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Rechtliche Gesichtspunkte zur Rückfallprognose und Vollstreckung bei älteren Straftätern

Older offenders – Judicial aspects of relapse prognosis and of execution of penal measures

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Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Die Zahl der Verurteilten, die erst in vorgerücktem Lebensalter (über 60 Jahre) nach langem Freiheitsentzug (20 Jahre und mehr) zur Entlassung anstehen, wächst entsprechend der allgemeinen Alterung der Gesellschaft ständig. Die derzeit verwendeten Prognoseinstrumente (z.B. HCR-20, PCL, SVR, Static 99, Dittmann-Liste) sind für diese Tätergruppe nicht evaluiert, so dass für die forensisch-psychiatrischen und -psychologischen Begutachtungen nur der Rekurs auf Kasuistiken bleibt, mit all seinen methodischen Problemen. Die Strafvollstreckungsgerichte sehen sich deshalb in besonderer Weise auf die Vorgaben zurückgeworfen, die Gesetz und (verfassungsrechtliche) Rechtsprechung entwickelt haben. Hier kommt dem jeweiligen Einzelfall eine besondere Bedeutung zu; dabei müssen die spezifischen Lebensumstände von älteren Menschen genauer in den Blick genommen werden als dies bei Entlassungen jüngerer und besser beforschter Tätergruppen geboten erscheint. Zu fordern ist eine nachdrückliche Intensivierung der forensischen Forschung in diesem Bereich.

Abstract

As our society ages, the number of offenders who are older than 60 when they are up to release from prison or forensic hospital also increases steadily. Instruments of prognosis (e.g. HCR-20, PCL, SVR, Static-99, Dittmann-List) currently in use are not validated for this group, which means that forensic-psychiatric and -psychological experts have to rely on casuistry with all it’s methodical problems for their reports on whether or not there is a risk for relapse (which are obligatory by German law). Therefore the Courts of Execution Matters (in Germany dealing with conditional discharge; same question for any kind of Parole Board in other countries) have to apply standards as provided by the law and the jurisdiction up to the Constitutional Court to a much higher degree than they have to do regarding the much better researched group of younger offenders. In doing so, the focus has to be much more on the special circumstances of senior citizen in general and specifically on the aged offender’s life. There is a urgent need to intensify research on this group of offenders.

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Notes

  1. Vgl. dazu z.B. http://prisonprtal.informatik.uni-bremen.de/knowledge/index.pho/’Seniorenvollzug

  2. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Fachserie 10 Reihe 4.1., Rechtspflege, Strafvollzug – demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen, erschienen am 30.01.2009

  3. Bemerkenswerterweise fand sich darunter nur eine Frau.

  4. Das sind nahezu alle in Hessen nach § 63 StGB Untergebrachten, aktuell ca. 400 Personen.

  5. Hochsicherheitsgefängnis in Hessen, nahezu sämtliche Sicherungsverwahrte (derzeit 34) und Lebenslange (derzeit 53) in Hessen; dabei werden die Lebenslangen bei aussichtsreichem Verlauf frühzeitig in weiterführende Anstalten, insbesondere die Sozialtherapeutische Anstalt, verlegt und tauchen deshalb in meiner StVK seltener auf, während die eo ipso deutlich negativere Auslese bei den Sicherungsverwahrten selten aus der JVA Schwalmstadt fortführt.

  6. Bei dem am weitesten verbreiteten HCR-20 machen sie die Hälfte der Bewertung aus.

  7. Das Thema war auch Gegenstand eines kleinen Symposiums einer Fortbildungstagung des „Interdisziplinären Arbeitskreises forensische Psychiatrie“ (Dittmann/Nedopil/Köhnken) im Jahr 2008 in Niederpöcking mit den Teilnehmern Saimeh, Jehle und mir; auch die dabei gewonnen Einsichten und Anmerkungen von Nowara fließen hier mit ein.

  8. Zu § 64 StGB habe ich keine Erfahrungen; hier dürfte das Altersproblem allerdings wegen der zerstörerischen Wirkungen sowohl des Alkoholismus als auch anderer Rauschmittel weniger drängend sein.

  9. Den Sonderfall des § 67d Abs. 3 StGB – Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus – kann man getrost außer Acht lassen; die grundsätzlichen Fragen sind dieselben.

  10. Auch hier darf ich die Quisquilien, was denn die Gefahr einer Gefahr ist, beiseite lassen, weil sie das Thema stören.

  11. Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG

  12. Etwas anderes sagt auch die verfassungsrechtliche Verankerung dieses Grundsatzes in Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 2 GG nicht aus; der Unterschied dürfte „nur“ darin liegen, dass das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das BVerfG die Macht hat, über das sog. einfache Recht, also das StGB und die StPO, hinauszugehen und z.B. dort gesicherte Ansichten und Dogmatiken qua übergeordnetem Recht zu „overrulen“ – wie es das BVerfG ja auch immer wieder tut (ein besonders deutliches Beispiel ist die Befristung der lebenslangen Freiheitsstrafe: Das LG Marburg hatte dies im Wege der Auslegung des „einfachen“ Rechts bereits 1982 versucht, war damit aber beim OLG Frankfurt gescheitert (NStZ 1983, 525); erst zehn Jahre später hat das BVerfG genau dieses entschieden (BVerfGE 86, 288).

  13. Vielfach gesicherte Rechtsprechung, schon KG Juristische Rundschau 1970, 428

  14. Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 79, 297, 311 ff.; später bekräftigt, z.B. NStZ 1998, 373, 374

  15. NStZ 1992, 405

  16. Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1992, 2344

  17. Fast überflüssig zu sagen, dass der wesentliche Unterschied in der Beurteilung darin liegt, dass die Gerichte auf der Grundlage der Tatsachen (selbst festgestellt oder durch Sachverständige erworben) erst ihre eigentliche Aufgabe erfüllen können, eben die normative Entscheidung, was nun geschehen soll.

  18. Vgl. z.B. Nedopil [4]; man muss für diese Fragestellung sicherlich nicht auf das Elend der Psychiatrie im Dritten Reich rekurrieren, sondern sie stellt sich überall und jederzeit auf der Welt.

  19. Das sind: alle Verbrechen (also Taten, für die eine Mindeststrafe von einem Jahr oder mehr angedroht ist) sowie eine Reihe von Vergehen (also mit einer geringeren Mindeststrafe als ein Jahr, aber Höchststrafen bis zu zehn Jahren!), nämlich alle gegen die sexuelle Selbstbestimmung, ferner die gefährliche Körperverletzung, die Misshandlung von Schutzbefohlenen und schließlich eine Rauschtat, wenn die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten ist.

  20. Vgl. Hart [3] und Nedopil [5]; in der Sache seit längerem detailliert nachzulesen bei Freese [2].

  21. So die o.g. Arbeitsgruppe Boetticher u.a., die als Fragen des Gerichts an den Sachverständigen formuliert hat:

    • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zu begutachtende Person erneut Straftaten begehen wird?

    • Welcher Art werden diese Straftaten sein, welche Häufigkeit und welchen Schweregrad werden sie haben?

    • Mit welchen Maßnahmen kann das Risiko zukünftiger Straftaten beherrscht oder verringert werden?

    • Welche Umstände können das Risiko von Straftaten steigern?

  22. Leider ist dies kein Spezifikum bei der Begutachtung von Alten.

  23. Zu Beginn meines Studiums waren Homosexualität und Kuppelei noch strafbar – wer kann sich das heute noch vorstellen!

Literatur

  1. Boetticher A, Kröber H-L, Müller-Isberner R, Böhm KM, Müller-Metz R, Wolf TH (2006) Mindestanforderungen für Prognosegutachten. NStZ 26:537–544

    Google Scholar 

  2. Freese R (2003) Ambulante Versorgung psychisch kranker Straftäter. Pabst, Lengerich

    Google Scholar 

  3. Hart S (2008) Key-Note; 8th Annual Conference, International Association of Forensic Mental Health Services, Wien

  4. Nedopil N (2004) The boundaries of courtroom expertise: Ethical issues in forensic psychiatry. Dir in Psychiatry 24:107–120

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  5. Nedopil N (in press) The Role of Forensic Psychiatry in Mental Health Systems in Europe. Crim Behav Ment Health

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Wolf, T. Rechtliche Gesichtspunkte zur Rückfallprognose und Vollstreckung bei älteren Straftätern. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 3, 230–236 (2009). https://doi.org/10.1007/s11757-009-0004-4

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