1 Einleitung

In modernen, leistungsorientierten Gesellschaften sind Schulbildung und Qualifikationen entscheidend für den Zugang zum Arbeitsmarkt, der über das persönliche Einkommen und über wohlfahrtsstaatliche Anrechte entscheidet (Becker und Hadjar 2017). Je größer die soziale Ungleichheit im Land ist, umso mehr scheinen Eltern ihre Kinder „intensiv“ zu fördern (Doepke und Zilibotti 2019). Jedoch ist schulische Elternbeteiligung abhängig davon, wie „gut“ Eltern die Rollenerwartungen erfüllen können (López 2001). Die meisten Eltern beabsichtigen, den Schulerfolg ihrer Kinder im häuslichen Umfeld, z. B. bei Hausaufgaben, zu unterstützen (vgl. Hillmayr et al. 2021). Gleichzeitig fühlen sich Eltern von gesellschaftlichen Leitbildern (Schneider et al. 2015) und Anforderungen unter Druck gesetzt (Merkle und Wippermann 2008). Sie erleben hohen Zeitdruck und zunehmenden Bildungs- sowie Finanzdruck (Walper und Kreyenfeld 2022). Die Kooperationsbeziehung zu den Lehrpersonen ist für die kindliche Förderung essentiell, um häusliche Unterstützungsformen abzusprechen (Wild und Lorenz 2010). Angesichts der Ganztagsschulentwicklung und der Erwerbstätigkeit beider Elternteile gilt es Rollen in der Eltern-Schul-Kooperation neu zu klären (Richter et al. 2020).

Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage nach den aktuellen Aufgaben von Eltern und ihren Handlungsgründen in der Familien-Schul-Kooperation. Zudem gilt es die Selbst- und Passungswahrnehmung von Eltern im „Arbeitsbündnis“ mit der Schule zu erforschen (Oevermann 2001), um das Förderpotenzial der Kooperation zugunsten des Kindes auszuschöpfen. Wir fokussierten auf Mütter, da sie meistens die schulbezogene Unterstützung übernahmen (Gerber und Wild 2009), sowie auf den Beginn der Sekundarstufe I, da der Schulwechsel neue, für die einzelnen Beteiligten oft unbekannte Rollenerwartungen mit sich bringt (Opp 1972).

2 Theorie, Forschungslage und Fragestellungen

Internationale Forschungsmodelle und (Meta‑)Studien zeigten den Einfluss der Eltern auf die kindliche Schullaufbahn (Baumert et al. 2003, 2006; Boudon 1974; Fan und Chen 2001; Karbach et al. 2013; Maaz et al. 2006; Núňez et al. 2023; Wilder 2014). Da Kinder in ihrer Familie eine Vielfalt an schulrelevanten Fähigkeiten (u. a. Sprachkompetenz, Konformität, Lernfreude) erwerben, spielen Eltern als Erziehende und als Bildungsakteur:innen in Kooperation mit der Schule eine zentrale Rolle (Epstein 1987; Grundmann et al. 1994; Wild und Lorenz 2010). Durch ihr Verhalten übernehmen sie eine soziale Rolle, in der sie sich an Normen sowie institutionellen Vorgaben orientieren (Parsons 1991). Entspricht das von außen erwartete Rollenverhalten den eigenen Ansichten und Wünschen, könnten Eltern ihre Rolle als ungezwungen erleben. Erfolgt ihr Verhalten aber zwanghaft, kämen Rollenkonflikte ins Spiel (Dahrendorf 2006). Es ist anzunehmen, dass Eltern sich milieuspezifisch in ihrem Rollenverständnis, Rollenverhalten und in ihren Erwartungen an die Schule unterscheiden, wobei kulturelle, ökonomische und soziale Kapitalien zum Tragen kommen (Bourdieu 1983, 1987).

Psychologische Forschungsmodelle legen nahe, dass familiäre Kapitalien in komplexer Weise untereinander und mit verschiedenen Überzeugungen und Verhaltensweisen zusammenhängen (Eccles 2007). Nach Hoover-Dempsey und Sandler (1997) sind u. a. Überzeugungen und Motivationen von Eltern, wahrgenommene Einladungen durch die Schule und das Kind sowie persönliche Ressourcen (z. B. Zeit, Wissen) entscheidend für ihre schulbezogene Unterstützung und für Kontakte mit Lehrpersonen. Ireson und Rushforth (2014) zeigten das Zusammenspiel von persönlichen und kontextuellen Faktoren bei der Organisation privater Nachhilfe; zwar hatten Eltern diese Unterstützungsform in ihrem Rollenverständnis verankert, den Bedarf wogen sie aber mit ihren Kapitalien im Familiensystem ab. Für eine effektive Elternbeteiligung war auch ihre wahrgenommene Wertschätzung durch die Schule wichtig (Eccles und Harold 1993). Weiter könnte die Kommunikation mit den Lehrpersonen, wenn sie von den Eltern als hilfreich und positiv erlebt wird, das elterliche Selbstkonzept in ihrer Rolle als Lernbegleitende stärken (Ulrich und Hachfeld 2022).

Repräsentative Befragungen in Deutschland zeigten eine hohe Bereitschaft von Eltern, ihre Kinder schulisch zu unterstützen (Jako‑o GmbH 2017; Killus und Paseka 2016), wobei in höheren Klassenstufen die Inanspruchnahme von Nachhilfe zunahm (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020). Bei der Beurteilung der Elternbeteiligung sind die Unterstützungsqualität und die kindliche Wahrnehmung zu berücksichtigen: Erleben die Kinder Kontrolle und Autonomieverlust durch das Eingreifen ihrer Eltern, sind keine positiven Lerneffekte zu erwarten, sondern es kann zu Leistungsabfall und Motivationsverlust kommen (Dumont et al. 2014; Luplow und Smidt 2019; Ng et al. 2004; Núňez et al. 2015, 2017). Kinder mit diagnostizierter Lernschwäche erhielten sogar dann starke Unterstützung durch ihre Eltern, wenn diese ihr eigenes Handeln als unzureichend erlebten (Brandenburg und Huschka 2021).

Ein Großteil deutscher Eltern stellte fest, vieles leisten zu müssen, was eigentlich Aufgabe der Schule wäre (Jako‑o GmbH 2017); sie bezeichneten sich als „PartnerInnen“ und als „Zulieferer“ von Schule, womit v. a. an (nicht-gymnasialen) Sekundarschulen eine Unzufriedenheit einherging (Killus und Paseka 2016). Auf welche konkreten „Leistungen“ Eltern ihre Zulieferer-Rolle bezogen, blieb offen. Aus systemtheoretischer Perspektive sind vielfältige strukturelle Kopplungen zwischen Schule und Familie zu erwarten (Epstein 1987; Tyrell und Vanderstraeten 2007). Auch müssten diverse Gründe für die zusätzliche Aufgabenübernahme und das spezifische Rollenhandeln erfasst werden, um elterliche Unzufriedenheit und Druckerleben aufzuklären. Da zwischen Familien und Schulen – immer zwangläufig aufgrund der Schulpflicht – ein „Arbeitsbündnis“ in gemeinsamer Verantwortung für das Kind besteht, gilt es, das natürliche Spannungsverhältnis auszuhandeln und eine harmonische „Passung“ anzustreben (Busse und Helsper 2007; Oevermann 2001).

Die vorliegende Studie untersuchte in einem offenen, qualitativen Datengewinnungs- und Analyseprozess die Rolle von Müttern, ihre Handlungsgründe und Wahrnehmungen in der Kooperationsbeziehung mit den Sekundarschullehrpersonen. Folgende Forschungsfragen standen im Fokus:

  1. 1.

    Was für ein Aufgaben- und Rollenverständnis haben Mütter in der schulischen Kooperation zu Beginn der Sekundarstufe I?

  2. 2.

    Was für Handlungsgründe und selbstbezogene Wahrnehmungen beschreiben Mütter in Bezug auf ihre Aufgabenübernahme?

  3. 3.

    Was für eine Bedeutung hat die Passungswahrnehmung der Mütter im Hinblick auf die Aufgabenübernahme und ihre Selbstwahrnehmung in der schulischen Kooperation?

3 Methode

3.1 Stichprobe

Um eine Varianz mütterlicher Lebenskontexte und Erfahrungen in der Stichprobe zu erhalten und der heterogenen Gesellschaftsgruppe der Mütter gerecht zu werden, kooperierten wir bei der Rekrutierung mit einem unabhängigen Marktforschungsinstitut. Dieses Vorgehen war vorteilhaft, um das Gefühl der Anonymität zu bewahren; denn die Mütter kannten sich untereinander nicht. Geplant waren vier Fokusgruppen à sechs Mütter, die derzeit ein Kind am Ende der fünften Klasse in unterschiedlichen Regionen Baden-Württembergs hatten und sich hinsichtlich ihres Schulabschlusses sowie ihrer Herkunft unterschieden. Kontextvariablen wie Bildungs- und Herkunftshintergrund, Wohnort, Beruf, Schulform, Leistungseinschätzung des eigenen Kindes etc. wurden im telefonischen Screening bei der Rekrutierung erfasst.

Aufgrund spontaner Ausfälle fanden fünf Interviews à drei bis sechs Mütter (N = 25) statt. In Gruppe 1 waren Mütter deutscher Herkunft und mit Abitur, in Gruppe 2 Mütter deutscher Herkunft und mit Mittlerer Reife. Die geplante Gruppe mit Müttern, die einen Hauptschul- oder keinen Schulabschluss hatten, konnte nicht realisiert werden, da ihre Entscheidung zur Teilnahme bei der Rekrutierung negativ ausfiel. In Gruppe 3 waren Mütter nicht-deutscher Herkunft mit verschiedenen Schulabschlüssen. Die Gruppen 4 und 5 waren Mix-Gruppen hinsichtlich des Schulabschlusses und der Herkunft. Mit einer Ausnahme waren alle Mütter in Voll- oder Teilzeit erwerbstätig. Die Kinder besuchten allgemeinbildende Halb- und Ganztagsschulen, darunter Gymnasien, (Werk‑)Realschulen, Gemeinschafts- bzw. Gesamtschulen. Die meisten Kinder waren am Ende der fünften Klasse; Kinder von Müttern mit Abitur waren meist an Gymnasien. In Tab. 1 (siehe Anhang) ist die Stichprobe mit Ausnahmen dargestellt.

3.2 Durchführung

Im Juni 2021 fanden die Fokusgruppeninterviews (à 120 min) online über ein Videokonferenz-Tool statt. Aus forschungsökonomischen Gründen präferierten wir Gruppen- gegenüber Einzelinterviews. Fokusgruppen erlaubten es, in kürzerer Zeit etwa die gleiche Datenmenge zu gewinnen. Zudem bot die Gruppensituation die Möglichkeit, langsam ins Interview hineinzukommen, und die Mütter erlebten sich gegenüber der Moderation in einer Gruppe. Zudem waren in Gruppeninterviews Dynamiken zu erwarten, die die Mütter noch während der Diskussion zur (Selbst‑)Reflexion anregen konnten (Morgan 1997).

Alle Mütter erklärten sich freiwillig zur Teilnahme bereit; sie stimmten der Video-Audioaufzeichnung und der beobachtenden Anwesenheit (ohne Bild, Kommentar) einer der AutorInnen zu. Informationen zum Datenschutz und zum Interviewthema erhielten sie vorab. Zudem klärte die Moderation über die anonyme Datenverarbeitung zu Beginn des Interviews auf. Aufgrund der Corona-Pandemie betonten wir, dass es um schulbezogene Aufgaben geht, die die Mütter grundsätzlich übernahmen und der Elternrolle im Schulkontext zuschrieben. Falls sie sich auf die Zeit des Corona-bedingten Distanzunterrichts bezogen, sollten sie dies explizit sagen oder ein aufgemaltes „C“ in die Kamera halten. Der Interviewleitfaden hatte nach dem Prinzip der Offenheit (Helfferich 2011) eine orientierende Funktion, sodass die Mütter den Gesprächsverlauf durch Relevanzsetzungen mitbestimmten. Nach dem Prinzip der Reflexivität (ebd.) folgte nach jedem Interview ein Austausch zwischen der Moderation und der BeobachterIn.

Zum Einstieg stellten die Mütter sich, den „Schultyp“ ihres Kindes und aktuelle Herausforderungen vor. Dabei sprachen sie bereits familiäre Kontexte und Erfahrungen mit Lehrpersonen an. Es folgten Fragen zum „aktuellen Bild von Schule“ und zu Bedingungen, die „für eine erfolgreiche Schulbildung in der fünften Klasse entscheidend“ seien. Den Hauptteil bildete ein Arbeitsauftrag zu der Frage, „welche konkreten Aufgaben sie selbst (bzw. das Elternhaus) und die Lehrpersonen aktuell übernehmen, um die kindliche Schulbildung zu unterstützen“. Hierzu zeichnete jede Mutter eine horizontale Linie „Elternhaus versus Schule“ auf ein Blatt Papier und ordnete zuerst still, für sich Aufgabenbereiche und Tätigkeiten zu. Nach wenigen Minuten sammelten wir die Ideen auf einer geteilten PowerPoint-Folie und diskutierten in der Gruppe die aktuelle sowie eine wünschenswerte Aufgabenverteilung. Teils stellten wir direkte Nachfragen zu den Aufgabenübernahmen und Handlungsgründen der Mütter, um konkrete Aussagen zu erhalten und Meinungsunterschiede abzuklären. Eine Reflexionsrunde mit Blick auf den gesamten Gesprächsverlauf rundete das Interview ab. Obwohl unsere Fragen auf sachbezogener Ebene der Aufgabenverteilung zwischen Eltern und Lehrpersonen lagen, diskutierten alle Gruppen auch über ihre persönliche Beziehung zu den Lehrpersonen und zu gesellschaftssystemischen Erwartungen.

3.3 Datenanalyse

Die Video‑/Audioaufnahmen wurden vollständig transkribiert (Dresing und Pehl 2018) und relevante Mimik wurde ergänzt. Die qualitativen Analysen erfolgten mithilfe der Software f4analyse (dr. dresing & pehl GmbH 2017) und einer dreischrittigen, zirkulären Codierung nach der Grounded Theory (Corbin und Strauss 1990; vgl. Kuckartz 2010). Beim offenen Codieren (Schritt 1) erstellten wir für das gesamte Datenmaterial erste Codes und Konzepte. Dabei richteten wir spezifische Fragen an den Text, die sich an der Struktur menschlichen Handelns orientierten (Boehm 1994). Ergänzend zu den Transkripten dienten die fünf PowerPoint-Grafiken der vergleichenden Materialbetrachtung und der Auswahl relevanter „In-vivo-Codes“. Beim axialen Codieren (Schritt 2) verdichteten wir das Material zu Kern- und Subkategorien, um das Aufgabenverständnis der Mütter abzubilden. Dieses spiegelte sich in Aussagen zu konkreten bildungsbezogenen Verhaltensweisen von Eltern und von Lehrpersonen wider. Um Frage 2 zu beantworten und diverse Handlungsgründe der Mütter zu verstehen, nutzten wir das Codierparadigma von Corbin und Strauss (1990), wodurch wir primäre „Ursachen“, „Kontexte“, „Handlungsstrategien“ sowie „Konsequenzen“ zu einzelnen Aufgabenübernahmen aus mütterlicher Perspektive identifizierten. Weiter setzten wir fokusgruppenübergreifende Kategorien miteinander und mit anderen relevanten, häufig genannten Konzepten in Beziehung, um Gewichtungen vorzunehmen und argumentative Zusammenhänge, Mittel-Zweck- sowie Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu erkennen. Anhand der theoretischen Memos reflektierten wir in Vorbereitung auf das selektive Codieren (Schritt 3) das verdichtete Datenmaterial und fokussierten dann auf die mütterliche Selbst- und Passungswahrnehmung. Diesbezüglich betrachteten wir mithilfe einer zweidimensionalen grafischen Darstellung kontrastierende Ausprägungen und deren Wechselbeziehungen (vgl. Boehm 1994). Abschließend griffen wir auf die rollentheoretischen Grundannahmen zurück, um eine vorläufige datenbasierte Theorie zu begründen, und betrachteten einzelne Kontextmerkmale der Mütter. Zwischen- und Endergebnisse der Analyseschritte 2 und 3 reflektierten wir mit projektunabhängigen, interdisziplinären ForscherInnen.

4 Ergebnisse

Die folgenden drei Teilkapitel erläutern zentrale Kern- und Subkategorien, die sich fokusgruppenübergreifend zeigten, anhand von „In-vivo-codes“ und Beispielaussagen. Bei der Benennung der Teilnehmerinnen (TN) steht die erste Ziffer für die Gruppe (1 bis 5), die zweite Ziffer für die Person/Mutter (1 bis 6) innerhalb der Fokusgruppe. Einzelaussagen sind damit gekennzeichnet. Relevante Schlagworte, die bei mehreren Personen und in unterschiedlichen Gruppen codiert wurden, stehen ohne TN-Nummer.

4.1 Aufgaben- und Rollenverständnis der Mütter (Frage 1)

In Bezug auf die Frage, was für ein Aufgaben- und Rollenverständnis Mütter in der schulischen Kooperation zu Beginn der Sekundarstufe I haben, identifizierten wir sieben zentrale Aufgaben- und Handlungsbereiche. Wertevermittlung galt als Kernaufgabe der Eltern, da das Kind in primären Erziehungs- und Sozialisationsprozessen soziale und selbstbezogene Fähigkeiten erwerbe, die zur Bewältigung des Schulalltags und für den Schulerfolg entscheidend seien. Hier nannten die Mütter gesellschaftlich erwünschte Verhaltensweisen wie „Respekt“, „Höflichkeit“, „Pünktlichkeit“ und „Disziplin“. Zudem ging es um Selbstkompetenzen wie „Selbstständigkeit“, „Selbstvertrauen“, „Pflichtbewusstsein“ und „Achtsamkeit“ im Umgang mit sich selbst. Lehrpersonen sollten diese und weitere Fähigkeiten, wie „Konfliktlösegespräche“ unterstützen.

Alltagsintegrierte Wissensvermittlung verstanden die Mütter als elterlichen Aufgabenbereich, in dem es um die Förderung von sachbezogenem und kulturellem „Basiswissen“ bzw. „Grundkompetenzen“ (Lesen, Rechnen, Sprache/n) ging. Zudem griffen sie Unterrichtsthemen auf und nutzten spielerische-interaktive Lernmethoden; „Gesellschaftsspiele oder wenn ich ihn zum Bäcker schicke oder beim Einkaufen“ (TN24), „Hörbücher oder Bücher auf Englisch“ (TN12), „Filme, dass ich es auf Englisch anschauen lasse“ (TN16) oder „wenn man durch den Wald spazieren geht und sagt, schau mal, was ist denn das für ein Blatt, kann es eine Eiche sein oder ist es eher eine Linde?“ (TN33). Auch Lerninhalte und Praxisbezüge, die in der Schule zu kurz kämen, vermittelten sie im Familienalltag; „wie sät man, wie erntet man“ (TN26), Gesundheitswissen, „Umgang mit Geld“ und „digitale Medien“.

Schulaufgabenbetreuung bezog sich in erster Linie auf Hausaufgaben, die die Kinder teils zuhause, teils in der Schule erledigten. Unabhängig davon würden die Mütter „auf Vollständigkeit und Fehler kontrollieren“ sowie bei Verständnisfragen helfen. Mütter mit pädagogischem Beruf betonten, die Lehrperson müsse die Hausaufgaben so vorbereiten, dass die Kinder diese selbstständig erledigen können. Insgesamt waren einige Kinder noch nicht so selbstständig, wie eigentlich zu erwarten wäre, sodass Mütter durch verbale Aufforderungen und kontrollierendes Verhalten eingriffen oder ein Hausaufgabenheft einführten, um das Kind strukturell zu unterstützen. Bei „Projektarbeiten“ und „Recherchen“ sei es wichtig, Interesse zu zeigen und den kindlichen Arbeitsprozess zu begleiten, wobei die Idee der Kontrolle nicht mehr thematisiert wurde. Eine weitere Aufgabe lag in der Unterrichtsvorbereitung, „ich sage, mach’ nochmal durch, was du heute gelernt hast, weil morgen wird darauf aufgebaut. Damit sie mental vorbereitet ist“ (TN16). Obwohl die Mütter in diesem Bereich eine Vielfalt an Aufgaben übernahmen, wäre ihr Wunsch: „eine klare Trennung“, eine „School-Family-Life-Balance“ (TN16), „dass die Schule die letzte Stunde als Hausaufgabenstunde nimmt […], weil der Stress, der Druck, das würde dann wegfallen, […] dass am Nachmittag noch Zeit ist für das Kind selber, dass die sich frei entfalten können“ (TN12).

Im Bereich Leistungskontrolle ging es um Klassenarbeiten, Tests und Notengebung durch die Lehrpersonen. Aufgabe der Eltern waren das „Abfragen mithilfe von Lernzetteln“ (TN43) und das Erstellen von „Quizfragen zum Üben“ (TN55). Es sei auch „entscheidend zu gucken, wie lernt mein Kind […] Gibt es Möglichkeiten, dass man besser oder einfacher lernen kann“ (TN53). Mütter könnten so „den Stand“ ihres Kindes sehen und einschätzen, ob es bereit für die Prüfung ist. Bei Leistungsdefiziten sei das „Lückenschließen“ eine weitere Aufgabe der Eltern. Dabei organisierten die Mütter private Lernzeiten mit dem Kind und unter Umständen bezahlte Nachhilfe, obwohl es wünschenswert wäre, dass Lehrpersonen oder Mentoren in der Schule die individuelle Förderung übernehmen. Eltern könnten nicht das ganze Fachwissen haben, müssten die zusätzliche Lernzeit oft am Wochenende einplanen und die Finanzierung der Nachhilfe könnte zu Belastung führen.

Motivationsförderung sahen die Mütter als Aufgabenbereich von Eltern und Lehrpersonen. In „Tiefphasen“ und in der Pubertät sei die motivationale Unterstützung besonders wichtig, wobei „dieses Stärken, die Motivation“ (TN24) in der Schule zu kurz käme. Zuhause würden die Mütter mit ihrem Kind über das Schulleben „im Gespräch bleiben“, seine Arbeiten „loben“ und Freizeitaktivitäten organisieren, um für den „Ausgleich“ von kognitiver Belastung zu sorgen. Lehrpersonen sollten die Persönlichkeit der Kinder wahrnehmen, deren Interessen fördern und die natürliche „Neugierde“ bzw. „Lernfreude“ erhalten, denn „die haben mehr Bedürfnisse, als nur gute Noten zu bekommen“ (TN54). Zudem seien „Rückhalt und Feedback“ durch die Lehrpersonen genauso wichtig, wie durch die Eltern; „das pusht und motiviert die Kinder, weiterzumachen“ (TN51). Im Ganztag müsste die Schule für ein „gesundes“ Mittagessen und einen „abwechslungsreichen“ Stundenplan mit „Bewegung“ sorgen, um die Konzentration der Kinder aufrechtzuhalten.

Ein weiterer Aufgabenbereich war die Materielle Ausstattung. „Schulbücher bekommt sie von der Schule, aber ansonsten ist alles von uns“ (TN12). In Einzelfällen zahlten die Mütter „das Geld, und es wird an die Schüler verteilt. Hefte, Bücher, alles Mögliche. Wir holen nur Stifte, Mäppchen, Schulranzen“ (TN14). Wünschenswert wäre, „dass die Kinder das (Material) von der Schule bekommen. In anderen Ländern ist das so, die Eltern müssen da nichts kaufen“ (TN31). Das wäre finanziell entlastend, stressfreier und es gäbe keinen „Konkurrenzkampf“ unter den Kindern. Außerdem sollten die Eltern sich um digitale Geräte und eine qualitätsvolle Internetverbindung für das Lernen kümmern, aber genauso müssten Schulen besser ausgestattet werden.

Im Aufgabenbereich Kooperation ging es um direkte Eltern-Lehrpersonen-Kontakte zur Unterstützung der kindlichen Schulbildung. Im Vergleich zur Kontakthäufigkeit mit den Lehrpersonen in der Grundschule stellten die Mütter fest, „da ist nicht mehr viel“ (Gruppe 1), die Kinder müssten in der fünften, sechsten Klasse selbst mehr Verantwortung übernehmen. Dennoch sollten die Lehrpersonen begleitend individuelle Elterngespräche anbieten, damit die Mütter sich über den Leistungsstand ihres Kindes informieren können und bei wahrgenommenen Lernschwierigkeiten im häuslichen Umfeld Beratung erhalten. Grundsätzlich sei es wichtig, „die Verantwortungen klarzustellen, […] das wird von euch Eltern erwartet und das wird von euch Lehrern erwartet“ (TN55), damit es weniger Missverständnisse zwischen Eltern, Kindern und Lehrpersonen gäbe.

4.2 Handlungsgründe und Selbstwahrnehmung (Frage 2)

In Bezug auf die Frage, was für Handlungsgründe und selbstbezogene Wahrnehmungen Mütter in Bezug auf ihre Aufgabenübernahme beschreiben, identifizierten wir neun zentrale Gründe für die Übernahme ihrer Aufgaben. Dabei spiegelten sich kontrastierende Merkmale ihrer Selbstwahrnehmung wider (vgl. Tab. 2, Anhang).

Als erster Handlungsgrund zeigte sich die mütterliche Rollenüberzeugung. Sie seien gemeinsam mit den Lehrpersonen für die Schulbildung ihres Kindes verantwortlich und würden „immer bestmöglich“ unterstützen. Es sei „ganz klar und automatisch, dass eine Mama, ein Papa reagieren, wenn man merkt, man kann helfen“ (TN43). Weiter zeigte sich die Normorientierung der Mütter als entscheidend für eine Aufgabenübernahme. Hier rückte die eigene Überzeugung in den Hintergrund und das Pflichtgefühl, eine Aufgabe als Mutter eines Schulkindes übernehmen zu „müssen“, explizit in den Vordergrund. Weiter begründeten frühere Erfahrungen der Mütter ihre Aufgabenübernahme, wobei sie sich u. a. am Verhalten der eigenen Eltern orientierten, „wie es früher gehandhabt wurde, was man selbst erfahren hat“ (TN26). Gleichzeitig stellten sie fest, „was meine Mama gemacht hat, war ein kleiner Teil, wie das, was ich jetzt mache“ (TN14). Außerdem waren Erfahrungen mit älteren Kindern in der Familie handlungsleitend sowie Erfahrungen aus der Grundschulzeit des Kindes. Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen veränderten die Mütter ihr Verhalten zum Teil; „seit ich […] auf dieser weiterführenden Schule von IHM die Sachen einfach erwarte und nicht von mir als Elternteil, ist mehr Ruhe eingekehrt“ (TN24). Andere wendeten bewährte Handlungsstrategien wieder an, woraus Routinen entstanden, die eine automatische Aufgabenübernahme begründeten; z. B. „beim Abendessen fragt man kurz in die Runde, was war heute schwierig, gibt es noch irgendwas zu lösen, zu regeln, seid ihr auf dem aktuellen Stand“ (TN43) oder „wenn wir beim Einkaufen sind oder in die Stadt spazieren oder so was, dann reden wir darüber […] und das liegt an MIR, dass ich die Schulsachen […] mit einbinde in allem anderen“ (TN54). Diese alltagsintegrierte schulbezogene Eltern-Kind-Kommunikation erschien als ressourcenschonend, da die Mütter trotz Berufstätigkeit und weiterer Kinder im Haushalt weder Belastung noch Unzufriedenheit äußerten.

Zielorientierungen waren ein weiterer Grund für die Aufgabenübernahme, wobei sich ein Unterschied zwischen Leistungsorientierung und Lernorientierung zeigte. Einerseits würden Mütter die Schulbildung ihres Kindes begleiten, damit es „gute Noten“ bekommt und keine Wissenslücken entstehen; „man muss sich als Eltern schon reinhängen und nach den Leistungen gucken, ob die Hausaufgaben wirklich gemacht worden sind und WIE sie gemacht worden sind usw.“ (TN53). Andererseits standen bei Lernzielorientierung die „Persönlichkeitsbildung“, das Lernen durch Erfahrungen und die Entwicklung von Selbstständigkeit sowie Eigenverantwortung beim Lernen im Vordergrund mit dem Ziel, die Kinder auf das Leben und den Beruf vorzubereiten. Des Weiteren begründeten wahrgenommene Aufforderungen der Lehrpersonen (z. B. an Elternabenden, im Elterngespräch) die mütterliche Aufgabenübernahme, wobei es letztlich darauf ankam, „was wir dann draus machen. […] Ich kann meinen Sohn nicht (zum Üben) zwingen“ (TN24). Außerdem war der von den Müttern wahrgenommene Unterstützungsbedarf ihres Kindes, den sie an seinem Verhalten festmachten, für die Aufgabenübernahme entscheidend. Zum Teil würden sie „ein bisschen hinterherlaufen, weil […] er etwas hintendran hängt. Ich will es aber trotzdem vermeiden, 100 % für ihn mitzudenken und mitzugestalten“ (TN33). Hierzu zählten auch explizite Aufforderungen des Kindes an die Mutter, z. B. inhaltliche Fragen bei Hausaufgaben.

Als strukturelle Kontextmerkmale begründeten familiensystemische Kapitalien und bildungssystemische Qualitätsmängel die mütterliche Aufgabenübernahme. In Bezug auf eigene kulturelle, ökonomische und soziale Kapitalien waren Fach- und Sachkompetenzen, Zeitressourcen, finanzielle Mittel sowie die Unterstützung durch Familienangehörige und das soziale Umfeld handlungsrelevant bzw. entscheidend, wenn Mütter Aufgaben bewusst an den Partner, ältere Geschwister, die Großeltern oder Bekannte abgaben. In Bezug auf schulische Struktur- und Organisationsmerkmale begründeten fehlende Ganztagsschulen in ländlichen Regionen die Aufgabenübernahme. Darüber hinaus nannten die Mütter das Fehlen „individueller Förderung im Unterricht“, „zu große Klassen“, „Lehrpersonenmangel“, „Unterrichtsausfall“, „lebensferne und veraltete Lehrplaninhalte“ sowie die fehlende Finanzierung von Nachhilfestunden und Materialien (Hefte, Stifte, Lektüren etc.) durch die Schule als Handlungsgründe. Außerdem organisierten sie Hobbies, wenn die Schul-AGs nicht den kindlichen Interessen entsprachen, oder sie betreuten die Hausaufgaben, wenn das Kind diese trotz schulischer Betreuungszeit zuhause vervollständigte.

In Bezug auf die mütterliche Selbstwahrnehmung bei ihrer Aufgabenübernahme beschrieben sich einige eher als ausgeglichen, andere als belastet; dabei zeigten sich aufgabenbezogene intrapersonelle Unterschiede. Ausgeglichenheit ging mit einem positiven Selbstkonzept und erlebter Selbstwirksamkeit der Mütter einher; z. B. wenn sie bei den Hausaufgaben direkt „helfen“ konnten und schulische Probleme „immer lösbar“ waren. Stellte eine Aufgabenübernahme z. B. aufgrund fehlender Fach- und Sprachkenntnisse sowie zeitlicher Ressourcenmängel durch die mütterliche Berufstätigkeit jedoch eine „Herausforderung“ dar, die die Mütter belastete, beschrieben sie sich als „unsicher“, „gestresst“ und „unter Druck“. Insgesamt nahmen Mütter in allen Fokusgruppen Belastung bei einzelnen Aufgabenübernahmen wahr. Dabei fiel zum einen auf, dass sich diejenigen mit nicht-deutscher Muttersprache und Unsicherheit bei den Deutsch-Hausaufgaben in ihrer Selbstwahrnehmung nicht von deutschsprachigen Müttern unterschieden, die z. B. in Mathe an ihre Grenzen kamen. Außerdem betonten die Mütter die Bedeutung des Familienklimas für die Schulbildung; „wenn es nicht ständig Krach zuhause gibt, dann kann ein Kind auch gut lernen und bekommt die (fachbezogene) Unterstützung vielleicht von den Geschwistern oder von der Freundin oder den Nachbarn“ (TN54). Doch während einige Mütter auf ihre kulturellen, sozialen und ökonomischen Kapitalien zurückgriffen (z. B. Hilfe durch Bekannte, Finanzierung von Nachhilfe), beschrieben andere keine Strategien zur eigenen Entlastung. Gleichzeitig zeigten sich einzelne Mütter als belastet, wenn sie ihre Aufgabe an andere, z. B. die Großeltern, abgaben. Darüber hinaus fiel auf, dass Mütter im Ganztagsschulsystem nicht grundsätzlich weniger Aufgaben übernahmen als diejenigen im Halbtagssystem und genauso „Druck“ erlebten; „dein Kind geht bis 15.30 Uhr in die Schule, kommt um 16.30 Uhr nach Hause. Dann soll er gesund essen, Sport machen zum Ausgleich, dann soll man mit ihm lernen“ (TN24).

4.3 Mütterliche Passungswahrnehmung (Frage 3)

In Bezug auf die Frage, was für eine Bedeutung die Passungswahrnehmung der Mütter im Hinblick auf die Aufgabenübernahme und ihre Selbstwahrnehmung in der schulischen Kooperation hat, betrachteten wir zunächst Merkmale ihres Familien-Schul-Verhältnisses und fokussierten dann auf kontrastierende Ausprägungen ihrer Passungswahrnehmung (vgl. Tab. 3, Anhang). Bei harmonischer Passung beschrieben die Mütter bedarfsgerechte Schulstrukturen und positive Erfahrungen mit den Lehrpersonen. Die Kontakte zeichneten sich durch eine unterstützende Kommunikation und eine Offenheit der Lehrpersonen gegenüber Mutter und Kind aus. Bei distanzierter Passung kritisierten die Mütter die schulischen Rahmenbedingungen und nahmen das Verhältnis zu den Lehrpersonen als hierarchisch, antagonistisch und konflikthaft wahr. Einige waren skeptisch und verunsichert im direkten Kontakt zu ihrer Schule, andere fühlten sich von den Lehrpersonen delegiert und teils diskriminiert. Außerdem vermuteten einzelne Mütter ein Desinteresse der Lehrpersonen an den kindlichen Persönlichkeiten. Gespräche, in denen gegenseitige Erwartungen und Konflikte gemeinsam ausgehandelt wurden, thematisierten die Mütter nur vereinzelt.

Um die Bedeutung der mütterlichen Passungswahrnehmung in Bezug auf ihre Rolle bei einzelnen Aufgabenübernahmen näher zu untersuchen, betrachteten wir Wechselbeziehungen zwischen den identifizierten kontrastierenden Ausprägungen ihrer Selbst- und Passungswahrnehmung im zweidimensionalen Raum (vgl. Abb. 1). Dabei zeigte sich, unter welchen Umständen Mütter in unserer Stichprobe eine Aufgabenübernahme als zwanglos bzw. als zwanghaft wahrnahmen und welche Rolle die Lehrpersonen im Umgang mit wahrgenommener Rollenbelastung spielten.

Abb. 1
figure 1

Wechselbeziehungen zwischen kontrastierenden Ausprägungen der mütterlichen Selbst- und Passungswahrnehmung. (Gesicht = zwanglose Aufgabenübernahme, Blitz = zwanghafte Aufgabenübernahme)

Weg 1 zeigte sich als eine theoretische Ausgangssituation, die für das eigene Rollenerleben der Mütter bei ihrer Aufgabenübernahme in der Familien-Schul-Kooperation als günstig erschien. Ihr Handeln zur Unterstützung der kindlichen Schulbildung erfolgte zwanglos, aus eigener Überzeugung und Motivation, wobei sie sich selbst als kompetent und ausgeglichen beschrieben. Gleichzeitig nahmen die Mütter die Passung zu den Lehrpersonen bzw. zur Schule als harmonisch wahr und zeigten sich als kontaktbereit. Bei Weg 2 hatten die Mütter ebenfalls eine positive, ausgeglichene Selbstwahrnehmung bei ihrer Aufgabenübernahme, die Passung zur Schule bzw. zu den Lehrpersonen nahmen sie aber als distanziert wahr. Diese Distanziertheit ging mit inneren Konflikten bei der Aufgabenübernahme, einem Mangel an Vertrauen und Offenheit gegenüber den Lehrpersonen sowie fehlenden persönlichen Kontakten einher. Damit erschien diese Situation als schwierig für eine lernförderliche Familien-Schul-Kooperation, da die Mütter als Einzelakteure handelten, ohne sich mit den Lehrpersonen über ihre kindbezogenen Wahrnehmungen und Unterstützungsformen auszutauschen. Weg 3 spiegelte das Potenzial einer harmonischen Passungswahrnehmung wider. Hier nahmen belastete Mütter ihren Kontakt zu den Lehrpersonen – per Email, Telefon sowie vor Ort im Beratungsgespräch – als hilfreich und entlastend wahr; z. B. trafen sie Absprachen über außerschulische Fördermöglichkeiten und erhielten bei eigener Überforderung mit den Hausaufgaben professionelle Unterstützung. Weg 4 zeigte sich als eine theoretische Ausgangssituation, die für das eigene Rollenerleben der Mütter bei ihrer Aufgabenübernahme in der Familien-Schul-Kooperation als besonders ungünstig erschien. Ihr Handeln zur Unterstützung der kindlichen Schulbildung erfolgte zwanghaft aufgrund äußerer Erwartungen, Verpflichtungsgefühlen und hohen Selbstansprüchen. Sie erlebten sich als belastet, erwähnten keine bewährten Handlungsstrategien und nahmen gleichzeitig die Passung zur Schule bzw. zu den Lehrpersonen als distanziert wahr, sodass das Potenzial einer entlastenden Kooperation mit den Lehrpersonen ausblieb (vgl. Tab. 4, Anhang).

Insgesamt bestätigte sich die rollentheoretische Annahme, dass die Mütter Aufgaben aufgrund von äußeren Erwartungen und Systembedingungen übernahmen, um die Schulbildung ihres Kindes bestmöglich zu unterstützen und bildungssystemische Mängel zu kompensieren. Aussagen zur mütterlichen Selbstwahrnehmung verdeutlichten, dass nicht alle die Aufgabenübernahme als zwanghaft erlebten. Einige Mütter hatten diese so in ihr Rollenkonzept integriert und nahmen sich nicht als belastet wahr, dass das Handeln als zwanglos erschien. Gleichzeitig spiegelten sich in allen Fokusgruppen Rollenkonflikte wider, da die Mütter durch ihre Aufgabenübernahme bildungssystemische Qualitätsmängel kompensieren wollten. Zum Teil grenzten sie diese Unzufriedenheit aber klar von den Lehrpersonen ab, da die Verantwortung „viel weiter oben“ läge. Eine Kumulation mütterlicher Belastung, z. B. Empfinden von Druck, Unsicherheit und Diskriminierungserfahrungen („Schubladen-Denken“ der Lehrpersonen), zeigte sich bei einzelnen in herausfordernden Familiensituationen (z. B. alleinerziehend, niedriger Schulabschluss). Des Weiteren fiel auf, dass in Fokusgruppe 2 (deutschsprachige Mütter ohne Abitur) die Diskrepanz zwischen dem allgemeinen Aufgabenverständnis und der aktuellen Aufgabenübernahme bzw. der idealen Aufgabenverteilung am stärksten war. Resümierend stellten sie fest: „Momentan liegt ja das meiste bei uns Eltern“ (TN21), „ich weiß jetzt auf jeden Fall, warum ich abends immer so fertig bin“ (TN22).

5 Diskussion

5.1 Zusammenfassung

Die Fokusgruppenstudie untersuchte das Aufgaben- und Rollenverständnis von Müttern zu Beginn der Sekundarstufe I. Die Analysen nach der Grounded Theory führten zu sieben zentralen Aufgabenbereichen, die die Mütter zur Unterstützung der kindlichen Schulbildung übernahmen: Wertevermittlung, alltagsintegrierte Wissensvermittlung, Schulaufgabenbetreuung, Leistungskontrolle, Motivationsförderung, materielle Ausstattung, Kooperation. Damit spiegelten sich fokusgruppenübergreifend ähnliche Vorstellungen einer idealen Aufgabenverteilung mit den Lehrpersonen wider, wobei die einzelnen Handlungsbereiche eine starke Kopplung des Familien- und Schulsystems aufwiesen (Tyrell und Vanderstraeten 2007). Die „Sphären“ von Familie und Schule scheinen sich in vielerlei Hinsicht zu überlappen (Epstein 1987). Alle Fokusgruppen betonten die Relevanz schulrelevanter Fähigkeiten wie die Selbstständigkeit des Kindes, Lernfreude und Sprachkompetenz (Grundmann et al. 1994). Interpersonelle Unterschiede zeigten sich in den Begründungen der mütterlichen Aufgabenübernahme und in ihren Handlungsweisen. Insgesamt identifizierten wir neun Handlungsgründe: Rollenüberzeugung und Normorientierung der Mütter, ihre früheren Erfahrungen, Routinen, ihre Zielorientierung, wahrgenommene Aufforderungen der Lehrpersonen sowie Unterstützungsbedarf des Kindes. Auffallend war, dass viele Mütter direkt eingreifen würden, wenn sie Unterstützungsbedarf wahrnahmen; Aushandlungen mit ihrem Kind kamen nicht zur Sprache. Andere Mütter beschrieben ihr Kind als lernfreudig und selbstständig; sie sahen keinen Handlungsbedarf. Weiter begründeten bildungssystemische Qualitätsmängel und familiensystemische Kapitalien die Aufgabenübernahme. Das Vorhandensein sowie das Wissen über schulische und eigene Ressourcen galt als wichtig, aber es kam auf die mütterliche Entscheidung an, potenzielle Entlastungsquellen zu nutzen. Dieses Abwägen zeigte sich bereits bei Nachhilfe (Ireson und Rushforth 2014). Wie erwartet, spiegelten sich insgesamt komplexe Entstehungszusammenhänge und Mittel-Zweck-Beziehungen zwischen persönlichen und kontextuellen Handlungsgründen wider (Eccles 2007). Dabei kamen in den kontrastierenden Ausprägungen, ausgeglichen versus belastet, unterschiedliche Merkmale der mütterlichen Selbstwahrnehmung (z. B. Kompetenzerleben, Selbstwirksamkeit, Unsicherheit, Überforderung) zum Ausdruck, die bislang noch nicht in dieser Weise erforscht wurden. Im Einklang mit früherer Forschung erlebten sich die Mütter aufgrund von Berufstätigkeit und gesellschaftlichen Erwartungen unter Druck (z. B. Walper und Kreyenfeld 2022).

Übereinstimmend mit der Rollentheorie, dass Gesellschaft das Rollenverständnis und Rollenhandeln leitet (Dahrendorf 2006; Parsons 1991), und mit früheren quantitativen Studien (Jako‑o GmbH 2017; Killus und Paseka 2016) zeigten alle Mütter ein hohes Verantwortungsbewusstsein für die Schulbildung ihres Kindes; sie übernahmen aus eigener Überzeugung und aufgrund von äußeren Rollenerwartungen durch die Schule und die Gesellschaft eine Vielfalt an Aufgaben. Die „zwanghafte“ Übernahme von Aufgaben, die die Mütter eigentlich bei der Schule bzw. den Lehrpersonen sahen, zeigte sich teils als Belastung für die mütterliche Selbstwahrnehmung und das Familienklima. Zudem zeigte sich die Problematik, dass Mütter aller Gruppen (mit und ohne Abitur) trotz eigener fachlicher und sprachlicher Unsicherheit bei wahrgenommenem Unterstützungsbedarf ihres Kindes eingreifen (Brandenburg und Huschka 2021), ohne mit den Lehrpersonen in Kontakt zu treten, um die Unterstützung abzusprechen. Wenige Mütter berichteten von wahrgenommener Entlastung durch ihre Kontaktaufnahme zu Lehrpersonen. Dabei handelte es sich um Mütter in herausfordernden Situationen (alleinerziehend, nicht-deutsche Muttersprache, geringe Kompetenzeinschätzung bei lernmethodischen und fachlichen Fragen), die ein positives Bild von den Lehrpersonen äußerten. Damit zeigte sich die Bedeutung einer harmonischen Passungswahrnehmung. Denn bei distanzierter Passungswahrnehmung und Unzufriedenheit mit dem Schulsystem waren die Mütter auch skeptisch gegenüber den Lehrpersonen, es fehlte eine Vertrauensbasis in der Kooperation, sodass die Mütter trotz selbstwahrgenommener Belastung keinen Kontakt suchten.

Ein weiterer Punkt, der ersichtlich wurde, aber nicht den Schwerpunkt der Datenanalysen bildete, waren sprachliche Abgrenzungen, Formen von othering und Verallgemeinerungen z. B. durch „man“ oder „wir“ (die Gesellschaftsgruppe der Mütter bzw. Eltern). Insgesamt fiel diese Abgrenzung von „anderen“ Familien und Eltern bzw. Müttern auf, wenn es um die begrenzte Verfügbarkeit von Kapitalien ging (Bourdieu 1983, 1987). Kosten für Lektüren könnten „manche“ Eltern belasten. Gleichzeitig stellten die Mütter für sich fest, „es läppert sich“ (TN33). Außerdem sei der Bildungshintergrund entscheidend, um die Kinder schulisch unterstützen zu können. „Irgendwann ist bei manchen Eltern […] vorbei und dann können sie nicht mehr abfragen“ (TN42). Dabei zeigte sich die Sensibilität der Mütter für soziale Unterschiede, wobei sich einzelne Mütter, die alleinerziehend waren, eine andere Muttersprache und/oder kein Abitur hatten (TN42, TN52, TN31), selbst als benachteiligt sahen, was sich wiederum nachteilig auf das eigene Kind auswirken würde, da sie nicht erwartungsgemäß helfen könnten (vgl. López 2001). In diesem Kontext fiel der Wunsch nach Chancengerechtigkeit, wofür die Bildungspolitik gegenüber allen Kindern Verantwortung übernehmen müsste.

5.2 Limitationen

Als Limitation dieser Studie ist die eingegrenzte Stichprobe zu nennen (Baden-Württemberg, N = 25). Zudem ist der „participation bias“ (Döring 2023) hinsichtlich sozioökonomischer Diversität zu berücksichtigen. Es ist anzunehmen, dass der Dropout der Mütter mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss nicht zufällig ist, sondern sich hier eine Art Abwendung oder Unsicherheit gegenüber dem Bildungssystem, sei es das Thema Schule oder Wissenschaft, manifestiert. Grundsätzlich ist die Freiwilligkeit der Teilnahme forschungsethisch geboten, jedoch erfahren wir in dieser Stichprobe nichts über Mütter mit Hauptschul- und ohne Schulabschluss, die ein distanziertes Verhältnis zu Schule als Institution haben könnten. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass sich Mütter, die eine Teilnahme ablehnten, von denjenigen, die teilnahmen, in einer Weise unterscheiden, die nicht mit den Stichprobenkriterien zusammenhängt (vgl. Robinson 2014).

Darüber hinaus beschränkt sich die Studie auf die Perspektive von Müttern und auf ihre Wahrnehmungen zum Zeitpunkt der Befragung. Um der Komplexität schulischer Erziehungs- und Bildungskooperationen auf der Mikroebene, dem Zusammenspiel zwischen Mutter, Kind und Lehrperson, gerecht zu werden, fehlen hier die Perspektiven des Kindes und der Lehrperson. Wahrnehmungsdisparitäten und Konfliktpotenziale, aber auch potenzielle Ressourcen wie gemeinsame Zielentwicklung und soziale Unterstützung können dadurch nur einseitig analysiert werden. Folgestudien sind notwendig, um die Stichprobe zu erweitern, Herkunftsunterschiede systematisch zu erfassen und z. B. auch Väter, Kinder, Lehrpersonen zu befragen, da unterschiedliche Rollenerwartungen, Kooperationsverständnisse und Handlungsstrategien denkbar sind.

Eine weitere Limitation ist der Befragungszeitpunkt während der Corona-Pandemie und wenige Monate nach den bundesweiten Schulschließungen. Durch das beschriebene Vorgehen konnten wir zwar Aussagen beim Codieren abgrenzen, die sich explizit auf den Distanzunterricht bezogen, jedoch ist nicht auszuschließen, dass die Mütter diesen Kontext unbewusst mitgedacht haben. Als methodische Limitation von Gruppeninterviews ist zu berücksichtigen, dass sich die Teilnehmenden gegenseitig beeinflussen. Hier zeigte sich in der Studie gleichzeitig die Chance der mütterlichen Selbstreflexion und gegenseitigen Anregung.

5.3 Implikationen

Im Kontext gesellschaftlicher Heterogenität und Leistungsorientierung könnte die Untersuchung von Einzelfällen in narrativen Interviews zum tieferen Verständnis von individuellen Rollenkonzepten und -konflikten sowie familiären Erziehungs- und Bildungspraktiken dienen. Da die Mütter ihr Handeln teils mit dem Verhalten ihrer eigenen Eltern erklärten und trotz veränderter Rahmenbedingungen (u. a. Ganztagsschule, mütterliche Berufstätigkeit) Vergleiche mit ihrer eigenen Schulzeit anstellten, wären biografisch-narrative Interviews aufschlussreich. Durch diese könnten elterliche Rollenüberzeugungen und Selbstwahrnehmungen retrospektiv erforscht werden. Auch multiperspektivische Fokusgruppenstudien in Realgruppen wären gewinnbringend, um Perspektiven von Eltern und Lehrpersonen vergleichen zu können.

Mit Blick auf frühere quantitative Elternbefragungen und die festgestellte Diskrepanz zwischen dem Rollenverständnis und tatsächlichen Aufgabenübernahmen (Jako‑o GmbH 2017; Killus und Paseka 2016) ergänzt die vorliegende Studie den Forschungsstand. Die qualitativen Befunde liefern neue Denkansätze, indem sie konkrete Handlungsweisen und Handlungsgründe sowie Merkmale der mütterlichen Selbst- und Passungswahrnehmung zu Beginn der Sekundarstufe I aufzeigten. In Anlehnung an die Erkenntnisse sollten neben den bislang fokussierten schul- und familiensystemischen Kontextvariablen in quantitativen Studien zukünftig auch Handlungsgründe, Handlungsstrategien und Routinen von Eltern sowie ihre Selbst- und Passungswahrnehmung stärker berücksichtigt werden, wenn es um die Gestaltung effektiver Familien-Schul-Kooperationen geht. In den Modellen von Hoover-Dempsey und Sandler (1997) sowie von Eccles (2007) finden sich einige dieser Aspekte bereits als Einflussfaktoren auf das elterliche Unterstützungsverhalten wider, die einen Einfluss auf die kindliche Schulleistung und Lernmotivation haben können. Elternbezogene Faktoren wie ihre Selbst- und Passungswahrnehmung in der schulischen Kooperation wurden bislang weniger in den Blick genommen. In Anlehnung an die vorliegenden qualitativen Befunde sollten die psychologischen Forschungsmodellen zur schulbezogenen Elternbeteiligung durch die Aspekte familiensystemischer Routinen, früherer Erfahrungen von Eltern sowie ihre Passungswahrnehmung ergänzt werden. Denn bewährte Handlungsstrategien und offene Gespräche mit der Lehrperson zeigten sich zum Teil als ressourcenschonend für die Mütter und als effektiv für die Lernunterstützung im häuslichen Umfeld.

Die Bedeutung der Kommunikation und bedarfsgerechte Kommunikationsstrukturen gilt es in quantitativen Studien differenzierter zu untersuchen. Daraus könnten schließlich Empfehlungen für die schulische Praxis und die Gestaltung lernförderlicher Kooperation abgeleitet werden. Neben der schulsystemischen Qualitätsentwicklung könnte die universitäre Lehrpersonenausbildung von der Forschung profitieren. Hier sollten Inhalte einer effektiven Kommunikationsgestaltung und das Thema der Familien-Schul-Kooperation stärker verankert werden. Trotz zunehmender Selbstständigkeit der Kinder nach der Grundschulzeit erscheint die Initiative der Lehrpersonen beim Übergang in den Sekundarschulbereich vor dem Hintergrund der dargestellten Befunde als essentiell, um z. B. frühere negative Kooperationserfahrungen, die die mütterliche Distanziertheit zur Schule bzw. zu den Lehrpersonen begründen können, abzubauen und von Anfang an „passende“, bedarfsorientierte Kommunikationsstrukturen abzusprechen. Zudem sollten Lehrpersonen auch bei wahrgenommener Ausgeglichenheit von Eltern Kommunikationsstrukturen etablieren, um Aufgabenübernahmen abzusprechen und die häusliche Unterstützungsqualität beurteilen zu können. Dies erschien mit Blick auf Routinen der Mütter (z. B. Hausaufgabenkontrolle) und von den eigenen Eltern übernommene Verhaltensweisen als wichtig. Außerdem können eine Vertrauensbasis und Wertschätzung in der Familien-Schul-Kooperation ohne direkte Kontakte kaum aufgebaut werden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass bedarfsgerechte Schulstrukturen zwar die Passungswahrnehmung der Mütter positiv beeinflussen können, die Beziehungsqualität zu den Lehrpersonen aber als gewichtiger erscheint. Denn sie sind erste Ansprechpartner*innen des Kindes im Schulalltag und können bei selbstwahrgenommener Rollenbelastung von Müttern direkt unterstützend wirken.

Resümierend ist festzuhalten, dass Mütter trotz Berufstätigkeit und Ganztagsschulentwicklung nach wie vor eine Vielfalt an Aufgaben übernehmen, um die Schulbildung ihrer Kinder zu unterstützen. Dies erscheint ihnen nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aufgrund von äußerem Druck und schulischen Strukturmängeln als notwendig. Damit sich der Druck im Kontext der leistungsorientierten Gesellschaft nicht negativ auf die mütterliche Selbstwahrnehmung und die kindliche Lernentwicklung auswirkt, gilt es im Rahmen der Familien-Schul-Kooperation eine offene Gesprächskultur und effektive Kommunikationsstrukturen zu etablieren. Vor dem Hintergrund der rasanten bildungs- und gesellschaftssystemischen Veränderungen sowie der zunehmenden sozialen Disparitäten und kulturellen Vielfalt erscheinen individuell gestaltete Familien-Schul-Kooperationen und klare Absprachen über Aufgaben und Rollen umso dringlicher.