Das „Reasoning-and-Rehabilitation“-Programm (R&R) im deutschen Strafvollzug – Auswirkungen auf die Legalbewährung

Trotz vielfältiger Bemühungen, die Effektivität der Straftäterbehandlung im Vollzug weiter zu steigern, zeigen aktuelle bundesweite Rückfalluntersuchungen (Jehle et al. 2020), dass mindestens jede*r zweite Inhaftierte innerhalb von 3 Jahren nach der Entlassung aus dem Strafvollzug erneut rechtskräftig verurteilt wird. Jugendstrafen gehen hierbei mit höheren Rückfallquoten einher (69,4 %) als Freiheitsstrafen (48,6 %). Suhling (2020) schlussfolgerte aus diesen Befunden und angloamerikanischen Studien, in denen kein Wirksamkeitsunterschied zwischen kommunalbasierten und institutionellen Sanktionen gefunden wurde, „dass Zweifel an der Wirksamkeit des Strafvollzugs im Hinblick auf die Legalbewährung angebracht sind“ (S. 38). Gleichzeitig wies er daraufhin, dass die Wirksamkeit des Strafvollzugs entscheidend von den dortigen Behandlungsangeboten und der adäquaten Berücksichtigung des Rückfallrisikos der Inhaftierten, ihrer kriminogenen Bedürfnisse und ihrer Ansprechbarbarkeit auf die Angebote abhängt (Risk-Need-Responsivity [RNR] Prinzipien; Andrews et al. 1990).

Entsprechend zeigten Bonta und Andrews (2017) in ihrer Metaanalyse mit 225 einbezogenen Studien, dass behandelte Straftäter*innen seltener rückfällig werden als unbehandelte (46 % vs. 54 %), wobei der durchschnittliche Effekt der Behandlungsmaßnahmen klein bleibt (r = 0,08). Auch Lösel und Bender (2018) berichteten, dass internationale Metaanalysen mit durchschnittlichen Effektstärken zwischen r = 0,05 und r = 0,15 eine insgesamt positive Wirkung von Straftäterbehandlung nahelegen. Zu den weltweit am häufigsten angewandten Straftäter*innen-Behandlungsprogrammen zählt das „Reasoning-and-Rehabilitation“-Programm (R&R; Ross et al. 1988), das als kognitiv ausgerichtetes Gruppentraining die Teilnehmenden (TN) durch die Modifikation von Risiko- und Schutzfaktoren der Delinquenz zu einem straffreien Leben befähigen soll (Hosser und Weber 2021). In insgesamt 35 Sitzungen werden, bei 2‑ bis 4‑mal wöchentlich stattfindenden Gruppentreffen mit je 6 bis 8 TN, 9 Module bearbeitet (Gretenkord 2002). Diese umfassen Fertigkeiten zum Problemlösen, soziale Kompetenzen, Verhandlungsfertigkeiten, den Umgang mit Emotionen, kreatives Denken, Werte und kritisches Urteilen. Durch die Bearbeitung der Module sollen die soziale Anpassungsleistung der TN sowie ihre Selbst- und Emotionsregulation verbessert werden (für weitere Informationen zu Methoden, Durchführung und Einschlusskriterien: Gretenkord 2002; Hosser und Weber 2021).

Die Wirksamkeit des R&R wurde in zahlreichen Studien bestätigt (Antonowicz und Parker 2012). In den Metaanalysen von Tong und Farrington (2006, 2008) zur Originalversion des R&R mit 16 bzw. 19 einbezogenen Studien ergab sich bei den TN im Vergleich zur Kontrollgruppe (KG) eine durchschnittliche Reduzierung der Rückfallraten um 14 % in einem 12-monatigen Follow-up-Zeitraum. Die Wirksamkeit konnte hierbei im Rahmen institutioneller und kommunalbasierter Angebote, unabhängig davon, ob die Programmteilnahme freiwillig war, sowie für niedrig- und hochrisikogefährdete Täter*innen nachgewiesen werden. In einer Studie aus dem schweizerischen Strafvollzug (Baggio et al. 2020) wiesen die TN des R&R2 (n = 129), einer häufig genutzten Kurzversion des R&R, eine Rückfallrate von 18,9 % im Vergleich zu einer Rückfallrate von 28,6 % in der KG (n = 84) auf. Aus Deutschland liegen, trotz des häufigen Einsatzes des R&R im Straf- und Maßregelvollzug, bisher kaum Studien zur Wirksamkeit des Behandlungsprogramms auf die Legalbewährung vor. In der bislang einzigen Studie aus dem deutschen Maßregelvollzug (Wettermann et al. 2015) zeigten sich 6 Monate nach Abschluss des Trainings bei den TN zwar Verbesserungen in der Therapeuteneinschätzung, hinsichtlich der Rückfälligkeit ergaben sich jedoch keine Behandlungseffekte. In einer ersten Evaluation des R&R aus dem deutschen Strafvollzug (Hosser und Weber 2021) zeigten sich im Haftverlauf bei den TN signifikante positive Veränderungen in den erfassten Risiko- und Schutzfaktoren der Delinquenz mit Effektstärken im kleinen bis mittleren Bereich. Nach Beendigung des Trainings waren Änderungen in selbstberichteten Einstellungen sowie Erlebens- und Verhaltensdispositionen in den Bereichen Selbstkontrolle (Impulsivität), Ärger- und Emotionsmanagement, interpersonelle Fähigkeiten (Empathie), Wertvorstellungen (Normorientierung, moralische Urteilsfähigkeit) und Selbstwert zu verzeichnen. Diese Effekte blieben bis zur Follow-up-Messung – 3 Monate nach Ende des Trainings – stabil. Auch im Verhalten der TN bildete sich eine positive Veränderung ab: Sie zeigten im Behandlungsverlauf weniger neue Regelverstöße, während die Anzahl der in Haft begangenen Verstöße in der KG gleichblieb.

Nachfolgend soll anhand neuer Daten zu der oben genannten Evaluationsstudie (Hosser und Weber 2021) geprüft werden, ob die erzielten Veränderungen im Behandlungsverlauf dazu führen, dass die TN des R&R seltener rückfällig werden als Inhaftierte, die nicht am R&R teilnahmen.

Methode

Der Untersuchung liegt ein Längsschnittdesign mit standardisierten schriftlichen Befragungen zu 3 Messzeitpunkten zugrunde (Hosser und Weber 2021). Die Selbstauskünfte der TN des R&R wurden parallel in 4 Justizvollzugsanstalten (JVA) und einer Jugendanstalt (JA) in Mecklenburg-Vorpommern sowie der Jugendanstalt Hameln in Niedersachsen im Zeitraum von Januar 2012 bis Dezember 2015 erhoben. Die Prämessung (t1) erfolgte jeweils kurz vor Beginn des Trainings, die Postmessung (t2) direkt nach dessen Ende und die Follow-up-Messung (t3) 3 Monate später. Da ein randomisiertes Kontrollgruppendesign nicht umgesetzt werden konnte, wurde nachträglich eine parallelisierte Vergleichsgruppe von Straftätern („matched pairs“) als KG generiert. Die Probanden der KG waren zeitgleich in den einbezogenen Haftanstalten inhaftiert, hatten jedoch nicht am R&R teilgenommen. Ihre Auswahl erfolgte anhand von Alter und Delikt auf Basis der Gefangenpersonalakten. Neben den Selbstauskünften der Experimentalgruppe (EG) wurden für beide Gruppen auch Angaben zu Regelverstößen in Haft aus den Gefangenpersonalakten erfasst. Für die vorliegenden Auswertungen wurden schließlich 2020 die Bundeszentralregistereinträge der EG und KG erfragt.

Stichprobe

Die EG besteht aus n = 110 männlichen TN, die an einem von insgesamt 17 Kursen des R&R teilnahmen, von denen 10 in der Strafhaft, 5 in der Sozialtherapie und 2 im offenen Vollzug stattfanden. Ihre Haftstrafe verbüßten 52,7 % der TN in einer JA und 47,3 % in einer JVA. Zum Postmesszeitpunkt konnten n = 67 Probanden (= 60,9 %) befragt werden, womit die Drop-out-Rate 39,1 % beträgt. Insgesamt 19 Teilnehmer (17,2 %) brachen die Behandlung ab, wobei verschiedene Gründe für die Abbrüche benannt wurden (z. B. mangelnde Behandlungsmotivation, frühzeitige Entlassungen oder Verlegungen in den offenen Vollzug). Bei 24 Teilnehmern scheiterte die Postbefragung aus organisatorischen Gründen (Entlassung, Verlegung, Krankenbehandlung) oder Verweigerung. Die Gefangenenpersonalakten konnten von allen TN der EG und n = 74 der KG analysiert werden, wobei in der KG 40,5 % der Inhaftierten aus einer JA und 59,5 % aus einer JVA kamen.

Beim statistischen Vergleich der EG und der KG fiel auf, dass die Inhaftierten der KG eine signifikant höhere Zahl an Vorverurteilungen aufwiesen. Zudem wurde deutlich, dass das Beobachtungsintervall nach der Haftentlassung („time at risk“) in der EG signifikant länger war als in der KG (Tab. 1). In beiden Gruppen stammte ca. ein Drittel der Inhaftierten aus sozialtherapeutischen Abteilungen (EG: 34,3 %, KG: 28,4 %). Bei den TN waren Gewaltstraftäter mit 60,9 %, Sexualstraftäter mit 17,3 %, Täter mit Eigentumsdelikten mit 14,5 % und Täter mit BtMG-Delikten mit 3,6 % vertreten. Der Anteil der Gewaltstraftäter in der KG lag bei 75,3 %. Sexualstraftäter waren mit 6,8 %, Täter mit Eigentumsdelikten mit 12,3 % und Täter mit BtMG-Delikten mit 2,7 % vertreten.

Tab. 1 Gegenüberstellung der Experimentalgruppe und der Kontrollgruppe

Operationalisierung

Einstellungen der TN wurden wie folgt im Selbstbericht erfasst: Normorientierung und moralisches Urteilsvermögen mit Skalen von Hosser und Greve (1999; 21 und 17 Items), Aggression mit dem Aggression Questionnaire (AQ; Buss und Perry 1992; 30 Items), Impulsivität mit der Barratt Impulsiveness Scale (BIS; Barratt 1965; 29 Items), Empathie mit der Basic Empathy Scale (BES; Jolliffe und Farrington 2006; 20 Items), Emotionsregulation mit der Skala zur Regulation und zur Kontrolle eigener Emotionen (EKF‑S; Rindermann 2009; 13 Items) und Selbstwert mit der Rosenberg-Skala (SES; Rosenberg 1965; 10 Items). Aus den Gefangenenpersonalakten wurde die Variable Regelverstöße gewonnen. Diese setzt sich gewichtet aus allen in Haft erhaltenen Verwarnungen (einfach gewichtet) sowie allen begangenen Disziplinarverstößen (nach § 102 StVollzG, 2fach gewichtet) und Straftaten (4fach gewichtet) zusammen. Die erneute Straffälligkeit nach der Entlassung wurde anhand von Bundeszentralregistereinträgen aus November und Dezember 2020 bestimmt und in Verurteilungen zu Haftstrafen, Bewährungsstrafen und Geldstrafen unterschieden. Darüber hinaus wurde zwischen Verurteilungen aufgrund von Gewalt- oder Sexualdelikten differenziert. Die allgemeine Rückfälligkeit beinhaltet alle erneuten Verurteilungen nach der Entlassung, unabhängig von der Art der Sanktion oder dem Delikt.

Ergebnisse

In Tab. 2 sind die Angaben zur Legalbewährung der EG und KG nach 24 und 48 Monaten abgebildet. Zwei Jahre nach der Haftentlassung war über die Hälfte der ehemals Inhaftierten erneut rechtskräftig verurteilt worden, wobei die allgemeine Wiederverurteilungsrate in der EG um 13,7 % niedriger lag als in der KG. Bei Betrachtung der absoluten Zahlen fielen die Rückfallquoten in der EG, mit Ausnahme der Verurteilung zu einer Geldstrafe nach 24 Monaten, durchgängig niedriger aus als die der KG. Statistisch signifikante Gruppenunterschiede mittels Chi-Quadrat-Tests zeigten sich jedoch nur in Bezug auf die erneute Verurteilung zu einer Haftstrafe nach 24 und 48 Monaten sowie zu einer Bewährungsstrafe nach 48 Monaten.

Tab. 2 Rückfallraten nach 24 und 48 Monaten in der Experimentalgruppe (n = 110) und der Kontrollgruppe (n = 74)

Die Rückfallindikatoren und ihre Interkorrelationen mit den Selbstberichtsmaßen sowie relevanten soziodemografischen und haftbezogenen Variablen sind in Tab. 6 aufgeführt. Anhand der Korrelationen ist zu erkennen, dass jüngere TN mit kürzeren Haftstrafen ein höheres Risiko aufwiesen, erneut zu einer Haftstrafe und/oder aufgrund eines Gewaltdeliktes verurteilt zu werden. Zudem ging eine hohe Aggression nach Abschluss des Trainings mit einer höheren Wiederverurteilungsrate zu Haftstrafen einher. Das mit dem OGRS‑3 berechnete Rückfallrisiko hing mit einer höheren Wiederverurteilungsrate aufgrund eines Gewaltdelikts zusammen. Die entsprechenden Effektstärken waren schwach bis moderat ausgeprägt. Alle anderen einbezogenen Selbstberichtsmaße sowie die Anzahl voriger Verurteilungen wiesen keine signifikanten korrelativen Zusammenhänge mit den erfassten Rückfallindikatoren auf.

Um die EG und KG inferenzstatistisch hinsichtlich ihrer Legalbewährung zu vergleichen, wurden Cox-Regressionen und Überlebenszeitanalysen nach Kaplan-Meier berechnet (Tab. 3 und Abb. 1). Die Rückfälligkeit wurde anhand von erneuten Verurteilungen zu Haftstrafen sowie anhand von Verurteilungen aufgrund eines Gewaltdelikts operationalisiert, da das Gros der Stichprobe aus Gewaltstraftätern bestand. Als Prädiktoren dienten die Gruppenzugehörigkeit (KG vs. EG) sowie das Alter und das Strafmaß. Die Kontrollvariablen wurden in das Modell aufgenommen, da beide Konstrukte korrelative Zusammenhänge mit den Rückfallindikatoren aufwiesen (Tab. 6). Das OGRS-3-Rückfallrisiko wurde hingegen nicht in das Modell aufgenommen, da dies die Stichprobengröße für die Regressionsanalyse aufgrund fehlender Werte erheblich reduziert hätte (n = 74 statt n = 184).

Tab. 3 Cox-Regressionen zur Vorhersage erneuter Haftstrafen und Verurteilungen aufgrund von Gewaltdelikten durch die Gruppenzugehörigkeit (KG vs. EG) unter Kontrolle des Alters und des Strafmaßes
Abb. 1
figure 1

Rückfallraten der Experimentalgruppe und der Kontrollgruppe über die Zeit

Die Auswertungen ergaben, dass erneute Verurteilungen zu Haftstrafen signifikant durch die (Nicht‑)Teilnahme am R&R vorhergesagt wurden: Die TN der EG wiesen lediglich 47 % des Risikos der KG auf, nach der Entlassung erneut zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden (Tab. 3). Das Risiko, erneut aufgrund von Gewaltdelikten verurteilt zu werden, betrug bei der EG 76 % des Risikos der KG. Die nähere Betrachtung der Befunde zeigte allerdings, dass diese Effekte auf die Inhaftierten aus dem Jugendstrafvollzug zurückzuführen waren, bei denen das Risiko für die Verurteilung zu einer erneuten Haftstrafe in der EG nur 32 % des Risikos der KG betrug. Bei den Inhaftierten aus den Justizvollzugsanstalten zeigte sich kein entsprechender Programmeffekt. Während die Inhaftierten der JA-KG mit Abstand am schnellsten und häufigsten erneut straffällig wurden, ergaben sich zwischen den anderen drei Gruppen keine signifikanten Unterschiede (Abb. 2). Gewaltrückfälle konnten weder in der Gesamtstichprobe noch in den Teilstichproben signifikant vorhergesagt werden.

Abb. 2
figure 2

Rückfallraten der Experimentalgruppe (EG) und der Kontrollgruppe (KG), getrennt nach Art der Einrichtung (JA vs. JVA) über die Zeit

Wurde zwischen TN, die das R&R vollständig absolviert hatten, und denjenigen, die das Programm vorzeitig abgebrochen hatten, differenziert, ergaben sich in Überlebenszeitanalysen nach Kaplan-Meier signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen: Vier Jahre nach Entlassung waren 47,4 % der Abbrecher erneut zu Geldstrafen verurteilt worden, während es bei den Absolventen des R&R nur 26,6 % waren (χ2 = 5,02, p = 0,03). Ein entsprechender signifikanter Effekt zeigte sich auch bei der allgemeinen Wiederverurteilungsrate, nicht jedoch bei den anderen Rückfallindikatoren.

Um zu überprüfen, ob und ggf. wie die bei Hosser und Weber (2021) beschriebenen Einstellungs- und Verhaltensindikatoren mit der Legalbewährung zusammenhängen, wurden weitere Cox-Regressionen berechnet. Hierbei wurden die Selbstberichtsmaße nach Ende des Trainings (t2) als Prädiktoren der Rückfälligkeit genutzt (Tab. 4). Lediglich die zum Ende des Trainings erhobene Aggression sagte signifikant eine erneute Straffälligkeit und einen Gewaltrückfall vorher.

Tab. 4 Vorhersage erneuter Haftstrafen und Verurteilungen aufgrund von Gewaltdelikten durch Selbstberichtsmaße zu t2 (n = 67)

Abschließend wurde der Zusammenhang zwischen Regelverstößen in Haft und der Legalbewährung untersucht. Im Trainingszeitraum traten Regelverstöße in Haft in der EG signifikant seltener auf als in der KG (Tab. 1). Eine Cox-Regression ergab, dass durch die registrierten Regelverstöße in Haft signifikant und positiv erneute Haftstrafen und Verurteilungen aufgrund von Gewaltdelikten vorhergesagt werden konnten (Tab. 5).

Tab. 5 Cox-Regressionen zur Vorhersage erneuter Haftstrafen und Verurteilungen aufgrund von Gewaltdelikten durch die Regelverstöße in Haft (n = 184)

Diskussion

Im Fokus der Studie stand die Frage nach den Auswirkungen des R&R auf die Legalbewährung. Anhand von Selbstberichten, Gefangenenpersonalakten und Bundeszentralregistereinträgen wurde untersucht, ob TN des R&R nach ihrer Entlassung seltener rückfällig werden, und inwiefern zuvor in Haft erfolgte Einstellungs- und Verhaltensänderungen mit ihren Rückfallraten im Zusammenhang stehen. Es wurde gezeigt, dass Inhaftierte, die am R&R teilnahmen, in den ersten 2 Jahren nach ihrer Entlassung signifikant seltener erneut inhaftiert wurden als eine parallelisierte Vergleichsgruppe von Inhaftierten, die nicht mit dem R&R behandelt wurden. TN des R&R wiesen zudem eine geringere allgemeine Rückfälligkeit auf und wurden seltener zu erneuten Haft- oder Bewährungsstrafen oder aufgrund von Sexual- oder Gewaltdelikten verurteilt, wobei die Unterschiede zwischen EG und KG dabei nicht signifikant wurden. Im Schnitt wiesen die TN des R&R 2 Jahre nach der Entlassung eine um 13,7 % geringere allgemeine Wiederverurteilungsrate auf. Dieser Effekt ist vergleichbar mit den Effektstärken aus internationalen Metaanalysen zur generellen Wirksamkeit von Straftäterbehandlung (Bonta und Andrews 2017; Lösel und Bender 2018) und den Metaanalysen von Tong und Farrington zur spezifischen Wirksamkeit des R&R (2006, 2008).

Bei der Differenzierung der verschiedenen Vollzugsformen wurde indessen deutlich, dass die gefundenen Gruppenunterschiede in den Rückfallraten allein auf die Inhaftierten aus den Jugendanstalten zurückzuführen sind. Über den Grund für die differenzielle Wirksamkeit des R&R lassen sich bislang nur Vermutungen anstellen: Möglicherweise können Entlassene aus dem Jugendstrafvollzug die in der Behandlung erworbenen Kompetenzen besser umsetzen, da sie sowohl eine höhere Anpassungsfähigkeit für den sozialen Kontext außerhalb des Vollzugs aufweisen als auch ein größeres Ausmaß an sozialer Unterstützung und Akzeptanz erfahren. Bei älteren Inhaftierten ist dagegen vermehrt mit Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche, finanziellen Problemen, stärkeren Bezügen zu einem kriminellen Umfeld und belastenden Familienkonstellationen zu rechnen, welche die Legalbewährung trotz erzielter Behandlungsfortschritte in Haft erheblich erschweren können. In künftigen Studien zur Wirksamkeit des R&R sollten neben unterschiedlichen Unterbringungsformen auch die Veränderungsfähigkeit und -motivation der TN sowie ihr sozialer Empfangsraum einbezogen werden. Zur genaueren Operationalisierung von Veränderungen im Behandlungsverlauf könnten neben Selbstberichtsmaßen und offiziellen Daten auch Fremdbeurteilungsinstrumente, wie die von Hausam et al. (2017) entwickelten Skalen für Verhaltensbeobachtungen durch den allgemeinen Vollzugsdienst, genutzt werden, da sie intendierte Veränderungen in der alltäglichen Lebensführung möglicherweise realistischer abbilden könnten als Selbstauskünfte.

Zum Zusammenhang der bei Hosser und Weber (2021) aufgeführten Einstellungs- und Verhaltensänderungen und der Legalbewährung ergab sich erwartungswidrig, dass lediglich die Aggression zum Zeitpunkt des Trainingsendes eine erneute Inhaftierung oder einen Gewaltrückfall vorhersagen konnte. Alle anderen potenziellen Prädiktoren (Normorientierung, moralisches Urteil, Impulsivität, Emotionsregulation und Selbstwert) erwiesen sich als nicht signifikant. Da sich die zur Operationalisierung der Konstrukte eingesetzten Skalen in früheren Studien an Inhaftierten bereits als reliabel und valide erwiesen haben, wirft dies Fragen auf. Denkbar ist, dass die Inhaftierten durch das Training zwar Einstellungs- und Verhaltensveränderungen im Behandlungsverlauf erzielen, diese aber aufgrund erschwerter sozialer Umstände und/oder mangelnder Alltagserprobung nach der Entlassung nicht zum Tragen kommen. Möglicherweise lernen die Inhaftierten durch das Training aber auch, sozial angepasster zu antworten, obwohl ihnen die Anonymität ihrer Antworten im Rahmen der Projektvorstellung mündlich und schriftlich zugesichert worden war. Eine eingehendere Betrachtung von differenziellen Behandlungseffekten unter Berücksichtigung von Deliktstruktur (Schwere, Frequenz, Variabilität) und Tatumständen der Rückfalltaten (z. B. Einfluss von Alkohol und Drogen) könnte in künftigen Studien diesbezüglich weitere Ansatzpunkte bieten.

Die beobachteten Verhaltensänderungen der EG bezüglich ihrer in Haft begangenen Regelverstöße erwiesen sich in der vorliegenden Studie als prädiktiv für die erneute Straffälligkeit: Häufigere Verstöße gegen die im Vollzug auferlegten Normen, die in der EG seltener auftraten, gingen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für erneute Verurteilungen zu Haftstrafen oder aufgrund eines Gewaltdelikts einher.

Bei Hosser und Weber (2021) wurden außerdem die Drop-outs der Studie genauer untersucht. Obwohl die Drop-out-Rate mit 39,1 % über dem Durchschnitt vergleichbarer Studien lag (Metaanalyse von Olver et al. 2011: 27,1 %), zeigten sich dort hinsichtlich relevanter deskriptiver Variablen keine systematischen Unterschiede zwischen den TN, die das R&R vollständig absolvierten und jenen, die vorzeitig aus der Untersuchung ausstiegen oder ihre Teilnahme am R&R abbrachen. In den aktuellen Auswertungen konnte – passend zu bisherigen Befunden (Olver et al. 2011) – gezeigt werden, dass Abbrecher des R&R nach der Entlassung signifikant häufiger zu erneuten Geldstrafen verurteilt wurden als erfolgreiche Absolventen.

Bei der Einordnung der berichteten Effekte bleibt zu bedenken, dass die geringere Rückfallfälligkeit der R&R-Teilnehmer aus den Jugendanstalten aufgrund des fehlenden randomisierten kontrollierten Gruppendesigns nicht eindeutig als Behandlungseffekt des R&R zu interpretieren ist. Dennoch können die Ergebnisse der vorliegenden Studie in der Zusammenschau mit den bisherigen Forschungsergebnissen zum R&R als Hinweis auf die Behandlungswirksamkeit, zumindest für den Jugendstrafvollzug, gedeutet werden.

Aufgrund der hohen Verbreitung des R&R in der Praxis sollten künftige Studien weiterhin die Wirksamkeit des R&R unter verschiedenen Gesichtspunkten überprüfen. Dabei bedarf insbesondere die Diskrepanz in den Befunden zwischen den R&R-Teilnehmern aus den Justizvollzugsanstalten und den Jugendanstalten weiterer Klärung und Replikation. Unter Einbezug der bereits genannten Faktoren und ergänzenden Formen der Operationalisierung könnte die Frage in Anlehnung an die RNR-Prinzipien (Andrews et al. 1990) dabei lauten: Unter welchen Bedingungen sind welche Aspekte des R&R für wen (besonders) wirksam?