1 Doppeln als Wahrnehmen des Anderen

Die Darstellung psychischer und sozialer Wirklichkeiten in szenischem Handeln auf der psychodramatischen Bühne ist ein zentrales Merkmal des Psychodramas (von Ameln et al. 2009, S. 28). Psychodramatische Arrangements wie Rollenspiel, Steggreifspiel, Vignetten, szenisches Spiel fiktiver Ereignisse, Zukunftsprojektionen, psychodramatische Systemaufstellungen und Skulpturen der eigenen Familie, der Herkunftsfamilie oder des Teams sind recht komplex in der Durchführung. Von den ProtagonistInnen fordern sie eine hohe Motivation zur Selbstoffenbarung im handelnden Spiel und die Fähigkeit zum Selbstschutz im Verlauf des psychodramatischen Vorgehens. Ein sorgsamer und achtsamer Umgang der ProtagonistInnen mit sich selber kann helfen, aufkeimende Ängste und Befürchtungen ernst zu nehmen, sich nicht zu schnell zu überfordern, sondern Selbstwahrnehmung und anstehende Veränderungen in kleinen Schritten anzugehen.

Sowohl soziometrische Übungen in Gruppen, mit Paaren und Familien (Schulz 2013) als auch das Doppeln, der Rollentausch, das psychodramatische Interview als psychodramatische Handlungstechniken (von Ameln et al. 2009, S. 42, 52 ff) bieten die Möglichkeit, sich als BeraterIn behutsam ins Spiel zu bringen. Die Klientinnen können spielerisches Handeln in der Beratung als Möglichkeit sinnvollen Gestaltens erfahren und annehmen. Kleinere therapeutische Interventionen sollen dabei Schritt für Schritt Prozesse der emotionalen Selbstreflexion unterstützen und notwendigen Veränderungen die Bahn ebenen. Das Doppeln ist eine der acht zentralen Psychodramatechniken. Es aktiviert die innere Prozessarbeit und stellt eine therapeutisch wirksame Verbindung zwischen dem psychodramatischen Spiel, dem Denken, Fühlen und Wollen der ProtagonistIn her (Krüger 1997, S. 116 ff; Krüger 2013).

Das Doppeln ist eine psychodramatische Handlungstechnik, die auch von Menschen, die Rollenspielen eher ausweichen, leicht akzeptiert werden kann. Das Einsetzen kürzerer psychodramatischer Handlungstechniken hilft den ProtagonistInnen, aktives Handeln als normalen Bestandteil einer Therapie, Beratung oder Supervision anzusehen. Das Doppeln eignet sich so dazu, sowohl die Ratsuchenden als auch die BeraterInnen selber in Bewegung zu bringen.

„Das Doppeln (…) beinhaltet eine Einfühlung der doppelnden Person in die ProtagonistIn, und bis zu einem gewissen Grad auch umgekehrt ein Einschwingen der ProtagonistIn in das Doppel. Es handelt sich also um eine wechselseitige Einfühlung.“ (Stadler und Kern 2010, S. 116). Auf der Ebene der Interaktion zwischen Menschen gibt die doppelnde Person Antwort auf das Grundbedürfnis, in der Welt wahrgenommen und angenommen zu werden: „Ich nehme Dich wahr. Ich kann mir vorstellen, was sich in Dir abspielt. Und ich zeige Dir und teile Dir mit, was ich von Dir erlebe.“

Das Doppeln lässt sich in verschiedenen Formaten, wie der Lebensberatung, der Supervision und bei Fortbildungen, schnell und effizient einbinden.

2 Doppeln in der Einzelberatung

Das Doppeln kann in der Einzelberatung angewandt werden, um zu versiegen drohende Prozesse wieder in Fluss bringen. Doppeln kann einfühlsam und unterstützend sein. Brachliegende Ressourcen, ungelebte Sehnsüchte, Lebensträume können durch die Erwähnung beim Doppeln in den Fokus der Aufmerksamkeit der ProtagonistIn gerückt und aktiviert werden sowie Hoffnung auf gelingende und sinnvolle Veränderungen erwecken. Nuanciert angewandt kann die Technik des Doppelns wie eine paradoxe Intervention anmuten, bei der eine Widerstandsdynamik gespiegelt wird. Ein etwas übertreibendes Doppeln („Ich gebe mich immer wieder ausdauernd meiner Unsicherheit hin.“) kann bei der ProtagonstIn dazu führen, dass diese wieder Lust an einer eigenständigeren Lebensgestaltung verspürt. Deutungen und Hypothesen können im Gewand des Doppelns so dargeboten werden, dass es der ProtagonistIn leicht fällt, diese anzunehmen oder zumindest als Fingerzeig für das eigene Denken, Fühlen und Handeln in Betracht zu ziehen (von Ameln und Kramer 2007, S. 268). Das Doppeln regt aber nicht nur zu einer bewussteren Introspektion und Selbstreflexion an. Die doppelnde BeraterIn kann mit seinen Verbalisierungen bzw. szenischen Kommentierungen auch auf wichtige Personen im sozialen Netz der ProtagonistIn hinweisen („Wer von den Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle, könnte mir in dieser Situation beistehen?“) und die ProtagonistIn auf diese Weise daran erinnern, dass sie Beistand erhalten könnte, wenn sie aktiv auf diese Menschen zugeht („Was könnte ich dafür tun, dass meine FreundInnen merken, dass ich ihre Hilfe benötige?“), aber auch mitschwingende Emotionen ausdrücken („Am liebsten wäre mir, wenn die Anderen mit einfach so ihre Hilfe anbieten würden. Ich hab’ keine Lust, immer wieder zu den anderen hinzulaufen.“)

Die Äußerungen beim Doppeln können einen ‚erlaubenden‘ Charakter haben (‚Lernen am Modell‘). Typisch sind hier spontane Reaktionen der ProtagonistIn wie zum Beispiel „Danke für die Erinnerung. Diese Möglichkeit hatte ich ganz vergessen.“ Leichte Veränderungen in der Selbstbeobachtung, beim Selbstbild, in der Selbstbewertung und im Erleben von Selbstwirksamkeit (Kanfer et al. 2012) können durch das Doppeln angeregt werden und die Fähigkeit zur Selbstregulation stärken.

„Das Doppeln (…) kommt zum Zug, wenn das (innere) Gespräch des Protagonisten ins Stocken kommt, d. h., dass die Selbst-, Fremd- und Situationswahrnehmung nicht mehr angemessen funktioniert.“ (Bender und Stadler 2012, S. 62). Das Doppeln kann daher die Funktion übernehmen, zu ermutigen, Neues zu denken und neu zu handeln, oder Hinweise zu geben, wo Wichtiges übersehen wurde. Eine schüchterne ProtagonistIn kann die psychodramatische BeraterIn ermutigen sich aufzurichten, tief durchzuatmen und so eine neue Haltung einzunehmen. Beim Doppeln kann Neugier auf sich selber und die versteckten eigenen Möglichkeiten mitschwingen („Was würde wohl mit mir passieren, wenn ich mich erhebe und mit deutlicher Stimme ausspreche, was mir in Gedanken schon längst klar ist?“).

Wie beiläufig eingesetzt, reicht ein kurzer Satz, um eine mitschwingende unausgesprochen gebliebene Idee in Sprache zu kleiden. Wiederkehrende Gedankenabläufe, in die ProtagonistInnen wie in Trance versinken, können durch ein vorsichtiges offenes Aussprechen dysfunktionaler Gedankengänge unterbrochen werden. Das Hören der eigenen Gedanken – ausgesprochen durch einen Anderen – ermöglicht der ProtagonistIn einen Perspektivwechsel und führt durch eine distanziertere Betrachtung zu vermehrter Selbsterkenntnis. Aus einer ProtagonistIn, die sich in ihren Gedanken verliert und sich diesen hilflos ausgesetzt fühlt („Ich weiß nicht, wie ich aus diesen schrecklichen Gedanken herauskomme. Wie nur wird mein Partner/meine Partnerin reagieren?“) wird ein(e) bewusst lauschende(r) oder sogar beruhigte(r) ZuhörerIn („Wenn ich höre, wie Sie meine Gedanken mit Ihrer Stimme aussprechen, dann klingt das so ganz anders als meine eigenen Gedanken, wenn ich mit meiner eigenen Stimme rede.“).

Der lebendige Dialog mit sich selber bildet die Grundvoraussetzung für den lebendigen Dialog mit dem Anderen. Die Grundfragen dieser Erörterung können teilweise durchaus philosophische Natur sein: „Wer bin ich? Wie erlebe ich mich? Welche Gefühle und Handlungen sehe ich als mir eigen an? Wie kommt es, dass ich bestimmte Gefühle, Handlungen, Beweggründe und Ziele als mir und meiner Identität zugehörig ansehe? Welche Rollen lebe ich? Wie lebe ich meine Rollen? Welche Rollen lasse ich verkümmern? Mit welchem Sinn ist dies für mich verbunden?“

Die BeraterIn in der Einzelberatung setzt Impulse, um diesen Prozess der emotionalen Selbstreflexion in Gang zu bringen und zu halten, wenn sich dies aus ihrer Sicht als notwendig erweist. Die Entscheidung für das Doppeln geht in der Einzelberatung primär von der BeraterIn aus. Die Einschätzung, ob ein gedanklicher oder psychischer Prozess ins Stocken gerät, erfordert von der BeraterIn im Kontakt mit der ProtagonistIn die Bereitschaft, sich immer wieder gedanklich und emotional in die ProtagonistIn hineinzuversetzen. Die physische Nähe beim Doppeln kann diese Einfühlung erleichtern. Die BeraterIn spürt die Ausstrahlung der ProtagonistIn, intensiviert durch eine leichte Berührung an der Schulter.

Die Selbstreflexion der ProtagonistIn in der Einzelberatung ist – anders als das Gedankenversinken in der Abgeschiedenheit einer eigenen Gedankenwelt – immer auch Selbstreflexion in der realen Anwesenheit einer anderen Person, nämlich der psychodramatisch handelnden Beraterin. Auch wenn die BeraterIn sich selber sehr zurückhält und einfühlsam bezogen auf die ProtagonistIn doppelt: in Nuancen schimmert die BeraterIn als Person durch in dem was sie sieht, wie sie sich äußert, was sie bei der ProtagonistIn doppelt, was sie schweigend hinnimmt, was sie in sitzender Position aufmerksam erlauscht und wann sie sich erhebt, um zu doppeln. Die BeraterIn und die ProtagonistIn nehmen einander gegenseitig wahr, schätzen einander ein und reagieren wechselseitig auf einander. Sowohl die BeraterIn als auch die ProtagonistIn achten darauf, in welchen Momenten das Doppeln erfolgt und messen dieser Intervention eigene Bedeutungen bei: „Wenn ich nicht weiter weiß, hilft mir die BeraterIn.“ – „Wenn ich stocke und die BeraterIn kurz anschaue, steht sie auf und stellt sich hinter mich.“ mögen beispielhaft darauf hinweisen, dass die Initiative für das Doppeln nicht immer nur von der BeraterIn ausgehen muss, sondern auch gezielt durch Signale der ProtagonistIn angeregt werden kann. Der suchende Blick einer ProtagonistIn mag Ausdruck eines unbewussten Wunsches nach Schutz und Geborgenheit sein, auf den die BeraterIn handelnd antwortet.

Die Nähe der doppelnden BeraterIn zur ProtagonistIn, ihre Ausstrahlung, ihre Stimme, der Fluss ihrer Bewegungen, aber auch ihre ethischen Grundhaltungen werden von der ProtagonistIn wahrgenommen und bewertet. Das Doppeln kann als Form der Zuwendung und Hinwendung erlebt werden. Die physische Nähe der doppelnden BeraterIn kann Erinnerungen an vergessen geglaubte schöne Momente des eigenen Lebens hervorrufen, insbesondere, wenn das Doppeln mit einer leichten oder sanften Berührung verbunden ist. Im Augenblick des Doppeln kann eine kurze und intensive Verbindung zwischen BeraterIn und ProtagonistIn entstehen – als Ausdruck beiderseitigen Verstehens. Diese Nähe bedarf der besonderen Bestätigung durch die ProtagonistIn. Die BeraterIn führt zum Beispiel das Doppeln mit den Worten ein: „Ich habe eine Idee. Darf ich Ihnen diese Idee einmal unterbreiten als sei es Ihre eigene?“ Wenn die BeraterIn sich hinter die ProtagonistIn stellt, achtet sie darauf wie die ProtagonistIn auf diese Nähe reagiert. Ein fragender Blick kann Gewissheit verschaffen, ob diese Nähe bei dieser ProtagonistIn zulässig ist und von dieser auch mitgetragen wird. Insbesondere bei ProtagonistInnen mit schädigenden Beziehungserfahrungen (Korritko und Pleyer 2011) ist damit zu rechnen, dass Nähe als unangenehm erlebt wird und spontane Schutzreaktionen auslösen. Die Balance von Nähe und Distanz zwischen der BeraterIn und der jeweiligen ProtagonistIn mag sich im Verlaufe der Beratung mit wachsendem Vertrauen verändern.

Bestehen bei der ProtagonistIn starke Ambivalenzen, zum Beispiel bei Lebensentscheidungen mit längerfristigen Auswirkungen auf das eigene Leben, ist es Aufgabe der psychodramatischen BeraterIn, allen Gedanken und Möglichkeiten eine Stimme zu verleihen und so die Aufmerksamkeit der ProtagonistIn auf alle oder zumindest einige wichtige Aspekte ihrer Entscheidung zu lenken. Dabei obliegt es der BeraterIn, ‚schwächeren‘ Aspekten eine Stimme zu verleihen, sie der ProtagonistIn stellvertretend zu Gehör zu bringen und so einen Anstoß zugeben, diese ‚schwachen‘ Stimmen in ihr Leben zu integrieren.

Eine ProtagonistIn, die sich aus einer biographisch erworbenen Ängstlichkeit heraus nicht traut, auf Menschen zuzugehen, kann die BeraterIn ermutigen: „Dauernd muss ich schweigend in der Ecke sitzen und werde andauernd übersehen. Dabei würde ich so gerne einmal meine Stimme erheben und die Ängstlichkeit in ihre Schranken weisen. Mit etwas mehr Mut könnte ich sagen: Was breitest Du Dich so sehr aus? Als Ermutigung will ich aufstehen (die BeraterIn richtet sich auf) und zeigen, welche Kraft in mir steckt.“

Der Blickkontakt zwischen der BeraterIn und der ProtagonistIn dient der Rückversicherung, ob sich die BeraterIn mit ihren Ideen innerhalb der denkbaren Möglichkeiten der ProtagonistIn bewegt. Als Handelnde wirkt die BeraterIn als Modell für die ProtagonistIn. Ist sie in Ihrem Handeln zu stark für die ProtagonistIn, kann diese die beim Doppeln ausgesprochenen Anregungen nicht annehmen. In der Beratung wendet sich die ProtagonistIn in solchen Momenten nicht selten an die hinter ihr stehende BeraterIn und sagt: „So wie Sie kann ich das nicht. Dass passt nicht zu mir.“ Die mit dem Vergleich verbundene Selbstabwertung lässt sich aufheben, wenn die ProtagonistIn immer wieder angeregt und ermutigt wird, eine eigene Formulierung zu finden, die für sie selber passender und glaubwürdiger ist. Das Wiederholen mit eigenen Worten, das Hören der eigenen Stimme und das Spüren der eigenen seelischen und körperlichen Resonanz sind wesentliche Merkmale, die dabei helfen, dass die ProtagonistIn glaubt, was sie hört und spricht. Die in die Ich-Form gekleideten Worte der doppelnden BeraterIn zielen darauf hin, der ProtagonistIn ein für sie akzeptables Angebot für ihr Denken, Fühlen und Handeln zu unterbreiten. Auch als leise flüsternde ‚Stimme der Ermutigung‘ kann sie wirksam werden und die Lebensrichtung der Protagonistin mitlenken. Ein leises „Du darfst auch mal was sagen.“ kann glaubhaft und wirksam sein, wenn es auf eine neue aufkeimende Überzeugung der ProtagonistIn trifft. Die psychische Aufgabe der ProtagonistIn besteht darin, die Anregungen durch das Doppeln in das eigene Selbstkonzept („Wie nehme ich mich wahr?“) einzubinden oder dieses Selbstkonzept zu verändern. Es gilt die Anregungen der BeraterIn beim Doppeln in den Chor der eigenen inneren Stimmen zu integrieren und in ein persönliches Wachstum der ProtagonistIn einmünden zu lassen.

Formulierungen beim Doppeln wie „Und ich tue das, weil…“ oder „Und ich denke das, weil…“, „Das ist mir so wichtig, weil…“ zielen darauf ab, weiter als bislang zu denken, eigene Grenzen im Denken zu überschreiten, aus der Enge des eigenen Blickfeldes hinauszutreten, eine philosophische Neugier auf sich selber zu entwickeln und sich neue Fragen zum eigenen Leben zu stellen.

3 Doppeln in der Paarberatung

Die Fähigkeit sich in einen anderen Menschen einzufühlen (Empathie) ist die Basis für menschliche Beziehungen, insbesondere für Menschen, die eine nahe Beziehung miteinander eingehen. Eine gute Paarberatung zielt darauf ab, den PartnerInnen neue Möglichkeiten zur Gestaltung Ihrer Beziehung zu eröffnen und in der Paarberatung selber neues Beziehungslernen zu initiieren und Empathie füreinander zu entwickeln (z. B. Gunkel 1989, 2011; Mandel et al. 1990; Tiedemann und Jellouschek 2000; Wirsching und Scheib 2002). Das Doppeln in der Paarberatung hilft, einen versiegten Dialog zwischen den PartnerInnen auf den Weg zu bringen.

Nicht selten kommen Paare mit der Vorstellung zur Beratung, dass ein vorwurfsvolles Klagen über die anwesende PartnerIn ein geeignetes Mittel ist, die BeraterIn schnell über die Dynamik der Paarbeziehung zu informieren. Gelegentlich ist in der Praxis zu erleben, dass der Vorschlag der BeraterIn bei Paaren Verwirrung hervorruft, dass sich das Paar einmal in ungewohnter Form vorstellt, indem sich die Partner gegenseitig doppeln. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Partner sogar einen Rollentausch vollziehen und hierdurch metaperspektivische Informationen aktiv in der Kommunikationskontext der Beratung einbringen, indem sie über das Handeln, Denken und Fühlen ihres Lebenspartners aus dessen Rolle heraus Auskunft geben.

Der Vorschlag des wechselseitigen Doppelns bietet aber auch die Chance, im Rahmen eines gemeinsamen Experimentes zu explorieren, inwieweit die PartnerInnen auch in der aktuellen Krise Ansätze zu einem wechselseitigen Verständnis zeigen (Sonntag 1993).

Das Doppeln als schnell einzusetzende Intervention lenkt zudem die Aufmerksamkeit der PartnerInnen weg von der eigenen emotionalen Befindlichkeit hin zu dem gemeinsamen Dritten der Paare: ihrer Partnerschaft. Die Fähigkeit zu wechselseitiger Einfühlung kann neben Respekt und Gelten lassen in der Beziehung ein wesentliches Kriterium für ein gutes Gelingen der Paarberatung sein. Die BeraterIn kann die Partnerschaft als Drittes mit Hilfe eines Symbols darstellen und der Partnerschaft durch Doppeln Gehör verschaffen („Als ihre Partnerschaft fühle ich mich durch Ihr Streiten übersehen und missachtet.“).

Verfügen die PartnerInnen trotz ihres Konfliktes über eine spürbare emotionale Verbindung, können beide PartnerInnen die Idee der PaarberaterIn aufgreifen und im weiteren Verlauf der Paarberatung die Partnerschaft durch eigenes Doppeln im Bewusstsein halten. Auch diese Variante weist einen diagnostischen Wert auf: wer von den beiden PartnerInnen hat die Partnerschaft als gemeinsames Drittes im Blick?

Auch der partnerschaftliche Dialog erhält durch das Doppeln neue Impulse. Beim Doppeln greift die PaarberaterIn für sie spürbare Emotionen der PartnerInnen auf und bettet sie in Sprache ein. Die PartnerInnen wiederholen die gehörten Worte, vergleichen sie mit den eigenen Gefühlen und Gedanken und formulieren sie dann als etwas Eigenes. Nicht selten hören die PartnerInnen nach langer Zeit zum ersten mal wieder ein persönliches und anerkennendes Wort. Anerkannt werden nicht nur die gesprochenen Worte selber, sondern auch das Bemühen der jeweiligen PartnerIn, sich auf einen lebendigen Dialog in der Partnerschaft einzulassen („So etwas Schönes habe ich von meinem Mann lange nicht mehr gehört.“ – „Ich wusste nicht mehr wie ich mit Worten ausdrücken sollte, dass ich meine Frau immer noch lieb habe.“).

Das Doppeln durch die BeraterIn trägt dazu bei, etwas Neues in die bekannte problematische Interaktion zwischen den PartnerInnen einfließen zu lassen. Die Ermutigung, einander einmal Recht zu geben („Darf ich vor mir zugestehen, dass meine PartnerIn jetzt ausnahmsweise einmal Recht hat? Traue ich mich ihr das diesmal auch offen zu sagen?“) kann dazu führen, die festgefahrenen Interaktionsabläufe mit einer kleinen, aber wirksamen Veränderung anzureichern. „Die Stärke des Doppelns liegt darin, dass es zum üblichen Gesprächsritual ein deutlich anderes und davon abgehobenes eigenes Ritual setzt. Damit unterbindet es das eingefahrene Streitritual mit der Tendenz zu einer symmetrischen Eskalation zwischen den Beziehungspartnern (…). Darüberhinaus schafft Doppeln einen Raum für genaueres Zuhören, Verstehen.“ (Fryszer 1993, S. 203) und setzt klare und helfende Strukturen für einen lebendigen und konstruktiven Dialog.

Auch beim Spiegeln kann das Doppeln helfen, schädliche Interaktionsmuster zu durchbrechen. In einer Paargruppe erhält zum Beispiel ein eben noch streitendes Paar die Aufgabe, ein weiteres Paar oder zwei GruppenteilnehmerInnen in ihre Rollen als heftig streitende PartnerInnen zu doppeln. Mit dieser Aufgabe ist für das Paar ein Perspektivwechsel verbunden. Der Perspektivwechsel erzeugt einen emotionalen Abstand zu dem eigenen Handeln und Gefühlen. Paare, die einen Augenblick zuvor einander noch wortgewaltig unterbrachen, beginnen einander beim Eindoppeln zu helfen. Durch die Veränderung der Rollen wird die Ressource Kooperation aktiviert und die PartnerInnen reden wieder miteinander. „Was macht mich bei Dir so wütend, dass ich laut schreien muss? Ist das nicht das Zucken mit Deinem linken Augenlid, wenn ich etwas schriller in der Stimme werde?“ Die Wahrscheinlichkeit, dass die PartnerInnen in ihren Rollen als ‚Regisseure‘ kooperieren, ist dabei sehr hoch. Der plötzliche Rollenwechsel ruft zwischen den Paaren zu ihrer eigenen Überraschung verloren geglaubte freundliche Umgangsformen hervor. Psychodramatisch ließe sich sagen: die Paare hatten ihre Fähigkeit zu freundlichen Umgang miteinander von ihrer partnerschaftlichen Beziehungsbühne verbannt. Das Doppeln kann außerdem das Paar dazu anregen, bisher außer Acht gelassene Fähigkeiten zur Kooperation wieder in ihre Partnerschaft zu integrieren.

Bei Paaren, die in eine wechselseitige Streit- oder Gewalteskalation verstrickt sind, hilft das Ambivalenzdoppeln, die unterschiedlichen Strebungen sprachlich in Gegenwart beider Partner zum Ausdruck zu bringen. Das Doppeln erfolgt zunächst durch die BeraterIn, die sich hinter die jeweilige PartnerIn stellt: „Ich habe Lust, ihn richtig zu reizen, wenn er schweigend dasitzt.“ – „Vielleicht kann ich ihn doch noch mit freundlichen Worten bewegen mit mir zu reden.“ – „Wenn sie stichelt, habe ich richtig Lust sie durch Rückzug zu ärgern.“ – „Vielleicht sollte ich mich doch auf ein Gespräch mit ihr einlassen.“

Bei einem längeren Gespräch der PartnerInnen ist das Ambilvalenzdoppeln durch die BeraterIn zu aufwendig. Die Aufmerksamkeit der PartnerInnen lässt sich allerdings durch die Verwendung von Symbolen erhöhen. Beide PartnerInnen erhalten jeweils ein Symbol für Äußerungen, welche die Partnerschaft fördern und jeweils ein Symbol für Äußerungen, die darauf abzielen, die PartnerIn oder die Partnerschaft zu schädigen. Bei jeder Äußerung müssen die jeweiligen PartnerInnen ein Symbol in die Hand nehmen und sich bewusst werden, welches Ziel ihre Worte verfolgen. Die Symbole werden dabei angeschaut, je nachdem, welche Absicht im Moment im Vordergrund steht. Das Aufnehmen und Betrachten der Symbole und das abwägende Nachdenken verlangsamen eine zuvor eher impulsgesteuerte Interaktion.

4 Doppeln in der Familienberatung

Familiäre Beziehungen unterscheiden sich grundsätzlich von anderen Beziehungen. In Familien leben Menschen unterschiedlichen Alters miteinander, die existentiell miteinander verbunden sind. Diese Beziehungen weisen eine hohe emotional-kognitive und lebenslange Verbindlichkeit auf (Lauterbach 2008, S. 284).

Familienglieder unterscheiden sich in ihren Rollen (Eltern, Kinder der Eltern als kleinere Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Elternteile als Individuen), ihrer Lebenserfahrung, ihren Bedürfnissen und ihrer altersentsprechenden Lebensgestaltung. Das Doppeln in der Familienberatung kann dazu beitragen, die Lebenslage jedes Familiengliedes vor den anderen Familiengliedern transparenter werden zu lassen und so das Verständnis untereinander zu fördern. Das Doppeln kann dabei sowohl durch die BeraterIn als auch spontan durch die Familienglieder erfolgen. Mit Hilfe von Symbolen und Doppeln können auch vergessene Seiten der Familiengeschichte (verstorbene oder verstoßende Familienglieder in den Herkunftsfamilien) spielerisch einbezogen werden, die sich für die aktuelle Beziehungsdynamik als bedeutsam erweisen könnten (Bleckwedel 1992).

In der Familienberatung sind alle potentiellen KonfliktpartnerInnen mit ihren Beziehungsdynamiken präsent. Wenn Kinder zu Jugendlichen und Jugendliche zu jungen Erwachsenen werden, ranken sich die innerfamilialen Konflikte um die sich ständig verändernde Balance zwischen wachsender Autonomie und Verantwortung für das eigene Leben und schwindender Abhängigkeit von den Eltern. Auf der Seite der Eltern geht es um eine Veränderung der bisher gewohnten Elternrollen. Anstelle einer bestenfalls liebevollen Sorge um das Wohl der Kinder steht nun eine Überprüfung der persönlichen Authentizität der Erwachsenen durch die Jugendlichen im Vordergrund. Diese oft auch emotional sehr heftig vorgebrachte Forderung nach Authentizität wird seitens der Eltern als unangemessene Kritik verstanden und zurückgewiesen. Die der Kritik innewohnende Frage „Wie lebt es sich als Erwachsener? Wie fühlt sich das an?“ bleibt durch die Vorrangstellung der Beziehungsdynamik (Drängen und Abwehr) oft unbeantwortet. Den Erwachsenen obliegt die Aufgabe, ihre Rollen als PartnerInnen wieder zu beleben oder auch die Lebensgestaltung als Individuum („Wer bin ich selbst? Wie will ich außerhalb meiner Rolle als Vater oder Mutter mein Leben gestalten?“) in den Vordergrund zu rücken. Diese Veränderungen erweisen sich insbesondere dann als schwierig, wenn mit der Elternrolle eine hohe und ausschließliche Sinnhaftigkeit für das eigene Leben verbunden war und die anderen Rollen als PartnerIn oder als Individuum jahrelang verkümmerten (Haley 2010, S. 267 ff). Wie werden Autonomie und Bezogenheit in der Partnerschaft definiert, wenn die Jugendlichen an Eigenständigkeit gewinnen? (Brandl-Nebenhay und Hinsch, 2010).

Besteht in der Familie eine hohe Bereitschaft sich auf ein Rollenspiel oder eine Familienskulptur einzulassen, zielt das Handeln der BeraterIn darauf ab, durch Doppeln in die Rollen einzustimmen. Die Selbstreflexion in der Rolle kann angeregt werden, um vor der szenischen Darstellung Gedanken, Gefühle, Haltungen und Empfindungen Raum zu geben, so dass diese bewusst in das nun folgende Rollenspiel integriert werden können. In einem Interview zur Seite („Können Sie bitte einmal sagen was Ihnen durch den Kopf geht, bevor das Rollenspiel beginnt?“) oder als Doppeln („Wie geht es mir, wenn ich so vor dem Zimmer meiner Tochter stehe und mir vorstelle, gleich mit ihr zu reden? Bin ich vorsichtig? Erinnere ich mich an den Ärger beim letzten Gespräch?“) erleben alle in der Familie, dass es möglich ist, über Gedanken, Gefühle, Haltungen und Empfindungen zu sprechen. Sie werden gewahr, dass das gegenseitige Zuhören, das Aussprechen lassen und Gelten lassen und ehrlich gemeinte neugierige Fragen ein gutes Modell für die Kommunikation in der Familie darstellen kann. Die Selbstreflexion vor dem Handeln im Rollenspiel ist auch ein strukturierendes Element, das hilft mitschwingende Emotionen wahrzunehmen, ihnen aber nicht mehr eine handlungsleitende Qualität zuzubilligen.

Die Lebenskraft bejahen“:

Herr und Frau D. erschienen gemeinsam mit ihrer 15jährigen Tochter A. Anlass der Familienberatung waren heftige Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter, die bei dem Vater, der sich beiden verbunden fühlte, zu Gefühlen der Hilflosigkeit, Rückzug und Schweigen geführt hatte. A. nahm zu Beginn der Beratung an einem Theaterworkshop teil und war sofort zu einer szenischen Darstellung bereit. Mutter und Tochter wollten einen typischen Streit darstellen. A. stellte sich mit Fäusten in den Hüften vor ihre Mutter. Diese sagte bestätigend: „Genau so stellt sich A. immer wieder vor mich hin. Dann weiß ich, dass kein Reden mehr mit ihr möglich ist.“ A. nickte bestätigend, stellte sich hinter ihre Mutter und begann diese ein zu doppeln: „Sofort fängst Du an Dein Zimmer aufzuräumen!!! Wie sieht es denn hier aus! Tausendmal habe ich Dir gesagt, Du sollst Deine Sachen hier nicht so rumliegen lassen!“ In ihre eigene Rolle zurückgekehrt, begann A. ihre Mutter in demselben Ton anzufahren: „Von Dir lasse ich mir nichts sagen! Das ist mein Zimmer! Das ist mein Reich! Hier bestimme ich!“

Während dieser Sequenz brach die Mutter in lautes Lachen aus, was die Tochter sichtlich verwirrte. „A. ist so wild wie ich früher. Sie ist wirklich meine Tochter.“ sprach die Mutter. Das klang liebevoll, verständnisvoll und versöhnlich. Der Rollentausch fiel Mutter und Tochter ganz leicht. Mühelos schlüpfte A. in die Rolle der Mutter wie A. Sie erlebte und zeigte ihrer Mutter dadurch auch, dass sie durchaus in der Lage war, ihre Mutter realistisch einzuschätzen („Ich merke meine Tochter ist schon richtig groß.“). Die Mutter zeige im Rollentausch mit ihrer Tochter A. wie sehr sie es als junges Mädchen genoss lautstark ihre neuen Rechte nach mehr Autonomie und Anerkennung dieser Autonomie einzufordern. Doppeln und Rollentausch ermöglichten es, versöhnlicher miteinander umzugehen. Die Mutter erlebte das Verhalten nun nicht mehr als Angriff auf sich selber und als willentliche und kränkend gemeinte Verzerrung ihrer Person, die in ihr den Wunsch nach Korrektur hervorrief, sondern als Ausdruck einer ihr selber seit langem vertrauten Stärke, Willenskraft und Lebensdurst, die leben möchten. „Sie ist ja wie ich.“ wiederholte die Mutter voller Stolz und Verwunderung. Nach dieser Einsicht konnte die Mutter auch wieder andere Seiten von A. anerkennen: ihre Musikalität, ihre Hingabe, wenn sie ein Thema interessierte und ihre Hilfsbereitschaft, die in der Folge nun auch wieder in der Familie sichtbar wurde und A.s ständig wachsende Eigenständigkeit.

Als die Eltern sich für den Kauf eines neuen Hauses interessierten, war es A., die als erste zu diesem neuen Haus fuhr, sehr freundlich Kontakt mit den bisherigen Eigentümern aufnahm und sich schon einmal ihr neues Zimmer anschaute. So berichtete die Mutter, traurig über den Verlust der früher großen Nähe zur Tochter, liebevoll aus dem Wissen heraus, dass die Tochter ihr auch glich, dies aber nur zum Tragen käme, wenn die Mutter sie ihre eigenen Wege ziehen ließe.

Wurmser schreibt über die Bedeutung des Anderen und das Selbstsein, „dass es immer des Gleichgewichts von Selbstbezogenheit und Verbundenheit, von Gerechtigkeit für den Anderen wie für die eigene Person bedarf.“ (Wurmser 2001, S. 71). Dies mag auch für den Abschied aus der Kindheit gelten, die Gewinnung neuer Autonomie und die Übernahme eigener Verantwortlichkeit.

Ein spontanes Doppeln in der Familie offenbart, wie differenziert die Wahrnehmung innerhalb der Familie sein kann. So kann eine Ehefrau ihren Mann so darstellen, als sei er immer nur ein schweigender zurückgezogener Mensch („So erlebe ich Dich als Deine Partnerin.“), während der anwesende Sohn protestiert: „Mama, so siehst Du Papa, ich kenne ihn aber ganz anders und zwar so“: der Sohn stellt sich aufrecht hinter seinen Vater und sagt: „Mit wachen Augen kriege ich alles mit, was sich hier in der Familie abspielt, auch wenn ich es nicht immer sofort sage.“ In rascher Folge kann so vor den Augen der anwesenden Familie ein differenziertes Abbild der verschiedenen Rollen mit ihren typischen Verhaltensweisen dargestellt werden und bei der Familie Erstaunen, Stolz und Freude hervorrufen („So haben ich uns noch nie wahrgenommen.“). Durch ein einfühlendes Doppeln innerhalb einer Familie wird ein tragendes Gefühl des Verstandenwerdens vermittelt (von Ameln et al. 2009, S. 60) und so der Weg für Begegnungen geebnet.

Unbeachtete und vergessene Menschen in der Familie lassen sich seitens der FamilienberaterInnen durch die Verwendung von Symbolen und Figuren wieder ins Rampenlicht rücken. Stellvertretend leihen sie den Verstummten ihre Stimme oder erinnern an ihre Anwesenheit. Die Frage „Wie würde Ihre kleine Tochter auf Ihr Streiten reagieren?“ gewinnt – eingekleidet ins Doppeln – an emotionaler Direktheit: „Und wenn wir hier so streiten, wie mögen wir auf unsere Tochter C. wirken? Was wird sie fühlen, wenn sie uns streiten hört und unsere Gesichter sieht mit unserer Wut?“ Das Doppeln erinnert daran, dass das eigene Handeln eine Außenperspektive hat. Diese Außenperspektive ist das Erleben durch Andere, der Eltern durch ihre Kinder, die der Lebensführung der Erwachsenen – weitestgehend in jungen Jahren – ausgeliefert sind und diese ertragen müssen. Das Doppeln von schweigenden Kindern kann die Eltern daran erinnern, ihre Kinder bewusster wahrzunehmen und das eigene Handeln gegenüber den Kindern und in Gegenwart der Kinder selbstkritisch zu überprüfen.

5 Doppeln in der Supervision

Ziel einer Supervision ist die Entwicklung konkreter Handlungsmöglichkeiten. Supervision lässt sich auch als Suchprozess verstehen, bei dem die SupervisandInnen für sie selber passende Lösungsmöglichkeiten herausarbeiten. Das Handeln auf der psychodramatischen Bühne lässt sich als Experiment verstehen (Buer 1999, 2000). Aufgabe der SupervisorIn ist es, diese Suchbewegung zu unterstützen und in Bewegung zu halten. Im Blickfeld der SupervisorIn sind dabei auch die emotionalen Erfahrungen der SupervisandInnen im Verlauf dieses Suchprozesses. Die SupervisandInnen erleben bewusst eine aufkeimende Veränderung ihrer Wahrnehmung und einen Wandel in der Wahrnehmung ihrer eben noch belastenden KlientInnen.

Eine Aufgabe der SupervisorIn ist die bewusste und gewollte Begrenzung und Beschränkung auf die beruflichen Beziehungen und ihre Dynamik. Dies gilt insbesondere auch, wenn durch die emotionale Intensivierung beim Doppeln oder bei anderen Interventionen der SupervisorIn bei der SupervisandIn biographisch erworbene Lebensmuster zum Tragen kommen. Die Klarheit in der Begrenzung durch die SupervisandIn dient dem emotionalen Schutz der SupervisandIn, die nicht in eine unverhoffte Selbsterfahrung hineingezogen werden darf, auch wenn die Verlockung des passend scheinenden Augenblicks sehr groß sein mag. Mit einigem Geschick lassen sich biographische Themen auch im Kontext der Supervision mit berücksichtigen. Im Rahmen eines supervisorischen Prozesses kann die Freude über neu entwickelte Handlungsspielräume biographisch erworbenen Introjekten ihre Glaubwürdigkeit entziehen. Die psychodramatische Umsetzung dieses Prozesses wird im weiter unten aufgeführten Beispiel verdeutlicht (siehe Rolle der ‚Ängstlichkeit‘).

Bei festgefahrenen interpersonalen Konflikten im beruflichen Umfeld kann eine gelingende Supervision dazu führen, neue kleine Schritte zu wagen, die eigene Position im Konfliktgeschehen zu überdenken und die eigene soziale und emotionale Kompetenz zu stärken (Schulz 2010). In der Einzelsupervision oder während der Gruppensupervision sind die an dem Konflikt beteiligten Personen bis auf die ProtagonistIn nicht anwesend. Dies ermöglicht der ProtagonistIn, auf der psychodramatischen Bühne Szenarien durchzuspielen und daraufhin zu überprüfen, ob diese geeignet sind, den Konflikt auf eine intelligente Weise aufzulösen und der Interaktion im Berufsleben neue Impulse zu verleihen. Im Spiel werden mögliche Hindernisse erfahrbar, die sowohl an der ProtagonistIn selber, an den am Konflikt beteiligten Personen oder in der Struktur der Organisation liegen können.

Personen, die für die ProtagonistIn im Zusammenhang mit einem aktuellen Konflikt wichtig sind, aber als reale Personen nicht anwesend sind, können während der Supervision durch weitere anwesende SupervisandInnen, leere Stühle, Figuren oder Symbole dargestellt werden. Die Vorstellung aller am Konflikt beteiligten Personen übernimmt die SupervisandIn durch Doppeln. Das Eindoppeln der am Konflikt beteiligten Personen hat das Ziel, diese als handelnde Personen auf die Bühne zu bringen. Hier genügen kurze typische Sätze, Körperhaltungen, um in der SupervisandIn emotionale Erlebnisfilme zu aktivieren, in denen sich die aktuelle Problemlage widerspiegelt. Aufgabe der SupervisorIn ist, darauf zu achten, dass das Eindoppeln zu dem von der SupervisandIn angesprochenen Problem passt, ob das Eindoppeln andere Aspekte ins Spiel bringt oder sich gar schon Ansätze zu einer möglichen Lösung erahnen lassen.

Die Darstellung der KlientInnen in der Supervision ist oft sehr subjektiv gefärbt. Die Darstellung spiegelt die im Moment vorherrschende Wahrnehmung der Supervisandin wider. „Alle Re-Inszenierungen wie Skulpturarbeit oder psychodramatische Formen der Fallarbeit bilden keine Wirklichkeit ab, sondern bringen das Fallerleben der Supervisanden auf die Bühne der Supervision.“ (Neumann-Wirsig 2011, S. 58). Ziel einer psychodramatischen Supervision sind die Wahrnehmungserweiterung der Supervisandin und ein vertieftes Verständnis für die KlientInnen und die Motive für ihr Handeln.

Das Hineinwachsen in die Berufsrolle kann einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Nicht selten verlangt die Leitungsrolle rollenspezifische Verhaltensweisen, die den persönlichen Grundhaltungen ganz oder teilweise widersprechen, deren Umsetzung im Berufsleben jedoch sinnvoll und angemessen erscheint. Die Schwierigkeit ist dabei nicht die Ausführung eines sozial kompetenten Verhaltens, sondern die Integration des notwendigen Verhaltens in das eigene Selbstkonzept. In eine glaubwürdige Formulierung gefasste Selbstinstruktionen, ein lebendiger Dialog mit den verinnerlichten, oft ambivalenten ‚Stimmen‘ aus der Herkunftsfamilie, Selbstlob und eine liebevolle Selbstsorge dienen der Stärkung des Selbstwertes und der Integration neuer sozialer Erfahrungen in das persönliche und berufliche Selbstkonzept (Potreck-Rose 2003).

Die Frucht der Anerkennung“:

In einer Gruppensupervision für Leiterinnen von Tageseinrichtungen für Kinder schilderte eine junge Leiterin (28 Jahre) eine schwierige Situation zwischen sich und einer zehn Jahre älteren Erzieherin. In wiederkehrenden kürzeren Gesprächen hatte die junge Leiterin die Erzieherin auf bestehende pädagogische Mängel hingewiesen, ihre Sichtweise fachlich begründet und mit der Erzieherin gangbare Alternativen besprochen. Bei Besuchen in der Gruppe der Erzieherin fiel ihr jedoch auf, dass diese sich nicht an die vereinbarten Vorgaben hielt, sondern ihr Verhalten gegenüber den Kindern nicht veränderte. Weiterhin herrschte die Erzieherin Kinder impulsiv und laut an, wenn sie es für richtig hielt und ließ den kleinen K. abseits von den Kindern in einer Ecke stehen. Vereinbart hingegen war, dass der kleine K., ein schüchternes Einzelkind, ermutigt werden sollte, mit anderen Kindern zu spielen. Als Anlass für ihr Supervisionsbegehren gab die junge Leiterin an, es sei ihr ‚total peinlich‘ eine ältere Kollegin mehrfach auf fachliche Mängel aufmerksam machen zu müssen und zu erleben, dass diese ihr Verhalten nicht ändere. In der Gruppensupervision wolle sie einen Weg erarbeiten, die Peinlichkeit zu verstehen und zu überwinden, der Kollegin weiterhin in respektvoller Weise zu begegnen und die in ihr langsam aufsteigende Verärgerung in den Griff zu bekommen.

Beim Eindoppeln stellte die Leiterin das typische Denken der Erzieherin so dar: „Meine Chefin ist immer so pingelig. Nie kann ich es ihr Recht machen.“ In ihrer eigenen Rolle als junge Leiterin fing die SupervisandIn leicht an zu zittern. Im Interview mit dem Supervisor sagte sie: „Ich habe Angst, Fehler zu machen.“ Der Supervisor stellte sich hinter die Supervisandin und doppelte: „Und welchen Fehler könnte ich machen?“ Die Supervisandin antwortete: „Ich habe Angst, eine Schwäche zu zeigen, weil…?“ „Eine Schwäche könnte den anderen zeigen, dass sie mich nicht ernst zu nehmen brauchen.“, antwortete die Supervisandin. Die von der Supervisandin ausgesprochenen Befürchtungen wurden von einer weiteren Gruppenteilnehmerin wiederholt, die sich hinter die Supervisandin stellte. Diese lauschte der Wiederholung aufmerksam und meinte schon etwas entspannter: „Irgendwie klingt das seltsam, wenn ich die Gedanken mit Worten ausgesprochen höre.“

In der ersten Durchführung im Rollenspiel entschuldigte sich die Leiterin bei ihrer Mitarbeiterin, dass sie die Kinderpflegerin auf Fehler aufmerksam machen müsse: „Es ist mir sehr peinlich, dass ich Sie jetzt wiederholt auf Fehler im Umgang mit dem kleinen K. ansprechen muss…“ Hinter der nach außen gezeigten Höflichkeit schwang ein deutlich spürbarer Ärger mit. Der Supervisor griff beides beim Doppeln auf: „Ich bin ganz höflich, aber ich spüre, wie der Ärger langsam in mir hoch kriecht.“

Eine der anderen Leiterinnen in der Gruppensupervision stand auf, stellte sich neben die jüngere Leitungskollegin und doppelte: „Als Leiterin ist es meine Aufgabe für eine hohe Qualität in meiner Einrichtung zu sorgen. Daher muss ich mit dieser Kollegin reden, auch wenn es mich ärgert.“ Sowohl der Supervisor als auch einige weitere LeiterInnen in der Supervisionsgruppe schlüpften in die Rolle von DoppelgängerInnen (von Ameln et al. 2009, S. 61) und schlugen verschiedene Formulierungen für das Gespräch vor. „Ich bedaure sehr, dass es immer wieder notwendig ist, dass ich Sie auf Fehler aufmerksam machen muss.“ „Ich möchte noch einmal aufgreifen, was wir bei unserem letzten Gespräch miteinander vereinbart haben…“ Die Supervisandin wiederholte diese Sätze mit eigener Stimme. In einer späteren Rückmeldung führte die Supervisandin aus, dass sie diese Wiederholungen als stärkend erlebte.

In einem kurzen Rollentausch mit der Erzieherin stellte die junge Leiterin überrascht fest, dass sich die Erzieherin wünschte, einmal mit ihrem Können und ihren Fähigkeiten durch die Leitung anerkannt zu werden. Dies stimmte die junge Leiterin sehr nachdenklich.

Die anderen SupervisandInnen stellten sich in einem dichten Halbkreis hinter die Protagonistin und sprachen: „Wir wissen wie schwierig manche Mitarbeiterinnen sein können. Wir kennen das Gefühl der Ohnmacht. Wir alle haben uns durchkämpfen müssen. Wenn Du heute mit ihr sprichst, werden wir in Gedanken bei Dir sein.“ In dieser Szene bildeten die Supervisandinnen mit der Protagonistin eine spontane Skulptur, die den Schutz, den die junge Leiterin in diesem Moment benötigte, zum Ausdruck brachte. Eingebettet in diese Skulptur erfolgte ein Sharing durch die anderen Supervisandinnen, verbunden mit der Zusage der seelischen Unterstützung. Auf der Ebene der realen Beziehungen zwischen den LeiterInnen schwingt die Botschaft mit: „Du gehörst zu uns. Wir lassen Dich nicht allein.“

In der nächsten Gruppensupervision griff die Supervisandin ihr Thema noch einmal auf. In einem Rollenspiel zeigte sie ihrer Supervisionsgruppe stolz, wie es ihr gelungen sei, den Kontakt zu der Erzieherin zu verändern. Die Erzieherin habe geklagt, dass ihr der Morgenkreis keinen Spaß bereite und sie recht lustlos herumsäße. Die Leiterin zeigte im Rollenspiel, wie sie der Erzieherin vorgeschlagen habe, den Morgenkreis mit den kleinen Kindern an einen anderen Ort zu verlegen, den die Erzieherin sich aussuchen könne (Stärkung der Selbstbestimmung). „Wir haben den Morgenkreis in der letzten Zeit immer wieder auf eine doch sehr ähnliche Art und Weise durchgeführt. Wenn Sie möchten, können Sie den Morgenkreis auch Ihren Vorstellungen entsprechend verändern.“ Die Erzieherin (im Rollenspiel dargestellt durch eine der SupervisandInnen) habe die Idee freudig aufgegriffen und den Morgenkreis aus dem Gruppenraum in die große Turnhalle verlegt. Der Morgenkreis sei mit Einverständnis der Erzieherin auf Video aufgenommen worden. Die Protagonistin strahlte. „Am wichtigsten sind mir die Kinder und ich habe im Video gesehen wie die Erzieherin sehr aufmerksam und entspannt mit den Kindern umging.“ In einer kurzen Rückmeldung habe sie der Erzieherin ihre Zufriedenheit mitgeteilt.

Während dieses Rollenspiels hatte wieder eine der TeilnhmerInnen der Gruppensupervision die Rolle der ‚Ängstlichkeit‘ der jungen Leiterin eingenommen. In der Rückmeldung aus der Rolle teilte sie mit, dass sie sich als Ängstlichkeit recht überflüssig gefühlt habe. Die Erzieherin gab bei der Rückmeldung aus der Rolle ihrer Zufriedenheit Ausdruck, anerkannt zu werden und zeigen zu dürfen, was sie kann, ohne andauernd Kritik durch die Leitung fürchten zu müssen.

6 Doppeln in der Fortbildung

Berufsspezifische Fortbildungen zielen darauf ab, fachspezifisches Wissen zu vermitteln, dieses berufsbezogen zu reflektieren und Möglichkeiten aufzuzeigen, neu erworbene Fertigkeiten ins berufliche Handeln zu integrieren. Insbesondere in der professionellen Arbeit mit Menschen ist es sinnvoll, die Selbstreflexion der BeraterInnen, Beziehungsreflexion der KlientInnen und methodische Kenntnisse miteinander zu verbinden. Das handlungsorientierte Psychodrama berücksichtigt den Zusammenhang zwischen diesen Aspekten. Psychodramatisch orientierte Fortbildungen können daher zeitweilig Momente der bewusst gewollten Selbsterfahrung beinhalten oder beiläufig mit anregen, den Fokus auf die Beziehungsdynamik eines Klientels lenken oder die Aneignung komplexerer Handlungsabläufe verfolgen (z. B. psychodramatische Arrangements).

Die Gesprächsführung z. B. mit stark belasteten Eltern in einem sozialen Brennpunkt bedarf einer inneren Klarheit der BeraterIn über das Ziel der Beratung, einer präzisen Wahrnehmung der Beziehungsdynamik der Familie, der zu erwartenden Abwehrstrategien sowie Bewusstheit über mögliche eigene Stolpersteine. Ein kurzes Rollenspiel während der Fortbildung dient dazu, sich in die Gesprächssituation einzufühlen und sich gleichzeitig selber kritisch-wohlwollend wahrzunehmen.

Das Doppeln durch die LeiterIn der Fortbildung vor einem Rollenspiel unterstützt die ProtagonistIn, sich gedanklich zu konzentrieren, eigene Fähigkeiten und Ressourcen ins Bewusstsein zu rücken und glaubwürdige Selbstinstruktionen für das vor ihr liegende Gespräch zu formulieren (z. B. „Wie geht es mir jetzt? Was will ich mit diesem Gespräch erreichen? Was ist für mich selber an diesem Gespräch wichtig? Welche Befürchtungen plagen mich? Was kann ich mir zur eigenen Ermutigung mit auf den Weg geben?“). Die Ermutigung kann dabei sowohl durch Worte ausgedrückt werden, als auch durch ein Symbol, das die ProtagonistIn in der gespielten und später der realen Gesprächssituation bei sich trägt. Die Bedeutung der Symbole muss dabei nicht unbedingt offenbart werden; es reicht, wenn sie der ProtagonistIn selber bekannt ist. In einem dem Rollenspiel nachfolgenden Interview können die neuen Erfahrungen reflektiert werden. Ehrliche Rückmeldungen aus den Rollen der Eltern helfen der ProtagonistIn, die Wirkung des eigenen Verhaltens auf die Eltern realistisch einzuschätzen.

Eine für die ProtagonistIn entlastende Variante ist, die Rolle der BeraterIn im Rollenspiel durch mehrere DoppelgängerInnen besetzen zu lassen. Der Stuhl der BeraterIn bleibt zunächst unbesetzt. Die Doppelgängerin übernimmt die Rolle der ProtagonistIn, verleiht dieser aber durch eigene Ideen, Impulse und ihr Handeln eine persönliche Qualität. „Aufgrund der gefühlten Ähnlichkeit zwischen ProtagonistIn und DoppelgängerIn und der Differenz zwischen den Gedanken, Gefühlen und Impulsen der DoppelgängerIn zu denen der ProtagonistIn entsteht das hilfreiche Moment.“ (Stadler und Kern 2010, S. 119). Dieses Vorgehen erweist sich insbesondere dann als sinnvoll, wenn die ProtagonistIn sich im Rollenspiel selber stark verunsichert fühlt und dadurch ihre Ausdrucksfähigkeit in hohem Maße situationsgebunden eingeschränkt ist („Mir wäre es lieber, wenn ich aus der Rolle auch hinaus schlüpfen könnte und mir von außen ansehe, welche Möglichkeiten der Intervention es gibt. In der Beratung selber, wenn ich mit den Eltern alleine bin, fühle ich mich sicherer.“). Der sich entwickelnde Beratungsprozess ist recht flüssig und wird immer wieder von neuen Ideen genährt. Die Verwendung mehrerer DoppelgängerInnen ermöglicht es immer wieder, von der Bühne zu gehen, das Beratungsgeschehen aus sicherem Abstand zu betrachten und wieder in die Rolle der BeraterIn zu schlüpfen. Diese Szenen können sehr lebendig werden. Die ständige physische Bewegung bringt die Gedanken ins Fließen.

Das Doppeln der ProtagonistIn durch die LeiterIn der Fortbildung während eines gespielten Beratungsprozesses dient dazu, die ProtagonistIn auf ihrem Wege zu halten, wenn diese sich von den Eltern auf Nebenpfade locken lässt. Formulierungen wie „Ist das noch mein Ziel?“ geben einen Anstoß zur Selbstreflexion. Eine weitere Möglichkeit ist eine fertige Intervention („Ich möchte noch einmal auf Ihren Sohn zu sprechen kommen?“). Weitschweifige Floskeln der ProtagonistIn, in denen ihre Unsicherheit zum Vorschein kommt, können durch knappe Formulierungen ersetzt werden, welche die fachliche Kompetenz der BeraterIn/ProtagonistIn unterstreichen und das Gefühl von Sicherheit stärken können. Es empfiehlt sich, mit der ProtagonistIn Kriterien für das Doppeln als Intervention zu besprechen, damit das Doppeln als hilfreich und nicht als beschämende Kritik erlebt wird.

Durch Doppeln z. B. von Familiengliedern und wesentlichen Haltungen und Emotionen in der Familie („Als Neugier von Frau K. möchte ich das Schweigen von Herrn K. durchbrechen.“ – „Als Schweigen von Herrn K. merke ich, wie sehr dieser meinen Schutz braucht.“ – „Als Lebenslust der 15jährigen Tochter fühle ich mich durch die spürbare Angst, meine Eltern könnten sich trennen, gebremst.“ – „Als 18jähriger Sohn finde ich es schade, dass mein Vater seine offene Art von früher verloren hat.“) kann das Verständnis der BeraterIn für alle Familienglieder und ihre Beziehungsdynamik erhellen. Ein besonnenes und ruhiges Erleben der Familie durch Stellvertreter kann der BeraterIn in der weiteren Familienberatung helfen allen Familiengliedern gegenüber wieder eine wohlwollend neutrale Position einzunehmen und ihre Handlungsfähigkeit zu erweitern. Die Einfühlung der BeraterIn in die Familienglieder kann durch Rollentausch mit den verschiedenen Personen und Haltungen intensiviert werden. Ein vertieftes Verständnis für die Familie ermöglicht es der BeraterIn, die Familie weiterhin auf ihrem Weg zu begleiten.

In der psychodramatischen Aufstellung von Familien bildet sich sehr rasch das tatsächliche Beziehungsgefüge der realen Familien ab, ohne dass die Familien den TeilnehmerInnen einer Fortbildung bekannt sein müssen. Moreno erklärt dies durch Tele. Tele verstand Moreno als den „generellen interpersonalen Prozess, mit dem wir uns alle miteinander verbinden“ (Holmes 1992, S. 45, zit. in Krüger 2010, S. 228).

Das folgende Beispiel entstammt einer Fortbildung zum Thema ‚Gesprächsführung bei vermuteter Kindeswohlgefährdung‘.

Das vergessene Kind“:

Vorgestellt wurde eine sehr große Familie, in der alle Erwachsenen intensiv miteinander in sehr emotionalen und heftigen Streits verstrickt waren. Die Beraterin stellte die Familie durch ein kurzes Eindoppeln vor: die Kindesmutter war 17 Jahre alt und drogenabhängig. Die Beraterin erwähnte kurz, dass das Kind, dem ihre Sorge galt, 2 Jahre alt sei. Der 18jährige Kindesvater hatte gerade eine Ausbildung abgebrochen und lebte noch bei seiner 50 Jahre alten Mutter, die sich in zahlreichen Gesprächen mit ihrer besten Freundin sehr abschätzig über ihren Sohn und ihren geschiedenen Mann äußerte. Die 42jährige Mutter der Kindesmutter trennte sich gerade von ihrem Mann, der sie wiederholt geschlagen hatte, und beabsichtigte zu einem neuen Partner zu ziehen.

Dem Eindoppeln folgte ein sehr lautes und emotional gefärbtes Rollenspiel, in dem sich die Erwachsenen beschimpften, beleidigten und sichtlich mit sich selber beschäftigt waren. Erst nach mehreren Minuten fiel einer Zuschauerin ein, dass das zweijährige Kind im Rollenspiel überhaupt nicht vorkam. Spontan übernahm sie die Rolle des Kindes und klammerte sich an ihre Mutter, die ihr Kind heftig von sich stieß. Das Kind rannte weiter zu den anderen Erwachsenen, die es nicht beachteten.

In der Rückmeldung aus den Rollen äußerten die MitspielerInnen, dass sie so in ihr Spiel verfangen gewesen seien, dass sie das Kind von Anfang an nicht vermissten und auch später gar nicht bewusst wahrnahmen. Die BeraterIn, welche die Familie vorgestellt hatte, war emotional sehr getroffen. Im Rollenspiel hatte sie die Rolle der 17jährigen Mutter übernommen und war erschüttert, dass sie im Rollenspiel ‚ihr Kind‘ spontan weggestoßen hatte. Sie hatte das spontane Wegstoßen des Kindes im Rollenspiel nicht nur als mögliche Reaktionsweise der realen Mutter des kleinen Kindes verstanden, sondern zu ihrem eigenen Erschrecken als eigene Reaktion als Mutter eines eigenen kleinen Kindes eingeordnet („Wenn ich in der Rolle so spontan handele, was bin ich dann selber für eine Mutter?“). Es bedurfte eines intensiven längeren Gespräches in der Gruppe und eines ausführlichen Sharings über eigene spontane Handlungen aller TeilnehmerInnen der Fortbildung, bis die BeraterIn wieder ruhig wurde und Klarheit über ihre eigene Identität erlangte („Ich kann zwar mal ärgerlich auf meine Kinder sein, aber ich stoße sie nicht weg.“). Als BeraterIn könne sie sich emotional sehr gut in ihre KlientInnen einfühlen, müsse aber aufpassen, dass sie durchgängig in sich selber gut spürbar verankert bliebe.

Die Fähigkeit des emotionalen Mitschwingens mit einem anderen Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung für Beziehungsfähigkeit zwischen Menschen. Die Fähigkeit geistig in Bewegung zu blieben und wieder zurück zu schwingen zu sich selber ist zentral ein wesentliches Zeichen von Professionalität.

7 Resumé

Das Doppeln hilft in der Einzelberatung, einen wohlwollend-selbstkritischen Dialog der ProtagonistIn mit sich selber in Gang zu setzen, Haltungen zu verändern und zu neuem Handeln zu ermutigen.

In der Paarberatung gibt das Doppeln durch die BeraterIn dem Paar einen Anstoß, einen lebendigen und konstruktiven Dialog aufzunehmen. Das wechselseitige Doppeln der Partnerinnen weist darauf hin, wieweit ein emotionales Verstehen und Wahrnehmen zwischen den PartnerInnen möglich ist.

Das Doppeln in der Familie durch die Familienglieder selber verdeutlicht, welche Bilder in der Familie voneinander bestehen. Das Doppeln hilft der Familie, sich über die unterschiedlichen Erlebens- und Sichtweisen auszutauschen und Empathie zu entwickeln. Das Doppeln eignet sich auch zum Einstieg in Familienskulpturen zur Verdeutlichung der wechselseitigen Wahrnehmung in den Familien. Beim Doppeln können die Motive eigenen Handelns offenbart werden und so zu einem tieferen Verständnis für die Beziehungsdynamik in der Familie führen.

In der Supervision und in der Fortbildung hilft das Doppeln in die Rolle des Anderen hinein zu schlüpfen und im folgenden Rollenspiel mit Rollentausch sich selber aus der Sicht des Anderen wahrzunehmen. Das Doppeln in der Fortbildung lässt sich als eine „Schnellanleitung“ für die zu spielenden Personen ansehen, die im psychodramatischen Rollenspiel die für die vorgestellten Familien typischen Beziehungsdynamiken generieren. Das Doppeln lässt sich als einen zielgerichteten ersten Schritt zum besseren Verstehen von sich selber und den Anderen ansehen und als Anwärmung für anstehende und notwendige Veränderungen.