Allgemeine Voraussetzungen
Die Verbreitung von Verschwörungstheorien setzt die Bereitschaft voraus, an Verschwörungen zu glauben. Diese Bereitschaft scheint keine Seltenheit zu sein. Mehrere empirische Studien weisen darauf hin, dass ein relevanter Anteil der Allgemeinbevölkerung eine Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien aufweist. In Deutschland sind je nach Definition 10–30 % der Allgemeinbevölkerung für Verschwörungstheorien empfänglich (Roose 2020). Dabei interessieren sich Männer gleichermaßen wie Frauen für Verschwörungstheorien. Es gibt zudem Hinweise auf einen leichten Alterseffekt, wobei sowohl junges als auch hohes Alter zu einer leicht erhöhten Ansprechbarkeit führen (Roose 2020). Menschen in den neuen Bundesländern, Personen mit einem geringeren Bildungsstand und Bürger, die politisch rechts stehen, zeigen sich verschwörungstheoretischen Inhalten gegenüber offener als der Rest der Bevölkerung Deutschlands (Roose 2020) Immerhin: Es gibt keine Bevölkerungsgruppe, keine politische Partei, deren Anhänger sich in der Mehrzahl für Verschwörungstheorien interessieren.
Gemäß US-amerikanischen Studien liegt die Prävalenz für die Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien mit über 50 % etwas höher, wobei der Autor insbesondere bei der Bevölkerungsgruppe, die tatsächlich Opfer einer heimlich durchgeführten Misshandlung war, wie z. B. die Syphilisexperimente an Afroamerikanern im Rahmen der Tuskegee-Studie, eine deutlich höhere Bereitschaft nachwies, Verschwörungstheorien Glauben zu schenken (Goertzel 1994).
Selbst unter Berücksichtigung konservativer Definitionen von Verschwörungstheorien ist die Prävalenz von Verschwörungstheorien so hoch, dass die Frage berechtigt ist, ob nicht jeder eine gewisse Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien aufweist und es nur um die Frage gehen kann, wie stark ausgeprägt die Ansprechbarkeit ist.
Experimentelle Untersuchungen sprechen eindeutig für die Hypothese der generellen Ansprechbarkeit, wobei es interindividuelle Variationen gibt.
„Urheber“ von Verschwörungstheorien
Personen, die „degenerativ-destruktiven Verschwörungstheorien“ folgen, zeigen Gemeinsamkeiten mit Personen mit einer querulatorischen Persönlichkeit. Letztere weisen ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken auf, sind misstrauisch und erkennen überall ein Unrecht, das sie aufdecken möchten. Das führt häufig dazu, dass sich ein zunächst überschaubarer Konflikt ausdehnt, die Auseinandersetzung auf Kosten von sozialen Beziehungen oder der Leistungsfähigkeit geht und eine Lösung des Konflikts nicht mehr möglich ist.
Personen, die Verschwörungen „entdecken“, tun dies stark aus der Ablehnung gegenüber etablierten Autoritäten heraus. Wie auch in anderen extremistischen Organisationen werden bestehende behördliche Strukturen abgelehnt oder, wie im Falle von QAnon, als der eigentliche Feind wahrgenommen („deep state“). Daneben werden aber die Personen, die von weiten Teilen der Gesellschaft als zuverlässige Informationsquellen wahrgenommen werden, abgelehnt. Dies betrifft insbesondere Wissenschaftler, die sich Anfeindungen ausgesetzt sehen, wie z. B. der Arzt und Coronaberater des damaligen Präsidenten Trump, Anthony Fauci, in den USA, der in unterschiedlichen zentralen Rollen der Verschwörung gesehen wird. So soll er, je nach Lesart, als Teil des „deep state“ deren Agenda fördern, als Panikmacher Menschen zur Impfung nötigen oder als Gegner von Donald Trump diesen daran hindern, das Land aus den Klauen der liberalen Eliten zu befreien. Der formale Aufbau von veröffentlichten Verschwörungstheorien erinnert an wissenschaftliche Texte, indem einzelne Elemente mit Quellenangaben hinterlegt werden. In QAnon-Foren wird explizit darauf hingewiesen, selber zu recherchieren („do your own research“). Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen werden dann allerdings immunisierend zur Unterstützung der Verschwörungstheorie verwendet. Resultate, die eine Theorie falsifizieren würden, werden ausgeblendet oder neu interpretiert, wohingegen die Ergebnisse, die zur Theorie passen, herausgestrichen werden.
Gerade bei „progressiv-destruktiven Verschwörungstheorien“ spricht vieles für die Annahme, dass einige Verschwörungstheorien bewusst lanciert werden. Die Protokolle der Weisen von Zion sind nachweislich eine Fälschung. Benz (2011) führt aus, dass eine der Voraussetzungen für Verschwörungstheorien das „Fehlen von einer verantwortungsbewussten Moral auf der Anbieterseite“ sei. Roose (2020) bezeichnet denn Verschwörungstheorien auch als Ergebnis eines hohen Maßes an krimineller Energie.
Psychische Störungen
US-amerikanische Ärzte weisen vor dem Hintergrund des hohen Bevölkerungsanteils, der sich für Verschwörungstheorien interessiert, darauf hin, dass die psychiatrische Perspektive nicht geeignet ist, um dieses ubiquitäre Phänomen zu erklären (Oliver und Wood 2014).
Wenn es darum geht zu prüfen, ob die Ansprechbarkeit auf Inhalte von Verschwörungstheorien Ausdruck einer psychischen Störung ist, steht man vor einem logischen Problem: Die Unvermittelbarkeit der eigenen Überzeugungen ist ein zentrales Element schwerer psychischer Störungen (Pierre 2020). Anders formuliert: Wenn jemand davon überzeugt ist, dass reptilienähnliche Wesen die Demokraten unterwandert haben und Hillary Clinton von einer Pizzeria aus einen Pädophilenring betreibt, gilt dies dann als gesund, wenn es dieser Person gelingt, 1000 andere von dieser Geschichte zu überzeugen und sie diese Ansicht fortan mit dem Urheber teilen. Gelingt es nicht, irgendjemanden von der Wahrheit dieser Theorie zu überzeugen, gilt diese Person wohl als wahnhaft. Das Kranke wird somit nicht an der Wahrheit, der Absurdität oder Bizarrheit einer Theorie festgemacht, sondern an der Anzahl ihrer Anhänger. Sobald eine gewisse Anzahl von Personen eine noch so absurde Theorie für plausibel einstuft, gelten diese als psychiatrisch weitgehend unauffällig.
In einer jüngst veröffentlichten koreanischen Arbeit wird darauf hingewiesen, dass u. a. Ängste, negative Emotionen und der allgemeine Gesundheitszustand mit der Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien korrelieren (Kim und Kim 2021). Es handelt sich dabei um Kriterien, die das Risiko für die Entwicklung von psychischen Störungen im Allgemeinen und von depressiven Episoden im Besonderen erhöhen. So ist davon auszugehen, dass ähnliche Risikomerkmale das Risiko sowohl für psychische Störungen als auch für eine Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien erhöhen.
Persönlichkeitsmerkmale
Empirische Ergebnisse sprechen dafür, dass es eine Disposition für die Bereitschaft einer Person gibt, an Verschwörungstheorien zu glauben. Wenn jemand einer Verschwörungstheorie Glauben schenkt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er auch andere Ereignisse auf eine Verschwörung zurückführt. Und jemand, der Zweifel gegenüber einer Verschwörungstheorie hat, der wird auch Zweifel gegenüber anderen Verschwörungstheorien haben (Brotherton 2015). Völlig beliebig sind die Verschwörungstheorien dabei nicht: So konnte gezeigt werden, dass gewisse Verschwörungstheorien linke und rechte Extremisten gleichermaßen ansprachen, wohingegen ideologiespezifische Theorien nur von einer Seite der extremistischen politischen Flügel aufgegriffen wurden (van Prooijen und Acker 2015).
Eine wichtige Funktion von Verschwörungstheorien ist es, einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte anzubieten (Benz 2011). In unübersichtlichen Situationen lässt sich die Neigung messen, Muster und Intentionen zu erkennen. Diese Neigung fördert sowohl eine Ansprechbarkeit für Verschwörungen als auch das Denken in Vorurteilen (Brotherton 2015).
Zurückführen lässt sich diese Neigung auf Kontrollüberzeugungen: Je ausgelieferter sich jemand fühlt, desto eher ist er/sie bereit, im Chaos eine Struktur zu erkennen. Weiter kann nachgewiesen werden, dass ein – in einem Experiment simulierter – Kontrollverlust die Anfälligkeit für Erklärungen mit verschwörungstheoretischen Elementen erhöht (Whitson et al. 2015). Die Relevanz von Kontrollüberzeugungen für Verschwörungstheorien zeigt sich auch in der Allgemeinbevölkerung: Personen, die sich eher als sozial abhängig erleben oder sich eher von Zufallseinflüssen gesteuert wahrnehmen, sind offener für Verschwörungstheorien. Van Prooijen und Acker (2015) vermuten denn auch, dass die Funktion der Verschwörungstheorie darin besteht, Kontrolle über einen bedrohlichen Zustand zurückzuerhalten, was sich nicht zuletzt daran erkennen lässt, dass es viel mehr Verschwörungstheorien zu bedrohlichen als erfreulichen Ereignissen gibt. Im Verhaltensexperiment weisen Van Prooijen und Acker (2015) denn auch nach, dass Personen, die ein Priming einer durch sie kontrollierbaren Situation erhalten haben, weniger dazu neigen, in einem bestimmten Kontext eine Verschwörung zu vermuten. In einer weiteren Studie mit Priming, diesmal mit prosozialem Priming, konnte eine weitere Möglichkeit der Attenuierung einer Ansprechbarkeit für verschwörungstheoretische Inhalte aufgezeigt werden (Douglas und Sutton 2011).
Doch auch Kontextfaktoren wie Stress spielen eine Rolle: Empirisch lässt sich zeigen, dass unter Stress die Bereitschaft zunimmt, Muster und Zusammenhänge zu erkennen – auch da, wo keine vorhanden sind (Whitson und Galinsky 2008).
Ebenfalls dimensional zu verstehen sei die Neigung, Ereignisse als Ergebnis intentionaler Handlungen zu verstehen. Verschwörungstheoretiker neigen dazu, eine Absicht dort zu erkennen, wo keine ist (Brotherton 2015).
Brotherton (2015) fasst zusammen, dass Verschwörungstheorien bei Personen populär sind, die paranoide Persönlichkeitsanteile haben, sowie bei Personen, die sich von der Mainstream-Gesellschaft entfremdet und sich anderen Kräften ausgeliefert fühlen.
Verschiedene Studien konnten Hinweise auf spezifische Persönlichkeitseigenschaften geben. In einer Untersuchung an über 800 Briten wurde untersucht, mit welchen Persönlichkeitsmerkmalen die Ansprechbarkeit für eine Verschwörungstheorie zu den Anschlägen vom 07.07.2005 in London korreliert (Swami et al. 2011). Dabei konnten die Autoren zunächst zeigen, dass alle Items zu entsprechenden Verschwörungstheorien auf einem Faktor laden, wobei die interne Konsistenz mit CR-alpha von 0,93 hoch war – die Ansprechbarkeit also im wahrsten Sinne des Wortes eindimensional ist. Diese korrelierte mit der Ansprechbarkeit für weitere Verschwörungstheorien, mit einem Gefühl des Ausgesetztseins gegenüber Verschwörungstheorien, mit der Ablehnung von demokratischen Prinzipien, mit politischem Zynismus und mit einer negativen Haltung gegenüber Autoritäten. Auf der Persönlichkeitsebene korrelierte die Ansprechbarkeit für eine Verschwörungstheorie zu den Anschlägen vom 07.07.2005 mit einer geringen Verträglichkeit, mit einer hohen Offenheit für neue Erfahrungen, mit einem geringen Selbstbewusstsein und mit einer geringen Lebenszufriedenheit sowie negativ mit selbsteingeschätzter Intelligenz. In einer österreichischen Population konnte ein Zusammenhang zwischen der Ansprechbarkeit auf eine „Red-Bull“-Verschwörungstheorie und der Ansprechbarkeit für Paranormales, Aberglaube, psychometrisch gemessene Intelligenz (negativer Zusammenhang) und soziale Angepasstheit aufgezeigt werden (Swami et al. 2011). Douglas und Sutton (2011) untersuchten den Zusammenhang zwischen Machiavellismus und der Unterstützung für Verschwörungstheorien. Dabei konnten die Autoren anhand eines pfadanalytischen Modells zeigen, dass machiavellistische Personen eher bereit, sind an Verschwörungstheorien zu glauben, weil sie selber eher bereit sind, sich zu verschwören.
Es gibt somit eine Reihe von Persönlichkeitszügen und Einstellungen, die mit der Ansprechbarkeit für Verschwörungstheorien korrelieren. Wenngleich es noch zu wenige Untersuchungen gibt, um von robusten Prädiktoren sprechen zu können, ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl angemessen davon auszugehen, dass es ein persönlichkeitsimmanentes Risikoprofil für die Ansprechbarkeit von Verschwörungstheorien gibt.