1 Vorbemerkung

Den Titel dieses Beitrags habe ich in Anlehnung an die von Parin (1986) und Cremerius (1992) in den1980er/1990er-Jahren geführte Diskussion über die „Verflüchtigung des Sexuellen in der Psychoanalyse“ gewählt. Parin und Cremerius haben damals darauf hingewiesen, dass unter dem Einfluss der Objektbeziehungstheorie und der Narzissmusforschung die Sexualität, die im Zentrum der von Sigmund Freud formulierten psychoanalytischen Konzepte gestanden hatte, weitgehend in den Hintergrund getreten und sich geradezu „verflüchtigt“ habe.

Wenn ich die inzwischen 52 Jahre meiner Beschäftigung mit Trans* anschaue, scheint mir in diesem Bereich etwas Ähnliches geschehen zu sein. Auch hier scheint es zu einer „Verflüchtigung“, in diesem Fall zu einer Verflüchtigung des Körpers gekommen zu sein, wenn im fachlichen Diskurs über Trans* und in der Öffentlichkeit kaum noch von der Körperlichkeit und ihrer Bedeutung für trans* Personen gesprochen wird, sondern im Zentrum Genderfragen und die Diskussion über die verschiedenen Identitäten stehen.

2 Terminologische Klärung

Da oft selbst im Kreis von Fachleuten Unklarheit darüber herrscht, was mit den verschiedenen Begriffen, die im Zusammenhang mit Trans* verwendet werden, gemeint ist, soll der Behandlung des Themas „Trans* und Körper“ eine terminologische Klärung vorangestellt werden (vgl. Rauchfleisch 2016, 2019, 2021).

Als „transsexuell“ wurden in der ICD-10 (der Internationalen Klassifikation der Diagnosen) Menschen bezeichnet, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, eine körperliche Angleichung an das empfundene Geschlecht anstreben und als Angehörige dieses Geschlechts akzeptiert werden möchten. Transsexualismus galt als eine Störung der Geschlechtsidentität. In der seit Januar 2022 gültigen ICD-11 findet sich diese Diagnose nicht mehr. Sie ist durch die Diagnose „Geschlechtsinkongruenz“ ersetzt worden, womit keine psychische Störung, sondern ein „Zustand der sexuellen Gesundheit“ beschrieben wird.

Weniger pathologisierend als die ICD-10-Diagnose ist die Bezeichnung „Geschlechtsdysphorie“ des DSM5 (302.85), die nach wie vor Gültigkeit besitzt. Damit wird das Leiden an der Diskrepanz zwischen dem bei Geburt zugewiesenen und dem gefühlten Geschlecht einer Person bezeichnet.

Transgender“ ist ein Oberbegriff für Menschen, die sich mit dem, ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, nicht identifizieren können. Dazu gehören ganz unterschiedliche Personen.

Mit „Trans*identität“ bezeichnen wir eine Variante der Geschlechtsidentität, bei der das bei der Geburt zugewiesene vom gefühlten Geschlecht abweicht. Trans*identität hat nichts mit Gesundheit oder Krankheit zu tun, sondern umfasst, wie die Cisidentität (das Gegenteil von Trans*identität), das ganze Spektrum von Gesundheit bis Krankheit. Die Transidentität kann zum Wunsch einer körperlichen Angleichung an das andere Geschlecht und/oder der sozialen Anerkennung des Lebens in der Rolle des anderen Geschlechts oder eines Lebens zwischen den Geschlechtern führen. Neben dem Begriff der Trans*identität wird häufig auch die Bezeichnung Trans*geschlechtlichkeit verwendet. Beide Begriffe sind frei von jeglicher Pathologisierung.

Prinzipiell ist zu berücksichtigen, dass die Geschlechtsidentität und die sexuellen Orientierungen (Hetero‑, Bi- und Homosexualität) unabhängige Dimensionen darstellen. D. h. bei Transgendern, Transidenten und trans*geschlechtlichen Menschen gibt es alle drei sexuellen Orientierungen.

In unserer stark binär geprägten Kultur geht man im Allgemeinen davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gebe: Frauen oder Männer. Seit etlichen Jahren treten nun aber Menschen hervor, die von sich sagen, sie könnten sich keiner der beiden Kategorien (weiblich/männlich) zuordnen. Sie bezeichnen sich als „nicht-binär“ oder „genderqueer“. Manche Personen beschreiben sich jedoch auch als „genderfluid“, d. h. ihre Identität bewegt sich zwischen den beiden Polen weiblich/männlich oder auch als agender oder pangender.

3 Hinweise auf die Verflüchtigung des Körpers im Trans*diskurs

Als ich während meiner Tätigkeit in der Psychiatrischen Universitätspoliklinik erstmals 1970 mit Menschen konfrontiert worden bin, die sich als Trans* definierten, stand die Körperlichkeit der uns aufsuchenden Personen eindeutig im Vordergrund. Die damals übliche Diagnose „Transsexualismus“ (ICD-10: F64.0) sprach zwar von einer Geschlechtsidentitätsstörung und zielte damit auf die psychische Dimension. Mit dem Stellen dieser Diagnose, die die Tatsache beinhaltete, dass es sich um eine durch nichts zu verändernde Überzeugung handelte, dem anderen Geschlecht anzugehören, war damals die Beschäftigung mit der Innenwelt der Patient*innen gleichsam abgeschlossen.

Nachdem diese Diagnose gestellt war, richtete sich unser Augenmerk nahezu ausschließlich auf die Körperlichkeit der trans* Personen. Es ging um die Indikation für die hormonelle Behandlung und die chirurgische Angleichung an das gewünschte Geschlecht. Dies waren ja auch die Gründe, derentwegen uns die Patient*innen aufsuchten.

Da mir persönlich das Erleben der trans* Personen von jeher wichtig erschien und ich schon früh unter dem Eindruck stand, ihre soziale Situation (Beziehungen im Familien- und Freundeskreis sowie ihre berufliche Integration) sei von großer Bedeutung, habe ich in den Begleitungen dieser Patient*innen zwar immer auch die Erlebensdimension thematisiert, ohne dass dieses Thema aber einen breiten Raum eingenommen hätte. Sie erschien in den 1970er und 1980er-Jahren aber auch den trans* Personen selbst nicht besonders relevant, zumindest sprachen sie selten davon. Erwähnt wurde die Erlebensdimension von ihnen höchstens im Zusammenhang mit dem Thema des „Passing“ (d. h. der Fähigkeit der trans* Person, als Mitglied des gewünschten Geschlechts wahrgenommen und akzeptiert zu werden) und mit den erlittenen Traumatisierungen durch die sie stark diskriminierende Gesellschaft.

Auch in der Fachliteratur spielten das Erleben und die psychische Seite des „Transsexualismus“, wie er gemäß ICD genannt wurde, keine besondere Rolle. Je mehr trans* Personen fachliche Hilfe suchten, desto stärker wurde im Hinblick auf die hormonellen Behandlungen und die chirurgischen Techniken der Angleichung an das andere Geschlecht geforscht.

Zu deutlichen Änderungen in der Fokussierung auf die körperliche Seite der Trans*thematik kam es in den 1990er-Jahren und nach der Jahrtausendwende. Dabei waren nach meiner Einschätzung zwei Faktoren von Bedeutung:

Zum einen war es die Zeit, in der an verschiedenen Hochschulen Lehrstühle für Genderforschung etabliert wurden und damit die Gendertheorien größeren Einfluss gewannen. Forscherinnen wir Butler (1997, 2003), Maihofer (1995) und Gildemeister (1992) formulierten Theorien zur Entwicklung von Gender, wobei sie stark an der Trans*thematik und an Homosexualität, welche die Cis-Hetero-Normativität unserer Gesellschaft in Frage stellen, interessiert waren. Zudem wiesen die Genderforscherinnen auf die schwierige Situation von trans* Menschen in unserer hetero-cis-normativen, binär geprägten Gesellschaft hin.

Zum anderen wurde, als die Zahl der Rat suchenden trans* Personen stieg, auch den Fachleuten der Psycho-Fächer zunehmend bewusst, dass die psychische Dimension eine wichtige Rolle spielt. Dies galt nicht nur in Bezug auf die in unserer Gesellschaft erlittenen Traumatisierungen, sondern auch im Hinblick auf die psychische Auseinandersetzung der trans* Personen mit ihrer Identität, ihrem Coming Out und ihrem Leben in der gewünschten Geschlechterrolle.

Auf diese Weise hat sich – zumeist ohne dass wir mit der Trans*thematik befassten Fachleute dies bemerkten – unser Fokus weg vom Körper der trans* Personen hin zu ihrer psychischen Innenwelt verschoben. Abgesehen vom fachlichen Diskurs innerhalb der Endokrinologie und der Plastischen Chirurgie, befasst sich heute die weitaus größte Zahl der Publikationen über trans* Themen mit psychologischen Fragestellungen. Angesichts dieser Entwicklung kann man die Frage, die ich im Untertitel dieses Beitrags gestellt habe, ob sich der Körper im Trans*diskurs „verflüchtigt“ habe, nach meiner Einschätzung der Situation in den vergangenen 52 Jahren eindeutig mit „Ja“ beantworten.

Im Folgenden gilt es nun zu klären, ob dies ein Gewinn oder ein Verlust ist. Es könnte insofern ein Gewinn sein, als wir von der einseitigen Fixierung auf den Körper und die in dieser Hinsicht gewünschten Veränderungen weg gekommen sind und dadurch einen umfassenderen, der Realität von trans* Personen gerechter werdenden Blick gewonnen haben. Die Verflüchtigung des Körperlichen könnte aber auch ein Verlust sein, weil wir damit der Auseinandersetzung mit dem bisherigen Körper in der „falsch“ zugewiesenen Geschlechtsrolle und mit dem „neuen“ Körper nach der operativen Angleichung nicht den ihm zustehenden Raum gewähren und uns unter Umständen der damit zusammenhängenden Fragen gar nicht bewusst sind.

4 Der Gewinn der Verflüchtigung des Körpers im Trans*diskurs

Wie bereits angedeutet, kann die Verschiebung des Fokus vom Körper auf die Erlebensdimension insofern als Gewinn betrachtet werden, als dadurch die einseitige Fixierung auf den Körper und seine Veränderungen in den Hintergrund getreten ist. Trans* Personen selbst und die in ihrer Begleitung und Behandlung tätigen Fachleute haben dadurch ihre Wahrnehmung erweitert und sich den wichtigen Fragen, was Trans*identität für die trans* Personen selbst bedeutet, wie sie sich damit auseinandersetzen und wie sie mit ihrer Identität in unserer Gesellschaft leben, geöffnet.

Die Begleitungen in der 1970er und 1980er-Jahren waren vor allem auf die Fragen nach den körperlichen Veränderungen und dem Passing konzentriert, was sich auch in der in dieser Zeit häufig verwendeten Formulierung, im „falschen Körper“ geboren zu sein, artikulierte. Diese letztlich sehr einseitige somatische Sicht erweiterte sich, als sich der Fokus in den folgenden Jahren langsam in Richtung auf die Erlebensdimension verschob. Je mehr trans* Personen ich in Begutachtungen und vor allem auch in zum Teil jahrelangen Begleitungen kennenlernte, desto stärker wurde mir bewusst, dass wir wesentliche Teile ihrer Realität ausblenden, wenn wir uns in einseitiger Weise auf ihre Körperlichkeit konzentrieren. Zur Veranschaulichung der Situation seien einige der wichtigsten Themen erwähnt, deren Klärung sich in den Begleitungen aufdrängte.

Zum einen betraf dies Fragen des Lebens von trans* Personen in einer cis-hetero-normativen Mehrheitsgesellschaft. Auch wenn das Thema Trans* im Verlauf der Jahre vermehrt in der Öffentlichkeit diskutiert wird und trans* Personen sichtbarer geworden sind, findet sich in unserer Gesellschaft nach wie vor eine ausgeprägte Trans*negativität (Trans*feindlichkeit), die selbstverständlich Auswirkungen auf das Erleben von trans* Personen und auf ihre soziale Situation hat. Hierbei geht es nicht nur um die manifeste Bedrohung, der sie vielfach ausgesetzt sind, und um Diskriminierungen, die sie in der Gesellschaft erleben, sondern auch um ihre Bilder von sich selbst, um den Prozess der verinnerlichten Trans*negativität mit den verhängnisvollen Folgen für ihr Selbstwertgefühl sowie um ihre Situation im privaten und beruflichen Kontext.

Ein weiteres Thema, mit dem trans* Menschen sich auseinandersetzen müssen, betrifft ihre Rollenvorstellungen. Insbesondere Personen mit nicht-binären Identitäten fehlt es in ihrer Umgebung an Modellen, an denen sie sich orientieren könnten. Hier tut sich ein weites Spektrum an Fragen auf, mit denen trans* Personen sich auseinandersetzen müssen und die auch Inhalt der fachlichen Begleitungen sind: Was ist für sie „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“? Welche Vorstellungen von ihren sozialen Rollen haben sie? Wie können sie diese Rollen in unserer Gesellschaft leben? Was bedeutet es für sie, nicht-binär, genderfluid, agender oder pangender zu sein und mit dieser Identität in der Gesellschaft zu leben?

Eine andere zentrale Frage ist die, wie eine trans* Entwicklung verläuft. Mit welchen inneren und äußeren Schwierigkeiten sind trans* Personen in ihrer Entwicklung konfrontiert? Wie gehen sie damit um? Welche positiven und negativen Folgen haben diese Entwicklungsschritte für sie? In Anlehnung an ein von Güldenring (2009) entworfenes Phasenmodell habe ich (Rauchfleisch 2017) den Prozess beschrieben, in dem trans* Personen sich zunehmend ihrer Trans*identität bewusst werden und sich damit auseinandersetzen, und habe aufgezeigt, welche Chancen und Gefahren diese Phasen für sie beinhalten.

Nach Güldenring (2009) betrifft die erste Phase die innere Wahrnehmung des trans* Erlebens, wobei die Gefahr besteht, die eigene Identität als negativ zu erleben und zu unterdrücken. In der zweiten Phase, der inneren Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Öffnens nach außen, versuchen trans* Personen oft, sich möglichst geschlechtskonform zu verhalten, und laufen wegen dieser Anpassung Gefahr, ihre Authentizität zu verlieren. In der dritten Phase wird der Schritt der Offenbarung des trans* Erlebens nach außen getan, wobei das Risiko, die Umgebung zu irritieren, in Kauf genommen wird. Die vierte Phase betrifft den juristischen, medizinischen und psychologischen Prozess im Rahmen der Transition, während die fünfte Phase die körperliche Angleichung durch Hormone und Operation beinhaltet. Die sechste Phase schließlich wird von Güldenring (2009) als „Heilungsphase, Realitätsklärung, Integration und Stabilisierung“ beschrieben (Güldenring a. a. O., S. 30).

In diesem Zusammenhang und im Kontext der sich wandelnden Diagnosen (Transsexualismus, Geschlechtsdysphorie, Geschlechtsinkongruenz) stellte sich auch die Frage, ob Trans* als eine psychische Erkrankung oder als eine Variante der Geschlechtsidentität, die nichts mit Gesundheit oder Krankheit zu tun hat, betrachtet wird. Im Rahmen der Entpathologisierung und der Anerkennung der Tatsache, dass sich keine allgemein gültigen Erklärungen für die Trans*entwicklung finden lassen (Rauchfleisch 2016), kam es zu einer weiteren Verschiebung des Fokus weg von der Ausrichtung auf die Körperlichkeit hin zur Erlebensdimension. Dabei ging und geht es nicht nur um die „offizielle“ Sicht, wie sie sich in den Diagnosen niederschlägt, sondern auch um die Frage, wie trans* Personen sich selbst sehen. Jahrzehnte lang haben sie die Stigmatisierung, die in der Vergabe der Diagnose „Transsexualismus“ lag und ihr Selbstbild oft negativ beeinflusst hat, hinnehmen müssen, bis endlich im Januar 2022 in der ICD-11 die Diagnose „Geschlechtsinkongruenz“ als ein nicht-krankhafter Zustand definiert worden ist.

In diesem Zusammenhang habe ich unter anderem auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Frage nach dem „Warum?“ aufzugeben (Rauchfleisch 2019; s. auch Binswanger 2016). Zum einen müssen wir die Antwort auf die Frage nach der Ätiologie der Trans*identität schuldig bleiben, da wir die Ursachen der Trans*entwicklung nicht kennen. Wir müssen vielmehr anerkennen, dass die Trans*identität eine der möglichen Varianten menschlicher Identitätsentwicklung ist. Zum anderen steht hinter der Frage nach dem „Warum“ im Allgemeinen die Frage, ob und wie sich das betreffende Phänomen verändern ließe. Dies würde auf den Versuch einer Konversion der Trans*- in die Cisidentität hinauslaufen und wäre eine durch nichts zu rechtfertigende menschenrechtsverletzende Maßnahme.

Hinzu kommt, dass die Frage nach dem „Warum?“ nur dann auftaucht, wenn ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Entwicklung von dem der Majorität abweicht. So wird die Frage nach den Ursachen der Cisidentität – wie übrigens auch nach den Ursachen der Heterosexualität – nicht gestellt, da diese als Phänomene der Mehrheitsbevölkerung „selbstverständlich“ und damit nicht erklärungsbedürftig erscheinen, während sie bei der Diskussion um Trans*identität und Homosexualität immer wieder gestellt wird.

Wie oben bereits erwähnt, hat zu der Verschiebung des Fokus von der Körperlichkeit zur Erlebensdimension wesentlich auch die Gendertheorie beigetragen. Diese Forschungsrichtung hat immer wieder das Thema der Trans*identität und – in geringerem Umfang – auch das der Homosexualität aufgegriffen, da diese Identität und diese sexuelle Orientierung Beispiele für die Infragestellung der traditionellen Rollenvorstellungen und der binären Auffassung von den Geschlechtern sind.

Wie dieser Überblick über einige der Themen zeigt, die ursächlich an der Verschiebung des Fokus vom Körper auf die Erlebensdimension beteiligt sind, stellt diese Veränderung eine große Bereicherung dar und hat einen positiven Einfluss für das Selbstverständnis von trans* Personen gehabt und hat ihre Position in der Gesellschaft verbessert.

5 Der durch die Verflüchtigung des Körpers erlittene Verlust im Trans*diskurs

Neben diesem unzweifelhaft zu verzeichnenden Gewinn sind bei der Verflüchtigung des Körperlichen im Trans*diskurs aber auch Verluste zu beklagen, die indes weniger offenkundig sind als die positiven Folgen.

Die Konzentration auf die Innenwelt hat dazu geführt, dass in den Begleitungen von trans* Personen die Auseinandersetzung mit den körperlichen Aspekten des „alten“, bei Geburt zugewiesenen Geschlechts und mit denen des „neuen“, erwünschten Geschlechts oft kaum noch Beachtung findet. Allenfalls werden in den Begleitungen die Erwartungen an den körperlichen Transitionsprozess und die realistischerweise zu erwartenden Erfolge thematisiert. Die eigentliche Diskussion über die körperlichen Veränderungen wird jedoch weitgehend den Vertreter*innen der somatischen Fächer (Endokrinologie, Plastische Chirurgie, Urologie, Gynäkologie und Phoniatrie) überlassen.

Dies ist auf der einen Seite ein sinnvolles Vorgehen, da die Vertreter*innen der somatischen Disziplinen über das nötige Fachwissen verfügen und mit den betreffenden Patient*innen besser als die Begleiter*innen der Psychofächer das konkrete Vorgehen und die zu erwartenden Resultate besprechen können. Was bei einer solchen Rollenaufteilung jedoch verloren geht, ist die intensive emotionale Auseinandersetzung mit der körperlichen Transition. In Anbetracht der leibseelischen Einheit des Menschen ist klar, dass Änderungen am Körper – und erst recht so umfassende Veränderungen wie sie bei der körperlichen Angleichung mittels Hormonen und chirurgischen Interventionen erfolgen – einen erheblichen Einfluss auf das Erleben haben.

Es geht hier nicht primär um ästhetische Fragen und um das für die soziale Integration wichtige Passing. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit vor und nach der somatischen Behandlung ist vielmehr ein die Selbstwahrnehmung, die Selbstdefinition und das Erleben wesentlich konstituierender Faktor. Ein wichtiges in diesem Zusammenhang auftauchendes Thema ist die Wahrnehmung eines „neuen“, zunächst „fremd“ erscheinenden Körpers. Auch wenn es nach der Transition der lange sehnlichst gewünschte Körper ist, erweist er sich nach übereinstimmenden Aussagen von trans* Personen während und nach der Transition zunächst als „fremd“ und muss neu „entdeckt“ werden.

Dieses Neu-Entdecken bezieht sich ganz allgemein auf die Körperlichkeit der trans* Personen und hat primär keine erotische oder sexuelle Konnotation. Es geht für sie vielmehr darum, sich im Hinblick auf den eigenen Körper neu zu orientieren, ihn als zu sich gehörig zu empfinden und mit ihm neue Erfahrungen zu sammeln. Dazu gehört die Selbstwahrnehmung, aber auch die Erfahrung, wie die Menschen des näheren und weiteren Umfelds auf ihn reagieren. Für diese Phase gilt ganz besonders, sich vor Augen zu halten, dass auch Sexualität und sexuelles Erleben Resultate eines Lernprozesses sind.

Nicht selten beschreiben trans* Personen dieses neue Erleben als eine „zweite Pubertät“. Dies gilt sowohl für trans* Personen, die vor ihrer Transition keine sexuellen Kontakte unterhalten haben, als auch für diejenigen, die mit dem „alten“ Körper bereits Sexualität erlebt haben. Beide müssen sich an den „neuen“ Körper gewöhnen, müssen beginnen, ihn als „das bin ich“ zu empfinden, und mit ihm autoerotische und sexuelle Erfahrungen mit Partner*innen machen. Da die Einstellung zur eigenen Sexualität und die Entwicklung eines positiven Erlebens von Sexualität auch wesentlich in einer Beziehung durch ein wertschätzendes Gegenüber unterstützt werden kann (Kruber 2016), hat es sich für mich als sinnvoll erwiesen, mitunter auch die Partner*innen mit in die Beratung einzubeziehen. Denn auch sie durchlaufen in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Erleben eine Veränderung. Und ihr Verhalten hat wiederum Auswirkungen auf die trans* Partner*in.

In Anbetracht der Wichtigkeit des Themas „Sexualität“, spreche ich es in der Begleitung von mir aus an, wenn die trans* Personen es nicht selbst erwähnen. Auch sie selbst haben unter dem Einfluss der zunehmenden Fokussierung auf die Erlebensdimension mitunter den Blick auf die körperlichen Prozesse verloren bzw. stellen sie mit der Überzeugung, sie seien nicht so wichtig, zurück. Wenn ich diese Themen anspreche, entwickelt sich immer eine lebhafte Diskussion und eine intensive Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit.

Die geringe Beachtung der Körperlichkeit und der körperlich gelebten Sexualität schlägt sich auch darin nieder, dass sich nur vergleichsweise wenige Publikationen mit dieser Thematik beschäftigen (einen Überblick gibt Metzner 2021). Neben den Arbeiten von Kruber (2016), Garz et al. (2021) und Nikkelen und Kreukels (2018) ist vor allem die qualitative Studie von Hamm (2020) bemerkenswert, da sie neue Einblicke in das Thema der Sexualität von trans* Personen eröffnet. Im Folgenden soll etwas ausführlicher auf drei wichtige Veröffentlichungen eingegangen werden, da in diesen Publikationen zum einen die Ist-Situation kritisch dargestellt wird und zum anderen Zukunftsperspektiven entwickelt werden.

Einen wesentlichen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität von trans* Personen hat Jonas A. Hamm (2020) mit seiner Studie „Trans* und Sex. Gelingende Sexualität zwischen Selbstannahme, Normüberwindung und Kongruenzerleben“ geliefert. In dieser Publikation berichtet er über die Resultate seiner qualitativen Interviewstudie bez. „gutem Sex“ mit trans* Personen, die keine Genitalangleichung haben vornehmen lassen. Der Autor hat diese Studie durchgeführt, da er festgestellt hat, „dass Trans*-Sexualität über Jahrzehnte wissenschaftlich nur insoweit von Interesse war, als dass im Sexualverhalten ein Indikator, ein Hilfsmittel für die Diagnose von Transsexualität gesehen wurde oder aber ein Indikator für chirurgischen Erfolg nach genitalangleichenden Operationen“ (Hamm 2020, S. 17). Wie auch Kruber (2016) betont Hamm, dass die Transition einen wesentlichen Einfluss auf die erlebte Sexualität hat und dass der Prozess der Entwicklung einer befriedigenden Sexualität durch Lernschritte erfolgt.

Thematisiert wird die Sexualität von trans* Personen auch in einem Unterkapitel des Handbuchs der Gesundheitsversorgung „Psychotherapeutische Arbeit mit trans* Personen“ (Günther et al. 2021). Die Autorinnen verweisen darauf, dass trans* Personen „mit ihrer Sexualität auf eigentümliche Weise verknüpft sind: einerseits durch den Begriff der „Trans-sexualität“, der das Trans*sein per se zu etwas Sexuellem machen möchte, und andererseits durch die Sichtweise der Medizin, besonders der Sexualmedizin und der Diagnostiker_innen, die aus der Sexualität, dem Sexualverhalten von trans* Personen psychodiagnostische Erkenntnisse über das Trans*sein ableiten möchten“ (Günther et al. 2021, S. 148). In diesem Unterkapitel diskutieren die Autorinnen u. a. die Beziehung zwischen Sexualität und Genitalien, die Sexualität vor und nach einem Trans*coming-out, den Einfluss der Hormontherapie auf die Sexualität sowie die Sexualität nach Genitaloperationen und die Beziehungsklärung mit dem eigenen Körper. Dabei betonen die Autorinnen im Hinblick auf die Beziehungsklärung mit dem eigenen Körper, wie wichtig für trans* Personen die Fähigkeit ist, „Kompromisse zu entwickeln, verschiedenste Körperlichkeiten, Körpererleben zu integrieren und sich im biografischen Verlauf als veränderlich zu akzeptieren. Die gelebte Sexualität bleibt damit ein aktiv gestaltbares und dementsprechend herausforderndes Feld“ (Günther et al. 2021, S. 156).

Eine dritte in diesem Zusammenhang wichtige Publikation ist die Arbeit von K*Stern und Hahne (2019) über „Körperpraktische Methoden als Ergänzung zu Gesprächstherapie und trans Beratung“. Die Autor*innen berichten hier über ihre Erfahrungen mit körperpraktischen Angeboten, die „trans Menschen darin unterstützen, sich ihren Körper (wieder) anzueignen und eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen“ (S. 243). Wichtige Aspekte dabei sind das direkte Körpererleben und die Fokussierung auf die Gefühle, ein personenzentriertes Arbeiten mit bedingungsloser Wertschätzung und Akzeptanz, Empowerment, eine ganzheitliche Betrachtung der Lebenssituation der trans* Person, ein niederschwelliges und inklusives Angebot, Gemeinschaftsstärkung und Ressourcenorientierung. Die Autor*innen betonen die Notwendigkeit, dass derartige Körpererfahrungsangebote in die vorhandenen Regelversorgungsstrukturen von trans* Menschen aufgenommen werden. Dies könne beispielsweise in Form von Jahresgruppen im örtlichen Transgender-Versorgungszentrum, als individuelle Einzelsitzung ergänzend zur Beratung und Gesprächstherapie oder auch als thematische Wochenendseminare in (queeren) Seminarhäusern stattfinden. Damit einhergehen sollten Forschung und Evaluation der trans* spezifischen körperpraktischen Arbeit und die Entwicklung von Qualitätskriterien.

Angesichts der geringen Beachtung der Sexualität von trans* Personen im wissenschaftlichen Schrifttum könnte man im Sinne der Situation, die Parin (1986) und Cremerius (1992) als Verflüchtigung des Sexuellen in der Psychoanalyse beschrieben haben, sogar so weit gehen zu sagen, dass sich etwas Ähnliches auch im Trans*diskurs zeigt. Auch hier hat sich das Thema der gelebten Sexualität verflüchtigt und ist damit weitgehend vernachlässigt worden. Mit Recht plädiert Hamm (a. a. O.) deshalb für eine ausführliche Thematisierung der Sexualität in Beratungen und Begleitungen von trans* Personen, wobei er empfiehlt, die Berater*innen sollten „ihre cis-, hetero-, homo-, trans*- und queer-normativen Vorannahmen hinterfragen und davon ausgehen, dass alles auch ganz anders sein könnte“ (Hamm 2020, S. 137).

Wenn wir durch die Verflüchtigung des Körpers im Trans*diskurs die erwähnten Dimensionen nicht beachten, geht ein wesentlicher Teil der Verarbeitung der Transition verloren. Indes reicht es meines Erachtens oft nicht aus, dass wir über die körperlichen Veränderungen und die damit zusammenhängenden neuen Erfahrungen sprechen. Es erscheint mir vielmehr wichtig, dass die körperliche Dimension auch aktiv in die Begleitung einbezogen wird. Dafür sprechen sich denn auch die Autor*innen aller drei oben zitierten Werke aus, in denen die Sexualität von trans* Personen als wichtiges Thema behandelt wird.

In Anbetracht dieser Situation lautet meine Antwort auf die Frage, welche Folgen die Verflüchtigung des Körpers im Trans*diskurs hat: Es ist damit nicht nur, wie oben dargestellt, ein Gewinn verbunden, sondern die Fokussierung auf die Erlebenswelt hat dazu geführt, dass die Körperlichkeit als ein wichtiger, für die weitere Entwicklung der trans* Personen zentraler Teil der Transitionserfahrungen aus der Begleitung ausgeklammert worden ist.

6 Fazit

Was ergibt sich aus dieser Bestandsaufnahme? Mir scheinen drei Aspekte von großer Bedeutung zu sein:

Zum einen sollte in Zukunft der körperlichen Dimension in den Begleitungen ein größeres Gewicht beigemessen werden als bisher. Das bedeutet nicht, dass dies auf Kosten der Auseinandersetzung mit dem Erleben geschieht. Es gilt vielmehr, unser Begleitungsangebot um die Dimension der Körperlichkeit zu erweitern.

Zum anderen ist eine professionalisierte Sexualberatung für trans* Personen wünschenswert. Diese kann sich an körperpraktischen Methoden, wie K*Stern und Hahne (2019) sie beschreiben, oder an den Grundsätzen von Sexocorporel (Metzner 2021) orientieren.

Für diese Aufgabe scheinen mir die Fachleute der Sexualmedizin und der Sexualpädagogik mit körperbezogenen Therapiemethoden besonders geeignet zu sein. Bis jetzt sind indes solche körperorientierten Therapieansätze bei trans* Personen kaum angewendet worden. Über erste – vielversprechende – Erfahrungen damit berichten die oben zitierten Autor*innen K*Stern und Hahne (2019).