„Die Familie ist eine Art therapeutischer Weltordnung im Kleinen. Die stärksten Bindungen, die wir als wirksam und dauerhaft kennen, bestehen unter den Mitgliedern einer Familie. Sie kommen einander im Allgemeinen in Zeiten von Gefahr und Not zur Hilfe. Die Familie, welche Formen sie auch immer annimmt und mit all ihren Mängeln, ist die einzige Gruppe, von der wir wissen, dass sie den Zusammenbruch aller Zivilisationen überlebt haben. Sie mag als Modell dienen. Die Familie ist nicht ausschließlich auf ökonomische Zustimmung gebaut, sondern auf Liebe und Gegenseitigkeit von Zuneigung, Verantwortung und Glauben.“ (Moreno zitiert nach Hutter und Schwehm 2009, S. 173)

Man muss schon einige Zeit suchen, um bei Moreno auf eine derart ausführliche und wertschätzende Beschreibung seines Verständnisses von Familie zu stoßen. Tatsächlich kommt das Thema Familie in seinen Werken nämlich kaum vor. Lauterbach (2008) führt das anschaulich u. a. auf Morenos Lebensgeschichte zurück. In seiner Autobiografie nennt sich Moreno, dessen Familie immer wieder Flucht und Vertreibung ausgesetzt war, einen in einer stürmischen Nacht 1889, unterwegs mit einem Schiff auf dem Schwarzen Meer geborenen Weltenbürger (vgl. Moreno 1974, S. 15). Seine Gefühle für die Familie (Moreno war der älteste von sechs Geschwistern) dürften zeitlebens intensiv, aber ambivalent gewesen sein: „Meine Eltern stammten von sephardischen Juden ab. Meine Mutter Pauline war eine Waise, die von ihren zwei älteren Brüdern großgezogen wurde. (…) Meine Mutter war voller Ideen und Träume, eine große Geschichtenerzählerin. (…) Mein Vater, Nissim Moreno Levy, (…) war ernst und zurückgezogen, der unangefochtene Herr des Hauses, ein liebevoller und herzlicher Vater. (…) Er und meine Mutter trennten sich letztlich im Guten als ich 14 Jahre alt war. Die Trennung ging ohne jeglichen gewalttätigen, offenen Konflikt oder jegliche formelle, gesetzliche Trennung oder Scheidung vonstatten. Es schien, als ob er einfach davon glitt.“ (Moreno 1974, S. 15 ff.) Über seinen Bruder William schreibt er: „Er war das einzige Mitglied meiner Familie, das mir immer volle Unterstützung und Ermutigung gab.“ (ebda., S. 119)

Passend zu dieser recht distanzierten Beschreibung der Trennung seiner Eltern findet sich dann auch eine nahezu lakonische Definition von Familie in seinem Werk „Who shall survive“: „Die biologische Familie beginnt damit, dass zwei Menschen sich eines Tages auf’s Rathaus begeben, um vom Standesbeamten als Mann und Frau erklärt zu werden.“ (Moreno, zitiert nach Lauterbach 2008, S. 277)

Vermutlich gerade deshalb, weil das Thema Familie von Beginn an in der psychodramatischen Fachliteratur randständig behandelt wurde, ist immer wieder der Wunsch an die Redaktion herangetragen worden, ihr -der Familie- doch ein eigenes Heft zu widmen. Das Ergebnis liegt vor Ihnen und wir freuen uns auch über die Vielfalt der AutorInnen in diesem Heft – von ganz jungen über arrivierte KollegInnen und LehrtherapeutInnen bis hin zur Mitbegründerin des Psychodramas in Österreich berichten VertreterInnen aller Psychodrama-Generationen von den Erfahrungen aus ihren jeweiligen Arbeitsbereichen.

Das Heft eröffnet diesmal der andere Artikel: Nadine Wickert nimmt darin die LeserInnen mit auf einen bunten Streifzug durch Familienbilder der Gegenwart. Sie zeigt, welche Familienformen es heutzutage gibt, und wodurch das vielfältig gewordene Angebot an Möglichkeiten des Zusammenlebens geprägt ist.

Mit der Patchworkfamilie steht bei Christian Stadler eine Familienform, die stetig an Bedeutung gewonnen hat, im Fokus. Er versteht die Patchworklage als Spontaneitätslage und beschreibt sehr anschaulich die besonders gute Eignung der Soziometrie für die Arbeit mit Einzelnen, Paaren und Familien in Patchwork-Konstellationen.

Eine fundierte Darstellung der Lebenswelt von Regenbogenfamilien kommt von Ernst Silbermayr. Basierend auf psychodramatischen Gesichtspunkten beleuchtet er die schwule und lesbische Elternschaft unter Berücksichtigung der Geschlechtsrollenentwicklung.

Kommt ein Kind mit Behinderung auf die Welt, stellt das für die Familie meist eine große Herausforderung dar. Gabriele Denk beschäftigt sich in ihrem Artikel mit den Auswirkungen von Behinderung auf die Mutterrolle, aber auch mit dem Kinderwunsch und den Elternrollen geistig behinderter Menschen sowie mit den zugehörigen HelferInnen-Systemen.

Welche Rollen Kinder, deren Eltern alkoholabhängig sind, im Familienverband übernehmen, zeigt Bettina Waldhelm-Auer exemplarisch anhand von strukturdiagnostischen Kriterien. In ihrem Artikel spannt sie den Bogen von kindlichen Rollenanpassungen bis hin zu Therapiezielen in der psychodramatischen Arbeit mit (erwachsenen) Kindern suchtkranker Eltern.

„Trennung, Scheidung, Kindeswohl“ lautete das Thema eines Workshops im Rahmen der 12. Würzburger Fachtagung von Kinder- und Jugendpsychiatrie & Kinder- und Jugendhilfe, über den Elisabeth Uschold-Meier berichtet. Sie erläutert das Konzept elterlicher Präsenz und zeigt, wie darauf aufbauende Psychodramatherapie die kindliche Entwicklung trotz Scheidungen positiv fördern kann.

Eine spezielle Familienkonstellation stellt Michael Dölller vor, nämlich die Verknüpfung von Arbeits- und Privatleben im Rahmen von Familienunternehmen. Bezugnehmend auf die drei Sinnfelder Betrieb, Eigentum und Familie beschäftigt er sich mit der Ortung und Bearbeitung von Rolleninterferenzen, die gerade bei Familienbetrieben eine hohe Komplexität aufweisen.

Andreas Krebs beleuchtet das Konzept der Triangulation im supervisorischen Kontext. Er untersucht Väterlichkeit als Rollenanteil professioneller BeraterInnen und zeigt deren Nutzbarkeit für das Format Supervision vor.

Jochen Becker-Ebel widmet seinen Artikel über die Einbeziehung von Angehörigen in der Palliativmedizin dem Thema Genogrammarbeit. Er beschreibt den Einsatz von Genogrammen in der Arbeit mit PatientInnen, aber auch SupervisandInnen aus dem Bereich der Palliativversorgung.

In einer aktuellen Standortbestimmung listet Roswitha Riepl die Grundsätze psychodramatischer Familienaufstellung auf. Von der Entstehungsgeschichte bis zu konkreten Abläufen in stranger groups und Live-Familien reicht ihre Darstellung der Aufstellungsarbeit.

Drei Thesen hat Karsten Krauskopf im Blick, wenn er beschreibt, wie PsychodramatikerInnen ohne Annahmen über die Ursprungsfamilie spontan und kreativ intervenieren. Er bezieht sich dabei auf die Konzepte der konsequenten Arbeit im Hier und Jetzt, der Soziometrie sowie des soziokulturellen Atoms.

Janine Graf, eine junge Psychodramatikerin, berichtet aus ihren Erfahrungen als Beraterin des Schulpsychologischen Dienstes, wie sie in der Arbeit mit Familien im Bildungskontext die Psychodramatechnik des Rollenwechsels einsetzt.

Abschließend erzählt Anneliese Schigutt aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit dem Psychodrama über ihre Arbeit mit Familien.

Zu guter Letzt möchten wir von großen Veränderungen innerhalb der „ZPS-Familie“ berichten:

Stefan Gunkel hat im Vorjahr die Redaktion verlassen. Er hat die Herausgabe zahlreicher Hefte übernommen und diese mit großer Gründlichkeit und hohem persönlichen sowie zeitintensiven Engagement betreut. Besondere Erwähnung verdient seine Herausgabe des ersten Sonderbandes „Psychodrama und Soziometrie: Erlebnisorientierte Aktionsmethoden in Psychotherapie und Pädagogik“ (2008). Für Stefans langjährige Mitarbeit wollen wir an dieser Stelle unseren Dank aussprechen.

Nach über zwanzigjähriger Aufbau- und Mitarbeit in der Redaktion hat sich Reinhard Krüger zur Ruhe gesetzt. Als Autor, Redakteur und Herausgeber hatte er entscheidenden Anteil an der Entfaltung der ZPS, er hat viele Themenhefte mitherausgegeben und unzählige Fachartikel beigesteuert. Wir bedanken uns ganz herzlich für viel Pionierarbeit, unermüdliches Engagement und fruchtbare Auseinandersetzungen im Dienste des Psychodramas!

Wir wünschen Ihnen mit dem vorliegenden Themenheft eine anregende Lektüre!

Sabine Spitzer-Prochazka und Karsten Krauskopf