1 Einleitung

Vor nunmehr einem Vierteljahrhundert wurde mit der Ratifizierung der Bologna-Erklärung (1999) der Startschuss für einen grundlegenden Wandel in der Struktur der europäischen Hochschulbildung gegeben. Die Zielperspektive – die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums – war gleichzeitig an eine Transformation der universitären Organisationslogik hin zu New Public Management und damit auch an einen verschärftem Wettbewerb gekoppelt. Beides hat in den erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen deutliche Spuren hinterlassen, denn mit der so in Gang gesetzten Reform des europäischen Hochschulwesens, das sich mit Fligstein und McAdam (2012a, S. 69) auch als „exogene Erschütterung“ des akademischen Feldes fassen lässt, haben sich neue Handlungsspielräume in der Curriculumgestaltung für kollektive Akteure aus sehr unterschiedlichen Bereichen eröffnet. So waren Hochschule und Fachvertretende dazu aufgefordert, Studiengänge im Bachelor- und Masterformat zu entwickeln und damit kollektiv bindende Entscheidungen in kollektiven Prozessen zu treffen, in denen sowohl organisationale Regelerwartungen zu erfüllen als auch bisherige kollektive Übereinkünfte über die Studiengänge – verbürgt in studiengangsbezogenen Rahmenordnungen als auch in standortbezogenen Ausgestaltungsvarianten – neu zu verhandeln waren. Im Zusammenspiel von Bologna-Reform und New Public Managementstrukturen, die einen Wandel von Hochschulen zu Organisationen mit eigenen Profilbildungsansprüchen und Wettbewerbszwängen bedingen (Heinze und Krücken 2012, S. 8), entstand so ein hochdynamisches Feld (Fligstein und McAdam 2011, 2012b) kollektiver Aushandlungsprozesse zukunftsfähiger Curricula als Anforderung nicht nur an die Erziehungswissenschaft.

Für die erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengänge – wie für die meisten anderen Studiengänge in Deutschland auch, existierte – zumindest auf der Ebene der formalen Struktur (Meyer und Rowan 1977) – bereits vor der Bologna-Reform ein nationaler Rahmen für die Studien- und Prüfungsordnungen, der ihre Einrichtung und fachliche Ausrichtung regelte (KMK 1969, 1989). Mit den neuen Anforderungen stand nicht nur dieser Rahmen zur Debatte, der maßgeblich von der erziehungswissenschaftlichen Fachgesellschaft (DGfE) seit Beginn der Einrichtung erziehungswissenschaftlicher Diplomstudiengänge im Jahr 1969 mit geprägt worden war. Auch die schon vor der Bolognareform als hoch different markierten lokalen Wissenschaftskulturen (Grunert und Seeling 2003; Lüders 1989; Thiersch 1974) und ihre Akteur:innen waren aufgefordert, sich mit den gewachsenen Strukturen und curricularen Ausrichtungen an den Standorten neu auseinanderzusetzen. Während die bundesweite Rahmenordnung nun durch hochschulbezogene Gestaltungsspielräume (Teichler 2016) und ein dezentrales Akkreditierungssystem abgelöst wurde – bei dem bis heute offen bleibt, welche Rolle darin die Empfehlungen für ein Kerncurriculum durch die Fachgesellschaft spielen (z. B. DGfE 2004, 2010; Grunert und Ludwig 2019) – wurden die inhaltlichen Ausgestaltungen und Gewichtungen primär zur Sache der Aushandlung zwischen den lokalen Fachakteur:innen und den je standortspezifischen hochschulischen Rahmenbedingungen und Akteurskonstellationen. War die Studiengangsentwicklung schon seit der Einführung des Diplomstudiengangs ein vielfältig umkämpftes Gebiet, bei dem vor allem um die Platzierung und Gewichtung teil-disziplinärer Studienanteile gerungen wurde (Ludwig und Grunert 2020), so bot die Bolognareform nun Möglichkeiten der Neuverhandlung des status quo und der standortbezogenen Übersetzung neuer und „bestehende(r) Regeln und Ressourcen in die Produktion lokaler Ordnungen“ (Fligstein und McAdam 2012a, S. 74).

Über verschiedene Forschungszugänge haben wir im Kontext eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes und darüber hinaus diesen Prozess bis heute begleitet und sowohl die Veränderungen in der Struktur und den inhaltlichen Ausrichtungen der Studiengänge in den Blick genommen (Grunert 2004, 2012; Grunert et al. 2016; Grunert und Ludwig 2016a; Grunert et al. 2020, 2024) als auch die kollektiven Aushandlungsprozesse von Akteur:innen der Erziehungswissenschaft im Zuge der Gestaltung von BA- und MA-Studiengängen untersucht (Grunert und Ludwig 2016b, 2022; Ludwig 2019a; Ludwig und Grunert 48,49,a, b, 2020). Im Folgenden werden wir vor diesem Hintergrund im Anschluss an einige Überlegungen zur Relevanz von Studiengängen für wissenschaftliche Disziplinen allgemein und für die Erziehungswissenschaft im Besonderen im historischen Rückblick bis zur Gegenwart nach den Wandlungsprozessen fragen, die erziehungswissenschaftliche Studiengänge bis heute auf struktureller und inhaltlicher Ebene durchlaufen haben. Dies geschieht entlang der zentralen Diskussionslinie, die die Erziehungswissenschaft seit Einführung des Diplomstudiengangs begleitet und sich an der Frage nach dem Verhältnis von allgemeinen und speziellen Studienanteilen und -inhalten aufspannt. Im Anschluss diskutieren wir diese Entwicklungen unter anderem auf Basis unserer qualitativen Befunde.

2 Zum Verhältnis von Studiengängen und wissenschaftlichen Disziplinen – Wissenschaftstheoretische Bestimmungen und Besonderheiten der Erziehungswissenschaft

Wissenschaftsdisziplinen sind keine statischen Gebilde, sondern dynamische Formen der Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems. Stichweh (1993, 1994) fasst Wissenschaftsdisziplinen als Forschungs- und Kommunikationsgemeinschaften, die durch gemeinsame Problemstellungen und Gegenstände sowie Forschungsmethoden zusammengehalten werden und die immer auch in spezifische institutionelle Kontexte eingebettet sind, die ihnen als organisatorische Infrastruktur dienen (ähnlich Abbott 2001). Dabei betont Stichweh (1994, S. 17), dass – um von einer Disziplin als einem komplexen Gebilde aus disziplinärer Kommunikation und institutioneller Organisation sprechen zu können – Strukturen notwendig sind, die auf die Disziplin bezogene Sozialisationsprozesse und Karrieren ermöglichen. Universitäten und die hier angesiedelten Ausbildungsmodelle spielen hierfür eine zentrale Rolle. Studiengänge können damit als institutionalisierte Form disziplinärer Selbstreproduktion gefasst werden und sind ein zentrales Element der Etablierung und Stabilisierung einer Wissenschaftsdisziplin über mehrere Generationen hinweg. Sie markieren über ihre Curricula jedoch nicht nur das, was an disziplinären Wissensbeständen tradierungswürdig und konsensfähig ist (Stichweh 1994), sondern sie sind immer auch Ausdruck innerdisziplinärer Dynamiken und Grenzziehungsarbeiten (Gieryn 1983, 1998), die sowohl auf die „soziale Bedingtheit“ (Fleck [1935] 2017, S. 121) der Entwicklung und Ausdifferenzierung von Wissenschaftsdisziplinen verweisen als auch auf die Abhängigkeit disziplinärer Transformationsprozesse von den Sozial- und Machtbeziehungen innerhalb – und gerade im Fall der Erziehungswissenschaft auch außerhalb – des akademischen Feldes (Bourdieu 1992).

Denn für die Erziehungswissenschaft als „Wissenschaft von der Praxis für die Praxis“ (Wulf und Zirfas 2014, S. 517) ist gerade ihre Hybridstellung zwischen Wissenschaft und pädagogischer Praxis zwar identitätsstiftend, erzeugt aber auch Spannungsmomente. Stärker als andere Disziplinen ist die Erziehungswissenschaft darüber mit Anforderungen von außen – sowohl der konkreten pädagogischen Handlungsfelder als auch immer neuer gesellschaftlicher Problemlagen, die als pädagogisch relevant erachtet werden – konfrontiert (Oelkers 2020; Rieger-Ladich 2007), die wiederum nach den Regeln des Wissenschaftssystems zu bearbeiten und zu legitimieren sind. Erziehungswissenschaftliche Hauptfachstudiengänge müssen deshalb immer auch als Scharnier zwischen Disziplin und Profession betrachtet (Drieschner 2015) und vor diesem Hintergrund gestaltet werden. Dabei erscheint – folgt man den Argumentationsfiguren in der Zeit seiner Einführung (Merkens et al. 1975) – die Implementation des erziehungswissenschaftlichen Diplomstudienganges Ende der 1960er-Jahre zunächst als Teil eines sekundären Disziplinbildungsprozesses (Stichweh 1994), der sich an den Handlungsproblemen und Qualifikationsanforderungen einer vorgängigen Praxis orientiert. Allerdings machen gerade auch die damaligen Reaktionen potenzieller Anstellungsträger darauf aufmerksam, dass nicht nur Bedarfe der beruflichen Praxis, sondern vor allem auch disziplinäre Entwicklungsbestrebungen und -dynamiken für dessen Etablierung relevant waren (Busch und Hommerich 1981). Der Erfolg der Absolvent:innen auf dem Arbeitsmarkt (Krüger et al. 2003) verweist dann auch darauf, dass sekundäre Disziplinbildung und sekundäre Professionalisierung im Fall der Erziehungswissenschaft eine „Expansionssymbiose“ (Kraft 2012, S. 291) eingegangen sind, durch die „vielfältige neue Berufsmöglichkeiten für universitätsausgebildete Fachkräfte“ (Otto und Rauschenbach 2002, S. 21) erst entstanden sind. Erziehungswissenschaftliche Studiengänge haben also immer auch teil „an der sozialen Konstruktion des ‚Bedarfs‘, den sie selbst befriedigen“ (Stock 2017, S. 353).

Studiengangs‑, Disziplin- und Professionsentwicklung sind in der Erziehungswissenschaft somit wechselseitig aufeinander verwiesen, so dass gerade auch die Ausdifferenzierung von handlungsfeldbezogenen Spezialisierungen in Studiengängen mit zur Etablierung der Disziplin im akademischen Feld beigetragen hat. Hinter dieser Verwiesenheit und der gleichzeitigen Ausdifferenzierung von Handlungsfeldbezügen verbirgt sich aber auch ein Spannungsfeld, das nicht nur ein Austarieren von wissenschaftlichem Wissen, das im Wissenschaftssystem entlang von Theorieproblemen angesiedelt ist und einem Professionswissen, das stärker im Erziehungssystem und darin auftretenden Handlungsproblematiken verortet wird, notwendig macht (Vogel 2016; ähnlich Meyer-Drawe 2002; Tenorth 1999). Vielmehr geht damit vor allem auch für die Studiengangsentwicklung die Frage einher, für welche Handlungsfelder die Erziehungswissenschaft als Teil des Erziehungssystems überhaupt verantwortlich sein soll, wie sich diese zur Erziehungswissenschaft als Referenzdisziplin relationieren und was über die Handlungsfelder hinweg als allgemeines Grundlagenwissen gelten kann (Osterloh 2002). Für die Studiengangsgestaltung stellt sich dann zudem die Frage, wie grundlagen- und handlungsfeldbezogene Wissensbereiche zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Diese Fragen wurden seit der Einrichtung erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge wiederholt aufgerufen (Horn 2014; Jergus et al. 2022; Otto und Rauschenbach 2002; Thiersch 1989) und nicht zuletzt in den Diskussionen um ein erziehungswissenschaftliches Kerncurriculum seit 1968 immer wieder verhandelt und im Zuge der Bologna-Reform neu zur Disposition gestellt (im Überblick Ludwig 2019b; Ludwig und Grunert 2020).

3 Ein Ringen von Anfang an: spezielle und/oder allgemeine Studieninhalte?

Von Beginn an wurde vor diesem Hintergrund sowohl um die Anzahl als auch die Platzierung von Studienrichtungen im Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft debattiert (schon Thiersch 1974), die seit Ende der 1970er-Jahre zunehmend vielfältiger wurden. In einer Befragung an westdeutschen Hochschulen von 1988 durch die DGfE (Wagner-Winterhager 1990)Footnote 1 wurde deutlich, dass Sozialpädagogik/Sozialarbeit (20 %), Erwachsenenbildung/Weiterbildung (11–21 %Footnote 2) und in geringerem Maße Berufs‑/Betriebspädagogik (9 %) und Sonderpädagogik (8 %) die zentralen Studienrichtungen ausmachten. Diese wurden allerdings zum einen noch von der Studienrichtung ‚Schule/Schulpädagogik‘ (23 %) anteilsmäßig überboten und zum anderen bereits damals durch eine Vielzahl weiterer Studienrichtungen ergänzt (Elementar-/vorschulische Erziehung/Kleinkindpädagogik mit 5 %, Familienpädagogik ebenso wie Medienpädagogik mit 2 % und je 2 Standorten sowie unikat etwa Verkehrserziehung).

Während die ad-hoc-Kommission der DGfE 1978 noch die Einrichtung der Studienrichtung ‚vorschulische Erziehung, frühkindliche Erziehung, Familienpädagogik‘ über die fünf in der Rahmenordnung von 1969 verankerten (Schule, Sozialpädagogik und Sozialarbeit, Erwachsenenbildung und außerschulische Jugendbildung, betriebliches Ausbildungswesen, sonderpädagogische Einrichtungen) hinaus empfahl, entschied die KMK 1984 angesichts der als „ausufernd“ wahrgenommenen Pluralisierung, die bereits mit der Einrichtung der Diplomstudiengänge einsetzte (Langenbach et al. 1974), keine neuen Studienrichtungen mehr zuzulassen (Wagner-Winterhager 1990, S. 46). In der Rahmenordnung von 1989, die auch richtungsweisend für die Ausgestaltung der neu hinzukommenden ostdeutschen Hochschulen wurde, finden sich dann auch nur noch die Studienrichtungen Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Sonderpädagogik, Sozialpädagogik, Pädagogik der frühen Kindheit und Schulpädagogik. Während die Aufnahme der Pädagogik der frühen Kindheit mit einem „eigenen Theoriebestand“ sowie einem „hinreichend umfangreiche[n] Berufsfeld“ begründet wurde, wurde die Studienrichtung betriebliches Ausbildungswesen nicht zur Weiterführung empfohlen (KMK 1989, S. 28). So war die Studienrichtung lediglich an wenigen Standorten eingerichtet worden und benötige zu „große Anteile von technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen […], daß sinnvollerweise von einem Hauptfachstudium Erziehungswissenschaft nicht mehr gesprochen werden kann“ (KMK 1989, S. 28). In beiden Fällen finden sich sowohl handlungsfeld- als auch disziplinbezogene Begründungsfiguren und wird eine Grenzziehungsarbeit an den Konturen der Erziehungswissenschaft deutlich. Studienrichtungen werden mit anderen Worten dann fachgesellschaftlich als solche anerkannt, wenn die Trias aus Bezügen auf eigene Theoriekonzepte, ein eigenes Handlungsfeld sowie die Erziehungswissenschaft als Referenzdisziplin hinreichend etabliert ist.

Allerdings ergab die Befragung der DGfE von 1988 (Wagner-Winterhager 1990), dass tatsächlich deutlich mehr Studienrichtungen in die Studiengänge Eingang gefunden hatten und dass eine Vielfalt von Fachbezeichnungen auch innerhalb ähnlich gelagerter Studienrichtungen vorlag. Betrachtet man die im Studienjahr 2000/2001Footnote 3 angebotenen Studienrichtungen in den erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengängen, dann werden einerseits Konsolidierungstrends etwa der Erwachsenenbildung/Weiterbildung, Sonderpädagogik und Sozialpädagogik sowie in geringerem Maße im Fall der Pädagogik der frühen Kindheit deutlich, andererseits zeichnet sich auch weiterhin eine recht hohe Dynamik bei der Integration von Studienrichtungen über die Vorgaben der Rahmenordnung hinaus ab. So kann sich die Berufspädagogik trotz der Nichtaufnahme in die Rahmenordnung weiter als Studienrichtung etablieren und mit bspw. der Medienpädagogik, der Organisationsentwicklung oder auch der interkulturellen Pädagogik ist eine Vielfalt an Studienrichtungen an einer kleineren Anzahl von Standorten oder auch unikat vertreten.

Auf dieser Basis erfolgte dann ab 2000 allmählich die Umstellung auf das zweigeteilte Bachelor- und Mastersystem. In einer Umfrage aus dem Jahr 2003 (Grunert 2004) wird allerdings die Zögerlichkeit deutlich, mit der sich die erziehungswissenschaftlichen Diplomstandorte auf die Bolognareform einstellten. Bis dahin hatten lediglich 5 Standorte ihr Ausbildungsangebot umgestellt, 20 planten dies, aber immerhin 16 Universitäten gaben an, dies gar nicht erst vorzuhaben. Allerdings wissen wir heute, dass sich eine Beibehaltung des Diploms in keinem der Fälle umsetzen ließ, auch wenn es vehemente Kritik am neuen System gab (z. B. Kessl 2006; Lenzen 2014; Wuggenig 2008). Die ersten Daten zur Frage, wie Studiengänge in erziehungswissenschaftlicher Verantwortung diesen Prozess vor dem Hintergrund der Frage bearbeitet haben, wie sich im Spannungsfeld von allgemeinem und Handlungsfeldbezug Bachelor- und Masterstudiengänge gestalten lassen, liegen für das Wintersemester 2011/12 vor (Grunert 2012; Stisser und Horn 2012). Deutlich wurde schon zu diesem Zeitpunkt, dass – auch wenn im Kontext der Fachgesellschaft ein Diskussionsprozess um ein Kerncurriculum angestoßen und vehement geführt wurde (Austermann et al. 2004) – der Reformprozess an den einzelnen Standorten kaum in eine übergreifende disziplinäre Verständigung eingebettet war. Aus den ehemaligen Diplom- oder Magisterstudiengängen mit der mehrheitlichen Fachbezeichnung ‚Erziehungswissenschaft(en)‘ bzw. ‚Pädagogik‘ und integrierten Studienrichtungen wurden nun Bachelor- und Masterstudiengänge in Ein- und Zwei-Fach-Modellen, die an einzelnen Standorten mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Umfängen implementiert wurden. Diese tragen nicht nur häufiger verschiedene Fachbezeichnungen, sondern Handlungsfeldbezüge haben sich darin entweder in eigenen spezialisierten Studiengängen deutlich stärker institutionalisiert oder sind in eher generalisierten Studiengängen weiterhin als Studienrichtungen integriert. Im Folgenden werden wir diesen Veränderungen im Zeitverlauf weiter nachgehen.

3.1 Zur teildisziplinären Ausdifferenzierung: Handlungsfeldbezüge in generalisierten und spezialisierten erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen

Bereits bei Diplom- und Magisterstudiengängen konnte eine Tendenz für vielfältige Fachbezeichnungen der Studiengänge beobachtet werden, allerdings konzentrierten sich im Studienjahr 2000/01 immerhin 74 % der Studiengänge auf die Bezeichnungen ‚Erziehungswissenschaft(en)‘ oder ‚Pädagogik‘. Die Fachbezeichnungen der neuen Studiengänge wiesen hingegen schon in den ersten Erhebungen auf die sich verstärkende Tendenz zur teildisziplinären Verselbständigung über die Etablierung spezialisiert handlungsfeldbezogener Studiengänge hin (Grunert 2012). So gaben sich nur noch 60 % der Bachelor- und 33 % der Masterstudiengänge ein Label ohne damit gleichzeitig ein konkretes Handlungsfeld zu markieren. Mehrheitlich war dies der Disziplinbegriff Erziehungswissenschaft, der aber auch durch den Begriff ‚Pädagogik‘ oder – mit der Bologna-Reform neu – auch ‚Bildungswissenschaft‘ ersetzt oder ergänzt wurde (mal in Singular-, mal in Pluralvarianten). Studiengänge mit einer solchen Fachbezeichnung haben wir in unseren Untersuchungen als ‚generalisierte Studiengänge‘ bezeichnet, auch wenn dies zunächst nur dem Label nach gelten kann. 35 % der BA- und 51 % der MA-Studiengänge wählten demgegenüber eine Fachbezeichnung, die ausschließlich auf den Handlungsfeldbezug des Studiengangs abstellte und 5 % der BA- sowie 16 % der MA-Studiengänge kombinierten beides miteinander. Für diese Studiengänge verwenden wir im Folgenden die Bezeichnung spezialisierte Studiengänge. Die bereits 2012 zu beobachtende Vielfalt in den Fachbezeichnungen der Studiengänge setzt sich auf ähnlichem Niveau bis heute fort (Grunert et al. 2024, S. 45). Dabei ist das Verhältnis von generalisierten und spezialisierten Studiengängen seit 2012 nahezu gleich geblieben und liegt im BA bei 62 zu 38 % und im MA bei 35 zu 65 %.

Auch wenn Studiengänge eine generalisierte Fachbezeichnung tragen, verankern sie verschiedene erziehungswissenschaftlich relevante Handlungs- und Themenfelder als Pflichtbestandteile oder als wählbare Schwerpunkte in ihren Studienprogrammen. Alle generalisierten Studiengänge tun dies und aktuell etwa 60 % im Umfang von 30 Leistungspunkten und mehr (Grunert et al. 2024, S. 32). Insofern sagt allein die Fachbezeichnung noch nichts über die handlungs- oder themenfeldbezogene Ausrichtung generalisiert gelabelter Studiengänge aus.

Nimmt man beides zusammen und fragt nach den Entwicklungen der Handlungsfeldbezüge in erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen, dann zeichnen sich einige Trends ab, die zunächst deutlich machen, dass sich bis auf die Schulpädagogik alle ehemaligen in der Rahmenordnung von 1989 verankerten Studienrichtungen auch in eigenen Studiengängen institutionalisieren konnten (vgl. Tab. 1).

Tab. 1 Anzahl der Standortea und Studiengänge mit spezialisierter Studienfachbezeichnung 2000/01, 2014/15 und 2022/23 & Anzahl verpflichtender sowie wählbarer Studienrichtungen (STR) an Standorten und in Studiengängen mit generalisierter Studienfachbezeichnung 2000/01, 2014/15 und 2022/23 (Auswahl). (Quellen: 2000/01: eigene Berechnungen auf Basis der Analyse der archivierten Universitätswebseiten (archive.org); 2014/15: Daten aus Grunert et al. 2016, 2022/23: Daten aus Grunert et al. 2024)

Dies gilt in besonderem Maße für die Sozialpädagogik und die Erwachsenenbildung/WeiterbildungFootnote 4. Allerdings wird im Vergleich zum Jahr 2000 deutlich, dass die Erwachsenenbildung deutlich mehr Standortpräsenz eingebüßt hat als die Sozialpädagogik. War sie im Studienjahr 2000/01 noch an 46 Standorten als eigener Studiengang oder Studienrichtung vertreten, so ist sie im Jahr 2022/23 noch an 31 Standorten in BA- oder MA-Studiengängen integriert. Die Sozialpädagogik konnte sich auf ähnlichem Niveau halten und bis heute auch deutlich mehr Studiengänge mit entsprechender Fachbezeichnung für sich verbuchen (8 BA und 12 MA). Der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist dies mit 7 MA-Studiengängen vor allem im Masterbereich gelungen. Beide scheinen allerdings seit 2014/15 in eine Konsolidierungsphase ihrer Standortpräsenz eingetreten zu sein.

Stärkere Dynamiken zeigen sich etwa im Kontext der Schulpädagogik, die den größten Bedeutungsverlust in den erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen seit der Bolognareform erfahren hat sowie der Kindheitspädagogik, die im Längsschnitt deutliche Institutionalisierungsgewinne für sich verbuchen konnte. War sie im Studienjahr 2000/01 gerade einmal an acht Standorten als Studienrichtung vertreten, konnte sie sich bis zum Wintersemester 2022/23 an elf Standorten in acht BA- und acht MA-Studiengängen mit einem spezifisch gelabelten Studiengang etablieren und ist zudem an zehn Standorten als Studienrichtung in generalisierten Studiengängen vertreten. Im Unterschied zu den anderen spezialisierten Studiengängen zeichnet sich hier auch ein Trend zur schrittweisen Vereinheitlichung der Fachbezeichnung zu ‚Kindheitspädagogik‘ ab, da innerhalb unseres Beobachtungszeitraums Änderungen in dieser Richtung bei mehreren Studiengängen stattgefunden haben.

Interessant erscheint auch der Bereich der Berufs- und Betriebspädagogik, da dieser als Studienrichtung in den Rahmenordnungen der KMK von 1969 und von 1989 gar nicht vorgesehen war und auch die noch 1969 empfohlene Studienrichtung ‚betriebliches Ausbildungswesen‘ von der Fachgesellschaft 1989 explizit nicht zur Einrichtung empfohlen wurde, aber dennoch 2000/01 an 16 Standorten gewählt werden konnte. Zudem gab es zu diesem Zeitpunkt 4 entsprechend gelabelte Studiengänge. Mit der Bolognareform hat sich dieses Handlungsfeld vor allem auf der Bachelor-Ebene etablieren können, dies allerdings weniger in eigenen spezialisierten als vielmehr über die Implementation als Studienrichtung in generalisierten Studiengängen. Insgesamt ist dieses Handlungsfeld nun an 16 Standorten vertreten.

Vor allem auf der Masterebene haben sich zudem bis heute Studiengänge mit eigener Fachbezeichnung etabliert, die 2000/01 noch eher marginal oder gar nicht als Studienrichtung wählbar waren. So war Organisationsentwicklung/Bildungsmanagement im Jahr 2000/01 gerade einmal an 3 Standorten als Studienrichtung integriert und konnte sich bis heute an immerhin 18 Standorten als spezialisierter Studiengang vor allem auf der Masterebene oder Studienrichtung in generalisierten Studiengängen verankern. Dabei zeigen sich durchaus auch Dynamiken im Zeitverlauf, die darauf verweisen, dass Studiengänge in relativ kurzen Zeiträumen immer auch wieder eingestellt oder neu etabliert werdenFootnote 5. Während es 2000/01 noch keine Studienrichtung mit einer Ausrichtung auf Bildungsforschung gab, konnte sich ein solcher Schwerpunkt in den letzten Jahren in Form von spezialisierten Studiengängen insbesondere auf der Masterebene an 5 Standorten, vor allem aber als Studienrichtung im Kontext generalisierter BA- und MA-Studiengänge an 15 Standorten neu etablieren. In diese Kategorie fallen allerdings nicht nur Studiengänge der empirischen Bildungsforschung im engeren Sinne, sondern solche mit einem breiteren Bezug auf Bildungsforschung. Insofern spielt hier nicht nur der Aufstieg der empirischen Bildungsforschung in den letzten Jahren eine zentrale Rolle, sondern auch Bewegungen und Gegenbewegungen in einem breiteren Verständnis dieses Forschungsfeldes. Und auch die Medienpädagogik kann seit 2000/01 einen kontinuierlichen Aufwuchs verzeichnen, weniger in eigenen spezialisierten als vielmehr als Studienrichtung in generalisierten Studiengängen. Sie ist mittlerweile an 21 Standorten und damit an ebenso vielen wie die Rehabilitationspädagogik oder die Kindheitspädagogik in erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen vertreten. Dieser deutliche Zuwachs weist darauf hin, dass sich hier in den letzten Jahren vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungsprozesse im Kontext von Digitalisierung und Mediatisierung ein neues Handlungsfeld in akademischer Bearbeitung entwickelt hat.

3.2 Zur strukturell-inhaltlichen Ausdifferenzierung: Studienanteile und ihre Relationierung

Vor dem Hintergrund des erwähnten Ringens um ein angemessenes Verhältnis fachlich-disziplinärer und professionell-tätigkeitsbezogener Studienanteile haben wir mittels einer quantifizierenden qualitativen Inhaltsanalyse auch die inhaltliche Ausrichtung der Erziehungswissenschaftlichen Bachelor- und Masterstudiengänge über drei Zeiträume hinweg erhoben (für erziehungswissenschaftliche Grundlagen und Forschungsmethoden schon Grunert 2012). Orientiert am Kerncurriculum Erziehungswissenschaft von 2010 (DGfE 2010)Footnote 6 haben wir dabei nach den disziplinären Grundlagenanteilen gefragt wie sie in der Studieneinheit 1: ‚Grundbegriffe, Theorien, Geschichte und wissenschaftstheoretische Ansätze‘ des KCE für den Bachelor verankert sind sowie nach Anteilen an Forschungsmethoden, Studienrichtungen und Praktika. Der Übersichtlichkeit halber visualisieren wir die Veränderungen im Folgenden nur anhand von zwei Zeiträumen, Wintersemester 2014/15 und 2022/23 (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Grundlagenbezogene Anteile in den Bachelor Studiengängen 2014/15 (n = 85), 2018/19 (n = 86) und 2022/23 (n = 90) (in %)

Betrachtet man zunächst den Bereich der Grundlagen der Erziehungswissenschaft separat, dann ist über den beobachteten Zeitraum hinweg zwar ein leichter Rückgang an spezialisierten Studiengängen ohne verpflichtenden Grundlagenbezug zu verzeichnen (2014/15: 25 %; 2022/23: 21 %), jedoch stellt auch weiterhin ein Fünftel der spezialisierten Studiengänge weder einen Bezug zur Erziehungswissenschaft über die Fachbezeichnung des Studiengangs noch in inhaltlicher Hinsicht zu allgemeinen Grundlagenthemen im Sinne der Studieneinheit 1 des KCE her. Dies war bereits im Jahr 2012 bei 28 % der spezialisierten Studiengänge zu beobachten (Grunert 2012, S. 588). So drängt sich hier die Frage auf, inwieweit die Erziehungswissenschaft als Disziplin als Referenzpunkt zur Ausgestaltung dieser Studienprogramme dient und inwiefern sie sich überhaupt als erziehungswissenschaftliche Studiengänge verstehen. Dennoch finden sich auch unter den spezialisierten Studiengängen solche, die einen hohen Anteil an Leistungspunkten in diesen Bereich investieren. Deren Anteil scheint zudem in den letzten Jahren etwas zu wachsen.

Auf der anderen Seite finden sich im Spektrum der generalisierten Studiengänge zwar keine, die ganz auf grundlagenbezogene Inhalte verzichten, aber immerhin etwa elf Prozent, die dem nur sehr geringe Anteile innerhalb des Curriculums widmen. Gleichzeitig scheint es aber in den letzten Jahren auch hier einen Trend zu höheren Anteilen in diesem Bereich zu geben. Insbesondere in generalisiert gelabelten Zwei-Fach StudiengängenFootnote 7 nimmt die Vermittlung von Inhalten der Studieneinheit 1 des Kerncurriculums anteilig einen hohen Stellwert ein und werden aufgrund der geringen Gesamtvolumina, die für die Studiengänge zur Verfügung stehen, handlungs- oder forschungsmethodenbezogene Studienanteile, aber auch Praktika deutlich reduziertFootnote 8.

Um hier noch detaillierter aussagekräftig zu sein, haben wir in unseren Erhebungen seit dem Wintersemester 2014/15 die obligatorischen Studienanteile in Bezug auf Grundlagen, Forschungsmethoden, Studienrichtungen bzw. -schwerpunkte sowie Praktika zueinander ins Verhältnis gesetzt. Mittels hierarchischer Clusteranalyse nach der u. a. auf Mittelwertdistanzen basierenden Ward-Methode (Eckey et al. 2002) konnten wir die Studiengänge zu Gruppen differenzieren, die in ihrer Relationierung der betrachteten Studieninhalte in sich möglichst homogen und untereinander möglichst heterogen sind. Eingegangen in die Clusteranalyse sind die prozentualen Anteile der Inhaltsbereiche in den einzelnen Studiengängen. Deren Verhältnis zum Durchschnittswert der prozentualen Anteile über alle Studiengänge (jeweils getrennt für die BA- und MA-Studiengänge) hinweg, wurde mittels z‑Standardisierung vergleichbar gemacht. In Abb. 2 sind für die Bachelorstudiengänge die z‑standardisierten Abweichungen vom Mittelwert der jeweiligen Inhaltsbereiche dargestellt, die sehr gut die Zusammensetzung der gefundenen Cluster visualisieren.

Abb. 2
figure 2

Bachelor-Studiengangsmuster im Wintersemester 2014/15 (n = 85) und 2022/23 (n = 90) (links z‑standardisierte Abweichungen vom Mittelwert der prozentualen Pflichtanteile am Gesamtumfang, rechts durchschnittliche prozentuale Anteile am Gesamtumfang)

Deutlich wird, dass sich die bereits in der ersten Erhebung identifizierten Studiengangsprofile im Hinblick auf die Relationierung von Anteilen erziehungswissenschaftlicher Grundlagen, Forschungsmethoden, Studienrichtungen/-schwerpunkte und Praktika in ähnlicher Weise bis heute finden lassen. Dabei lassen sich Studiengänge mit einem Fokus auf die Vermittlung allgemeiner Grundlagen und vergleichsweise sehr geringen praktischen und handlungsfeldbezogenen Anteilen (Cluster 2) von Studiengängen unterscheiden, die starkes Gewicht auf Forschungsmethoden legen und ebenso handlungsfeldbezogene Anteile eher minimieren (Cluster 3). Hinzu kommen Studiengänge, die in erster Linie studienrichtungsbezogene Inhalte vermitteln und kaum gesamtdisziplinäre Grundlagen und Forschungsmethoden integrieren (Cluster 4) sowie Studiengänge mit einem starken Praxisbezug in Kombination mit einem überdurchschnittlichen Handlungsfeldbezug (Cluster 5). Eher dazwischen befinden sich Studiengänge, die alle in den Blick genommenen Studieninhalte mit durchschnittlichen prozentualen Anteilen bezogen auf ihre Gesamtumfänge integrieren (Cluster 1).

Über den beobachteten Zeitraum hinweg haben sich, wie bereits angedeutet, die Studiengangsprofile mit vergleichsweise hohem Grundlagenanteil etwas erhöht, ebenso wie Studiengangsprofile mit im Vergleich zum Durchschnitt der Studiengänge höheren Anteilen in den Forschungsmethoden (vgl. Abb. 3). Gleichzeitig sind diejenigen Studiengangsprofile prozentual angewachsen, die einen höheren Studienrichtungs- und Praxisbezug im Vergleich zu allen anderen Studiengängen in sich vereinen. Zudem fällt auf, dass sich die Studiengänge bei aller Unterschiedlichkeit über die Zeit hinweg ähnlicher werden, d. h. die Abweichungen zu den Durchschnittswerten werden innerhalb der Cluster etwas geringer. Zurückzuführen ist dies auf die erwähnte leichte Erhöhung des Anteils an Grundlagen, der sich ähnlich auch in Bezug auf die Forschungsmethoden in den spezialisierten Studiengängen abzeichnet sowie eine leichte Steigerung der Studienrichtungs- und Praktikaanteile in den generalisierten Studiengängen im beobachteten Zeitraum.

Abb. 3
figure 3

Häufigkeit von Bachelor-Studiengangsmustern im Wintersemester 2014/15 und 2022/23 nach generalisierten (links, n 2014/15 = 53, 2022/23 = 56) und spezialisierten (rechts, n 2014/15 = 32, 2022/23 = 34) Studiengängen

Interessant erscheint dabei, dass seit 2014/15 innerhalb der generalisierten Studiengänge diejenigen mit entweder hohem Grundlagen- oder hohem Forschungsmethodenbezug deutlich gewachsen sind und dies auf Kosten der von uns so bezeichneten paritätisch ausgewogenen Studiengänge also denjenigen, die Grundlagen, Forschungsmethoden, Studienrichtungs- und Praxisanteile jeweils durchschnittlich integrieren (2014/15: 53 %; 2022/23: 32 %). Damit machen die stark grundlagenbezogenen Studiengänge nun etwa 27 % der generalisierten Bachelorstudiengänge aus (2014/15: 21 %), bei den stark forschungsmethodenbezogenen Studiengängen sind es 32 % (2014/15: 21 %). Zudem finden sich hier auch 4 Studiengänge, die dem Cluster der studienrichtungs- und praxisbezogenen Studiengänge zugeordnet werden können (2014/15: 1 Studiengang). Im Feld der spezialisierten Studiengänge bildet sich ebenso ein Trend zum Ausbau derjenigen Studiengänge mit hohem Studienrichtungs- und Praxisanteil ab (2014/15: 41 %; 2022/23: 47 %), während sich Studiengänge mit starkem Studienrichtungs-, aber geringerem Praxisbezug im Vergleich zu 2014/15 etwas reduziert haben (2014/15: 47 %; 2022/23: 38 %).

4 Diskussion der Befunde

Die quantitativen Befunde machen zum einen deutlich, dass sich die seit Beginn des Bestehens des erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengangs diskutierte Pluralität insbesondere mit Blick auf die Handlungsfeldbezüge der Studiengänge bis heute fortsetzt und mit dem Bolognaprozess auch einen sichtbaren Institutionalisierungsschub erfahren hat. Zum anderen verweisen gerade die Clusteranalysen auf die Frage nach dem Verhältnis von eher allgemein-erziehungswissenschaftlichen und spezifisch-handlungsfeldbezogenen Studienanteilen, um das von Beginn der Etablierung erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge an gerungen wurde. Auch aktuell wird dies angesichts eines wahrgenommenen Bedeutungsverlustes der Allgemeinen Erziehungswissenschaft, wie er etwa in Studiengangsprofilen, Curricula und Professurdenominationen (Gerecht et al. 2024), aber auch in veränderten Gewichtungen im Kerncurriculum (Grunert 2022) in den letzten Jahren zum Ausdruck kommt, vermehrt aufgerufen (Baader 2022; Jergus et al. 2022).

Verschiebungen in diesem Verhältnis deuteten sich bereits Ende der 1970er-Jahre an, indem von einer ad-hoc-Kommission der DGfE zur Überarbeitung der Rahmenordnung empfohlen wurde, bereits im Grundstudium im Verhältnis 3:1 „allgemeine und spezielle Studien parallel“ anzubieten (Wagner-Winterhager 1990, S. 46), während letztere bis dahin erst im Hauptstudium vorgesehen waren. Bereits Ende der 1970er-Jahre wurde auch eine zunehmende Entfremdung einiger Studiengänge von einem vermeintlich einheitlichen Disziplinbezug beklagt, indem konstatiert wurde, dass ihr „Bezug zu einer allgemeinen Erziehungswissenschaft ebenso gering ist, wie zu anderen Studienrichtungen“ (Wagner-Winterhager 1990, S. 53). Dies bezog sich insbesondere auf diejenigen Studiengänge, die sowohl im Grund- als auch im Hauptstudium kaum noch auf allgemein-pädagogische Inhalte zu setzen schienen. Gewarnt wurde daraufhin vor einer starken „Tendenz zur Abspaltung und Verselbständigung von Studienrichtungen zu eng spezialisierten, berufsfeldbezogenen Studiengängen“ (Wagner-Winterhager 1990, S. 55) und einem Verlust eines einheitlichen disziplinären Referenzrahmens, der jedoch auch selbst immer wieder infrage gestellt wurde. Auch mit der Untersuchung von Macke (1994) zur inhaltlichen Ausrichtung erziehungswissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten zwischen 1945 und 1990 deutete sich an, dass sich die Erziehungswissenschaft von einer auf das Allgemeine bezogenen zu einer teildisziplinär ausdifferenzierten Disziplin entwickelt hatte (Macke 1994, S. 65).

Allerdings ist entgegen der Klage des Verlustes des Allgemeinen in den Hauptfachstudiengängen darauf aufmerksam zu machen, dass die Erziehungswissenschaft ihre institutionelle Expansion an den Universitäten in den letzten 55 Jahren gerade auch ihrer handlungsfeldbezogenen Ausdifferenzierung zu verdanken hat. Erziehungswissenschaft als „eine eigentümlich hybride Disziplin“ (Rieger-Ladich 2007, S. 167) zwischen Wissenschaft und pädagogischer Praxis ist in der Ausgestaltung ihrer Studiengänge immer auch auf einen Handlungsfeldbezug verwiesen. Wie deutlich wurde, hat sich dieser im Verlauf der Existenz erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge von einem starken Schulbezug hin zu eher außerschulischen (oder besser außerunterrichtlichen) pädagogisch relevanten Handlungsfeldern und Fragen von Erziehung und Bildung über alle Lebensalter hinweg verschoben bzw. erweitert. Darüber erweist sich die Erziehungswissenschaft allerdings auch als eine Disziplin, die hochdynamisch differente gesellschaftliche Bereiche für sich erschließen und in akademischen Ausbildungsmodellen etablieren kann. Dass dies seit der Bolognareform zum Teil auch nicht mehr unter einem gemeinsamen Label sowie unter Verzicht auf die Integration allgemein-erziehungswissenschaftlicher Grundlagen geschieht, macht dann nicht nur auf die Notwendigkeit neuer Verhältnisbestimmungen zwischen Allgemeinem und Speziellem aufmerksam, sondern auch auf die Verfasstheit der Erziehungswissenschaft, die sich angesichts der Kontingenz ihres Gegenstands nur als plurale Disziplin konstituieren kann. Um „Erziehungsfragen und deren wissenschaftlich[e] Erforschung“ muss immer wieder „notwendig gestritten werden“ (Ricken 2022, S. 165). Dies verschafft der Disziplin eher schwache Grenzziehungen nach innen und außen, mit denen auch Legitimations- und Machtdefizite – insbesondere auch im Kontext von New Public Managementstrukturen – einhergehen, die aber zugleich erst eine hohe Flexibilität und Pluralität in der Wahl und Bearbeitung ihrer Aufgaben ermöglichen, die sich im Kontext gesellschaftlichen Wandels immer wieder neu stellen.

Unsere qualitativen Untersuchungen (Grunert 2022; Grunert und Ludwig 2016b; Ludwig 2019a; Ludwig und Grunert 2018a, 2020) können vor diesem Hintergrund zeigen, dass Studiengangsentwicklung (nicht nur) im Zuge des Bolognaprozesses nicht allein als erzwungene Isomorphie (DiMaggio und Powell 1983) etwa über die Anpassung an organisationale Regelerwartungen der Hochschulen oder als Prozess paradigmatischer Aushandlungen betrachtet werden kann. Vielmehr spiegeln sich darin immer auch jene (teil-)disziplinären Dynamiken und Grenzziehungsprozesse, die in ihrer Ausgestaltung an je spezifische Akteurskonstellationen gekoppelt sind, in denen externe Erwartungen bspw. der Berufsfelder oder der Hochschule als Organisation, individuelle und kollektive (teil-)disziplinäre Überzeugungen, Interessen der Durchsetzung von Positionen und Deutungshoheiten sowie eigene Handlungsspielräume der jeweiligen Akteure übersetzt, vermittelt und machtvoll ausgehandelt werden (Grunert 2022). Mit der Bolognareform, eingebettet in eine umfassende Hochschulreform und dem Fehlen eines „akzeptierten, kodifizierten lehrbaren Korpus wissenschaftlichen Wissens“ (Stichweh 1994, S. 17) als Essenz der konstitutiven Pluralität der Disziplin, potenziert sich im Fall der Erziehungswissenschaft jedoch auch die Notwendigkeit, standortindividuelle Lösungen für die Studiengangsentwicklung zu finden. Das Kerncurriculum der DGfE in seiner pluralitätbewahrenden Offenheit hat dabei kaum das Potenzial eines Leitmediums, das auch als strategisches Gewicht gegenüber Hochschulleitungen eingesetzt werden könnte. Damit bleibt das, was jeweils als Curriculum zum Tragen kommt, fast gänzlich standortindividuellen Rahmenbedingungen, Governancestrukturen und darin eingebetteten Verteilungskämpfen um die Machtressource Studiengang in historisch-kontingenten Akteurskonstellationen überlassen (Grunert und Ludwig 2022). Und gerade die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Allgemeinem und Speziellem, von Allgemeiner Erziehungswissenschaft und Handlungsfeldbezug wird nicht zuletzt – so zeigen es die Gruppendiskussionen – auch im Kontext hochschulpolitischer Steuerung, Transfer- und Kompetenzorientierung verhandelt. Die Allgemeine Erziehungswissenschaft befindet sich somit seit der Bolognareform in einem gesteigerten Verteilungskampf mit den handlungsfeldbezogenen Teildisziplinen (Grunert 2022), in dem sich die Arbeit an grundbegrifflichen, prozessualen und historischen Reflexionen von Erziehung und Bildung nicht mehr nur innerdisziplinär, sondern auch im Kontext dezentraler New Public Managementstrukturen legitimieren muss, die weniger an disziplinären als an standortbezogenen Ordnungen der Ausbildung und „Wissensproduktion, -distribution und -rezeption“ orientiert sind (Keiner 2015, S. 24).

Studiengänge werden damit in den von uns geführten Gruppendiskussionen als ein im akademischen Feld umkämpftes Gut sichtbar, das immer auch (teil-)disziplinäre Positionierungen und deren Weitergabe stabilisiert und ermöglicht. Diese Funktion erfüllen sie selbstverständlich nicht allein, sondern im Verbund mit anderen Prozessen (teil-)disziplinärer Grenzziehungsarbeit. So verweisen bspw. auch die Implementierung der Organisationspädagogik als Sektion der DGfE und die Herausgabe von Handbüchern mit diesem Label (z. B. Göhlich et al. 2018) nicht nur auf die Erschließung eines neuen Handlungsfeldes für die Erziehungswissenschaft, sondern sind auch Ausdruck disziplinärer Transformationsdynamiken und symbolischer Grenzziehungen (Beer und Koenig 2009). Gleiches gilt für die Kindheitspädagogik, die sich seit der Bolognareform neben Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften vermehrt auch in universitären Studiengängen etablieren konnte und darüber hinaus – wie in Abschn. 3.1 angedeutet – teildisziplinäre Verselbständigung auch über die Arbeit an einem einheitlichen Disziplinbegriff zu symbolisieren sucht. Eine allmähliche Konsolidierung in dieser Richtung stellt auch Jahreiß (2022) anhand einer Analyse von Denominationen für Professuren in diesem Bereich fest und auch Cloos (2020) verweist auf eine vermehrte Verwendung des Begriffs in wissenschaftlichen Publikationen sowie berufspolitische Bestrebungen seiner Durchsetzung. Und nicht zuletzt machen die Gruppendiskussionen darauf aufmerksam, dass sich hinter den heterogenen Fachbezeichnungen der Studiengänge sowohl fachexterne Einflussnahmen insbesondere machtvoll agierender Hochschulleitungen als auch Prozesse (teil-)disziplinärer Identitäts- und Grenzziehungsarbeit verbergen. Insbesondere am Begriff der ‚Bildungswissenschaft‘ ließ sich zeigen, dass dieser gegenwärtig ein strategisches Handlungsfeld zu markieren scheint, in dem um Fragen disziplinärer Zugehörigkeiten, Heterogenität und Interdisziplinarität gerungen wird. Dabei liegen seiner Verwendung sehr unterschiedliche Orientierungsgehalte zugrunde. Zum einen drückt sich darin eine disziplinäre Identitätsarbeit aus, die den Stellenwert der Erziehungswissenschaft als Wissenschaftsdisziplin infrage stellt und Interdisziplinarität und Wissenschaftlichkeit als das fehlende Außen von Erziehungswissenschaft identifiziert, das über den Begriff der Bildungswissenschaft symbolisch eingeholt werden soll. Zum anderen wird dieser aber auch dafür genutzt, innerdisziplinäre Heterogenität aufzufangen und unterschiedliche Facetten innerdisziplinärer Identitäten zu integrieren, die mit dem Begriff der Erziehungswissenschaft nur unzureichend zu fassen seien (Grunert und Ludwig 2016a).

Mit dem Blick auf Studiengänge als Scharnier zwischen Disziplin und Profession stellt sich abschließend auch die Frage nach dem Wechselverhältnis von disziplinär initiierten Ausbildungsinhalten und dem Qualifikationsbedarf des Arbeitsmarktes. Arbeiten von Stichweh (1994) zu sekundären Disziplin- und Professionalisierungsprozessen oder Stock (2013) zu Mechanismen der Akademisierung pädagogischer Berufe zeigen in dieser Hinsicht, dass disziplinäre Entwicklungen, die sich auch in Studiengängen ausdrücken, nicht nur mit Bedarfen pädagogischer Handlungsfelder verbunden sind. Vielmehr sind pädagogische Handlungsfelder immer auch an disziplinäre Entwicklungen gekoppelt, so dass über diese wechselseitige Verbundenheit auch professionelle Bearbeitungsmöglichkeiten pädagogisch relevanter Handlungsproblematiken entstehen (Ludwig und Grunert 2018b). Mit Blick auf die Kindheitspädagogik stellt Cloos (2020, S. 164) etwa fest, dass mit der Etablierung von kindheitspädagogischen Studiengängen „grundlegend die Möglichkeit geschaffen [wurde], erstens eine auf Kindheit bezogene pädagogische Profession zu etablieren und diese Profession zweitens durch wissenschaftliche Wissensproduktion stärker abzusichern“. Akademischer Ausbildungsgang, Forschungs- und Professionsfeld sind damit aufeinander bezogen und bringen sich in dieser Dynamik wechselseitig mit hervor. Gefragt werden müsste deshalb künftig noch stärker – durchaus auch im historischen Rückblick auf erziehungswissenschaftliche Hauptfachstudiengänge im Allgemeinen sowie ihre Entwicklung seit der Bologna Reform im Besonderen – inwiefern mit der innerdisziplinären Differenzierung, die sich auch in den Studiengängen ausdrückt, „eine Dynamik pädagogisierender Verberuflichung in Gang gesetzt [wurde], die einen Bedarf an weiteren Absolventen“ allererst erzeugt (Stock 2013, S. 166 f.) und die gleichzeitig das Feld disziplinärer Zuständigkeiten erweitert und in Studiengängen institutionalisiert hat. Allerdings muss künftig noch viel stärker die Entwicklung der Studierendenzahlen in den Blick genommen werden, die aktuell auf einen Rückgang in den universitären Hauptfachstudiengängen bei gleichzeitig deutlichem Aufwuchs in den Fachhochschulstudiengängen verweist. In diesem Zusammenhang sind zwingend auch die Effekte einer anscheinend entfesselten privaten Hochschullandschaft im Verhältnis zu universitären, aber auch an staatlichen Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften angebundenen Studiengängen im pädagogischen Feld (Züchner 2024, S. 76) zu berücksichtigen, um Wandlungsprozesse und Transformationsdynamiken sowohl als Konkurrenzstruktur als auch Bedingungsgefüge veränderter Professionalisierungsprozesse im pädagogischen Feld beobachten zu können.