Verbale sexuelle Belästigungen durch Männer im öffentlichen Raum, die sich durch Geräusche, wie etwa Pfiffe, vermeintliche Komplimente bis hin zu Beleidigungen äußern, werden im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs unter dem Begriff „catcalling“ subsumiert. Dieser Anglizismus erinnert an das Heranrufen eines Haustieres. Neben der Frage, ob die Begrifflichkeit zu einer Verharmlosung des Phänomens beiträgt, ist auch die Debatte darüber, ob es sich hierbei um unangemessenes, aber nichtstrafbares Verhalten oder um sexuelle Belästigung handelt, die ins Strafrecht aufgenommen werden soll, kontrovers (Berghöfer 2020).

In den Medien hat der Unmut über das Catcalling in den letzten Jahren eine starke Verbreitung erfahren. Lag der Debatte im Jahre 2014 noch die solidarisierende Reaktion auf ein Video einer New Yorkerin zugrunde, welche die ihr widerfahrenen verbalen sexuellen Belästigungen von Männern in der Öffentlichkeit heimlich filmte und online stellte, ist heute daraus ein breiter gesellschaftlicher Diskurs um eine potenzielle Strafbarkeit entstanden (Hermsmeier 2014). Während die Coronakrise gesellschaftliche Bewegungen, wie etwa die Fridays-for-Future-Bewegung, stark gebremst hat, scheinen die öffentlichen Diskussionen und der Aktionismus bezüglich Catcalling ungebrochen. Die ebenfalls aus New York stammende Idee, mit bunter Kreide sexualisierte Äußerungen, mit denen Frauen konfrontiert werden, auf die Bürgersteige und Straßen zu schreiben, gab es beispielsweise trotz des Lockdowns auch in verschiedenen deutschen Städten (Bredow 2020).

Eine deutsche Studentin hat im August 2020 eine Petition ins Leben berufen, die das Ziel hatte, Catcalling in Deutschland strafbar zu machen (Bredow 2020). Online- und Printmedien nehmen das Thema auf, und das Bestreben für eine Strafbarkeit wird von verschiedenen Organisationen, darunter „Frauenhorizonte – Gegen sexuelle Gewalt e. V.“ unterstützt (Quell 2020). In verschiedenen Ländern der Europäischen Union, darunter Belgien, den Niederlanden, Portugal und Frankreich, ist das Catcalling bereits seit 2018 als sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum strafbar und kann in Frankreich beispielsweise mit Geldstrafen bis zu 750 € geahndet werden (Schmidt 2020). In Deutschland ist das bislang nicht der Fall.

Der § 184i StGB setzt für die Straftat der sexuellen Belästigung eine körperliche Berührung voraus. Es handelt sich bei den Äußerungen oftmals nicht um Beleidigungen, weshalb sie nicht in jedem Fall als Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar sind. In einem Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags heißt es im Zusammenhang mit Catcalling als strafrechtlich relevante Beleidigung: „Denn allein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert, genügt für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht. Eine Herabsetzung des Betroffenen kann sich bei sexuell motivierten Äußerungen im Einzelfall nur durch das Hinzutreten besonderer Umstände unter Würdigung des Gesamttatgeschehens ergeben“ (Bundestag 2020, S. 6).

Im Sachstand werden Daten zur Handhabung des Beleidigungsdeliktes in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes (BKA) herangezogen (S. 10). Die PKS enthält Zahlen zur „Beleidigung auf sexueller Grundlage“, die eine Untergruppe der „allgemeinen“ Beleidigung darstellt (BKA 2020). Nach Auskunft des BKA fallen „Mangels rechtsverbindlicher Definition des Begriffes solche Sachverhalte in diese Statistik, die in Einzelfällen durch die Polizei als eine solch spezielle Beleidigung aufgefasst worden sind“ (Bundestag 2020, S. 10). Beispielsweise wurden im Jahr 2019 in der PKS 21.562 Fälle als Beleidigung auf sexueller Grundlage erfasst. Demnach bilden Beleidigungen auf sexueller Grundlage 11,5 % aller erfassten Beleidigungen gemäß § 185 StGB (n = 186.693) (BKA 2020).

Das Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend veröffentlichte 2020 eine Pilotstudie über Sexismus im Alltag, in der die Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung zu der Thematik untersucht wurden (Wippermann 2019). Neben einer qualitativen Untersuchung wurde im Jahr 2018 eine quantitative repräsentative Bevölkerungsbefragung durchgeführt (n = 2172) (Wippermann 2019, S. 101). Die Ergebnisse zeigten, dass Sexismus aus Sicht der Befragten als Herabwürdigung einer Person aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit oder der Geschlechtsorientierung verstanden wird (S. 30). Die quantitative Untersuchung ergab hinsichtlich der Frage, wo die befragten Frauen in den letzten 12 Monaten sexistische Übergriffe beobachtet oder selbst erlebt haben, dass 46 % Sexismus v. a. an öffentlichen Plätzen durch Unbekannte erlebten. Am zweithäufigsten begegnete ihnen Sexismus am Arbeitsplatz (41 %) sowie an dritter Stelle in öffentlichen Verkehrsmitteln (30 %) (S. 34). Am häufigsten erlebten die Betroffenen Sexismus als verbale Übergriffe im persönlichen Gespräch (45 % der weiblichen und 47 % der männlichen Betroffenen) (S. 35). Außerdem waren Gesten sowie Hand- und Körperbewegungen ohne körperliche Berührung (39 % weiblich; 38 % männlich) und mit Körperkontakt (36 % weiblich; 32 % männlich) als Formen des Alltagssexismus stark verbreitet. Bei den männlichen Befragten gaben 45 % an, in den letzten 12 Monaten sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz beobachtet oder selbst erlebt zu haben. Danach folgten mit 42 % öffentliche Plätze und mit 29 % öffentliche Verkehrsmittel (S. 35).

Die Untersuchung macht darauf aufmerksam, dass auch Männer zu Opfern von Sexismus im Alltag werden können. Ein Drittel aller männlichen Befragten war in der Untersuchung von Alltagssexismus betroffen (Wippermann 2019, S. 37). Der mediale Diskurs konzentrierte sich allerdings ausschließlich auf weibliche Betroffene, während Sexismus gegenüber männlichen Betroffenen oftmals bagatellisiert werde (S. 37). Der Autor der Studie gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass unklar ist, inwieweit Frauen und Männer gleichermaßen sensibel gegenüber alltäglichem Sexismus sind, da Frauen häufiger Opfer von Alltagssexismus werden und insbesondere leichte Formen alltäglichen Sexismus schon nicht mehr als empörend empfunden werden, sondern eine Art Abstumpfung oder Gewöhnung stattgefunden haben könnte (S. 37ff.).

Di Gennaro und Ritschel untersuchten die Beziehung zwischen Catcalls und Komplimenten (Di Gennaro und Ritschel 2019). Den Befragten (n = 165, davon 123 weiblich, 29 männlich, 13 keine Angabe) wurden u. a. Beschreibungen verschiedener Szenarien vorgelegt, um ihre Definition über Catcalling in Abgrenzung zu Komplimenten zu eruieren. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass es zwischen Catcalls und Komplimenten 15 ähnliche Merkmale gibt, wie z. B., dass beide Sprechakte eine Bewertung darstellen, auf die keine Reaktion folgen muss (S. 4). Diese gemeinsamen Merkmale könnten eine Erklärung für die Mehrdeutigkeit dieser Sprechakte sein, die von den verschiedenen Geschlechtern unterschiedlich bewertet werden. Die Äußerungen gehen meist von Männern aus, wobei die Autoren darauf verweisen, dass sie Männern auch eher zugestanden werden, während Catcalls, die von Frauen ausgehen, eher mit Verhaltensnormen und Erwartungen an das weibliche Geschlecht kollidieren (S. 8). Auch die Uneinigkeit in der Wissenschaft darüber, was ein Catcall ist, erschwert Untersuchungen, die z. B. über die Tatfolgen für Betroffene Aufschluss geben können (S. 8ff.).

Während es über Catcalls bislang nur wenige einschlägige Studien gibt, sind in den letzten Jahren zahlreiche Studien über „street harassment“ erschienen. Letzteres ist begrifflich weiter gefasst als Catcalling und schließt neben verbalen Äußerungen auch Nachstellungen, Berührungen und Entblößungen ein (DelGreco und Christensen 2019, S. 474). DelGreco et al. (2020) befassten sich mit der Frage nach der Motivation für Belästigung im öffentlichen Raum und stellten fest, dass Zuneigung am häufigsten von den befragten Männern, die sich zum Street harassment bekannten, als Motiv genannt wurde (S. 16). Die zweithäufigste Motivation war das Vergnügen an der Handlung, gefolgt von der Inklusion (u. a. dem Bedürfnis, nicht alleine sein zu wollen), Flucht (z. B. da nichts Besseres zu tun ist), Entspannung und Kontrolle. Die Untersuchung zeigte außerdem, dass eine Diskrepanz zwischen der Sichtweise von Männern und Frauen zum Street harassment bestand. Männer gaben signifikant häufiger an, sich aus Zuneigung oder Sympathie sexuell belästigend verhalten zu haben. Frauen, die sexuelle Belästigung auf der Straße erlebten, empfanden dies hingegen nicht als Zuneigung. Die unterschiedliche Wahrnehmung hinsichtlich des männlichen Verhaltens deutet darauf hin, dass die Mehrheit der Männer ihre Handlung nicht als Belästigung einstuft, sondern als eine angenehme Erfahrung für die Frau wahrnimmt. Zudem waren die befragten Frauen der Meinung, das Fehlverhalten des Mannes entstehe aus Kontrollgründen, um sich z. B. mächtiger zu fühlen oder um das Verhalten der Frau zu ändern (S. 18). Ferner gab die Mehrheit der befragten Männer an, sie würden sich eine positive Reaktion der Frau wünschen, die sich in einem Lächeln, im Winken oder durch ein Gespräch äußert (S. 18).

Eine Studie, die sich mit den Folgen von Belästigungen im öffentlichen Raum auseinandersetzt, stammt aus den USA und wurde im Jahr 2019 publiziert (DelGreco und Christensen 2019). Es wurden 252 Studentinnen zu ihren Erfahrungen mit Street harassment befragt, ihre Ausprägungen von Depressionen und Ängstlichkeit erfasst, und sie wurden zu ihrer Schlafqualität befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass „alltägliche“ Belästigungen im öffentlichen Raum (Street harassment) Angst und Depression verstärkten sowie die Schlafqualität verschlechterten (S. 477). Ähnliche Befunde zu negativen Folgen von Street harassment legen auch andere Studien nahe (u. a. Bittner et al. 2004; Fairchild und Rudman 2008).

Es könnte demnach angenommen werden, dass sich vermehrte Erfahrungen von Catcalling längerfristig negativ auf das psychische Befinden der Betroffenen auswirken. Unstrittig allerdings scheint, dass besagtes Phänomen zumindest kurzzeitig negative Emotionen bei vielen betroffenen Menschen auslöst, was sich mitunter in den Bemühungen für eine Strafbarkeit dieser Handlungen ausdrückt. Problematisch wäre vor dem Hintergrund, Catcalling als Straftat oder zumindest als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, die Tragweite des subjektiven Empfindens und der Reaktion des Betroffenen. Hierbei können Befunde zum Sexual harassment, das in vielen Ländern einen Straftatbestand darstellt, herangezogen werden. Die European Union Agency for Fundamental Rights untersuchte verschiedene Formen von Gewalt an Frauen in unterschiedlichen Ländern der Europäischen Union. Während von den befragten Frauen in Dänemark 37 % angaben, in den letzten 12 Monaten in irgendeiner Form von Sexual harassment betroffen gewesen zu sein, waren es in Litauen lediglich 9 % (S. 100). Was Frauen unter Sexual harassment verstehen, dürfte demnach individuell und kulturell bedingt sein (European Union Agency for Fundamental Rights 2014, S. 127), und dies würde im Rahmen einer möglichen Strafbarkeit präzise Formulierungen erfordern.

Die Deutung von Kommentaren ist höchst subjektiv und erschwert die Bewertung der Catcalls als möglichen Straftatbestand in Abgrenzung zu misslungenen Komplimenten (Di Gennaro und Ritschel 2019, S. 8). So könnte etwa eine bewertende Äußerung des Aussehens einer Frau als strafbare Handlung gelten, wenn sie sich belästigt fühlt, jedoch nicht, wenn sie das Verhalten mit Interesse erwidert. Der Gesetzgeber müsste klar definieren, wann die Voraussetzungen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit erfüllt werden, zumal die Grenze zwischen einer unglücklich formulierten Kontaktaufnahme und einer Zudringlichkeit verschwommen scheint.

Neben der Subjektivität der Empfindungen tun sich Fragen der Beweisbarkeit des Sachverhalts auf, da eine falsche Verdächtigung insbesondere dann, wenn keine anderen Zeugen anwesend sind, ebenso möglich wäre wie eine tatsächlich stattgefundene Belästigung ohne körperlichen Kontakt, was zu zahlreichen Einstellungen der Verfahren wegen mangelnder Beweise führen könnte. Problematisch ist weiterhin, dass die aktuelle Debatte männliche Betroffene ausklammert und damit zu der öffentlichen Meinung beträgt, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt oder Belästigung ausschließlich weiblich seien. Zudem ist die öffentliche Stigmatisierung der Täter, wie sie sich in den USA im Zuge der „#MeToo“-Bewegung oftmals vollzieht, kritisch zu werten (Füchsel und Müller-Neuhof 2019).

Es ist ungewiss, ob die Petition der Studentin Erfolg haben wird und in Zukunft ein eigener Straftatbestand für das Catcalling geschaffen wird. Allerdings ist dies zumindest in naher Zukunft nicht absehbar. Der Wissenschaftliche Dienst kommt in seinem diesbezüglichen Sachstand zu folgendem Fazit: „Nach der Rechtsprechung ist ‚Catcalling‘ nur insoweit als Beleidigung strafbar, als in oder neben der sexuell motivierten Äußerung im Einzelfall auch eine vorsätzliche Ehrverletzung zu erkennen ist. Eine Auffangfunktion als ‚kleines Sexualstrafrecht‘ solle dem Beleidigungstatbestand nicht zukommen. Eine empirische Nachzeichnung von ‚Catcalling‘ in der Strafverfolgungspraxis ist nur sehr eingeschränkt möglich“ (Bundestag 2020, S. 10).

Da im Strafrecht das Ultima-Ratio-Prinzip gilt, ist der Gesetzgeber zunächst gefordert, alle milderen Mittel auszuschöpfen, um der verbalen sexuellen Belästigung Einhalt zu gebieten. Die Politik und Öffentlichkeit sind gefordert, dies anderweitig zu unterbinden. Womöglich sind die aktuelle Debatte und der Aufruf zur Teilnahme an einer Petition bereits ein erster wichtiger Schritt für eine verstärkte öffentliche Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Problematik. Positiv ist dabei anzumerken, dass sexuelle Belästigung kein Tabuthema mehr darstellt, über das Betroffene nur selten sprechen, sondern stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.