Hintergrund und Fragestellung

Klavikulafrakturen sind häufig und machen einen Anteil von 2,6−4 % aller Frakturen des Erwachsenen und 35 % aller Frakturen im Bereich des Schultergürtels aus [1, 9]. Die Inzidenz von Klavikulafrakturen wird auf 29−50 pro 100.000 Einwohner pro Jahr geschätzt [3]. Führender Unfallmechanismus der häufig im Rahmen von Sportverletzungen und insbesondere bei jungen Männern auftretenden Verletzung ist die direkte Gewalteinwirkung gegen das Schultergelenk [7, 13, 14, 17, 22]. Die klassische Behandlung der Klavikulaschaftfraktur war, auch im Falle moderater Dislokation der Fragmente, eine konservative Therapie [11, 16]. Aktuelle Studien berichten über hohe Pseudarthroseraten von bis zu über 15 % nach Klavikulafrakturen [14, 20, 24]. Die primär operative Versorgung der Klavikulafraktur wird gegenwärtig zunehmend für die Behandlung dislozierter Klavikulaschaftfrakturen empfohlen, da die Ergebnisse günstiger als nach konservativer Therapie zu sein scheinen [2, 8, 21]. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das primär chirurgische Vorgehen mit halboffener oder offener Reposition und Osteosynthese mittels intramedullärer Schienung mittels Prevot-Nägeln oder Platten bei der Versorgung dislozierter Klavikulaschaftfrakturen zu einer geringeren Pseudarthroserate führt und auch Komplikationen wie Verkürzungen und Deformitäten der Klavikula, die Funktionseinschränkungen im Schultergelenk zur Folge haben können, im Vergleich zur konservativen Behandlung seltener auftreten [2, 4, 6, 10, 15, 24]. Neben Rekonstruktionsplatten, die durch den Chirurgen an die individuellen anatomischen Verhältnisse angepasst werden müssen, sind seit einiger Zeit auch industriell anatomisch vorgeformte Varianten von Platten für die Klavikula verfügbar. Für andere Indikationen z. B. im Bereich der distalen Fibula hat sich gezeigt, dass die Entwicklung von Osteosyntheseplatten anhand anatomischer Datensätze möglich ist und eine statistisch optimale Passform erreicht werden kann [19]. Bisher basierte die Entwicklung von Plattenosteosynthesen auf einer häufig limitierten Anzahl von Präparateuntersuchungen oder Kunstknochenmodellen [5, 12]. Die hohe Formvarianz der Klavikula in Verbindung mit dem nur dünnen Weichteilmantel über dem Schlüsselbein stellt dabei eine besondere Herausforderung an die Passform der dort verwendeten Plattenosteosynthesen dar.

Ziel der Studie war ein Vergleich der Passform von durch Chirurgen individuell vorgebogenen Rekonstruktionsplatten mit der Passform von zwei neuen anhand von computertomographischen Datensätzen menschlicher Schlüsselbeine entwickelten und bereits vorkonturierten Platten (VariAx Clavicle, Stryker GmbH & Co.KG, Duisburg).

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Basierend auf einer neuen, in Zusammenarbeit von Chirurgen und Implantatherstellern entwickelten, Software zur Knochen- und Implantatanalyse (Stryker Implant Fitting Tool) erfolgte die Optimierung der Plattengeometrie einer winkelstabilen Klavikula-Osteosyntheseplatte unter Verwendung einer Knochendatenbank mit den Datensätzen von 334 menschlichen Schlüsselbeinen. Ergebnis sind zwei Plattengeometrien für die superiore Plattenanlage an der Klavikula mit unterschiedlicher S-Krümmung. Bei den in dieser Studie untersuchten Platten handelt es sich um 10-Loch-Platten mit einer Länge von 120 mm (starke S-Krümmung) bzw. 122 mm (schwache S-Krümmung; VariAx Clavicle, Stryker; Abb. 1 und 3). Die im „VariAx-Clavicle“-System verfügbaren kürzeren Platten mit einer Länge von 75–99 mm wurden in dieser Studie nicht untersucht.

Abb. 1
figure 1

„VariAx-Clavicle“-Sieb. (Mit freundl. Genehmigung Fa. Stryker GmbH & Co.KG)

Aus den segmentierten computertomographischen Datensätzen von 334 humanen Schlüsselbeinen wurden 8 zufällig ausgewählt und mithilfe eines „Rapid-prototyping“-Geräts exakt maßstabgetreu jeweils 3-fach aus Kunststoff hergestellt.

Drei Chirurgen mit unterschiedlichem Erfahrungsniveau [erfahrener Oberarzt (A), Assistenzarzt (B) und junger Facharzt (C)] wurden gebeten, Rekonstruktionsplatten (Stryker SPS) für die 8 Schlüsselbeine individuell fachgerecht zu biegen. Zur Verfügung standen dabei jeweils zwei Paar Schränkeisen, eine Biegepresse (Standardaufsatz, Synthes GmbH, Umkirch), zwei Flachzangen sowie zwei Spitzzangen (Abb. 2). Die Kunststoffschlüsselbeine konnten in einem Schraubstock fixiert werden.

Abb. 2
figure 2

Zum Biegen der Platten verwendete Instrumente

Weitere Vorgaben wurden den Operateuren nicht gemacht. Die Biegezeiten wurden mittels einer Stoppuhr exakt dokumentiert. Die 24 gebogenen Platten wurden anschließend durch einen 3D-Streifenlichtscanner (ATOS II, Fa. GOM mbH, Braunschweig) präzise vermessen.

Abb. 3
figure 3

VariAx Clavicle in zwei unterschiedlichen S-Krümmungen. (Mit freundl. Genehmigung Fa. Stryker GmbH & Co.KG)

Anschließend wurden alle 24 von den Chirurgen manuell gebogenen Platten und die beiden industriell vorkonturierten anatomischen Platten (Abb. 3) softwaregestützt bezüglich ihrer Passform untersucht. Dabei benutzt die Software einen Algorithmus, der den quadratischen Abstand zwischen Plattenunterseite und Knochenoberfläche minimiert und somit eine optimale Platzierung für die Platte findet. . Abb. 4 zeigt ein Beispielergebnis des automatischen „Fitting“-Vorgangs einer VariAx-Platte. Die Farben zeigen die Distanz zwischen Platte und Knochen (grün < 0,5 mm).

Abb. 4
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Beispielergebnis des computergestützten automatischen „Fitting“-Vorgangs einer VariAx-Platte. Die Farben zeigen die Distanz zwischen Platte und Knochen. (Mit freundl. Genehmigung Fa. Stryker GmbH, Duisburg)

Das Ergebnis ist ein normierter quadratischer Abstand, im Folgenden als „fitting error“ (FE) bezeichnet. Dieser FE wird für jede zu untersuchende Platten-Knochen-Kombination berechnet. Je geringer der FE, desto geringer der Abstand zwischen Knochen und Klavikula-Osteosyntheseplatte.

Für die hier vorgestellte Studie war eine A-priori-Fallzahlplanung nicht möglich, da es noch keine validen Daten gab, um diese Fallzahlberechnung sinngemäß durchzuführen. Die Untersuchung ist demnach als Pilotstudie anzusehen.

Die statistische Untersuchung lief in folgenden Schritten ab: Nach der Zusammenfassung aller validen Messergebnisse erfolgte die Berechnung aller wichtigen deskriptiven Kennzahlen zur Bestimmung von Lage, Streuung und weiteren Parametern für jede Untersuchungsgruppe.

Die geringen Fallzahlen in jeder Untersuchungsgruppe lassen keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, wie die Daten verteilt sind. Aus diesem Grund können für einen statistischen Vergleich der Untersuchungsgruppen untereinander keine parametrischen Methoden zum Einsatz kommen, da diese die Normalverteilung voraussetzen.

Aus diesem Grund wurde der Mann-Whitney-U-Test zum Vergleich der Mediane jeweils zweier Untersuchungsgruppen herangezogen. Zum Vergleich der Chirurgen A, B und C wurde der Kruskal-Wallis-Test angewendet (α=5 %).

Die Software SPSS, Version 20.0.0 (IBM Inc., Amonk, NY/USA) diente als Grundlage für alle Berechnungen.

Ergebnisse

Die mediane Biegezeit pro Platte der drei Chirurgen variierte von 1:18 bis 2:03 min. Signifikante Unterschiede fanden sich nicht (p = 0,216, Tab. 1; Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Biegezeit – Boxplot (Darstellung von Median, Interquartilsabstand, Minimum und Maximum) sowie p-Wert

Tab. 1 Passform („fitting error“, FE) und benötigte Biegezeit der manuell gebogenen Platten verglichen mit den beiden vorkonturierten anatomischen Platten

Die Passform der 8 knochenspezifisch gebogenen Implantate war unabhängig vom Grad der Berufserfahrung. Die Platten der Chirurgen A, B und C zeigten einen FE von 1,85 mm2, 2,01 mm2 und 2,75 mm2. Auch hier konnten keine signifikanten Unterschiede gefunden werden (p = 0,368). Wenn die VariAx-Platte mit der besten Krümmungsform in Bezug zum jeweiligen Knochen gewählt wurde, konnte ein FE von 1,44 mm2 erreicht werden. Dies ist signifikant besser als die Gesamtgruppe der Chirurgen (p = 0,042, Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Passform („fitting error“, FE) – Boxplot (Darstellung von Median, Interquartilsabstand, Minimum und Maximum) sowie p-Wert

Diskussion

Die Frage des operativen oder konservativen Vorgehens bei Klavikulaschaftfrakturen ist weiterhin Grundlage der wissenschaftlichen Diskussion [2, 14]. Im Rahmen der weiteren wissenschaftlichen Analyse müssen Faktoren wie Pseudarthroserate, funktionelle Ergebnisse, Schmerz-Scores, Lebensqualität und kosmetische Aspekte berücksichtigt werden [23]. In der Vergangenheit hat sich bei anatomisch vorgeformten Implantaten im Bereich der Tibia eine hohe Passungenauigkeit gezeigt [5, 18]. Auch bei den hier untersuchten Klavikulaplatten zeigte sich, dass sich diese hohe Passgenauigkeit auch bei randomisiert ausgewählten Schlüsselbeinen echter anatomischer Daten nachweisen lässt. Es konnte weiterhin ermittelt werden, dass die Genauigkeit der Passform mindestens die Qualität erreicht, die von Chirurgen im Operationssaal unter Verwendung von Biegeinstrumenten erzielt wird. Dies ist von besonderer klinischer Bedeutung, da im Falle einer plattenosteosynthetischen Versorgung von Klavikulafrakturen – insbesondere aufgrund des geringen Weichteilmantels über dem Schlüsselbein – eine möglichst hohe Passgenauigkeit der verwendeten Osteosyntheseplatte erreicht werden soll. Vergleicht man die individuell gebogenen Platten der Chirurgen unter optimalen „In-vitro“-Bedingungen gegenüber einem Set von zwei anhand anatomischer 3D-Datensätze industriell entwickelten anatomischen Platten, zeigt sich eine ähnliche oder bessere Passform der industriell vorkonturierten Osteosyntheseplatten. Diese ersten Ergebnisse zeigen, dass der auf einer großen dreidimensionalen anatomischen Datenbank beruhende neu entwickelte Plattendesignprozess es ermöglicht, die Passform von Platten auch für Knochen mit hoher individueller Formvarianz, wie der Klavikula, zu optimieren. Der Vorteil derart optimierter Platten gegenüber individuell gebogenen Platten ist unter anderem eine Zeitersparnis durch den entfallenden intraoperativen Biegevorgang. Dieser betrug allerdings in dieser Studie lediglich etwa 2 min. Zu erwarten ist jedoch, dass die Anpassung von nicht vorkonturierten Platten unter „In-vivo“-Bedingungen einschließlich Weichteilmantel und frakturierter Klavikula deutlich schwieriger wird und damit auch mehr Zeit in Anspruch nimmt. Außerdem kann das zum Erreichen einer idealen Passform häufig mehrfach erforderliche Biegen zu einer potenziellen Schwächung des Materials mit möglicherweise resultierendem Versagen der Osteosynthese führen. Dem gegenüberstellen muss man selbstverständlich höhere Kosten für das neuartige Implantat. Weder Platten für laterale Klavikulafrakturen noch Platten für eine anteriore Plattenlage wurden in der vorliegenden Studie getestet, obgleich beide auf dem betreffenden Sieb vorhanden sind. Über diese Versorgungsform kann deshalb keine Aussage gemacht werden.

Dieses neuartige Osteosynthesesystem macht damit Biegeinstrumente im Operationssaal weitgehend entbehrlich und kann die Operationsdauer leicht verkürzen. Außerdem besteht der Vorteil einer sicher winkelstabilen Plattenversorgung. Beim manuellen Biegen von herkömmlichen oder winkelstabilen Rekonstruktionsplatten kommt es dagegen meist zu einer nicht unerheblichen Deformierung der Plattenlöcher. Hierdurch kann das Einbringen von herkömmlichen oder winkelstabilen Schrauben beeinträchtigt sein. Mit anatomisch konturierten Platten wird dieser Nachteil vermieden. Ob das Verbiegen die biomechanische Stabilität von Osteosyntheseplatten verringert, wurde im Rahmen dieser Studie nicht untersucht. Auch muss bedacht werden, dass eine Versorgung mittels einer langen geraden LCP („locking compression plate“), die die S-Form der Klavikula überbrückt, eine kostengünstige sowie zeitsparende Möglichkeit besteht. Hier ist natürlich der Weichteilmantel ausschlaggebend.

In der Zukunft kann die Entwicklung von Osteosynthesematerialien anhand von dreidimensionalen Knochendatenbanken sowohl Kosten senken als auch die Passgenauigkeit erhöhen [19]. Prospektive klinische Studien sind erforderlich, um nachzuweisen, ob die klinischen Ergebnisse der industriell vorgeformten Platten den chirurgisch manuell gebogenen überlegen sind.

Schlussfolgerung

Die Entwicklung von Osteosyntheseplatten anhand von dreidimensionalen anatomischen Datensätzen führt zu einer hohen Passgenauigkeit bei einer Vielzahl der zu behandelnden Patienten und eignet sich auch für Knochen mit hoher individueller Formvarianz wie der Klavikula.

Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht.