Einleitung

Unter einer ärztlichen Zwangsmaßnahme bzw. -behandlung versteht man eine medizinische Maßnahme, die einem therapeutischen oder diagnostischen Zweck dient und gegen den „natürlichen Willen“ einer Person durchgeführt wird (Helmchen 2021). Hierunter fällt auch die zwangsweise Verabreichung eines Medikaments, z. B. eines Antipsychotikums, bei einer einwilligungsunfähigen Person. Zwangsbehandlungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen zulässig und werden seit Jahren rechtlich und ethisch kontrovers diskutiert (DGPPN 2014, 2018; Steinert 2018; Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer 2013; Zinkler und von Peter 2019).

Trotz aller Kontroversen werden medikamentöse Zwangsbehandlungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen in unterschiedlichen Settings durchgeführt, z. B. in der Allgemeinpsychiatrie (Flammer und Steinert 2019), im Justizvollzug (Fuß et al. 2021) oder im Maßregelvollzug (MRV) (Jakovljević und Wiesemann 2016; Flammer et al. 2020; Reinwald et al. 2022). Im MRV sind davon in erster Linie Personen betroffen, die nach § 63 StGB untergebracht sind (Jakovljević und Wiesemann 2016; Flammer et al. 2020; Reinwald et al. 2022).

Eine medikamentöse Behandlung mit Antipsychotika stellt einen wichtigen Baustein in der Therapie von Menschen mit einer Schizophrenie dar (DGPPN 2019). Aus unterschiedlichen Gründen lehnen jedoch einige Patienten in bestimmten Situationen eine antipsychotische Behandlung ab (Lacro et al. 2002; Owiti und Bowers 2011; Read und Sacia 2020). Dadurch besteht die Gefahr, dass sich die psychotische Symptomatik verschlimmert und chronifiziert, was wiederum einen Risikofaktor für die Einwilligungsunfähigkeit darstellt (Vollmann et al. 2003; Scholten und Vollmann 2017). Die Erreichung des Vollzugsziels, d. h. letztlich die Reduktion der krankheitsbedingten Gefährlichkeit und die Entlassung aus der Maßregel mit Reintegration in die Gesellschaft, wird dadurch mitunter erheblich erschwert. In solchen Fällen droht den betroffenen Personen bei fehlender antipsychotischer Behandlung eine lang andauernde Unterbringung in einer MRV-Klinik – unter bestimmten Umständen sogar mit phasenweiser Absonderung in einem speziellen Kriseninterventionsraum – was wiederum vielschichtige ethische Fragen aufwirft (Steinert 2018).

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer wegweisenden Entscheidung aus dem Jahr 2011 formuliert, dass eine Behandlung gegen den natürlichen Willen einer im Maßregelvollzug untergebrachten Person unter bestimmten Voraussetzungen auch zur „Erreichung des Vollzugsziels“ zulässig sein kann (BVerfGE 128, 282). Durch die Zwangsbehandlung der krankheitsbedingt einwilligungsunfähigen Person sollen die Voraussetzungen freier Selbstbestimmung wiedererlangt und ein Zustand erreicht werden, der eine Entlassperspektive eröffnet (Henking und Mittag 2013; Pollähne 2014).

In Nordrhein-Westfalen regelte – bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Durchführung strafrechtsbezogener Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt in Nordrhein-Westfalen (StrUG NW) im Dezember 2021 – § 17a Abs. 2 MRVG NW die Zwangsbehandlung zur Erreichung der Entlassfähigkeit, die unter engen Voraussetzungen bei einwilligungsunfähigen Personen möglich war. Nach der zum Zeitpunkt der Durchführung dieser Studie gültigen Rechtslage musste das für den MRV zuständige Ministerium der Behandlung zustimmen. Die Anordnung galt zunächst für die Dauer von 3 Monaten, konnte jedoch verlängert werden. Ihr musste der mit dem nötigen Zeitaufwand unternommene Versuch vorausgegangen sein, die Zustimmung des Patienten zu erreichen. Letzterem musste die geplante Zwangsbehandlung 2 Wochen vor Beginn mündlich und schriftlich angekündigt werden, und die Betroffenen mussten darüber belehrt werden, dass sie eine gerichtliche Entscheidung nach § 109 des Strafvollzugsgesetzes herbeiführen können.

Fragestellung und Zielsetzung der Studie

Systematische wissenschaftliche Daten über die Auswirkungen von Zwangsmedikationen zur Erreichung der Entlassfähigkeit bei Untergebrachten im MRV mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis liegen bis dato nicht vor. Insbesondere ist wenig darüber bekannt, ob das vorgegebene Ziel der Entlassfähigkeit damit überhaupt erreicht werden kann.

Angesichts der Schwere des mit einer Zwangsbehandlung einhergehenden Grundrechtseingriffs ist dies als problematisch einzustufen.

Im Zentrum der vorliegenden Evaluationsstudie stand daher die Frage, welche kurz- und mittelfristigen Effekte Zwangsmedikationen auf die Symptom- und Funktionsebene der Patienten ausüben, und inwiefern diese der Intention des Gesetzgebers (Erreichung der Entlassfähigkeit) bzw. der Norm (§ 17a Abs. 2 MRVG NW) gerecht werden.

Methodik

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Für die prospektiv angelegte Katamnesestudie liegt ein zustimmendes Votum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum vor (Reg.-Nr.: 18-6686-BR). Sie umfasst 3 Erhebungszeitpunkte: t0 direkt vor Erstapplikation der Zwangsmedikation, t1 4 Wochen nach Erstapplikation sowie t2 6 Monate nach Erstapplikation. Die hier vorgestellte Untersuchung ist Teil einer größeren Studie, in der weitere perspektivenvergleichende und qualitative Befragungen von Patienten und Behandelnden im weiteren Verlauf der Behandlung durchgeführt worden sind.

Stichprobe

Drei der 4 Maßregelvollzugskliniken des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), die Patienten gem. § 63 StGB behandeln, erklärten sich zur Teilnahme bereit. Im Laufe des Rekrutierungszeitraums (Kalenderjahr 2019) wurden dort 2 Patientinnen und 14 Patienten gemäß § 17a Abs. 2 MRVG NW zwangsweise mit Antipsychotika behandelt – bezogen auf den Patientengesamtbestand von rund 500 also ein Anteil von ca. 3 %. Alle wiesen eine Hauptdiagnose aus dem schizophrenen Formenkreis auf (ICD-10: F2x). Als Medikation wurden je nach individueller Indikation unterschiedliche antipsychotische Wirkstoffe in variierenden Dosen und Applikationsformen verabreicht. Die Dauer der Zwangsmedikation ist in 13 Fällen bekannt. In 3 Fällen wurde die Zwangsmedikation über den vorliegend maximalen Katamnesezeitraum von 6 Monaten hinaus fortgesetzt, für die restlichen 10 variierte sie zwischen einem und 6 Monaten (Mittelwert 3,65 Monate).

Messinstrumente

Zu allen 3 Zeitpunkten wurden die Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS; Kay et al. 1987) zur Messung der Symptomentwicklung bzw. des psychopathologischen Status des Patienten sowie das Global Assessment of Functioning (GAF; Saß et al. 2003) zur Ermittlung des allgemeinen Funktionsniveaus erhoben. Die PANSS erfragt die Intensität von 30 psychotischen Symptomen auf einer 7‑stufigen Skala; die GAF zielt auf die psychischen, sozialen und beruflichen Funktionen, die auf einem hypothetischen Kontinuum von psychischer Gesundheit (Wert 100) bis Krankheit (Wert 0) abgebildet werden.

Die Einschätzung der Erreichung der Behandlungsziele „Krankheitseinsicht“ und „Einsicht in die Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme“ erfolgte zu t1 und t2 anhand eines Goal Attainment Scaling (GAS; Kiresuk und Sherman 1968). Jede Zielerreichung wurde anhand einer 5‑stufigen Skala bewertet, deren Mitte (Wert 0) das erwartete Ergebnis widergibt. Davon ausgehend werden je 2 Stufen nach oben (+ 1 „mehr als erwartet“ und + 2 „viel mehr als erwartet“) und 2 Stufen nach unten (− 1 „weniger als erwartet“ und − 2 „viel weniger als erwartet“) gebildet.

Anhand einer visuellen Analogskala (VAS) erfolgten zum dritten Erhebungszeitpunkt zudem 2 globale Einschätzungen: zum einen zur Auswirkung der Zwangsmedikation auf die Entlassfähigkeit (Endpunkte „sehr positiv“ bis „nicht erkennbar“) und zum anderen zu einer Gesamtevaluation der Zwangsmaßnahme (Endpunkte „sehr positiv“ bis „sehr negativ“). Alle Einschätzungen wurden jeweils durch die behandelnden Ärzte vor Ort, die zuvor in der Nutzung aller Instrumente geschult worden sind, vorgenommen.

Datenauswertung

Neben einer Auswertung des PANSS-Gesamtwertes erfolgte eine Auswertung der Faktoren positiv, negativ und allgemeine Psychopathologie entsprechend der konzeptualisierten Einteilung (Kay et al. 1986). Darüber hinaus erfolgte eine differenzierte Auswertung anhand einer faktoranalytisch, d. h. empirisch ermittelten Einteilung der Items in 5 alternative Subskalen (positiv, negativ, kognitiv/desorganisiert, erregbar/feindselig und depressiv/ängstlich) nach Lehoux et al. (2009). Berechnet wurden jeweils zweifaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholung (Innersubjektfaktor 1: Messzeitpunkt; Innersubjektfaktor 2: jeweiliger PANSS-Faktor). Die Auswertung des GAF erfolgte durch eine einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung. Die Angaben zur Zielerreichung wurden deskriptiv ausgewertet. Für die Globalbewertungen wurden die Markierungen auf den VAS ausgemessen und in Prozentwerte umgerechnet, dann wurden diese mittels Einstichproben-t-Test gegen den Erwartungswert 50 % getestet.

Ergebnisse

Symptomentwicklung

Wie Tab. 1 zu entnehmen ist, zeigt sich im PANSS-Gesamtwert eine hochsignifikante Abnahme der psychotischen Symptomatik mit einer großen Effektstärke: F (1,45; 21,70) = 13,94; p < 0,001; partielles η2 = 0,48.

Tab. 1 Deskriptive Statistik zum PANSS-Gesamtwert (n = 16) und den 3 Einzelfaktoren zu allen 3 Erhebungszeitpunkten sowie zur Differenz zwischen erstem und dritten Erhebungszeitpunkt

Ein Bonferroni-korrigierter Post-hoc-Test zeigt bereits einen signifikanten Unterschied (p = 0,024) im PANSS-Gesamtwert zwischen dem ersten und dem zweiten Erhebungszeitpunkt (19,3; 95 %-KI [2,3; 36,3]). Zwischen dem ersten und dem dritten Erhebungszeitpunkt war dieser Effekt erwartungsgemäß noch stärker (46,1; 95 %-KI [23,6; 68,6]) und hochsignifikant (p < 0,001). Differenzielle Entwicklungen der Subskalen wurden durch 2 zweifaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholung für den dreistufigen Faktor Erhebungszeitpunkt und den drei- bzw. fünfstufigen (für die Alternativlösung) Faktor PANSS-Subskalen berechnet (Tab. 2; Abb. 1 für die alternative Faktorstruktur gem. Lehoux et al. 2009).

Tab. 2 Ergebnisse der beiden post hoc berechneten ANOVA mit Messwiederholung zu den spezifischen PANSS-Subskalen und der Post-hoc-Tests zweiter Ordnung zu den Messzeitpunkten
Abb. 1
figure 1

Mittelwerte der 5 alternativen PANSS-Faktoren zu allen 3 Erhebungszeitpunkten samt Fehlerbalken (95 %-KI)

Hierbei unterschreitet auch je die Interaktion aus Messzeitpunkt und Subskala das Signifikanzniveau: F (2,08; 31,13) = 11,01; p < 0,001; partielles η2 = 0,42 bzw. F (3,67; 55,03) = 10,29; p < 0,001; partielles η2 = 0,41. Die Ergebnisse der Post-hoc-Tests erster Ordnung bestätigen die differenzielle Veränderung: Alle PANSS-Faktoren, mit Ausnahme der alternativen Subskala depressiv/ängstlich, zeigen signifikante Verbesserungen mit hohen Effektstärken. In der alternativen Einteilung ergibt sich auf Gruppenebene der deutlichste Rückgang auf der Subskala erregbar/feindselig, gefolgt von der Positivskala und – mit etwas Abstand – den Subskalen kognitiv/desorganisiert und negativ. Für die ersten beiden genannten alternativen Faktoren konnte (neben der für alle 4 belegbaren Veränderungen über beide Erhebungszeiträume hinweg) eine Veränderung in jedem einzelnen der beiden Erhebungszeiträume statistisch belegt werden, für den alternativen Faktor kognitiv/desorganisiert nur im ersten Erhebungszeitraum.

Allgemeines Funktionsniveau

Tab. 3 zeigt die deskriptive Statistik zum globalen Funktionsniveau (GAF) zu den 3 Erhebungszeitpunkten sowie zur Differenz der GAF-Einschätzung zwischen t0 und t2. Diesbezüglich gaben die Behandler in einem Fall an, dass die Zwangsbehandlung keinerlei Einfluss auf das Funktionsniveau gehabt habe, und in einem weiteren, dass sich dieses sogar verschlechtert habe. Bei 5 Patienten (31 %) wurde eine Verbesserung von < 20 GAF-Punkten angegeben, bei den restlichen neun (56 %) eine Verbesserung zwischen 23 und 72 Punkten.

Tab. 3 Deskriptive Statistik zum eingeschätzten Funktionsniveau (GAF, Range 0–100) zu allen 3 Erhebungszeitpunkten sowie zur Differenz zwischen erstem und dritten Erhebungszeitpunkt

Eine einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung für den 3‑stufigen Faktor Erhebungszeitpunkt bestätigt eine hochsignifikante Zunahme des Funktionsniveaus mit einer großen Effektstärke: F (1,17; 17,57) = 10,09, p = 0,004; partielles η2 = 0,40. Ein Bonferroni-korrigierter Post-hoc-Test zeigt einen signifikanten Unterschied (p = 0,011) im GAF zwischen t0 und t1 (−9,0; 95 %-KI [−16,0; −2,0]) sowie (p = 0,002) zwischen t0 und t2 (−24,1; 95 %-KI [−39,4; −8,9]), nicht aber zwischen t1 und t2 (p = 0,145).

Erreichung der Behandlungsziele

Tab. 4 gibt eine Übersicht, wie die Erreichung der Behandlungsziele Krankheitseinsicht und Einsicht in die Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme zu t1 und t2 eingeschätzt wurde.

Tab. 4 Häufigkeitsverteilung der eingeschätzten Erreichung der Behandlungsziele zu beiden katamnestischen Erhebungszeitpunkten

Bezüglich der Krankheitseinsicht gaben die Behandler zum ersten Katamnesezeitpunkt von knapp drei Vierteln (72,7 %) der Patienten an, dass die Zielerreichung viel geringer sei als erwartet. Dies änderte sich zum zweiten Erhebungszeitpunkt dahingehend, dass 55,5 % die Zielerreichung für (über-)erfüllt ansahen. Eine entsprechende Veränderung der Einschätzungen zeigte sich nicht für die Einsicht in die Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme. Sowohl zu t1 als auch t2 gaben je 57,1 % der Behandler an, dass sie das Ziel als nicht erfüllt ansahen.

Globalbewertung

Die beiden mittels VAS gemessenen Globalbewertungen wurden für je 14 der 16 Patienten abgegeben. Die Auswirkung auf die Entlassfähigkeit wurde im Durchschnitt mit 55 bewertet (0 = nicht erkennbar; 100 = sehr positiv; SD = 32; Spannweite = 84). In 4 Fällen (29 %) wurde sie als eher nicht erkennbar eingeschätzt (Wert < 33), in 5 (36 %) wurde eine moderate Auswirkung angegeben (Wert zwischen 33 und 66) und bei ebenso vielen eine deutlich zum Pol „sehr positiv“ tendierende Einschätzung (Wert > 66). Günstiger fällt die Gesamtevaluation der Zwangsbehandlung aus: Der Durschnitt liegt bei 79 auf einer Skala von 0 (sehr negativ) bis 100 (sehr positiv). Nur in einem Fall tendiert die Gesamtevaluation zum negativen Wert (< 33), in 2 Fällen (14 %) erfolgt eine moderate Bewertung (Wert zwischen 33 und 66) und 11-mal (79 %) eine deutlich zum Pol „sehr positiv“ tendierende Einschätzung (Wert > 66).

Für die Gesamtevaluation zeigt sich im Einstichproben-t-Test gegen den Erwartungswert 50 mit t (13) = 4,978; p < 0,001 denn auch ein hochsignifikanter Effekt in Richtung des positiven Pols. Im Hinblick auf die Auswirkung auf die Entlassfähigkeit ist dies nicht der Fall (t (13) = 0,625; p = 0,543).

Diskussion

Zwangsbehandlungen mit Antipsychotika gem. § 17a Abs. 2 MRVG NW zur Erreichung der Entlassfähigkeit gehen in der untersuchten Stichprobe der nach § 63 StGB untergebrachten Patienten mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis mit deutlich positiven Effekten, sowohl hinsichtlich der Symptombelastung als auch des globalen Funktionsniveaus, einher. Die Verbesserungen zeigen sich bereits im ersten Monat nach Beginn der Zwangsmedikation und konsolidieren sich in den folgenden 5 Monaten. Der Symptomrückgang erfolgt dabei insbesondere im Bereich der forensisch besonders relevanten Positivsymptomatik. Darüber gibt v. a. die zusätzlich vorgenommene Beurteilung auf Basis der Faktorlösung von Lehoux et al. (2009) Aufschluss. Der Faktor erregbar/feindselig umfasst jene Symptome, die einer erfolgreichen Behandlung im MRV – und damit einer frühen Entlassung – regelhaft entgegenstehen. Dass es gerade hierbei zu den stärksten Verbesserungen durch die Medikation kommt, ist im Hinblick auf das Ziel der Erreichung der Entlassfähigkeit als positiv zu bewerten.

Allerdings deutet die Zunahme von Spannweite und Streuung sowohl der PANSS als auch des GAF darauf hin, dass die interindividuelle Variabilität des Effekts im Verlauf der Zwangsbehandlung vergleichsweise groß sein muss, was im Hinblick auf die grundsätzlich relativ hohe Rate an medikamentösen Non-Respondern in dieser Patientengruppe nicht überraschend erscheint (Howes et al. 2017; Samara et al. 2018).

Dass die Behandler die Zwangsmedikation zwar überwiegend als positiv bewerten, sich hinsichtlich des gesetzlich vorgegebenen Ziels der Erreichung der Entlassfähigkeit jedoch vorsichtiger positionieren, hängt vermutlich damit zusammen, dass die Auswirkungen auf die Krankheitseinsicht der Patienten hinter den Erwartungen zurückbleiben. Noch ernüchternder erscheint die offenbar mangelnde Beeinflussbarkeit der Einsicht in die Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme durch die Zwangsmaßnahme, die sowohl nach einem als auch nach 6 Monaten nach Erstapplikation der Zwangsbehandlung bei weniger als der Hälfte der Patienten bejaht wurde. Dies ließe zumindest vermuten, dass Patienten nach Ablauf der Zwangsbehandlung einer freiwilligen medikamentösen Weiterbehandlung nicht oder nur über einen kurzen Zeitraum zustimmen und sich der Zustand kurz- bis mittelfristig wieder verschlechtert.

Um einem solchen negativen Verlauf nach Ablauf einer zwangsweisen Behandlung mit Antipsychotika vorzubeugen, sollten derartige Maßnahmen von Beginn an engmaschig psychotherapeutisch und psychoedukativ begleitet werden, um gemeinsam mit den Patienten das Für und Wider einer antipsychotischen Behandlung sowie mögliche Folgen einer (Nicht‑)Einnahme des Medikaments zu erörtern. Derartige Interventionen, die auch auf eine Verbesserung der Einsicht in die Erkrankung abzielen, könnten darüber hinaus dazu beitragen, den erlebten Zwang zu reduzieren (Horvath et al. 2018).

Limitationen und Ausblick

Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf eine sehr kleine Stichprobe, was die Generalisierbarkeit der Befunde beschränkt. Darüber hinaus folgt sie der Rationale einer naturalistischen Studie, weil ein experimentelles Design zu dieser Thematik aus ethischen und juristischen Gründen nicht angemessen wäre.

Zudem können – ungeachtet der Nutzung objektiver Messinstrumente – gewisse Bewertungsverzerrungen trotz intensiver Schulung und hoher Beurteilungsübereinstimmungen während der Trainings in der vorliegenden Studie nicht gänzlich ausgeschlossen werden, da die Symptom- und Funktionsbewertungen weder verblindet noch von unabhängigen Wissenschaftlern vorgenommen werden konnten.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Zwangsbehandlungen zur Erreichung der Entlassfähigkeit gemäß § 17a Abs. 2 MRVG NW führen bei Patienten mit einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis zu einer deutlichen Steigerung des Funktionsniveaus und einem starken Symptomrückgang, insbesondere in forensisch relevanten psychotischen Kernsymptomen. Allerdings zeigt sich auch, dass eine Verbesserung der Krankheitseinsicht sowie der Einsicht in die Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Dass Zwangsbehandlungen von den Behandelnden dennoch insgesamt weit überwiegend positiv bewertet werden, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass das gesetzlich vorgegebene Ziel der Erreichung der Entlassfähigkeit in den Augen vieler Kliniker – zumindest kurzfristig – wenig realistisch erscheint und es im ersten Schritt vielmehr darum geht, den Patienten in einen Zustand der Selbstbestimmungsfähigkeit zurückzuverhelfen. So sieht es im Übrigen auch das neue nordrhein-westfälische Vollzugsgesetz, das eingangs erwähnte StrUG, als Ziel vor.

Folgestudien sollten sich vor diesem Hintergrund mit dem weiteren Behandlungsverlauf zwangsbehandelter Patienten im MRV auseinandersetzen und sich auch um eine strukturierte und differenzierte Erfassung der Auswirkungen der Zwangsbehandlung auf die Einwilligungs- bzw. Selbstbestimmungsfähigkeit bemühen.