In den letzten Jahren haben die mediale Berichterstattung über „Clans“ und deren kriminelle Aktivitäten zugenommen und Clankriminalität als Handlungsfeld von Politik und Polizei an Bedeutung gewonnen. Unter den Clanbegriff werden i. Allg. arabische Großfamilien, die sich v. a. im Ruhrgebiet, in Niedersachen, Bremen und Berlin konzentrieren und dort weiter ausbreiten, subsumiert (Seidensticker und Werner 2020, S. 1). Clankriminalität wird von der Bevölkerung und den Vertretern der Sicherheitsbehörden als ein sicherheitspolitisch relevantes Thema eingestuft (Rohde et al. 2019b, S. 275). Bislang fehlt es jedoch an „[…] empirisch fundierten Erkenntnissen über den Aufbau und interne Prozesse krimineller arabischsprachiger Großfamilien sowie zu ihren kriminologischen Alleinstellungsmerkmalen“ (Seidensticker und Werner 2020, S. 16), um eine realistische Einschätzung der Kriminalität innerhalb dieser subkulturellen Familienstrukturen geben zu können und daraus Ansätze zu Prävention und Bekämpfung abzuleiten (Rohde et al. 2019b, S. 275 ff.). Dieser Beitrag widmet sich den Herausforderungen, die mit dem Phänomen Clankriminalität verbunden sind.

Die Clankriminalität in Deutschland hat sich in den 1980er-Jahren entwickelt, ist aber erst seit wenigen Jahren vermehrt Gegenstand sicherheitspolitscher Maßnahmen. Mitursächlich für die kriminelle Entwicklung von Clanmitgliedern war deren fehlende gesellschaftliche Teilhabe zu Beginn der Migration in den 1970er-Jahren, die sich in den Folgejahren fortsetzte (Rohde et al. 2019a, S. 1). Zahlreiche Clanmitglieder wurden im Laufe der 1980er-Jahre eingebürgert, weshalb ausländerrechtliche Maßnahmen bei der Bekämpfung von Clankriminalität nur sehr selten anwendbar sind. Staatliche Maßnahmen können aufgrund der Abschottung und des eigenen Rechtsverständnisses der Clanmitglieder kaum Einfluss auf die innerfamiliäre Prägung der einzelnen Mitglieder nehmen (Rohde et al. 2019a, S. 1).

Um fundierte Kenntnisse über Clankriminalität zu gewinnen, sind präzise Definitionen nötig. Bislang liegt keine bundesweit verbindliche Begriffsdefinition vor (BKA 2020, S. 30). Das Projekt „Kriminalitäts- und Einsatzbrennpunkte geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen“ („KEEAS“) des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen hat diesbezüglich eine Definition für Clans mit dem Ursprung in der ethnischen Subkultur der MhallamiyeFootnote 1 erarbeitet (LKA Nordrhein-Westfalen 2018, S. 8). Diese Definition enthält verschiedene Merkmale, beispielsweise das Kriterium der Verwandtschaft, welches die Zugehörigkeit zu einem Clan bestimmt. Weiter zählt zu den Definitionsmerkmalen eine segmentäreFootnote 2 hierarchisch, meist patriarchalisch geprägte Struktur, eine Ablehnung der deutschen Rechtsordnung sowie der Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen und deren aktive Behinderung und Einschüchterung. Weitere Elemente der Definition sind u. a. eine ideologische Legitimation des kriminellen Handelns als Zeichen von Stärke sowie der Aufbau einer Paralleljustiz zur internen Konfliktlösung durch nach innen gerichtete Sanktionsmechanismen (z. B. durch den Einsatz von Friedensrichtern) (S. 7). Es existieren weitere Merkmale der Begriffsbestimmung, wie beispielsweise die Zwangsheirat als Mittel zur Verfestigung interner Strukturen und zur Abgrenzung von externen Einflüssen. Folglich wird Clankriminalität definiert als „die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte Begehung von Straftaten unter Beteiligung Mehrerer, wobei in die Tatbegehung bewusst die gemeinsame familiäre oder ethnische Herkunft als verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente einbezogen wird und die Tatbegehung von einer fehlenden Akzeptanz der deutschen Rechts- und Werteordnung geprägt ist, sowie die Straftaten einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind“ (S. 7 f.).

Gewisse Definitionsmerkmale, wie z. B. die Abgrenzung der Zugehörigkeit zu einem Clan ausschließlich über das Kriterium der Verwandtschaft, müssen nicht immer zutreffen, da die Strukturen arabischsprachiger Großfamilien aufgrund des hohen Grades sozialer Abschottung nur schwer durchdringbar sind (S. 8). Es ist für Außenstehende nicht möglich, innerhalb eines Clans Unterscheidungen in Kernfamilie und erweiterten Familienkreis zu treffen, und komplexe Migrationsgeschichten erschweren es, Clanangehörige eindeutig der Volksgruppe der Mhallamiye zuzuordnen (Seidensticker und Werner 2020, S. 6 f.).

In einem Lagebild zu Clankriminalität weist das LKA Nordrhein-Westfalen verschiedene Bereiche aus, in denen Clans aktiv sind, wie etwa Betäubungsmittelhandel, Shisha-Bars, Wettbüros, die Rapper‑, Rocker- und Kampfsport-Szene, Security-Dienstleistungen, Immobiliengeschäfte, Autohandel und -verleih, Schlüsseldienste, Sozialleistungsbetrug, Hawala-BankingFootnote 3 und das sogenannte Call-ID-SpoofingFootnote 4 (LKA Nordrhein-Westfalen 2019, S. 16 ff.). Weitere Geschäftsfelder sind Franchise-Unternehmen, wie Fitnessketten, die als Umschlagsplätze zum Drogenverkauf dienen und sich darüber hinaus dazu eignen, Personendaten der Kunden zu sammeln (insbesondere von dort trainierenden PolizeibeamtenInnen) (Dienstbühl 2020, S. 212). Neue Ladengeschäfte und Restaurants werden v. a. immer wieder eröffnet, um Gelder zu waschen. Gastronomiebetriebe, Diskotheken, Bars, „event locations“ und Friseursalons sind beliebte Betriebe von Clanmitgliedern (S. 212). Ob diese Geschäftsfelder tatsächlich einen hohen Stellenwert für Clanmitglieder aufweisen und in welchem Ausmaß diese Bereiche für legale und illegale Geschäfte genutzt werden, kann nicht abschließend beantwortet werden, da in anderen Feldern womöglich nur nicht gleichermaßen viele strafrechtlich relevante Verstößen bekannt geworden sind und deren Anteil deshalb unterschätzt wird (Seidensticker und Werner 2020, S. 15). Um die Finanzierung krimineller Clanstrukturen sicherzustellen, bedienen sich die Mitglieder der unterschiedlichsten Methoden. Diese erstrecken sich von (Schein‑)Firmen über Holdings bis hin zur Straßenkriminalität (Dienstbühl 2020, S. 213). Die Geschäftsfelder setzen sich meist aus legalen und illegalen Aktivitäten zusammen. Dies erschwert die Ermittlungsarbeit erheblich, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die kriminellen Aktivitäten schnelllebig und anpassungsfähig sind. Interbehördliche Verbundeinsätze (beispielsweise mit Beteiligung von Polizei und Ordnungsämtern) sollen der Erleichterung der behördlichen Abläufe dienen und zu einer besseren Unterstützung zwischen den Behörden beitragen (S. 213).

Das vom BKA im Jahr 2019 herausgegebene Bundeslagebild zu organisierter Kriminalität (OK) enthält eine ausführliche Betrachtung der Straftaten „krimineller Mitglieder ethnisch abgeschotteter Subkulturen“, der sog. Clankriminalität (BKA 2020, S. 30 ff.). Es wurden 2019 45 OK-Verfahren im Zusammenhang mit Clankriminalität von den Bundes- und Landesbehörden geführt (S. 31). Dies entspricht einem Anteil von 7,8 % an allen im Berichtsjahr erfassten OK-Verfahren. Die Verfahren richteten sich mehrheitlich gegen Gruppierungen der Mhallamiye (n = 20; 44 %), gefolgt von OK-Gruppierungen „arabischstämmiger“ Herkunft (n = 14; 31,1 %) und „türkischstämmiger“ Herkunft (n = 4; 8,9 %). Lediglich 2 Verfahren im Zusammenhang mit Clankriminalität betrafen OK-Gruppierungen aus Westbalkanstaaten (4,4 %) und ein weiteres Verfahren eine Gruppierung mit Herkunft aus Maghreb-Staaten (2,2 %). Vier Verfahren hatten OK-Gruppierungen anderer Herkunft zum Gegenstand (8,9 %). Die Ermittlungen erfolgten hauptsächlich in den Bundesländern, in denen sich die Clanstrukturen besonders verfestigt haben, nämlich in Nordrhein-Westfalen (n = 19; 42,2 %), Berlin (n = 7; 15,6 %), Niedersachsen (n = 5; 11,1 %) und Bremen (n = 1; 2,2 %) (S. 31 f.). Im Zusammenhang mit den 45 OK-Verfahren wurden 836 Tatverdächtige ermittelt, von denen die Mehrheit die deutsche Staatsangehörigkeit besaß (n = 246). Die libanesische Staatsangehörigkeit hatten 188 der Tatverdächtigen, 82 wiesen die türkische Staatsangehörigkeit auf, und 78 Tatverdächtige verfügten über die syrische Staatsangehörigkeit. Bei einem nichtunerheblichen Anteil der Tatverdächtigen war die Staatsangehörigkeit ungeklärt (n = 85) (S. 33). Im Hinblick auf die deliktische Verteilung der durch Clanmitglieder begangenen Taten wurde festgestellt, dass es sich vorrangig um Rauschgifthandel/‑schmuggel handelte (n = 24; 53 %), gefolgt von Eigentumskriminalität (n = 7; 16 %). Geringer war der Anteil der Delikte, die im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben begangenen wurden (n = 4; 9 %). Schleusungskriminalität war in 3 Verfahren das strafrechtlich relevante Delikt (7 %), und in je 2 Verfahren ging es um Geldwäsche und Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (je 4 %). Gewaltkriminalität, Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie Steuer- und Zolldelikte waren in je einem Verfahren Gegenstand der Ermittlungen (je 2 %) (S. 33). Eine internationale Tatbegehung lag in 26 OK-Verfahren vor (58 %).

Bei der Bekämpfung von Clankriminalität wird oftmals der „administrative Ansatz“ angewendet. Unter diesem Ansatz wird ein Vorgehen verstanden, bei dem „(…) vermeintlichen Straftätern die Nutzung der gesetzlichen administrativen Infrastruktur verwehrt wird und massive, öffentlichkeitswirksame Kontrollen von Verwaltungsvorschriften eingesetzt werden“, um deren kriminelles Handeln zu verhindern (Feltes und Rauls 2020, S. 373). Ein Beispiel für ein solches Vorgehen sind Großrazzien unter Beteiligung kommunaler Behörden (wie Ordnungs‑, Finanz- und Bauämtern) in Shisha-Bars, Wettbüros oder Spielhallen. Dieser Ansatz wird in der Fachwelt teils kontrovers diskutiert, auch weil z. B. die Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes (hohe Kosten) gegenüber dessen Nutzen (Beweise für Straftaten) in Relation gesetzt werden muss. Diese Razzien, bei denen JournalistInnen oftmals im Vorfeld informiert werden, sind öffentlichkeits- und medienwirksame Maßnahmen von Zoll, Finanzamt, Polizei und Ordnungsamt, um die Bekämpfung der Clankriminalität mittels Polizeipräsenz sichtbar zu machen (Dienstbühl 2020, S. 213; Feltes und Rauls 2020, S. 373; Seidensticker und Werner 2020, S. 2). Die Maßnahme orientiert sich an den Beschuldigten und nicht an den Taten. Sie dient dazu, auch kleinste Vergehen zu sanktionieren und Kenntnisse über das Umfeld des Tatverdächtigen zu erlangen (Dienstbühl 2020, S. 213).

Zudem besteht eine Herausforderung in Bezug auf die Rekrutierung von Geflüchteten für kriminelle Handlungen durch Clans (Duran 2020, S. 86 ff.). So werden Geflüchtete für eine Vielzahl von kriminellen Aktivitäten, wie z. B. Drogenhandel, angeworben. Herausfordernd für die Strafverfolgungsbehörden ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass seitens der Clans kein Risiko hinsichtlich drohender Strafen besteht. Zum einen deshalb, weil die geflüchteten Personen meist noch nicht straffällig wurden und bei einer drohenden Verurteilung unter das Jugendstrafrecht fallen. Zum anderen haben die angeworbenen Personen keinen Zugang zu den inneren Strukturen der Clanfamilien und können daher die Clanmitglieder bei einem potenziellen Verfahren nicht belasten (S. 87).

Das Phänomen der Clankriminalität scheint in der Bevölkerung zu einem Gefühl der Unsicherheit beizutragen. Das Landeskriminalamt Niedersachsen gibt an, dass sich eine Furcht vor Clankriminalität in der Bevölkerung zeige, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beeinflusse (LKA Niedersachen 2020, S. 19). Dabei handle es sich um Ängste, die nicht auf eigenen Erfahrungen gründen. Die wachsende Kriminalitätsfurcht ist jedoch nicht nur auf Clans beschränkt, sondern zeigt sich auch in der generellen Befürchtung, Opfer einer Straftat zu werden, unabhängig vom Tatkontext. Dies kann durch die aktuelle gesellschaftspolitische Unsicherheit mitbeeinflusst sein (Feltes und Rauls 2020, S. 375).

Problematisch scheint in Bezug auf die Verbreitung von Clankriminalität die Zuordnung zur Clankriminalität bei der Erfassung von Straftaten. Jugendspezifische Delikte wie mehrfaches Schwarzfahren von Personen, die aufgrund ihres Namens vermeintlich zu einem Clan gehören, werden teils als Clankriminalität erfasst. Es ist aber schwierig festzustellen, ob diese Delikte tatsächlich der Clankriminalität zuzuordnen sind, da es sich um ein ubiquitäres Verhalten von Jugendlichen und nicht um clanspezifisches Verhalten handelt (S. 375).

Als Fazit kann festgestellt werden: Bei Clankriminalität handelt es sich um eine Form der organisierten Kriminalität, die aufgrund der fehlenden Anerkennung des deutschen Rechtstaates durch die Clanmitglieder zu einer nicht zu unterschätzenden Gefahr erwachsen ist. Wegen der Abschottung der Clans von der Gesellschaft liegen bislang nur unzureichende Erkenntnisse über deren interne Strukturen und das tatsächliche Ausmaß krimineller Handlungen vor. Es wird ein hohes Kriminalitätspotenzial dieser ethnisch abgeschotteten Subkulturen im Dunkelfeld vermutet, was jedoch durch die aktuelle Erkenntnislage noch nicht hinreichend aufgehellt werden konnte (Ghadban 2018, S. 81 ff.). Das Phänomen Clankriminalität stellt eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft dar. Es bedarf zielführender Strategien auf (kriminal)politischer Ebene, um kriminelle Handlungen von Clans einzudämmen. Insbesondere sind weitere Erkenntnisse im Hinblick auf die Prävention notwendig, um dem Phänomen Clankriminalität wirksam zu begegnen (Seidensticker und Werner 2020, S. 3, S. 16).