Zur Beziehung zwischen Schizophrenie und gewalttätigem Verhalten

Zusammenfassung

Nicht zuletzt aufgrund des Zusammenhangs zwischen Psychose und gewalttätigem Verhalten mit allen sich daraus ergebenden Implikationen für den Umgang mit schwer psychisch Kranken nimmt die Psychiatrie eine Sonderstellung unter den medizinischen Subdisziplinen ein. Darüber hinaus hat die einzigartige Komplexität des menschlichen Gehirns dazu geführt, dass die Psychiatrie erst ab der Mitte des 20. Jh.s durch die Fortschritte im Bereich der technisch-biologischen Hirnforschung und durch die Entwicklung moderner Psychopharmaka Anschluss an die übrigen medizinischen Fächer gefunden hat. Parallel zu dieser Entwicklung veränderte sich die Position der Psychopathologie. War sie zunächst noch eines der zentralen Forschungsgebiete der klinischen Psychiatrie, wird sie heute oft nur als Hilfsmittel zur internationalen Verständigung, zur Erfassung administrativer Daten und zur Rekrutierung von Patientenkollektiven für Forschungsvorhaben gesehen. Nach einer kurzen Darstellung des aktuellen Wissenstands zur Beziehung zwischen Schizophrenie und Gewalttätigkeit weisen die Autoren anhand von zwei psychopathologischen Modellen – der differenzierten Klassifikation nach Leonhard und der Strukturdynamik Janzariks – nach, dass die Ergebnisse der modernen Hirnforschung mit diesen ausschließlich auf detaillierten psychopathologischen Beobachtungen basierenden Konzepten in vielen Punkten kompatibel sind. Einer als Grundlagenwissenschaft zu verstehenden differenzierten Psychopathologie kommt eine unverzichtbare Mittlerrolle zwischen den Versuchen der Abbildung zerebraler Vorgänge und der komplexen Realität menschlichen Handelns zu, was v. a. im Bereich der forensischen Psychiatrie von entscheidender Bedeutung ist. Durch Vernachlässigung dieses Umstands läuft die Psychiatrie Gefahr, auf wesentliche Möglichkeiten der Generierung von für die Hirnforschung relevanten Fragestellungen und Hypothesen zu verzichten.

Abstract

The relationship between schizophrenia and violence with its substantial implications for the care of the severely mentally ill is one major reason for the special position of psychiatry. Due to the unique complexity of the human brain psychiatry was able to catch up with all other medical disciplines as late as the second half of the twentieth century only by means of the progress in biological brain research and psychopharmacology. At the same time the position of psychopathology has substantially changed. Being one of the core research issues until the introduction of antipsychotic drugs, it is nowadays primarily understood as a mere auxiliary tool for communication, for the collection of administrative data and for the recruitment of patients for various research projects. After a short overview of the current knowledge concerning the association between schizophrenia and violence the authors demonstrate by means of two psychopathological models, the differentiated classification according to Leonhard and the concept of structural dynamics by Janzarik, that many of the findings of current brain research are compatible with these models, exclusively based on detailed psychopathological observations. Differentiated psychopathology plays an indispensable mediator role between biological brain research methods and the complex reality of human behaviour, which is of major importance especially in forensic psychiatric issues. By neglecting this fact psychiatry is in danger of abandoning the possibility to generate relevant questions and hypotheses for future research.