1 Einleitung

Eine der zentralen Fragen sozialwissenschaftlicher Forschung dreht sich um sozioemotionale Charakteristika und ihre Bedeutung für die Entwicklung über den Lebensverlauf. Gerade in den letzten Jahren wird dies intensiv diskutiert (vgl. u. a. Abrahams et al. 2019; Borghans et al. 2008a; Durlak et al. 2022; Gutman und Schoon 2016; Mahoney et al. 2019; OECD 2015; Orth et al. 2012; Roberts et al. 2007). Obwohl in aller Munde erscheint es mitunter nicht ganz klar, was sozioemotionale Charakteristika genau sind (Abrahams et al. 2019). Das zeigt sich unter anderem im fehlenden Konsens über ihre Bezeichnung: als Synonyme sozioemotionaler Charakteristika werden beispielsweise soft skills, soziokognitive Merkmale, personality skills oder Persönlichkeit, personal qualities und nicht zuletzt noncognitive skills gehandelt. Letztgenannter Begriff der „nicht-kognitiven Fähigkeiten“ wurde in den 1970er-Jahren durch die ökonomisch-soziologische Forschung eingeführt und diente zur Beschreibung dessen, was jenseits von kognitiven Fähigkeiten und sozialer Herkunft den Lebensverlauf und Bildungs- sowie beruflichen Erfolg mitbestimmt (Borghans et al. 2008a; Bowles und Gintis 1976, 2002; Gutman und Schoon 2016; OECD 2013, 2015).

Obwohl hier sehr viele unterschiedliche Begriffe zirkulieren, kann man sich sozioemotionale Charakteristika wahrscheinlich am besten als eine Art sozioemotionale Ressource vorstellen: Charakteristika wie etwa Gewissenhaftigkeit, Optimismus, Selbstwirksamkeit oder Selbstregulation sollten positiv auf die längerfristige Entwicklung in allerlei Lebensbereichen wirken, egal ob in Schule oder Beruf, im Sportverein, beim Musizieren oder in der Partnerschaft. Gerade anhand von Bildungsprozessen und -verläufen lässt sich dies sehr gut veranschaulichen: Auf den Lern- und Bildungsverlauf sollte es sich positiv auswirken, wenn Schüler:innen Hausaufgaben sorgfältig durchführen, trotz Misserfolgen zuversichtlich bleiben, auf sich selbst und ihre eigenen Fähigkeiten vertrauen und sich bei schwer verständlichen, komplexen Inhalten Strategien überlegen, um sich Kniffeliges zu plausibilisieren und zu erarbeiten.

Umgekehrt sind diese Charakteristika nicht nur Faktoren, die den Bildungs- und Lebensverlauf prägen, sondern Schule und Bildung wirken ihrerseits auf sozioemotionale Charakteristika. Die Diskussion um „Charakterbildung“ ist der Diskussion um Erziehung und Beschulung seit jeher zentrales Momentum, vom antiken Griechenland, über Humboldt bis in die Gegenwart (vgl. z. B. Seel und Hanke 2015). Der Auftrag, dass die Schule Kinder und Jugendliche zu selbstbestimmten Mitbürger:innen erziehen, bilden und sozialisieren soll, findet sich direkt und indirekt in quasi allen Schulsystemen formuliert – und meint damit eben gerade diese sozioemotionalen Qualitäten, mit denen die Schüler:innen interessiert, sozial verträglich und selbststimmt ihren Lebensweg mit ihren Mitmenschen gestalten (Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) 2015; Seel und Hanke 2015; von Hentig 2008).

In diesem Beitrag werden zunächst unterschiedliche konzeptuelle und terminologische Probleme diskutiert sowie aktuelle taxonomische Überlegungen vorgestellt. Im Anschluss werden theoretische Ansätze und Prozessüberlegungen skizziert, die darlegen, warum und wie sozioemotionale Charakteristika und Bildung miteinander in Zusammenhang stehen und sich wechselseitig beeinflussen. Darüber hinaus werden zentrale empirische Befunde zu diesen Zusammenhängen vorgestellt und in einem letzten Schritt zentrale Problemfelder diskutiert. Wie es für einen Stichwort-Artikel der ZfE üblich ist, ist der vorliegende Artikel kein systematic review oder gar eine Metaanalyse im engeren Sinn, sondern ein Übersichtsbeitrag, der zentrale Forschungslinien auf der theoretischen und begrifflich-konzeptuellen Ebene skizziert, einen Überblick über metaanalytische Befunde gibt sowie zentrale Forschungsdesiderata und wichtige Fortentwicklungen verdeutlicht. Dies schließt auch ein, dass mitunter nicht alle Bereiche vollständig systematisiert werden, sondern besonders zentrale Perspektiven und Arbeiten, anhand derer sich die grundlegenden Problematiken erläutern lassen, im Vordergrund stehen.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Sozioemotionale Charakteristika: Definitorische Eingrenzung

Sozioemotionale Charakteristika oder (relativ synonym und oft verwendet) nicht-kognitive Fähigkeiten (noncognitive skills) sind zentrale Begrifflichkeiten in einem nomologischen Netz um personal qualities, die nicht durch kognitive Leistungstests wie Intelligenz- und Schulleistungstests abgebildet werden (Duckworth und Yeager 2015). Vorangehend wurden einige Synonyme genannt, zu denen sich weitere ergänzen lassen wie social-emotional-learning (SEL), social, emotional, and behavioral (SEB-)skills, character skills, life skills, agency skills, und, vermutlich am unklarsten, 21st century skills (Abrahams et al. 2019; Duckworth und Yeager 2015; OECD 2015; Schoon 2021; Soto et al. 2021). Diese Begriffe beziehen sich auf psychologische Merkmale, die grundlegende Tendenzen oder Fähigkeiten von Menschen beschreiben, die für die eigene Person und ihre Mitmenschen zuträglich (bzw. bei Mangel wenig zuträglich) sind, um mit sich und den eigenen Gefühlen umzugehen, mit anderen zusammenzuarbeiten oder eigene Ziele zu verfolgen und zu erreichen: also intrapersonale, interpersonale und aufgabenorientiert-instrumentelle Aspekte belangen (vgl. z. B. Abrahams et al. 2019; Duckworth und Yeager 2015; OECD 2015). Dabei werden vor allem zeitstabile und von der Intelligenz und kognitiven Leistungsfähigkeit relativ unabhängige Aspekte der Person in den Blick genommen (Abrahams et al. 2019; Duckworth und Yeager 2015; Schoon 2021; Soto et al. 2021). Hierbei ist zu beachten, dass das Kriterium „Stabilität über die Zeit“ gleichzeitig nicht ausschließt, dass diese Merkmale prinzipiell veränderbar sind, was auch Konstrukte wie die Persönlichkeit sensu der Big‑5 mit einschließt (Bleidorn et al. 2021; Wagner et al. 2020). Andererseits ist das Kriterium der Unabhängigkeit von rein kognitiven Faktoren in der Empirie in der Regel nicht zu halten, da diese Faktoren wechselseitig korreliert sind, da etwa kognitive Fähigkeiten auch für Entwicklung, Abruf und Anwenden soziemotionaler Skills relevant sind und umgekehrt (vgl. nachfolgender Abschnitt).

Anhand der konzeptuellen Rahmung der OECD (2015) lässt sich dies gut (wenngleich nicht erschöpfend) erläutern (vgl. Abb. 1). Auf Seiten der sozioemotionalen Fähigkeiten finden sich für intrapersonale Kompetenzen breite Konstrukte wie Selbstwert und Optimismus, für interpersonale Kompetenzen (im Original: working with others) Konstrukte wie Geselligkeit und Fürsorge und für die instrumentelle Dimension (achieving goals) werden die Merkmale Durchhaltevermögen und Selbstkontrolle genannt. Interessant an dieser Veranschaulichung ist der Bezug auf kognitive Fähigkeiten. Die Abgrenzung zu den sozialemotionalen Charakteristika ist hier wie auch in anderen Konzeptionen enthalten (vgl. auch Tab. 1), was die Popularität des Begriffes non-kognitive Fähigkeiten gewiss mitbedingt. Insofern ist aus einer inhaltlichen Ebene diese Dichotomie zwischen kognitiven und non-kognitiven Fähigkeiten attraktiv. Wie vorangehend angedeutet besteht jedoch aus einer psychologischen Sicht hieran die Schwierigkeit, dass es eigentlich keine psychologischen Konstrukte gibt, die keine kognitiven Anteile haben; selbst „reine“ Emotionen und Stimmungen sind durch Kognitionen entscheidend mitbestimmt (vgl. Siemer et al. 2007), was den Begriff der nicht-kognitiven Fähigkeiten problematisch erscheinen lässt (siehe auch Borghans et al., 2008a). Auch rein empirisch sind die Konstrukte in der Regel korreliert, da auch die „reinen“ kognitiven Leistungstests (selbst Intelligenztests) durch sozioemotionale Fähigkeiten mitbestimmt werden und somit mindestens empirisch eine wechselseitige Beziehung besteht (Duckworth und Yeager 2015; Hübner et al. 2022; Kautz et al. 2015; Soland et al. 2018). Nimmt man moderne Kompetenzbegriffe, die neben den rein kognitiven Facetten auch sozioemotionale Qualitäten wie etwa motivational-volitionale Aspekte als Teil fachspezifischer Kompetenzen definieren (vgl. z. B. Klieme et al. 2008; Weinert 2001a), ist diese wechselseitige Abhängigkeit der Definitionen weiterführend problematisch.

Abb. 1
figure 1

Konzeptuelle Darstellung von kognitiven und sozio-emotionalen skills bzw. Kompetenzen (eigene Darstellung nach OECD 2015, S. 34)

Tab. 1 Übergreifende Taxonomien nach interpersonalen, intrapersonalen und intellektuellen Dimensionen

Anhand der zahlreichen Synonyme, die vorangehend genannt wurden, lässt sich gut erkennen, dass dieses Forschungsfeld durch zahlreiche sogenannte Jingle-Jangle-Probleme (Borghans et al. 2008a; Jones et al. 2019) gekennzeichnet ist: Jingle-Jangle meint, dass für unterschiedliche Konzepte der gleiche Begriff verwendet wird (Jingle) oder gleiche Konzepte mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten beschrieben werden (Jangle). Dies hat nicht nur strategische Gründe (weil z. B. mit „neuen“ Begrifflichkeiten „das Rad neu erfunden“ wird, um größere Aufmerksamkeit zu erlangen), sondern rührt auch daher, dass diese Konzepte aus unterschiedlichen Forschungstraditionen stammen und sich deshalb unterschiedliche Begrifflichkeiten in unterschiedlichen Traditionen und theoretischen Rahmungen herausbildeten. Mal ist beispielsweise von Neurotizismus die Rede, dann wieder von emotionaler Stabilität oder emotionaler Resilienz, um mit diesen Synonymen zu beschreiben, wie nervös, launisch, melancholisch oder stressanfällig Personen sind. Als zentrale Forschungstraditionen, auf die diese Unklarheiten in Teilen zurückgehen, lassen sich vor allem drei Linien ausmachen: die eher klinisch orientierte Forschung, die sich vorwiegend mit intra- und interpersonellen Charakteristika in ihrer Bedeutung für adaptive oder maladaptive Entwicklungsverläufe beschäftigt; die an der Lebensspanne orientierte Entwicklungsforschung, die sich primär mit der Vorhersage von Bildung und anderen life-outcomes im Erwachsenenalter beschäftigt; und nicht zuletzt die psychometrisch-differentielle Persönlichkeitspsychologie, bei der der Fokus eher auf der systematischen Beschreibung, Differenzierung und Diagnostik (inklusive der prädiktiven Validität) von Personenmerkmalen liegt (Abrahams et al. 2019; Schoon 2021). Je nach Richtung und Tradition wurden unterschiedliche Akzente und Vertiefungen gesetzt und Begrifflichkeiten etabliert. So spielt etwa in der klinisch orientierten Forschung die Abgrenzung von kognitiven Aspekten eine geringere Rolle als in der lifespan-orientierten und differenziell-persönlichkeitspsychologischen Tradition. Entsprechend ist dort der Begriff der non-kognitiven Fähigkeiten weniger verbreitet als z. B. in der lifespan-Forschung, die sich auch stark v. a. aus ökonomischen und soziologischen Forschungstraditionen speist, in denen eher vereinfachende grobe psychologische Marker (kognitiv vs. nicht-kognitiv) zu unterscheiden hinreichend erscheint.

Eine weitere begriffliche Debatte, die immer wieder zu definitorischen und systematischen Abgrenzungsschwierigkeiten führt, betrifft den zweiten Teil der sozioemotionalen Charakteristika. Auch hier finden sich unterschiedliche Termini: traits, Dispositionen, skills oder attitudes (Duckworth und Yeager 2015; Schoon 2021; Soto et al. 2021). Diese Begriffe werden mitunter synonym verwendet, haben aber unterschiedliche inhaltliche Nuancen. Mit traits oder auch Dispositionen impliziert man eine Sichtweise, mit der die Unveränderbarkeit der Merkmale assoziiert wird, was dahingehend irreführend ist, da sich selbst extrem stabile Merkmale wie die Big‑5 (John et al. 2008) veränderbar und sensitiv für Erfahrungen zeigen (Roberts und Pomerantz 2004; Wagner et al. 2020). Der Begriff unterschlägt dabei auch die notwendige interaktionistische Seite sozioemotionaler Charakteristika, was Konstrukte wie Motivationen und Ziele eher ausschließt, die aber ebenso Bestandteil sein sollten (Soto et al. 2021, 2022). Umgekehrt überbetont der Begriff skills die „Fähigkeits“-Facette, was ebenso problematisch gegenüber Einstellungen oder Verhaltensgewohnheiten ist, die im engeren Sinne keine „Fähigkeiten“ darstellen und andererseits auch eine „Erlernbarkeit“ suggeriert, die beispielsweise für Konstrukte wie Selbstwert oder Extraversion als grundlegende Überzeugungen bzw. Verhaltenstendenzen wenig relevant ist (Duckworth und Yeager 2015). Begrifflichkeiten wie attitudes oder Einstellungen überbetonen in diese Richtung wiederum das situative und veränderbare Moment. Problematischer erscheint allerdings, dass diese Begrifflichkeiten auf maßgeblich intrapsychische Aspekte limitieren, während sozioemotionale Charakteristika auch soziale und verhaltensbezogene Aspekte einbeziehen sollten. Beispielsweise ist die Big‑5 Dimension der Gewissenhaftigkeit eine Verhaltensgewohnheit und Praxis, die sich behavioral manifestieren muss, und primär eben keine „psychische“ Einstellung. Als Konsequenz wurde an unterschiedlicher Stelle vorgeschlagen, eher übergeordnete Begrifflichkeiten zu verwenden, die diese unterschiedlichen Richtungen umfassen können, und entsprechend eher von Merkmalen, Charakteristika oder auch Qualitäten (Duckworth und Yeager 2015) zu sprechen, was auch im vorliegenden Beitrag so vorgeschlagen wird.

2.2 Taxonomien sozioemotionaler Charakteristika

Entsprechend der unterschiedlichen inhaltlichen Traditionen gibt es eine Vielzahl von Systemen, um sozioemotionale Charakteristika zu kategorisieren. In Tab. 1 finden sich diese Ansätze zusammenfassend nach den unterschiedlichen Taxonomien dargestellt. Die Taxonomien unterscheiden sich in der Differenziertheit und den verwendeten Begrifflichkeiten. Alle Systeme erlauben eine Differenzierung sozioemotionaler Merkmale nach inter- und intrapersonalen Dimensionen. Diese Dimensionen werden in manchen Taxonomien zusätzlich unterteilt in instrumentelle (agentic/goal focussed) und emotionale (communal/emotion-focussed) Facetten (Abrahams et al. 2019; Soto et al. 2021, 2022). Mehrere Taxonomien führen eine dritte Dimension der intellektuellen Kompetenzen auf, die mitunter direkt mit Intelligenz identifiziert wird (National Research Council 2012; OECD 2015), verschiedentlich aber direkt sozioemotionalen Charakteristika wie Offenheit oder Innovationsfähigkeiten entspricht (z. B. Abrahams et al. 2019; John et al. 2008). Wenig überraschend ist, dass gerade die Ansätze, die aus der Entwicklungs- und differenziellen Psychologie kommen, differenzierter vorgehen (Abrahams et al. 2019; Lerner et al. 2013; Soto et al. 2021, 2022), was auch für das relativ prominente erziehungswissenschaftlich-psychologische CASEL-Modell (Collaborative for Academic, Social Emotional Learning; Durlak et al. 2022, 2011; Osher et al. 2016) zutrifft, das drei bzw. fünf Dimensionen vorhält (vgl. Tab. 1).

Es wird ersichtlich, dass die Dimensionen trotz der unterschiedlichen Labels und inhaltlichen Fokusse relativ gut einander zuordenbar bzw. ineinander überführbar sind, wenngleich sich die Bezeichnungen klar unterscheiden (auch im Grad der Abstraktheit) und ob z. B. eher von traits (z. B. Extraversion), skills (z. B. social engagement skills sensu Soto et al. 2022) oder lediglich von abstrakten Bereichen (z. B. connection im 5‑C Rahmenmodell nach Lerner et al. 2013) gesprochen wird. Diese Strukturierung macht also deutlich, wie diese Taxonomien grundsätzlich miteinander zusammenhängen.

Auch auf einer noch konkreteren Ebene kann gesagt werden, dass sich diese Zuordnungen ebenfalls gut in eine feineren Systematik überführen lassen (vgl. Tab. 2), was gleichzeitig die Jingle-Jangle-Problematik, die dieses Feld kennzeichnet, noch einmal unterstreicht. Neben dem taxonomischen Ansatz nach Soto et al. (2021), der sozioemotionale Charakteristika unter dem Label social, emotional, und behavioral (SEB) skills führt (Soto et al. 2021), folgt die Tab. 2 auch der parallel entwickelten Taxonomie von Schoon (2021), die sie als Taxonomie der DOmains and MAnifestations of SOcioemotional COmpetencies (DOMASEC; Schoon 2021) bezeichnet. Beide Taxonomien systematisieren mehr oder weniger die gleichen Konstrukte, wenngleich unter leicht unterschiedlichen theoretischen Rahmungen. Diese feineren Systematisierungen heben hervor, wie sich die unterschiedlichen Konstrukte auf einer ganz konkreten konzeptuellen Ebene darstellen und operationalisierbar erscheinen.Footnote 1

Tab. 2 Taxonomie sozioemotionaler Charakteristika auf Konstruktebene nach Domäne und affektiver, kognitiver oder Verhaltens-Manifestation

Ganz praktisch sei hier zudem auf das Taxonomy Project verwiesen, in dem Jones und Kolleg:innen (Jones et al. 2018, 2016) versuchen, ein umfassendes nomologisches Netzwerk sozioemotionaler Konzepte bzw. Rahmenmodelle aufzuarbeiten. Hier werden die Begrifflichkeiten unterschiedlicher Rahmenmodelle sortiert und nach ihrer semantischen und konzeptuellen Ähnlichkeiten bewertet und skaliert (vgl. u. a. https://easel.gse.harvard.edu/taxonomy-project). Dies soll auch dahingehend hervorgehoben werden, da in diesem Projekt nicht nur die Konzeptionen, sondern auch gleichzeitig die Ebene der Operationalisierung mit in den Blick genommen wird. Die Rahmungen bzw. Konstrukte werden zusammen mit zugehörigen Messinstrumenten systematisiert, so dass sich hier vom Theoretischen bis hin zum Empirischen die Beziehungen darstellen und klären lassen, was für die weitere Forschung eine große Erleichterung darstellen sollte.

Aus den vorangegangen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass gegenwärtig eine große Begriffsheterogenität besteht, die jeweils unterschiedliche Traditionen bedienen, was aber gleichzeitig begriffliche Unschärfe und entsprechende Verwirrungen nach sich zieht. Ein übergreifender Terminus sollte gefunden werden. Vor dem Hintergrund des Diskussionstands erscheint meines Erachtens der Begriff der „sozioemotionalen Charakteristika“ am treffendsten. Der Begriff umreißt den inhaltlichen Kern der Konstrukte treffend und fasst die gegenwärtig inhaltlich wichtigsten Konzeptionen in ihren jeweils leicht unterschiedlich nuancierten Begriffen zusammen: Zentrale Konzeptionen sind das Modell des CASEL-Netzwerkes zu sozioemotionalen Lernen (Durlak et al. 2022; Jones et al. 2018, 2019), der OECD-Framework zu sozioemotionalen Skills (Kankaraš et al. 2019; Kankaraš und Suarez-Alvarez 2019; Kautz et al. 2015; OECD 2015) und die eher persönlichkeits- und zieltheoretische begründeten Vorschläge der jüngeren Zeit zu sozialen, emotionalen und Verhaltens-Skills (Abrahams et al. 2019; Lechner et al. 2019; Soto et al. 2021, 2022) sowie Schoons (2021) DOMASEC-Klassifizierung. Feiner noch lassen sich sozioemotionale Charakteristika in eine selbstbezogen-intrapersonale Dimension, eine fremdbezogen-interpersonale Dimension und eine aufgabenbezogene Dimension differenzieren, wie dies jüngst von Schoon (2021) betont wurde. cum grano salis lassen sich damit alle der hier erwähnten Konzepte und Taxonomien sehr gut zusammenfassen. Dies entspricht auch im Abstraktheitsniveau anderen Unterscheidungen, wie man sie etwa im Hinblick auf kognitive Leistungen findet (v. a. zwischen allgemeinen und schulischen kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten; vgl. Weinert 2001b). Nicht zuletzt kann eine solche Unterscheidung auch die spezifische Relevanz für unterschiedliche Entwicklungsbereiche indizieren, in dem Sinne, welche Ressourcen für welche Entwicklungsdimensionen von Bedeutung sind und hierin anderen generalistischen Theorien menschlicher Entwicklung entsprechen (u. a. der SDT nach Ryan und Deci 2017; empirisch u. a. Tetzner et al. 2017; Wagner et al. 2023).

3 Der Zusammenhang von sozioemotionalen Charakteristika und Bildung

Denkt man nun weiterführend diese sozioemotionalen Charakteristika mit Bildung zusammen, ist im Folgenden zu überlegen, was genau Bildung (und Bildungserfolg) bedeutet und umfasst und wie sich sozioemotionale Charakteristika und Bildung wechselseitig bedingen. Im Anschluss werden die zentralen Mechanismen zum Zusammenspiel der beiden Bereiche dargelegt.

3.1 Bildung als multidimensionales Konstrukt

„Bildung“ hat eine weit verzweigte Begriffsgeschichte und ist in der Erziehungswissenschaft spätestens mit Humboldt bis zum heutigen Tage immer wieder Gegenstand von Diskussionen und Kontroversen (vgl. z. B. von Hentig 2008; Seel und Hanke 2015). Im Sinne einer klassischeren Bedeutungsdimension wird Bildung oft als der Prozess des „Sich-Bildens“ verstanden: Personen setzen sich lernend mit der Welt auseinander, erwerben Wissen und Kenntnisse und gestalten ihr Leben als emanzipierte Individuen und Bürger:innen. Hierzu sollen Schule und andere Bildungseinrichtungen das Individuum befähigen, wenngleich diese Bildungs- und Erziehungsfunktion nicht exklusiv schulischen Bildungseinrichtungen zukommt, sondern z. B. auch familiär geprägt wird. Gleichzeitig sind sozioemotionale Charakteristika hierfür zentrale Momente: Denn was bringt Personen überhaupt dazu sich „zu bilden“? Hierfür werden sozioemotionale Charakteristika häufig als der nötige „Treibstoff“ genannt (vgl. Bandura 2006; Borghans et al. 2008b; Roberts et al. 2007), um sich in der Auseinandersetzung mit der Welt zu bilden. Wenn schulische und institutionelle Erziehung einen solchen Bildungsprozess ermöglichen soll, dann sollte sie eigentlich auch so etwas wie „Charakterbildung“ und sozioemotionale Bildung fördern. Auf dieser Ebene lässt sich also schon eine Beziehung dieser Themen ausmachen.

Andererseits wird Bildung gerade in der empirischen Forschung nicht nur als ein (mitunter etwas schwierig operationalisierbarer) Bildungsprozess definiert, sondern Bildung wird auch als multidimensionales Konstrukt verstanden, das auf die Resultate dieser Prozesse und somit „Bildungserfolge“ abzielt. Im Kern eines solchen Bildungsbegriffs lassen sich a) Kompetenzen, Wissen und Fertigkeiten identifizieren. Im allgemeinbildenden Bereich meint dies etwa, dass Kinder Lesen und Schreiben (bzw. auch das Sprechen und Hören) in den jeweiligen Landes- und zusätzlichen Fremdsprachen lernen und Kompetenzen in Mathematik, Naturwissenschaften und historisch-sozialwissenschaftlichen sowie künstlerischen Domänen erwerben (zum Kompetenzbegriff vgl. z. B. Klieme et al. 2008; Weinert 2001b). In der beruflichen und universitären Bildung werden diese Kompetenzen eher auf spezifische Wissens- und Tätigkeitsdomänen bezogen (vgl. z. B. Hartig 2009).Footnote 2

Neben (kognitiven) Fähigkeiten und Kompetenzen lassen sich hier noch weitere Dimensionen bzw. Indikatoren von Bildung unterscheiden (vgl. auch Diefenbach 2010; Fend 2008): Bildungssysteme b) zertifizieren Kompetenzen und reifizieren damit die mutmaßlich in der Schule erworbenen Fertigkeiten. Zertifikate sind dahingehend wichtig, da sie unter anderem verwendet werden, um den Übergang in den Arbeitsmarkt zu regulieren; sie fungieren als Signale für weiterführende Ausbildungsinstitutionen und den Arbeitsmarkt. Eng verwandt hiermit sind auch c) Bildungsübergänge bzw. Bildungsteilhaben als zentrale Dimensionen von Bildung und Bildungserfolgen relevant. Die meisten modernen Bildungssysteme kennen zumindest vier Übergangssituationen: den Übergang vom Elternhaus in den Kindergarten/Primarschulbereich, in das Sekundarschulsystem, in das tertiäre berufliche und universitäre Ausbildungssystem und schließlich in den Beruf. Im Weiteren ist d) die berufliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen eine Dimension von „Bildung“ und umfasst hier v. a. die Teilhabe in Bildungsprozessen und -institutionen, die neben allgemeinbildenden schulischen Institutionen ebenso Bildungsverläufe inhaltlich wie formal mitprägen (können). Neben den Kompetenzen sind also auch anderen Dimensionen der Bildungsteilhabe, vor allem aber die Zertifizierung im Sinne des abschließenden Bildungserfolges (im Englischen oft als educational attainment bezeichnet), die Teilhabe an Übergängen und Bildungsinstitutionen zentrale Indikatoren von Bildung bzw. Bildungserfolgen, die in der empirischen Forschung betrachtet werden. Kompetenzen repräsentieren hierbei eher die inhaltlich-psychologische Dimensionen, Teilhabe und Zertifikate eher die soziologische Dimension von Bildung.

3.2 Theoretische Überlegungen zum Zusammenspiel

Es ist intuitiv, dass sozioemotionale Charakteristika für Bildung von Bedeutung sind (und umkehrt, Bildung für die Entwicklung sozioemotionaler Charakteristika). Es ist wenig plausibel, dass beispielsweise eine unzuverlässige, emotional instabile und uninteressierte Person bei ähnlichen kognitiven Kompetenzen in gleicher Weise schulisch erfolgreich ist wie eine zuverlässige, psychisch stabile und vielseitig interessierte Person. Im Folgenden sollen zentrale Prozesse und Mechanismen dieser wechselseitigen Beziehungen beschrieben werden.

O’Connor und Paunonen (2007) postulieren in ihrer Metanalyse zum Zusammenhang zwischen sozioemotionalen Charakteristika und Bildung ganz grundlegend, dass kognitive Faktoren im Sinne von Leistungen festlegen, was Personen zu leisten im Stande sind, sozioemotionale Charakteristika hingegen beschreiben, was Personen leisten werden. Etwas konkreter finden sich bei Roberts et al. (2007) fünf grundlegende Mechanismen beschrieben, die diese Zusammenhänge zwischen sozioemotionalen Faktoren und Bildung (und in extenso beruflichen Entwicklungen) als Prozess beschreiben: Ein erster Pfad umfasst A) direkte Effekte sozioemotionaler Charakteristika auf akademische Leistungen und Kompetenzen. Es ist zum Beispiel zu erwarten, dass Individuen ihren Lernprozess umso besser steuern können, desto gewissenhafter und zielorientierter sie sind. Ebenso werden Individuen mit einem niedrigen Selbstwert und hohem Neurotizismus in Leistungssituationen höchstwahrscheinlich weniger gute Leistungen erzielen und Widerstände weniger gut überwinden können als Personen mit hohem Selbstwert und niedrigerem Neurotizismus (vgl. z. B. Judge und Bono 2001; Judge et al. 1999). Ein weiterer Pfad sind B) Attraktionsmechanismen („active niche-picking“). Offenere Persönlichkeiten suchen eher intellektuellere Tätigkeiten bzw. Ausbildungswege als weniger offene Personen. Gerade auch im Übergang von Schule in die (universitäre) Ausbildung und Beruf lassen sich vergleichsweise große Effekte sozioemotionaler Charakteristika im Vergleich zu Noten und kognitiven Variablen belegen (vgl. z. B. Watermann und Maaz 2004). Zudem sollten umgekehrte Pfade bestehen: Das sind einerseits C) Rekrutierungseffekte, dass die Umwelten selbst Personen entsprechend ihrer traits und skills anziehen und sich diese verstärken. Auch im schulischen Bereich finden sich solche Effekte, dass z. B. gewissenhaftere und offenere Personen positiver bewertet und weiterempfohlen werden (vgl. z. B. Brandt et al. 2021a; Kuhl und Hannover 2012). Andererseits ist auch von D) De-Selektionseffekten auszugehen, dass Personen Umwelten verlassen, die nicht ihren sozioemotionalen Charakteristika entsprechen, also beispielweise die Schule oder den Ausbildungsgang wechseln oder generell Ausbildungen abbrechen (Volodina et al. 2015). Zudem nennen Roberts et al. (2007) E) Prozesse aktiver Gestaltung von Umwelten, sodass Personen ihre Lebensumwelten entsprechend ihrer sozioemotionalen Charakteristika strukturieren. Dies ist im schulischen Bereich durch die vermutlich stärker standardisierten Strukturen etwas eingeschränkter, aber zumindest im tertiären Bildungssektor sollte dies eine große Rolle spielen, z. B. durch die Strukturierung der ganz konkreten eigenen Lernopportunitäten in der Universität und die Gestaltung einer passenden Lernumgebung. Gerade im Hochschulbereich mit seiner geringeren Strukturiertheit wird dies als bedeutsamer Faktor erachtet (vgl. die Debatte zur Bedeutung von sozialen Strukturen vs. psychologischer Agency; Schoon und Heckhausen 2019; Settersten und Gannon 2005).

Im Sinne bildungstheoretisch informierter Forschung (bzw. mit bildungspolitischen Interessen) wäre zu diesen fünf Prinzipien zu ergänzen, dass Effekte der Umwelt auf die Entwicklung sozioemotionaler Charakteristika ebenso zum Zusammenhang beitragen: Dies sind zum einen F) Effekte auf individueller Ebene, die durch Leistungen und Kompetenzen zur Formung sozioemotionaler Charakteristika kodeterminieren. Elementarster Prozess ist hier sicherlich, dass Personen, die leistungsstärker sind, sich auch sozioemotional positiver entwickeln (sog. skill-enhancement; vgl. z. B. McElvany et al. 2008; Retelsdorf et al. 2014). Zum anderen sind auch Kontexteffekte bedeutsam, was G) peer-Prozesse umfasst, die durch Interaktion und Austausch zu sozioemotionalen Effekten führt, z. B. dass sich Schüler:innen im Sinne von Vergleichsprozessen unterschiedlich bewerten (Tetzner et al. 2022; West et al. 2016) oder durch unterschiedliche Klassenzusammensetzungen das gemeinsame Lernen mit den peers sehr unterschiedliche sozioemotionale als auch leistungsbezogene Konsequenzen haben kann (Mckown et al. 2010; Roseth et al. 2008). Last but not least sind H) Unterrichts- und Institutionseffekte anzunehmen, z. B. inwieweit durch die Lehrkräfte und den Unterricht sozioemotionale Charakteristika implizit oder explizit Gegenstand sind: implizit z. B. ob durch den Grad der Strukturierung von Aufgaben mehr oder weniger selbstregulatorisch gearbeitet werden muss (und Selbstregulation implizit hierbei trainiert wird), oder explizit, dass Selbstregulation oder Metakognition auch direkt unterrichtet werden können (Kistner et al. 2010).

Gewiss ist diese Auflistung nicht erschöpfend und vor allem stellen sich die Wirkmechanismen auf einer Konstruktebene sehr unterschiedlich dar. Es sollten an dieser Stelle lediglich die zentralen Pfade zur wechselseitigen Bedeutsamkeit aus einer psychologischen und pädagogischen Perspektive vorgestellt werden (weiterführend zur Differenzierung zentraler Wirkpfade von Lernumwelten auf die individuelle Entwicklung vgl. u. a. Baumert et al. 2006; Becker et al. 2022; Dumont 2021; Nikolov und Dumont 2020); eine erschöpfende Zusammenfassung und Systematisierung wäre an anderer Stelle zu leisten.

3.3 Empirische Befunde zum Zusammenhang von sozioemotionalen Charakteristika und Bildung

Im Folgenden werden empirische Evidenzen zusammengetragen, die den Zusammenhang zwischen sozioemotionalen Charakteristika und Bildung auf unterschiedliche Art empirisch belegen. Dies hat zwei Richtungen: Auf der einen Seite wird eine Übersicht über korrelative Zusammenhänge zwischen Bildung und sozioemotionale Charakteristika gegeben, in welchen Bereichen also ganz grundsätzlich Beziehungen bestehen, wobei die Wirkrichtungen offenbleiben. In einem zweiten Schritt wird diejenige Literatur systematisiert, die sich auf Experimente und Interventionen fokussiert, die darauf abzielen, sozioemotionale Charakteristika zu verändern, für die aber nicht nur Effekte auf die sozioemotionalen Charakteristika selbst, sondern auch (kausale) Effekte auf schulische Outcome-Maße berichtet werden. Diese Arbeiten sind insofern von besonderer Bedeutung, da sie einerseits die Plastizität sozioemotionaler Charakteristika belegen und deutlich machen können, wie es (im schulischen Rahmen) gelingen kann, sozioemotionale Charakteristika zu verändern. Gleichzeitig verdeutlichen und unterstreichen sie die Bedeutung sozioemotionaler Charakteristika, wenn sich durch die Förderung sozioemotionaler Charakteristika im Nachgang auch Bildungsoutcomes verändern. Da das Forschungsfeld insgesamt sehr breit und divers ist, fokussieren wir im Folgenden auf metaanalytische Arbeiten, die übergreifend Evidenzen systematisieren und somit robuste Beziehungen belegen können.

3.3.1 Korrelative Arbeiten

Für eine systematische Literatursuche zu korrelativen Arbeiten zu Bildung und sozioemotionalen Charakteristika wurden die Datenbanken ERIC, PsychInfo und PsychArticles herangezogen, um Metaanalysen und systematische Reviews der letzten 20 Jahre zum Thema zu identifizieren. Gesucht wurden a) Metaanalysen oder systematische Reviews mit den Kriterien b) sozioemotionale CharakteristikaFootnote 3 und c) BildungFootnote 4 für d) Kinder, Jugendliche und StudierendeFootnote 5. Nicht einbezogen wurden Arbeiten, die sich auf spezifischere Populationen beschränken.Footnote 6 Die Suche führte zu 1338 Artikeln. Im weiteren Prozess wurden Artikel ausgeschlossen, die im Kern nur spezifische Subgruppen (z. B. Latinx-Populations, mit Lernstörungen) oder nur domänenspezifische Subfacetten (z. B. Lesemotivation und Lesekompetenz) behandelten, sowie Übersichtsarbeiten, die keine Effektstärken berichteten (bzw. auch im Rahmen der anderen Suche von experimentellen Arbeiten und Interview-Studien bzw. diese Kriterien erfüllten; vgl. nachfolgender Abschnitt).

Hiermit wurden 39 Metanalysen zu Korrelationen zwischen sozioemotionalen Charakteristika und Bildung identifiziert, die unterschiedlich breit und übersichtlich das Thema behandeln. In einigen Bereichen konzentrieren sich viele Arbeiten und systematic reviews; zugrunde liegen entsprechend mitunter stark oder sogar weitgehend überlappende Primärstudien. Dies trifft insbesondere für den Bereich Persönlichkeit, Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept sowie Motivationales zu. Insofern fasse ich diese Arbeiten weitgehend aus der Perspektive der jüngsten bzw. systematischsten Arbeiten zusammen, und verweise lediglich auf wichtige ergänzende Aspekte der weniger umfänglichen Arbeiten.

Einen ersten Einblick kann Hatties (2009) Meta-Metaanalyse geben. Hier werden fünf Bereiche sozioemotionaler Charakteristika identifiziert, die unterschiedlich stark mit dem Lernen zusammenhängen. Der Schwerpunkt liegt hier klar auf Erwartungs-Wert-theoretischen Konstrukten: Engagement und Motivation mit einem mittleren Effekt von jeweils d = 0,48, Selbstkonzept mit d = 0,43 und angstbezogene Merkmale mit d = 0,40 sowie Einstellungen zu Mathematik und Naturwissenschaften mit d = 0,46; „Persönlichkeit“ (ohne weitere Spezifikation) wird hier mit d= 0,19 angeführt.Footnote 7 Legt man die erwähnte Taxonomie zugrunde, so würden diese Zusammenhänge im Wesentlichen den selbstbezogenen sozioemotionalen Charakteristika (Selbstkonzept) und den sach-/aufgabenbezogenen sozioemotionalen Charakteristika (angstbezogene Merkmale, Einstellungen zu Mathematik und Naturwissenschaften) zuordenbar sein (vgl. Tab. 2). „Persönlichkeit“ wäre auf dieser Abstraktionsebene nicht zuordenbar.

Insofern lohnt der Blick auf feiner differenzierte Arbeiten. Die vermutlich differenzierteste metaanalytische Arbeit wurde von Richardson et al. (2012) für den tertiären Bildungsbereich vorgelegt. Sie fasst beinahe erschöpfend sämtliche der eingangs erwähnten Bereiche sozioemotionaler Kompetenzen (vgl. Tab. 2) und ihre Beziehung zur akademischen Leistung (im tertiären) Bereich zusammen. Insgesamt werden 47 unterschiedliche Konstruktbereiche differenziert. Um auf die bedeutsameren Konstrukte zu fokussieren, werden im Folgenden diejenigen Konstrukte diskutiert, für die sich Korrelationen mit über r ≥ 0,16 mit mindestens einem Bildungsoutcome wie Noten oder Leistungstests zeigten. Dies entspricht dem unteren Grenzwert des 95 %-Konfidenzintervalls des Schätzwertes, wie stark Intelligenz mit den Leistungsoutcomes im tertiären Bereich (Richardson et al. 2012) korreliert (r = 0,21, 95 %-CI = [0,16;0,24]; in anderen Bildungs‑/Entwicklungsstufen ist diese Korrelation durchaus höher; vgl. z. B. Poropat 2009). Von den 47 Konstrukten, die bei Richardson et al. (2012) differenziert werden, finden sich insgesamt 15, für die sich Korrelationen von r ≥ 0,16 finden. In Tab. 3 finden sich einerseits diese Ergebnisse von Richardson et al., (2012), ergänzt um weitere Arbeiten, die ebenso Korrelationen von r ≥ 0,16 berichten. Konstrukte finden sich mehrmals, wenn sie z. B. für unterschiedliche Operationalisierungen (z. B. allgemein vs. fachspezifisch) oder Altersgruppen geschätzt wurden. Die Konstrukte finden sich gruppiert als selbst-, aufgaben- und sozial-(other-)orientiert und, Schoon (2021) folgend, wiederum subgruppiert nach Affekt, Kognition und Verhalten (bzw. zusätzlich als nicht differenzierbar).

Tab. 3 Korrelationen zwischen sozioemotionalen Merkmalen, die r ≥ 0,16 zu Noten, Leistungstests und anderen Bildungsoutcomes (sofern jeweils verfügbar) für unterschiedliche Altersgruppen

Im obersten Tabellenteil finden sich die Korrelationen zu selbstorientierten sozioemotionalen Charakteristika. Insbesondere für Selbstwirksamkeit in unterschiedlichen Varianten und Altersgruppen mit Korrelationen von r = 0,70 (Brown et al. 2008) bzw. r = 0,67 mit Noten (Leistungsselbstwirksamkeit; Richardson et al. 2012) und mit r = 0,31 mit objektiven Leistungstests (für akademische Selbstwirksamkeit; Richardson et al. 2012). Aus dieser Gruppe der kognitiven selbstorientieren Charakteristika ist zudem das akademische Selbstkonzept hoch korreliert (r = 0,40). An dieser Stelle sei hinzugefügt, dass Tab. 3 auch Berichte von Korrelationen von r < 0,16 enthält, sofern sich für das gleiche Konstrukt in anderen Metaanalysen auch höhere Korrelationen finden, um auch Variabilitäten der Zusammenhänge zumindest partiell anzudeuten. Bei der Selbstwirksamkeit trifft dies beispielsweise zu, da Valentine et al. (2004) für die allgemeine Selbstwirksamkeit eine Korrelation von lediglich r = 0,11 berichtet. Ähnliches trifft auch auf den Selbstwert, für den als Hauptkonstrukt der core self-evaluations durchaus eine Korrelation mit r = 0,18 für die Häufigkeit von Unterrichtsteilnahmen berichtet werden (vgl. Credé et al. 2010), aber nicht bei Valentine et al. (2004) für Selbstwert im engeren Sinne (r = 0,07).

Im Bereich der selbstorientierten sozioemotionalen Charakteristika ist auf der Verhaltensebene vor allem Gewissenhaftigkeit bedeutsam korreliert, vor allem wenn die Einschätzung des traits durch die Eltern erfolgt (Poropat 2009), r = 0,50, aber auch im Selbstrating finden sich hierfür teilweise substantielle Korrelationen (Noten: r = 0,28 bzw. Tests: r = 0,13; Meyer et al. 2023). Im affektiven Bereich finden sich vor allem negative Korrelationen von r = −0,17 für perfektionistisch motivierte Sorgen (perfectionistic concerns; Osenk et al. 2020).

Einen noch etwas facettenreicheren Kranz an sozioemotionalen Konstrukten finden sich erwartungsgemäß im Bereich der aufgabenorientierten sozioemotionalen Charakteristika: in diversen Altersstufen korreliert Motivation substantiell in unterschiedlichen Operationalisierungen mit verschiedenen Bildungsoutcomes von r = 0,64 (Robbins et al. 2004) bis hin zu r = 0,27 für investigative Interessen nach Hollands (1986) RIASEC-Modell bereichsspezifischer Interessen (Staggs et al. 2007) und r = 0,16 für intrinsische Motivation im Hochschulbereich (Richardson et al. 2012). Im kognitiv konnotierten Bereich sind vor allem Ziele (r = 0,49 bis r = 0,18) und Offenheit (r = 0,43 bis r = 0,22) sowie Metakognition, need for cognition und kritisches Denken gewisse Denk‑/Lernstile bedeutsam korreliert. Auf der Verhaltensebene finden sich die Konstrukte nicht im hohen, sondern eher im mittleren bis niedriger bedeutsamen Bereich korreliert (von r = 0,18 bis r = 0,35), aber dafür umfassen sie viele unterschiedliche konative Facetten, von der Anstrengungsregulation, Ausdauer und Durchhaltevermögen bis hin zu verschiedenen Facetten von Lernmanagement und -organisation und Arbeits‑/Lernstilen.

Der Bereich, in dem sich vergleichsweise die wenigsten bedeutsamen Zusammenhänge finden, ist der sozial- bzw. other-orientierte Bereich. Es finden sich nur wenige bedeutsame Korrelationen, von einem nicht weiter differenzierbaren Konstrukt sozialer Fähigkeiten (Quílez-Robres et al. 2021), zu sozialen Interessen, r = 0,17, bis hin zu peer-orientierem Lernen, r = 0,20, und help-seeking Verhalten, r = 0,17. Der Faktor emotionaler Intelligenz ist diesem Bereich schwer zuzuordnen, da er zwar im Sinne von Empathie und der Fähigkeit, Emotionen in anderen zu erkennen (emotion recognition ability), klar other-orientiert ist, aber auch dahingehend selbst-bezogen ist, sofern es eher Kompetenzen meint, die eigene Emotionalität zu erkennen und zu regulieren (vgl. Richardson et al. 2012). Hier legen die Befunde nahe, dass die other-bezogenen Facetten eher nicht mit klassischen Bildungsoutcomes korreliert sind (r = −0,03 nach Schlegel et al. 2019), während Operationalisierungen, die auch selbst-bezogene Anteile enthalten, bedeutsamer korrelieren (vgl. auch emotionale Intelligenz mit r = 0,17 bei Richardson et al. 2012). Entsprechend finden sich z. B. auch für weitere prominente sozial-orientierte Faktoren wie zum Beispiel Extraversion oder Verträglichkeit der Big‑5 im Mittel nur schwache Zusammenhänge (Extraversion r = 0,02 und Verträglichkeit r = 0,04, nach Meyer et al. 2023; ohne Tabelle).

Zusammenfassend kann für diese Arbeiten festgehalten werden, dass relativ substantielle Korrelationen für sehr unterschiedliche Konstrukte berichtet werden. Vor allem im Bereich der selbst- und aufgaben-orientierten finden sich insbesondere zahlreiche bedeutsame Zusammenhänge.

3.3.2 Interventionsstudien

Um dies nun mit Evidenz von kausalen Beziehungen zwischen sozioemotionalen Charakteristika auf der einen und Bildung auf der anderen Seite zu ergänzen, wurde analog zur Suche nach korrelativen Arbeiten der aktuellste Forschungsstand zu Experimenten und Interventionen eingrenzend aufgearbeitet. Erneut wurde ein Literatursuche in ERIC, PsychInfo und PsychArticles durchgeführt, die wiederum auf Metaanalysen und systematischen Reviews abzielte, jetzt mit dem Fokus auf Experimente und InterventionsstudienFootnote 8 für sozioemotionale Charakteristika (vgl. Fußnote 3) und für Kinder, Jugendliche und Studierende (vgl. Fußnote 5; wiederum unter Ausschluss spezifischerer Populationen, vgl. Fußnote 6). Diese Suche führte zu 1682 Artikeln. Im weiteren Screening der Arbeiten wurden gezielt Artikel gesucht, die dann nicht nur die Manipulation oder Intervention in sozioemotionale Charakteristika berichteten, sondern auch mindestens einen Bildungsoutcome. Ausgeschlossen wurden hierbei wiederum Arbeiten, die im Kern nur spezifische Subgruppen adressierten (z. B. Latinx-Populations) oder nur domänenspezifische Subfacetten (z. B. Lesemotivation und Lesekompetenz). Insgesamt wurden 27 Metanalysen zu Experimenten und Interventionen in sozioemotionalen Charakteristik identifiziert, die mindestens einen Bildungsindikator als Outcome berichteten. Diese Suche war hierbei parallel zu derjenigen von Gutman und Schoon (2016) angelegt, so dass die vorliegende Literatursuche einen Überblick über die aktuellste Forschung gibt; Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 1990 und 2013, wie sie von Gutman und Schoon (2016) identifiziert wurden, werden ergänzt, sofern sich im jüngeren Zeitraum keine aktuellere oder umfassendere Studie für die Domäne/Konstrukte findet. Zudem wurden weitere Arbeiten vor 2013 über Schneider und Preckel (2017) identifiziert.

Grundsätzlich folgt die Darstellung ebenso der Einteilung nach selbst-, sozial- und aufgabenorientierten sozioemotionalen Charakteristika. Allerdings muss die Einschränkung gemacht werden, dass die zentralen Arbeiten nicht gut nach einzelnen Bereichen zu klassifizieren sind, da sie sozioemotionale Charakteristika insgesamt betrachten bzw. die zugrundeliegenden Experimente und Intervention auf keine spezifische Subdimension abzielen. Dies trifft direkt auf die vermutlich prominentesten bzw. systematischsten Arbeiten aus dem oben genannten CASEL-Netzwerk zu (Durlak et al. 2022, 2011; Osher et al. 2016). Hieraus wurde eine Reihe von Metaanalysen vorgelegt, die Effekte von schulischen Interventionen zu sozioemotionalem Lernen (SEL; z. B. Förderung von Empathie) sowohl auf sozioemotionale Charakteristika selbst als auch auf Bildungsoutcomes, vor allem Schulleistungen, die nicht direkt gefördert wurden, sich aber dennoch veränderten, zusammenfassen. Tab. 4 gibt einen Überblick über diese Metaanalysen zu CASEL-Interventionen, wobei ausschließlich auf die Effekte von Bildungsoutcomes fokussiert wird. Es finden sich mehrere Arbeiten aufgelistet, die Effektstärken von rund einer sechstel bis einer drittel Standardabweichung berichten. Diese Effekte sind nicht als unabhängig voneinander zu lesen: Vielmehr sind sie stark aufeinander bezogen, da sie in weiteren Teilen ähnliche Arbeiten einbeziehen, aber in unterschiedlich restriktiver Form. Vor allem die ersten Metaanalysen von Durlak et al. (2011; 2010) wurden scharf kritisiert, da beispielsweise auch Interventionen mitanalysiert wurden, die nicht hinreichend implementiert oder dokumentiert gewesen waren und es zudem auch Hinweise auf publication biases gab. Mitunter kamen Kritiker:innen dieser Arbeiten zu dem Schluss, dass diese Übersichten keinen Beleg für die Effekte von SEL Interventionen und damit für sozioemotionale Charakteristika auf Bildung lieferten (vgl. z. B. Gutman und Schoon 2016; Kautz et al. 2015). Entsprechend sind nachfolgende Arbeiten auf diese Kritik eingegangen, und die ausgewerteten Interventionen genügen zunehmend restriktiveren Kriterien (z. B. Implementationsgüte der Intervention und der Randomisierung oder Transparenz der Darstellung). Man kann erkennen, dass sich die Effektstärken von der ersten bis zur letzten Arbeit nicht allzu stark verändern und nur geringfügig kleiner werden. Einziger nicht signifikanter Effekt findet sich bei Goldberg et al. (2019). Diese Metaanalyse fokussiert auf eine Subgruppe an Interventionen, whole-school-Interventionen mit einem Fokus auf sozioemotionale Charakteristika. Hier zeigt sich der mittlere Effekt nicht substantiell kleiner, aber das Vertrauensintervall fiel sehr viel größer aus, was sowohl einer geringeren Fallzahl an Arbeiten bzw. einer Outlier-Problematik geschuldet ist.

Tab. 4 Effekte von SEL-basierten schulischen Interventionen auf schulische Leistungen

Selbstorientierte Charakteristika

Blicken wir nun etwas differenzierter auf den Bereich der selbstorientierten Charakteristika, so liefern unterschiedliche Interventionsansätze Hinweise auf die spezifische Bedeutsamkeit dieser Dimension. Maynard et al. (2017) fanden für Interventionen im Bereiche mindfulness für sowohl Primar- als auch Sekundarschüler:innen Hinweise darauf, dass sich diese Übungen positiv auf Leistungsoutcomes auswirken (d = 0,27, Noten und Tests undifferenziert). In eine ähnliche Richtung weisen auch Ergebnisse von Robbins et al. (2009), die für den tertitären Bereich positive Effekte für Interventionen im Bereich des Selbstmanagements berichten. Die Interventionen umfassten z. B. Maßnahmen zum Stressmanagement und Selbstakzeptanz, aber auch zur Angstreduktion (auf Durchschnittsnoten/GPA: d = 0,21, spezifischere Kursnoten: d = 0,18, Verbleib im College (academic retention): d = 0,29).

Verwandt hierzu wären Interventionen im Bereich von growth mindsets, also Interventionen in Überzeugungen, dass Intelligenz und auch akademische Leistungen sich vor allem durch Anstrengung entwickeln, was gerade im US-amerikanischen Raum stark beforscht und nachgerade gehyped wird. Sabatine (2019) hat hierzu eine Metaanalyse vorgelegt, die einen kleinen Effekt von d = 0,11 nahelegt. Eine jüngere kritische Metanalyse von Macnamara und Burgoyne (2023), die die methodischen Spezifika der Experimente und Interventionen genauer untersucht, kommt allerdings zu dem Schluss, dass es im Mittel keine Evidenz für einen Effekt der growth mindset gibt. Vielmehr weisen die Einzelstudien methodische Mängel und im Feld und in den publizierten Arbeiten finden sich Hinweise für einen publication bias. Die Autoren schätzen den tatsächlichen Effekt auf d = 0,00–0,03.

Sabatine (2019) analysierte darüber hinaus auch die Effekte von stereotype threat-Interventionen, die negative intrapsychische Erwartungseffekte zu reduzieren suchen. Hier finden sich nicht nur Effekte auf sozioemotionale Charakteristika, sondern auch auf Leistungsoutcomes, d = 0,19. In diese Metaanalyse gingen allerdings nur wenige Studien ein, so dass abzuwarten ist, ob sich dies in Zukunft mit einer breiteren Berücksichtigung von Interventionen als robust erweisen wird.

Weitere Evidenz wird in der Metaanalyse von Baskin et al. (2010) zusammengetragen. Sie analysieren die Effekte auf Bildungsoutcomes von psychotherapeutischen Interventionen. Für diese berichten die Autor:innen relativ große Effekte auf Leistungsmaße im engeren Sinne mit d = 0,36 (Noten und Testleistungen), aber auch z. B. mit je d = 0,26 positive Effekte einerseits im Lehrer:innenbericht über das Unterrichtsverhalten der Schüler:innen und Studierenden (z. B. on-task Lernverhalten), andererseits für Verhaltensindikatoren im weiteren Sinne (z. B. Anwesenheit im Unterricht, Disziplinarmaßnahmen).

Mit Blick auf einzelne Wirkkomponenten liegt im Bereich selbst-orientierter Konstrukte nur zu Selbstwirksamkeitserwartungen gesicherte Evidenz aus Experimenten und Interventionen vor. Schon in den 1990ern legte eine Metanalyse von Multon et al. (1991) Effekte nahe. Der mittlere Effekt ist mit r = 0,58 groß, wobei die Effekte vor allem bei einfachen Aufgaben oder Klassenleistungstest als bei individuell administrierten Leistungstests (r = 0,13) groß ausfielen.

Aufgabenorientierte Charakteristika

Deutliche Evidenz aufgrund von Interventionsstudien und experimentellen Arbeiten finden sich aus dem Bereich Selbstregulation und metakognitiven Strategien. Die Metaanalyse von Dignath und Büttner (2008) berichtet einen durchschnittlichen Interventionseffekt auf die Leistungsentwicklung von d = 0,69 über unterschiedliche metakognitive Interventionen. Auch in jüngeren Arbeiten mit teilweise feiner differenzierten inhaltlichen Schwerpunkten wurden diese mitunter groß ausfallenden Effekte repliziert, z. B. von Donker et al. (2014), die aber auch eine starke Variabilität je nach fachlicher Domäne identifizieren konnten. So waren die Effekte für das Schreiben deutlich größer (d = 1,25) als für die Mathematik (d = 0,66), die Naturwissenschaften (d = 0,73) und vor allem für das Lesen (d = 0,36). Die Effekte fallen sehr unterschiedlich aus, sind aber im Mittel allesamt als relativ groß zu bewerten. Sie beruhen auf direkten Posttests und nicht auf längerfristigen follow up-Tests oder breiteren, schulnahen Maßen wie Noten (ähnlich auch Xu et al. 2022). Dies mag die teilweise enormen Effektstärken mitbedingen. Gleichzeitig ist gerade in dieser Domäne die Nähe zu (rein) kognitiven Fähigkeiten als besonders hoch zu erachten, was ebenfalls größere Effekte verursachen mag.

Hier schließt sich die Evidenz von Robbins et al. (2009) für den tertiär-universitären Bereich an. In dieser Metanalyse wurden neben den vorangehend erwähnten Interventionen, die auf selbstorientierte Charakteristika gezielt haben, auch Interventionen ausgewertet, die eher in den Bereich aufgabenorientierter Merkmale fallen, z. B. Studier- und Lernstrategien, Memotechniken oder Zeitmanagement. Die berichteten Effektstärken sind etwas kleiner mit d = 0,23 für die Durchschnittsnote (GPA), d = 0,32 für spezifische Kursnoten und d = 0,15 für den Verbleib im College (academic retention). Die Effekte fallen kleiner aus als in den zuvor vorgestellten Studien, vermutlich da diese Interventionen kaum Laborstudien enthalten und eher „real life“-Outcomes untersucht haben.

Im motivationalen Bereich findet sich eine Metanalyse von Wagner und Szamosközi (2012). Es wurden akademische Motivationsinterventionen betrachtet, die Interventionen sowohl auf die Motivation als auch die individuellen Attributionsstile zusammenfassen. Die Autoren berichten hier neben substantiellen Effekten auf Motivationen und Emotionen auch einen Effekt von d = 0,29 auf Leistungsoutcomes (Noten und Tests).

Sozial-/other-orientierte Charakteristika

Es findet sich auch Evidenz, dass die Veränderung der sozial-/other-orienterten Charakteristika ebenso Effekte auf Bildungsoutcomes haben kann. Als schulisch basierte Interventionen ist vor allem die Übersichtsarbeit von Smith et al. (2020), die für family-school partnership Interventionen einen positiven Effekt über eine Reihe von Arbeiten hinweg belegen können. Diese Interventionen zielten in erster Linie darauf ab, die Beziehungen zwischen Eltern und Schulen in sozioemotionaler Hinsicht zu verändern. Hier findet diese Metanalyse einen Effekt nicht nur auf sozioemotionale Outcomes der Kinder, sondern auch auf deren Leistungen, d = 0,25. In diesem Kontext lassen sich auch die Arbeiten zu Interventionen auf Ebene der Lehrkräfte und ihren classroom management-Strategien (CMS) diskutieren, die von Korpershoek et al. (2016) in einer Metaanalyse zusammengefasst wurden. Hierfür finden sich Effekte auf die Leistungen, d = 0,17.

Weitere Evidenz findet sich aus dem Bereich der Hochschule bei Robbins et al. (2009) zusammengetragen. In ihrer breiten Übersichtsarbeit werden Sozialisationsinterventionen (socialization interventions; SO) und Eingangsjahr-Interventionen (first-year-experience interventions; FYE) ausgewertet, die vorrangig auf soziale Aspekte abzielen. Erstgenanntes meint Kurzzeitprogramme, die im Einstieg die Sozialisation von Studienbeginner:innen verbessern sollen, letztgenanntes eher Langzeitprogramme, die das ganze erste Studienjahr begleiten. Hierfür finden sich nicht nur Effekte auf sozioemotionale Charakteristika, sondern auch auf unterschiedliche Leistungsdimensionen (FYE: Durchschnittnote/GPA: d = 0,26; Verbleib im College: d = 0,10; SO: Verbleib im College: d = 0,11).

Insgesamt liefern die Arbeiten Hinweise auf die Bedeutung sozial-orientierter sozioemotionaler Charakteristika, dass durch die Förderung auch der sozialen Beziehungen wieder Ressourcen für inhaltliche Fragen verfügbar werden. Jedoch gerade die beiden letztgenannten Arbeiten von Korpershoeck et al. (2016) und Robbins et al. (2009) sind cum grano salis zu lesen, da trotz des (quasi‑)experimentellen und interventionistischen Ansatzes nicht eindeutig geschlussfolgert werden kann, ob nicht doch auch ein direkter Effekt der Interventionen auf die Leistungsoutcomes selbst besteht. Die Evidenz hier ist zwar „kausal“ im Hinblick auf die Art der Intervention, aber die interne Validität hinsichtlich dessen, was der tatsächliche Wirkmechanismus auf die (Leistungs‑)Outcomes ist, ist dennoch begrenzt.

4 Fazit und Ausblick auf Forschungsdesiderata

Vorangehend wurde ein Überblick über zentrale theoretische und konzeptuelle Überlegungen und empirische Befunde zu sozioemotionalen Charakteristika und ihrer Bedeutung für die Bildung gegeben. Dieses Forschungsfeld weist eine ungewöhnliche begriffliche Heterogenität auf was in den letzten Jahren als Problem erkannt wurde. Die hier vorgestellten Übersichten und Systematisierungen machen deutlich, dass es zwar eine große begriffliche Heterogenität gibt, die zentralen Begriffe aber prinzipiell gut miteinander kompatibel und Konstrukte ineinander überführbar erscheinen, womit zumindest perspektivisch etwas mehr Klarheit und Struktur in dieses Forschungsfeld einziehen sollte. Die jüngeren Systematisierungen verdeutlichen auch, dass es eigentlich eine relativ große Übereinstimmung gibt, was die Kerndimensionen sozioemotionaler Charakteristika sind. Es ist vielmehr eher die begriffliche Uneinheitlichkeit, die möglicherweise mit Distinktionsbedürfnissen einhergehen, die Uneinigkeit bzw. Verwirrung stiften, als dass die grundlegenden Ideen über diese Konstrukte differieren.

Zudem lässt sich konstatieren, dass sich vielfältige Hinweise darauf finden, dass sozioemotionale Charakteristika eine Rolle für Bildungsprozesse spielen (und umgekehrt), wobei die Evidenz als unterschiedlich stark zu bewerten ist. Es finden sich nicht nur korrelative Arbeiten, die für vielfältige Zusammenhänge sprechen, sondern auch Studien, die kausaltheoretisch für Effekte sozioemotionaler Charakteristika auf Bildung sprechen. In dieser Arbeit wurde auf diejenige kausale Evidenz fokussiert, die auf Experimente und (schulische) Interventionen zu sozioemotionalen Fähigkeiten abzielen und aus denen wiederum ein Effekt auf Bildung, meist in Form von Leistungsveränderungen, identifiziert worden ist. Diese Studien sind in doppelter Hinsicht bedeutsam, da sie die Plastizität sozioemotionaler Charakteristika belegen, diese Plastizität auch durch oder zumindest im Kontext von Bildung bedingt sein kann und gleichzeitig die Bedeutung sozioemotionaler Charakteristika für Bildung unterstreichen.

Hieran schließen unmittelbar verschiedene Desiderata weiterer Forschung an. Zunächst erscheint bedeutsam weiter zu systematisieren, welche Aspekte differenziell unterschiedliche Bildungsdimensionen beeinflussen. Vor allem die Interventionsstudien sind hier noch wenig spezifisch um einzelne Dimensionen zu differenzieren. Zudem fokussieren bisherige Arbeiten eher auf Zusammenhänge mit Noten, zu einem geringeren Anteil auch auf standardisierte Testleistungen oder weiterführende Bildungsoutcomes (z. B. Verbleib im College oder in der Universität). Hierbei fallen die Unterschiede differenziell aus, wie unter anderem die Arbeit von Richardson et al. (2012) belegt. Es ist zu erwarten, dass sich dies ähnlich verhält mit anderen Dimensionen von Bildung, wie etwa Bildungsentscheidungen und Bildungspartizipation, absoluten Bildungsoutcomes im Sinne von Abschlusszeugnissen oder der weiteren Entwicklung im Beruf und in beruflicher Bildung. Dies kann sowohl messtheoretische Gründe als auch inhaltliche Gründe haben. Messtheoretisch begründet sind beispielsweise Noten als auch sozioemotionale Konstrukte bis hin zu Persönlichkeitsmerkmalen für Kontexteinflüsse empfänglich, Testleistungen hingegen nicht (z. B. vgl. Tetzner et al. 2022, 2020; West et al. 2016). Weiterführend wurde für differenzielle Zusammenhänge die Personality-Achievement Saturation Hypothese (PASH; Hübner et al. 2022) vorgeschlagen. Sie erklärt die differenziellen Befunde unterschiedlicher Leistungsindikatoren v. a. über die „Saturiertheit“ der Indikatoren in Hinblick auf Standardisierung, (persönliche) Relevanz, curriculare Validität, Instruktionssensitivität und kognitive Fähigkeiten. Noten hätten in diesem Sinne z. B. eher einen eher niedrigen Grad an Standardisierung und Saturiertheit an kognitiven Fähigkeiten, aber eine hohe persönliche Relevanz, was jeweils umgekehrt auf standardisierte Leistungstests der einschlägigen large-scale Studien zutrifft (hohe Standardisierung, hohe Saturiertheit kognitiver Fähigkeiten, niedrige persönliche Relevanz). Insofern ist zu erwarten und teilweise belegt, dass z. B. Offenheit eher mit standardisierten Leistungstests als mit Noten zusammenhängt. In Teilen lassen sich die hier berichteten Unterschiede im Sinne der PASH erklären, gerade für die Unterschiede in der Motivation ist dies plausibel. Die PASH böte sich an, weiterführend für die Beziehungen zwischen sozioemotionalen Charakteristika und Bildung zu systematisieren und zu prüfen.

Zudem ist der Zusammenhang zwischen sozioemotionalen Charakteristika und Noten auch inhaltlich besonders relevant: In Noten finden sich gerade im deutschen System auch Sekundärtugenden (mit-)bewertet, da Noten auch motivierend gestaltet werden sollen; Motivation und Anstrengung dürfen oder sollen auch mitbewertet werden (z. B. Brandmiller et al. 2020; Brandt et al. 2021a). Insofern stellt sich hier die Frage, welche Wirkungen durch diese Bedeutung von derlei sozioemotionalen Charakteristika über und durch Noten für die Leistungsentwicklung, Bildungsentscheidungen und nachfolgend den weiteren Lebensverlauf bestehen. Hier besteht sicherlich weiterer Klärungsbedarf sowohl innerhalb der einzelnen Bereiche selbst als auch komparativ zwischen Ländern und unterschiedlichen Benotungssystemen, und es werden entsprechend auch weiterführende Arbeiten benötigt, die stärker längsschnittliche Evidenz multidimensional einbeziehen. Zwar liegen hierfür eine Reihe von Arbeiten vor, so etwa längerfristige Effekte auf Bildungsabschlüsse und darüber hinaus auf weitere berufliche Outcomes (Becker et al. 2019; Becker und Tetzner 2021; Brandt et al. 2021b; Lechner et al. 2019; OECD 2015; Spengler et al. 2015, 2018). Aber bislang sind Arbeiten selten, die einen Einblick in diese Zusammenhänge ermöglichen, auch aufgrund eines Mangels an Längsschnittstudien, die beispielsweise die Trennung zwischen sozioemotionalen von kognitiven Faktoren mithilfe von (semi-)objektiven Leistungstests erlauben.

Ein weiterer Aspekt, der für künftige Forschung relevant erscheint, berührt die Bedeutung der einzelnen Faktoren. Hier ist ein trade-off der unterschiedlichen Forschungsrichtungen auszumachen. Einerseits geben die korrelativen Arbeiten einen Einblick über die grundlegenden Beziehungen, die sehr zahlreich und vielfältig ausfallen. Gleichzeitig ist mit den korrelativen Studien in der Regel nicht geklärt, welche unique und nicht konfundierte Bedeutung den einzelnen sozioemotionalen Konstrukten zukommt. Wir wissen grundsätzlich, dass die Konstrukte in der Regel miteinander interkorreliert sind, mitunter sogar so stark, dass sie sich mitunter kaum empirisch trennen lassen wie beispielsweise Selbstkonzepte und Selbstwirksamkeit (vgl. Bong und Skaalvik 2003; Marsh et al. 2019). Hierdurch ist es möglich, dass Faktoren, die besonders wirkmächtig erscheinen, eine geringe eigene unique Vorhersagekraft aufweisen und möglicherweise andere Faktoren auf einer absoluten Ebene eine geringere Vorhersagekraft zeigen, diese aber weniger mit anderen Konstrukten konfundiert sind. Es gibt schon einige Arbeiten, die dies schon multivariat adressieren (vgl. Becker und Tetzner 2021; Spengler et al. 2018; Wagner et al. 2023), aber die Forschung steht noch am Anfang. Grundsätzlich sind innerhalb einzelner Arbeiten analytische Grenzen gesetzt, beispielsweise wie facettenreich solche Konstrukte in (längsschnittlichen) large scale-Studien erhoben werden können, weshalb es vermutlich einer Reihe von Replikationen bedarf, um diesen Fragen zu systematisieren.

Gleichzeitig sind auch Interventionsstudien, wie vorangehend angesprochen, in der Regel wenig differenziert und geben eher nur in Ausnahmefällen Aufschluss über spezifische einzelne Facetten. Gleichzeitig bleiben sie dort, wo es spezifischer wird, bislang weitgehend auf die leichter veränderbaren Konstrukte beschränkt. Dies mag dahingehend hinreichend sein, dass aus einer praktischen Sicht das Interesse grundsätzlich auf der Zugänglichkeit durch Interventionen liegt. Möglicherweise wären aber breitere Personeneigenschaften, die bislang in den Interventionsstudien eigentlich nicht vorkommen, für „gute Bildung“ noch bedeutsamer, v. a. um über die Lebensspanne hinweg positiv zu wirken.

4.1 Interaktionen und nichtlineare Effekte

Roberts et al. (2007) haben darüber hinaus Überlegungen angestellt, dass die meisten Arbeiten die Effekte eher unterschätzen, da sie weitgehend lineare Zusammenhänge modellieren. Gerade für sozioemotionale Charakteristika wird diskutiert, dass nichtlineare Zusammenhänge von Bedeutung sein könnten. Schon klassische Modelle wie Atkinsons (1957) Risiko-Wahl-Modell oder nachfolgende Erwartungs-Wert-theoretische Modelle (z. B. Nagengast et al. 2011) sahen eher nichtlineare und vor allem kurvilineare Zusammenhänge vor, etwa dass sowohl eine zu niedrige als auch eine zu hohe Motivation oder Risikoeinschätzung der Performance ungünstig und vielmehr mittlere Ausprägungen zuträglich wären. Identische Überlegungen finden sich auch beispielsweise für Neurotizismus oder Optimismus, dass gerade das mittlere Maß hier günstig wäre. Es finden sich durchaus Hinweise auf die Bedeutung solcher nicht-linearen Effekte (z. B. Judge und Hurst 2007, 2008; Nagengast et al. 2011; Tetzner und Becker 2018), die vermuten lassen, dass die linearen Zusammenhänge die Bedeutung sozioemotionaler Charakteristika entsprechend unterschätzen. Solche Arbeiten sind bislang weiterhin die Ausnahme.

Darüber hinaus wurden in eher soziologisch fundierten Arbeiten Überlegungen dahingehend angestellt, dass die Bedeutung sozioemotionaler Charakteristika durch strukturelle Variablen moduliert und verändert werden (structure vs. agency; vgl. Settersten und Gannon 2005). Der Grundgedanke ist so einfach wie überzeugend: je weniger sozietale Strukturen und Institutionen für den Bildungs- und Lebensverlauf bzw. einzelne Stadien oder Prozesse vorhanden sind, desto stärker sind „agency“-bezogene Faktoren (in extenso: sozioemotionale Charakteristika) nötig, um fehlende Strukturen zu kompensieren, bzw. sofern Strukturen stark sind, ist der individuelle Entwicklungsverlauf weniger durch individuelle Merkmale beeinflussbar (siehe auch z. B. Schoon und Heckhausen 2019). Es finden sich erste Hinweise in der Literatur, dass dies gerade für sozioemotionale Charakteristika eine Rolle spielen mag für die Entwicklung über den Lebenslauf (vgl. Becker und Tetzner 2021; Burger 2021; Tetzner et al. 2020).

Nicht zuletzt wird in diesem Kontext auch das Entwicklungsmuster diskutiert, wie sozioemotionale Charakteristika zusammen mit anderen Merkmalen wirken könnten: Sind sie als kompensierende Momente wirksam, das heißt können sozioemotionale Charakteristika z. B. ökonomische Ressourcen ersetzen (Substitutions-Hypothese)? Bleiben sie neutral (orthogonal) zu anderen Faktoren bestehen? Oder verstärken sie Ungleichheiten, insofern sich sozioökonomisch gut konstituierte Personen durch die zusätzlichen psychischen Ressourcen in Bildung und Beruf besser entwickeln können (Matthäus-Prinzip; vgl. zur Diskussion u. a. Becker et al. 2021; Damian et al. 2015; Judge und Hurst 2007; Ng-Knight und Schoon 2016, 2017)? Hier sind die Forschungsergebnisse noch relativ uneinheitlich bzw. sind sie dahingehend mitunter ernüchternd, da es durchaus Hinweise auf Ungleichheit verstärkende Matthäuseffekte gibt (z. B. Judge und Hurst 2007, 2008). Andererseits ist die optimistisch stimmende Perspektive, dass sich in Interventionen zu sozioemotionalen Charakteristika eher andeutet, dass gerade Risikoschüler:innen besonders von Unterstützungsmaßnahmen profitieren (Jones et al. 2017, 2019). Aber gerade um die Variabilität und Interaktionen der Effekte weiterführend zu klären, besteht weiterhin großer Forschungsbedarf, was vermutlich die zwar triviale, aber im Praktischen schwierige Komponente hat, gerade in (klassenbasierten) Tests eine hohe Teststärke zu erzielen (Stallasch et al. 2021). Insbesondere in diesem Kontext wären auch Studien wünschenswert, die nicht nur metaanalytisch arbeiten, sondern im Rahmen integrierter Datenanalysen (vgl. z. B. Becker et al. 2022) ähnlich gelagerte Interventionen simultan und damit teststärker auf Interaktionen prüfen.

4.2 Messprobleme

Für die Schätzung von Zusammenhängen sind auch weiterführende messtheoretische Fragen, vor allem zur Operationalisierung von sozioemotionalen Faktoren, bedeutsam. Im Unterschied zu kognitiven Fähigkeiten und Kompetenzen, für die zumindest die Möglichkeit besteht, (semi‑)objektive Leistungstests einzusetzen, sind Messprobleme in sozioemotionalen Charakteristika ein größeres und in Teilen nicht befriedigend gelöstes Problem. In der Regel werden sozioemotionale Charakteristika in Form von Urteils‑/Likert-Skalen erfasst. Ganz grundlegend gibt es hierbei Probleme mit sozialer Erwünschtheit, faking-Verhalten und anderen Antworttendenzen, wobei dies bei low-stakes Tests weniger problematisch sein sollte (Duckworth und Yeager 2015). Vielmehr erscheinen aber andere kognitive Prozesse grundlegend bedeutsamer: So müssen gerade in subjektiven Urteilsskalen Personen selbst einen Referenzrahmen etablieren, was beispielsweise eine Unterteilung in „oft“ bis „gar nicht“ bzw. „trifft voll zu“ bis „trifft nicht zu“ bedeutet. Dies führt sowohl zu priming- und recency-Effekten, in welchen unmittelbaren Kontexten diese Fragen eingebettet sind, als auch zu Referenzgruppen- und Kontexteffekten, die als sogenannte Big-Fish-Little-Pond-Effekte auf die akademischen Selbstkonzepte (d. h. Personen in einem leistungsstarken Umfeld schätzen sich negativer ein) mehr als intensiv beforscht und dokumentiert wurden (vgl. z. B. Marsh et al. 2008), sich aber auch z. B. für Persönlichkeitsmerkmale nachweisen lassen (Tetzner et al. 2022; West et al. 2016). Dies mag auch das Paradox erklären, dass sich in internationalen Vergleichsstudien die Schüler:innen aus Ländern mit höheren Leistungen ungünstiger im Hinblick auf Gewissenhaftigkeit einschätzen (Kyllonen und Bertling 2013). Hier ist entsprechend mit deutlichen Verzerrungen zu rechnen. Das macht es schwierig, die (absolute) Bedeutsamkeit der Faktoren im Längsschnitt zu abzuschätzen (zur Diskussion vgl. auch Becker und Neumann 2016, 2018; von Keyserlingk et al. 2020).

Darüber hinaus müssen die Informationen grundsätzlich zugänglich sein, um sich selbst richtig einschätzen zu können, weshalb der Selbstbericht gerade bei kleineren Kindern nicht in Frage kommt (z. B. wird erst mit der späten Kindheit bzw. frühen Adoleszenz von einer interpretierbaren Messung von Persönlichkeit ausgegangen; Brandt et al. 2020). Gleichzeitig verfügen unterschiedliche Personen rein strukturell über unterschiedliche Informationen und sind lediglich selektiv informiert (z. B. Lehrer:innen nur über Schulkontexte, Eltern hingegen gerade nicht über den Schulkontext, was auch mit unterschiedlichem Verhalten einhergeht), und unterschiedliche traits haben unterschiedliche Salienz für den Fremdbericht (z. B. ist Extraversion als sozialer Trait grundsätzlich zugänglicher als z. B. Neurotizismus; Brandt et al. 2021a). Selbst ohne die Intention, Aussagen motiviert zu verfälschen, finden sich also verschiedene Gründe, durch die derlei Urteilsskalen verzerrt sind. In diesem Sinne ist zu erwarten, dass die tatsächlichen Zusammenhänge eher höher ausfallen sollten, als dies die oben berichteten Zusammenhänge nahelegen (vgl. auch Tetzner et al. 2020).

Natürlich sind teilweise sehr gute alternative Assessment-Formen gegenüber den Urteilsskalen verfügbar (vgl. Kyllonen und Bertling 2013), aber diese sind nicht uneingeschränkt verwendbar. (Semi‑)Objektive performance tests, wie beispielsweise auch Mischels prominenter Marshmallow-Test (Mischel 2014), der zur Messung von Fähigkeiten der Selbstkontrolle verwendet wird, sind für individuell administrierte Laboruntersuchungen entwickelt worden. Für klassische Schuluntersuchungen im Klassenkontext – geschweige denn für large scale-assessements – stellen sie keine gangbare Option dar. Darüber hinaus ist auch die Verwendung von performance tests nicht gleichermaßen angemessen für alle Eigenschaften, da beispielweise eher maximales als typisches Verhalten erfasst wird, oder auch die Motivation oder der Glaube daran, dass es sinnvoll sein könnte, maximale Leistung zu zeigen, eine maßgebliche Rolle spielt. So hängt beispielsweise die Performance und der gezeigte Belohnungsaufschub im Marshmellow-Tests auch davon ab, ob die Kinder überhaupt den Experimentierenden vertrauen (Kidd et al. 2013). Allerdings sei hier darauf verwiesen, dass derlei Überlegungen auch für kognitive Leistungstests relevant sind. Z. B. hängt die Bearbeitungstiefe und damit die Performance von kognitiven Leistungstests auch vom Leistungsniveau selbst sowie von der Motivation ab (Nagy et al. 2018). Mitunter kann sich dies wiederum zunutze gemacht werden, indem etwa Verhaltensmaße wie das Bearbeitungsverhalten in Leistungstests (z. B. schnelles Raten, systematisches Überspringen) als Indikator für sozioemotionale Charakteristika wie Motivation herangezogen werden (Borghans 2008; Soland et al. 2018). Gerade mit dem weiteren Einsatz Computer-administrierter Untersuchungen stehen hier perspektivisch weitere Möglichkeiten zu Verfügung. Grundsätzlich scheint es aber in weiterer Forschung indiziert, hier mit Formaten wie z. B. ökonomischen Vignetten-Designs alternative Assessmentformen zu entwickeln.

Es stellt sich zudem stets die Frage, wofür die Messungen eingesetzt werden. Werden die Merkmale z. B. für die Prädiktion individueller Veränderung, für Schulevaluation oder gar für individuelle high stakes-Entscheidungen erfasst? Je mehr von der Messung abhängig ist (z. B. für eine erfolgreiche Schullaufbahn), desto problematischer erscheint die Messung sozioemotionaler Charakteristika durch die klassischen Fragebögen aufgrund von Referenzgruppeneffekten, sozialer Erwünschtheit oder faking-Verhalten 2008; Duckworth und Yeager (2015). Für high-stakes Situationen stehen hier (bislang) weniger etablierte Instrumente zu Verfügung, v. a. im Vergleich zu den kognitiven Assessments in Form standardisierter Leistungstests. Allerdings sind auch hier Korrumpierungen denkbar, wofür die US-amerikanische No Child Left Behind-Initiative und die dadurch entstehende score inflation ein sehr beredetes Beispiel ist (vgl. z. B. Koretz 2002, 2005). Die Problematik liegt vermutlich in weiten Teilen in high stakes-Situationen selbst begründet. Dies fasste Campbell (1979) darin zusammen, was später als Campbell’s Law bekannt wurde: „The more any quantitative social indicator is used for social decision-making, the more subject it will be to corruption pressures and the more apt it will be to distort and corrupt the social processes it is intended to monitor“ (Campbell 1979, S. 85).

4.3 Ausblick

Die vorangehenden Abschnitte sind zentralen Aspekten des bisherigen Wissens und der bestehenden Forschungdesiderata gewidmet. Die Forschung zu sozioemotionalen Charakteristika und Bildung ist in verschiedener Hinsicht schon gut informiert, andererseits besteht noch viel Forschungsbedarf. Ich habe deutlich gemacht, dass gerade in dieser Forschung die Multimethodalität zentral ist: Unterschiedliche Zugänge von korrelativen querschnittlichen und längsschnittlichen Arbeiten bis hin zu Experimenten und Interventionsstudien sind in diesem Bereich besonders geboten, da das Forschungsfeld durch die dargestellte Breite und den Reichtum der relevanten Faktoren noch weiterführend zu systematisieren ist, gleichzeitig die Konstrukte auf sehr unterschiedlichen Ebenen funktionieren und zumindest partiell von einem trade-off von Zugänglichkeit, experimenteller Manipulierbarkeit und kurz- und längerfristiger Bedeutsamkeit auszugehen ist. Dieser Punkt soll an dieser Stelle auch deswegen unterstrichten werden, da sich auch die Forschungsgemeinde bewusst sein muss, dass unterschiedliche Strategien ineinandergreifen und sich gegenseitig informieren müssen. So können beispielsweise eher deskriptive, kausal weniger informierte Arbeiten nomologisch durchaus aussagekräftiger sein als kausal stärkere Designs (oder umgekehrt). Zentraleres Kriterium ist vielmehr, den jeweiligen Aussagewert und Stellenwert im Forschungsprozess gut zu beschreiben und einzuordnen, worüber häufig sehr viel Unklarheit herrscht, gerade wenn Fragen von Beschreibung vs. Kausalität in nicht-experimentellen Arbeiten berührt werden (Foster 39,40,a, b; Holland 1986; Morgan und Winship 2015). Wichtig ist gewiss auch, dass die jeweiligen Stärken nicht überinterpretiert werden, wie dies beispielweise für das zeitweilige buzz-word und gehypte grit-Konstrukt kritisiert wurde (vgl. Credé et al. 2017) – und umgekehrt muss die Forschungsgemeinde die Erkenntnis greifen lassen, dass jedem Design Stärken und gleichzeitig Schwächen innewohnen, was – metaphorisch gesprochen – den Verkauf alten Weins in neuen Schläuchen weniger virulent machen sollte.

Gewiss sind die hier angesprochenen Punkte auch nicht als erschöpfend zu erachten. Es lassen sich noch größere Fragstellungen anschließen, die mitunter normativer konnotiert sind. Beispielsweise ist auf einer theoretisch-empirischen Seite nicht nur weiterführend zu klären, welche Faktoren zentral sind für welche Bildungsziele und umgekehrt, sondern es muss darüber hinaus auch die Frage diskutiert werden, wie sozioemotionale Faktoren untereinander zu koordinieren sind. So stellt sich beispielsweise die Frage, inwiefern im schulischen Unterricht motivationale Aspekte und insbesondere flow-Komponenten im Vordergrund stehen sollten, was möglicherweise eher durch eine stärkere gamification des Lernens zu erreichen ist. Gleichzeitig zeigt gerade die Forschung zu sozioemotionalen Fähigkeiten, dass auch Qualitäten wie etwa der Umgang mit Schwierigkeiten und negativen Emotionen von besonderer Bedeutung sind. Dies erfordert gewiss komplexere Konstellationen, die weiterreichende motivationale und selbstregulatorische Fähigkeiten ansprechen und die über reines Flow-Erleben hinausgehen: Lernen kann eben auch anstrengend und unangenehm sein. Dies zu ertragen lernen, kann ebenso wichtig für die Entwicklung über die Lebensspanne sein. Es bleibt zu fragen, wie solche widersprüchlichen Aspekte in der pädagogischen Praxis abzustimmen sind. Derlei weiterführenden Fragen sind sowohl theoretisch als auch empirisch interessant und berühren und informieren auch normative Aspekte, die in der Forschung diskutiert werden müssten, bislang aber noch wenig im Fokus stehen. Dabei ist dringend zu beantworten, in welchen Maße sozioemotionale Faktoren als Bildungsziele bestehen können ohne in Konkurrenz zu Leistungsentwicklungen zu stehen bzw. wie diese gemeinsam optimal zu entwickeln sind; denn dass sie sich miteinander entwickeln und einander ko-determinieren, steht, so sollte deutlich geworden sein, außer Frage.