Transpersonen haben nach US-Daten ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens inhaftiert zu werden (16 % vs. 3 %), wobei Transfrauen besonders betroffen sind. Diskriminierung, Gewalterleben, Traumatisierung und andere Formen der Viktimisierung werden als mögliche Ursachen für eine erhöhte Inhaftierungsrate diskutiert (Clark et al. 2022). Zudem berichten inhaftierte Transpersonen von verbalen, körperlichen und sexuellen Übergriffen in Haft (Jenness et al. 2019). Was sind die Ursachen der Inhaftierung von Transpersonen oder Faktoren, die eine Viktimisierung während der Inhaftierung begünstigen? Welche Formen der Viktimisierung werden während der Inhaftierung erlebt, und wer ist besonders gefährdet? Diesen Fragen widmen sich die Autor:innen Hughto et al. in einer kürzlich erschienenen Studie (Hughto et al. 2022).

In die Online-Befragung wurden 600 Personen eingeschlossen, die sich als trans, genderdivers oder nonbinär bezeichneten (Alter = 31,4 ± 11,3 Jahre, 32 % Transmännner, 24,6 % Transfrauen, 43 % nonbinäre Personen, 18,5 % People of Color). Von den Befragten gaben 20 % an, jemals sexuelle Handlungen für eine Art der Gegenleistung (z. B. Geld, Übernachtung) durchgeführt zu haben, 34 % berichteten über eine weniger als 12 Monate zurückliegende Einnahme multipler Substanzen, 35,6 % berichteten, jemals einen Suizidversuch begangen zu haben.

Mittels einer latenten Klassenanalyse wurden jeweils 3 Gruppen mit unterschiedlicher „Viktimisierung während des Lebensverlaufs“ und „Viktimisierung in Haft“ gebildet (gering/keine, mäßig, hoch). Die Hälfte der Teilnehmenden (49 %) hatte eine niedrige, 28 % eine mittlere und 22,6 % eine hohe Viktimisierungsbelastung. Bemerkenswert war der hohe Anteil an Mobbingerfahrungen in der Jugend (81,1 %), sexuellen Missbrauchserfahrungen im Erwachsenalter (48,0) und körperlichen Misshandlungen während der Kindheit (45,3 %).

Von allen Befragten gaben 76 Personen (12,7 %) an, jemals inhaftiert gewesen zu sein. Von den Teilnehmenden mit Hafterfahrung berichteten 12 über sexuelle Übergriffe (16,4 % durch Mitinsass:innen, 6,8 % durch Mitarbeitende des Vollzugs); 20 Teilnehmende über körperliche Übergriffe (27,4 % durch Mitinsass:innen, 16,4 % durch Mitarbeitende des Vollzugs, 5,5 % durch medizinisches Personal) und 40 Personen über verbale Belästigungen/Schikanen (54,8 % durch Mitinsass:innen, 32,9 % durch Mitarbeitende des Vollzugs, 5,5 % durch medizinisches Personal) während der Haft. Personen, die mit HIV leben, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, während der Haft ein hohes Maß an Viktimisierung zu erleben (78 %), verglichen mit Personen, die nicht mit HIV leben (8 %). Dies galt ebenfalls für Personen, die „geschlechtsuntypisch“ aussahen (32 %), verglichen mit Personen, die der Erhebung nach ein gewisses Maß an Geschlechtskonformität aufwiesen (11 %). Die Wahrscheinlichkeit einer Inhaftierung war höher für Personen, die während ihres gesamten Lebens ein hohes Maß an Viktimisierung aufwiesen, im Vergleich zu Personen mit niedriger Viktimisierung. Weitere Faktoren, die mit mindestens einmaliger Inhaftierung assoziiert waren, waren Alter, Ethnizität, Mann-zu-Frau-Transsexualität, Leben mit HIV und multipler Substanzmissbrauch in den letzten 12 Monaten vor Befragung.

Zur Art der Inhaftierung gaben die Betroffenen an, zu 43 % in einem Gefängnis für kürzere Haftstrafen („local jail“) und zu 49 % in einer Arrestzelle („holding cell“) untergebracht gewesen zu sein. Über 61 % der jemals Inhaftierten seien vor mehr als 5 Jahren in Haft gewesen, 78 % seien weniger als ein Jahr inhaftiert gewesen.

Von denjenigen, die in den letzten 12 Monaten vor der Befragung inhaftiert wurden (n = 6), wurden 4 Personen (2 Transfrauen, 2 nichtbinäre Personen) in Gefängnissen für Männer, ein Transmann in einer Abteilung für LGBT-Personen und ein Transmann in einer getrennten Unterbringung inhaftiert. Von den kürzlich Inhaftierten habe nur eine versucht, medizinische Hilfe während der Haft in Anspruch zu nehmen. Keine der Inhaftierten beanspruchte eine Hormonbehandlung während der Haft.

Zusammenfassend wurde erstmalig in einer Online-Stichprobe von Trans- und nichtbinären Personen (n = 600) erfasst, welche soziodemografischen und anderen Faktoren mit dem Inhaftierungsrisiko im Zusammenhang stehen, und welche Faktoren wiederum mit Viktimisierung während der Haft zusammenhängen. Eine hohe Viktimisierungslast, das Alter, eine Person of Color zu sein, multipler Substanzmissbrauch in den 12 Monaten vor der Befragung und mit HIV zu leben, standen im engen Zusammenhang damit, jemals inhaftiert zu werden. Unter den schwer Viktimisierten während der Haft waren deutlich mehr People of color, Personen, die mit HIV leben, Personen, die sich als nichtbinär bezeichnen, und Personen, die geschlechtsuntypisch aussahen.

Die Hälfte der Befragten berichtete über verbale Schikanen/Belästigungen, die zum Großteil von Mitinsass:innen (55 %), aber auch vom Vollzugs- (33 %) oder medizinischen Personal (6 %) ausgegangen seien. Gewalttätige Übergriffe wurden von einem Viertel, sexuell übergriffiges Verhalten von 16 % der Inhaftierten berichtet. Die Autor:innen fordern, dass Angestellte einer Haftanstalt im Umgang mit Transpersonen geschult sein sollten. Ein zuverlässiges Meldewesen solle sicherstellen, dass Mitarbeitende für Fehlverhalten gegenüber Transpersonen zur Verantwortung gezogen werden. Die Autor:innen räumen ein, dass die Präferenz der Unterbringung in der Studie nicht erfasst wurde, und diskutieren, dass eine Abschottung von Transpersonen zwar zu einer Verminderung des Risikos von Übergriffen führen könnte, gleichzeitig aber psychische Probleme zunehmen könnten. Es sei außerdem aus qualitativen Studien bekannt, dass Transfrauen vor geschlechtsangleichenden Operationen in Frauenhaftanstalten als Bedrohung wahrgenommen werden. Die Autor:innen plädieren für eine stärkere Berücksichtigung der Präferenzen der Betroffenen bezüglich der Unterbringungsform. Eine Limitation der Studie ist die Verwendung einer webbasierten Umfrage, basierend auf einer Selbstauskunft, sodass die Ergebnisse nicht für Personen mit begrenzten technischen Fähigkeiten, Leseschwäche und anderen Defiziten verallgemeinert werden können. Das Gefängnissystem der USA ist nur bedingt mit dem deutschsprachigen Raum vergleichbar. Die Inhaftierungsrate und -dichte ist deutlich höher als in Deutschland, die Ausbildung des Vollzugspersonals teils deutlich kürzer. Haftanstalten werden teils von privaten Sicherheitsfirmen betrieben, und Unterbringungsformen beinhalten u. a. Schlafsäle. Die Teilnehmenden berichteten über relativ kurze Haftzeiten, sodass eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Personen mit längeren Haftstrafen limitiert ist. Nur ein geringer Teil der Stichprobe (n = 6) konnte von kürzlich zurückliegenden (< ein Jahr) Hafterfahrungen berichten; ein Großteil der Stichprobe war bereits vor mehr als 5 Jahren inhaftiert.

Auch wenn Studien zu inhaftierten Transpersonen im deutschsprachigen Raum fehlen, kann davon ausgegangen werden, dass diese Personengruppe unter Haftbedingungen besonderen Belastungen ausgesetzt ist. Nach einer älteren Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle seien bei einer Transfrau „diverse Schminkutensilien und eine Damenstrumpfhose, die im Rahmen einer Zellenkontrolle vorgefunden wurden, sichergestellt worden“ (OLG Celle, Az. 1 Ws 29/11 (StrVollz)) zum „Schutz des Antragstellers vor zu befürchtenden Übergriffen anderer Gefangener“. Nur eine der 5 in den letzten 12 Monaten inhaftierten Transpersonen habe eine medizinische Beratung während der Inhaftierung in Anspruch genommen. Hormonbehandlungen seien nicht fortgesetzt worden. Es ist denkbar, dass auch Transmenschen in Haft aufgrund von wiederholten Diskriminierungserfahrungen Kontakt zum medizinischen Personal vermeiden bzw. nur ein restriktiver Zugang zur medizinischen Versorgung besteht. Gerade aufgrund des in dieser Studie gezeigten Zusammenhangs zwischen Viktimisierung und Inhaftierung sollten inhaftierte Transpersonen jedoch aufgrund potenzieller Komorbiditäten optimal psychiatrisch versorgt werden. Aktuelle Bemühungen einiger Bundesländer, Klarheit bezüglich der Unterbringung von Transpersonen zu schaffen, könnten helfen, Viktimisierung während der Haft zu reduzieren. Die vorgestellte Studie legt nahe, dass eine Verbesserung der Versorgung von trans- und nichtbinären Personen während der Inhaftierung zu einer Verringerung negativer Folgen von Inhaftierung führen kann. Medizinisches und nichtmedizinisches Personal in Haftanstalten können durch einen sensiblen Umgang mit Trans- und nichtbinären Menschen einer haftbedingten Viktimisierung entgegenwirken.