Häusliche Gewalt gegen Männer ist noch immer ein Tabuthema, obwohl eine Zunahme der Übergriffe an Männern durch Partnerinnen zu beobachten ist. Bei gewaltsamen Übergriffen in Beziehungen denken die meisten Menschen an Frauen als Opfer. Während das männliche Geschlecht mit Stärke und Gewaltbereitschaft assoziiert wird, kommt der Frau die Opferrolle zu, und es besteht die verbreitete Vorstellung, Frauen seien weniger körperlich gewalttätig als Männer. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Frauen mindestens ebenso aggressiv sind wie Männer (Sonnenmoser 2017, S. 117). Dennoch gelten Frauen i. Allg. als weniger aggressiv und gewaltbereit, außerdem sind die meisten Männer Frauen körperlich überlegen. Hinzu kommt, dass die Frauenbewegungen gegen Sexismus und andere Übergriffe in den letzten Jahren zu einem wachsenden Bewusstsein gegenüber Angriffen auf das weibliche Geschlecht geführt haben (Sonnenmoser 2017, S. 117). Dieses Bewusstsein ist für das männliche Geschlecht nicht im gleichen Maße vorhanden. Im Gegenteil sorgen gesellschaftliche und soziale Umstände dafür, dass Männer seltener als Gewaltopfer ernst genommen werden. Der vorliegende Beitrag widmet sich Studien zu diesem noch nicht eingehend untersuchten Themengebiet und den Herausforderungen, die bei der Hilfesuche für Männer bestehen können. Art und Ausmaß dessen, was unter verbaler, physischer und psychischer Gewalt verstanden wird, können variieren. Zudem gibt es bis heute keine allgemeingültige Definition, was unter den Gewaltbegriff gefasst wird (Brettel 2008, S. 477). Laut der Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), in der ein relativ eng gefasster Gewaltbegriff verwendet wird, wurden im Jahr 2020 146.655 Fälle von Gewalt in Partnerschaften registriert (Bundeskriminalamt 2021, S. 3). Dies entspricht einer Zunahme von 4,9 % im Vergleich zum Vorjahr (139.833 Fälle im Jahr 2019). Insgesamt wurden 2020 148.031 Opfer von Partnerschaftsgewalt erfasst (2019: 141.792; +4,4 %). Von diesen war die überwiegende Mehrheit weiblich (80,5 %; n = 119.164) und 19,5 % männlich (n = 28.867). Im Hellfeld sind mehr männliche Tatverdächtige als weibliche Tatverdächtige bekannt (79,1 % männlich vs. 20,9 % weiblich). Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei häuslicher Gewalt an Männern aufgrund von unterschiedlichen Faktoren wie Schamgefühl und gesellschaftlicher Ignoranz um ein großes Dunkelfeld handelt (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004, S. 89).

Britische Erhebungen kommen zu dem Ergebnis, dass einer von 3 Betroffenen häuslicher Gewalt männlich ist (Sonnenmoser 2017, S. 117). Deutsche ExpertInnen gehen davon aus, „dass ein bis zwei Fünftel der Opfer Männer sind“ (Sonnenmoser 2017, S. 117). Schätzungen zufolge erleiden mindestens 1 Mio. Männer in Deutschland regelmäßige Gewalthandlungen durch die Partnerin.

Am häufigsten setzen Frauen psychische Gewalt ein, wie z. B. Beleidigungen, Erniedrigungen und Kontrollen, gefolgt von körperlicher und sexueller Gewalt (Sonnenmoser 2017, S. 118). Der Befund findet sich auch in der Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2004. Der Studie zufolge berichteten die befragten Männer von mehr psychischen Übergriffen durch ihre aktuelle bzw. letzte Partnerin als von physischen Gewaltübergriffen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004). Jeder 5. der befragten 200 Männer gab an, dass seine Partnerin aufgrund von Eifersucht seinen Kontakt zu anderen unterbindet, und jeder 6. Mann werde von der Partnerin kontrolliert. Etwas geringer war die Zahl der Männer, die angaben, die Partnerin kontrolliere ihre Post, Telefonanrufe oder E‑Mails, die Partnerin bestimme, was sie zu tun oder zu lassen haben, oder die Partnerin hindere sie daran, Freunde, Bekannte oder Verwandte zu treffen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004, S. 206 ff.). Darüber hinaus erlebte jeder 4. Mann einmal oder mehrfach mindestens eine körperliche Gewalthandlung durch die aktuelle oder ehemalige Partnerin, jeder 6. Befragte gab an, mindestens einmal von seiner derzeitigen bzw. letzten Partnerin wütend weggeschubst worden zu sein (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004, S. 197). Fünf Männer berichteten, dass sie zu sexuellen Handlungen gedrängt wurden; drei Männer gaben an, ihre Partnerin habe sie zu sexuellen Handlungen gedrängt, die sie nicht wollten, und ein Mann gab an, entgegen seinem Willen zu sexuellen Handlungen durch die Partnerin gezwungen worden zu sein (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004, S. 209 f.).

Die Folgen für die betroffenen Männer können vielfältig sein und bestehen auf der psychischen, körperlichen wie auch verhaltensrelevanten Ebene. Depressionen, Angststörungen, soziale Isolationen und suizidales Verhalten sind nur einige Beispiele für mögliche Folgen nach dem Erleiden von Gewalt (Sonnenmoser 2017, S. 119).

Studienergebnisse deuten darauf hin, dass männliche Betroffene häuslicher Gewalt weniger wahrscheinlich Hilfe in Anspruch nehmen als weibliche Betroffene (Taylor et al. 2021, S. 1). Die Datenlage stützt sich auf eine geringe Anzahl an durchgeführten Studien, die sich mit den Hindernissen bei der Inanspruchnahme von Hilfe bei Männern befassen. Dabei zeichnen sich die Untersuchungen häufig durch eine kleine Stichprobengröße aus. Die empirischen Befunde zeigen ungeachtet der methodischen Limitationen, dass es einer Auseinandersetzung mit dem Ausmaß der Partnerschaftsgewalt an Männern bedarf. Die Situation bei der Inanspruchnahme von Hilfeleistungen für männliche Betroffene sollte kritisch hinterfragt werden.

Die AutorInnen Taylor et al. (2021) widmeten sich diesem Thema und führten eine qualitative Onlinebefragung mit von häuslicher Gewalt betroffenen Männern durch. Die Stichprobengewinnung erfolgte über die sozialen Medien. Die Daten wurden einer deduktiven Analyse unterzogen. Insgesamt wurden 147 Männer, die mit 85 % vorwiegend aus dem Vereinigten Königreich stammten, zu ihrer Viktimisierung durch ihre Partnerin befragt (Taylor et al. 2021, S. 7). Die Befragten waren durchschnittlich im mittleren Alter (M = 47,38; SD = 8,83). Von den befragten Männern berichteten 104 Befragte von mehrfachen physischen Übergriffen wie z. B. an den Haaren gezogen, gekratzt, gebissen, mit einer Zigarette verbrannt, die Treppe hinuntergestoßen, geschlagen oder mit einem Messer attackiert worden zu sein (Taylor et al. 2021, S. 9).

Die Daten wurden einer thematischen Analyse unterzogen, wobei die AutorInnen verschiedene Barrieren identifizierten, die die Hilfesuche unter dem Faktor der geschlechtlichen Stigmatisierung beeinträchtigen können. Es wurden 2 Oberkategorien gebildet, die in Subkategorien aufgespalten wurden (Taylor et al. 2021, S. 8 ff.). Zum einen wurde die Kategorie „Barrieren, die eine Hilfesuche verhindern können“ („barriers for help-seeking“) abgeleitet und die Subkategorien Status und Glaubwürdigkeit („status and credibility“) sowie Gesundheit und Wohlbefinden („health and well-being“) gebildet. Zum anderen gab es die Oberkategorie „Reaktionen auf die erste Hilfesuche“ („responses to initial help-seeking“) mit den 3 Unterkategorien Diskreditierung („discreditation“), Ausgrenzung und Isolation („exclusion/isolation“) und Hilflosigkeit („helpfulness“, Taylor et al. 2021, S. 10 ff.). Die verschiedenen Kategorien werden im Ergebnisteil durch exemplarische Beispiele aus den Daten verdeutlicht.

Hinsichtlich der übergeordneten Thematik der Stigmatisierung wegen des Geschlechts kamen die AutorInnen übereinstimmend mit anderen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Befragten eine Art kulturelle Stigmatisierung erfuhren, in deren Zuge Männer oftmals Vorurteilen ausgesetzt waren oder diskriminiert wurden, wenn sie von gewaltsamen Übergriffen von Frauen berichteten (Taylor et al. 2021, S. 10). Die Barrieren, die die Hilfesuche beeinträchtigen können, bestehen somit u. a. aus kulturell geprägten Normen und Identitätsvorstellungen des männlichen Geschlechts, die sich in Vorstellungen über Status und Glaubwürdigkeit („status and credibility“) ausdrücken.

Bei den Befragten ging es dabei v. a. um die Ängste, die von den Täterinnen geweckt wurden, wie z. B. durch Drohungen, der häuslichen und sexuellen Gewalt beschuldigt zu werden, wenn sie die ihnen widerfahrenen Taten offenbarten (Taylor et al. 2021, S. 12). Seitens Behörden oder sozialen Dienste erhielten die betroffenen Männer nahezu keine Unterstützung. Die Befragten waren darüber hinaus besorgt, dass die Suche nach Hilfe zu Repressalien führen würde, die sich negativ, z. B. auf ihr soziales Ansehen in der Gesellschaft, auswirken könnten (Taylor et al. 2021, S. 12).

Hinsichtlich des Subthemas Gesundheit und Wohlbefinden („health and well-being“) bestanden die Ängste der männlichen Befragten u. a. darin, die eigenen Kinder nicht mehr sehen zu können und nicht mehr ein Teil von deren Leben zu sein, weshalb sie teils in der missbräuchlichen Beziehung verblieben (Taylor et al. 2021, S. 12). Die Befragten berichteten von Ängsten im Zusammenhang mit der Suche nach Hilfe oder davor, das Problem mit ihrer Partnerin zu besprechen, weil sie negative Konsequenzen wie beispielsweise erneute Übergriffe fürchteten (Taylor et al. 2021, S. 12 f.). Einigen Befragten war zwar bewusst, dass sie in der Lage wären, sich körperlich gegen die Angriffe zu verteidigen, sie berichteten aber, dass sie durch ihre Sozialisation gehindert wurden, sich selbst zu verteidigen. Einige Befragte nannten auch psychologische Hindernisse für die Suche nach Hilfe oder beim Ansprechen der Problematik. Beispielsweise suchten sie die Fehler bei sich oder schämten sich für die Gewaltereignisse (Taylor et al. 2021, S. 12). Es bestand bei den betroffenen Männern u. a. der Eindruck, dass sich niemand für den ihnen widerfahrenen Missbrauch interessierte.

Reaktion auf die erste Hilfesuche („responses to initial help-seeking“) war oftmals eine Diskreditierung („discreditation“, Taylor et al. 2021, S. 14) seitens professioneller Stellen. So berichteten die Befragten beispielsweise, dass sie abgewiesen, beschuldigt oder lächerlich gemacht wurden. Auch denjenigen Befragten, die sich an Freunde oder Familie wandten, wurde oftmals kein Glaube geschenkt. Folgen dieser Diskreditierung waren Selbstzweifel, Scham und Hemmungen, weiter nach Unterstützung zu suchen (Taylor et al. 2021, S. 14). Außerdem führten die Erfahrungen der Befragten bei der Hilfesuche in einigen Fällen zu Gegenanschuldigungen. Die männlichen Betroffenen hatten nicht das Gefühl, dass sie genauso behandelt werden wie weibliche Missbrauchsopfer (Taylor et al. 2021, S. 15). Hinsichtlich der Kategorie Ausgrenzung und Isolation („exclusion/isolation“) wurde deutlich, dass die erfolglose Hilfesuche psychische Auswirkungen für die Betroffenen haben kann. Neben den Gefühlen von Ausgrenzung und Isolation gehörten dazu eine posttraumatische Belastungsstörung, Ängste und Depressionen (Taylor et al. 2021, S. 16). Einige Befragte gaben an, dass ihre Gefühle von Ohnmacht, Einsamkeit, Angst und Ausgrenzung durch eine Reihe von Veränderungen hätten gemildert werden könnten, wie beispielsweise das Vorhandensein einer Ansprechstelle für Männer, die von falschen Anschuldigungen bedroht sind. In Bezug auf die 3. Subkategorie der Hilflosigkeit („helpfulness“) gaben einige Befragte an, dass sie sich (irgendwann) unterstützt fühlten, als sie Hilfe suchten (Taylor et al. 2021, S. 17). Dies verweist auf die Wichtigkeit positiver und unterstützender Reaktionen im Umfeld.

Die Befunde der Studie von Taylor et al. 2021 stehen im Einklang mit Studienergebnissen, die im Zusammenhang mit der Offenbarungsbereitschaft von Jungen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, gewonnen wurden. Auch hier werden unterschiedliche Faktoren diskutiert, die Einfluss auf die Offenbarungsbereitschaft von Männern nehmen, die von Gewalt betroffen sind. Beispielsweise wird im Zusammenhang mit erlebter sexueller Gewalt die niedrige Anzeigebereitschaft dadurch erklärt, dass Jungen häufig als Grund für die sexuelle Viktimisierungserfahrung die eigene Schwäche und, bezogen auf die eigene Männlichkeit, einen Misserfolg sehen (Romano und De Luca 2001, S. 56). Überdies gibt es Überlegungen, das niedrige Anzeigeverhalten mit gesellschaftlichen Faktoren zu erklären (Horten 2020, S. 348). Im Einzelnen ist die niedrige gesellschaftliche Sensibilisierung für sexuelle Gewalt an männlichen Personen gemeint. Bedingt ist diese u. a. durch die im Zuge der Sozialisation an Jungen vermittelten Strategien der Bewältigung von besonderen Erlebnissen (Romano und De Luca 2001, S. 56). Die traditionsbedingte öffentliche Sichtweise auf Männer, wonach männliche Personen eher als Täter und weniger als Opfer gesehen werden, fördert darüber hinaus die Barrieren bei der Hilfesuche (Stoltenborgh et al. 2011, S. 89). Schamgefühle und gesellschaftliche Ignoranz wirken sich daher negativ auf die Offenbarungsbereitschaft einer erlebten Gewalthandlung bei Jungen aus (Fobian et al. 2018, S. 17).

Verständnis für die Situation von Gewalt betroffenen Männern gibt es in westlichen Ländern neben Hilfsangeboten für männliche Betroffene häufiger als in sonstigen Ländern. In Deutschland haben sich beispielsweise Opferhilfsorganisationen, Gewaltschutzambulanzen sowie Selbsthilfegruppen und Therapieangebote etabliert, die auf die Beratung von Männern spezialisiert sind (Sonnenmoser 2017, S. 119). Im Frühjahr 2020 startete zudem das erste bundesweite „Hilfetelefon Gewalt an Männern“. Dennoch sind die Angebote für Männer im Vergleich zu den Angeboten, die sich an von Gewalt betroffene Frauen richten, deutlich reduziert.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ein öffentliches Problembewusstsein für das Thema Gewalt an Männern zu schaffen, um durch Partnerinnen begangene Gewaltdelikte sichtbar zu machen und schließlich die Hindernisse bei der Hilfesuche zu reduzieren.