Die Pathologie des Subakromialraumes der Schulter und der darin verlaufenden Sehnen der Rotatorenmanschette (RM) spielt epidemiologisch und volkswirtschaftlich eine bedeutende Rolle. In Großbritannien wird die Prävalenz von Schulterproblemen bei sämtlichen medizinischen Behandlungen mit 2,7% angegeben, 30–70% davon sind auf Läsionen der RM zurückzuführen. Im Jahr 2002 wurden in den USA 4,5 Mio. Arztbesuche und etwa 40.000 stationäre Behandlungen wegen Problemen der RM gezählt; die durchschnittlichen Kosten dafür betrugen 14.000 US-Dollar pro Fall.

Es gibt weiterhin Unklarheiten und kontroverse Diskussionen über die adäquate Diagnostik und Behandlung dieses Beschwerdekomplexes. In einer Welt der evidenzbasierten Medizin sind Antworten auf noch offene Fragen zur Entstehung und Behandlung der RM-Läsion überfällig. Unter den noch ungelösten Problemen stehen die folgenden Fragen im Vordergrund:

  • Welche Faktoren führen zu einer Rotatorenmanschettenläsion und wie ist ihr natürlicher Spontanverlauf?

  • Welche Läsionen sprechen gut auf konservative Behandlungsmaßnahmen an und welche sollten frühzeitig operiert werden?

  • Wann muss der Sehnendefekt rekonstruiert werden und gibt es dafür eine Altersgrenze?

  • Führen die Fortschritte der Operationstechnik und insbesondere die kostenintensiven arthroskopischen Operationsverfahren zu nachweislich besseren Ergebnissen?

In den wissenschaftlichen Publikationen des Jahres 2008 wurden Antworten auf einige dieser Fragen gesucht und es ergaben sich durchaus neue Erkenntnisse, die tatsächlich kleine Schritte in Richtung auf eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung für eine effektive Therapie der RM-Läsion ermöglichen.

In der Übersichtsarbeit einer amerikanischen Autorengruppe um Yadav N. et al. [1] werden die aktuellen Erkenntnisse wie folgt zusammengefasst:

Es gibt epidemiologische Risikofaktoren [2], vor allem auch bei monotoner beruflicher Belastung in Zwangspositionen [3], die bisher nur ungenau charakterisiert worden sind. Unter den internen Faktoren spielt die Vaskularisationsstörung [4] der Sehne bei älteren Individuen und auch bei Nikotinabusus eine Rolle.

Weiterhin ist die Impingement-Theorie von Charles Neer für das Entstehen der RM-Läsionen eindeutig bewiesen und auch das Lig. coracoacromiale scheint eine verursachende Rolle zu spielen [5], so dass bei dem chirurgischen Vorgehen die subakromiale Dekompression mit Bursektomie und Ligamentresektion zu empfehlen ist.

Ein konsequentes physiotherapeutisches Training des M. deltoideus kann zu einer relevanten Verbesserung der Schulterfunktion bei irreparablem RM-Defekt führen [6], so dass vor der Entscheidung zu einer chirurgischen Intervention ein konsequenter nichtoperativer Behandlungsversuch obligat ist.

Im Langzeitverlauf führt bei kleinen Läsionen auch die alleinige Dekompression zu guten Ergebnissen [7]. Bei der Sehnenrekonstruktion scheinen die endoskopischen Verfahren im Ergebnis sowohl die Funktion als auch die Integrität der Sehnennaht betreffend mit den in mini-open-Technik ausgeführten Operationstechniken gleichzuziehen [8]. Dabei ist es unerheblich, ob die Befestigung der Sehne in Single- oder Double-Row-Technik erfolgt [9]. Experimentell nachgewiesene biomechanische Unterschiede in den Naht- und Verankerungstechniken haben keine nachweisbaren klinischen Konsequenzen; biologische Augmentationen durch autologe dermale Gewebepatchs sind in der humanen Anwendung nicht ausreichend erprobt [10].

Eine Altergrenze für die Versorgung der Sehnenläsion ist nicht definierbar. Aktive Muskeltransfers, v. a. des M. latissimus dorsi, können nachhaltig die Schulterfunktion verbessern [11], bleiben jedoch bei irreparablen RM-Defekten u. a. wegen der relativ hohen Komplikationsrate Einzelfällen vorbehalten. Der Deltoideusflap als reines Interponat führt zwar im Langzeitverlauf zu sehr ansprechenden funktionellen Resultaten, wird aber wegen der häufig auftretenden Defektarthropathie nicht weiter empfohlen [12].

Die Fülle an Publikationen, auch aus dem deutschsprachigen Raum, zeigt die Bedeutung der RM-Läsion in Klinik und Forschung. Es ist vorauszusehen, dass in der Zukunft die technische Entwicklung endoskopischer Operationsverfahren und möglicherweise auch Methoden des Tissue Engineering zu weiteren Fortschritten in der Behandlung führen werden.

Ihr

Markus Loew