Das kognitiv ausgerichtete Behandlungsprogramm „Reasoning and Rehabilitation“ (R&R) (Ross et al. 1988) ist eine häufig eingesetzte Maßnahme zur Straftäterbehandlung. Das Programm wurde in 16 Sprachen übersetzt und wird weltweit in 26 Ländern angewendet (Antonowicz und Parker 2012). Es wurde Ende der 1990er-Jahre über die Klinik für Forensische Psychiatrie in Haina erstmals in Deutschland eingeführt und für den deutschen Maßregel- und Strafvollzug adaptiert (Gretenkord 2002; Institut für Forensische Psychiatrie Haina e. V. 2004). Inzwischen wird das R&R hierzulande in zahlreichen Einrichtungen des Straf- und Maßregelvollzugs genutzt.

Das R&R ist ein strukturiertes Gruppentraining, das bei den Teilnehmenden eine Verbesserung der Selbstregulation, der sozialen Kompetenzen und der sozialen Anpassung anstrebt, mit dem übergeordneten Ziel, die Wahrscheinlichkeit für erneutes delinquentes Verhalten zu senken. Mithilfe unterschiedlicher methodischer Ansätze sollen angemessene Strategien zur Bewältigung persönlicher Probleme im sozialen und im zwischenmenschlichen Bereich und Strategien zur Emotionsregulation vermittelt werden. Weiterhin sollen fest verankerte maladaptive Denkmuster, die kriminelles Verhalten in der Vergangenheit begünstigt haben, durch funktionalere Denk- und Verhaltensmuster ersetzt werden. Das Programm sieht dazu 35 Sitzungen a 120 min vor, in denen bei meist 2‑mal wöchentlich stattfindenden Gruppentreffen mit 6 bis 8 Teilnehmenden 9 unterschiedliche Module bearbeitet werden (Gretenkord 2002). Die häufig genutzte Kurzversion R&R2 ist auf 14 Sitzungen mit einer Dauer von jeweils 90 min reduziert (Ross et al. 2007). Wichtige Zielfertigkeiten, die im R&R angestrebt werden, sind Selbstkontrolle und Ärgermanagement, Perspektivübernahme, soziale Fertigkeiten und (interpersonelles) Problemlösen, kreatives und kritisches Denken sowie eine Werteentwicklung (Gretenkord 2002). Methodisch werden u. a. geleitete Gruppendiskussionen, der Sokratische Dialog, (Rollen‑)Spiele, Entspannungstechniken und das Lernen am Modell genutzt, um defizitär ausgeprägte Fertigkeiten gemeinsam im Gruppenprozess auf anschauliche Weise zu trainieren. Regelmäßige Hausaufgaben dienen der Vorbereitung der Trainingseinheiten. Das Programm kann von Personen unterschiedlicher Professionen (i. d. R. 2 Trainer*innen) angeleitet werden und ist in verschiedenen Kontexten durchführbar. Ausschlusskriterien für eine Teilnahme sind ein niedriges Intelligenzniveau bzw. das Vorliegen einer Intelligenzminderung (IQ < 70) und inadäquate verbale Fähigkeiten. Bei einem fehlenden Zusammenhang zwischen kriminellen Handlungen und Defiziten der kognitiven und sozioemotionalen Fertigkeiten, wie z. B. bei manchen Betrugs- oder Steuerhinterziehungsdelikten, gilt das R&R ebenfalls nicht als indiziert.

Neben der ursprünglichen Version existieren inzwischen verschiedene adaptierte Lang- oder Kurzversionen des R&R für Jugendliche, Frauen, Unterstützungspersonen, Straftäter*innen mit ADHS, mit weiteren psychischen Störungen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Das Ursprungsprogramm, seine Kurzfassung und die Weiterentwicklungen wurden in den letzten 30 Jahren eingehend und häufig positiv evaluiert (Antonowicz und Parker 2012). Aus Deutschland liegt bislang allerdings lediglich eine Untersuchung aus dem Maßregelvollzug vor (Wettermann et al. 2015). Hier waren bei den Teilnehmern (n = 10; untergebracht nach § 64 StGB) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (n = 12) 6 Monate nach Abschluss des Trainings in der Therapeuteneinschätzung Verbesserungen im Bereich des Problemlösens, des Lernens aus Erfahrung, des kognitiven Stils, der sozialen Einstellungen und der Impulsivität erkennbar. Hinsichtlich der Rückfälligkeit zeigten sich jedoch keine Behandlungseffekte. In einer kürzlich erschienenen Studie aus dem schweizerischen Strafvollzug (Baggio et al. 2020), in der das R&R2 bei Gewaltstraftätern eingesetzt wurde, war eine Abnahme der spontanen Aggressivität der Teilnehmer (n = 129) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (n = 84) zu beobachten. Es handelte sich hierbei um einen kleinen Behandlungseffekt. Weiterhin wiesen die Teilnehmer eine reduzierte Rückfallrate von 18,9 % im Vergleich zu 28,6 % auf. Da weder aus dem deutschen Strafvollzug noch im Hinblick auf die deutsche Langform des R&R-Programms bislang empirische Erkenntnisse vorlagen, wurde in der vorliegenden Studie die Effektivität des R&R anhand von Selbstberichten und Aktenangaben zu Regelverstößen in verschiedenen deutschen Vollzugsanstalten untersucht.

Methode

Das R&R wurde in Zusammenarbeit mit 4 Justizvollzugs- und einer Jugendanstalt in Mecklenburg-Vorpommern sowie der Jugendanstalt Hameln in Niedersachsen evaluiert. Die Evaluation wurde anhand eines Messwiederholungsdesigns mit 3 Messzeitpunkten realisiert (Prä‑, Post-, und Follow-up-Messung), bei dem sowohl Selbstauskünfte als auch Informationen aus den Gefangenenpersonalakten erhoben wurden. Die Selbstauskünfte der Teilnehmer wurden in Form standardisierter schriftlicher Befragungen kurz vor Beginn des Trainings, direkt nach dessen Ende sowie 3 Monate nach Beendigung der Behandlung eingeholt. Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte in Eigenregie der 6 Anstalten: nähere Informationen über die jeweilige Vorgehensweise bei der Rekrutierung, die Auswahlkriterien für die Teilnehmer und die letztliche Vorgehensweise bei der Gruppenzusammenstellung liegen nicht vor. Die Teilnahme an der Untersuchung erfolgte anonym und freiwillig nach ausführlicher mündlicher und schriftlicher Information der Teilnehmer und mit schriftlicher Einverständniserklärung. Als Incentive zur Teilnahme diente ein Paket Kaffee.

Nach Abschluss aller Trainingskurse wurde retrospektiv, anhand der Gefangenenpersonalakten der einbezogenen Haftanstalten, eine parallelisierte Vergleichsgruppe von Straftäter („matched pairs“) erfasst, die dort zeitgleich inhaftiert waren, aber nicht am R&R teilgenommen hatten. Diese Gruppe wird nachfolgend als Kontrollgruppe bezeichnet. Zur Parallelisierung wurden neben dem Inhaftierungszeitraum Angaben zum Delikt und Alter genutzt.

Stichprobe

In die Auswertungen zur Effektivität des R&R-Programms gehen Daten von 17 Kursen mit n = 134 männlichen Teilnehmern ein. Von diesen Kursen wurden 10 in der Strafhaft, 5 in der Sozialtherapie und 2 im offenen Vollzug durchgeführt. Zum Postmesszeitpunkt nahmen n = 86 Probanden (= 64,2 %) an der Untersuchung teil, womit die Drop-out-Rate 35,8 % beträgt. Zum Follow-up (FU), 3 Monate nach Abschluss des Trainings, konnten n = 38 Personen (= 28,4 %) befragt werden. Von n = 115 Teilnehmern wurden zusätzlich die Gefangenenpersonalakten analysiert. Die parallelisierte Kontrollgruppe besteht aus n = 113 nicht mit dem R&R-Programm behandelten Inhaftierten. Beim statistischen Vergleich der R&R-Teilnehmer mit der Kontrollgruppe ergaben sich signifikante Gruppenunterschiede hinsichtlich der Strafdauer und der Anzahl der Vorverurteilungen, wobei die Kontrollgruppe mit 60,17 vs. 38,50 Monaten (nKG = 113; nTeiln = 113; t = 3,89; p < 0,001; Cohens d = 0,61) und durchschnittlich 6,25 vs. 4,61 vorigen Verurteilungen (nKG = 114; nTeiln = 114; t = 2,08; p = 0,04; Cohens d = 0,31) stärker belastet war. Das anhand der revised Offender Group Reconviction Scale – Version 3 (OGRS 3; Howard et al. 2009) eingeschätzte Rückfallrisiko unterschied sich dagegen nicht signifikant zwischen den Gruppen (nKG = 29; nTeiln = 52; t = −0,26; p = 0,80; Cohens d = 0,06).

Die Teilnehmer des R&R waren im Mittel 26,87 Jahre alt (SD = 8,87), mit einer Altersspanne von 17 bis 58 Jahren. Die Mehrheit war ledig (71,6 %) und kinderlos (63,2 %). Das Gros der Untersuchungsteilnehmer (64,8 %) bestand aus Gewaltstraftätern. Täter mit Eigentumsdelikten waren mit 12,5 %, Sexualstraftäter mit 11,7 % und Täter mit BtMG-Delikten mit 3,9 % vertreten. Die bisherige Inhaftierungsdauer betrug bei Behandlungsbeginn durchschnittlich 21,10 Monate (SD = 29,43). Die mittlere Strafdauer lag bei 38,54 Monaten (SD = 26,64). Die Inhaftierten der Kontrollgruppe waren im Mittel 33,03 Jahre alt (SD = 10,87), mit einer Alterspanne von 18 bis 64 Jahren. Das Gros der Kontrollgruppe (72,2 %) bestand aus Gewaltstraftätern. Täter mit Eigentumsdelikten waren mit 11,3 %, Sexualstraftäter mit 9,5 % und Täter mit BtMG-Delikten mit 1,8 % vertreten. Zum Zeitpunkt der Aktenanalyse betrug die durchschnittliche Inhaftierungsdauer in der Kontrollgruppe 38,55 Monate (SD = 30,68). Sowohl in der Behandlungs- als auch der Kontrollgruppe stammte ca. ein Drittel der Inhaftierten aus sozialtherapeutischen Abteilungen (Teilnehmer: 36,7 %, Kontrollgruppe: 31,9 %).

Operationalisierung

Die einbezogenen Variablen sowie ihre internen Konsistenzen und Interkorrelationen sind zusammenfassend in Tab. 1 aufgeführt. Folgende Konstrukte wurden im Selbstbericht erfasst: Normorientierung und moralisches Urteil wurden mit Skalen von Hosser und Greve (1999; 21 und 17 Items) gemessen. Aggression wurde mit dem Aggression Questionnaire (AQ; Buss und Perry 1992; 30 Items) als Gesamtwert und in den Unterskalen körperliche Aggression und Ärger erfasst. Impulsivität wurde mit der Barratt Impulsiveness Scale (BIS; Barratt 1965; 29 Items) gemessen. Empathie wurde mit der Basic Empathy Scale (BES; Jolliffe und Farrington 2006; 20 Items) als Gesamtwert und in den Unterskalen affektive Empathie und kognitive Empathie gemessen. Emotionsregulation wurde mit der Skala zu Regulation und Kontrolle eigener Emotionen (EKF‑S; Rindermann 2009; 13 Items) gemessen. Selbstwert wurde mit der Rosenberg-Skala (Rosenberg 1965; 10 Items) erfasst. Behandlungsmotivation wurde als Single-Item auf einer 7‑stufigen Likert-Skala von 1 (sehr gering) bis 7 (sehr hoch) erfragt. Aus den Gefangenenpersonalakten wurde darüber hinaus die Variable Regelverstöße gewonnen, welche die gewichtete Summe von in der Haft begangenen Pflichtverstößen (Ordnungswidrigkeiten, einfach gezählt), Disziplinarverstößen (nach § 102 STVollzG, 2‑fach gezählt) und Straftaten (4-fach gezählt) darstellt. Es wurden, um den Beobachtungszeitraum für die Behandlungs- und Kontrollgruppe gleich lang zu halten, nur solche Regelverstöße einbezogen, die in einem Zeitraum von 6 Monaten vor Beginn und 6 Monaten nach Beendigung der R&R-Kurse lagen.

Tab. 1 Mittelwerte, Standardabweichungen, interne Konsistenzen und Interkorrelationen aller interessierenden Variablen zur Prä-Messung

Ergebnisse

Die Annäherung an die einzelnen Programmziele, gemessen durch die Veränderungen in den Selbstberichtsmaßen, wurde anhand von t-Tests für abhängige Stichproben berechnet. Die Kurzzeiteffekte wurden durch Prä-Post-Vergleiche erfasst (Tab. 2), während die Langzeiteffekte durch Post-Follow-up-Vergleiche bestimmt wurden (siehe Tab. 3). Das Signifikanzniveau der Skalen und Unterskalen zu Aggression und Empathie wurde aufgrund des multiplen Testens mithilfe der Bonferroni-Holm-Korrektur angepasst. Die Effektstärken wurden für abhängige Stichproben berechnet (Cohens dz). Bezüglich der Kurzzeiteffekte konnte gezeigt werden, dass sich die Mittelwerte aller betrachteten Variablen im Sinne positiver Behandlungseffekte in die gewünschte Richtung verändern. Es ergaben sich signifikante Effekte im kleinen bis mittleren Bereich. Während die Normorientierung und das moralische Urteilsvermögen der Teilnehmer im Laufe der Behandlung zunahmen, nahmen ihre Aggression und Impulsivität ab. Zudem zeigten die Teilnehmer nach der Teilnahme am R&R eine höhere Empathie, eine verbesserte Emotionsregulation und einen höheren Selbstwert. Diese Effekte blieben auch langfristig nach Ende des Trainings bis zum Follow-up 3 Monate später stabil.

Tab. 2 Kurzfristige Behandlungseffekte
Tab. 3 Langfristige Behandlungseffekte

Zwischen den Teilnehmern, die das R&R vollständig absolviert haben, und denjenigen, die vorzeitig abbrachen, ergaben sich hinsichtlich relevanter deskriptiver Variablen keine signifikanten Unterschiede (Tab. 4).

Tab. 4 Gegenüberstellung der Teilnehmer, die das R&R vollständig absolviert haben, und der Teilnehmer, die das R&R vorzeitig abgebrochen haben

Die Teilnehmer und die Kontrollgruppe wurden im Hinblick auf die mittlere Anzahl der in der Haft begangenen Regelverstöße vor und nach der Teilnahme am R&R verglichen. Von den Teilnehmern begingen 69 % mindestens einmal bis zur Analyse ihrer Gefangenenpersonalakten bzw. bis zu ihrer Entlassung Regelverstöße; in der Kontrollgruppe waren es 62,8 %. Zum Zeitpunkt der Aktenanalyse waren die Teilnehmer im Schnitt 31,27 Monate (SD = 21,40) und die Kontrollgruppe 38,55 Monate (SD = 30,68) inhaftiert. Da sich die Regelverstöße aus Zähldaten zusammensetzen, die im Fall der vorliegenden Daten eine Unterdispersion aufwiesen, wurde zum Vergleich der beiden Gruppen über den Verlauf der Behandlung ein verallgemeinertes lineares gemischtes Modell mit generalisierter Poisson-Verteilung und Log-Link-Funktion berechnet (Harris et al. 2012). Die Gruppenzugehörigkeit (Teilnehmer vs. Kontrollgruppe), die Messzeitpunkte (Prä- vs. Postmessung) und die Interaktion beider Variablen wurden dabei als feste Effekte modelliert, die Unterschiede zwischen den Versuchspersonen vor Beginn des Trainings als Zufallseffekt („random intercept“). Bei der Auswertung zeigten sich weder signifikante Haupteffekte für die Gruppenzugehörigkeit und die Messzeitpunkte noch eine signifikante Interaktion zwischen den Gruppen und den Messzeitpunkten (Tab. 5 im Anhang). Auf deskriptiver Ebene wurden jedoch unterschiedliche Entwicklungen der Gruppen über die Zeit hinweg erkennbar: Vor dem Beginn des R&R wiesen die Teilnehmer (n = 113; M = 2,79; SD = 4,18) und die Kontrollgruppe (n = 115; M = 2,74; SD = 4,64) vergleichbar viele Regelverstöße auf. Im Laufe des Trainings begingen die Teilnehmer (n = 113; M = 1,84; SD = 3,19) jedoch weniger neue Regelverstöße als die Kontrollgruppe (n = 115; M = 2,85; SD = 4,26) (Abb. 1). Allerdings war der Unterschied nicht statistisch signifikant.

Abb. 1
figure 1

Mittlere Anzahl der Regelverstöße 6 Monate vor und nach dem R&R, dargestellt für die Gruppe der Teilnehmer und die Kontrollgruppe. Die Variable Regelverstöße beinhaltet in Haft begangene Pflichtverstöße (einfach gezählt), Disziplinarverstöße (zweifach gezählt) und Straftaten (vierfach gezählt)

Diskussion

Die vorliegende Studie untersuchte die Effektivität des R&R im deutschen Strafvollzug anhand von Selbstauskünften, die zu 3 Messzeitpunkten in Haft erhoben wurden, sowie mithilfe von Verhaltensdaten zu Regelverstößen, die aus Gefangenenpersonalakten gewonnen wurden. Die Stichprobe wurde in mehreren Einrichtungen des Regel- und Jugendstrafvollzugs rekrutiert. Nach Beendigung des Gruppenprogramms waren bei den Teilnehmern signifikante Einstellungs- und Verhaltensänderungen in gewünschter Richtung mit kleiner bis mittlerer Effektstärke in den Bereichen Selbstkontrolle (Impulsivität), Ärger- und Emotionsmanagement, interpersonelle Fähigkeiten (Empathie), Wertvorstellungen (Normorientierung, moralische Urteilsfähigkeit) und Selbstwert zu verzeichnen. Drei Monate nach Ende des Trainings waren diese Effekte weiterhin stabil. Die Ergebnisse reihen sich in die Befunde anderer europäischer Studien ein, die bei Teilnehmer*innen des R&R und des R&R2 eine Abnahme der Aggression (Baggio et al. 2020; Redondo et al. 2012) und der Impulsivität (Berman 2004; Wettermann et al. 2015), eine Zunahme der Werteentwicklung (Berman 2004) und der sozialen Fähigkeiten sowie eine Steigerung des Selbstwerts (Redondo et al. 2012) nachweisen konnten. Die Höhe der Effektstärken war ebenfalls mit denen vorangegangener Untersuchungen vergleichbar.

Obwohl die beobachteten Veränderungen aufgrund des Fehlens einer randomisierten Kontrollgruppe nicht zweifelsfrei als Behandlungseffekte interpretiert werden können, lassen sie sich, nicht zuletzt aufgrund der Übereinstimmung mit vergleichbaren Untersuchungen aus anderen Ländern, als starker Hinweis auf die Behandlungseffektivität des Programms deuten. Besonders hervorzuheben ist, dass bei den Programmteilnehmern sowohl emotionale als auch kognitive und soziale Veränderungen im Behandlungsverlauf erkennbar werden und sich der sehr breit gefächerte methodische Ansatz somit auszuzahlen scheint. Veränderungen im Haftverlauf werden überdies nicht nur in den Selbstberichten der Teilnehmer erkennbar, sondern bilden sich auch im Verhalten ab: Die Anzahl der in Haft begangenen Regelverstöße ging in der Gruppe der Teilnehmer im Behandlungsverlauf leicht zurück, während die Zahl der Regelverstöße in einer nachträglich parallelisierten Kontrollgruppe im Haftverlauf gleichblieb.

Die Drop-out-Rate der vorliegenden Untersuchung lag mit 35,8 % etwas höher als die durchschnittliche Drop-out-Rate für behandlungsbezogene Evaluationsstudien aus dem Strafvollzug (Metaanalyse von Olver et al. 2011; 27,1 %). Für die Behandlungsabbrüche in dieser Studie wurden von den Behandler*innen entweder institutionelle Gründe, z. B. frühzeitige Entlassungen und Verlegungen in den offenen Vollzug oder Rückverlegungen, aber auch persönliche Gründe, wie mangelnde Behandlungsmotivation oder Beeinträchtigungen durch die Gruppendynamik genannt. Bei der direkten Gegenüberstellung der Teilnehmer, die das R&R vollständig absolvierten, mit jenen, die es vorzeitig abbrachen, zeigten sich im Hinblick auf Strafdauer, Belastung durch die Inhaftierung, Behandlungsmotivation sowie Regelverstöße vor Behandlungsbeginn keine systematischen Unterschiede. Von der Durchführung einer „Intention-to-treat“-Analyse unter Einbezug der Abbrecher wurde abgesehen, da aufgrund der sehr heterogenen Gründe für die Behandlungsabbrüche keine sinnvolle Schätzung der fehlenden Daten im Behandlungsverlauf möglich war.

Limitationen der Studie ergeben sich dadurch, dass die vorliegende Stichprobe zwar in 6 unterschiedlichen Vollzugseinrichtungen aus 2 Bundesländern rekrutiert wurde, die Stichprobenzusammensetzung aber keinesfalls repräsentativ für den Kontext Strafvollzug ist. So war der Anteil an Sexualstraftätern mit 11,7 % angesichts der Tatsache, dass ca. ein Drittel der Stichprobe in der Sozialtherapie rekrutiert wurde, vergleichsweise gering. Gemessen an der durchschnittlichen Deliktverteilung in der Strafhaft war diese Tätergruppe damit aber überproportional vertreten. Der Anteil an Gewaltstraftätern lag bei 64,8 %, sodass 23,5 % der Stichprobe Täter mit minderschweren Delikten – hier überwiegend Eigentums- und BtMG-Delikte – ausmachten, was in vergleichbaren Untersuchungen eher selten anzutreffen war. In zukünftigen Studien sollte die Effektivität des Programms folglich auch im Hinblick auf einzelne Deliktgruppen näher untersucht werden. Einschränkungen bei der Interpretierbarkeit der Ergebnisse entstehen auch dadurch, dass die Form der Teilnehmerrekrutierung und die letztliche Auswahl der Kursteilnehmer im jeweiligen Ermessen der Therapeuten lag bzw. von den organisatorischen Abläufen der jeweiligen Anstalten mitbestimmt wurde und daher über die 6 Einrichtungen hinweg variierte. In manchen Einrichtungen bzw. Abteilungen wurden zur Rekrutierung Aushänge angebracht, und es bestand die Möglichkeit der freiwilligen Meldung, in anderen erfolgte eine gezielte Ansprache von Teilnehmern, und wiederum andere setzten die Einreichung einer formalen Bewerbung für die Teilnahme voraus. Insofern bilden die Daten zwar die Vielfalt möglicher Behandlungszugänge im Strafvollzug ab, es ist jedoch nicht auszuschließen, dass unterschiedliche Bedingungen der Teilnehmerauswahl zur Folge haben, dass die Behandlungs- bzw. Veränderungsmotivation der Teilnehmer damit systematisch variiert. Inwieweit sich die Programmteilnahme am R&R dann letztlich auch in reduzierten Rückfallraten bzw. ein Behandlungsabbruch ggf. in einer erhöhten Rückfallrate niederschlägt, bleibt in künftigen Untersuchungen zu klären.