Einleitung

Eine Schlüsselproblematik bei der Erforschung psychischer Erkrankungen ist die Frage, ob neurobiologische Veränderungen die Symptome der jeweiligen Störung erklären können. In der folgenden kurzen Übersicht wird sich zeigen, dass es sich bei der sog. Psychopathie nicht lediglich um eine spezielle Variante problematischer Persönlichkeitseigenschaften handelt, sondern dass dieser Störung ein organisches Substrat zugrunde liegt, das in nachvollziehbarem Zusammenhang mit ihren Symptomen steht.

Bei dem Begriff Psychopathie handelt es sich um ein Kunstwort, das aus den altgriechischen Wörtern ψυχή (Seele) und πάθος (Leiden) gebildet ist. Einer der ersten, die diesen Begriff benutzten, war der deutsche Psychiater Julius Koch (1841–1908), Direktor der württembergischen Staatsirrenanstalt Zwiefalten. Er verstand unter dem Begriff Psychopathie ein psychisches „Zwischengebiet“, für das er ursächlich ein gleichrangiges Nebeneinander von angeborenen Bedingungen und Umwelteinflüssen annahm. Konkret vertrat er die Sichtweise, dass Persönlichkeitsauffälligkeiten durch organische Fehl- oder Mangelfunktionen hervorgerufen seien (Koch 1891). Kurt Schneider (1887–1967) orientierte sich mit seinem Psychopathiebegriff an einer Durchschnittsnorm und beschrieb – in klarer Abgrenzung zu organisch begründbaren psychischen Krankheiten wie den endogenen Psychosen – verschiedene psychopathische Zustandsbilder, d. h. Persönlichkeitsstörungen, u. a. auch den sog. gemütsarmen Psychopathen (Schneider 1923). Auch Georges Devereux (1908–1985), ein Psychoanalytiker und Vertreter der Ethnopsychiatrie, hat sich mit krimineller Psychopathie beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass sozialer Negativismus das elementarste Datum der Psychopathie ist (Devereux 1980).

Im vorliegenden Artikel wird unter Psychopathie (oder: Psychopathy) eine forensisch relevante Störung verstanden, die mit kriminellem und gewalttätigem Verhalten einhergeht. Wenngleich bereits Schneider auf die kriminelle Handlungsbereitschaft des gemütlosen Psychopathen verwiesen hat (Schneider 1923), wurde das Störungsbild in seiner heutigen Bedeutung zum ersten Mal 1941 vom Amerikaner Hervey Cleckley (1903–1984) in seinem Buch The mask of sanity beschrieben (Cleckley 1941). Bei Psychopathen handelt es sich demgemäß um Personen mit oberflächlichem Charme, rücksichtslosem Verhalten, einem Hang zu egozentrischer Bedürfnisbefriedigung und geringer Empathie. Robert D. Hare trug mit der Entwicklung der Psychopathy Checklist in den 1970er-Jahren maßgeblich zur Operationalisierung des modernen Konzepts der Psychopathie bei. Die revidierte Psychopathy Checklist (PCL-R) ist bis dato das etablierteste Instrument zur Psychopathiediagnostik. Hare stellt mit dieser einen Katalog von 20 Merkmalen auf, die sich wiederum zu affektive Defizite, interpersonelle Besonderheiten des Umgangs, einen auffälligen Lebensstil und dissoziale Merkmale umfassenden Dimensionen zusammenfassen lassen (Hare 2003; Hare und Neumann 2008). Pathognomonisches Symptom der Psychopathie ist nach gängiger Auffassung der Mangel an emotionaler Resonanz (Hare und Neumann 2008; Cleckley 1941). Im Vergleich zur antisozialen bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörung gemäß den Kriterien der American Psychiatric Association bzw. der Weltgesundheitsorganisation sind die Differenzierungsmerkmale ein Mangel an Angst und Furcht sowie ein kühn-dreister zwischenmenschlicher Stil (World Health Organization 1992; American Psychiatric Organisation 2013; Widiger 2006). Während die meisten Psychopathen die Kriterien der antisozialen Persönlichkeitsstörung erfüllen können, erfüllen die meisten Personen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung nicht die Kriterien der Psychopathie. Die Psychopathie wird deswegen oft auch als schwere Form der antisozialen Persönlichkeitsstörung betrachtet.

Warum ist Psychopathie nun „forensisch relevant“? Die Prävalenz ist hoch. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 1 % der männlichen Bevölkerung Psychopathen sind (Coid et al. 2009; Coid und Yang 2008), wobei nicht alle zwingend kriminell sind. Dennoch machen Psychopathen – zumindest in den USA – etwa 20 % der Gefängnisinsassen aus (Kiehl und Hoffman 2011). Die entstehenden gesellschaftlichen Kosten belaufen sich in den USA auf ca. 460 Mrd. $ im Jahr und sind damit höher sind als der Betrag, der jährlich jeweils für Folgen von Alkoholkonsum, Übergewicht, Rauchen oder Schizophrenie ausgegeben wird (Kiehl und Hoffman 2011). Problematisch ist auch, dass keine wegweisende, ätiologiebasierte, wirksame Therapie bekannt ist, wenngleich diesbezüglich in den letzten Jahren ein vorsichtiger Optimismus herrscht (Sewall und Olver 2019; Olver 2022). Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass auch die neurobiologischen Grundlagen von Psychopathie immer noch weitgehend unbekannt sind. So war bis vor Kurzem auch nicht bekannt, ob und wo Psychopathen veränderte Hirnstruktur oder -aktivität aufweisen. Im Folgenden werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu neurobiologischen Veränderungen der Psychopathie zusammengefasst.

Neurobiologische Grundlagen der Psychopathie

Strukturelle Hirnveränderungen

Eine grundlegende Frage bei der Untersuchung von neurobiologischen Veränderungen einer Störung ist, ob strukturelle Hirnauffälligkeiten feststellbar sind. Diese Frage ist im Hinblick auf die Psychopathie von relativ vielen Studien untersucht worden. Diese Studien haben jedoch einen gewissen Eklektizismus betrieben, indem sie sich häufig nur auf eine Auswahl von bestimmten Hirnregionen fokussierten, und unterliegen somit einem Bias. Studien zur Neurobiologie der Psychopathie, die das ganze Gehirn untersucht haben, sind vergleichsweise selten.

Eine Metaanalyse von insgesamt 7, in den Jahren 2008 bis 2017 publizierten Studien an überwiegend männlichen Straftätern mit solchen „Whole-brain“-Analysen deutet darauf hin, dass Probanden mit hochgradig psychopathischen Eigenschaften (im Vergleich zu Kontrollpersonen) Volumenminderungen grauer Substanz im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Orbitofrontalkortex aufweisen (De Brito et al. 2021). Nach Darstellung dieser Metaanalyse finden sich geringfügig mehr Studien, die den linearen Zusammenhang zwischen Psychopathie und Hirnvolumen untersucht haben. Dabei zeigte sich, dass die Volumenminderung in denselben Regionen (also dem linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und dem medialen Orbitofrontalkortex) umso größer war, je höher die Werte auf der Psychopathy Checklist nach Hare waren. Darüber hinaus zeigte sich zudem eine analoge, ebenfalls negative Korrelation im mittleren zingulären Kortex, im linken Prämotorkortex, im linken Caudatum und im rechten Temporalkortex (De Brito et al. 2021).

Nun ist aber herrschende Lehrmeinung, dass es sich bei der Psychopathie um eine multidimensionale Störung handelt. So bildet beispielsweise der Faktor 1 der PCL‑R interpersonelle und affektive Merkmale ab, während Faktor 2 impulsiven Lebensstil und antisoziale Charakteristika widerspiegelt. Auch das triarchische Psychopathiemodell von Patrick umfasst mehrere Faktoren, konkret: Kühnheit, Bösartigkeit und Enthemmung (Patrick et al. 2009). Es stellt sich also die Frage, ob sich für diese Subdimensionen spezifische strukturelle Hirnveränderungen ausmachen lassen. Aus der erwähnten Metaanalyse geht hervor, dass sowohl höhere Faktor-1- als auch höhere Faktor-2-Werte mit Volumenminderungen im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Orbitofrontalkortex assoziiert sind. Unterschiede ergeben sich zwischen den beiden Faktoren insbesondere hinsichtlich des Caudatums und des rechten Operculums, deren Volumen negativ nur mit dem Faktor 2 korreliert (De Brito et al. 2021). Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es sich bei der Volumenminderung im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und dem medialen Orbitofrontalkortex um einen generellen und relativ robusten Befund handelt. Spezifische Zusammenhänge zwischen Hirnvolumen und Subdimensionen der Psychopathie dagegen sind aufgrund der geringen Studienzahl mit Vorsicht zu interpretieren.

Des Weiteren gilt es grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die dargestellten Befunde keinen Schluss bezüglich der Frage zulassen, ob es sich bei den Veränderungen um Ursache oder Folge der Störung handelt, da es sich beim Gehirn um ein Organ handelt, das über die gesamte Lebensspanne eine Plastizität aufweist. So konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass mentales Training sozioaffektiver und soziokognitiver Fähigkeiten mit strukturellen Hirnveränderungen einhergeht (Valk et al. 2017). Insofern ist es auch nicht auszuschließen, dass die oben genannten neurobiologischen Veränderungen im Lauf der Persönlichkeitsentwicklung entstehen oder durch entsprechendes Verhalten sozusagen eingeschliffen werden können.

Funktionelle Hirnveränderungen

Strukturelle Hirnveränderungen decken sich nicht zwangsläufig mit der Lokalisation funktioneller Hirnveränderungen, die aber wiederum womöglich relevanter für die Psychopathologie einer Störung sind. Von besonderem Interesse ist insofern die Frage, in welchen Hirnregionen hochgradig psychopathische Personen gestörte Aktivität aufweisen. Eine Methode, die zur Beantwortung dieser Frage hilfreich sein kann, ist die funktionelle Magnetresonanztomographie, mit der wir messen können, welche Hirnregionen während bestimmter Verhaltensexperimente aktiviert sind.

In einer eigenen, vor Kurzem publizierten Arbeit, wurde die Literatur systematisch nach Studien durchsucht, die Probanden mit psychopathischen Eigenschaften und Kontrollpersonen mit funktioneller Magnetresonanztomographie untersucht haben, und es wurden etwa 155 Experimente mit insgesamt mehreren Hundert Probanden identifiziert (Poeppl et al. 2019). Die zugehörigen, in den Jahren 2001 bis 2016 veröffentlichten Studien wurden überwiegend an Männern, aber auch an Frauen durchgeführt, wobei die Probanden sowohl aus Gefängnissen als auch der Allgemeinbevölkerung rekrutiert wurden (Poeppl et al. 2019). Insgesamt wurden von den entsprechenden Studien im Zusammenhang mit Psychopathie 753 einzelne Foci veränderter Aktivität berichtet, die mehr oder weniger über das ganze Gehirn verteilt waren. Man könnte also annehmen, es gäbe überall im Gehirn Veränderungen. Entscheidend ist aber, ob es Veränderungen gibt, die immer wieder, d. h. konsistent, berichtet werden. Die „activation likelihood estimation“, ein statistisches Verfahren, betrachtet die einzelnen Foci nicht als absolut, sondern als Wahrscheinlichkeitszentren (Eickhoff et al. 2009). Mithilfe von Permutationstests kann dann getestet werden, wo im Gehirn über alle Studien hinweg eine signifikante Konvergenz veränderter Aktivität vorliegt. In einer Metaanalyse über die erwähnten 155 Experimente fanden sich umschriebene funktionelle Veränderungen (Abb. 1): Probanden mit hochgradig psychopathischen Eigenschaften zeigten generell eine verminderte Hirnaktivität im lateralen präfrontalen Kortex, im dorsomedialen Kortex und in der Amygdala. Eine gesteigerte Hirnaktivität fand sich auf beiden Hemisphären im frontoinsulären Kortex (Poeppl et al. 2019). Doch was haben diese Veränderungen nun mit der Störung zu tun?

Abb. 1
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Hirnregionen, die im Zusammenhang mit Psychopathie veränderte Hirnaktivität aufweisen. Signifikante Cluster, wo die „Activation-likelihood-estimation“-Analyse Konvergenz veränderter Hirnaktivität in den entsprechenden Experimenten zeigte

Um diese Frage beantworten zu können, müssten die Funktionen dieser einzelnen Regionen bekannt sein – und zwar nicht beispielsweise der Amygdala als Ganzes, sondern der Funktion genau dieses Teils der Amygdala, der bei hochgradig psychopathischen Probanden funktionell verändert ist. Hierfür sind Bildgebungsdatenbanken essenziell. In beispielsweise der BrainMap-Datenbank finden sich mittlerweile über 20.000 Bildgebungsexperimente (Fox und Lancaster 2002). Dabei sind nicht nur die Hirnaktivierungen jedes Experiments gespeichert, sondern auch Informationen darüber, was die Versuchspersonen jeweils während der Messung taten, sprich: über die zugehörigen mentalen Funktionen. Um zu ermitteln, welche mentalen Funktionen diejenigen umschriebenen Regionen erfüllen, deren Aktivität bei hochgradig psychopathischen Probanden verändert war, wurden Metadaten aus der BrainMap-Datenbank herangezogen. Auf deren Basis wurde statistisch überprüft, mit welchen Funktionen die jeweilige Region überzufällig häufig in der Datenbank assoziiert ist. Dabei ergaben sich verschiedene aufschlussreiche Lokalisation-Funktion-Beziehungen der oben genannten Regionen. Die gefundenen Regionen waren assoziiert mit

  • semantischer Sprachverarbeitung – Psychopathen kennen die grundsätzliche, aber nicht die emotionale Bedeutung von Wörtern,

  • Exekutivfunktionen und Schmerzverarbeitung – Psychopathen haben eine gestörte Schmerzwahrnehmung,

  • sozialer Kognition – Psychopathen kennen soziale Regeln, aber haben keinen inneren, moralischen Bezug zu diesen,

  • sowie Belohnungsverarbeitung – Psychopathen sind in der Regel impulsiv und streben nach kurzfristigen Belohnungen.

Die Funktionen betreffen demnach Verhaltensmuster, die kennzeichnend für die Psychopathie sind. Man kann also schlussfolgern, dass gestörte Hirnaktivität nicht nur ein Epiphänomen von Psychopathie ist, sondern direkt mit den Hauptsymptomen dieser Störung im Zusammenhang steht.

Bis hierhin wurde der aktuelle Wissensstand zu generellen funktionellen Hirnveränderungen bei Psychopathie zusammengefasst. Besonders eindrucksvoll sind jedoch das große manipulative Geschick, der Mangel an Empathie und sozialer Rücksicht sowie das mangelnde Schuld- und Reuegefühl von Psychopathen. Diese Charakteristika könnte man zusammenfassen als eine Beeinträchtigung moralischer Kognition. Unter der Annahme, dass es sich bei der Psychopathie also insbesondere um eine „moral insanity“ im Sinne Prichards handelt (Prichard 1835), stellt sich die Frage, ob spezifischere neuronale Korrelate veränderter sog. moralischer Kognition bei Psychopathie existieren. Eine weitere eigene Arbeit hat sich deswegen ausschließlich auf Studien fokussiert, die die „moral cognition“ untersucht haben. In einer Metaanalyse über 45 Experimente konnten die vorher bereits besprochenen generellen Effekte im dorsomedialen präfrontalen Kortex, im lateralen präfrontalen Kortex, im frontoinsulären Kortex und in der Amygdala repliziert werden (Lenzen et al. 2021). Zusätzlich zeigten sich aber auch funktionelle Veränderungen im dopaminergen Mittelhirn und der temporoparietalen Übergangsregion (englisch: „temporoparietal junction (TPJ)“) (Lenzen et al. 2021). Das ist u. a. deswegen ein interessanter Befund, weil aus einer Metaanalyse bekannt ist, dass das Mittelhirn eine wichtige Rolle spezifisch für Empathie spielt und die TPJ eine Schlüsselregion für moralische Entscheidungen und Empathie ist (Bzdok et al. 2012). Die veränderte Aktivität im Mittelhirn bei Psychopathen könnte demnach möglicherweise besonders mit ihrer verminderten Empathie im Zusammenhang stehen, diejenige in der TPJ dagegen mit verschiedenen Aspekten abnormer moralischer Kognition.

Funktionelle Hirnveränderungen und Neurotransmitter

Auch angesichts der schwerwiegenden gesellschaftlichen Folgen besteht ein Bedarf, Psychopathie effektiv zu behandeln. Dazu fehlen aber u. a. Angriffspunkte für Medikamente. Gibt es also molekulare Mechanismen, die kriminellem Verhalten zugrunde liegen und an denen man ansetzen könnte?

Ein robuster Befund sind die oben erläuterten Bildgebungsdaten zu gestörter Hirnaktivität von psychopathischen Persönlichkeiten. Zudem existieren auch Verteilungskarten von Rezeptoren im gesunden Gehirn. Mithilfe eines Hirnatlas kann aus (bestimmten Atlas‑)Regionen das Ausmaß der gestörten Hirnaktivität extrahiert werden. Analog ist es möglich, die Rezeptormenge für jede Atlasregion zu extrahieren. Korrelationsanalysen geben dann Aufschluss darüber, ob ein Zusammenhang zwischen gestörter Hirnaktivität und Neutrotransmitterverteilung besteht.

Dieser Zusammenhang wurde in einer aktuellen Arbeit für serotonerge, noradrenerge, dopaminerge und GABAerge Neurotransmission untersucht (Dukart et al. 2021). Dabei hat sich insbesondere ein signifikanter Zusammenhang zwischen veränderter Hirnaktivität und der Verteilung von 5‑HT1A, also einem Serotoninrezeptor, gezeigt: je größer die Aktivitätsänderung der Region im Zusammenhang mit Psychopathie, desto größer die Rezeptormenge. Um diesen Befund zu validieren, wurde analog der Zusammenhang zwischen gestörter Hirnaktivität und Expression der zugehörigen Gene mithilfe des Allen Brain Atlas untersucht (Rizzo et al. 2016). Dabei zeigte sich ein hochsignifikanter Zusammenhang mit dem HTR1A-Gen, das den 5‑HT1A-Rezeptor kodiert. Um wiederum den Zusammenhang zwischen gestörter Hirnaktivität und dem zugehörigen Phänotypen zu untersuchen, wurde schließlich auf die Bildgebungsdatenbank Neurosynth zurückgegriffen (Yarkoni et al. 2011). Dabei ergab sich, dass das veränderte Aktivierungsmuster – und damit indirekt auch die Neurotransmitterverteilung – assoziiert ist mit Angst, Erregung, Empathie und Emotion, also Verhaltenskomponenten, die bei Psychopathen auffällig sind (Dukart et al. 2021). Es kann demnach festgehalten werden, dass die bei Psychopathie nachweisbare Störung von Hirnaktivität im Zusammenhang steht mit Neurotransmitterverteilung, Genexpression und Verhalten. Der spezifische Befund könnte auf ein mögliches Potenzial von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bei der Behandlung von Personen mit hochgradig psychopathischen Eigenschaften hindeuten. Diese Schlussfolgerung scheint auch vor dem Hintergrund einer placebokontrollierten Studie plausibel, in der Serotoninaugmentation (durch Einnahme eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers) zu einer Reduktion von Aggression im Zusammenhang mit primären psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften führte (Fanning et al. 2014).

Fazit

Bildgebungsmetaanalysen – auf allerdings begrenzter Datenbasis – geben also Hinweise auf eine Volumenminderung grauer Substanz im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Orbitofrontalkortex bei Psychopathen. Aus einer groß angelegten Metaanalyse verfügen wir außerdem über robuste Evidenz für eine generell reduzierte Hirnaktivität in lateralem präfrontalem Kortex, dorsomedialem präfrontalem Kortex und rechter Amygdala bei Personen mit psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften. Zudem zeigt die Kombination von Neurobildgebung und Datenbankanalysen, dass eine Beziehung zwischen Neurobiologie und Symptom besteht. Der Vergleich von Hirnveränderungen mit Neurotransmitterkarten und Genexpressionskarten liefert Hinweise auf mögliche zugrunde liegende molekulare Mechanismen. Ein Pathomechanismus könnte eine Dysregulation im serotonergen System bei Menschen mit psychopathischen Eigenschaften sein, was ein therapeutisches Potenzial von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern implizieren könnte. Diese Befunde weisen klar auf fassbare neurobiologische Veränderungen bei hochgradig psychopathischen Personen hin und können Ansatzpunkte für spezifischere, biologische Therapieverfahren bieten. Zur Frage der Schuldfähigkeit können sie dagegen allenfalls eingeschränkt beitragen, da sie keinen Aufschluss darüber geben, ob es sich bei den Veränderungen um Ursache oder Folge der Störung handelt.