1 Einführung

Der Ruf nach Geschlechtergerechtigkeit gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit. So formulieren die United Nations (UN 2015) das Ziel, eine Geschlechtergleichstellung zu erreichen und Frauen sowie Mädchen zur Selbstbestimmung zu befähigen. Auch die OECD (2013) ruft dazu auf eine Geschlechtergleichstellung aufgrund diskriminierender sozialer Normen sowie ökonomischer Argumente zu fördern.

Kinder nehmen schon früh gesellschaftliche Geschlechterrollen und -stereotype wahr (z. B. Bian et al. 2017). So werden weibliche Figuren eher als schwach und passiv beschrieben, während männliche Figuren eher mutig und aktiv dargestellt werden (z. B. Islam und Asadullah 2018). Solche Darstellungen können verfestigte Geschlechterstereotype reproduzieren und junge Rezipierende in ihrer Entwicklung langfristig beeinflussen (z. B. Ullah et al. 2014). Dabei stellt Imdorf (2005) fest, dass diese Geschlechterstereotype zumeist zum Nachteil junger weiblicher Rezipierender ausfallen.

Geschlechterdarstellungen sind auch im Bildungskontext, insbesondere im Rahmen von Schulbüchern, relevant. Schulbücher transportieren neben fachlichen Inhalten auch soziales sowie kulturelles Wissen (Moser et al. 2013) und bieten daher die Möglichkeit, eine Geschlechtergleichstellung zu vermitteln, wie es die Kultusministerkonferenz (KMK 1986) längst fordert. Dennoch zeigt sich im (inter-) nationalen Raum, dass in vielen (sprachlichen) Schulbüchern weibliche im Vergleich zu männlichen Figuren unterrepräsentiert sind und zusätzlich verstärkt stereotyp dargestellt werden (z. B. Moser und Hannover 2014). An dieser Stelle setzt die vorliegende Studie an. Sie verfolgt das Ziel, verschiedene deutschsprachige Geographie-Schulbücher der Sekundarstufe I bezüglich ihrer Geschlechterdarstellungen und -stereotype anhand eines qualitativen Forschungsdesigns zu untersuchen.

1.1 Geschlechterstereotype

Stereotype sind kognitive Strukturen, die ein Vorwissen und bestimme Vorstellungen beinhalten. Diese beziehen sich „einerseits [auf den] individuellen Wissensbesitz, andererseits bilden sie den Kern eines konsensuellen, kulturell geteilten Verständnisses“ (Eckes 2008, S. 171) hinsichtlich verschiedener Personengruppen. Entsprechend sind Stereotype Eigenschaften, die einer sozialen Gruppe z. B. aufgrund ihres Geschlechts zugeschrieben werden.

Längste Zeit beinhaltete der Begriff Geschlecht eine Aufteilung von Personen in Frauen und Männer, die auf biologischen Merkmalen beruht. Dieses Konzept der Zweigeschlechtlichkeit wird jedoch zunehmend in Frage gestellt, da es beispielsweise intersexuelle oder trans* Personen ausschließt. Inzwischen herrscht in verschiedenen Forschungszweigen wie z. B. der Psychologie der Konsens, dass mehrere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten existieren (siehe Hyde et al. 2019). Wir schließen uns diesem Konsens an und sind überzeugt, dass das Geschlecht zunehmend als non-binär wahrgenommen und berücksichtigt werden muss. In diesem Artikel beziehen wir uns dennoch aus zwei Gründen auf weibliche und männliche Figuren. Zum einen sind Zuschreibungen gesellschaftlicher Rollenbilder weniger klar für queere Personen. Zum anderen ist in Abbildungen – die für unsere Studie maßgeblich sind – nicht zwangsläufig erkennbar, ob Personen intersexuell, trans* oder non-binär sind bzw. sich so definieren. Im Zweifel werden entsprechende Personen weiblich oder männlich gelesen. Dies ist jedoch ausdrücklich nicht als Zustimmung eines binären Geschlechtssystems zu verstehen.

Geschlechterstereotype im Speziellen beziehen sich auf das vermeintlich sozial geteilte Wissen, das über weibliche und männliche Personen bestehen soll. Sie setzen sie sich aus deskriptiven und präskriptiven Anteilen zusammen. Deskriptive Annahmen beschreiben Vorstellungen, wie Frauen und Männer sind; präskriptive, wie sie zu sein haben (Ellemers 2018). Wenn deskriptive Erwartungen nicht erfüllt werden, erfolgt eine überraschte Reaktion. Werden präskriptive Annahmen hingegen verletzt, resultiert daraus meist Ablehnung (Eckes 2008). Unabhängig von der Reaktion führt eine Nicht-Erfüllung stereotyper Annahmen nicht dazu, entsprechende Stereotype abzulegen (Prentice und Carranza 2003). Entsprechend sind Geschlechterstereotype stark änderungsresistent (Eckes 2008).

1.2 Mediale Geschlechterdarstellungen und ihre Wirkung

Die sozial-kognitive Lerntheorie nach Bandura und Walters (1977) betont das Lernen von Personen von anderen Personen. Dabei beobachten und imitieren Lernende das Modell, von dem sie lernen. So ein Modell können echte Personen, aber auch mediale Darstellungen von Personen und deren Verhalten sein. In Bezug auf die Darstellung von Geschlechterrollen könnten Rezipierende von Medien entsprechend anhand der medialen Darstellung über ihre vermeintlich gesellschaftliche Rolle lernen und sie imitieren. Entsprechend ist es essenziell, in Medien dargestellte Geschlechterrollen zu untersuchen und zu hinterfragen.

Internationale sowie nationale Untersuchungen medialer geschlechterstereotyper Darstellungen und deren Auswirkungen sind mittlerweile zu einem umfangreichen Forschungsfeld herangewachsen. Es gibt zahlreiche Studien hinsichtlich der Geschlechterdarstellung in Medien wie beispielsweise der Werbung (für ein Review, siehe Landreth Grau und Zotos 2016) oder deutschen Kinder- und Bilderbüchern (z. B. Jürgens und Jäger 2010). Konsens dieser (inter-) nationalen Untersuchungen ist es, dass mediale Darstellungen wirkmächtig und an der Prägung, Aufrechterhaltung, aber auch potenziellen Veränderung von Geschlechterstereotypen maßgeblich beteiligt sind. Kinderbücher folgen einem heteronormativen Paradigma (Burghardt und Klenk 2016), in denen weibliche Figuren weniger stark präsentiert und stärker stereotyp dargestellt sind als männliche (für ein Review, siehe Ullah et al. 2014). Dies ist insofern problematisch, als dass eine binäre Geschlechterordnung medial konstruiert und aufrechterhalten wird. Während internationale Studien zwar leicht positive Entwicklungen hin zu geschlechtergerechteren Abbildungen berichten (z. B. Acheson et al. 2020), mahnen Forschende aus dem deutschen Sprachraum gleichzeitig an, dass diese kaum dem Fortschritt des realen sozialen Wandels gerecht werden (Jürgens und Jäger 2010).

Geschlechterdarstellungen sind ebenfalls im Schulkontext, besonders in Form von Abbildungen in Schulbüchern, relevant, da ihnen eine besondere Legitimation und Funktion zukommen. Sie dienen nicht nur der Unterstützung von Lernprozessen (Moser und Hannover 2014), sondern transportieren auch „sozial geteiltes kulturelles Wissen, wie zum Beispiel gesellschaftliche Normen und Werte oder Stereotype über verschiedene soziale Gruppen“ (Moser et al. 2013, S. 77). Entsprechend stellen Schulbücher ein kritisches Element für die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit dar. Geschlechterstereotype Abbildungen zeichnen nicht nur eine geschlechterungerechte Wirklichkeit nach, sie konstruieren sie auch. Rezipierende entsprechender Abbildungen werden durch solche in ihren Vorstellungen von Geschlechterrollen und infolgedessen in identitäts- und persönlichkeitsbildenden Prozessen sowie ihren Zukunftsvorstellungen beeinflusst (z. B. Bender Peterson und Lach 1990; Ullah et al. 2014). Geschlechterspezifische Ausrichtungen innerhalb von Institutionen und ihren Mitteln – wie der Schule und den verwendeten Schulbüchern – sind entsprechend unbedingt kritisch zu überprüfen.

Imdorf (2005) gibt diesbezüglich zu bedenken, dass sich die Beeinflussung durch geschlechterstereotype Abbildungen nicht nur auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Rezipierender beschränken lässt. Vielmehr wirkt diese Sozialisation über den Schulkontext hinaus nach, sodass Lebenswege junger Lernende schon früh geschlechterspezifisch standardisiert werden und sich somit lebenslang in Wahrnehmung und Identität auswirken können. Geschlechterstereotype Darstellungen haben entsprechend eine Beeinflussung der Selbstwahrnehmung zur Folge, die häufig zum Nachteil weiblicher Rezipierender ist.

Insofern überrascht es nicht, dass es internationale Vereinbarungen wie die der UN-Konvention gibt, die für eine Beseitigung stereotyper Rollendarstellung in Bildungsplänen und Unterrichtsmaterialien plädiert (Bittner 2014). Auch die KMK beschloss, dass Schulbücher keine stereotypen Geschlechterrollen vermitteln sollen:

„Die Kultusministerkonferenz weist darauf hin, daß die Darstellung von Männern und Frauen/Mädchen und Jungen in Schulbüchern dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung entsprechen muß. […] Schulbücher sollen dazu beitragen, daß Jungen und Mädchen bei der Übernahme von Aufgaben in Familie, Beruf und Gesellschaft selbst frei entscheiden können. Einseitig festlegende Aufgabenzuweisungen sollen vermieden werden oder dort, wo sie als Teil der Wirklichkeit darzustellen sind, eine Problematisierung erfahren. Die Kultusminister und -senatoren der Länder werden verstärkt darauf achten, daß diese Grundsätze bei der Schulbuchzulassung berücksichtigt werden.“ KMK (1986, S. 491)

Bei der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Herstellung von mehr Geschlechtergerechtigkeit ist die Rolle medial vermittelter geschlechtlicher Rollenbilder nicht zu vernachlässigen, besonders im schulischen Kontext. Schulbücher stellen aufgrund ihrer Funktion als staatlich, gesellschaftlich und pädagogisch legitimiertes Lehrwerk ein Medium dar, das die Dringlichkeit der Forschung hinsichtlich stereotyper Abbildungen verdeutlicht.

1.3 Geschlechterdarstellungen in Schulbüchern

Die geschlechterbezogene Schulbuchforschung im deutschen Sprachraum zeigt, dass geschlechterstereotype Darstellungen seit Jahrzehnten kritisch hinterfragt werden (z. B. Ott 2016). Während naturwissenschaftliche Fächer national und international kaum untersucht werden (Bölsterli Bardy 2015), wurden bislang insbesondere Schulbücher der Mathematik (z. B. Moser und Hannover 2014) oder sprachlicher Fächer (z. B. Islam und Asadullah 2018; Mohadeseh und Birjandi 2012) stark in den Fokus genommen. Bittner (2014) zeigte, dass männliche und weibliche Figuren in etwa gleich häufig in deutschsprachigen Englisch-Schulbüchern abgebildet sind. Moser und Hannover (2014) kommen in ihrer Untersuchung von Deutsch-Schulbüchern zu einem ähnlichen Ergebnis. Zeitgleich zeigten die Autorinnen jedoch, dass weibliche Figuren seltener in Mathematik-Schulbüchern vorkamen. Stohler und Bodnar (2010) fanden ebenfalls eine stärkere Repräsentation männlicher Figuren in einem Französisch-Schulbuch aus dem deutschen Sprachraum. Ähnlich wird im internationalen Raum eine Unterrepräsentation weiblicher Figuren in Schulbüchern diverser sprachlicher Fächer festgestellt (z. B. Islam und Asadullah 2018; Mohadeseh und Birjandi 2012).

In Bezug auf Geschlechterdarstellungen wird vereinzelt von aktiven Versuchen, Stereotype aufzubrechen, berichtet (z. B. Bittner 2014; Moser und Hannover 2014). Allerdings ist den Studien aus internationalem und deutschem Raum gemein, dass mehrheitlich stereotype Geschlechterrollen (wenn auch subtil) dargestellt werden (z. B. Cocoradă 2018; Lodge und Reiss 2021). Dies gilt v. a. für die thematischen Bereiche Familie und Beruf (z. B. Islam und Asadullah 2018; Teliousi et al. 2020).

Die Befundlage in Hinblick auf die Analyse von Schulbüchern des Fachs Geographie ist sehr heterogen. Bisherige Forschungen liegen beispielsweise zu den Themen Karten im Kontext der Sustainable Development Goals (Sprenger und Peter 2019), zur Nachhaltigkeit (Boehn und Hamann 2011) und zum Klimawandel und Nachhaltigkeit (Bagoly-Simó 2013) vor. Mit Blick auf das konkrete Thema Geschlechterdarstellungen und -stereotype liegen bislang nur punktuell Studien für das Fach Geographie vor. Dabei eignet sich besonders das Fach Geographie für solche Analysen. Erstens wird im deutschen Geographie-Unterricht häufig mit Schulbüchern gearbeitet (siehe Lathan 2021). Zweitens stellt sich gerade im Fach Geographie die Frage nach stereotypen Darstellungen, weil es mit naturwissenschaftlich-ökologischen (z. B. Klimawandel) als auch gesellschaftlich-ökonomischen (z. B. Kulturen) Themen (Behörde für Schule und Berufsbildung 2004) Domänen verbindet, die üblicherweise unterschiedlich stereotyp wahrgenommen werden. So werden Naturwissenschaften oft eher stereotyp männlich konnotiert (z. B. Starr und Simpkins 2021), während dies im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich unklar ist. Drittens werden durch die teilweise vorhandene gesellschaftswissenschaftliche Ausrichtung u. a. Kulturen und Gesellschaften behandelt, sodass Geschlechterverhältnisse häufig aufgegriffen werden – sei es nun explizit oder implizit (Gomes de Matos et al. 2021).

Kern (2019) bezieht sich auf das österreichische Schulfach „Geographie und Wirtschaftskunde“ und zeigte, dass weibliche Figuren in neun von zehn Schulbüchern seltener abgebildet waren als männliche. Auch im beruflichen Kontext waren weibliche Figuren im Vergleich unterrepräsentiert; im Kontext Familie und Haushalt kehrte sich die Verteilung um. Kern (2019) resümiert, dass die untersuchten Schulbücher ein „Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit konstruier[en], welches nicht dem Gedanken der Gleichbehandlung und Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von dere[n] Geschlechtsidentität, entspricht“ (S. 17). Chakrabarty und Halder (2020) untersuchten englischsprachige Geographie-Schulbücher hinsichtlich der quantitativen Repräsentation von weiblichen und männlichen Figuren in Texten und Abbildungen. Die Befunde zeigten, dass weibliche Figuren seltener dargestellt wurden und ein großes Ungleichgewicht hinsichtlich der Sichtbarkeit der Geschlechter herrschte. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch in amerikanischen Geographie-Schulbüchern: So werden weibliche Figuren seltener und meist stereotyp in den Rollen der Pflegenden, Haushälterin und Schönheitsobjekten in Fotografien dargestellt (Acheson et al. 2020).

1.4 Die vorliegende Studie

Wenngleich eine gewisse Varianz in empirischen Studien vorherrscht, zeigt sich der (inter-) nationale Trend, dass weibliche Figuren in Schulbüchern eher unterrepräsentiert sind und Geschlechterstereotype häufig reproduziert werden (z. B. Moser und Hannover 2014). In Bezug auf Geographie-Schulbücher zeigen erste internationale Studien, dass diese Unterrepräsentanz und Reproduktion tradierter Geschlechterrollen auch in diesem Unterrichtsfach prävalent sind (z. B. Acheson et al. 2020). Allerdings fehlen bislang Untersuchungen von Geographie-Schulbüchern, die in Deutschland verwendet werden. Aus dem dargestellten Forschungstand ergeben sich folgende Forschungsfragen:

  1. 1.

    Welche Anzahl und Verteilung von weiblichen und männlichen Figuren existiert in deutschen Geographieschulbüchern?

  2. 2.

    Inwiefern sind Geschlechterstereotype (z. B. im Hinblick auf berufliche oder familiäre Tätigkeiten) der Schulbücher erkennbar?

Im Rahmen der Untersuchung legen wir hierfür den Fokus auf die Analyse von Abbildungen in den Schulbüchern. Wie bereits Acheson et al. (2020) argumentierten, nehmen Abbildungen eine besondere Rolle in Schulbüchern ein: Abbildungen können Ideen schneller und effektiver darstellen als die dazugehörigen Texte in Schulbüchern. Entsprechend sind auch Abbildungen zwangsläufig Träger von sozial-kulturellen und pädagogischen Inhalten, die durch ihre frequente Nutzung, einer kritischen Prüfung bedürfen.

2 Methode

2.1 Stichprobe

Zur Untersuchung der Fragestellungen wurden insgesamt 978 Abbildungen in sieben Geographie-Schulbücher genutzt, die an deutschen Gymnasien in Sekundarstufe I verwendet werden. Die Sekundarstufe I wurde in den Fokus genommen, da das Fach Geographie in diesen Klassenstufen für alle Lernende verpflichtend ist und sie somit eine höhere gesellschaftliche Relevanz haben als Bücher der Sekundarstufe II. Es handelte sich dabei um Schulbücher der Verlage Westermann (Diercke Geographie 1, Durchblick Basis Erdkunde, Diercke Geographie 2, Diercke Geographie 9/10) sowie Klett (Terra Geographie 7/8, IGL-Buch 3, Terra Geographie 9/10). Die Schulbücher wurden zufällig aus einem Pool veröffentlichter und an Gymnasien verwendeter Geographie-Schulbüchern für die Sekundarstufe I ausgewählt.

Für die vorliegende Untersuchung wurde der Fokus auf die Abbildungen in den Schulbüchern gelegt. Formale Bildaspekte (z. B. Größe) wurden nicht berücksichtigt, da ihr Aussagegehalt über den Bildinhalt gering ist (Geise und Rössler 2012). Weiter wurden Abbildungen aus dem Inhaltsverzeichnis nicht berücksichtigt. Mehrfach abgedruckte Abbildungen wurden zweimal gewertet, um ihr quantitatives Auftreten und die damit verbundene Wirkung zu berücksichtigen. Abbildungen, die mehr als zwei Male abgedruckt waren, wurden nicht weiter gewertet, um eine Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden.

2.2 Analyseverfahren

Wir haben die Abbildungen sowohl quantitativ als auch qualitativ untersucht. Dabei wurden die Kodierungen bei ca. einem Drittel aller Abbildungen von zwei geschulten Raterinnen vorgenommen. Im Zuge der quantitativen Analyse wurde eine Zählung vorgenommen, die Aufschluss über Repräsentation weiblich und männlich gelesene Figuren gab. Zwecks besserer Lesbarkeit verwenden wir im Folgenden die Begriffe weibliche und männliche Figuren und explizieren nicht erneut, dass es sich dabei lediglich um weiblich und männlich gelesene Figuren handelt.

Diese quantitative Untersuchung ist bedeutsam, da nicht nur die Darstellungsart einen Einfluss auf die Geschlechterwahrnehmung hat, sondern auch die schiere Häufigkeit. Dafür wurden die Abbildungen in die Kategorien (1) nur weibliche Figuren, (2) überwiegend weibliche Figuren, (3) nur männliche Figuren, (4) überwiegend männliche Figuren sowie (5) ausgeglichen oder nicht erkennbar eingeordnet. So wurde eine Abbildung beispielsweise mit „überwiegend weibliche Figuren“ kodiert, wenn weibliche und männliche Figuren auf der Abbildung dargestellt waren, die Anzahl von weiblichen Figuren jedoch überwog. Cohen’s Kappa, ein Maß der Interrater-Reliabilität (Cohen 1960), wies auf eine substanzielle Übereinstimmung der Raterinnen hin (κ = 0,79). Anschließend wurde mithilfe von Binomialtests (Stricker 2019) untersucht, inwiefern die Häufigkeit von Abbildungen mit nur/überwiegend weiblichen Figuren und die Häufigkeit von Abbildungen mit nur/überwiegend männlichen Figuren von einer theoretischen Gleichverteilung abweicht. Für diese Berechnungen wurden Abbildungen mit einem gemischten oder nicht erkennbaren Geschlechterverhältnis vorerst außer Acht gelassen.

Im Rahmen der qualitativen Analyse zur Untersuchung der Abbildungen hinsichtlich abgebildeter Stereotype und thematischen Ausrichtung ihrer Abbildungen wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring und Fenzl (2022) angewendet, die neben Text auch für die Analyse von Abbildungen genutzt werden kann. Da sich Kategoriensysteme aus vorherigen Studien zu Geographie-Schulbüchern (z. B. Acheson et al. 2020) nicht für die vorliegenden Schulbücher eigneten, haben wir induktiv aus dem Material Kategorien abgeleitet, die häufig auftreten oder relevant sind. Anschließend wurden die Ergebnisse durch eine quantitative Komponente ergänzt, indem die Häufigkeit der Abbildungen in den jeweiligen Kategorien gezählt wurde.

Bezüglich der abgebildeten Stereotype, wurden die Abbildungen hinsichtlich der folgenden Kategorien bewertet (κ = 0,62): (1) Tätigkeiten, die mit dem jeweiligen Geschlecht assoziiert werden, (2) weder explizit weiblich/männlich konnotiert bzw. ausgeglichen, (3) weibliche Figuren in männlich assoziierten Tätigkeiten, (4) männliche Figuren in weiblich assoziierten Tätigkeiten, (5) Tätigkeiten nicht mit Geschlecht assoziiert, Abbildungsart aber stereotyp und (6) nicht einzuordnende Figur/Tätigkeit. Dabei ist zu beachten, dass die Zuschreibung von stereotyp weiblich bzw. männlich assoziierten Tätigkeiten westlich geprägt ist.

In Bezug auf die thematische Ausrichtung wurden anhand wiederholter und sorgfältiger Durchsicht der Schulbücher induktiv vier Kategorien festgelegt (κ = 0,69): (1) Beruf und Tätigkeit, (2) Familie und Freizeit, (3) Schule sowie (4) Piktogramme. Die Kategorie „Beruf und Tätigkeit“ umfasst alle Abbildungen, in denen Figuren im beruflichen Kontext dargestellt sind. Da die Erwerbstätigkeit einen bestimmenden Teil des Erwachsenenlebens einnimmt und der Schulbesuch u. a. der Qualifikation und Orientierung für das Berufsleben dient, ist die Berücksichtigung einer entsprechenden Kategorie gut begründet. Die Kategorie „Familie und Freizeit“ stellt eine weitere bedeutsame Säule des Alltagslebens dar und wurde daher als zweite Kategorie festgelegt. Da es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um Schulbücher handelt, ist es zudem sinnvoll, die Kategorie „Schule“ zu betrachten, um die Darstellung der Lebenswelten von Lernenden zu analysieren, an die sich Schulbücher explizit richten. Weiterhin wurde die Kategorie „Piktogramme“ gebildet. Hierzu zählen Abbildungen, in denen mit minimalen gestalterischen Mitteln menschliche oder anthropomorphe Figuren dargestellt wurden. Die Reduzierung des menschlichen Körpers auf basale Formen und grundlegende Eigenschaften kann Aufschluss über das Verständnis und die Wahrnehmung einer repräsentativen Norm geben.

Detailliertere Informationen zum methodischen Vorgehen und den gewählten Kategoriensystemen befinden sich im Online Material.

3 Ergebnisse

3.1 Anzahl männlicher und weiblicher Figuren

Insgesamt wurden 978 Abbildungen gezählt, die menschliche oder anthropomorphe Figuren zeigten. Wie in Tab. 1 erkennbar, variierte die Anzahl der Abbildungen in den Schulbüchern (M = 139.71; SD = 56.95).

Tab. 1 Deskriptive Statistik zur Anzahl männlicher und weiblicher Figuren

Wenngleich die Verteilung weiblicher und männlicher Figuren zwischen den Büchern Unterschiede aufweist, fällt auf, dass in allen untersuchten Schulbüchern Abbildungen mit mindestens überwiegend weiblichen Figuren deutlich weniger vertreten sind als Abbildungen mit mindestens überwiegend männlichen Figuren. Über die Hälfte der Abbildungen stellen nur oder überwiegend männliche Figuren dar (55,52 %). Im Vergleich dazu wurden weibliche Figuren in nicht einmal jeder fünften Abbildung in den Fokus gerückt (17,89 %). Abbildungen, die weibliche und männliche Figuren ausgeglichen zeigen bzw. in denen dieses nicht erkennbar ist, machen mit 26,58 % den zweitgrößten Anteil aus. Entsprechend sind weibliche Figuren weniger in Abbildungen in Geographie-Schulbüchern repräsentiert.

3.2 Geschlechterstereotype in den Abbildungen

Im Rahmen der qualitativen Analyse konnten 666 Abbildungen bezüglich ihrer thematischen Ausrichtung anhand des Kategoriensystems eingeordnet werden. Diese wurden zusätzlich bezüglich der dargestellten Stereotype kategorisiert (Tab. 2). Ähnlich wie in der quantitativen Analyse waren in der Mehrheit dieser Abbildungen nur oder überwiegend männliche Figuren dargestellt (54,05 %), p < 0,001.

Tab. 2 Übersicht über Kategorien der qualitativen Untersuchung

In Bezug auf Stereotype wurden in 56,16 % der Abbildungen Tätigkeiten dargestellt, die mit dem jeweiligen Geschlecht assoziiert wurden. Rund 33,33 % der Abbildungen waren weder explizit weiblich bzw. männlich konnotiert. Insgesamt kam es selten vor, dass weibliche und männliche Figuren bei Tätigkeiten gezeigt wurden, die mit dem jeweils anderen Geschlecht assoziiert waren: Weibliche Figuren in männlich konnotierten Kontexten waren in 6,76 % der Abbildungen präsent, männliche Figuren in weiblich assoziierten Kontexten nur in 0,60 % der Abbildungen.

Thematisch war v. a. die Kategorie „Beruf und Tätigkeit“ in den Schulbüchern repräsentiert. In dieser Kategorie wurden in 70,79 % der Abbildungen nur oder überwiegend männliche Figuren gezeigt, p < 0,001. Zudem sind die Abbildungen meist stereotyp (73,13 %). Nur in 9,58 % der Abbildungen dieser Kategorie wurden weibliche Figuren bei eher männlich konnotierten Tätigkeiten dargestelltFootnote 1.

Die Kategorie „Familie und Freizeit“ war am zweithäufigsten repräsentiert. Hier wurden vergleichsweise häufig weibliche und männliche Figuren gemeinsam dargestellt (62,32 %). Männliche Figuren wurden nur tendenziell häufiger gezeigt als weibliche Figuren, p = 0,092. Weiter waren die abgebildeten Tätigkeiten meist weder explizit weiblich noch männlich konnotiert (70,29 %). In dieser Kategorie kam es selten vor, dass Figuren in Tätigkeiten gezeigt werden, die stereotyp nicht ihrem Geschlecht entsprachen.

Bei der Kategorie „Schule“ handelte es sich um die einzige Kategorie, in der weibliche Figuren (19,70 %) häufiger als männliche Figuren dargestellt wurden (10,61 %). Dieser Unterschied war jedoch nicht signifikant von einer theoretischen Verteilung von 0.5 verschieden, p = 0,263. Die absolute Mehrheit der Abbildungen stellte Tätigkeiten im schulischen Umfeld dar, die weder explizit weiblich noch männlich konnotiert waren (92,42 %). Gleichzeitig traten kaum Situationen auf, die Figuren in einem mit dem jeweils anderen Geschlecht assoziierten Kontext zeigten.

Abbildungen in den Schulbüchern wurden eher selten in die Kategorie „Piktogramme“ zugeordnet. Keins der Schulbücher beinhaltete Piktogramme, die ausschließlich weiblich gelesen werden konnten. Der Großteil dieser Piktogramme war jedoch von vermeintlich männlicher Gestalt (52,94 %), p < 0,001. Mit 70,59 % stellten die meisten Piktogramme Tätigkeiten dar, die stereotyp dem jeweiligen Geschlecht zugeschrieben wurden. Mit einem Anteil von 14,71 % machten Piktogramme, die nicht per se mit einem Geschlecht assoziiert waren, deren Darstellungsart aber stereotyp war, im Vergleich zu den anderen Kategorien einen recht großen Teil aus. Dies war v. a. in der wiederholten Verwendung von einem „weiblichen Piktogramm“ in einem Kleid und einem „männlichen Piktogramm“ in Hosen begründet, wie es häufig vor Toiletten zu finden ist.

4 Diskussion

Ausgehend der sozial-kognitiven Lerntheorie (Bandura und Walters 1977) ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmung gesellschaftlicher Geschlechterrollen und -stereotype sich auf identitäts- und persönlichkeitsbildende Prozesse auswirken (z. B. Ullah et al. 2014). Zahlreiche (inter-) nationale Forschungsarbeiten weisen auf die Reproduktion von Geschlechterstereotypen in verschiedensten Medien (z. B. Landreth Grau und Zotos 2016), auch im schulischen Kontext in Form von Schulbüchern hin (z. B. Acheson et al. 2020). Ziel dieser Untersuchung war es, erstmalig Erkenntnisse über geschlechterstereotype Abbildungen in deutschsprachigen Geographie-Schulbüchern zu gewinnen. Die Ergebnisse zeigten, dass Abbildungen mit männlichen Figuren rund drei Mal häufiger als Abbildungen mit weiblichen Figuren waren. Hinsichtlich der Stereotype sowie der thematischen Ausrichtung zeigte sich, dass Geschlechterstereotype reproduziert wurden.

4.1 Geschlechterverteilung in Abbildungen von Geografie-Schulbüchern

Insgesamt wurde deutlich, dass in den untersuchten Geographie-Schulbüchern eine Unterrepräsentanz von weiblichen Figuren existiert, während Abbildungen von männlichen Figuren dominierten. Diese Ergebnisse untermauern erste Schulbuchanalysen bzgl. Geschlechterstereotype im Fach Geographie (z. B. Kern 2019). Wenngleich einige wenige Studien eine quantitative Ausgeglichenheit zwischen weiblichen und männlichen Figuren in Schulbüchern anderer Fächer vorweisen (Bittner 2014; Moser und Hannover 2014), scheint dieser Befund verhältnismäßig selten (z. B. Mohadeseh und Birjandi 2012; Teliousi et al. 2020).

In Bezug auf die Stereotype und die thematische Ausrichtung der Abbildungen zeigte sich, dass Abbildungen in denen nur oder überwiegend weibliche Figuren dargestellt sind, in keiner der thematischen Kategorien überwogen. Im Gegensatz dazu zeigten mehr als die Hälfte aller Abbildungen in den Kategorien „Beruf und Tätigkeit“ sowie „Piktogramme“ nur oder überwiegend männliche Figuren. In diesen beiden Kategorien wurden weiter mehrheitlich Abbildungen abgedruckt, die Geschlechterstereotype reproduzierten. Entsprechend wurden männliche Figuren u. a. im beruflichen Kontext präsenter dargestellt und die abgebildeten Figuren blieben tradierten Geschlechterrollen verhaftet (siehe auch Kern 2019). Dieser Befund zeigt sich ebenfalls in Schulbüchern anderer Unterrichtsfächer (z. B. Cocoradă 2018; Moser und Hannover 2014).

Weiterhin ist ein häufiger Befund in der Literatur die vermehrte Abbildung von weiblichen Figuren im Kontext Familie und Haushalt (z. B. Damigella und Licciardello 2014; Kern 2019). Die Frau als Versorgerin im familiären Kontext stellt ein tradiertes Rollenbild dar, das sich in dieser Studie nicht zeigte: Weibliche Figuren wurden in der Kategorie „Familie und Freizeit“ in den untersuchten Geographie-Schulbüchern seltener dargestellt als männliche Figuren. Die meisten Abbildungen zeigten ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Darüber hinaus wurde der Großteil der dargestellten Tätigkeiten als weder explizit weiblich noch männlich bzw. ausgeglichen kategorisiert und somit traditionelle Familien- sowie Rollenbilder verhältnismäßig wenig forciert. Eine mögliche Erklärung für die Abweichung von vorherrschenden Befunden könnte sein, dass unser Kategoriensystem lediglich die vergleichbare Kategorie „Familie und Freizeit“ enthält, beide Begriffe aber nicht weiter unterscheidet. Diese genauere Unterscheidung gestaltete sich im Kodierungsprozess als schwierig, da viele Abbildungen dieser Kategorie eben sowohl Familien- als auch Freizeitaktivitäten darstellten (z. B. gemeinsamer Familienausflug).

Die thematische Kategorie „Schule“ wurde bislang in keiner uns bekannten Studie berücksichtigt, ist aber in Anbetracht der Untersuchung eines schulischen Lehrwerks sinnvoll. Mehr als die Hälfte aller untersuchten Abbildungen im schulischen Kontext zeigten ein ausgeglichenes Verhältnis von weiblichen und männlichen Figuren. Dies ist insofern erfreulich, als dass auch in der sozialen Realität die Geschlechter annähernd gleich verteilt sind (Rudnicka 2022). Weiter war die Kategorie „Schule“ die einzige, in der weibliche Figuren deskriptiv häufiger repräsentiert waren als männliche Figuren. Diese Ergebnisse sind zwar nicht in den bisherigen Stand der Schulbuchforschung einzuordnen, wohl aber in die Diskussion um die Benachteiligung von Jungen im Schulkontext. Eine mögliche Bevorzugung von Mädchen im schulischen Kontext zu Ungunsten von Jungen, wird bereits seit Jahren diskutiert (z. B. Hannover und Kessels 2011) und könnte sich entsprechend auch auf die Darstellung von Geschlechterstereotypen in Schulbüchern auswirken.

Insgesamt waren über die Hälfte aller Abbildungen der untersuchten Geographie-Schulbücher als stereotyp einzuordnen. Entsprechend untermauern die Ergebnisse die Befunde der geschlechterbezogenen Schulbuchforschung (z. B. Stohler und Bodnar 2010; Teliousi et al. 2020) und der allgemeinen Untersuchung medial vermittelter Geschlechterstereotype (z. B. Landreth Grau und Zotos 2016). Während Forschende vereinzelt von Abbildungen berichten, in denen Geschlechterstereotype aktiv aufgebrochen werden (z. B. Kern 2019), kommt dies auch in der vorliegenden Studie nur selten vor. Dazu zählen beispielsweise Abbildungen in denen männliche Figuren Betreuungstätigkeiten übernehmen, die stereotyp eher von weiblichen Figuren übernommen werden.

4.2 Implikationen für Theorie und Unterrichtspraxis

Zunächst erscheint es sinnvoll, Verfassenden von Schulbüchern eine größere Sorgfalt und Überprüfung pädagogischer Lehrwerke hinsichtlich der Darstellung von Geschlechterrollen nahezulegen. Da es sich bei Schulbüchern jedoch um ein träges Medium handelt (Jenderek 2015), ist es notwendig, auch Lehrkräfte für potenziell diskriminierende Darstellungen in Schulbüchern zu sensibilisieren. Auch bezugnehmend auf die sozial-kognitive Lerntheorie nach Bandura und Walters (1977), ergibt sich aus bisheriger Forschung zu Diversitätsthemen das Desiderat, Unterrichtsmedien wie das Schulbuch in der Praxis stärker kritisch zu reflektieren (z. B. Szakács-Behling et al. 2020). Dieses Desiderat wird durch die vorliegenden Ergebnisse untermauert. Primär gibt es zwei Möglichkeiten, die empirische Befundlage in der Unterrichtspraxis zu berücksichtigen und kritische Reflexionen in den Unterricht einzubinden. Zunächst können sich Lehrpersonen weiter des Schulbuchs bedienen, präsentierte Geschlechterrollen und -stereotype jedoch in Form einer geschlechterreflektierenden Pädagogik explizit im Unterricht reflektieren (z. B. Sunderland 2000). So könnten Lernende dazu angeregt werden, Geschlechterstereotype kritisch zu hinterfragen (z. B. Cocoradă 2018; Couch 1994).

Alternativ können Lehrpersonen den Einsatz von Schulbüchern als präferiertes Lehrwerk reduzieren. So könnten sie aktiv Literatur für ihren Unterricht auswählen, in denen Schlüsselfiguren nicht rein stereotypen Tätigkeiten nachgehen (Filipović 2018), weibliche Protagonistinnen beschrieben werden (Zonne und Klausing 2011) und/oder genderneutrale Sprache verwendet wird (Mischau und Eilerts 2018). Auch digitale adaptive Medien könnten eine Alternative bieten (z. B. Scheiter 2021). Während eine sorgfältige Überprüfung der Geschlechterdarstellungen nach wie vor unerlässlich wäre, ist die Möglichkeit der Anpassung des Lernmaterials von Vorteil. So könnten verstärkt weibliche Vorbilder in Lernmaterialien eingebettet sowie Familien- und Beziehungssysteme entgegen tradierter Rollenbilder verändert werden. Ebenso könnte die Sprache, wenn nötig, genderneutral umformuliert werden. Adaptive digitale Medien könnten also in Zukunft entscheidend für die Herstellung von mehr Geschlechtergerechtigkeit sein und dazu beitragen, Geschlechterstereotype in schulischen Lernmaterialen abzubauen.

Abschließend wurde während der Untersuchung der Geographie-Schulbücher deutlich, dass neben den meist geschlechterstereotypen Abbildungen weitere potenziell diskriminierende Aspekte dargestellt wurden. Entsprechend ist es essenziell, Schulbücher hinsichtlich weiterer Diskriminierungsdimensionen (z. B. Ableismus, Othering) zu prüfen und entsprechende Handlungsempfehlungen für die Praxis zu formulieren.

4.3 Limitationen

Eine Limitation der Studie liegt in der Methode der Inhaltsanalyse (Mayring und Fenzl 2022) begründet. Einige Forschende kritisieren, dass das Kategorisieren unvermeidbar mit einer Wertung durch die beurteilende Person einhergeht (z. B. Geise und Rössler 2012). Daher wurden ca. ein Drittel aller Abbildung von einer weiteren Person kategorisiert, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse reliabel sind. Dies konnte durch eine substanzielle Interrater-Reliabilität bestätigt werden.

Weitere Limitationen betrifft das untersuchte Material. Zunächst haben wir nur eine Auswahl an Schulbüchern getroffen, die sich allerdings nicht systematisch von anderen Geographie-Schulbüchern der gymnasialen Sekundarstufe I unterschieden (z. B. hinsichtlich thematischer Inhalte). Zudem lässt die Analyse der sieben gewählten Schulbücher unterschiedlicher Verlage zwar Befunde über die Gestaltung von Geographie-Schulbüchern zu; dies gilt allerdings nur für die gymnasialen Klassenstufen fünf bis zehn. Ob die Ergebnisse auf weitere deutschsprachige, gar internationale Geographie-Schulbücher, andere Schulformen und Klassenstufen übertragbar sind, lässt sich nicht feststellen. Angelehnt an frühere empirische Arbeiten (z. B. Kern 2019) sind ähnliche Ergebnisse in Geographie-Schulbüchern jedoch für andere Klassenstufen, Länder und Schulformen zu erwarten.

Eine letzte Limitation ergibt sich aus der Reproduktion des Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Die Ablehnung dieser Binarität ist wissenschaftlicher Konsens (siehe z. B. Hyde et al. 2019), dem wir ausdrücklich zustimmen. Allerdings fokussiert auch diese Studie ein binäres Geschlechtssystem, die u. a. durch unklare gesellschaftliche Rollenbilder queerer Personen begründet ist. Dennoch ist der Forschungsbedarf, die über ein zweigeschlechtliches System hinaus geht, nicht zu leugnen (z. B. Hyde et al. 2019). Geschlechtliche Binarität bildet nicht die soziale Realität ab, schließt Personengruppen systematisch von wissenschaftlichen Studien aus und ist darum als Limitation der vorliegenden Studie zu werten.

5 Fazit

Die vorliegende Untersuchung zeigte, dass weibliche Figuren in den Abbildungen der untersuchten Geographie-Schulbüchern im Gegensatz zu männlichen Figuren signifikant unterrepräsentiert sind. In drei von vier Kategorien bzgl. der thematischen Ausrichtung der Abbildungen ist die geringere Repräsentanz (tendenziell) signifikant. Zusätzlich gehen die abgebildeten Figuren in mehr als der Hälfte der Abbildungen Tätigkeiten nach, die im europäischen Raum mit ihrem jeweiligen Geschlecht assoziiert werden. Aktive Versuche, Geschlechterstereotype aufzubrechen sind rar. In Anbetracht der sozial-kognitiven Lerntheorie nach Bandura und Walters (1977) und dem Fakt, dass Lernende der Sekundarstufe I regelmäßig mit Abbildungen konfrontiert werden, die Geschlechterstereotype reproduzieren und aufrechterhalten, gilt es didaktische Ansätze für die Unterrichtspraxis zu untersuchen, in denen solche stereotypen Darstellungen explizit reflektiert werden.