Die psychodramatische Methode ist in ihrer Anwendung praktisch unbegrenzt; der Kern der Methode bleibt jedoch unverändert (Moreno 1959, S. 88).

1 Begegnung: Resonanz und Weltbeziehung

Der Soziologe Rosa beschäftigt sich mit dem Phänomen der Resonanz und stellt fest, dass bei der Betrachtung, „auf welche Weise Menschen Welt erfahren und erleben und wie sie in Beziehung zu ihr treten […] in aller Regel nicht durch unmittelbaren körperlichen Weltkontakt geschieht, sondern über mediale Vermittlung“ (2016, S. 151). Während es zunächst die gesprochene oder geschriebene Sprache war, auf die er hier abzielt, konstatiert er später den Übergang zum Bildschirm. „Er wird zum uniformen Medium nahezu aller Weltbeziehungen. Immer mehr Tätigkeiten und damit Beziehungsformen werden heute über die symbolvermittelnden Bildschirmoberflächen des Smartphones, des Computers, des Laptops oder Tablets, der Fernseher und der Touchscreens entwickelt und abgewickelt. Wir arbeiten am Bildschirm, wir informieren uns über den Bildschirm, wir identifizieren uns mittels der Bildschirme, wir spielen an ihnen, wir kommunizieren mit ihrer Hilfe, wir zerstreuen und unterhalten uns über Bildschirme“ (Rosa 2016, S. 156). Und nun wird auch noch die Psychotherapie, die für sich ein empathisches Miteinander in Anspruch nimmt, auf die Bildschirme verlagert?

Der Bildschirm wird zum „Nadelöhr“ für die Erfahrung und Aneignung von Welt (Rosa 2016). Der Kanal dieser neuen Resonanzachse ist jedoch gegenüber einer Face-to-Face-Begegnung eingeschränkt. Wir erleben keine Schwerkraft, keine Berührung, keinen Geschmack und auch keinen Geruch. Auch Atmosphäre muss über die optischen und akustischen Kanäle erfasst werden. Der Kontakt wird auf AugenFootnote 1 und Ohren komprimiert.

Folgt die Digitalisierung der Psychotherapie also nur einem allgemeinen Trend?

2 Digitalisierung in der Psychotherapie

Bedeutet die Digitalisierung einen „Ausverkauf der Psychotherapie“ (Revensdorf 2018) oder gar eine „McDonaldisierung“ der Psychotherapie (Tasseit 2009)? Die Muster-Berufsordnung der deutschen Bundespsychotherapeutenkammer (2014) besagt, dass PsychotherapeutInnen ihre psychotherapeutischen Behandlungen im persönlichen Kontakt erbringen müssen. Bereits 2018 war dies für die gesamte Medizin aber aus dem Bundesgesundheitsministerium relativiert worden: Die TelemedizinFootnote 2 kann zwar persönliche Kontakte nicht ersetzen, aber Onlinekonsultationen können den persönlichen Kontakt unter bestimmten Voraussetzungen ergänzen (Fydrich und Schneider 2018, S. 269). In diesen und anderen frühen Diskussionen über die mögliche Veränderung therapeutischer Settings wurde vor allem an Online-Programme gedacht, die in einem „Stepped-Care-Ansatz“ zum Einsatz kommen könnten. Diese Stepped-Care-Ansätze sahen zunächst den Einsatz standardisierter Onlineprogramme vor, dann die stufenweise Annäherung an persönliche Kontakte, sollte eine entsprechende Indikation dafür vorliegen. Beispiele für solche Onlineprogramme sind moodgym (2017; erste Onlineversion 2001) für Depressionen oder www.mindable.health, eine App zur Unterstützung bei Panikattacken und Agoraphobie. Inzwischen gibt es zahlreiche webbasierte Selbsthilfe- und Psychoedukationsprogramme dieser Art (Selbsthilfeforen, Blogs, dialogische ExpertInnensysteme, Selbstdiagnostika).

In den später auftauchenden so genannten „Blended-Care-AnsätzenFootnote 3 wurde auf die Mischung von persönlichem Kontakt und online-basierten Unterstützungsmöglichkeiten, sowie auf E‑Mail- und Telefonkontakte gesetzt (vgl. Spitzer 2008; Eichenberg und Kühne 2014). Die Face-to-Face-Therapie soll durch diese Kombinationen in ihrer Wirksamkeit erweitert werden. Die so genannten IMIs, die internet- und mobilbasierten Interventionen, können sequentiell oder integriert eingesetzt werden (Paganini et al. 2018, S. 33f.). Assmann et al. (2018, S. 40ff.) schildern ein Beispiel, wie z. B. ein so genanntes iHealth-Diary im stationären Alltag in die Face-to-Face-Behandlung integriert werden kann. Neben den Online-Interventionen wird das Internet auch für Diagnostik und Evaluation von Maßnahmen eingesetzt.

Berger und Krieger (2018, S. 19) differenzieren therapeutische Interventionen nach zwei Kriterien, dem Grad der Begegnung und dem Grad der Automatisierung (siehe Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Verortung verschiedener psychotherapeutischer Interventionen. (Berger und Krieger 2018, S. 19)

2.1 Videosprechstunde

Die VideosprechstundeFootnote 4, im Englischen auch „Teletherapy“, „Remote Therapy“ oder „Virtual Therapy“ ist ein psychotherapeutisches Behandlungssetting. Die PatientInnen begegnen den PsychotherapeutInnen online mithilfe der Videotechnik. Dazu wird virtuell ein Behandlungsraum betreten, der aber für beide Parteien nicht sichtbar ist. Es ist, als ob sich die beiden Parteien in ihren jeweiligen Räumen besuchen, ein Praxis- und ein Hausbesuch gleichzeitig (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Virtuelle wechselseitige Begegnung in realen Räumen

Im vorliegenden Beitrag geht es bei der Videosprechstunde vor allem um die von Berger und Krieger beschriebene Blended Therapy A in Abgrenzung zur konventionellen Psychotherapie (Face-to-Face-Sitzung) (siehe Abb. 1). Nicht behandelt werden online-unterstützte Selbsthilfeangebote wie interaktive Onlineprogramme oder automatisierte Fragebögen.

Während in der E‑Mail- und Chattherapie ein zeitlicher versetzter Dialog möglich bzw. notwendig ist, handelt es sich sowohl in der telefonischen als auch in der Videosprechstunde um einen 1:1-Livekontakt, der am ehesten der konventionellen Face-to-Face-Therapie ähnelt (Knaelvelsrud et al. 2016). Der wesentliche und augenscheinlichste Unterschied ist die Tatsache, dass die beiden Therapieparteien sich nicht körperlich im selben Raum befinden (fehlende physische Kopräsenz nach Kächele 2008), und dass der Kontakt durch ein Medium vermittelt wirdFootnote 5. Die Kommunikation erfolgt einmal ausschließlich akustisch (Telefon) und einmal akustisch und optisch (Videosprechstunde).

2.2 Eine Pandemie als Veränderungsbeschleuniger

Während der SARS-Cov-2-Pandemie 2020 waren die meisten Menschen durch die Dynamik der Virusausbreitung extrem alarmiert, angespannt und verängstigt. Hararis Voraussage, dass die Menschheit im letzten Jahrhundert durch steigende Bevölkerungszahlen und bessere Transportwege eine höhere Vulnerabilität für Epidemien entwickelt habe (2015, S. 11) hat sich bewahrheitet. Zwar seien Häufigkeit und Folgen von Pandemien deutlich zurückgegangen, aber wie 2020 erlebbar, bleibt eine große Verunsicherung: „We cannot be certain that some […] unknown flu strain won’t sweep across the globe and kill millions“ (Harari 2015, S. 15).

Alltägliche körperliche Nahkontakte, die zuvor von den meisten unhinterfragt als selbstverständlich hingenommen werden, sind im Kontext extrem ansteckender Erkrankungen plötzlich mit Angst und Misstrauen behaftet, ob man sich wohl bei seinem Gegenüber anstecken könne. Angst- und Vermeidungsverhalten zeigen sich in unterschiedlichem Ausmaß. Dies gilt auch für die Besuche bei psychotherapeutischen Sprechstunden.

Das dynamische Szenario rund um SARS-CoV‑2 beschleunigte den Prozess in Richtung Integration der Teletherapie. Medien, die für den Kontakt als sicher erlebt wurden, wurden bereitwilliger angenommen als in den Vor-SARS-CoV-2-Zeiten.

So nahmen PatientInnen, die sich wegen unterschiedlicher Symptomatik und Beschwerden in Therapie befanden, plötzlich eine Risikoabwägung vor, ob der Weg zur Therapie und die Therapiestunde an sich für mehr (psychische) Gesundheit oder im schlechteren Fall, für mehr (infektiöse) Krankheit sorgen würde. Sie wurden durch das Pandemie-Erleben in einen Veränderungsdruck gebracht, auf den einige auch mit einem subjektiven Gesundungsschub („Ich glaube, ich bin schon ganz stabil, wir können jetzt einmal eine Pause machen“) reagierten. Andere sahen die therapeutische Hilfe als für sich hilfreich und notwendig an und waren daher auch bereit, die technische Schwelle der Videosprechstunde zu nehmen. Der Wechsel des Kommunikationsmediums, also die Umwandlung der Termine in Videokontakte wurde zwar von den meisten zunächst als Einschränkung wahrgenommen, von einem Großteil der PatientInnen jedoch bereitwillig, von anderen mit zunehmender Dauer der Ausgangsbeschränkungen, nolens volens akzeptiert. Einige PatientInnen brachen den therapeutischen Kontakt ab, da sie sich weder vorstellen konnten, unter unsicheren Bedingungen die Praxis aufzusuchen, noch ihre persönlichen Themen im Rahmen von Videosprechstunden zu besprechen.

Das gemeinsame Changemanagement von PatientInnen und solchen, die es werden wollten, und den PsychotherapeutInnen in Richtung Onlinetherapie unterlag dabei keiner ruhigen Prozessplanung, denn die PatientInnen hatten ihren Hilfebedarf und einige PsychotherapeutInnen hatten auch Sorge um ihre berufliche Existenz.

Die (gemeinsame) Not auf beiden Seiten erhöhte die Akzeptanz digitaler Psychotherapie. Wird dies der Veränderungsschritt in Richtung Psychotherapie 2.0 gewesen sein, wird es nur die Schwelle für das Thema der Blended Therapy gesenkt haben, oder werden sich früher oder später alle PatientInnen und PsychotherapeutInnen wieder ausschließlich in Face-to-Face-Sitzungen begegnen?

Die Videosprechstunde ist als Veränderung der Begegnung in der Psychotherapie also mit hohem Tempo angekommen. Was die neue Begegnung 2.0 bedeuten kann, beschreibe ich im Folgenden unter zwei Aspekten, den Orten der Begegnung und der Selbstinszenierung bei der Begegnung.

3 Orte der Begegnung

Pruckner (2012) spricht von drei Arbeitsbühnen, auf denen sich PatientInnen und PsychodramatherapeutInnen begegnen: auf der Begegnungsbühne, der Spiel-Aktionsbühne und der Sozialen Bühne. Auf die Begegnungsbühne (Schacht und Pruckner 2010) begeben sich TherapeutIn und PatientIn in dem Moment, an dem sie sich zum ersten Mal begegnen. Dies kann bei der Kontaktaufnahme am Telefon sein, bei dem ersten E‑Mailwechsel zur Anmeldung, im Wartezimmer einer Praxis, … oder eben – aus heutiger Sicht – im virtuellen Behandlungsraum. „Der Ort des Psychodramas kann, wenn nötig, überall, wo immer Patienten sind, bestimmt werden, auf dem Schlachtfeld, im Klassenzimmer oder zu Hause“ (Moreno 1981, S. 144). Demnach kann auch die Spiel-Aktionsbühne (siehe unten) in den Räumen der PatientInnen stattfinden. Zuletzt begegnen die Online-TherapeutInnen ihren PatientInnen auch ein Stück weit auf der Sozialen BühneFootnote 6 – wenn etwa die Ehefrau im Nebenzimmer ist oder wenn die ältere Patientin in einem Rundgang ihr Zimmer herzeigt (siehe Beispiele unten). Dies ist im gewohnten Therapie-Setting nicht gegeben.

Den virtuellen Begegnungsraum gab es zu Morenos Zeiten noch nicht. Möglicherweise hätte er sonst vorgeschlagen, auch die Online-Bühne beherzt zu betreten. In ihrem Beitrag über die E‑Mail‑/Online-Beratung hat Spitzer-Prochazka (2008) die Begegnungsbühne auch bereits im virtuellen Raum verortet.

3.1 Erweiterung des Begegnungsbegriffes: Begegnung 2.0

Es folgen einige kurze Beispiele von Videosprechstundensituationen zur Veranschaulichung des Begegnungsbegriffs 2.0:

  • Anna (28 J.) befindet sich in der ersten Stunde in einem ihr fremden Büro. Sie sieht sich öfters orientierungssuchend im Raum um. In der zweiten Stunde befindet sie sich in ihrem eigenen Büro. In der dritten Stunde sitzt sie in einem Raum im Haus ihrer Mutter. Sie ist auf der Suche nach einem für sie passenden Raum. Zuhause macht sie die Therapiesitzung nicht, da sie mit ihrem Freund in einer kleinen Wohnung zusammenlebt, der noch nicht von ihrer Therapie weiß.

    Die Patientin hat in ihrer Jugend eine starke Entwurzelung erlebt, was sie in ihren nahen Beziehungen geprägt hat. Später hat sie ihre Heimat verlassen. Das Thema von „Nähe zulassen“ ist für sie bedeutsam. Dies wird im Setting der Videosprechstunde sichtbar. Wie eine szenische Wiederholung findet das Persönliche, die Therapie, im Büro bzw. bei ihrer Mutter statt. Andere persönliche Themen, wie z. B. ihre Fragen zur Sexualität sind durch den Settingwechsel zunächst schwerer ansprechbar: Passt das Thema Sexualität ins Büro oder ins Haus der Mutter? Durch das Blended-Care-Setting wurden die Beziehung und in der Folge die Sexualität als Themen möglich. In der vierten Stunde, einer Präsenzstunde in der Praxis, erzählt sie von ihren sexuellen Problemen und vor der fünften Stunde hat sie ihrem Freund von der Therapie erzählt.

  • Bernd (40 J.) lebt alleine und hat eine starke Sehnsucht nach einer Beziehung. Außer seinen Arbeitskollegen hat er kaum soziale Kontakte. Er nimmt die Videosprechstunde in seiner häuslichen Umgebung wahr, seinem ehemaligen Elternhaus. Während er bei den Face-to-Face-Sitzungen mich (Therapeuten) immer wieder direkt angeblickt hat, und mit Körperhaltung und Blicken um Bestätigung seines Erlebens gesucht hat, schaut er bei den Videositzungen nur äußerst selten direkt in die Kamera, i.e. mich an. Seine Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung werden damit szenisch deutlich. Bei einem weiteren Termin hat er sich bereits vor der Zeit eingeloggt, d. h. seine Kamera gewährt mir Einblick in sein privates Zimmer. Es wirkt wie ein gut aufgeräumtes Jugendzimmer. Dies ist eine wichtige szenische Information für mich. Ich verstehe den Patienten auf diese Weise noch einmal neu, und kann eine Hypothese darüber bilden, wo er in seiner Entwicklung eine Blockade erlebt hat.

  • Christoph (ca. 40 J.) lebt mit seiner Lebensgefährtin zusammen in einem Haus. Er ist für die Videosprechstunde in seinem Schlafzimmer, in dem auch sein Schreibtisch steht. Er wirkt sicherer in seiner vertrauten Umgebung als in den Face-to-Face-Situationen bei mir in der Praxis, so als ob er die Kontrolle über die räumliche Situation zu genießen scheint. In den Sitzungen spricht er häufig über seine Beziehungsprobleme. Dies geschieht auch in den Videosprechstunden, allerdings mit etwas gedämpfter Stimme. Er schaut im Laufe der Stunde ein paar Mal etwas irritiert zur Zimmertür, ob seine Lebensgefährtin, die er in der Beziehung verfolgend erlebt, außen vorbeigeht. Er zeigt mir durch den Ort und sein Handeln etwas auf seiner persönlichen Zimmerbühne.

  • Doris (ca. 30 J.) scheint den Schutz durch ihre persönliche Umgebung zu genießen. Sie wirkt stolz auf ihre Wohnumgebung, und zeigt mir (Therapeut) von Stunde zu Stunde als Hausherrin nacheinander verschiedene Räume bei sich zuhause. Sie ist in den Videosprechstunden authentischer als während den Face-to-Face-Sitzungen. Die Videotermine wirken so, als ob sie mich zu sich nach Hause eingeladen hätte. Die Patientin war als Kind bei einer Familie zur Tagespflege und wurde dort körperlich schwer misshandelt. Die Sitzungen bei ihr zuhause geben ihr mehr Sicherheit und nehmen etwas von ihrer Anspannung.

  • Else (ca. 80 J.), die ich schon lange kenne, nutzt ihr Tablet und sagt in der ersten Videosprechstunde: „Schauen Sie mal, wie ich hier wohne. Jetzt sehen Sie das auch mal.“ Sie geht, ohne dass ich sie dabei aufhalten könnte, durch alle Räume, einschließlich Bad und Schlafzimmer, zeigt mir den Blick durchs Fenster in ihren Garten und auch die steile Treppe, die sich in ihrer Wohnung befindet. Die Patientin ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte kein eigenes Zimmer. Sie ist stolz, dass sie sich heute aus eigener Kraft ihren persönlichen Raum geschaffen hat und zeigt ihn mir voller Stolz.

Neben der Frage, an welchem Ort die PatientInnen ihre Videosprechstunde wahrnehmen, und was sie damit an Persönlichem und Privatem von sich dem Blick der TherapeutInnen preisgeben, war in den Beispielen erkennbar, dass sich auch das (therapeutische) Thema in der Online-Begegnung szenisch zeigt. Wie Argelander bereits 1970 für das Erstgespräch beschrieben hat, erhalten die TherapeutInnen von ihren PatientInnen neben objektiven und subjektiven, auch situative oder szenische Informationen. Um Zugang zu dieser Information zu bekommen, ist es jedoch erforderlich, den ursprünglichen raum-zeitlichen Begegnungsbegriff zur Idee einer Begegnung 2.0 zu erweitern. Diese Begegnung ist eine teil-virtuelle. PatientIn und TherapeutIn treffen sich nicht in einem Online-Raum. Der oder die TherapeutIn ist in der Regel im PraxisraumFootnote 7, und der oder die PatientIn in dem selbst gewählten eigenen Raum (Büro, Arbeitszimmer, Wohnzimmer etc.). Der Besuch ist virtuell, aber nicht der Raum, der in dieser Begegnung sichtbar wird. Im jeweils eigenen Raum findet eine virtuelle oder als-ob-Begegnung statt.

Mit dem je eigenen Raum, dem Ort der Begegnung, kommunizieren sowohl TherapeutIn als auch PatientIn etwas über sich an den anderen. Der therapeutische Rahmen wird damit neu definiert. Für einen kurzen Moment wird die therapeutische Beziehung damit zu einer Beziehung auf Augenhöhe, wenn man Morenos Worte benutzen möchte, zu einer wechselseitigen „Einladung zu einer Begegnung“. Beide Parteien sind jeweils beim anderen zu Gast. Die therapeutische Beziehung erhält durch das Medium digitale Therapie automatisch mehr symmetrischen Begegnungscharakter als es die Face-to-Face-Begegnung mit dem „Hausrecht“ der TherapeutInnen über den Behandlungsraum zulässt. Ein Pluspunkt für die digitale Therapie.

4 Die Selbstinszenierung als Teil eines persönlichen Szenenaufbaus auf der Begegnungsbühne

Anschließend an die Frage nach dem Ort der Begegnung gewinnt auch die Frage nach dem eigenen Bild, das von sich selbst in der Online-Therapie gezeigt wird, Bedeutung. Dies gilt, noch mehr als die Frage des Ortes, prinzipiell für beide Parteien. PatientIn und TherapeutIn müssen überlegen, was sie von sich zeigen, in welchem Licht und in welchem Ausschnitt sie auf dem Bildschirm für sich selbst und vor allem für den anderen sichtbar sein wollen. Dies werden TherapeutInnen unterschiedlicher Verfahren vermutlich anhand ihrer jeweiligen verfahrensimmanenten Kriterien entscheiden. Psychoanalytikerinnen werden sich beim Setting auf der Couch überlegen, wie und wie weit sie für ihre PatientInnen sichtbar werden möchten. PsychodramatikerInnen, die es gewohnt sind, sich im Bühnenraum ihrer ProtagonistInnen zu bewegen, müssen sich anders überlegen, wie sie auf der für sie physisch unerreichbaren Bühne Interventionen (z. B. Doppeln) gestalten. Verfahren, bei denen die Interventionen weniger mit der unmittelbaren raum-zeitlichen Beziehung zwischen TherapeutIn und PatientIn zu tun haben als vielmehr mit störungsspezifisch gezielten Interventionen wie bei der Verhaltenstherapie oder der systemischen Therapie, eröffnen für die TherapeutInnen andere Überlegungen, was die Selbstinszenierung angeht. Wird die Interventionstechnik mehr gezeigt als die Therapie-durchführende Person?

Neben der Sichtbarmachung im Raum geht es aber auch grundsätzlich um die Frage, welches Bild soll der oder die andere von mir haben? Der persönliche Szenenaufbau wird eine (möglicherweise) therapierelevante Selbstmitteilung.

Hier folgen einige Beispiele, wie sich das Thema der persönlichen Inszenierung auf PatientInnenseite zeigen kann:

  • Elisabeth zeigt sich in der Videosprechstunde in Großaufnahme, d. h. sie sitzt nah am Bildschirm. Ihr Gesicht ist deutlich erkennbar und damit ist auch beinahe jede Regung ihrer Mimik besser sichtbar als im Face-to-Face-Gespräch, bei dem wir ca. 1,5 m Distanz haben, und dazu noch mit den Stühlen in stumpfem Winkel zueinander sitzen. Der Ganzkörpereindruck geht dadurch verloren, bei dem die Anspannung der Patientin zu bemerken war, dafür ist aber ein Microtracking der Mimik dazugekommen. Bei Elisabeth handelt es sich um eine Patientin, die aus Selbstschutz gelernt hatte, ihre wahren Gefühle hinter einer Fassade von Lächeln und Freundlichkeit zu verbergen. Durch die Nahaufnahme gelingt es mir besser, ihre Gefühle wahrzunehmen, die sie automatisch zu verbergen sucht. Eine vorsichtige, zeitnahe Konfrontation ist dadurch im therapeutischen Kontakt möglich geworden.

  • Franziska (Mitte 20) blickt direkt in die Kamera. Sie sucht den Kontakt und das Verstehen des Therapeuten mit ihrem Blick, ein kurzzeitiges Ausweichen mit dem Blick fällt ihr sofort auf. Ihre frontale Sitzposition und ihr Blick, den sie während der Videosprechstunde nicht abwendet, zeigen etwas von ihrer psychischen Dynamik. Sie hat mehrere traumatisierende Beziehungserfahrungen in ihrem Leben gemacht, von gewaltsamen Übergriffen unterschiedlicher Natur bis hin zu Stalking. Sie ist sehr schnell irritierbar in persönlichen Beziehungen und ist sehr darum bemüht, dass keine Missverständnisse aufkommen und dass sie die Kontrolle behält. Als das Bild in einer Sitzung ein paar Mal verpixelt, bemerke ich meine konkordante Gegenübertragung, dass ich extrem verunsichert bin, wenn ich sie nicht unmittelbar im Kontakt sehe. Obwohl es sich hierbei um eine technische Hürde handelt, wird dadurch etwas vom Erleben der Patientin für mich spürbar.

  • Gabriele (Mitte 50) trägt aufgrund einer Autoimmunerkrankung eine Perücke; durch den Haarausfall fühlt sie sich oft beschämt. Wenn sie zur Face-to-Face-Therapiestunde kommt hat, macht sie sich vor der Stunde immer die Haare. Sie kontrolliert ihr Erscheinungsbild, will als Frau attraktiv sein. Bei der ersten Teletherapiestunde zeigt sie sich (wieder) auf der beruflichen Ebene, wie auch zu Beginn der Face-to-Face-Therapie, bei der sie sich in ihrer Berufsrolle vorgestellt hatte. Es gelang ihr schrittweise, diese Schutzmaßnahme abzulegen. Zur Videosprechstunde empfängt sie mich in ihrem Büro. Sie sitzt gut gekleidet an ihrem Schreibtisch, und spricht dann zunächst darüber, dass sie sich eine neue Perücke gekauft habe, um den von ihr empfundenen körperlichen Makel zu verbergen. Sie reflektiert kritisch, dass sie sich so zum Objekt von Männerwünschen mache. Sie wolle dies nicht mehr. Das Thema „Zeige ich mich so wie ich bin?“, wiederholt sich so auf verschiedenen Ebenen. Kann sie sich „unverkleidet“ zeigen, kann sie sich in ihrer privaten Umgebung zeigen, kann sie sich als Patientin zeigen? Als Patientin mit grenzüberschreitenden Vorerfahrungen in Beziehungen vermeidet sie zunächst ein Einlassen in ihren privaten Bereich. Erst nach einigen Video-Stunden wechselt sie in ihre privaten Räume. Sie hat wieder Vertrauen gefasst.

Auch hier, wie bereits bei den Orten der Begegnung, können also persönliche Themen szenisch sichtbar werden.

Anders als bei den Face-to-Face-Sitzungen, wo persönliche Haltungen noch während des Gesprächs spontan gut anpassbar sind, müssen sich bei den Videosprechstunden beide Parteien vorab Gedanken machen, wo und wie sie sich zeigen, und wie sie gesehen werden wollen. Bei dieser Form der Selbstinszenierung werden dadurch zusätzliche Prozesse des Mentalisierens und der Theory-of-Mind-Bildung auf einer bewussten Ebene angestoßen.

Die PatientInnen mentalisieren dabei ähnlich, als wenn sie einen klassischen psychodramatischen Szenenaufbau vornehmen. Sie denken über sich selbst (Selbstrepräsentanz) und darüber nach, was der Therapeut oder die Therapeutin von ihnen zu sehen bekommen soll. Mentalisierung ist die Möglichkeit sich selbst reflektierend wahrzunehmen (Fonagy et al. 2019). Hierbei hilft auch die Kamera der Videotechnik, weil sie während der Videosprechstunde nicht nur das Gegenüber, sondern in einem kleinen Fenster auch das eigene Bild zeigt; sie fungiert als Spiegel.

Um weiter darüber nachzudenken, wie man als PatientIn wahrgenommen wird, braucht es auch die Aktivierung einer Theory of Mind (Förstl 2012). Sie bezeichnet die Möglichkeit und Fähigkeit, eine passende Annahme über die Bewusstseinsvorgänge in anderen Personen vorzunehmen. Dazu gehört, dass die Person sich über Gefühle, Gedanken, Wünsche, Absichten, Erwartungen und Meinungen bei anderen ein Bild macht. Die ToM gelingt nur über einen inneren Rollenwechsel. Wie bereits zu Beginn beschrieben, gilt dies für beide Parteien.

5 Das Handeln als Besonderheit beim Psychodrama: Stolperstein oder der besondere Kick bei der Videotherapie?

Für Videosprechstunden braucht es eine stabile Internetverbindung sowie einen Laptop (Tablet, Smartphone oder Computer) mit Mikrofon und Lautsprecher; die technischen Voraussetzungen müssen beim Sender wie beim Empfänger vorliegen. Je größer der Bildschirm, desto einfacher die Kommunikation; ein Headset erleichtert das gegenseitige Verstehen.

Bei der ersten Onlinebegegnung entsteht meist eine gemeinsame Unbeholfenheit oder Verunsicherung über den Kontaktwechsel, besonders wenn man die PatientInnen zuvor bereits in der Praxis gesehen hatte. Dies kann sich auch auf den Umgang mit der Technik beziehen, auf die nötige Anpassung der Sitz-, der Kamera- sowie der Mikrofonposition, aber auch auf eine gewisse Kamerascheu der meisten Menschen. Bei dem „Fremdeln“ spielen Alterseffekte eine Rolle; so ist es die jüngere Generation in der Regel eher gewöhnt, Kontakte über Telefon, Chats oder Videogespräche (z. B. über Skype, Facetime, Zoom etc.) zu pflegen.

Psychodramatische Videotherapie ist durch die Handlungskomponente komplex. Wer handelt? Wo wird gehandelt? Wie kann es gehen, dass beide, PatientIn und TherapeutIn gemeinsam handeln? Während der Gesprächsteil einer Videotherapiesitzung (Sprechen und Hören) in der Regel problemlos gelingt, verhält es sich mit dem Video (Sehen und gesehen werden durch Lichteinfall, Hintergrund, Auflösung der Kamera und des Bildschirms, Abstand zur Kamera u. a.) schon schwieriger, ganz zu schweigen vom Handlungsteil, der einiger Vorbereitungen und Übung bedarf.

5.1 Das Einzelsetting

Psychodrama ist ein handlungsorientiertes Verfahren, in dem besonders die ProtagonistInnen, die MitspielerInnen und/oder die Gruppe handeln, und bei dem therapeutische Interventionen auch oft von Handeln begleitet sind. Wenn TherapeutInnen doppeln oder spiegeln, handeln sie mit, auch wenn Instruktionen zum Rollenwechsel oder Rollentausch gegeben werden, werden diese meist zumindest durch eine körperliche Geste verdeutlicht. Und beim Szenenaufbau und Szenenwechsel bewegen sich TherapeutIn und ProtagonistIn gemeinsam auf der Bühne.

Da die Psychodrama-TherapeutInnen dieses aktive Vorgehen gewohnt sind, ist die Versuchung bei der Videotherapie groß, dass sie selbst viel handeln, auch wenn die ProtagonistInnen in diesem Moment nicht mithandeln.

Während dies indikationsabhängig sowohl in einer monodramatischen Sitzung sinnvoll als auch für Coachings oder Demonstrationen im Rahmen von Trainings passend sein kann, ist es im therapeutischen Setting der Videosprechstunde besonders wichtig, die ProtagonistInnen zum Handeln zu bewegen (vgl. Krüger 2021 in diesem Band). Und gleichzeitig ist es für die ProtagonistInnen wichtig, dass sie sich begleitet und nicht nur beobachtet fühlen.

Damit die ProtagonistInnen gut selbst ins Handeln kommen können, müssen sie zu Beginn über hilfreiche Rahmenbedingungen aufgeklärt werden.

Dazu zählenFootnote 8:

  • Die Bühne, auf der gehandelt wird, liegt hinter dem ProtagonistInnen im Raum. Das bedeutet, dass vom Bildschirmarbeitsplatz eine Bewegung nach hinten im Raum möglich sein sollte, ohne gleichzeitig auf dem Bildschirm zu klein zu werden.

  • Es ist gut, wenn auf dieser Bühne schon zu Beginn der Sitzung noch zwei Stühle und/oder ein kleiner Tisch stehen, mit denen die ProtagonistInnen arbeiten können.

  • Die TeilnehmerInnen sollten einiges an Material für die Tisch- und Zimmerbühne in greifbarer Nähe haben, die z. B. Aufstellungen möglich machen oder Rollen sichtbar machen (Tücher, Figuren, Holzkegel).

Was das Bühnenhandeln der TherapeutInnen angeht, gehen die Lehrmeinungen auseinander. In wieweit sollen sie stellvertretend für ihre PatientInnen handeln, dürfen sie etwas demonstrieren, wenn die PatientInnen sich schwer tun oder keine räumlichen Möglichkeiten haben? Wie verhält es sich beim Kinderpsychodrama, bei dem die TherapeutInnen in den Face-to-Face-Sitzungen immer mitspielen? Was passiert bei handlungsblockierten und strukturell gestörten PatientInnen? Dies sind Fragen, die im Einzelnen zu diskutieren wären und den Rahmen hier sprengen.

5.2 Das Gruppensetting

Therapie- und Supervisionsgruppen per Skype, Zoom, Microsoft Teams und anderen Anbietern bringen zusätzliche Herausforderungen zum Einzelsetting mit sichFootnote 9. Die fehlende physische Kopräsenz in größerem Kreis sowie die Herausforderung auf einem Bildschirm mehr als eine Person gleichzeitig im Auge zu behalten, macht das Setting anstrengender als die Face-to-Face-Begegnung. Die Gruppenpsychotherapie unterscheidet sich von der Einzeltherapie unter anderem durch die affektive und kognitive Spiegelung und Resonanz sämtlicher TeilnehmerInnen. Dieser Punkt wird auch reduziert auf die zwei Sinneskanäle Sehen und Hören. Dadurch wird die wechselseitige Empathie erschwert und die Gruppendynamik verändert.

Auch beim Psychodrama macht es einen Unterschied, ob im Einzel- oder im Gruppensetting gearbeitet wird. Mit Portalen wie den oben genannten kann zumindest ein virtuelles Gruppensetting hergestellt werden, auf dem sich die GruppenteilnehmerInnen auf ihren jeweiligen Bildschirmen begegnen. Sie können Anwärm- und Auflockerungsübungen gemeinsam machen, sich zu soziometrischen Fragen positionieren, die GruppenteilnehmerInnen können als Hilfs-Ich in ProtagonistInnenspielen anderer TeilnehmerInnen Rollen übernehmen und anschließend dazu ein Rollenfeedback geben, es können Sharings dazu gegeben werden, ja, es sind sogar Gruppenspiele im Stegreifmodus oder mit festgelegten Plots möglich. All dies natürlich mit den bereits oben für das Einzelsetting beschriebenen Einschränkungen, dass sich die TeilnehmerInnen nicht im selben physischen Raum befindenFootnote 10. In der Regel gibt es bei den Anbietern von Internetportalen technische Möglichkeiten, die auch gut für das therapeutische Gruppensetting genutzt werden können, z. B. kann die Gruppe in Kleingruppen eingeteilt werden, auch können Fotos gemeinsam betrachtet werden oder auf einem Whiteboard gemeinsam etwas gezeichnet oder beschriftet werden.

6 Zwischenlösung, Notlösung oder doch eine Chance?

Online-Selbsthilfe- und Mailtherapie sind schon gut beforscht und weisen ähnliche Erfolgsraten auf wie Livetherapien (Knaelvelsrud et al. 2016). Zum Outcome und zur Nachhaltigkeit von Videosprechstunden fehlen noch Evaluationen. Daher kann noch nicht fundiert beantwortet werden, für wen welche Form von Internet-Intervention von Erfolg gekrönt ist (Berger und Krieger 2018, S. 23).

Die Videotherapie hat Dinge möglich gemacht, die vorher nicht für alle denkbar waren. Es werden neue Erfahrungen gesammelt, z. B. dass Gegenübertragungsgefühle per Videosprechstunde anders sind, und dass GegenübertragungsgefühleFootnote 11 und Einfühlung auch von so etwas wie der Größe der Person auf dem Bildschirm zu tun haben können. Auch das Thema der Abgrenzung gewinnt eine neue oder zusätzliche Bedeutung: „Das Gegenüber bleibt in sicherer Distanz. Gleichzeitig kann die mangelnde physische Präsenz im virtuellen Raum zum fehlenden Erleben von Containment führen“ (Eichenberg und Kühne 2014, S. 137).

Grundsätzlich steigen mit der Onlinetherapie die Anforderungen an die TherapeutInnen, die Komplexität der Situation wird größer. Zu den normalen Aufgaben, bei sich und den PatientInnen die Gefühle, Gedanken und Impulse im Blick zu haben, kommt die Ebene der Technik neu hinzu.

The „gold standard“ remains being in the bodily presence of the other person. Human beings are embodied creatures. The philosopher Wittgenstein famously said that the human body is the best picture of the human soul. While some facial micro-expressions are available in the two-dimensional picture of the face, they are much reduced in size. Likewise gestures, such as holding one’s palms open and outwards as one talks are correlated with empathy; but the visual information is greatly reduced online […]. The overall disposition of the body is attenuated to the extent that it is nearly impossible to read the body language. Smell is also a powerful way in which the presence of another human being is decisively enacted in relating. It is simply gone in an online mode. (Weinberg und Rolnik 2020, S. 1249)

Bei aller Einschränkung gibt es eine Reihe von Vorteilen der Videotherapie. Berger und Krieger (2018) nennen als wesentlichen Vorteil von Chat‑, E‑Mail- und Videosprechstunden, dass die Therapie örtlich flexibel stattfinden kann. Dies führt dazu, dass auch Menschen erreicht werden können, die sonst „aufgrund mangelnder zeitlicher und örtlicher Flexibilität keinen Therapieplatz finden. Zeitliche Unabhängigkeit ist allerdings nur bei E‑Mailtherapie gegeben, in welchen zeitversetzt bzw. asynchron kommuniziert wird“ (a. a. O., S. 21). Drexelius (2017) berichtet aus Metaanalysen zum Therapieabbruchverhalten, dass 20 % der PatientInnen mit psychischen Erkrankungen die Therapie abbrechen. Dies ist eine erschreckend hohe Zahl und möglicherweise ist von diesen 20 % ein Teil mit Videotherapie erreichbar. Allein bei Telefoninterventionen ist die Abbruchrate schon auf nur 7,6 % gesenkt (Knaelvelsrud et al. 2016).

Bocci (2019a, 2019b), eine klare Befürworterin von Onlinetherapie, hat zwei Listen zu Vorteilen auf PatientInnenseite und auf TherapeutInnenseite zusammengestellt. Daraus seien hier einige schlaglichtartig angeführt (Tab. 1).

Tab. 1 Vorteile der Videotherapie

An dieser Stelle könnte man den Prozess auch auf den Kopf stellen und fragen, was aus der Onlinetherapie und ihren Vorteilen für die Face-to-Face-Therapie gelernt werden kann. Drei Punkte hatte ich erwähnt: Die Auswirkungen des Settings auf den Therapieprozess, die Bedeutung externer Einflüsse auf das Krankheitsempfinden, und das Thema Behandlung auf Augenhöhe. Dies sollte auch in der post-Corona-Ära nicht in Vergessenheit geraten.

Schließen möchte ich mit einem Zitat aus einem Beitrag zum Thema virtueller Beratung: „[…] meine Hoffnung [gilt] besonders Ihrer Neugierde – ich hoffe, ein wenig Lust auf die Begegnung im virtuellen Raum machen zu können, mit allen Nachteilen und Gefahren, vor allem aber Chancen und Möglichkeiten, die dieses Medium mit sich bringt. Die KlientInnen, die Hilfe im virtuellen Raum suchen, gibt es bereits. Holen wir sie doch da ab […]“ (Spitzer-Prochazka 2008, S. 20).