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Mit dem vorliegenden Artikel starten wir in der Rubrik „Weiterbildung und Nachwuchsförderung“ unsere Serie „Wie gehe ich in der Notaufnahme bei Akutverletzungen der oberen Extremität vor?“. Thematisch werden Verletzungen der oberen Extremität und ihre Primärversorgung in der Rettungsstelle kurz vorgestellt. Die häufigsten kindlichen Verletzungen stellen unseren ersten Themenblock dar.

Dr. Kathi Thiele und PD Dr. Alexander Ellwein

Rubrikherausgeber

Neben Frakturen am Unterarm stellen Frakturen im Bereich des kindlichen Ellenbogens die zweithäufigsten Frakturen an der oberen Extremität dar. Aufgrund der Komplexität der radiologischen Beurteilung des noch wachsenden Skeletts am Ellenbogen mit seinen vielen, in unterschiedlichem Alter auftretenden Knochenkernen, ist diese Region mit einer hohen Fehlerquote von bis zu 77 % in der Behandlung behaftet (Abb. 1a; [1]). Dabei können Fehldiagnosen bzw. -behandlungen gerade am Ellenbogen aufgrund des hier nur geringen Korrekturpotentials zu erheblichen Wachstumsstörungen führen. Besonders bedeutsam ist dies bei den sog. „Kadi-Läsionen“ sowie den TRASH(„the radiographic appearance seemed harmless“)-Läsionen, die fehlerhaft behandelt zu einer dauerhaften Deformierung und/oder Funktionseinschränkung führen können [2, 3], was meist häufig aufwendige Korrektureingriffe erforderlich macht [4, 5].

Abb. 1
figure 1

Diagnostik bei kindlichen Ellenbogenverletzungen: a Schematische Darstellung des Erscheinungszeitraums der unterschiedlichen Knochenkerne (LM Lebensmonat, LJ Lebensjahr, mod. nach [3]). b Seitliches Röntgenbild mit vorderem und hinterem Fettpolsterzeichen (weiße Linie) sowie einer normalen vorderen Oberarmlinie (grün) und radiokapitellarer Linie (rot). c Sonographische Darstellung eines hinteren Fettpolsterzeichens im Bereich der Fossa olecrani (weiße Linie)

Im Vordergrund der Behandlung kindlicher Frakturen steht noch vor der primären Untersuchung immer eine initiale Ruhigstellung und kindgerechte Schmerztherapie. Die Inspektion sollte primär visuell und nie manuell erfolgen, um dem Kind eine schmerzhafte Untersuchung zu ersparen. Offenkundige Schwellungen, sichtbare Deformierungen sowie Asymmetrien im Seitenvergleich reichen zumeist für eine Verdachtsdiagnose aus. Die Prüfung der peripheren Sensomotorik sollte die einzige „manuelle“ Untersuchung des Patienten sein. Diese erweist sich jedoch meist bei verängstigten und schmerzgeplagten Kindern als herausfordernd. Eine einfache Untersuchungsmöglichkeit bietet die „Stein, Schere, Papier, OK-Methode“, welche bereits mit Kleinkindern spielerisch durchführbar ist [6]. Zudem sollte auch immer die periphere Durchblutung geprüft werden, da auch bei noch rosig erscheinender Hand eine Gefäßverletzung der A. brachialis bei z. B. grob dislozierter suprakondylärer Humerusfraktur vorliegen kann. Bei unruhigen und schmerzgeplagten Kindern, welche trotz bedarfsgerechter Analgesie nicht zu führen sind, sollte auch immer, gerade bei suprakondylären Humerus- oder Monteggia-Frakturen, an ein akutes Kompartmentsyndrom gedacht werden [7]. Dieses kann auch in seltenen Fällen ohne Fraktur als sog. NFACS („non-fracture acute compartment syndrome“) auftreten [8].

Zur weiterführenden Diagnostik reicht in den meisten Fällen eine normale Röntgenuntersuchung des Ellenbogengelenks in zwei Ebenen aus. Diese gibt ausreichend Information über die meist altersspezifische und aufgrund der Knochenreife stereotype Fraktur. Sekundäre Ossifikationszentren dürfen dabei nicht als Frakturen missinterpretiert werden [9]. Das sog. Fettpolsterzeichen als indirektes Frakturzeichen kann dabei häufig schon ein Hinweis auf eine okkulte oder nicht dislozierte Fraktur sein (Abb. 1b). Dieses Fettpolsterzeichen oder auch nur „fadpad-sign“ genannt und kann dabei mittels Ultraschalluntersuchung sogar meist besser und schneller nachgewiesen werden (Abb. 1c). Daneben können auffällige Hilfslinien wie die vordere Oberarmlinie oder radiokapitellare Linie bereits Hinweise für das Vorliegen einer Fraktur geben (Abb. 1b). Lediglich in Ausnahmefällen ist bei Gelenkfrakturen im Adoleszenzalter oder nach Luxationen eine weiterführende Diagnostik mittels CT bzw. MRT erforderlich.

Die häufigste Fraktur des kindlichen Ellenbogengelenks ist die suprakondyläre Humerusfraktur (Abb. 2b). Sie entsteht meist durch den Sturz auf den ausgestreckten Arm mit einem Altersgipfel um das 6. Lebensjahr. Bei grober Fehlstellung kann es in > 10 % der Fälle aufgrund der Weichteilkompromittierung zu einer Gefäß-Nerven-Verletzung führen. Dabei ist in den meisten Fällen der N. interosseus anterior, gefolgt von den Nn. radialis, medianus und ulnaris betroffen [10]. Die zweithäufigste Fraktur im Kindesalter stellt die Condylus-radialis-Fraktur dar, welche eine epimetaphysäre und damit eine Gelenkfraktur darstellt (Abb. 2a). Dabei kommt der knorpelige Frakturanteil im Nativröntgenbild nicht zur Darstellung und darf nicht übersehen werden. Frakturen des ulnaren Kondylus oder transepiphysäre Frakturen gehören zu den Raritäten (Abb. 2e). Bei letzterer sollte immer eine Kindeswohlgefährdung gerade bei Kindern unter 3 Jahren ausgeschlossen werden [11].

Abb. 2
figure 2

Röntgenbilder spezifischer kindlicher Ellenbogenfrakturen: Condylus-radialis-Fraktur eines 3‑jährigen Jungen: a Die rote Linie markiert (→ ) den nicht sichtbaren Frakturverlauf in der Epiphyse (weiße Linie). b Grob dislozierte suprakondyläre Humerusfraktur eines 6‑jährigen Mädchens; markiert (→) ist die Komprimierung des Gefäß-Nerven-Bündels durch die Fraktur. c Abriss des Epicondylus ulnaris eines 10-jährigen Mädchen; markiert (→) ist der dislozierte Epicondylus ulnaris. d Abscherfraktur des Capitulum humeri bei einem 12-jährigen Jungen; markiert (→) ist das nach kranial dislozierte Capitulum humeri. e Transepiphysäre Fraktur eines 15 Monate alten Jungen; markiert (→) ist die in loco typico verbliebene Epiphyse (weiße Markierung). f „Monteggia-like-lesion“ eines 8‑jährigen Jungen; markiert (→) sind die dislozierte intraartikuläre Olecranonfraktur und Radiushalsfraktur. g Monteggia-Fraktur eines 8‑jährigen Mädchen; markiert (→) ist die Grünholz-Fraktur der Ulna. Es findet sich ein nach ventral luxierter Radiuskopf mit veränderter radiokapetellarer Linie (rote Linie), diese verläuft nicht mehr durch das Capitulum humeri (gestrichelte rote Linie = Normalbefund)

Daneben tritt in dieser Altersgruppe die Monteggia-Fraktur auf, welche in weiterhin bis zu 25–50 % der Fälle beim Vorliegen lediglich eines Biegungsbruches oder einer Grünholz-Fraktur der Ulna übersehen wird (Abb. 2g; [12]). Diese kann auch selten als „Monteggia-like-lesion“ im Sinne einer Radiushals- und proximalen Ulnafraktur auftreten (Abb. 2f). Dabei gehören kindliche Radiushals- und auch intraartikuläre Radiuskopffrakturen mit 1–5 % zu den seltenen Frakturen. Übersehene oder zu spät behandelte Frakturen sind dabei jedoch mit einer hohen Zahl an Komplikationen wie Radiuskopfnekrose, proximaler radioulnärer Synostose, vorzeitiger Wachstumsfugenverschluss, Ellenbogensteife etc. behaftet [13].

Bei Sturz auf den Arm mit eingeschränkter Beweglichkeit und fehlendem Frakturnachweis muss auch immer an eine Subluxation des Radiuskopfes – Morbus Chaissagnac – gedacht werden. Diese kann auch in bis zu 40 % der Fälle ohne den klassischen Unfallmechanismus – Zug am Arm – auftreten [14]. Diese „Blockade“ kann durch ein gezieltes Hyperpronationsmanöver oder eine forcierte Supination mit gleichzeitiger Flexion meist wieder gelöst werden. Bei mehrfach missglückten Repositionsversuchen kann in den allermeisten Fällen durch eine Ruhigstellung im Oberarmcast in Supinationsstellung über 2–4 Tage eine spontane Reposition erreicht werden [15].

Im späten Kindesalter treten neben den oben genannten Frakturen Olecranonfrakturen auf, welche bei fehlender Dislokation häufig mit den sich schließenden Apophysenkernen verwechselt werden können. In bis zur 20 % kommt es dabei zu begleitenden Frakturen sowie osteochondralen Läsionen [16]. Bei Unklarheiten sollte daher ggf. eine weiterführende Schnittbilddiagnostik mittels MRT oder CT erfolgen. Daneben treten in dieser Altersgruppe als dritthäufigste Fraktur des kindlichen Ellenbogens typischerweise Abrissfrakturen des Epicondylus ulnaris auf (Abb. 2c). Dabei tritt diese Fraktur in bis zu 60 % der Fälle durch eine Ellenbogenluxation auf [17]. Neben Abrissen des Epicondylus ulnaris kann es zu Begleitfrakturen des lateralen Kondylus, Radiushals, Olecranon, Koronoid oder der Trochlea kommen. In Abhängigkeit der Begleitverletzungen reicht die Therapie von der Ruhigstellung mittels Bewegungsorthese, über Refixation der knöchernen Begleitverletzungen, bis hin zur Bandrekonstruktion [15].

Seltene, wenn aber auch schwerwiegende Verletzungen stellen zum einen die transkondyläre Humerusfraktur sowie die Abscherfraktur des Capitulum humeri als Übergangsfraktur des Ellenbogengelenks im Jugendalter dar (Abb. 2d). In diesen Fällen ist eine weiterführende CT-Diagnostik zur präoperativen Darstellung des Frakturausmaßes immer obligat.

Alle nicht dislozierten oder akzeptabel dislozierten Frakturen mit ausreichendem Korrekturpotential können konservativ mittels Ruhigstellung im Oberarmcast für 3–4 Wochen behandelt werden. Bei instabilitätsgefährdeten Frakturen wie z. B. der Condylus-radialis-Fraktur ist immer nach 5–7 Tagen eine Röntgenkontrolle (wenn möglich ohne Gips) zu empfehlen, um eine sekundäre Dislokation auszuschließen und ggf. einen notwendigen Therapiewechsel einzuleiten [15]. Eine Alternative zur Gipsruhigstellung bis zum 6. Lebensjahr bietet der sog. Blount-Verband bei suprakondylären Extensionsfrakturen, wodurch die Fraktur in eine anatomische Stellung retiniert und anschließend ruhiggestellt werden kann [18].

Ist eine operative Versorgung indiziert, gilt immer die Maxime der möglichst anatomischen Rekonstruktion der Fraktur bzw. Wachstumsfuge – analog zur Gelenkfläche beim Erwachsenen. Dabei werden in der Kindertraumatologie bei noch offenen Wachstumsalter v. a. Kirschner-Draht- und Schraubenosteosynthesen verwendet. Winkelstabile Plattenosteosynthesen finden zumeist erst mit Abschluss des Wachstums im Adoleszenzalter ihren Einsatz.

Fazit für die Praxis

  • Der kindliche Ellenbogen weist nur ein geringes Korrekturpotential auf.

  • Das Fettpolsterzeichen dient als indirekter Frakturnachweis.

  • Mit Hilfe der „Schere, Stein, Papier, OK“-Methode können alle wichtigen Nerven untersucht werden.

  • Bei grob dislozierten suprakondylären Humerusfrakturen besteht immer die potenzielle Gefahr einer Gefäß-Nerven-Verletzung.

  • Bei der Monteggia-Fraktur oder „Monteggia-like-lesion“ fehlt die radiokapitellare Kongruenz.

  • Der Morbus Chaissagnac lässt sich mittels Hyperpronation reponieren.

  • Hohes Risiko besteht bei einer sekundären Dislokation bei der Condylus-radialis-Fraktur sowie bei einem Epicondylus-ulnaris-Abriss aufgrund des bestehenden Muskelzugs.