1 Einleitendes zur gewählten Form des Essays

„… ein Essay ist die einmalige und unabänderliche Gestalt, die das innere Leben eines Menschen in einem entscheidenden Gedanken annimmt“, schreibt Robert Musil im „Mann ohne Eigenschaften“ (1994, S. 253). Der Essay ist demnach nicht nur ein schreibender Versuch, sondern er entspringt dem Leben selbst, dem Versuch zu leben. Dieser Essay soll dazu beitragen, die Vielschichtigkeit des Zusammenhangs zwischen Sprache als Medium des Miteinanders und der Liebe anzusprechen und dabei u. a. das Gemeinsame und das Trennende der Sprache (wieder durch die Sprache!) zu benennen.

In einem gemeinsamen Essay versuchen wir als AutorInnen, Carmen Mertlitsch von einer psycholinguistischen Seite her und Martin Peichl als Schriftsteller mit Textausschnitten, die aus seiner lyrischen Prosa stammen, Kerne unserer einzelnen Erfahrungen festzumachen. Zwischen wissenschaftlichen Gedanken und literarischem Ausdruck schweifen unsere Blicke hin und her. Wir streifen poetisch verschiedene Stadien der Liebe und rücken die Paarsprache forschend in den Mittelpunkt, ausgehend von den Überlegungen des Linguisten Ernst Leisi (2016 [1978]) über die psychologischen Beobachtungen von John Gottman (1994, 2015 [1999]) bis hin zu den paartherapeutischen Vorschlägen von Harville Hendrix (2007). Eine solche essayistische Annäherung ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne endgültige wissenschaftliche Evaluation. Sie kann aber durch die Fragmentarisierung (des Denkens sowie des Liebens, Sprechens, Hörens, Schreibens) Platz lassen für eigene Erfahrungen und Reflexionen. Und vielleicht können LeserInnen in diesem Text Themen und Gedanken aus ihrem Leben, auch aus ihrer beraterischen und therapeutischen Praxis, in Variationen wiedererkennen und durch den Text in einem anderen Licht sehen.

2 In der Mitte, sozusagen medial: Sprache in der Beziehung

Liebe, ob zu Kindern, Eltern, Freunden und – vor allem – zu den PartnerInnen, ist bedingt von einer Sprache des Zueinanderfindens. Diese Sprache ist nicht abhängig von Intellekt, Zuneigung, Wissen oder Kalkül, ja nicht einmal von der Ambition, sich diese gemeinsame Sprache anzueignen.

Die mittlerweile als Klassiker geltende linguistische Analyse von Ernst LeisiFootnote 1 (2016) zur Sprache von Liebespaaren zeigt, dass Liebespaare idealerweise eine Art Privatcode miteinander entwickeln, etwa mit einem sich gegenseitigen Geben von Kosenamen (ebd., S. 17). Vom linguistischen Standpunkt aus am interessantesten, ja in gewissem Sinn einzigartig sei, so Leisi, das Phänomen der ungestützten Neuschöpfungen von Kosenamen unter Liebenden, d. h. solche, die nicht von einem bekannten Nomen abgeleitet, nach Wortbildungsprinzipien gebildet wurden oder auf Metaphern (vor allem Tierischem, Körperteilen als erotisches „pars pro toto“ oder Gegenständen) beruhen. Ähnliches – Leisi führt illustrativ u. a. Schadibu oder Tschigo als Beispiele für sprachliche Neuschöpfungen an –, komme außerhalb des Paarbereichs außerordentlich selten vor.

Nach Leisi erschöpft sich die sprachliche Produktivität eines Paares aber nicht in der Namensgebung, sondern darüber hinaus fließen zahllose für das jeweilige Paar charakteristische Wörter und Sprachformeln in den Paarcode ein, meist in Form einer semantischen Neuausrichtung, seltener als Neuschöpfung: „Bei einigen Paaren besteht diese Privatsprache lediglich in einigen wenigen Ausdrücken, bei anderen kann sie so weit gedeihen, dass sie sich zu einem ‚fertig ausgebildeten Dialekt‘ auswächst.“ (ebd., S. 33 f). Leisi räumt ein, dass es sich bei der Paarsprache nicht um eine in einem linguistischen Sinn voll ausgeprägte Sprache handelt. Er vergleicht vielmehr den sprachlichen Code eines Menschen mit den Schichten einer Zwiebel, wobei die Herkunftssprache und die verwendeten Fachsprachen die äußeren Schichten und die Privatsprache eines Paares vor der spezifischen Spracheigentümlichkeit einer Person die inneren sprachlichen („ideolektalen“) Elementen bilden.

Was zeichnet nun die Paarsprache als solche aus? Die Außenwelt soll bewusst ausgeschlossen werden: Es wird Zusammengehörigkeit praktiziert.

Vor allem in der erotischen Begegnung, dem Gebiet der Emotionalität schlechthin, ortet Leisi einen reichen Privatwortschatz. Ein weiteres Kennzeichen ist das Sprachspiel, also sprachliche Äußerungen, in denen „Sprache von ihrem gewöhnlichen Zweck, Mittel der Kommunikation zu sein, weitgehend entbunden wird“ (ebd., S. 46); dabei geht es um das Praktizieren im Alltag: Echoartiges Wiederholen von Formen können als Ausdruck gemeinsamer Lebensfreude gedeutet werden, aber auch als Ausdruck von Freiheit und Widerstand gegen die Enge der gesellschaftlichen Normen als „Ausprobieren einer Anti-Welt“ (ebd., S. 52). Das Sprachspiel umfasst zudem schöpferische, dichtungsähnliche Aktivitäten im engeren literarischen Sinn, z. B. das lyrische Dichten oder das Verfassen von Briefen, wobei Identifikationsbedürfnis und erotisches Stimulans im Mittelpunkt der Kommunikation stehen (ebd., S. 57f und 74 f).

Leisi weist auch auf Kommunikationsstörungen, auf Fälle unvollständiger oder verfälschter Informationsübermittlung hin, die zu Beziehungsstörungen führen (ebd., S. 110 f). Die Störung sprachlicher Kommunikation wäre jedoch keineswegs identisch mit der Störung der Beziehung. Störung der Kommunikation können aber eine Beziehung sowohl beeinträchtigen als auch unter Umständen verbessern. Beide Störungen stünden deshalb, so Leisi, in einem dialektischen Verhältnis zueinander (ebd., S. 115 f).

Als kommunikative Störungen identifiziert er (1) Code-Verschiedenheiten zwischen den PartnerInnen, (2) ein Ungenügen des Codes der PartnerInnen (ebd., S. 119 f) und (3) Störungen in der Anwendung der Sprache. Letztgenanntes Störungsphänomen zeigt sich also im Sprechakt (ebd., S. 132 f). Meist betreffe das in der Konfliktsituation unpassende Sprechakte wie Generalisierungen. Leisi bezeichnet das in einer Beziehung als „fahrlässigen Sprachgebrauch“ (ebd., S. 133), denn seiner Ansicht nach hätten sich bei genauerer Überlegung die Folgen auf die Beziehung absehen und dementsprechend das Sprechverhalten ändern lassen können. Dieser letzte Teil seiner Analyse ist nicht vollständig ausgearbeitet und schlüssig. Hier wollen wir später im Text mit den Ansätze Harville Hendrix anschließen.

Der Paarcode nach Leisi kann auch nach Ende einer Beziehung, z. B. im Falle von Trennung oder Tod, weiter aufrecht erhalten werden. Wenn die Paarsprache weiter singulär gepflegt wird, stellt das, meint Leisi, den Versuch dar, wenigstens einen Teil der verlorenen Person zurückzuholen (ebd., S. 152).

3 Auf dem Weg dahin: zur Sprache kommen und im Gespräch bleiben

Wir alle wünschen uns gelingende Kommunikation, einen zusammenschweißenden Privatcode; einen sicheren Hafen, Lebendigkeit, Harmonie, eine gute Beziehung. Wir wünschen uns eine liebende Familie, Eltern, Kinder, Geschwister, und insbesondere haben wir den Wunsch nach romantischer Liebe: am besten immerwährend oder möglichst unkompliziert und erfüllend. Am Wunsch alleine liegt es also nicht.

Liebe bedeutet ein Sich-Einlassen, ein Hinschauen, ein Zuhören, ein Wahrnehmen, ein Sich-Öffnen für die Momente, die man gemeinsam erlebt. Am schwierigsten scheint es, sich selbst entlang des Weges offen zu halten trotz vieler Veränderungen im Laufe der Zeit – denn sowohl das Älterwerden als auch die Liebe selbst bringen Veränderungen mit sich. Offen bleiben heißt, nicht in latente Muster abzuwandern, die man selbst nicht wahrnehmen und in den heiklen Momenten des Miteinanders nicht steuern kann. Offen sein heißt auch, Angriffsfläche zu bieten, was gefährlich für das eigene Selbstbild sein kann. Offen sein bedeutet, Blicke, Sätze, Begegnungen, Alltägliches zu spüren, auch wenn in konflikthaften Momenten das Spüren die Betroffenen unangenehm, ratlos oder zweifelnd einholt.

Im reibenden GesprächFootnote 2 oder sogar im offenen Streit mit dem oder der Geliebten werden wir zurückgeworfen in Situationen hilflosen Erlebens. Wir finden uns unmittelbar gefühlt in unseren Kinderzimmern wieder, in längst vergangenen Situationen, sprechen zu früheren Geliebten oder befinden uns plötzlich wieder im Chaos der Jugend und des frühen Erwachsenenlebens.

4 Es mag sein, dass dir am Anfang vieles fremd erscheint

Es mag sein, dass dir am Anfang vieles fremd erscheintFootnote 3

Auf ihrem Weg durch die Nacht schreibt sie – wie so oft, wenn sie um diese Uhrzeit ziellos geworden ist – eine Liste in ihrem Kopf: „Dinge, die sie uns nicht beigebracht haben.“

Sie haben dir Wortarten in die Hand gedrückt, Konjunktionen, Adjektive, Pronomen, aber sie haben dir keine Anleitung gegeben, dir nicht gesagt, wohin mit den überschüssigen Verben oder wohin mit den Nomen, die sich so fremd anfühlen auf deiner Zunge. Sie haben dir nicht gesagt, wo die Trennlinie verläuft zwischen Wirklichkeitsform und Möglichkeitsform oder wie man Superlative steigert.

5 Älterwerden und die Liebessprache(n) lernen

Mit 25 oder 30 Jahren erkennt man seine begrenzten sprachlichen Erfahrungswelten, man lebt in einem mehr oder minder kleinen, relativ überschaubaren Raum. Wenn man dann anderes, Begehrliches erreichen bzw. sich verändern will, dann muss man, szenisch gesehen, sich Sprache wie neues Land aneignen. Man beginnt Brücken zu bauen mit den einfachen Mitteln, die man hat, und doch fehlen in schwierigen, herausfordernden Momenten, in den Momenten der Reibung oft die geeigneten Feintechniken, mit denen die Brücken zufriedenstellend fertiggestellt werden können. Wir suchen nach immer mehr Varianten und neuen Vokabeln. Und finden dabei Menschen, die uns imponieren, weil sie es können, weil sie scheinbar vollendet kommunizieren können. Wir nehmen uns Vorbilder, die auf eine ganz feine Weise miteinander sprechen, auf eine Art, die wir noch nicht kennen. Wir beobachten sie und wollen es mit ihnen zu tun haben, wir wollen es uns von ihnen abschauen.

Wir versuchen gleichzeitig, Menschen, die wir lieben (wollen) in unser Inneres zu lassen, soweit es geht. Dabei haben wir auch ganz eigene, oftmals vor uns selbst geheime AussteigerInnenstrategien. In diesem Moment ist es mir zu fremd, zu nah oder zu schön oder aber ganz und gar unangenehm, schnell wieder weg. Wir fragen uns, was wir wirklich wollen, und genau wissen wir es nicht. Es kommen, jetzt auch im nächsten Anlauf, die alten Vorstellungen und Muster der Jugend, der ersten Liebe wieder.

Und nachts, vor dem Einschlafen oder beim Träumen, beschäftigen wir uns, wenn wir auf der Suche sind, mit unseren Phantasmen, unseren tiefen Begehrlichkeiten: nach Nähe, nach Liebe, nach erfülltem Leben; Phantasmen, die wir dann, oft schon im Berufsleben stehend, klugerweise nicht allzu groß werden lassen. Sie sind unsere Wegweiser, wohin unsere Liebe und unser Begehren wandern möchten.

Schnell weg vom Neuen, Unbekannten. Den Zweifel spüren, hadern, warten, wiederkommen, neu anfangen. Und nochmal. Um wieder in Kommunikation zu treten, sich wieder an die Sprache des anderen heranzutasten, um diese Sprache verstehen zu lernen.

In der Begegnung mit dem anderen sprechen wir unsere uns eigene Sprache. Es ist eine Art Herkunftssprache, die wir benutzen. Gerade diese Herkunftssprache macht anfällig für kommunikatives Missverstehen. Wir sprechen in einer Fremdsprache (vgl. auch Leisi 2016, S. 111) mit jemandem, der oder die eine andere Herkunftssprache hat. Je öfter wir mit anderen in der Liebe sprechen oder je tiefer wir in diese Momente eintauchen, desto besser bewältigen wir das Lernen der neuen Liebessprache(n). Und suchen dabei ein Stück Heimat.

Und dann kommt vielleicht ein Mensch, der gar nicht perfekt ist, aber bei dem man sein kann, bloß so, wie man ist. Plötzlich ist er da. Er bringt alles mit, alles. Nicht, weil er es vor einen hinlegt, sondern weil es aufgeht, das Herz. Unbemerkt, aber nicht ganz unbemerkt. Diese Sprache spricht der Körper: rote Wangen, Aufregung, Freude. Da ist dann etwas, das tief einzig ist. Der Blick wird durchdringend, das Liebemachen ändert sich grundlegend. Beim Im-Bett-Liegen schütteln wir die schützenden Pölster ab, manchmal nehmen wir sie und machen eine Kissenschlacht, bis man darüber zusammensinkt. Es ist wie Heiraten, nur ohne unbedingt gleich zu heiraten, tief und einfach.

Wenn es halten würde, wenn es reichen würde, wenn die Liebe reichen würde, es wäre so schön, es würde genügen, nur ein Beieinandersein. Daliegen, Genuss, manchmal Ekstase, selbst nach einigen Monaten oder Jahren noch, oder auch nur eine verschnupfte Müdigkeit am Ende des Tages oder ein heiseres (oder heutzutage auch getipptes) „Gute Nacht“. Jeder Tag zusammen ein Feiertag, beinahe jeder Tag, es gibt auch Regentage. Die werden im Alltag mehr, manchmal zieht dazwischen sogar Nebel auf, dann wieder Sonne. Duschen, sich gegenseitig abholen, sich Zeit nehmen, tanzen, zusammen Dinge machen, küssen, die Linien des Körpers nachziehen, kochen, lachen, essen. Es passt. Fast alles. Einige Zeit, Tage, Monate, Jahre, manchmal Jahrzehnte oder zwei ganze Leben.

Fast alles. Und dieses „fast“ macht sich bemerkbar in der Sprache zueinander.

6 Dazwischen: eine Szene. Die meisten deiner Sätze

Verse

Verse Worüber wir nicht sprechen können, darüber müssen wir schweigen. Worüber wir nicht sprechen können. Worüber wir nicht sprechen. […] Überwinde ich deine Sätze, dann. Dann sehe ich dich. Vielleicht.

7 Wo ist die Sprache? Und wie oft denn noch?

Wo ist dann die Verbundenheit? Wo ist die gemeinsame Sprache geblieben in konflikthaften Momenten? Sie ist gewichen, wir sind sprachlos geworden, wieder ein Stück unsichtbar. Wir sind (schon wieder!) aus der Liebe gefallen, was uns im Moment wie unser persönliches Waterloo erscheint. Ein Stich im Knie und dann auch in der Brust und manchmal, abends, überall. Stillstand und Schönheit und großer Zweifel, an uns und überhaupt. Geht das so weiter und kann das so weitergehen? Wie oft denn noch?!

Keine Worte. Keine Sprache. Ein nur gedachtes Hinüberlangen im Geiste zum anderen oder ein schnelles Weggehen, damit man die Schwere nicht fühlen muss, damit sich das Nichterreichen nicht so dicht, nicht so intensiv anfühlt. Ein Hoffen, dass dieses Gefühl einfach nur verschwindet, aber nicht alles mit ihm mit. Ein Stillstand und manchmal, in guten Beziehungen, trotz der Auseinandersetzung, der Reibung, dem Kämpfen, wieder und wieder, ein gleichzeitig leises Fühlen des Glücks, das trotzdem da sein kann. Ein Ringen nach Konzentration und Fassung. Und dann, wenn alles gut geht, wenn wir Abstand haben und den Blick von oben – Metaperspektive – einnehmen können, dann die Erkenntnis: Das war kein Desaster, es war nur ein Moment.

John Gottman (2015 [1999]) hat zwischen 1992 und 2000 drei große Studien in experimentellen Settings durchgeführt und dabei Verhalten und Kommunikation von Ehepaaren in einem Ehelabor in Seattle mit der Kamera beobachtet. Ausgewertet wurden die Untersuchungen nach beobachteten und gemessenen Faktoren in Alltags- und in Streitsituationen (z. B. physischen Reaktionen, Einlenkungsverhalten, Vertrauen und Kooperationsfähigkeit, frühem und späten Scheidungsverhalten, Ärger oder ungelösten Konflikten). Als Resultat entwickelte Gottman u. a. ein (in einigen Punkten seiner Ausführung auch kritisch zu betrachtendes, aber dennoch interessantes) Modell, anhand dessen die Wahrscheinlichkeit von Scheidung vorausgesagt werden kann. Den Beobachtungen nach waren vier negative Verhaltensweisen ausschlaggebend für Trennung: (1) häufige Kritik an der Persönlichkeit des Partners, (2) Abwertung und Verächtlichmachung, (3) Verteidigungshaltung und (4) emotionaler Rückzug aus der gemeinsamen Interaktion. Auf der anderen Seite war ein Ärger aufeinander in einem vergleichbaren Ausmaß auch bei stabilen Paaren zu beobachten und es konnten mehr als zwei Drittel dieser Paare über einen Zeitraum von 10 Jahren ihre Konflikte ebenso wenig dauerhaft lösen wie Trennungspaare (Gottman 1994). Dennoch waren die stabilen Paare in der Lage, ihren Konflikte auf eine andere Weise zu begegnen und sich dabei gegenseitig beizustehen. Das zeigte sich vornehmlich in bindungsbetonenden Handlungen sowie in einem vergleichsweise geringeren Ausmaß an Abwendungsverhalten in den Konfliktsituationen. Die stabilisierenden Mechanismen, die Gottman plakativ in seinem Buch „Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe“ (2015 [1999]) zusammenfasste, betreffen auch vornehmlich die Paarkommunikation. So betont Gottman (1) die Wichtigkeit, über Erlebnisse, Fakten und Gefühle zu sprechen. Unter (2) Zuneigung und Bewunderung füreinander versteht er ein aktives Nachdenken darüber, was das Gegenüber glücklich macht, er folgert auch (3) sich einander zu- und nicht voneinander abzuwenden, (4) sich vom Partner beeinflussen und lenken zu lassen, (5) die lösbaren Probleme zu lösen und (6) paarspezifische Strategien zu finden, wie man mit unlösbaren Problemen umgeht und somit Pattsituationen vermeidet. Schließlich wirkt (7) ein gemeinsamer Sinn sich festigend auf die Paarbeziehung aus. Gottman unterscheidet zwischen konstruktivem und destruktivem Streitverhalten (2015 [1999], S. 129–156). Zu „Stillstand“ und einem allmählichen Auflösen der Zusammengehörigkeit kommt es durch das Gefühl – oft trotz sich im Kreis drehender Gespräche – sich vom Gegenüber zurückgewiesen zu fühlen. Nach diesen Erfahrungen häufen sich Empfindungen von Schmerz und Frustration. Stillstand zeigt sich durch offensichtlichem Verlust an Humor und gemeinsamen Lachen sowie anhand der Herabwürdigungen. Emotionaler Rückzug ist die Folge.Footnote 4

8 Noch eine Szene. Die meisten deiner Sätze Teil 2

Verse

Verse Die meisten deiner Sätze sind Fragen. Die meisten deiner Sätze sind Grenzen. Die meisten deiner Sätze sind alles. Die meisten deiner Sätze sind alles, was mir geblieben ist. Die meisten deiner Sätze.

9 Der Weg ist lang und unterwegs lauern Ungeheuer

Wir wollen uns vergegenwärtigen, welche Voreingenommenheit uns den Blick verstellen. Wie wir die Unzulänglichkeiten des Gegenüber beinhart entlarven und in unseren sprachlichen Codes brandmarken – und unsere eigenen übersehen. Wir haben fast unüberwindbare Barrieren, Abwehrstrategien, ja Mauern gegen unsere eigenen Unzulänglichkeiten entwickelt. Oder aber wir tragen sie wie Altäre vor uns her. Es kommt der Moment (er kommt immer wieder!) bei dem wir davon ausgehen oder es sogar aussprechen, dass trotz einer tiefen Zuneigung zueinander, trotz der einstigen tiefen Liebe, der schönen Stunden, der erlebten Erfüllung, es nicht mehr weitergeht. Wir meinen, die Mechanismen wären nicht kompatibel.

Und hier, genau in diesem Punkt passiert etwas, was die Negation des eigenen Seins ist, mehr als die des anderen.

In diesem Punkt landen wir dann auch bei den kommunikativen Störungen. Hier entwickelte die Paartherapie neue Ansätze, so u. a. auch der Begründer der sprachbezogenen Imago-Paartherapie Harville Hendrix. Für Hendrix sind die Kommunikationsstörungen nicht Produkt einer verfehlten Einschätzung im Sprachverhalten wie bei Leisi, sondern vielmehr ein gradueller schmerzhafter, oft verzweifelter Ausdruck eines im Grunde nicht wahrgenommenen kindlichen Bedürfnisses. Ein früh erfahrenes Bedürfnis wurde zuerst in der Kindheit, dann später im Leben und nun auch in der Paarbeziehung missachtet.

Es widersprechen sich im Konfliktgespräch zwei essentielle Grundbedürfnisse der PartnerInnen in einem solchen Ausmaß, dass die beiden während des Sprechaktes gegenseitige Zurückweisung im sich widersprechenden Grundbedürfnis erfahren und darauf im Moment kindlich-unreif reagieren. Während zum Beispiel eine Seite etwa in Konfliktsituationen das schon früh nicht erfüllte Bedürfnis nach Anhörung, Klärung und Gespräch habe, würde der oder die andere möglicherweise als Kind mit Gesprächen überfordert gewesen sein und nach Ruhe und Rückzug suchen, was einen alltäglichen Konflikt eskalieren lassen kann, so Hendrix (2007).

Viele immer nur kämpfende PartnerInnen würden in der Beziehung unbewusst bleiben und nicht über den Machtkampf hinausgehen. Sie gehen „durch die Stadien von Schock, Verleugnung, Wut, Verhandeln und Verzweiflung wie Roboter“ (ebd., S. 246), ohne ihre eigenen ungelösten Probleme auch nur zu sehen. Hendrix sieht Beziehung und Ehe als einen Prozess, der mit der Eigenentwicklung in hohem Maße korreliert: „Damit meine ich, dass Veränderungen in der Ehe und unsere Erwartungen an die Ehe etwas mit evolutionären Veränderungen in uns selbst zu tun haben“(ebd., S: 33). Es wäre sinnvoll, sich mit dem eigenen unerfüllten Bedürfnis auseinanderzusetzen. „Dieses Bedürfnis besteht vor allem darin, die ‚Defizite‘ der Kindheit auszugleichen.“ (ebd., S: 34).

Die ersten Begegnungen mit dem Partner oder der Partnerin löse eine starke chemische Reaktion aus. Nach der Honeymoon-Phase komme es jedoch in jeder Konstellation zu einem den kindlichen Bedürfnissen ausgerichteten Grundkonflikt in einem (oder mehreren) Teilaspekt(en) der Beziehung. Stets gehe es darum, Verlässlichkeit und Bindungsbereitschaft auf die Weise einzufordern, die in frühen Jahren verwehrt wurde. Der andere wird – noch dem Bild der Honeymoon-Phase entsprechend – als der- oder diejenige gesehen, der oder die Verletzungen in den eigenen kindlichen Bindungsphasen kompensieren kann. Das geschieht auch vielfach. Ein Paarkonflikt breche aber gerade in der Paarsituation aus, bei der beide ein einander gegensätzliches Bindungs- und Verhaltensmuster entwickelt haben und in der sie vom Gegenüber im Gespräch eine konträre Handlungsstrategie einfordern. In diesem Zustand der Regression wünscht man sich aus dem erlebten Kind-Ich heraus vom anderen eine erwachsene Haltung, zu der der oder die andere im Augenblick (zumindest partiell) nicht in der Lage ist – man selbst als Gegenüber aber auch nicht, einfach, weil sich an diesem Punkt die Bedürfnisse und erlernten Handlungs- und Kommunikationsmuster in Stresssituationen unterscheiden. Hendrix identifiziert dazu verschiedene Verhaltensmuster, denen er konträre Namen gibt wie etwa „MaximiererIn“, der oder die eben dann auf „MinimiererIn“ trifft.

In solchen Momenten bricht dann die Sprache als Vermittlungsinstanz und versperrt echte Kommunikation miteinander. So tappen wir oft in Liebesbeziehungen – auch mit unterschiedlichen PartnerInnen – immer wieder in ähnliche Situationen, entsprechend der Diskrepanz aus erlebten und gewünschten Reaktionen auf mangelnde Zuwendung in einer oder mehreren kindlichen Entwicklungsphasen. Die meisten Menschen wurden bis zu einem gewissen Grad in allen Stadien verletzt. Die prägendste Verletzung, so Hendrix, fand dann in einer Phase bei den Themen statt, bei denen man feststeckt. „Diese Verletzung müssen Sie in Ihrer Partnerschaft heilen. Ihre Erfahrungen mit verschiedenen Partnern können die Unterscheidungen verwischen, denn bei jedem Partner sind wir tendenziell anders. Aber wenn Sie sich selbst (…) überprüfen, wird sich ein Muster herauskristallisieren“, verspricht der Therapeut (ebd., S. 88).

Bei der Imagotherapie ist der oder die PartnerIn der eigene Therapeut. Als ein auf bewusster Sprache basiertes, dialogisches Konzept zeigt sie mit ihren speziellen Form des aktiven Zuhörens und konzentrierten miteinander Sprechens einen Weg, sich wieder näher zu kommen und gegenseitige Akzeptanz und Verständnis aufzubauen. Demnach ist der Partner oder die Partnerin am besten in der Lage, Altes zu heilen und durch Aussprechen, Zuhören und Anerkennen der wahrgenommenen (frühkindlichen) Bedürfnisse diese aufzuheben. In der Reibung mit dem Gegenüber und mittels neuer, verfeinerter Paarsprache können Entwicklung und Nachreifung stattfinden.

„Der Weg ist lang und unterwegs lauern Ungeheuer“, meinte Hendrix (2007, S. 67). Das größte Ungeheuer von allen könnte das Nichterkennen, das Ausblenden eigener Selbstsabotagemechanismen sein. Wenn man – trotz positiver äußerer Umstände, trotz Vorsätze, Liebe und Toleranz – es schafft, sich selbst durch eigenes unbewusstes Verhalten ins Aus zu befördern. Indem man in der Beziehung mit dem erlernten, unreflektierten frühkindlichenSprachverhalten dem anderen die Sprache verschlägt. Indem man das Gegenüber und damit die Zweisamkeit aushebelt (man hüte sich insbesondere vor rhetorischen Siegen!). Ein solches Eigentor zu erkennen ist eine große Kunst.

Wohlwollend: Es wird. Und es wird dann auch erfüllend.

10 Am Ende ein Punkt und ein Gedicht

Wir, die beiden AutorInnen, möchten mit den Worten des Psychotherapeuten und Lyrikers Hans Smoliner (2010, S. 9) aus seinem Band „Hängengebliebene Treue“ schließen:

Verse

Verse Auch wenn dich morgen keiner meiner Gedanken trifft vergiss meine Sehnsucht nicht – Frau!Footnote

oder: Mann!