Zusammenfassung
Projektive Testverfahren könnten in der forensischen Begutachtung im Rahmen einer multimethodalen Diagnostik einen wertvollen Beitrag zur Erfassung kriminalpsychologisch relevanter Konstrukte leisten, gelten aber als wenig reliabel und valide. Der Foto-Hand-Test (FHT) von Belschner, Lischke und Selg ist ein spezielles Verfahren zur Erfassung aggressiver Handlungsbereitschaften; er arbeitet mit Fotos von Handgesten, die von den Testanden zu deuten sind. Die Antworten werden kodiert; aus der Verrechnung verschiedener Kategorien wird ein Acting-out-Score (AOS) berechnet.
Untersucht wurden die Reliabilität und Validität des FHT durch Verwendung der Testprotokolle von 98 Straftätern (Gutachtenprobanden) und einer Vergleichsgruppe von 53 nichtdelinquenten Personen. Es ergaben sich wenig befriedigende Kennwerte zur internen Konsistenz des FHT. Straftäter hatten einen höheren AOS als Nichtdelinquente; sie gaben nicht mehr aggressionsförderliche, jedoch weniger aggressionshemmende Deutungen ab. Der AOS zeigte nicht die erwartete Übereinstimmung mit den Skalen des Antisocial Personality Questionnaire (APQ); es ergaben sich aber Hinweise auf einen Feindseligkeitsbias in den Deutungen: Personen, die viele Deutungen aggressiven Inhalts abgaben, beschrieben sich selbst nicht als erhöht aggressiv oder impulsiv, waren jedoch besonders misstrauisch. Das spricht für einen anderen als den von den Testautoren postulierten Mechanismus der Projektion.
Die Ergebnisse legen beim Einsatz des FHT in forensischen Begutachtungen Zurückhaltung bei der Interpretation nahe.
Abstract
Projective psychological techniques might be useful for measuring forensically relevant constructs in the context of a multimodal assessment strategy but are often considered to be deficient concerning reliability and validity. The Photo Hand Test (FHT), a German version of the Hand Test, is a diagnostic tool aimed at measuring aggressive dispositions. It uses photographs of hand gestures which test persons are required to interpret. The answers are coded and an acting-out score is computed from diverse categories.
A study on the reliability and validity of the FHT protocols from 98 offenders and a comparison group of 55 non-offenders was carried out. Internal consistency coefficients of the FHT scores were low and unsatisfactory. Offenders had higher acting-out scores than non-offenders, they did not give more aggression-prone interpretations but more interpretations coded as aggression-inhibiting. Correlations of the FHT scores with self-report scales from the Antisocial Personality Questionnaire did not show the expected patterns; however, they did suggest effects of a hostility bias: persons who interpreted many hand gestures as aggression-prone did not describe themselves as highly aggressive or impulsive but were more distrustful and paranoid. This indicates a projection mechanism different from the one postulated by the FHT authors.
The results suggest that FHT measures should be interpreted with caution in forensic evaluations.
Notes
Dass das Reizmaterial von den Probanden subjektive Deutungen verlangt, gilt nicht nur für projektive Verfahren. Auch Items in Persönlichkeitsfragebögen sind keinesfalls Protokollsätze mit präzise festgelegter Bedeutung. Auch ein simples Item wie „Ich rege mich leicht auf“ erfordert einige Auslegung, bevor es beantwortet werden kann: Was genau ist „aufregen“? Was ist „leicht“? Und insbesondere: Wer ist „ich“? Derjenige, der ich früher gewesen bin? Der ich in den letzten Wochen oder Monaten war? Der ich heute bin? Der ich bestimmt bald sein werde? Die Person, als die ich von anderen gesehen werden möchte?
Als weiterer Aspekt der konkurrenten Validität sollte untersucht werden, ob sich verschiedene Gruppen von Gewalttätern hinsichtlich ihrer Antworten im FHT unterscheiden. Sarbin et al. [35] hatten festgestellt, dass Gewalttäter mehr aggressive Deutungen lieferten als andere Straftäter ohne Gewaltdelikte. Da in der vorliegenden Stichprobe fast ausschließlich Gewalttäter waren, wurden verschiedene Delikttypen in Anlehnung an Kudryavtsev und Ratinova [28] unterschieden. Tendenziell fanden sich die höchsten Acting-out-Scores bei Beziehungstätern. Da jedoch aufgrund der geringen Zellenumfänge die statistische Power der Vergleiche zu niedrig ist, wird auf die Wiedergabe der entsprechenden Ergebnisse verzichtet.
Bei der Vorgabe des FHT fällt auf, dass die Probanden meist spontan eine Deutung geben, wenn sie das Foto betrachten, manchmal aber auch, wenn sie Schwierigkeiten zu haben scheinen, zunächst mit der eigenen Hand die dargestellte Geste nachbilden, bevor sie zu einer Deutung imstande sind. Diese beiden Strategien (Beobachtung versus Körperfeedback) könnten den beiden unterschiedlichen Projektionsmechanismen entsprechen.
Es kann sehr wohl gute inhaltliche Gründe geben, zusammengehörige Dinge zu addieren, auch wenn deren Häufigkeiten nicht positiv korreliert sind. Beispielsweise können unterschiedliche Lebensereignisse zu einem Belastungsscore aufaddiert werden, auch wenn diese Ereignisse miteinander nicht statistisch zusammenhängen oder sogar teilweise negative Assoziationen aufweisen.
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Endres, J., Krebs, F. Der Foto-Hand-Test. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 10, 198–211 (2016). https://doi.org/10.1007/s11757-015-0345-0
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