulanten Therapien den Vorteil, dass Klienten nicht einfach „Therapeuten-Hopping“ betreiben können, sondern Beziehungskrisen gemeinsam mit ihren Therapeut*innen bearbeiten müssen? Anhand der Häufigkeit, mit der von den Interviewten „in Ausnahmefällen“ ein Wechsel auf Wunsch des Inhaftierten ermöglicht wurde, deutet sich an, dass es sich hierbei häufig um komplexe Einzelfallentscheidungen handelt. Dennoch verdeutlicht diese Thematik, dass es innerhalb der Vollzugslandschaft eine Pluralität von Meinungen zu der Grundsatzfrage Wie viel Entscheidungsfreiheit geben wir Inhaftierten? gibt. Für die Forschung ergibt sich hieraus die Frage, inwieweit SothAn, die ihren Klienten mehr Entscheidungsfreiheit einräumen, bessere Behandlungserfolge mit diesen erzielen als SothAn, die die Autonomie von Inhaftierten stärker beschränken. Eine ausreichende Diskussion dieser Frage übersteigt dabei jedoch den Rahmen des vorliegenden Artikels.

Neben der Frage, inwieweit Klienten selbst Wechsel initiieren können, ist ebenfalls zu diskutieren, inwieweit die Praxis, mit jedem Stations- oder Gruppenwechsel innerhalb der SothA einen neuen Einzeltherapeuten bzw. -therapeutin zugewiesen zu bekommen, dem Behandlungserfolg förderlich ist. Hierbei ist hervorzuheben, dass einige Expert*innen bewusst die allgemeine Outcome-Forschung der Psychotherapie referenzierten und angaben, Wechsel weitestgehend zu vermeiden, um Inhaftierten eine Kontinuität zu ermöglichen. Andere Einrichtungen wiederum praktizierten das oben beschriebene Vorgehen, mit einem Wechsel der Gruppentherapie stets auch einen Wechsel des zuständigen Einzeltherapeuten vorzunehmen. Hierbei bleibt zu diskutieren, inwieweit die Zuweisung einer Einzeltherapeutin nachrangig zur Gruppenzuweisung ablaufen oder stattdessen unabhängig von dieser oder vorrangig erfolgen sollte. Ein solches Vorgehen impliziert dabei gleichzeitig einen Paradigmenwechsel innerhalb der Sozialtherapie, weg von einem primär gruppentherapeutisch orientierten Vorgehen hin zu einem einzeltherapeutischen Fokus, welches durch metaanalytische Befunde gestützt wird (Schmucker und Lösel 2017).

Conclusio

Sowohl organisatorische, inhaltliche als auch interaktionelle Gründe können Therapeut*innenwechsel in der Sozialtherapie bedingen, wobei bei bestimmten Persönlichkeitspathologien von Inhaftierten Wechsel eher vermieden werden. Wechselwünschen von Inhaftierten wird im Regelfall nicht entsprochen, stattdessen werden die dahinterliegenden Gründe mit dem Inhaftierten bearbeitet. Zukünftige Studien sollten hierbei erforschen, welche Konsequenzen ein Wechsel für die therapeutische Beziehung sowie das Behandlungsergebnis haben kann, und inwieweit ein Wechsel das Risiko für nachfolgende Behandlungsabbrüche erhöht.