Anatomische Schultertotalprothese

Die Implantation einer anatomischen Schultertotalprothese führt bei korrekter Indikationsstellung zu einer verlässlichen und lange anhaltenden Verbesserung der Schulterfunktion [1,2,3].

Das Problem

Grob kann man die glenohumerale Arthrose in zwei Entitäten unterteilen. Einerseits die konzentrisch zentral abgenützten Arthrosen ohne muskuläre Dysbalance und mit stets gut zentriertem Humeruskopf. Andererseits in die meist nach posterior dezentrierten Arthrosen mit dynamischer aber auch statischer Subluxation des Humeruskopfes. Dieses sehr charakteristische glenoidale Abnutzungsmuster wurde von Walch et al. [4] in 3 Haupt und weiteren Unterkategorien unterteilt: Typ A: konzentrische Omarthrose, Typ B: posterior dezentrierte Omarthrose und Typ C posteriore Omarthrose bei Dysplasie [4]. In weiterer Folge, wurde von Walch et al. festgestellt, dass anatomische Schultertotalprothesen (ASTP) bei posterior dezentrierter Omarthrose (B2, B3 und C) häufiger mit Komplikationen und Revisionsoperationen assoziiert sind [5]. Da die B2-Konfiguration die häufigste Omarthrose Form darstellt und v. a. auch häufig recht junge Patienten mit angeborener Glenoiddysplasie früh in ihrem Leben eine prothetische Versorgung benötigen, ist die erhöhte Therapieversagensrate der ASTP ein relevantes und bislang nicht vollends gelöstes Problem.

Biomechanische Aspekte der B- und C-Glenoide

Version

Bei der operativen Versorgung von Typ-B2-/B3- oder Typ-C-Glenoiden stellt sich stets die Frage ob und wie stark die glenoidale Retroversion korrigiert werden soll bzw. muss. In einem „3D finite element model“ konnte gezeigt werden, dass die Implantation der glenoidalen Komponente von > 10° Retroversion verhindert werden sollte, da es bei Implantation in exzessiver Retroversion zu einer posterioren Dezentrierung des Kontaktpunktes zwischen Humeruskopf und Polyethylen kommt, was eine Scherkraftzunahme von > 300 % am glenoidalen Zementmantel bewirkt [6]. Als weitere Folge wurde bei exzessiver Retroversionsimplantation der Polyethylenkomponente eine deutliche Zunahme an Mikrobewegungen (+ 706 %) zwischen glenoidalem Knochen und Zementmantel gemessen. Die Implantation in exzessiver Anteversion zeigt ebenfalls eine ungünstige anteriore Belastung der Glenoidkomponente und sollte entsprechend verhindert werden [7]. In klinischen Studien von Ho et al. [8] konnte gezeigt werden, dass die Implantation der Glenoidkomponente in exzessiver Retroversion (> 10°) zu vermehrter Osteolyse führte.

Inklination

Biomechanisch wurde von William et al. gezeigt, dass die superiore Inklination des Glenoids von > 10° mit einer deutlichen Zunahme der Migration des Humeruskopfes vergesellschaftet ist [9]. Diese biomechanischen Feststellungen decken sich mit den klinischen Erkenntnissen von Moor et al. [10] und von Hughes et al. [11], die zeigen konnten, dass eine vermehrte glenoidale Inklination nach superior mit degenerativen Rotatorenmanschettenrupturen vergesellschaftet ist.

Glenoidkomponenten Kontaktfläche

Aufgrund der bikonkaven Form des B2-Glenoids muss relativ viel anteriorer Knochen entfernt werden, um ein komplettes (100 %) „seating“ der Glenoidkomponente zu erreichen.

Es wurde grundsätzlich angenommen, dass die Glenoidkomponente zu 100 % über den Zementmantel mit dem glenoidalen Knochen in Verbindung stehen sollte. In einer Arbeit mit von Dilisio et al. [12] konnte jedoch gezeigt werden, dass es bei Glenoidkomponenten, die nicht 100 % Kontakt mit dem Glenoid hatten, zu keiner vermehrten Lockerung gekommen ist.

Gelenklinie

Aufgrund der oben genannten biomechanischen Aspekte, die sowohl in vitro und in vivo zeigen konnten, dass die Implantation der Glenoidkomponente in vermehrter – oder gar exzessiver – Retroversion zu vermehrter Lockerung führte, wird von zahlreichen Autoren die Implantation der Glenoidkomponente in neutraler Position angestrebt. Die Neutralisierung der Gelenklinie kann entweder durch anterior korrigierendes „reaming“, durch posteriore Knochenaugmentation und Implantation einer konventionellen Glenoidkomponente oder durch die Implantation einer posterior augmentierten Glenoidkomponente wiederhergestellt werden. Wird eine glenoidale Retroversion von > 15° durch exzentrisches „reaming“ behoben, wird die Glenoidkomponente zwar neutral aber exzessiv medialisiert implantiert. Dadurch kommt es zu einer Verkleinerung der anteroposterioren Dimension der Knochensubstanz des glenoidalen Kelchs, welcher zur glenoidalen Verankerung zur Verfügung steht, was u. a. mit Perforationen und höheren Lockerungen und Revisionsraten vergesellschaftet ist [5, 8, 13, 14]. Zudem konnte in einem validierten dreidimensionalen (3D-)Simulationsmodel gezeigt werden, dass bei zunehmender Medialisierung ein erhöhter Rotatorenmanschettentonus benötigt wird, um das glenohumerale Gelenk zu stabilisieren [15]. An dieser Stelle soll klar festgehalten werden, dass zahlreiche namhafte Autoren die Neutralisation der Gelenklinie bei Implantation einer anatomischen Schultertotalprothese nicht anstreben und dabei in kurz- und mittelfristige Nachkontrollstudien keine Nachteile hinsichtlich Patientenzufriedenheit, Schulterfunktion und Patientenzufriedenheit feststellen konnten [16, 17]. Insofern ist die Frage, ob eine Wiederherstellung der ursprünglichen Gelenklinie im Sinne der Aufhebung der Medialisierung grundsätzlich angestrebt werden sollte, noch offen.

Subluxation

In klinischen Untersuchungen von Iannotti et al. [18] konnte gezeigt werden, dass das Ausmaß der posterioren Subluxation des Kopfes (insbesondere ab > 80 % posteriorer Subluxation), die typischerweise bei Typ-B- und -C-Glenoiden auftritt, mit einer erhöhten Revisionsrate verbunden war. Auch Walch et al. [5] konnten eine Revisionsrate von 11 % bei Patienten mit posteriorer Subluxationsstellung von > 80 % nachweisen.

Ideale Positionierung der Glenoidkomponente bei Typ-B-Glenoiden

Es existieren derzeit keine absolut geltenden Werte für die optimale Orientierung des Glenoids. Anhand der oben aufgeführten biomechanischen und auch klinischen Aspekte hat Walch [19] folgende „golden rules“ für die Implantation der Glenoidkomponente bei ASTP definiert:

  1. 1.

    Glenoidkomponente soll mit < 10° Retroversion implantiert werden.

  2. 2.

    Glenoidkomponente soll mit < 10° superiorer Inklination implantiert werden.

  3. 3.

    Die Glenoidkomponente soll mindestens 80 % glendoidale Kontaktfläche aufweisen.

  4. 4.

    Posteriore Subluxation des Humeruskopf von < 80 %.

  5. 5.

    Anteriores „reaming“ vermeiden.

An dieser Stelle soll klar festgehalten werden, dass diese Definition der idealen Glenoidkomponentenpositionierung einer Expertenmeinung entspricht. Es existieren bis dato keine Level-I- oder Level-II-Langzeitstudienergebnisse, die eine Reduktion von Revision oder Komplikationsrate durch ein solches Verfahren belegen können. Die biomechanischen Überlegungen, die Walch zu seinen Konklusionen führen, sind jedoch evidenzbasierend und sowohl biomechanisch als auch klinisch nachvollziehbar. Durch die Arbeitsgruppe rund um Iannotti wurde ein 3D-CT-Softwareprogramm entwickelt, welches die prämorbide Anatomie des arthrotischen Glenoids berechnen kann [20,21,22]. Diese prämorbide Anatomie ist für die Arbeitsgruppe die Grundlage für die Implantat- und Positionsplanung [20]. Anhand der virtuellen 3D-Planung kann abgeschätzt werden, ob mit den zur Verfügung stehenden Implantaten (u. a. augmentierte Glenoide) die „golden rules“ von Walch erreicht werden können. Werden diese Referenzwerte durch die optimale Positionierung der Glenoidkomponenten nicht erreicht, oder besteht bereits bei der präoperativen Planung eine exzessive posteriore Dezentrierung, so sollte die Implantation einer anatomischen Schulterprothese überdacht werden. Gemäß Walch wäre in dieser Situation (nicht Erreichen der „golden rules“) die inverse Schulterprothese die bessere Option. Klare Evidenz für diese Expertenmeinung gibt es bis dato noch nicht und muss noch erarbeitet werden.

Präoperative Planung der Glenoidkomponente

Innerhalb der vergangenen 10 Jahre wurde mit Hilfe von 3D-Planungssoftwares versucht, die Pathoanatomie besser zu verstehen, um dadurch die Positionierung der Prothesenkomponenten optimieren zu können. Aktuell existieren mindestens 9 verschiedene Planungssoftwares [23]. Schon vor Einführung der 3D-Planungssoftware wurden mit Hilfe von Röntgen und CT Bildanalysen der Pathoanatomie bei Omarthrose durchgeführt. Verständlicherweise ist die Ausmessung mit Hilfe von Röntgenbildern unverlässlicher als mit Schnittbildverfahren [24]. Die glenoidale Version wird in axialen Röntgenbildern typischerweise um bis zu 20°- und im Mittel um 6°- überschätzt [25]. Zudem ermöglichen 3D-CT-Untersuchungen verlässlichere Aussagen über das ossäre Abnützungsmuster des Glenoids als 2D-Schnittbilder [26]. Die präoperative 3D-Planung erfordert eine intensive Analyse der Pathoanatomie (Abb. 1). Die Softwareprogramme ermöglichen je nach Hersteller die Planung der konventionellen und posterior augmentierten Glenoidkomponenten. Bei der virtuellen Planung kann einerseits die gewünschte Version, Inklination, Tiefe der Glenoidkomponente und das Ausmaß der posterioren Augmentation der glenoidalen Komponente simuliert und festgelegt werden, andererseits kann auch nach virtueller Entfernung von möglichen Osteophyten das Impingement-freie (knöchernes Impingement) Bewegungsmuster der glenohumeralen Beweglichkeit analysiert und geplant werden (Abb. 2). Bis dato kann die Weichteilsituation nicht in die virtuelle Planung miteinbezogen werden.

Abb. 1
figure 1

CT-basierte dreidimensionale (3D-)Analyse der glenoidalen Version (a), Inklination (b) und posterioren Subluxation (c) sowie Darstellung der glenoidalen und humeralen Osteophyten

Abb. 2
figure 2

CT-basierte dreidimensionale (3D-)Planung des um 25° posterior augmentierten Glenoids mit 96 %igem „seating“

Es konnte gezeigt werden, dass bereits die alleinige Verwendung der präoperativen 3D-Planung – ohne Anwendung von intraoperativen Guides – zu einer präziseren Implantatplatzierung führen konnte [23, 27]. Die prämorbide Anatomie des Glenoids kann in einzelnen Planungssystemen als Referenz für die Planung herangezogen werden [20]. Auch hier liegen bis heute noch keine Daten vor, die belegen, dass die Wiederherstellung der glenoidalen Anatomie zu einer Verringerung der Versagensrate führt.

Intraoperative Guidance

Der virtuelle Plan kann intraoperativ entweder „freehand“ mit den Standardzielgeräten, mit patientenspezifischen Instrumenten (PSI-Guides) oder mit intraoperativer Navigation umgesetzt werden. Der PSI-Guide hat typischerweise mehrere knöcherne Kontaktpunkte. Diese typischerweise markanten knöchernen Auflagepunkte können vom Chirurgen selbst definiert werden. Dabei sollten knöcherne Punkte gewählt werden, die nicht in der Region gelegen sind, in welcher typischerweise der Retraktor eingesetzt wird (Abb. 3). Während bei diesen Systemen ein PSI zur Platzierung des Zieldrahtes verwendet wird, werden bei der intraoperativen Navigation mittels eines Trackersystems die Patientenanatomie und das Zielinstrumentarium gescannt und so in den angefertigten virtuellen Plan integriert. Auf diesem Live-Plan kann dann der Zieldraht intraoperativ gesehen werden und die ideale Platzierung des Zieldrahts dann umgesetzt werden.

Die Verwendung von PSI ist mit einem erhöhten präoperativen logistischen Aufwand (Herstellung des PSI, Lieferung, Sterilisation) verbunden. Dieser Mehraufwand fällt bei intraoperativer Navigation weg [28, 29]. Ein negativer Aspekt der intraoperativen Navigation ist die verlängerte Operationszeit, die womöglich Ursache dafür ist, dass sich aktuell die Verwendung der PSI mehr durchsetzt. Ein anderer Grund für den vermehrten Einsatz von PSI ist die erhöhte Anzahl an industriellen Anbietern. Aktuell existieren 10 verschiedene PSI-Systeme und ein intraoperatives Navigationssystem [29,30,31,32].

An unserer Institution haben wir in einer ersten Machbarkeitsstudie an Kadavern zeigen können, dass ebenfalls mit augmentierter Realität mit Hilfe der HoloLens® (Microsoft, Redmond, Washington, USA) der Zieldraht für die Glenoidkomponente mit hoher Präzision gesetzt werden kann [33]. Das Glenoid und der Zieldraht werden ähnlich wie bei der intraoperativen Navigation per Track erkannt (Abb. 4) und so in den virtuellen Plan miteingebunden, welcher dann über die HoloLens® unmittelbar im Operationsfeld visuell überlagert wird (Abb. 5). Diese Technologie soll zukünftig auch für die Implantation sowohl der glenoidalen als auch humeralen ASTA-Komponente eingesetzt werden können, was zu einer Reduktion der logistischen und evtl. auch finanziellen Erleichterung führen würde.

Abb. 3
figure 3

CT-basierte dreidimensionale (3D-)Planung der Guide-Platzierung. Der Guide besitzt drei anteriore Pedikel und einen posterioren Pedikel, der posteroinferiore Glenoidrand wird nicht von Pedikeln besetzt, da in diesem Bereich typischerweise die Retraktoren platziert werden. Über das zentrale Loch kann der Zieldraht mit der gewünschten Ausrichtung eingeführt werden

Abb. 4
figure 4

a, b Trackersystem, welches mit der Schutzhülse für den zu platzierenden Pin verbunden ist

Abb. 5
figure 5

a, b Das Trackersystem wird von der Navigation erkannt und die Ausrichtung des Zieldrahts wird auf der Hololens® live wiedergegeben

Warum intraoperative Guidance?

Eine exakte präoperative 2D- oder 3D-Analyse der Pathoanatomie und entsprechende Planung ist zwar hilfreich und essenziell für den Erfolg der Operation, bei starker Dysplasie oder posteriorer Erosion reicht die alleinige Planung und Analyse häufig jedoch nicht aus. Eine Level-I- und Level-III-Studie konnten zeigen, dass durch präoperatives 3D-Planen und die Verwendung von PSI die Umsetzung des präoperativen Plans signifikant exakter gelingt als durch die präoperative 2D-CT-Planung alleine [34, 35]. Insbesondere bei exzessiver Retroversion von > 15° zeigte sich selbst bei den erfahrenen Schulterchirurgen eine signifikante Erhöhung der Präzision durch den Einsatz von PSI alleine [34, 35] vs. der konventionell „freehand“ operierten Gruppe. In der Level-I-Studie von Ho et al. [36] konnte bei 71 Patienten (Nachkontrollzeitraum von 2 Jahren, Mittelwert von 2,4 Jahre) gezeigt werden, dass neben der exakten Rekonstruktion der Glenoidversion auch die posteriore Subluxation des Humeruskopfes bei Schultern mit B2- und B3-Glenoid erfolgreich korrigiert werden konnte. Die Revisionsrate lag in der Studie bei 0 % und die radiologische Lockerungsrate bei 15 %. Im Vergleich dazu lag die Revisionsrate in der wegweisenden Studie von Walch et al. [5], bei welcher auf computerunterstützte Hilfsmittel verzichtet wurde, bei 16 % und die radiologische Lockerungsrate 21 %.

Gleichzeitig wurde jedoch von Stephens et al. [37] gezeigt, dass durch den alleinigen Einsatz von posterior augmentierten Glenoiden auch ohne Verwendung von präoperativer Planungssoftware und ohne intraoperative Guidance die Retroversion und die posteriore Subluxationsstellung erfolgreich behoben werden konnten. Die Revisionsrate lag bei 0 %. Auch in der Studie von Grey et al. (68 Patienten, Nachkontrollzeitraum von 50 Monaten, Minimum 24 Monate) wurde ebenfalls ohne präoperative 3D-Planung und ohne PSI eine signifikante Korrektur des Glenoids erreicht [38]. Alle 68 Fälle zeigten im postoperativen CT eine Zentrierung des Humeruskopfes und die Revisionsrate wegen aseptischer Glenoidlockerung betrug 3 %.

Anhand dieser Datenlage kann zwar postuliert werden, dass die Umsetzung der präoperativen Planung durch intraoperative Guidance präziser ist, der Effekt der Rezentrierung des Humeruskopfes jedoch mehr auf die Verwendung des posterior augmentierten Glenoids zurückzuführen ist.

Eine sehr interessante Beobachtung wurde in einer erst kürzlich veröffentlichten Studie von Richetti et al. [39] gemacht. Es konnte gezeigt werden, dass trotz primär idealer Platzierung der Glenoidkomponenten im Verlauf von 2 Jahren ein Glenoid-Shift in 51 % der Patienten nach 3D-geplanter und PSI-unterstützter ASTP-Implantation zu sehen war. Die Studienpopulation beinhaltete 32 % B2-, 5 % B3-, und 4 % C‑Glenoide nach Walch. Der Glenoid-Shift wurde definiert als Veränderung der ursprünglichen Version oder Inklination von > 3°. Der Shift war mit einer erhöhten radiologischen Lyse um den zentralen PEG assoziiert. Doch weder der Shift noch die radiologische Osteolyse waren mit einer erhöhten Revisionsrate noch mit einem schlechteren Outcome assoziiert.

Planung der humeralen Komponente

Die Planung der humeralen Komponente steht derzeit nicht im wissenschaftlichen Interessensfokus, obwohl bekannt ist, dass die Wiederherstellung der Anatomie des proximalen Humerus nach ASTP trotz präoperativer 3D-Planung häufig misslingt [40, 41]. Flurin et al. [42] konnten zeigen, dass die Wiederherstellung der prämorbiden Anatomie einen positiven Einfluss auf das langzeitige Behandlungsergebnis nach ASTP hat. In einer kürzlich publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass trotz präoperativer 3D-Planung des humeralen Schnittes und der humeralen Komponente lediglich in 35 % die Anatomie des proximalen Humerus adäquat wiederhergestellt wurde. Häufigste Fehlerquelle war dabei das sog. „overstuffing“, was zu einer Lateralisierung des humeralen Drehpunktes führt. Das „overstuffing“ wird deutlich häufiger durch eine zu hohe Humeruskopfschnittebene verursacht und seltener durch eine überdimensionierte Humeruskopfwahl [40].

Führt die Anwendung der computerassistierten Technologie zu einer Verbesserung der Behandlung nach ASTP?

Der Gesundheitsökonom Porter [43] definiert den Wert („value“) einer Therapie durch folgende Gleichung „value = outcome /cost“. Der „outcome“ (Behandlungsergebnis) einer Therapie hängt wiederum von folgenden 3 Faktoren ab:

  1. 1.

    Grad der Genesung,

  2. 2.

    Prozess der Genesung,

  3. 3.

    Dauerhaftigkeit der Genesung.

In einer erst kürzlich erschienen Studie von Schiffman et al. [44] wurde postuliert, dass es trotz Einführung von präoperativer 3D-CT-Planung, Einsatz von PSI, intraoperativer Navigation und Einsatz von posterior augmentierten Glenoiden innerhalb der letzten 20 Jahre zu keiner weiteren Optimierung der klinischen Behandlungsergebnisse gekommen ist. Die Hypothese der Autoren war, dass die neu angewandten Technologien zu besseren klinischen Resultaten führen würden als noch vor 10, 15 oder 20 Jahren.

Wesentliches Problem dieser viel diskutierten Studie war es, dass in dieser Studie lediglich die klinischen Behandlungsergebnisse, welche durch den American Shoulder and Elbow Score den Simple-shoulder-Test und den Constant-Score erhoben wurden, berücksichtigt wurden. Das Ausmaß der Verbesserung nach ASTP war bereits vor 20 Jahren beinahe perfekt und entsprechend ist es schwierig, mit den neuen Technologien einen beinahe perfekten Score noch perfekter zu machen. Es wurde in dieser Studie entsprechend Porter lediglich der Faktor 1 in die Bewertung der Therapie miteinbezogen. Der Faktor 3 nach Porter (Dauerhaftigkeit [„durability“] der Behandlung) wurde in der Studie nicht berücksichtigt, wäre aber eigentlich der wesentliche Endpunkt zur Beurteilung des Werts der neueren Implantationstechniken. Eine weitere wesentliche Schwäche dieser Studie war, dass die Glenoidpathologien nach Walch nicht erhoben und analysiert wurden. Es könnte somit sein, dass B‑Glenoide, welche in den vergangenen Jahren vermehrt mit anatomischer Schultertotalprothese behandelt wurden, damals mit einer inversen Schultertotalprothese behandelt wurden und somit die Gruppe der B‑ oder C‑Glenoide in dieser Studie unterrepräsentiert ist.

Die Entwickler der diskutierten Technologien versprechen sich, dass der Faktor 3 nach Porter – die Dauerhaftigkeit der Genesung – insbesondere bei Implantation einer ASTP bei der häufigsten Omarthroseform B2 verbessert werden soll. Die aktuellen Level-I-Daten sind jedoch noch zu kurz, um diese Frage abschließend klären zu können. Innerhalb der nächsten 2–3 Jahre werden wir jedoch die ersten Langzeitergebnisse der bereits angelaufenen Level-I-Studien erhalten. Erst dann wird es möglich sein, erste seriöse Berechnungen über den langfristigen Patientennutzen dieser neuen Technologien zu machen.

Fazit für die Praxis

  • Die korrekte Positionierung der Glenoidkomponente bei Implantation einer anatomischen Schultertotalprothese ist insbesondere bei fortgeschrittenem Gelenkverschleiß eine Herausforderung.

  • Präoperative dreidimensionale (3D-)Planung kann helfen, das Ausmaß der pathologischen Veränderung zu erfassen; intraoperative Guidance durch patientenspezifische Instrumente oder intraoperative Navigation können helfen, die präoperative Planung intraoperativ präzise umzusetzen.

  • Bis dato konnte der Vorteil, der durch die Verwendung dieser Technologien erreicht werden soll, wissenschaftlich nicht bewiesen werden. Entsprechend gilt es zukünftig zu klären, ob der Nutzen durch die Verwendung dieser kostspieligen Technologien durch eine Verbesserung der Behandlungsresultate gerechtfertigt werden kann.