Playbacktheater ist eine Form interaktiven Erzähltheaters. Es wurde von dem Psychodramatiker Jonathan Fox und der Musiktherapeutin Jo Salas 1975 in New York begründet. Vom Publikum erzählte Lebenserfahrungen werden mittels Körperausdruck, sprachlicher Improvisation und Musik zurückgespielt (played back). Die künstlerische Darstellung verschiedener Geschichten macht tiefere Zusammenhänge und deren Sinn und Schönheit sichtbar. Gelingt die kreative Umsetzung, wird eine das individuelle Erleben transzendierende Erfahrung möglich (Tobler-Schkölziger 2015).

Die Aufführungen laufen immer ähnlich ab: Zum Einstieg werden kurze Aussagen aus dem Publikum erfragt und von der Gruppe mit kurzen Formen gespiegelt. Es folgen dann ein paar ausführlicher erzählte und gespielte Geschichten. Nach ein bis anderthalb Stunden endet ein solcher Auftritt mit einem zusammenfassenden Abschluss. Meistens gehört es auch dazu, die Veranstaltung im lockeren Gespräch im geselligen Beisammensein ausklingen zu lassen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Playback Theater Berlin (Foto Jürgen Schoo)

Seit 1997 habe ich zahlreiche Theaterauftritte zu sozialen Konflikten und internationale Begegnungsveranstaltungen erlebt.

Fallbeispiel 1: 2018, wir spielen zum Abschluss einer Begegnungswoche von Hochschulen aus 36 Ländern an der Freien Universität Berlin. Da eine Teilnehmerin der Begegnungswoche seit dem Vorabend vermisst wird, ist der Veranstalter sichtlich besorgt, mit den heftigen emotionalen Reaktionen der Teilnehmenden angemessen umzugehen. Der Moderator, in diesem Fall ich, eröffnet die Aufführung mit der Vorstellung des sechsköpfingen Ensembles. Der Moderator wird im Playbacktheater „Conductor“ genannt, wie ein Orchesterdirigent. Er fragt das Publikum, wer diese Theaterform schon kennt, erklärt sie kurz und betont, dass hier alle Geschichten und Gefühle Raum haben.

PaoloFootnote 1 aus Spanien meldet sich und erzählt den Vorfall, der bereits alle sehr beschäftigt: Am Vorabend der Veranstaltung sei er mit Mariana aus Portugal und ein paar anderen aus der Gruppe in einer Berliner Kneipe gewesen, um die Fußball-WM zu sehen. Mariana sei auf die Toilette gegangen und habe ihre Handtasche an ihrem Platz gelassen. Sie sei aber nicht mehr zurückgekommen. Er habe wirklich Angst, dass ihr etwas passiert sein könnte. Die Theatergruppe spiegelt ihm sowohl die Intensität seiner Sorge, als auch die Hoffnung auf einen guten Ausgang. Wie bei dieser Geschichte schafft die Theatergruppe auch im weiteren Verlauf der Veranstaltung immer wieder einen Wechsel zwischen dramatischen Emotionen und den Spannungsbogen lösenden Momenten. So kommt die im Raum stehende Angst ebenso zum Ausdruck wie Geschichten aus den Heimatländern und die Erfahrung der internationalen Begegnung: interessante Berlin-Erfahrungen, kulturelle Aha-Erlebnisse, unterstützende und anregende persönliche Kontakte. CarmenFootnote 2 erzählt davon, wie sie in der Zeit vor ihrer Geschlechtsumwandlung viele Länder bereist hat, aber später als Frau oft Angst hatte, allein zu reisen und auszugehen. Erst jetzt beim Discobesuch in Berlin habe sie sich seit längerer Zeit wieder richtig sicher gefühlt. Nachdem die Theatergruppe die Geschichte von Carmen in Szene gesetzt hat, richten sich plötzlich alle Blicke von der Bühne weg zur Eingangstür, wo die vermisste Mariana den Saal betritt. Der Moderator bittet Mariana, ihre Geschichte zu erzählen, auf die alle gespannt sind. Sie bedauert, spät gekommen zu sein: Sie habe etwas länger geschlafen, nachdem sie am Abend so betrunken gewesen sei, dass sie sogar ihre Handtasche in der Kneipe vergessen hätte.

Um einen sicher haltenden Raum für alle Gefühle zu bieten, in den Worten des Psychoanalytikers Bion also ein gutes Containment zu schaffen, war die theatralische Darstellung sorgfältig dosiert. Der Traumatherapeut Peter Levine (2010) empfiehlt eine solche „Titration“ durch den Wechsel zwischen leichten und schweren Inhalten. Einerseits sollen tiefe Geschichten genügend Raum bekommen, mit dramatischer Intensität auf die Bühne gebracht werden und im Publikum widerhallen. Andererseits wird die Intensität achtsam begrenzt, um sie in einem erträglichen Toleranzbereich zu halten. Jonathan Fox schreibt: „Es gibt ein ethisches Gebot, das ein Fundament des Playbacktheaters bildet. Es zu erhalten, stellt eine weitere große Führungsaufgabe dar. Der Conductor muss darauf achten, dass niemand während der Aufführung verletzt wird, das schließt das Publikum und das Schauspielerteam genauso wie Erzählende ein“ (Fox 2021, S. 27; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Gewaltszene: Playback Theater Berlin (Foto Jürgen Schoo)

1 Konfliktmanagement

Konfliktmanagement umfasst Strategien, um Konflikte zu begrenzen, zu entschärfen und zu lösen.

Ein sozialer Konflikt ist ein kommunizierter Widerspruch (Luhmann 1984). Er kann so weit eskalieren, dass die Kommunikation abreißt, sich der Konflikt verselbständigt und alle zu Verlierern werden.

Konflikte können positiv beeinflusst werden, indem die Eskalationsfaktoren begrenzt und Momente der Deeskalation verstärkt werden. Meine Beschäftigung mit solchen Faktoren führte zur Definition folgender Deeskalationsmomente:

  1. 1.

    Wiederbegegnung der Konfliktparteien

  2. 2.

    Begegnung in einem sicheren Rahmen

  3. 3.

    Entstigmatisierung

  4. 4.

    soziale Resonanz

  5. 5.

    kreative Momente für neue Ideen

  6. 6.

    emotionale Lösung traumatischer Erfahrungen

  7. 7.

    Veränderung einer rigiden Identität

Playbacktheater bildet ein sicheres Forum, in dem sich die Konfliktparteien begegnen können. Veranstaltungen werden sorgfältig vorbereitet und moderiert, um einen sicheren Rahmen zu halten und erneute Verletzungen zu verhindern. In den ein bis anderthalb Stunden einer Aufführung entstehen Momente der Entstigmatisierung, der Validierung und positiven sozialen Resonanz. Gute und schlechte Erfahrungen, auch traumatische, können auf die Bühne gebracht und beim erneuten Erleben leichter verarbeitet werden. Die respektvolle Atmosphäre und künstlerische Distanz regen an, rigide Selbstdefinitionen aufzugeben, zu erweitern und verbindende Ideen zu entwickeln. Über den Austausch von Geschichten kann sich das von diesen Lebensgeschichten geprägte Selbstverständnis und sogar die kollektive Identität verändern und weiterentwickeln.

2 Soziale Resonanz

Die frühen Momente der Spiegelung zwischen Eltern und Kind helfen diesem, das eigene Verhalten von dem der Umwelt zu unterscheiden und schon vor der Entwicklung der Sprache eine eigene Identität auszubilden. Hartmut Rosa (2016) beschreibt soziale Resonanz als tiefes existenzielles Bedürfnis, das nicht willentlich erfüllt werden kann, denn Resonanz kann nur spontan entstehen. Ein Leben lang hilft soziale Resonanz, die persönliche Identität herauszubilden, sie anzupassen und zu erweitern.

Soziale Resonanz wirkt versöhnlich. In einem Konflikt erfordert die Lösung, sich selbst neu zu denken, die Identität zu erweitern (Simon 2004). Künstlerisch ansprechende Darstellungen sind prädestiniert für Resonanzerfahrungen (Rosa 2016). Die Resonanz von Playbacktheater ist der Resonanz von Eltern auf ihre Säuglinge vergleichbar, insofern sie keinen statischen Spiegel darstellt, sondern Containment bietet, die Intensität reguliert und belastende Momente zu einem guten Ende führt. Um belastende Gefühle nicht nur auszuhalten, sondern auflösen zu können, brauchen wir die zeitliche Perspektive von Geschichten, die den emotionalen Moment weiterentwickeln und ein Ende des Spannungsbogens in Aussicht stellen.

3 Überwindung von Feindbildern

Ein entscheidender erster Schritt in Richtung Versöhnung besteht darin, die Stigmatisierung und Entmenschlichung der Betroffenen aufzuheben und wieder rückgängig zu machen (Botcharova 2001). Die auf der Bühne in Szene gesetzte Geschichte rückt den Menschen wieder in den Mittelpunkt und ermöglicht dem Publikum, die individuelle menschliche Erfahrung der Betroffenen durch positive Resonanz zu würdigen.

Fallbeispiel 2: Es ist Welt-AIDS-Tag. Jo Salas gastiert mit ihrer Theatergruppe in einem Frauengefängnis nördlich von New York City – schon das vierte Mal vor diesem Publikum: Frauen unterschiedlichen Alters und ethnischer Zugehörigkeit, alle in dunkelgrüner Gefängniskleidung. Für die Vorbereitung war die Gefängnissozialarbeiterin eine wichtige Ansprechpartnerin, denn ihr vertrauen die Frauen. Sie kann sie bei Bedarf auffangen. Das Theaterensemble beginnt mit einem Lied. Die Frauen stimmen ein. Anfangs erzählen sie, wie sie ihre Familien vermissen, ihre Kinder oder verstorbenen Familienmitglieder. Dann gibt Jo Salas längeren Geschichten Raum. Eine der Frauen meldet sich und geht zum Erzählerstuhl. Brianna kennt Playback vom Vorjahr. Diesmal will sie sich trauen, von ihrer AIDS-Erkrankung zu berichten. Das ist ein großer Schritt, denn AIDS ist mit einer gewissen Stigmatisierung verbunden. Das Publikum reagiert mit Schweigen und unterstützenden Bemerkungen. Die Geschichte handelt von der Ansteckung als Teenager. Es ist eine berührende Geschichte von Vergewaltigung, Inzest, Gewalt und Verlassenwerden. Als Brianna leiser wird, wiederholt Jo Salas ihre Worte. Brianna wählt eine Frau aus der Theatergruppe, die sie spielen soll. Die Gruppe verkörpert ihre Geschichte mit Gefühl und sehr achtsam, ohne sie zu überwältigen. Wie sie in der vorherigen Aufführung erlebt hat, ist dies ein sicherer Ort, um sich zu öffnen, wie ihr Bruder und ihre Familie ihr Unrecht getan haben. Sie macht sich verletzlich, behält aber die Kontrolle darüber, was sie sagen will und was nicht. Die Spielenden zeigen die Gewalt mit leichten Bewegungen, dennoch wühlt es die Erzählerin sehr auf. Sie sieht weg. Jo Salas hält das Spiel an und fragt Brianna, ob sie möchte, dass die Gruppe aufhört. Brianna sagt klar, dass sie ihre Geschichte sehen möchte. Die Gruppe fährt in kürzeren Szenen fort, die im Unterschied zu vorher nur Gefühle verkörpern, keine Charaktere oder Ereignisse. Diesmal kann Brianna hinsehen, ihre Tränen fließen, und sie nickt zustimmend. Die Spieler sehen sie an, wie sie es immer am Ende tun. Dieses Mal nickt Brianna, atmet tief durch und schaut ins Publikum. Auch hier sind viele zu Tränen gerührt. Brianna sagt: Schaut, hier bin ich, sie haben mich nicht umgebracht. Sie erntet heftigen Beifall, bekommt viel Zustimmung. Zurück am Platz umarmen sie die Frauen rechts und links von ihr, und sie erlebt Respekt und Verbindung untereinander (Salas 2021).

Fallbeispiel 3: Das „Playback Theater Berlin“ und das arabisch-jüdische Playbacktheater Ensemble „From Stage to Change“ spielen 2017 in Tel-Aviv mit dem „Playback Ensemble Israel“. Die Gruppen aus Palästina, Israel und Deutschland spielen auf Deutsch, Arabisch, Hebräisch und Englisch. Bei diesem mehrsprachigen Auftritt in Tel-Aviv erzählt ein Mann aus Palästina, wie sein Bruder von israelischen Grenzsoldaten getötet wurde. Ein in Israel lebener junger Mann berichtet von seinem inneren Konflikt zwischen Militärdienst und Kriegsdienstverweigerung und den in Israel damit verbundenen Schwierigkeiten. Eine Frau aus Deutschland spricht von ihrem Geschichtsunterricht, wie ihr Grundschullehrer die Klasse dafür verantwortlich machte, Kriege in Zukunft zu verhindern, und wie sie sich als Schülerin davon überfordert fühlte und bis heute oft der Politik ausgeliefert fühlt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Kriegszene: Playback Ensemble Israel (Foto Jürgen Schoo)

4 Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen

Psychische Traumatisierungen sind ein gravierendes Hindernis erfolgreicher Friedensarbeit. Überreaktionen lassen Konflikte eskalieren. Playbacktheater kann Eskalation verhindern, indem starke Affekte und Überreaktionen begrenzt werden. Den Raum für tiefe Geschichten im Playbacktheater zu schaffen, erfordert ein Zusammenspiel von Erfahrung beim Leiten, dem Schaffen der Atmosphäre und der Kunst der Spielenden.

Playbacktheater kann angesichts traumatischer Katastrophen, politischer oder persönlicher Gewalterfahrungen, wie auch in sozialen Konfliktsituationen eingesetzt werden. In der Flüchtlingsarbeit bildet es einen respektvollen, haltenden Rahmen, um persönliche Geschichten zu erzählen (Witte 2020). Dieser Rahmen reduziert die emotionale Ladung der erzählten Geschichten und hilft, sie zu integrieren. Damit werden Konflikttrigger entschärft, die sonst zur Eskalation führen können. Judith Herman (1992), Bessel van der Kolk (2015) und Michael White und David Epston (1990) betonen die zentrale Rolle des Geschichtenerzählens für die Traumaverarbeitung. Zu Beginn der Psychotherapie geht es darum, die Geschichte überhaupt in Worte fassen zu können, und erst später kommt das Bedürfnis, die eigene Erfahrung öffentlich zu erzählen, um die Verbindung zur Gesellschaft wieder herzustellen.

Existentielle Not und politische Repression erschweren Resonanzerfahrungen, so dass dort Playbacktheater ein besonders dringendes Bedürfnis erfüllen kann. Playbacktheater schafft Momente der Begegnung, in denen Verständigung und Versöhnung greifbar werden. Jede Aufführung im Spannungsfeld von Interessengruppen erfordert eine besonders sorgfältige Vorbereitung und das Einverständnis der Konfliktparteien. Schon die Zustimmung, zu einer Aufführung zu erscheinen, signalisiert den Willen zur Verständigung, setzt also einen Impuls zur Deeskalation. Wenn eine Konfliktpartei es wagt, eine Geschichte aus der eigenen Perspektive zu erzählen, bildet diese Offenheit die Grundlage für den Austausch der Geschichten. Bei der Aufführung ist es möglich, der Gegenpartei ohne Gesichtsverlust positive emotionale Resonanz zu zeigen. Die Geschichten beider Seiten behalten ihre Gültigkeit; die Wahrnehmung der Gegenpartei wird validiert. Alle geäußerten Gefühle werden in dramatischer Intensität auf die Bühne gebracht. Empathie wird erleichtert, indem alle Gefühle genügend Raum und positive Resonanz bekommen.

Playbacktheatergruppen haben versucht, Flüchtlinge und Vertriebene in Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland, Angola und anderen Ländern zu unterstützen (Raack 2016; Salas 2011). Die Theatergruppen haben in solchen Fällen die gleiche Verantwortung wie bei Auftritten nach Naturkatastrophen, Beziehungen aufzubauen und eine kulturelle Passung zu schaffen, bevor sie Geschichten spielen. Politisches Bewusstsein und Analyse werden zur wesentlichen Vorbereitung (Salas 2021).

Judith Herman, die Begründerin des Komplextraumakonzepts, versteht Traumaverarbeitung als „allmähliche Verschiebung von unvorhersehbarer Gefahr zu zuverlässiger Sicherheit, vom dissoziierten Trauma zur bewussten Erinnerung […], von der stigmatisierenden Erinnerung zur wieder hergestellten sozialen Verbindung.“ (Herman 1992, S. 155).

Der Wiederherstellung der sozialen Verbindung können Gruppentherapien oder Selbsthilfegruppen dienen, aber auch Playbacktheater. Um die traumatische Erfahrung vollständig zu integrieren, gehört in dieser letzten Phase der Traumaverarbeitung auch die Integration dieser Erfahrung in eine weiterentwickelte persönliche Identität. Betroffene können durch ihre Vernetzung und ihre eigene Identitätsentwicklung einen wertvollen Beitrag zur kollektiven Verarbeitung und zur Unterbrechung von Gewaltkreisläufen leisten. Nach Herman (1992, S. 181) bedeutet eine öffentliche Erzählung einer traumatischen Erfahrung, ein gesellschaftlich, politisch und juristisch relevantes Zeugnis abzulegen.

Beim Playbacktheater, so schreibt Jo Salas, „liegt die Kunst in der Fähigkeit des darstellenden Teams, unverarbeitete Erfahrungen in ästhetisch kohärentes, emotional bedeutungsvolles Theater mit signifikanter Sprache und ausdrucksstarker Bewegung umzuwandeln – alles auf der Grundlage von empathischem Verständnis der erzählten Geschichten. […] Selbst in den informellsten oder intimsten Umgebungen schafft das Ritual mit einer eindeutigen Anordnung des Raums, einer konsistenten zeitlichen Abfolge und dem aufmerksamen, authentischen Verhalten des Conductors und der Spieler eine besondere Atmosphäre. Dieser rituelle Aspekt ist im Playbacktheater von grundlegender Bedeutung. Hierdurch entsteht ein starkes und flexibles Containment für alle möglichen Geschichten.“ (Salas 2021).

Für die Traumaverarbeitung spielt die Kontextualisierung eine große Rolle, also die abgekapselte Erfahrung wieder in einen Erfahrungszusammenhang zu stellen. Bei jeder Aufführung verbinden sich die einzelnen Geschichten zu einem neuen gemeinsamen Thema. Sie werden wie Flicken zu einem Flickenteppich zu einem neuen Ganzen zusammengefügt, dessen Bedeutung über die jeder einzelnen Geschichte hinausgeht. Dies wird als „Narrative Reticulation“ bezeichnet (Fox 2021). Die erzählten Geschichten werden von der privaten auf die gesellschaftliche Ebene gehoben. In dieser Weise ist Playbacktheater eine mögliche Ergänzung einer fortgeschrittenen Phase der Traumavearbeitung.

Wenn Menschen zum Beispiel in der Einzeltherapie eine gewisse Stufe der Traumaverarbeitung erreicht haben, entsteht häufig das Bedüfnis, öffentlich Zeugnis abzulegen und eine gesellschaftliche Resonanz darauf zu bekommen. Playbacktheater bildet einen guten Rahmen, um ein beschädigtes Zugehörigkeitsgefühl wieder herzustellen, geschehenes Unrecht anzuerkennen und den größeren Zusammenhang zu betrachten. Dabei ist es wichtig, dass die erlebten Geschichten in der Muttersprache oder der Sprache erzählt werden können, in der sie erlebt wurden. Wenn Gruppen oder Kulturen eigene Rituale zum Sprechen, Zuhören und Zurückspielen haben, sollten wir diesen Raum geben, anstatt sie zu ersetzen.

Sublimation und Kreativität dienen der reifen psychischen Abwehr. Sie erlauben, die Botschaft weiterzugeben, aber nicht den Schmerz. Täglich sehen wir die Auswirkungen von „Fake News“ und Geschichten, die zu politischen und ideologischen Zwecken verbreitet werden. Die eigene Geschichte wieder in Besitz zu nehmen, dient der Selbstermächtigung. Der Friedensforscher Babu Ayindo sagt: „Wir müssen Geschichten, die heilen und die Kreisläufe der Gewalt durchbrechen, zurückgewinnen und ihnen Raum geben.“ (CSVR 2021, S. 22) Und der Schriftsteller Ben Okri schreibt: „Menschen sind so gesund und selbstbewusst wie die Geschichten, die sie sich erzählen.“ (ebd.).

Während traumatische Erfahrungen auf Körperebene gespeichert werden, geben die Spielenden mit dem ganzen Körper Resonanz, mit körperlichem Ausdruck, Stimme und Bewegung. Das Publikum kann von außen einen Blick auf selbst erlebte Geschichten werfen, wodurch es leichter wird, gegenüber den eigenen Erinnerungen die Beobachterperspektive einzunehmen.

Moreno, der Begründer des Psychodramas, prägte während seiner Zeit in Bad Vöslau bei Wien den berühmten Satz: „Jedes wahre zweite Mal ist die Befreiung vom ersten,“ und er setzt fort: „Man gewinnt zu seinem eigenen Leben, zu allem, was man getan hat und tut, den Aspekt des Schöpfers, das Gefühl der wahren Freiheit, der Freiheit von seiner Natur. Das erste Mal bringt durch das zweite Mal zum Lachen.“ (Moreno 1924, S. 77).

5 Geschichten entwickeln Identität

Menschen denken in Geschichten. Geschichten prägen die Identität des Kleinkindes und dienen ein Leben lang dazu, die Identität weiterzuentwickeln. Ein Krieg ist ein fortgeschrittener sozialer Konflikt, bei dem Menschen ohne äußere Not ihr Leben riskieren, um ihre nationale oder Gruppenidentität zu bewahren (Simon 2004 [2001], S. 280). Eine flexible Identität ist nötig, um friedliche Lösungen zu finden.

Die Stufen der Konflikteskalation werden von Glasl (siehe Abb. 4; vgl. auch Glasl 1980, S. 235) von oben nach unten dargestellt, weil sie systematisch in Richtung Untergang führen, zum Beispiel im Krieg dazu, Menschenleben zu riskieren, etwa für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Würde, Ehre, Menschenrechte, Demokratie oder Religion. Ab einer gewissen Eskalationsstufe, wenn die Kommunikation im Zuge der Eskalation abreißt, führt der Konflikt nicht nur zum Verlust von Menschenleben, sondern auch zur Vernichtung der verteidigten Werte.

Fallbeispiel 4: Wasl, eine Playback-Theatergruppe im Libanon, bietet Auftritte für traumatisierte Gemeinschaften, darunter syrische Flüchtlinge, Opfer von Menschenhandel und junge Männer, deren Armut sie für die Rekrutierung durch ISIS anfällig machte. „Wir hatten ein großes Projekt, 16 Vorstellungen, innerhalb einer geschlossenen Gemeinschaft, eher eines Ghettos, das als Hauptpool libanesischer ISIS-Kämpfer in Syrien und im Irak gilt. Nach einem Auftritt, bei dem trauernde Mütter ihre Geschichten erzählten, kam ein sehr stiller junger Mann zu uns, um uns zu danken. Am nächsten Tag rief uns der Organisator des Projekts dieser Gegend an, ebenfalls um uns zu danken. Er teilte uns mit, dass der junge Mann, der uns begrüßt hatte, und einige seiner Freunde, die in ein paar Tagen dem Krieg beitreten sollten, auf Grund der Geschichten der beiden Mütter entschieden hatte, lieber ins Gefängnis zu gehen, als ihre Lieben zu verlassen und Menschen solche Schmerzen zuzufügen. Also gingen sie zum Militär und lieferten sich aus. Im Gefängnis konnten die Einzugsbehörden sie nicht erreichen, so dass sie sicher waren und am Leben blieben.“ (Wardani, zitiert nach Salas 2021, S. 23)

Abb. 4
figure 4

Stufen der Eskalation nach Glasl

Playbacktheater stellt einen sinnvollen Ansatz zur Friedensarbeit dar, sofern sich die Konfliktparteien auf die Teilnahme einlassen und den Rahmen respektieren. Es unterstützt die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen und eine zur Konfliktlösung hilfreiche Identitätsentwicklung, es bringt eine unterbrochene Kommunikation wieder in Fluss, und es ermöglicht Konfliktparteien, auf ihre Anliegen und ihr Leid positive soziale Resonanz zu erfahren. Da das Geschichtenerzählen in allen Kulturen eine lange Tradition hat, kann diese Form des Erzähltheaters kulturübergreifend eingesetzt werden. Es sollte bei keinem Konzept zur Friedenssicherung oder Versöhnungsarbeit übersehen werden.