Zur Einleitung: Worum geht es?

Es geht darum, dass sich Trauma quasi wie Radioaktivität ausbreitet (Gampel 1996), dass es sozusagen ansteckend ist (Herman 1993) und dass gewissermaßen ein Insekt als Trauma-Überträger von einer Generation auf die nächste fungiert (Kellermann 2011). Diese in der Literatur verwendeten bildhaften Vergleiche weisen auf das Phänomen hin, dass traumatische Erfahrungen generationenübergreifend wirksam werden können, eine Erkenntnis, die sich seit den 1960er-Jahren in der Arbeit mit Nachkommen von Holocaust-Überlebenden durchgesetzt hat. Obwohl mittlerweile zahlreiche Nachweisstudien über die transgenerationale Trauma-Weitergabe existieren, wird diese nach wie vor in der Psychotherapie vernachlässigt (Reddemann und Gahleitner 2016).

Ein möglicher Grund hierfür mag an der Vielschichtigkeit des Phänomens liegen, die es erforderlich macht, eine Vielzahl an für die Entstehung relevanten Wirkungszusammenhängen mitzudenken. Die Komplexität der Ätiologie gewinnt an Intensität, wenn das zugrundeliegende Ereignis kollektiv traumatisierend gewirkt hat und daher auch Verarbeitung und Transmission in eine kollektive Dynamik eingebettet sind. Aus der Eingebundenheit in gesamtgesellschaftliche Prozesse ergeben sich auch spezifische Herausforderungen für das professionelle Handeln als TherapeutIn.

Der vorliegende Beitrag soll für die Thematik sensibilisieren, indem einige wesentliche Aspekte herausgearbeitet werden, die für ein Grundverständnis für das Phänomen und die therapeutische Arbeit erforderlich sind. Nach einigen Begriffsklärungen erfolgt dafür ein Überblick über mögliche ätiologische Erklärungsmodelle, wobei der Blick auch auf kollektive Faktoren gelenkt wird. Daran anschließend wird auf mögliche therapeutische Vorgehensweisen sowie Herausforderungen für die Rolle als PsychotherapeutIn eingegangen, um abschließend einige psychodramatische Ansätze zur Bearbeitung transgenerationaler Traumatisierungen zu beschreiben.

Exkurs I zur Einstimmung: Der Exodus der Sephardim aus Spanien und Morenos Geburtsmythos

Im Jahr 1492 wurde die jüdisch-sephardische Bevölkerung Spaniens vor die Wahl gestellt, zum Christentum zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Viele der über 100.000 dadurch ins Exil gezwungenen Sephardim wurden im Herrschaftsgebiet des osmanischen Reiches aufgenommen, zu dem auch Teile der Schwarzmeerküste gehörten (Benbassa und Rodrigue 2004). Dort war es, wo die VorfahrInnen Morenos auf Schiffen in ihre neue Heimat gelangten. Durch den von ihm selbst erschaffenen Geburtsmythos, in einer stürmischen Nacht des Jahres 1892 auf einem Schiff auf dem Schwarzen Meer geboren worden zu sein, machte sich Moreno nicht nur drei Jahre jünger, sondern er nahm auch auf die 400 Jahre zurückliegende kollektiv traumatisierende Vertreibung der Sephardim aus Spanien Bezug. „Die Geschichte dieses einschneidenden Exodus, der Tausende das Leben kostete, war ein Teil der Identität Morenos, die in ihm fortlebte“ (Fürst 2004, S. 15).

Zu Definition und Terminologie: Worüber sprechen wir?

Wir sprechen über das Phänomen, dass eine in einer Vorgeneration erlebte, nicht (vollständig) verarbeitete Trauma-Erfahrung in einer Nachfolgegeneration in Form von psychischen Belastungen wirksam wird, die bis hin zu einer posttraumatischen Belastungsstörung reichen können. In Forschung und Literatur haben sich die Begriffe Weitergabe bzw. Transmission durchgesetzt, um den generationenübergreifenden Mechanismus zu beschreiben (Kellermann 2011).

In der Literatur werden zur Bezeichnung des Phänomens auch synonym die Begriffe transgenerationell (Kühner 2008), transgenerativ (Leuzinger-Bohleber et al. 2017) sowie intergenerational (ebd.) verwendet. In englischsprachigen Publikationen finden sich zudem die Bezeichnungen multigenerational (Danieli 1998) und cross-generational (ebd.). Schützenberger (2018) unterscheidet, ob die traumatische Erfahrung in einer Familie explizit zur Sprache kommt und damit bewusst vermittelt wird (intergenerational) oder ob diese über unbewusste Mechanismen zum Tragen kommt (transgenerational). Das Phänomen wird zugleich als Unterfall der sekundären bzw. indirekten Traumatisierung gesehen, welche auch PartnerInnen und Angehörige des Unterstützungssystems der primär bzw. direkt Traumatisierten umfasst (Fischer und Riedesser 2020).

Besondere Berücksichtigung in Forschung und Literatur zu transgenerationalen Traumatisierungen haben kollektiv traumatisierende Ereignisse gefunden. Für solche massenhaften Trauma-Erfahrungen von Menschen, die sich aufgrund gemeinsamer Zugehörigkeiten wie etwa zu einer Religion, einer ethnischen Gruppe oder einer Nation unter Umständen als Kollektiv verstehen lassen, wird auch der Begriff des kollektiven Traumas gebraucht. Je nachdem, nach welchen Kriterien ein Kollektiv konstruiert wird, ist in diesem Zusammenhang mit synonymer oder zumindest überschneidender Bedeutung von historischem, nationalem, kulturellem, sozialem oder gesellschaftlichem Trauma die Rede (Kühner 2008). Dies alles macht deutlich, dass es eine breite terminologische Diversität im Zusammenhang mit der Thematik gibt.

Zur Ätiologie: Wie entstehen transgenerationale Traumatisierungen?

Transgenerationale Traumatisierungen entstehen durch ein psychisches Trauma in der ersten Generation, welches durch unterschiedliche Transmissionsmechanismen an nachfolgende Generationen vermittelt wird. Obwohl grundsätzlich jede Trauma-Erfahrung weitergegeben werden kann, ist für den Ausgangspunkt vordergründig an massive traumatische Erlebnisse zu denken. Besonders gut erforscht ist die Weitergabe tiefgreifender Trauma-Erfahrungen, deren Urheberschaft konkreten TäterInnen zurechenbar ist und die in ein besonderes kollektives Geschehen eingebunden sind. Beispiele sind etwa Krieg, Verfolgung und Genozid (Danieli et al. 2015).

Der transgenerationalen Weitergabe liegen komplexe Mechanismen zugrunde, die sich nach unterschiedlichen theoretischen Erklärungsansätzen einordnen lassen. Für eine Konzeptualisierung legen Psychodrama-AutorInnen zumeist ein integratives Theorieverständnis zugrunde. Kellermann (2011) schlägt vor, die Transmission „aus biologischer oder aus psychosozialer Perspektive zu erklären, unter Einbeziehung des psychoanalytischen Modells sowie des Familiensystem- und Sozialisationsmodells“ (S. 145).

Aus psychoanalytischer Sicht werden traumaassoziierte verdrängte Emotionen wie Wut, Trauer und Angst zwischen den Generationen unbewusst vermittelt. Die mangelhafte Integration von traumatischen Erlebnissen führt bei den Eltern zu beschädigten Persönlichkeitsanteilen, mit denen sich die Kinder identifizieren. Sie übernehmen zudem den Auftrag, die verdrängten Emotionen stellvertretend zu integrieren. Dies führt zum Verlust des Gefühls für das eigene Selbst und zur Unfähigkeit, zwischen sich und dem verletzten Elternteil zu unterscheiden. Da sich die Eltern in ihren Affekten in Bezug auf belastende Erinnerungen inkonsistent zeigen, können diese von den Kindern bloß diffus erahnt werden. Daraus ergibt sich ein Wiederholungszwang, da die Kinder unbewusst versuchen, die traumatischen Erlebnisse der Eltern durch Reinszenieren im Hier und Jetzt begreifbarer zu machen (Zajde 2005).

Im tiefenpsychologisch orientierten Psychodrama ist für die verinnerlichten traumatisierten Persönlichkeitsanteile der Eltern der Begriff des Introjekts üblich (Krüger 2015). Für das humanistische Psychodrama könnte von internalisierten traumatisierten Rollen gesprochen werden.

Nach dem Familienkommunikationsmodell ist der familiäre Kommunikationsstil hinsichtlich der traumatischen Ereignisse entscheidend. Wenn Kinder im Übermaß den belastenden elterlichen Berichten ausgesetzt sind, kann dies zu einer sekundären Traumatisierung führen. Gleichzeitig ist Schweigen das destruktivste Kommunikationsmuster. Wenn das erlebte Trauma gar nicht thematisiert wird, können bei den Kindern Schuldgefühle, Wut und Angstphantasien mit entsprechenden psychischen Belastungen entstehen. Eine differenzierte sorgsame Kommunikation kann demgegenüber eine Transmission am ehesten verhindern (Dalgaard und Montgomery 2015).

Nach dem Konzept des Familiensystems von Boszormenyi-Nagy und Spark (1984) entsteht durch die Traumatisierung ein grenzenloses Verpflichtungsgefühl der Eltern gegenüber den Kindern und umgekehrt eine unverhältnismäßige Fürsorge der Kinder für die Eltern, was zu einer Rollenumkehr (Parentifizierung) führen kann. Die sich daraus ergebenden Loyalitätsbindungen beeinträchtigen eine gelingende Individuation und werden generationenübergreifend perpetuiert (Schützenberger 2018). Aus psychodramatischer Sicht lassen sich diese Dynamiken nach Morenos Konzept des Ko-Unbewussten erklären, wonach sich zwischen Kindern und Eltern sowie allgemein im Familiensystem gemeinsame unbewusste Zustände entwickeln (Magnabosco Marra 2008). Traumatisierungen führen nach Reyes (2007) zudem dazu, dass zwischen den Generationen Tele-Prozesse sowie die Familien-Soziometrie insgesamt beeinträchtigt werden. Dadurch verlieren die Subsysteme der Generationenfolge ihre klaren Begrenzungen und es kommt zu überzogenen Zugehörigkeitsgefühlen sowie zum Autonomieverlust des Individuums.

Aus sozialisations- bzw. bindungstheoretischer Sicht ist der Erziehungsstil entscheidend. Traumatisierte Eltern sind mit ihrer eigenen Not beschäftigt und dadurch in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, ihre Kinder angemessen wahrzunehmen. Psychodramatisch gesehen werden die Bedürfnisse des Kindes im Rahmen des role giving bzw. role receiving nicht adäquat erkannt bzw. verstanden und es wird nicht angemessen auf sie reagiert, wodurch es zu einer defizitären Rollenentwicklung kommt. Der Erziehungsstil zeichnet sich durch einen Mangel an Empathie, Nähe und emotionaler Verfügbarkeit aus, wodurch keine sicheren Bindungen aufgebaut werden können (Burge 2000).

Nach biologischen Erklärungsmodellen prägen traumatische Erlebnisse epigenetische Markierungen und damit die Genaktivität, indem DNA-Bereiche abgeschaltet (methyliert) werden. Studien weisen nach, dass Methylierungsmuster über mehrere Generationen vermittelt werden (Krippner und Barrett 2019). Traumatische Erfahrungen wirken sich zudem neurochemisch auf die Stressverarbeitung der Betroffenen und ihrer Nachkommen aus. Der traumabedingte chronische Stress kann neurobiologisch zu einem veränderten Cortisolspiegel führen, der nicht nur bei traumatisierten Menschen, sondern auch bei deren Kindern und Enkeln nachweisbar ist und der etwa mit Hypervigilanz (erhöhter Wachsamkeit) assoziiert wird (Yehuda et al. 2005).

In Abkehr von einem unidirektionalen Transmissionsverständnis betont Völter (2009) die Bedeutung des Umgangs der Nachfolgegeneration mit den traumatischen Erlebnissen der Vorgeneration. Die Wechselwirkungen zwischen den Generationen erfolgen dabei in einem komplexen interaktiven Prozess, der zudem wesentlich vom gesellschaftspolitischen Kontext beeinflusst wird, wenn das ursprüngliche Trauma eine kollektive Dimension aufweist.

Zur kollektiven Dimension von transgenerationalen Traumatisierungen

Die allgemeine Interdependenz von Trauma und Gesellschaft gewinnt an Bedeutung, wenn eine als Kollektiv verstandene größere Anzahl von Menschen von Trauma betroffen ist, ein Phänomen, das begrifflich als kollektives Trauma Eingang in die Literatur gefunden hat. Problematisch dabei ist, wie und nach welchen Zugehörigkeitskriterien dieses Kollektiv definiert wird. Die Konstruktion als Erlebniseinheit hinsichtlich traumatischer Erlebnisse kann zudem dazu verleiten zu ignorieren, dass die dem Kollektiv zugerechneten Einzelmenschen sehr unterschiedliche individuelle Erfahrungen gemacht haben (Kühner 2008).

Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass massenhafte Trauma-Erfahrungen hinsichtlich des Bewältigungsprozesses und der nachwirkenden traumatogenen Dynamiken in ein kollektives Geschehen eingebettet sind, insbesondere wenn den Opfern eine größere Anzahl von TäterInnen gegenübersteht. Auch wenn man kollektive Traumata nach Kellermann (2011) nicht als Teil des Transmissionsprozesses versteht, welcher sich nach ihm immer als „parentale Weitergabe“ nur in der Eltern-Kind-Beziehung vollziehe, so sind kollektive Prozesse dennoch als relevante Faktoren für die transgenerationale Transmission zu sehen. Nachdem hier gesamtgesellschaftliche Dynamiken auf die Entstehung, Verarbeitung und Weitergabe von Trauma wirken, ist eine transdisziplinäre Perspektive nützlich (Bakó und Zana 2020).

Es bietet sich ein prozesshaftes Traumaverständnis an, das die Einflüsse einer traumatogenen Gesellschaft berücksichtigt. Nach dem Konzept der sequentiellen Traumatisierung ist etwa die „Nachkriegszeit mit allen Schwierigkeiten der Wiedereingliederung“ (Keilson 1979, S. 56) als Teil des durch NS-Verfolgung verursachten Traumatisierungsgeschehens zu sehen und als traumatische Sequenz besonders maßgeblich für das Ausmaß der Traumatisierung.

Bakó und Zana (2020) halten fest, dass Mitgefühl und Solidarität der Umwelt sowie die Anerkennung des Leids entscheidend für den Bewältigungsprozess von kollektiv traumatisierenden Erlebnissen ist. „If … the social mirror is blind, insensitive, or if society itself is the perpetrator, then the traumatized individual or group is left alone with the experience. If the social processing of the trauma, the mourning process, fails to happen later too, there is a high chance the trauma will become transgenerational, and affect not only the victims, but the whole of society, for generations“ (S. 10).

Für den Verarbeitungsprozess ist maßgeblich, wie der Staat mit seiner Verantwortlichkeit umgeht. Entscheidend ist etwa, ob er Wiedergutmachung leistet (wie es im Völkerrecht heißt), indem entzogene Vermögensgegenstände rückgestellt oder dafür Entschädigungszahlungen zuerkannt werden, ob von einem ehemaligen Unrechtsregime verurteilte Opfer rehabilitiert werden, ob entzogene Staatsbürgerschaften wiederverliehen werden und nicht zuletzt, ob der Staat das zugefügte Unrecht in Form einer offiziellen Entschuldigung eingesteht. Die schleppende Bereitschaft von offizieller Seite für die Übernahme von Verantwortung sieht Reddemann (2015) als wesentlichen Grund für den besonders langen Trauerprozess in Verbindung mit kollektiv erfahrenen Traumata.

Da Traumatisierte oft von irrationalen Schuldgefühlen geplagt werden, ist der Umgang der Gesellschaft mit Schuld von zentraler Bedeutung. Ob die TäterInnen juristisch zur Verantwortung gezogen werden oder ihr Verhalten öffentlich verurteilt wird, zeigt letztlich, ob das von den Opfern erlittene Unrecht anerkannt wird. „Durch die Bestrafung und im damit assoziierten öffentlichen Diskurs drückt eine Gesellschaft aus, ob sie sich eher mit den Opfern oder eher mit den Tätern identifiziert und solidarisiert“ (Kühner 2008, S. 72). Gleichzeitig hat das Kollektiv auch die Möglichkeit, sich durch symbolische Akte solidarisch mit den Opfern zu erklären, wie etwa wenn sie diese durch die Errichtung von Gedenkstätten oder die Einführung von Gedenktagen würdigt (Bakó und Zana 2020).

Nicht abschließend geklärt ist, über wieviele Generationen Traumatisierungserfahrungen wirksam sein können. Verschiedene Studien weisen mögliche Auswirkungen bis auf die dritte Nachfolgegeneration nach (Danieli et al. 2015). Wenn die oben beschriebenen Transmissionsmechanismen in komplexe kollektive Dynamiken eingebunden sind, sind transgenerationale Konsequenzen über mehr als drei Generationen jedoch durchaus denkbar (Bakó und Zana 2020). Kellermann (2007) geht in seinem Phasenmodell für kollektive Traumata von Trauma-Reaktionen über Jahrhunderte nach dem Ereignis und damit von Auswirkungen auf die Menschheitsgeschichte aus.

Exkurs II zur Vertiefung: Die Deportation der Sephardim aus Saloniki und Österreichs Umgang mit seiner NS-Vergangenheit

Im Jahr 1941, als das griechische Saloniki unter deutsche Besatzung kam, machte die jüdisch-sephardische Gemeinde etwa ein Viertel der Stadtbevölkerung aus. Nirgendwo sonst hatten sich so viele der Jahrhunderte zuvor von der iberischen Halbinsel vertriebenen Sephardim niedergelassen wie im „Jerusalem des Balkans“. Nach Zwangsarbeit, Ghettoisierung und Enteignung wurden 1943 beinahe alle Jüdinnen und Juden Salonikis in deutschen Vernichtungslagern ermordet (Benbassa und Rodrigue 2004). Die Deportation war maßgeblich durch verschiedene Dienststellen der Wehrmacht unterstützt worden, unter ihr auch die Heeresgruppe E, zu der 1942 der Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim versetzt worden war (Safrian 2015). Im Zuge der öffentlichen Debatte um seine Vergangenheit betonte der nunmehrige österreichische Bundespräsidentschaftskandidat Waldheim 1986, dass er an keinen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Deportationen beteiligt gewesen sei und dass er auch nichts von dem zwangsweisen Abtransport eines Viertels der Stadtbevölkerung mitbekommen habe, vielmehr bis dato überhaupt nichts über Massendeportationen aus Saloniki gewusst habe (Wodak et al. 1990). Die Aussagen Waldheims und die einhergehende öffentliche Diskussion gelten als symptomatisch für die österreichische Gedächtnisgeschichte und Erinnerungskultur in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit (vgl. zur Erinnerungskultur in Österreich Lichtblau 2021 in diesem Sonderband). In der Selbstdarstellung als „erstes Opfer“ des Nationalsozialismus lehnte Österreich eine Mitverantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes ab. Entsprechend zurückhaltend wurden Individuen zur Verantwortung gezogen und wenig umfassend war die Entschädigungspolitik mit einer kaum effektiven Rückstellungsgesetzgebung in den Nachkriegsjahren. Erst 1988 erfolgte eine offizielle Entschuldigung der Republik für von ÖsterreicherInnen begangene NS-Verbrechen (Uhl 2001). Erst 2001 wurde der Allgemeine Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus eingerichtet, der umfassendere Kompensationen vorsah, aber aufgrund seiner finanziellen Ausstattung auch nur anteilsmäßige Entschädigungszahlungen leistete (Kriebaum und Sucharipa 2005).

Zu möglichen Ansätzen in der therapeutischen Arbeit

Wie allgemein für das professionelle Handeln als PsychotherapeutIn muss besonders für transgenerationale Traumatisierungen die Einsicht bestehen, dass die Therapie in einem historischen und politischen Gesamtzusammenhang zu verstehen ist. Dafür sind transdisziplinäre Perspektiven hilfreich. Pruckner (2018) weist auf die Wichtigkeit hin, „die Lebensgeschichten von PatientInnen in einem strukturellen zeitgeschichtlichen Kontext zu sehen“ (S. 384; vgl. zur Kontextualisierung von Trauma-Erfahrungen auch Helbich 2021 in diesem Sonderband). Aber es ist auch wichtig, dass TherapeutInnen die eigene Biografie kontextualisieren und selbstreflexiv beleuchten. Gerade in diesem Themenfeld können trennende oder verbindende kollektive Zugehörigkeiten die therapeutische Beziehung beeinflussen (Kühner 2008). Generell wird auf die Bedeutung hingewiesen, dass sich TherapeutInnen vorab mit eigenen transgenerationalen Themen auseinandersetzen. Diese können mitunter sehr bedrohlich reaktiviert werden und im laufenden Prozess auf kollusive Weise dazu verleiten, nicht in die Tiefen der transgenerationalen Thematik einzutauchen (Bakó und Zana 2020).

Angesichts der generellen Wahrscheinlichkeit von traumatischen Erfahrungen in Vorgenerationen sollten TherapeutInnen immer die Möglichkeit einer transgenerationalen Traumatisierung mitdenken. Gleichzeitig darf keine vorschnelle Themenfokussierung erfolgen (Esmenjaud 2010). Vor allem darf von der (angenommenen) Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft einer Opfergruppe nicht verallgemeinernd auf eine transgenerationale Traumatisierung geschlossen werden. Hier besteht die Gefahr, dass individuelle Schicksale vereinfacht der Abstraktion eines Gruppenschicksals unterworfen werden (Kühner 2008). Im Sinne eines humanistischen Menschenbildes ist immer die Einmaligkeit des Individuums zu berücksichtigen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Thematisierung transgenerationaler Traumatisierungen im Therapieprozess nicht verfrüht erfolgen darf (Rauwald und Erhardt 2020). Nach Bakó und Zana (2020) muss etwa bei transgenerationalen Thematiken im Kontext nationalsozialistischer Verfolgung aufgrund der Atmosphäre des Misstrauens der Zeitpunkt sehr achtsam gewählt werden, in dem die Verfolgungsgeschichte der ersten Generation zum Thema gemacht wird. Denn hier können TherapeutInnen schnell als intrusiv wahrgenommen werden und werden so gleichsam selbst zu VerfolgerInnen.

Die im Zusammenhang mit traumatisierenden Ereignissen allgemein von TherapeutInnen einzunehmende wichtige (therapeutisch wirksame) Rolle als Zeugin bzw. „Zeuge der Wahrheit“ (Krüger 2015, S. 176) gilt ebenso in transgenerationalen Konstellationen. Im Sinne einer personalen Präsenz ist es in der therapeutischen Beziehung wichtig, klar Stellung gegenüber Unrechtserfahrungen sowie menschenverachtendem Verhalten bzw. Terrorregimen zu beziehen.

Die Verwendung des Trauma-Begriffes trägt zur notwendigen Anerkennung des Leids der direkt als auch der transgenerational Traumatisierten bei. Gleichzeitig ist damit die Gefahr der Pathologisierung ganzer Folgegenerationen verbunden. Im Zusammenhang mit dem Holocaust wurde daher die Angemessenheit der Reaktion der zweiten Generation infolge der „Pathologie der Wirklichkeit“ (Brainin, Ligeti & Teicher 1994, zit. nach Kühner 2008, S. 64) betont. Die traumatherapeutische Regel, Leidenszustände als „normale Reaktion auf ein abnormales Ereignis“ (Ottomeyer und Lackner 2009, S. 60) zu benennen, hat daher auch für die transgenerationale Traumatisierung Gültigkeit.

Ausgehend vom beschriebenen bindungstheoretischen Verständnis der Traumatransmission und der damit einhergehenden Rollenpathologie ist der Wirkfaktor der therapeutischen Beziehung von zentraler Bedeutung. In der Interaktion zwischen TherapeutIn und KlientIn auf der Begegnungsbühne (Schacht und Pruckner 2010) kann im Prozess des wechselseitigen Ausverhandelns von Rollenerwartungen eine psychische und emotionale Nachreifung erfolgen.

Für das Erkennen einer transgenerationalen Traumatisierung ist bei den unterschiedlichen Symptomatiken anzusetzen. Zum einen können die nach ICD-10 bzw. DSM‑5 bekannten typischen Symptome einer Traumafolgestörung wie intrusive Symptome, dissoziative Reaktionen, Hypervigilanz, erhöhte Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Entfremdungsgefühle sowie negative traumaassoziierte Emotionen wie Angst, Wut, Schuld oder Scham beobachtet werden. Daneben werden aber auch verschiedenste unspezifischere Beschwerden wie beeinträchtigtes Selbstvertrauen, Identitätsstörungen und gestörtes Sozialverhalten beschrieben (Drexler 2018).

Wesentlich ist, dass es für die Leidenszustände keine (ausreichende) Erklärung in der KlientInnen-Biografie gibt. Für diese Feststellung bedarf es einer eingehenden Anamnese und Exploration. Daraufhin ist die Familiengeschichte nach traumatischen Erlebnissen zu explorieren, die ursächlich für die Symptome sein können (Rauwald und Erhardt 2020).

Die sich aus den unterschiedlichen theoretischen Erklärungsansätzen ergebenden Transmissionsmechanismen (vgl. oben unter 3.) können wichtige Anhaltspunkte für die therapeutische Arbeit liefern. In diesem Sinne wurden mit dem Danieli Inventory of Multigenerational Legacies of Trauma verschiedenste Fragen zum Erziehungs- und Kommunikationsstil der Eltern, zum Umgang in der Familie mit Geheimnissen sowie mit verdeckten Aufträgen an Nachfolgegenerationen erfasst (Danieli et al. 2015).

Transgenerational vermittelte Inhalte können unterschiedlich zum Ausdruck kommen. In der Therapie ist etwa auf transgenerational tradierte Sätze zu achten, die aufgrund von Veränderungen in Sprache, Tonfall, Mimik etc. oder weil sie in der Du-Form formuliert sind, als nicht den KlientInnen zugehörig erscheinen (Stadler 2020). Von Vorgenerationen weitergegebene Inhalte können sich außerdem in unerklärlichen Träumen zeigen (Drexler 2018) oder etwa in Kinderzeichnungen, die in keiner Weise mit der Kindheit in Zusammenhang stehende Gewalterfahrungen wie etwa Kriegsszenen enthalten (Burge 2000).

Da das Kontinuum der Familiengeschichte im Sinne eines fragmentierten Narrativs unterbrochen ist, sind die sich durch fehlende Szenen ergebenden Brüche in dieser Geschichte zu identifizieren. Aus psychodramatischer Sicht ist es im Sinne eines szenischen Denkens übergeordnetes Therapieziel, die traumatischen Erfahrungen der Vorgenerationen in ein sinnvolles szenisches Ganzes der Familiengeschichte zu integrieren und damit eine kohärente Lebenserzählung zu ermöglichen. Dafür ist ein wichtiger Schritt in der Therapie, den Bezug zwischen fremdem Trauma und Lebensskript der KlientInnen herzustellen und zu benennen (Bakó und Zana 2020).

Insgesamt kommt der Psychoedukation eine entscheidende Bedeutung in der Therapie zu. Dafür muss bei KlientInnen insbesondere das Bewusstsein geschaffen werden, dass es sich bei transgenerationalen Traumatisierungen um kein metaphysisches Phänomen handelt (Stadler 2017).

Zur psychodramatischen Bearbeitung transgenerationaler Themen

Die Mehrgenerationenperspektive kann in der Arbeit mit Timelines bzw. Lebenslinien berücksichtigt werden, indem diese linear auf vorangehende Generationen ausgeweitet werden. Zur besonderen Sichtbarmachung generationenübergreifender Muster können außerdem mehrere Generationen in parallelen Timelines vergegenwärtigt werden. Ähnlich lässt sich der transgenerationale Blick in der Arbeit mit dem Beziehungsgeflecht des Individuums einbringen, indem entweder Vorgenerationen in ein soziales Atom einbezogen werden oder nebeneinander aufgezeichnete bzw. aufgelegte soziale Atome miteinander verglichen werden (Stadler 2020).

Im Rahmen ihres Ansatzes der Psychogenealogie bearbeitet Schützenberger (2018) transgenerationale Traumatisierungen mithilfe des Genosoziogramms, eines detaillierten Familienstammbaumes mit soziometrischen Pfeilen, der eine Vielzahl an Informationen zu den einzelnen Personen einschließlich wichtiger (traumatischer) Lebensereignisse berücksichtigt. Dadurch sollen Gemeinsamkeiten mit VorfahrInnen in gleichen Lebensphasen sichtbar gemacht werden, um unbewusste familiäre Wiederholungen aufzudecken.

Mit ihrem Genodrama möchte Vitale (2004) das psychodramatische Potenzial von Genogrammen ausschöpfen, indem KlientInnen durch Rollenwechsel und Rollenspiel die eigene Familiengeschichte fühlbar und erfahrbar gemacht wird. Dadurch sollen insbesondere verdeckte Familienaufträge, Mythen oder Familiengeheimnisse aufgedeckt werden. In seiner psychodramatischen Umsetzung in Form des Genoaxiodramas geht es Torres-Godoy (2016) unter besonderer Berücksichtigung der axiodramatischen Dimension darum, insbesondere die Wertevorstellungen des Familiensystems sichtbar zu machen.

In Verbindung mit körpertherapeutischen Ansätzen stellt Reyes (2007) in ihrem Familien-Biodrama die physiodramatische Dimension der Familiengeschichte in den Vordergrund. Dabei wird die Lebenslinie der Familie in mehreren Etappen szenisch dargestellt, wobei der Fokus auf körperlicher Erfahrung und körperlichem Ausdruck von Emotionen liegt, indem entsprechend Mimik, Gestik und Körperhaltung eingenommen werden.

Für Krüger (2015) ist zentraler Gedanke für die Therapie, dass KlientInnen die in ihrer Kindheit aufgenommenen „‚Gespenster‘ ihrer traumatisierten Eltern, die sie fälschlich als ihre eigenen erleben, an diese zurückgeben. Denn pathologische Introjekte blockieren die Aktualisierungstendenz des Selbst der Patienten. Dazu müssen sie eine Lösung kreieren, die die traumatisierte Elternfigur befriedet“ (S. 230 f.). Ziel ist es, im inneren Beziehungsbild Handlungsfähigkeit gegenüber dem internalisierten Elternanteil zu entwickeln. Krüger gibt dazu das Beispiel einer Klientin, die von ihrem traumatisierten inneren Vater die Erlaubnis erhält, ihr eigenes Leben zu leben, die einen „sicheren Ort“ für ihn kreiert und verschiedene Szenen entstehen lässt, in denen sie ihm die Verantwortung für sein Leiden zurückgibt. Als besonders geeignete psychodramatische Technik für die Identitätsentwicklung gegenüber einengenden elterlichen Introjekten sieht Krüger (2003) den Rollentausch.

Auch das Therapiekonzept von Drexler (2018) orientiert sich wesentlich an der Arbeit mit traumatisierten elterlichen Introjekten. Sie leitet dabei KlientInnen dazu an, in die Rolle des verinnerlichten traumatisierten Elternanteils zu wechseln und lädt diesen zur Therapie-Sitzung ein, um mit ihm in der Folge traumatherapeutisch unter Einsatz unterschiedlicher Methoden wie etwa EMDR oder Bildschirmtechnik zu arbeiten.

Letztlich bleibt fraglich, ob bei kollektiv wirksamen Traumatisierungen nicht immer auch eine soziodramatische Bearbeitung angezeigt ist, denn „[t]here can be no complete healing for anyone as long as the collective sources of trauma remain unaddressed“ (Kellermann 2007, S. 9). In diesem Zusammenhang sei etwa auf die Arbeit von Gött und Naor mit Nachkommen von Opfern und TäterInnen der NS-Zeit hingewiesen (Gött 2009).

Fazit

Um die der transgenerationalen Trauma-Weitergabe zugrundeliegenden Mechanismen möglichst umfassend zu verstehen, bietet sich ein integratives, verschiedene Erklärungsansätze miteinbeziehendes Verständnis jenseits dogmatischer Rigiditäten an. Insbesondere sind auch mögliche kollektiv wirksame Faktoren zu berücksichtigen, indem die therapeutische Arbeit in einem historischen und politischen Gesamtkontext gesehen wird.

Für eine transgenerational sensible Haltung als PsychotherapeutIn ist es erforderlich, stets die Möglichkeit einer generationenübergreifenden Traumatisierung mitzudenken, eine solche andererseits auch nicht vorschnell zu vermuten. Sowohl das Bewusstsein für eigene transgenerationale Thematiken als auch eine kritische Standortbestimmung hinsichtlich kollektiver Zugehörigkeiten sind nicht zu vernachlässigen.

Exkurs III zum Abschluss: Die Rückkehr der Sephardim nach Spanien und ein Stück österreichischer Wiedergutmachungsgeschichte

Im Jahr 2015 erließ das spanische Parlament ein Gesetz, das es den NachfahrInnen der 1492 vertriebenen Sephardim ermöglicht, die spanische Staatsbürgerschaft zu erhalten, wovon etwa 130.000 Menschen Gebrauch gemacht haben (Rogel Vide 2015). Den Nachkommen der Jüdinnen und Juden sowie anderer NS-Verfolgter, die nach 1938 aus Österreich geflüchtet waren, wird eine solche Möglichkeit durch eine Änderung des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes seit 2020 eingeräumt (BGBl. I Nr. 96/2019).