1 Einleitung

Empirische Forschung zur „Kulturellen Bildung“ zielt auf die Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Veränderung von Bildungsprozessen im Kontext von kulturellen Aktivitäten mit Bezug zu den Künsten (Liebau et al. 2013). Letztere umfassen klassischerweise Bildende und Darstellende Kunst, Musik und Literatur (Kristeller 1951). Im Kontext der Digitalisierung haben sich auch Künste und kulturelle Bildung gewandelt. Mit Videospielen hat sich ein genuin neues Feld entwickelt, in dem sich wie in allen Genres trivialste Produkte ebenso finden wie solche mit hohem ästhetischem Anspruch. Videospiele unterscheiden sich in Produktion, Rezeption und Wirkung so deutlich von den klassischen Genres, dass es naheliegt, sie als gänzlich neues kulturelles Genre aufzufassen (Lehner 2017). Auch in den klassischen künstlerisch-kulturellen Genres hat die Digitalisierung sowohl neue Wege eröffnet als auch zu neuen gesellschaftlichen und individuellen Herausforderungen geführt. Teilhabe an Musik beispielsweise ist durch digitale Musikinstrumente und Apps zum Musikmachen sowie durch Musik- und Videostreaming so einfach und so verbreitet wie selten zuvor (Lösener 2017; Prey 2020; Spilker et al. 2020). Zu Herausforderungen zählt neben datenschutzbezogenen Problemen unter anderem, dass digitale Tools häufig mit dem Ziel entwickelt werden, die Nutzungsdauer zu maximieren, was bis hin zur „social media disorder“ mit Störungswert gehen kann. Dies gilt insbesondere für soziale Medien und Videospiele (Van den Eijnden et al. 2016). Wie bei „klassischen“ kulturellen Aktivitäten ist auch für digitale kulturelle Aktivitäten davon auszugehen, dass einerseits Personeneigenschaften die Art der Nutzung digitaler kultureller Angebote bedingen und andererseits diese Nutzung potenzielle Effekte auf Personeneigenschaften hat (Kröner 2013). Zu diesen Effekten gehört im Idealfall die Initiierung von Bildungsprozessen, welche die Individuen empowern und die Fähigkeiten an die Hand geben, die sie für einen mündigen, verantwortungsvollen und kreativen Umgang mit digitalen Werkzeugen benötigen. Dies macht Forschungsergebnisse zu den kulturellen Aktivitäten auch für Forschende aus dem Feld der „kulturellen Bildung“ benachbarten Disziplinen interessant.

Analysen des internationalen Forschungsstands zur kulturellen Bildung im Rahmen des Metaprojekts zum BMBF-Förderschwerpunkt „Digitalisierung in der Kulturellen Bildung“ (DiKuBi) für die Jahre 2000 bis 2020 zeigen, dass mittlerweile viele Autoren, die ihre Arbeiten explizit dem Feld der Forschung zur kulturellen Bildung zuordnen, auch in der internationalen Fachzeitschriftenlandschaft unter Begriffen wie arts education, aesthetic education oder cultural education auffindbar sind (Kröner et al. 2021). Jenseits dieser Community gibt es zudem eine deutlich größere Zahl an Arbeiten zu Effekten der Digitalisierung auf die kulturelle Bildung, welche sich implizit auf Themen der kulturellen Bildung bezieht, die aber keinen der genannten Suchbegriffe explizit erwähnen. Dies umfasst Arbeiten wie „Gender, Creativity and Education in Digital Music and Sound Art“ (Born und Devine 2016), „Measuring Commonality in Recommendation of Cultural Content: Recommender Systems to Enhance Cultural Citizenship“ (Ferraro et al. 2022) oder „Entertainment, engagement and education: Foundations and developments in digital and physical spaces to support learning through making“ (Giannakos et al. 2017). Auch derartige Arbeiten einzuschließen ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Es ist erstens wichtig für die Aufarbeitung und Kartierung des Forschungsstands zur kulturellen Bildung. Diese weitet den inhaltlich und forschungsmethodisch orientierten Blick darauf, was und wie in benachbarten Disziplinen und künstlerischen Bezugsdisziplinen zu Phänomenen der kulturellen Bildung geforscht wird und welche Implikationen sich daraus für die kulturelle Bildung ergeben. Zweitens ist die breite, systematische Aufarbeitung des Feldes für die Forschungsperspektive der kulturellen Bildung wichtig, um Schwerpunkte und Desiderate der gesamten internationalen Forschung sichtbar zu machen. Das Ergebnis dieser Aufarbeitung kann dann wiederum Forschende – egal ob aus der Community der kulturellen Bildung oder aus benachbarten Feldern – beispielsweise dazu anregen, Forschungsergebnisse zur kreativ-ästhetischen Auseinandersetzung mit Videospielen ebenso international sichtbar und öffentlichkeitswirksam zu publizieren, wie dies bei Studien zum Themenfeld Videospiele und Gewalt bereits seit längerem geschieht.

Im Rahmen der hier angestrebten Aufarbeitung und Kartierung des internationalen Forschungsstandes zur DiKuBi liegt unser Fokus auf Publikationen mit quantitativ-empirischen Methodenanteilen in international rezipierten Fachzeitschriften mit Peer-Review, also einschließlich Mixed-Methods-Studien. Dem liegt keine Geringschätzung der großen Anzahl an hochwertigen theoretischen und rein qualitativ-empirischen Arbeiten zur kulturellen Bildung zugrunde. Arbeiten wie „Music Technology, Gender, and Class: Digitization, Educational and Social Change in Britain“ (Born und Devine 2015), „Feminism, digital culture and the politics of transmission: Theory, practice and cultural heritage“ (Withers 2015) oder „The cultural customization of TikTok: Subaltern migrant workers and their digital cultures“ (Kaur-Gill 2023) leisten einen bedeutsamen Beitrag für die Forschung und den aktuellen Diskurs und setzen zudem wichtige Impulse auch für die quantitativ-empirische Forschung. Vielmehr geht unser methodischer Fokus darauf zurück, dass die vorliegende Arbeit aufzeigen soll, wo bereits quantitative Paradigmen im Entstehen sind und wo damit die Möglichkeit der systematischen Aufarbeitung des Forschungsstandes über Metaanalysen in greifbare Nähe rückt.

Jenseits disziplinspezifischer Besonderheiten bilden die von uns in den Blick genommenen Zeitschriften und Conference Proceedings mit Peer Review den Schwerpunkt des disziplinübergreifenden internationalen wissenschaftlichen Diskurses ab. Zugleich ist zu erwarten, dass durch den Peer-Review-Prozess grosso modo ein Mindestmaß an Qualität der Arbeiten sichergestellt wird. Unbestritten entstehen auch jenseits dieser Publikationsorgane hochrelevante Beiträge, allerdings erscheint es bei der in dieser Arbeit zu erwartenden sehr großen Zahl an zu sichtenden Ergebnissen – mutmaßlich etwa viermal so viele wie die n > 55.000 bei Christ et al. (2021) – geradezu unmöglich, dies im Einzelfall zu beurteilen (Zawacki-Richter und Naidu 2016). Auch bei Beschränkung auf die genannte Grundgesamtheit peer-reviewter Arbeiten wird eine Sichtung der Datenbanktreffer erst praktikabel, wenn im Umfeld von Textmining und Big-Data-Analysen etablierte Verfahren wie Predictive Modeling und Topic Modeling Verwendung finden. Bevor diese Methoden genauer erörtert werden, gilt es im Folgenden einen Blick auf Arbeitsdefinitionen für die zentralen Facetten der Digitalisierung in der kulturellen Bildung zu werfen.

2 Kulturelle Aktivitäten, Digitalisierung und Bildung

Kultur

Zum Kulturbegriff liegt eine Vielzahl verschiedenster Definitionen vor (Bamford 2010, S. 68 ff.; Ijdens 2016; Reckwitz 2004). Dennoch wird häufig nach wie vor Tylors klassische Definition verwendet. Er definiert Kultur als „[…] that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, customs, and many other capabilities and habits acquired by man as a member of society“ (Tylor 2010 [1871], S. 1). Internationale Arbeiten mit Peer-Review von Autoren mit einem expliziten Bezug zur kulturellen Bildung, also Arbeiten in denen Begriffe wie „cultural education“ oder „aesthetic education“ vorkommen, lassen häufig ein eher enges Kulturverständnis erkennen, das auf Kultur im Sinne von Künsten fokussiert (siehe Projektgruppe 2014). Da hierbei zumeist klassische Definitionen der Künste verwendet werden wie die von Kristeller (1951) vorgenommene Unterteilung in Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Literatur und Musik, erscheinen neuartige genuin digitale Facetten kultureller Aktivität randständig. Beispiele hierfür sind Aktivitäten aus den Themenbereichen „audio-visual and interactive media“ und „design and creative services“ des UNESCO Framework for Cultural Statistics (UNESCO 2009, 2021). Zu ersterem zählen Videospiele, Streaming und Podcasts, zu letzterem Architektur, Mode‑, Graphik- und Innendesign. Insbesondere der Themenbereich Videospiele hat sich in der internationalen Forschung mit lediglich impliziten Bezügen zur KuBi als die am stärksten beforschte kulturelle Aktivität herausgestellt (Christ et al. 2021, 2022). Was zudem bei Akteuren im Feld der kulturellen Bildung zu einer skeptischen Haltung gegenüber genuin digitalen kulturellen Aktivitäten führen mag, ist die oft deutliche Distanz dieser Aktivitäten zur Hochkultur und ihre Nähe zu dem, was Schulze (2000) als Spannungsschema und Trivialschema bezeichnet.

Unsere Definition von Kultur fokussiert zwar ähnlich wie die klassische von Kristeller (1951) ebenfalls auf die Künste, jedoch ist sie weder hinsichtlich der Zuordnung zu bestimmten Milieus eingeschränkt (Bourdieu 2015; Schulze 2000; Warde et al. 2007), noch schließt sie genuin – oder mittlerweile – digitale Ausprägungen kultureller Aktivitäten wie Film, Videospiele oder kreatives digitales Making aus, die ebenfalls „seit Langem anerkannte Kunstgenres [sind]“ (Reinwand-Weiss 2019) und in die regelmäßig Elemente aus den klassischen kulturellen Aktivitäten Eingang finden (Zimmermann und Falk 2020), wenngleich selbst erfolgreiche Vertreter dieser Themenbereiche häufig nicht zur Hochkultur gezählt werden (Berger 2017; Muriel und Crawford 2018; Rough 2016; Smuts 2005). Davon ausgehend definieren wir kulturelle Aktivität als die rezeptive, aktive, reproduktive oder kreative Auseinandersetzung mit klassischen ebenso wie mit genuin digitalen künstlerisch-kulturellen Artefakten.

Digitalisierung

Zu den Phänomenen der Digitalisierung zählen technische Entwicklungen wie künstliche, gegenständliche Sachsysteme (VDI 2000), die softwaregesteuerte Verarbeitung computerlesbarer Daten in Netzwerken bzw. einzelnen Computern mit Ein- und Ausgabe-Interfaces (Jörissen und Unterberg 2019) und gesellschaftliche Entwicklungen. Insbesondere letzteren kommt in der kulturellen Bildung besondere Bedeutung zu. Die digitale Transformation erfolgt in Schüben, welche in den letzten Jahrzehnten alle gesellschaftlichen, alltäglichen und professionellen Bereiche grundlegend verändert haben und diese zunehmend durchdringen (BMBF 2017; Couldry 2014; Grenz und Pfadenhauer 2017). Sie führt zur Transformation formaler und non-formaler Bildungsprozesse (Breiter et al. 2012), verändert informelle Bildungsprozesse während des Musikhörens (Wehner et al. 2017) und schafft gänzlich neue Felder wie das der Videospiele (Abend und Beil 2017). Die Implikationen der Digitalisierung für informelle Bildung im Zuge von Freizeitaktivitäten und insbesondere für kulturelle Angebote und zugehörige Aktivitäten werden im Mediatisierungsdiskurs bereits seit längerem aus sozio-technischer Perspektive diskutiert (Hepp und Lehmann-Wermser 2013; Hugger 2013; Krotz 2017; Krotz et al. 2017). Auf dem Feld kultureller Aktivitäten schaffen technische Entwicklungen wesentliche Voraussetzungen für neue global sozial vernetzte, kreative Kommunikations‑, Interaktions- und Ausdrucksformen (Jörissen et al. 2019b). Dazu zählen musikalische Interfaces, die auf „traditionellen“ Musikinstrumenten basieren und die deren Möglichkeiten digital erweitern (Lösener 2017) oder die Erstellung von Musik durch digital vernetzte Communities ermöglichen (Eusterbrock et al. 2021; Jörissen et al. 2019a).

Bildung

In Bezug auf Bildung relevant sind – ohne Einschränkung in materialer Hinsicht – für die vorliegende Synthese (1) alle Arbeiten, in denen es um Prozesse geht, in deren Verlauf sich Personen im Rahmen eigenen Handelns in ein verändertes Verhältnis setzen zu sich selbst in der Zeit, zu anderen in der Gemeinschaft und zu den Sachen und Sachverhalten in der Welt (Iske und Meder 2010). Außerdem sind (2) alle Arbeiten relevant, die darauf abzielen, als Bildungsergebnis die Änderungen auf Personenseite zu erfassen, die sich aus Bildungsprozessen ergeben, und zwar sowohl im Rahmen von informellen Bildungsprozessen als auch bei der Nutzung von formalen oder non-formalen Bildungsangeboten. Derartige Änderungen können kognitive Variablen wie Selbstkonzept oder Kompetenzen ebenso betreffen wie affektive oder konative Variablen (Bloom et al. 1956; Harrow 1972; Krathwohl et al. 1964; für einen Überblick siehe Göldi 2011). Schließlich sind (3) alle Arbeiten relevant, die sich auf Angebote beziehen, in denen derartige Bildungsprozesse durch gezielt gestaltete Situationen gefördert werden (La Belle 1982).

Für alle drei genannten Aspekte von Bildung spielt die digitale Transformation der Gesellschaft eine zentrale Rolle. Durch sie rücken andere Bildungsprozesse in den Fokus, der Schwerpunkt liegt auf anderen – positiven wie negativen – Effekten auf Personenseite und es entstehen neue Formen von Bildungsangeboten. Beispielsweise hat sich das Lernen von Fremdsprachen oder der Austausch mit Individuen aus anderen Kulturkreisen durch digitale Plattformen (Shadiev und Yu 2022) oder digitale Übersetzungstools drastisch gewandelt (Slatyer und Forget 2019). Gleichzeitig hat sich geändert, welche Kompetenzen für selbstbestimmtes Handeln notwendig sind. In Zeiten von Fake News und sozialen Medien ist beispielsweise die Bedeutung von kritischer Medienkompetenz deutlich gestiegen. Zugleich sind durch die niederschwellige Verfügbarkeit von Werkzeugen wie 3D-Druckern oder durch Animationssoftware wie Blender sowie deren Kombination mit KI-gestütztem Programmieren neue Perspektiven auch für das Feld der kulturellen Bildung möglich geworden: Individuen können gänzlich neuen Aktivitäten nachgehen und sich in ihnen entfalten. Trotz all dieser Entwicklungen geht es jedoch auch bei postdigital transformierter Bildung im Kern weiterhin um das Verhältnis zu Selbst, Gemeinschaft und Welt und dessen Wandel, auch wenn letzterer sich im Rahmen veränderter Prozesse, erweiterter Angebote und mit anderen Ergebnissen ereignen mag (Hugger 2013; Iske und Meder 2010).

3 Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung, Facetten der Forschung und Analysen des internationalen Forschungsstands

Aus unseren Definitionen von Digitalisierung, Kultur und Bildung ergibt sich unser Verständnis des Themenfelds der Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung (DiKuBi). Es umfasst Studien zu digitalen Phänomenen im Kontext von Bildungsprozessen (Liebau et al. 2013; Rat für kulturelle Bildung 2013, S. 15) und es bezieht Arbeiten zu Bildungsangeboten ein, die in ästhetischen Erfahrungen resultieren oder Lernprozesse in den Künsten anregen (Fink et al. 2012, S. 12). Für digital überformte Angebote und Prozesse kultureller Bildung sind Arbeiten zu Personeneigenschaften als Determinanten und Kriterien ebenso relevant wie dies bei „analoger“ kultureller Bildung der Fall ist (Kröner 2013).

Facetten der Forschung zur DiKuBi

Die Definitionen von Digitalisierung, Kultur und Bildung deuten bereits darauf hin, dass sich die vorliegende Arbeit auf ein sehr heterogenes, facettenreiches Themenfeld bezieht. Kultur lässt sich zunächst entlang einer Gesamtheit klassischer Aktivitäten facettieren, die jedoch auch in sich nochmals mit sehr vielfältigen Angeboten und Aktivitäten einhergehen. Letzteres zeigt sich im Genre der Musik beispielsweise, wenn hier nicht nur Arbeiten zu Gesang oder zum Musizieren mit Instrumenten angesiedelt sind, sondern auch solche zum Dirigieren und Komponieren, zum Musikhören oder zum Diskutieren über Musik. Ähnliche Phänomene lassen sich auch in den anderen Facetten wie Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Literatur beobachten. Hinzu kommen Videospiele als genuin digitale Facette. Im Hinblick auf die Digitalisierung ergibt sich eine Facettierung durch die verschiedenen Phänomene und digitalen Werkzeuge. Diese reichen von Virtual oder Augmented Reality über soziale Medien hin zu Digital Making und virtuellen Welten oder digitalen Kommunikations- und Diskussionsplattformen. Auch für die Bildung lassen sich – ganz abgesehen von den unterschiedlichen zugrundeliegenden Bildungsverständnissen – verschiedene Facetten unterscheiden. Beispielsweise lassen sich hinsichtlich des Formalisierungsgrads Arbeiten zu formalen, non-formalen und informellen Bildungsprozessen unterscheiden oder hinsichtlich der Ergebnisse der Bildungsprozesse Arbeiten, die Effekte auf Persönlichkeit untersuchen von Arbeiten, welche auf Seiten der Determinanten die Intention zu kulturellen Aktivitäten oder den Spaß daran in den Blick nehmen. Zu all diesen Facetten von Digitalisierung, Kultur und Bildung tragen Forschende aus verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen theoretischen und methodischen Zugängen mit ihren Publikationen bei. Dies hat begriffliche Unschärfe zur Folge: Es werden unterschiedliche Terminologien für ähnliche Phänomene ebenso verwendet wie die gleichen Begriffe für unterschiedliche Phänomene (sog. Jingle-Jangle-Fallacies; Kelley 1927; Thorndike 1904). Dies erschwert nicht nur die Suche nach potenziell relevanten Arbeiten, sondern behindert auch die Rezeption der Arbeiten über Disziplingrenzen hinweg. So findet Forschung zu ähnlichen Phänomenen in verschiedenen Communities statt. Beispielsweise ist Flow-Erleben ein Thema welches sowohl für Forschung zum Musizieren (Loepthien und Leipold 2022) als auch zu Videospielen (Michailidis et al. 2018) eine Rolle spielt. Wechselseitig nehmen sich die Forschenden dieser Communities jedoch nur selten zur Kenntnis, und sie verstehen ihre Arbeiten oft auch nicht als einen Beitrag zu dem übergreifenden Feld der kulturellen Bildung. Dadurch werden eben genau diese Beiträge auch nicht in der Forschung zur kulturellen Bildung wahrgenommen.

Analysen des internationalen Forschungsstands

Die Aufarbeitung eines heterogenen, facettenreichen internationalen Forschungsstands erfordert eine entsprechend breit angelegte Suche nach relevanten Arbeiten und eine umfangreiche Sichtung, Kategorisierung und Analyse der Arbeiten. Erste Schritte dazu wurden für Teilmengen der internationalen Forschung zur kulturellen Bildung und im speziellen zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung bereits unternommen: Die Forschung zur kulturellen Bildung aus Deutschland wurde von Liebau et al. (2013) systematisch erfasst und aufgearbeitet. Im gleichen Jahr publizierten Winner et al. (2013) die Arbeit „Art for Art’s Sake? The Impact of Arts Education“, in der sie mit explizit kulturbezogenen Begriffen wie „visual art“, „theatre“, „theater“, „dance“ und „arts“ den internationalen Forschungsstand recherchiert und analysiert haben. Hinzu kommen Synthesen, die sich auf kulturelle Bildung und ländlichen Raum (Büdel und Kolleck 2023), auf Forschung mit explizitem Bezug zur Digitalisierung aus der Perspektive der kulturellen Bildung (Kröner et al. 2021) oder auf die digitale Transformation in einzelnen Facetten kultureller Aktivitäten beziehen, beispielsweise auf Literatur (z. B. Takacs et al. 2015) oder Musik (z. B. Lavranos et al. 2016). Hinzu kommen außerdem Forschungssynthesen zu Videospielen (z. B. Bediou et al. 2018; Connolly et al. 2012) und zu kulturellen Aktivitäten auf sozialen Medien (z. B. Jungherr 2016). Darüber hinaus haben Christ et al. (2021), jedoch für einen eingeschränkten Suchzeitraum von 2013 bis 2017, auch solche potenziell relevanten internationalen Zeitschriftenpublikationen und Conference Proceedings zur DiKuBi in eine Synthese einbezogen, die relevant sind für einzelne Facetten kultureller Aktivität, jedoch nicht zwingend Suchbegriffe wie „aesthetic education“ oder „visual arts“ beinhalten, sondern beispielsweise lediglich Begriffe wie „artist“, „painting“, oder „drawing“. Darauf aufbauend wird in dieser Arbeit der internationale Forschungsstand zur DiKuBi recherchiert, sowohl mit explizit kulturbezogenen Begriffen wie bei Winner et al. (2013) und Kröner et al. (2021), als auch mit nur implizit kulturbezogenen Begriffen, wie bei Christ et al. (2021), dafür jedoch für den Zeitraum von 2000–2020. Bei der Arbeit von Christ et al. (2021) wurde bei den Analysen nicht unterschieden nach den untersuchten Facetten kultureller Aktivitäten, wie Musik oder Literatur, und den untersuchten übergreifenden Themen, wie Motivation, Sucht oder Unterricht. Dadurch wird die Identifikation von Schwerpunkten und Desideraten zu den Facetten kultureller Aktivitäten und den übergreifenden Themen erschwert. Daher werden bei dieser Arbeit die inkludierten Arbeiten separat kartiert nach ihren untersuchten Facetten kultureller Aktivitäten und übergreifenden Themen.

4 Mapping Reviews, Textmining und Big-Data-Verfahren

4.1 Mapping Reviews

Für die Aufarbeitung des internationalen facettenreichen Forschungsstands zur DiKuBi bietet sich insbesondere ein Mapping Review an (Booth et al. 2021; Chen 2017; Petticrew und Roberts 2012). Mapping Reviews ermöglichen vertiefende narrative Forschungssynthesen, sogenannte Scoping Reviews, die aufbauend auf der Gesamtkartierung des Feldes einzelne Schwerpunkte detaillierter in den Blick nehmen. Innerhalb dieser Schwerpunkte wiederum lassen sich schließlich für homogene Gruppen quantitativ-empirischer Arbeiten mit metaanalytischen Verfahren aggregierte Effektstärken ermitteln. Da eine Gesamtkartierung für das Forschungsfeld DiKuBi über einen großen Zeitraum hinweg noch aussteht, steht diese im Fokus der vorliegenden Arbeit. Berücksichtigt werden dabei alle Originalarbeiten, die sich zumindest in Teilen quantitativer Methoden beziehen und derartige Arbeiten einschließende Forschungssynthesen. Hierdurch wird ersichtlich, welche Bereiche wie intensiv erforscht wurden und wie stark sie im Verhältnis dazu bereits im Rahmen von Scoping Reviews oder – falls bereits möglich – mit Metaanalysen aufgearbeitet wurden.

Bei einem Mapping Review zur Forschung mit impliziten Bezügen zur DiKuBi entlang der Facetten kultureller Aktivitäten, digitaler Phänomene und Bildungsprozesse ist mit einer sechsstelligen Anzahl an Arbeiten zu rechnen. Mit klassischen qualitativen Reviewverfahren müsste bei einem solchen Unterfangen bereits bei der Recherche eine Kompromisslösung gefunden werden: Entweder kann die Suche sehr breit angelegt werden, wodurch viele irrelevante Arbeiten resultieren und daher auch ein sehr großer Sichtungsaufwand entsteht, oder es kann ein sehr enger Suchbefehl verwendet werden, der zwar eine traditionelle qualitative Sichtung ermöglicht, aber einhergeht mit vielen Auslassungen oder geringer thematischer Breite der Suche. Letzteres würde die Identifikation von Schwerpunkten und Desideraten erschweren, da zu viele potenziell relevante Arbeiten übersehen werden. So bleibt nur die erste Möglichkeit, die jedoch Verfahren zur Sichtung und Kartierung benötigt, die über klassische qualitative Reviewverfahren hinausgehen. Diese Verfahren sind aus dem Bereich von Textmining und Big Data, wie Predictive Modeling zur Unterstützung der Sichtung der Suchergebnisse (siehe Online-Appendix) und Topic Modeling zur Identifikation von Schwerpunkten der internationalen Forschung.

4.2 Textmining und Big-Data-Verfahren

Textmining ist ein Oberbegriff für verschiedene Verfahren zur Analyse und inhaltlichen Kategorisierung unstrukturierter Textdaten mit Algorithmen (Gandomi und Haider 2015; O’Mara-Eves et al. 2015; Silge und Robinson 2017). Diese Verfahren verschränken oft quantitative und qualitative Methoden, indem sie auf der einen Seite der Analyse quantifizierter Textdaten dienen und auf der anderen Seite eine inhaltliche Kategorisierung der zugrundeliegenden Texte ermöglichen. Im Rahmen von Forschungssynthesen kann Textmining die für die Sichtung und Kategorisierung der Suchergebnisse benötigte Zeit deutlich reduzieren (O’Mara-Eves et al. 2015; Wu et al. 2014). Zugleich muss ein Mittelweg aus Reduktion des Sichtungsaufwands und möglichst geringem Verlust an potenziell relevanten Arbeiten geschlossen werden. Dieser Verlust lässt sich quantitativ abschätzen und bewegt sich meist im kleinen einstelligen Prozentbereich (O’Mara-Eves et al. 2015). Insgesamt haben sich Textmining-Verfahren als geeignetes Werkzeug zur Unterstützung der Sichtungsprozesse im Rahmen von thematisch breit angelegten Forschungssynthesen erwiesen (Christ et al. 2021; Cohen 2008; Cohen et al. 2009, 2012; O’Mara-Eves et al. 2015; Shemilt et al. 2014). Beim Textmining wird eine Vielzahl verschiedener Definitionen, Kennwerte und Methoden verwendet, die notwendig sind für die Aufbereitung der Daten und zur Identifikation der relevanten Arbeiten in einer Literaturdatenbank. In dieser Arbeit beschränken wir uns darauf, die zentrale Methode zur Kartierung der relevanten Arbeiten, das Topic Modeling, im Detail zu beschreiben. Alle Methoden und Kennwerte zur Bereinigung und Aufbereitung der Ergebnisse der Literaturrecherche, als auch eine detaillierte Beschreibung von Predictive Modeling, werden im Detail in einem Online-Appendix erläutert.

Bestimmung relevanter Arbeiten mit Predictive Modeling

Breite Suchstrategien ermöglichen es, auch Arbeiten aufzufinden, die nicht sämtliche für ein Feld zentralen Begriffe enthalten. Sie erzeugen dabei jedoch schnell eine große Zahl von Suchergebnissen, deren manuelle Sichtung nicht mehr praktikabel ist. An dieser Stelle ist Predictive Modeling hilfreich, da es eine automatisierte Vorauswahl „sichtenswerter“ Arbeiten ermöglicht basierend auf bereits gesichteten Korpora (siehe Online-Appendix). Auch seine Effizienz steht und fällt jedoch damit, inwieweit es im bereits manuell gesichteten Korpus gelungen ist, möglichst alle relevanten Arbeiten einzuschließen und zugleich nicht zu viele irrelevante Arbeiten als „Beifang“ zu erzeugen. Hierbei helfen Kenntnisse über relevante und nicht-relevante Begriffe des Forschungsgegenstandes, die sich aufbauend auf persönlicher Feldkenntnis aus einer manuellen Sichtung solcher Arbeiten ergeben, in welchen diese Begriffe vorkommen. Wenn beides zu Beginn nicht vorliegt, so müssen diese Schritte zunächst wie bei Christ et al. (2021) im Rahmen des Scoping Review selbst durchgeführt werden. In der vorliegenden Arbeit konnten wir auf die Korpora vorheriger Synthesen und die in diesen Synthesen identifizierten Begriffe (Christ et al. 2021, 2022; Kröner et al. 2021) zurückgreifen, mit denen auch Predictive Modeling für die Identifikation von potenziell relevanten Arbeiten zur DiKuBi bereits durchgeführt und optimiert wurde.

Kartierung der internationalen Forschung mit Topic Modeling

Bei breiten, facettenreichen Themenfeldern wie der DiKuBi ist im Anschluss an die Identifizierung der Gesamtheit relevanter Arbeiten noch ein weiterer Schritt erforderlich: Die thematische Kategorisierung der identifizierten Arbeiten zu inhaltlich homogenen Clustern. Da es auch hier oft gilt, eine noch immer große Zahl von Arbeiten zu kategorisieren und zugleich deren Typikalität für die jeweiligen Cluster einzuschätzen, ist auch hier wiederum Unterstützung durch Textmining-Verfahren hilfreich. In diesem Kontext bietet sich insbesondere das Verfahren des Topic Modeling an (u. a. Christ et al. 2021; Griffiths und Steyvers 2004; Heidenreich et al. 2019; Jacobi et al. 2016; Steyvers und Griffiths 2005; Westerlund et al. 2018; Zhu et al. 2019).

Im Bereich der kulturellen Bildung wurde Topic Modeling zuvor in der Forschungssynthese von Christ et al. (2021) verwendet, um, wie bereits im Forschungsstand erwähnt, damit Arbeiten zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung für den relativ engen Zeitraum von 2013 bis 2017 zu kartieren. Jenseits des engen Suchzeitraums bestand eine weitere Schwäche jener Arbeit darin, dass bei den durchgeführten Analysen eine simultane Kartierung nach allen Facetten der DiKuBi erfolgte, also gleichzeitig zu Digitalisierung, Kultur und Bildung. Die so entstehenden Topics stellten infolgedessen oft Mischformen aus digitalisierungs- kultur- und bildungsbezogenen Begrifflichkeiten dar und es konnte nicht bestimmt werden, wie sich innerhalb übergreifender Forschungsthemen wie Motivation und Flow oder Kreativität die Forschung zu den einzelnen Facetten kultureller Aktivitäten verteilt. Diese Schwäche wird in dieser Arbeit behoben, indem das Topic Modeling mit den nach der Sichtung inkludierten Arbeiten jeweils separat für die kulturellen Aktivitäten und übergreifenden Themen durchgeführt wird.

5 Forschungsfragen

In der vorliegenden Arbeit haben wir ausgehend von einem via Priority Screening ermittelten Korpus relevanter Arbeiten zunächst via Topic Modeling separat (1) die Schwerpunkte der Forschung zu den verschiedenen Facetten kultureller Aktivitäten und (2) übergreifende Themenschwerpunkte, die auch in der internationalen Forschung zur DiKuBi eine Rolle spielen identifiziert, sowie sich ergebende Desiderate ermittelt. Anschließend haben wir analysiert, welche übergreifenden Themen eine besondere Rolle in der Forschung zu bestimmten Facetten kultureller Aktivitäten einnehmen. Dies liefert Erkenntnisse darüber, zu welchen übergreifenden Themen in den letzten 20 Jahren Forschung mit Bezug zu kulturellen Aktivitäten stattgefunden hat, und wie sich die verfügbaren Arbeiten auf diese Facetten verteilen. Beispielsweise lässt sich so analysieren, ob zu dem Thema Aggression häufiger in Verbindung mit Videospielen geforscht wird als zu Musik, oder zum Thema Persönlichkeitsentwicklung mehr zur kulturellen Facette Theater als zu Schreiben oder Bloggen. Davon ausgehend lassen sich Desiderate für die künftige thematische Ausrichtung der Forschung zu den jeweiligen Facetten kultureller Aktivitäten identifizieren.

In zwei separaten Topic Models, einem zu Facetten kultureller Aktivitäten und einem zu übergreifenden Themen, werden jeweils die manuell inkludierten und kategorisierten Arbeiten aus im Rahmen des Forschungsprogramms bereits publizierten Forschungssynthesen von Christ et al. (2022) und Kröner et al. (2021) verortet. Dies dient zum Vergleich der Schwerpunkte und Desiderate der in dieser Arbeit synthetisierten internationalen Forschung (a) mit den von Kröner et al. (2021) synthetisierten Originalarbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi und (b) mit den von Christ et al. (2022) synthetisierten Forschungssynthesen mit – stets implizitem – Bezug zur DiKuBi. So lassen sich Anknüpfungspunkte und Implikationen für künftige Forschungssynthesen und Originalarbeiten herausarbeiten: In Bezug auf die künftig zu adressierenden Facetten kultureller Aktivitäten gilt: Wenn beispielsweise einer Kulturfacette zwar viele Originalarbeiten mit implizitem Bezug zur KuBi zugeordnet wurden, jedoch keine Forschungssynthesen, so liegt zu dieser Facette die Erarbeitung weiterer, themenspezifischer Forschungssynthesen nahe. Für die übergreifenden Themen gilt: Wenn bei übergreifenden Themenschwerpunkten Originalarbeiten mit explizitem Bezug zur kulturellen Bildung fehlen, ist derartige Forschung aus der Perspektive der KuBi im Rahmen weiterer Originalarbeiten naheliegend.

Der in dieser Arbeit verwendete Suchbefehl stellt eine Weiterentwicklung der Suchbefehle aus vorherigen Arbeiten der eigenen Arbeitsgruppe dar (Christ et al. 2021, 2022; Kröner et al. 2021). Er wurde in der vorliegenden Arbeit dafür genutzt, die für das Themenfeld der Digitalisierung in der kulturellen Bildung potenziell relevanten quantitativ-empirischen und Mixed-Methods-Arbeiten aus den Jahren 2000 bis 2020 zu ermitteln. Mit Hilfe von Textmining und Predictive Modeling wurden die potenziell relevantesten Arbeiten für die manuelle Sichtung ausgewählt und die tatsächlich inkludierten wurden schließlich via Topic Modeling nach den untersuchten Facetten kultureller Aktivitäten und nach übergreifenden Themen kartiert. Dabei haben uns folgende Forschungsfragen geleitet:

Forschungsfragen zu Facetten kultureller Aktivitäten:

  1. 1.

    Welche Facetten kultureller Aktivitäten standen bislang im Fokus internationaler Forschung mit Bezug zur DiKuBi?

  2. 2.

    Für welche Facetten kultureller Aktivitäten lassen sich über die beiden vergangenen Dekaden hinweg ansteigende Trends identifizieren? Zeigen sich topicspezifische Unterschiede in diesen Trends?

  3. 3.

    Auf welche Facetten kultureller Aktivitäten konzentrieren sich (1) die manuell gesichteten und kategorisierten Originalarbeiten mit explizitem Bezug zur kulturellen Bildung von Kröner et al. (2021) und (2) die manuell gesichteten und kategorisierten Forschungssynthesen (de facto sämtlich mit implizitem Bezug zur kulturellen Bildung) von Christ et al. (2022)?

Forschungsfragen zu übergreifenden Themen:

  1. 4.

    Welche übergreifenden Themen standen bislang im Fokus der internationalen Forschung zur DiKuBi?

  2. 5.

    Für welche übergreifenden Themen lassen sich über die beiden vergangenen Dekaden hinweg ansteigende Trends identifizieren? Zeigen sich topicspezifische Unterschiede in den Trends?

  3. 6.

    Auf welche übergreifenden Themen konzentrieren sich (1) die manuell gesichteten und kategorisierten Originalarbeiten mit explizitem Bezug zur kulturellen Bildung von Kröner et al. (2021) und (2) die manuell gesichteten und kategorisierten Forschungssynthesen von Christ et al. (2022)?

Forschungsfrage zur Zusammenschau von Forschung zu den Facetten kultureller Aktivitäten und zu übergreifenden Themen:

  1. 7.

    Welche übergreifenden Themen spielen eine Rolle in der Forschung zu den Facetten kultureller Aktivitäten? Welche Schwerpunkte und Desiderate lassen sich hier identifizieren?

6 Methoden

Eine ausgefüllte Fassung des Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses for Scoping Reviews (PRISMA-ScR) siehe https://osf.io/hf4t9/.

Bei den Erläuterungen zu den Variablen und Vorgehensweisen beschränken wir uns im Manuskript auf diejenigen Teile, die für die Ergebnisse der Kartierung des Feldes zentral sind. Es werden sowohl jene Schritte im Detail dargestellt, die zu den als relevant eingestuften Arbeiten geführt haben als auch diejenigen Schritte, die notwendig sind, um die Ergebnisse der Kartierung nachvollziehbar zu machen. Details zur Aufbereitung und Bereinigung der Daten werden im Online-Appendix erläutert.

6.1 Suchbefehl, Datenbankrecherche und Erstellung der Literaturdatenbank

Der verwendete Suchbefehl basiert auf den überarbeiteten Suchbefehlen bereits publizierter Synthesen zur internationalen Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung von Kröner et al. (2021) und Christ et al. (2021, 2022). Er besteht aus drei inhaltlichen Facetten „Digitalisierung“, „Kultur“ und „Bildung“ und der methodischen Facette „quantitative Forschung/Forschungssynthesen“. Diese Facetten untereinander wurden mit UND-Operatoren verknüpft. Damit eine Arbeit mit dem Suchbefehl gefunden wird, muss sie daher mindestens einen Begriff aus allen vier Facetten in Titel, Abstract oder Keywords beinhalten. Innerhalb der Facetten sind die einzelnen Begriffe mit ODER-Operatoren aneinandergereiht. Alle Begriffe sind entweder mit ihrem Wortstamm im Suchbefehl vertreten, wodurch beispielsweise „cultur*“ die Begriffe „culture“, „cultures“ und auch „cultural“ repräsentiert, oder sie sind mit allen relevanten Permutationen enthalten, beispielsweise als „art“, „arts“, „artist“ etc., da eine Verkürzung auf „art*“ zur Inklusion einer großen Zahl an irrelevanten Arbeiten geführt hätte, in denen Begriffe mit anderem Stamm, aber identischem Beginn enthalten sind, im genannten Fall beispielsweise der Begriff „article“ (Tab. 1).

Tab. 1 Suchbefehl für die Literaturrecherche für die Facetten kulturelle Aktivitäten, Digitalisierung, Bildung und quantitative Forschung/Forschungssynthesen. Begriffe innerhalb der Facetten sind mit ODER-Operatoren verbunden, zwischen den Facetten sind UND-Operatoren. Der Platzhalter „*“ kann durch beliebige Zeichen bei der Suche ersetzt werden und ermöglicht somit eine Suche nach allen Permutationen der Suchbegriffe

Dieser Suchbefehl wurde in Scopus angewandt, um möglichst alle potenziell relevanten Arbeiten aus den Bereichen Social Sciences, Arts and Humanities und Psychology zu identifizieren. Als Zeitraum wurden die Jahre 2000–2020 gewählt, da bisherige Synthesen zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung ergaben, dass zuvor nahezu keine einschlägigen Arbeiten publiziert wurden (Christ et al. 2022; Kröner et al. 2021). Die so identifizierten n = 263.624 Arbeiten wurden anschließend mit allen bibliographischen Angaben, Keywords und Abstracts als CSV-Datei exportiert.

6.2 VariablenFootnote 2

Signifikanzwerte

Sie geben an, welcher Anteil an Wörtern eines Texts relevant ist für die a priori bestimmten inhaltlichen Facetten und die Subfacetten des Suchbefehls (siehe Facetten des Suchbefehls in Tab. 1). Hierfür wurde jeweils der Anteil an relevanten Wörtern pro Text gezählt. Anschließend wurden die Signifikanzwerte durch die Länge des Texts (wc) dividiert und so um Konfundierungen mit der Länge der Texte bereinigt. Zusätzlich wurde ein Summenwert aus allen Signifikanzwerten der kulturellen Aktivitäten gebildet (aac: Arts, Aesthetics, Culture). In diesem Wert weisen dann insbesondere auf breite Gebiete der kulturellen Bildung bezogene Arbeiten einen hohen Wert auf, die in den Signifikanzwerten der einzelnen kulturellen Aktivitäten niedrige Werte aufweisen und eine dementsprechend niedrige vorhergesagte Inklusionswahrscheinlichkeit beim Predictive Modeling erhalten würden. Schließlich wurde noch ein Wert für negative Signifikanz gebildet, welcher die Häufigkeit irrelevanter Wörter widerspiegelt, z. B. aus den Feldern Medizin oder Spieltheorie, und für eine geringe Relevanz der Arbeit steht.

6.3 Vorgehen

6.3.1 Zusammenführung der Suchergebnisse mit bereits gesichteten Korpora

Alle sowohl inkludierten als auch exkludierten Arbeiten aus den Korpora von Kröner et al. (2021) und Christ et al. (2021, 2022) waren eine Teilmenge des Suchergebnisses der Literaturrecherche dieser Arbeit. Da diese drei Synthesen auch äquivalente Inklusionskriterien wie diese Arbeit verwendet haben, wurden die jeweiligen Inklusionsentscheidungen der bereits gesichteten Korpora für die Suchergebnisse dieser Arbeit übernommen. Daraus resultierte insgesamt eine Datenbank von N = 263.624 Publikationen. Die übernommenen Inklusionsentscheidungen führten zu insgesamt n = 1786 inkludierten und n = 58.912 exkludierten Arbeiten. Die Anzahl an noch nicht gesichteten Arbeiten reduzierte sich auf n = 202.926 Publikationen.

6.3.2 Exklusion von Arbeiten aus irrelevanten Zeitschriften

Basierend auf den Sichtungsentscheidungen aus den drei bisherigen Korpora (Christ et al. 2021, 2022; Kröner et al. 2021) wurden die Inklusions-Basisraten für die insgesamt n = 6814 vorkommenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften bestimmt, indem pro Zeitschrift der Anteil inkludierter Arbeiten an der Gesamtzahl der aus der Zeitschrift gesichteten Arbeiten berechnet wurde. Anhand dieser Ergebnisse wurden alle Zeitschriften identifiziert, für die sich bei n > 10 identifizierten Publikationen eine Basis-Inklusionsrate von 0 ergeben hatte. Titel und, wo nötig, Selbstdarstellungen zu Zielsetzung und Gegenstandsbereich dieser Zeitschriften wurden auf ihre Relevanz für Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung hin beurteilt. Anschließend wurden alle Arbeiten aus als nicht relevant beurteilten Zeitschriften ausgeschlossen.

6.3.3 Significance Scoring

Nach der Bereinigung der Suchergebnisse und der Analyse häufiger und indikativer Wörter (siehe dafür Abschn. 2.2 im Online-Appendix) wurden im Zuge des Significance Scoring für jedes Dokument Signifikanzwerte für jedes Textfeld (Titel, Abstract oder Keywords) gebildet und es wurde deren Mittelwert über alle Textfelder eines Dokuments hinweg gebildet. Dies geschah für die folgenden Facetten: kulturelle Aktivitäten (inkl. Einzelwerten für jede Facette kultureller Aktivitäten wie Musik oder Darstellende Kunst), Digitalisierung, Bildung, quantitative Forschung, Forschungssynthesen und potenzielle Exklusion. Dafür wurde in jedem Dokument für jede Facette ein Signifikanzwert ermittelt, berechnet als Prozentsatz der Wortstämme jedes Texts, der zu den oben genannten Facetten gehört. Dadurch wurden je Arbeit insgesamt 55 Signifikanzwerte berechnet – 11 (Sub‑)Facetten für jeweils 4 Texte pro Arbeit (Titel, Abstracts, Keywords, Zeitschriftenname) und ein Mittelwert pro (Sub‑)Facette für alle Texte einer Arbeit.

6.3.4 Predictive Modeling, Priority Screening und Erweiterung der Stoppwörter und signifikanten Wörter

Predictive Modeling

In diesem Schritt wurden die Sichtungsentscheidungen (1 entspricht Inklusion, 0 Exklusion), der als Trainingsset herangezogenen, bereits gesichteten Korpora von Christ et al. (2021: n = 55.553 Arbeiten, davon n = 1666 inkludierte quantitativ-empirische Arbeiten; 2022: n = 5124 Arbeiten, davon n = 65 inkludierte Forschungssynthesen) und Kröner et al. (2021: n = 4347 Arbeiten, davon n = 63 inkludierte quantitativ-empirische Arbeiten) als Kriterium in einer logistischen Regression verwendet. Nach Löschung der Dopplungen der drei Korpora ergaben sich n = 60.698 Arbeiten, davon n = 1786 inkludiert, was einer Inklusionsrate von p = 0,03 entspricht.

Die für alle Textfelder (Titel, Abstract und Keywords) einzeln berechneten Signifikanzwerte wurden als Prädiktoren für eine innerhalb des Trainingssets durchgeführte logistische Regression mit dem Kriterium Inklusionsentscheidung genutzt. Anschließend wurden die für die Signifikanzwerte resultierenden Regressionsgewichte herangezogen um für alle noch nicht gesichteten Arbeiten des Suchergebnisses, also die Arbeiten des sog. Testsets, anhand ihrer Signifikanzwerte ihre Inklusionswahrscheinlichkeiten zu schätzen. Letztere wiederum wurden für eine Priorisierung der Arbeiten für die weitere Sichtung genutzt. So wurden in jeder Iteration die jeweils n = 500 priorisiert zu sichtenden Arbeiten mit der höchsten Inklusionswahrscheinlichkeit identifiziert. Um die Basisinklusionsrate der bereinigten Datenbank zu bestimmen, wurden vor dem Beginn des iterativen Verfahrens n = 500 Arbeiten zufällig gezogen und gesichtet.

Priority Screening

Die je Iteration neu identifizierten n = 500 Arbeiten wurden gesichtet und als inkludiert oder exkludiert markiert. Es wurden alle Arbeiten inkludiert, deren Titel, bzw. im Fall einer Ambiguität deren Abstract, andeuten, dass digitale kulturelle Bildung im eingangs erörterten Sinne mittels quantitativ-empirischen Methoden oder im Rahmen von Mixed-Methods-Designs untersucht wurde. Der Bezug zu kultureller Bildung musste für eine Inklusion nicht im Vordergrund der Arbeit stehen. Vielmehr wurden auch solche Arbeiten inkludiert, die womöglich nur am Rande des Feldes der Forschung zur kulturellen Bildung angesiedelt sind. Über die Iterationen hinweg führte dieser Prozess des Priority Screening zu einer schrittweisen Erweiterung des Trainingssets um Arbeiten, die entweder inkludiert oder exkludiert wurden. Das derart erweiterte Trainingsset wurde jeweils für die nächste Iteration aus Predictive Modeling und Priority Screening der ungesichteten Arbeiten verwendet. Danach wurden weitere Stoppwörter und signifikante Wörter bestimmt, wie es im Abschn. 2.2.3 des Online-Appendix beschrieben wird.

Ende des iterativen Prozesses

Der iterative Prozess zur Identifikation relevanter Arbeiten wurde solange wiederholt, bis (a) die Inklusionsrate in mehreren aufeinanderfolgenden Iterationen stabil niedriger war als die Inklusionsrate in einer Sichtung der Zufallsstichprobe (definiert als Basisinklusionsrate) und (b) das Produkt aus Inklusionsrate der aktuellsten Iteration und Anzahl noch nicht gesichteter Arbeiten (mit einer vorhergesagten Inklusionsrate > 0) eine Schwelle unterschritt, die eine Verzerrung der Kartierung und Identifikation der Schwerpunkte durch etwa übersehene Arbeiten unwahrscheinlich werden ließ.

6.3.5 Topic Modeling und Kartierung des Feldes

Für die auf Basis der identifizierten Arbeiten durchzuführende Kartierung via Topic Modeling werden zum einen die zu analysierenden Texte benötigt, zum anderen ist ein sogenanntes Dictionary erforderlich, d. h. eine Auswahl von Begriffen, deren Häufigkeiten für die Zuordnung der Texte zu den Topics verwendet werden soll (Griffiths und Steyvers 2004). In dieser Arbeit wurden basierend auf den inkludierten Arbeiten zwei separate Topic Models erstellt; eines zu den Facetten kultureller Aktivitäten und eines zu den übergreifenden Themen. Für ersteres wurde ein Dictionary erstellt, welches alle signifikante Wortstämme der spezifischen Facetten kultureller Aktivitäten und kultureller Aktivität im Allgemeinen beinhaltete, z. B. „cultur*“, „music*“, „theatr*“, „art“, „rap*“. In das Dictionary für das Topic Model zu den übergreifenden Themen wurden alle für das erste Topic Model relevanten Wortstämme ausgeschlossen. Es wurden also alle Begriffe entfernt, die sich auf Kulturelle Aktivitäten im Allgemeinen oder auf spezifische Facetten kultureller Aktivität bezogen. Wohl aber verblieben Wortstämme, die sich zwar auf kulturelle Aktivitäten beziehen können, aber auch in Forschung jenseits davon eine Rolle spielen Dies betrifft vor allem Begriffe im Kontext von facettenübergreifende Plattformen bzw. sozialer Medien Beispielsweise wurde „youtube“ (ebenso wie „facebook“, „twitter“ oder „instagram“) nicht entfernt, da YouTube zwar die die Möglichkeit bietet, Musik zu hören oder an einer digitalen Museumsführung teilzunehmen, in gleicher Weise aber auch genutzt werden kann, um Videos zu berufsbezogenen Kompetenzen anzusehen oder über Wahlprogramme zu diskutieren. Durch dieses Vorgehen wurde erreicht, dass es sich bei den resultierenden Topics um „übergreifende“ Themen handelte, und eine Konfundierung mit kulturspezifischen Fragestellungen weitestgehend vermieden wurde. Die Vorgehensweise beim Topic Modeling war für beide Topic Models analog, weshalb im Folgenden die einzelnen Schritte lediglich für das kulturbezogene Topic Model im Detail dargelegt werden.

Vorgehen beim Topic Modeling

Als Basis für das Topic Modeling diente für jede inkludierte Arbeit ein Text, welcher den bereinigten Titel und die bereinigten Abstracts der Arbeit enthielt. Auf die Analyse der Keywords wurde an dieser Stelle verzichtet, da für diese sehr häufig fehlende Werte vorhanden waren, die zu einer potenziellen Verzerrung der Ergebnisse des Topic Modelings geführt hätten. Davon ausgehend wurde anschließend mit dem Dictionary eine Document-Term-Matrix (dtm) erstellt, mit allen Wörtern des Dictionary als Spalten und allen inkludierten Arbeiten als Zeilen Die Zellen der dtm beinhalten die Häufigkeiten jedes Wortstamms des Dictionary in den analysierten Texten jeder inkludierten Arbeit (für Details zur dtm siehe Online-Appendix). Für die Bestimmung einer angemessenen Anzahl an Topics k wurde Gibbs-Sampling verwendet (siehe Online-Appendix). Für jedes potenziell passende k (für k ≤ 25) wurde jeweils eine latente Dirichlet Allokation (LDA) mit den Hyperparametern α = 5 / k und β = 200 / n Terms durchgeführt (Steyvers und Griffiths 2005). Dabei wurde für jedes inkludierte Dokument des Korpus die Zugehörigkeit zu jedem Topic per Dokument-Topic-Wahrscheinlichkeit γ bestimmt, und simultan für jedes Wort des Dictionary die Zugehörigkeit des Worts zu jedem Topic per Wort-Topic-Wahrscheinlichkeit β. Für jede potenzielle Zahl k von Topics wurden anschließend für jedes einzelne Topic die Topic-indikativen Wörtern mit den höchsten β‑Werten beurteilt. Um zu bestimmen, welche Anzahl an k Topics angemessen erscheint die Forschung zur DiKuBi zu beschreiben, wurde zuerst das Topic Model mit dem besten empirischen Fit betrachtet. Dieses wurde jeweils im Hinblick auf die Interpretierbarkeit verglichen mit dem Topic Model für das nächstgrößere und nächstkleinere k mit gutem empirischen Fit. Sofern sich für das k mit dem besten Fit heterogene, schwer interpretierbare Topicinhalte ergaben, wurde als nächstes das größere k mit noch gutem Fit gewählt und auf seine Interpretierbarkeit hin überprüft. Falls dagegen für das k mit optimalen Fit mehrere Topics zum selben inhaltlichen Themenbereich vorlagen, wurde als nächstes das nächstkleinere k mit gutem Fit gewählt. Dieser Prozess wurde wiederholt, bis eine optimale Lösung zwischen Trennbarkeit der Topics und eindeutiger Interpretierbarkeit der Topics gefunden wurde.

Verortung der inkludierten Arbeiten vorheriger Synthesen

Vor dem Hintergrund der Topic Models wurde bestimmt, zu welchen Topics (a) die inkludierten Arbeiten aus dem Korpus vollständig gesichteter und kategorisierter Forschungssynthesen zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung (Christ et al. 2022) und (b) die Arbeiten aus dem Korpus vollständig gesichteter und kategorisierter Arbeiten, die sich explizit auf Forschung zur kulturellen Bildung beziehen (Kröner et al. 2021) zugeordnet wurden.

Trendanalysen

Zeitliche Änderungen in der Forschungsaktivität zu den Topics wurden analysiert, indem für jedes Topic separat eine Regression berechnet wurde mit den Dokument-Topic-Wahrscheinlichkeiten γ aller Dokumente als Kriterium und dem Publikationsjahr der Dokumente als Prädiktor. Um eine Alphafehler-Inflation zu vermeiden, wurde das Signifikanzniveau für die Regressionskoeffizienten und Bildung der zugehörigen Konfidenzintervalle anhand der Zahl der Topics k Bonferroni-adjustiert (d. h. p = 0,05 / k; Perrett et al. 2006). Anschließend wurden die Regressionskoeffizienten mit Hilfe der dazugehörigen Konfidenzintervalle verglichen, um zu identifizieren, ob unterschiedliche Trends für die unterschiedlichen Topics resultieren.

Zusammenschau der Topic Models

Um zu untersuchen, welche übergreifenden Themen eine Rolle spielen in der Forschung zu den Facetten kultureller Aktivitäten (Forschungsfrage 7) wurde zunächst bestimmt, welche Anordnung von kulturbezogenen und übergreifenden Topics sich ergibt, wenn man die Arbeiten simultan anhand der Zuordnungswahrscheinlichkeiten in diesen beiden Topic Models clustert. Dafür wurden die Zuordnungen der Dokumente zu den Topics der Facetten kultureller Aktivitäten und zu den Topics der übergreifenden Themen in einen Datensatz überführt mit der Anzahl inkludierter Arbeiten als Spalten und der Anzahl aller Topic-Zugehörigkeiten als Zeilen. Mit diesem Datensatz wurde die Nähe der Topics zueinander anhand der euklidischen Distanz aller Dokument-Topic-Wahrscheinlichkeiten γ aller Dokumente bestimmt. Anhand der resultierenden euklidischen Distanzmaße wurden die Topics anschließend hierarchisch geclustert und das Ergebnis per Dendrogramm visualisiert. Ein Dendrogramm liefert einen guten Eindruck darüber, welche Cluster sich für die Forschung zu den übergreifenden Themen und den Facetten kultureller Aktivitäten ergeben und welche Topics der beiden Topic Models besonders häufig zusammen vorkommen. Es liefert jedoch keine Informationen darüber, wie sich die Forschung zu den Facetten kultureller Aktivitäten auf die unterschiedlichen übergreifenden Themen verteilt und auch keine Informationen über potenzielle Forschungslücken. Um Erkenntnisse zu diesen Punkten gewinnen zu können, wurde aufbauend auf dem Dendrogramm untersucht, welche Rolle die übergreifenden Themen in der Forschung zu den unterschiedlichen kulturellen Facetten spielen. Dafür wurde für alle Dokumente für jedes „Verbundereignis“ der Zuordnung einer Arbeit zu einem bestimmten übergreifendem Topic und einem bestimmten Topic hinsichtlich der Facette kultureller Aktivitäten das Produkt der jeweiligen Zuordnungswahrscheinlichkeiten berechnet. Wenn beispielsweise eine Arbeit mit einer Wahrscheinlichkeit von γ = 0,80 dem kulturspezifischen Topic Musik und mit einer Wahrscheinlichkeit von γ = 0,70 dem übergreifenden Topic schulischer Unterricht zugeordnet wurde, ergibt sich daraus eine Wahrscheinlichkeit von p = 0,56 für die Zuordnung zum Schnittpunkt von Musik und schulischem Unterricht. Die so ermittelten Verbund-Zuordnungswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Arbeiten und Schnittpunkte aus kulturspezifischen und übergreifenden Topics wurden anschließend über die Arbeiten hinweg aufsummiert. Diese Summen wurden per Heatmap visualisiert, um die Schwerpunkte und Desiderate sich für die übergreifenden Themen in der Forschung zu den Facetten kultureller Aktivitäten ergeben.

7 Ergebnisse

Die Ergebnisse zur Bereinigung der Texte, Analyse nach häufigen und indikativen Wörtern und Significance Scoring werden in Abschn. 4 des Online-Appendix ausführlich beschrieben.

7.1 Reduktion der Suchergebnisse durch Exklusion von Arbeiten aus irrelevanten Zeitschriften

Von den n = 993 als potenziell irrelevant identifizierten Zeitschriften wiesen sämtliche n = 993 nach Sichtung ihrer Titel und Beschreibungen tatsächlich keine Relevanz für den Forschungsgegenstand auf. Es konnten damit n = 73.850 Arbeiten aus diesen Zeitschriften exkludiert werden, wodurch n = 129.076 noch nicht gesichtete Arbeiten aus potenziell relevanten Zeitschriften übrigblieben. Die entfernten Zeitschriften waren meist medizinisch oder ökonomisch ausgerichtet. Hierbei handelte es sich um Zeitschriften wie „Frontiers in Human Neuroscience“ (n = 495 Publikationen), „Journal of Business Ethics“ (n = 281 Publikationen), „AIDS and Behavior“ (n = 254 Publikationen) oder „Journal of Chemical Information and Modeling“ (n = 144 Publikationen).

7.2 Ergebnisse des Predictive Modeling und Priority Screening

Nach der Bereinigung und der Bestimmung der Signifikanzwerte für alle Texte (siehe Online-Appendix 3.3), wurde die Basisinklusionsrate der n= 129.076 noch nicht gesichteten Arbeiten geschätzt. Dafür haben wir initial eine zufällig gezogene Stichprobe von n = 500 Arbeiten manuell gesichtet und davon nur n = 43 Arbeiten inkludiert, was einer Basisinklusionsrate im initialen Suchergebnis von ca. p = 0,09 mit einem 95 %-Konfidenzintervall von 95 % C.I. [0,06; 0,10] entspricht (siehe Iteration „Zufall“, Tab. 2). In der ersten Iteration des Predictive Modeling zeigte McFadden’s R2 an, dass 46 % der Varianz der dichotomen Sichtungsentscheidung durch die Signifikanzwerte aufgeklärt wurden, bei einer Inklusion von n = 429 Arbeiten; dies entspricht einer Inklusionsrate von ca. p = 0,86 (siehe Iteration 1, Tab. 2). Die Inklusionsrate fiel daraufhin in jeder weiteren Iterationsschleife ab, der Anteil aufgeklärter Varianz lag stabil zwischen 46 und 53 %. In der zwölften Iteration fiel die tatsächliche Inklusionsrate in den Bereich der Inklusionsrate der Zufallsstichprobe (siehe Konfidenzintervalle Iteration 12 vs. „Zufall“, Tab. 2). In der 15. Iteration fiel sie sogar in den Bereich der Inklusionsrate der inkludierten Arbeiten der Korpora von Christ et al. (2021, 2022) und Kröner et al. (2021; siehe Konfidenzintervalle Iteration 15 vs. vorherige Studien, Tab. 2). In Iteration 16 wurde letztendlich nur noch eine einstellige Menge an Arbeiten inkludiert (siehe Iteration 16, Tab. 2). Aus diesem Grund wurde mit Iteration 16 das Predictive Modeling beendet, da für alle weiteren Arbeiten mit p ≤ 0,01 nur sehr geringe vorhergesagte Inklusionswahrscheinlichkeiten resultierten. Es konnte daher davon ausgegangen werden, dass ein Fortsetzen des Prozesses mit dem Ziel der sicheren Inklusion auch der letzten womöglich übersehenen relevanten Arbeit die identifizierten Schwerpunkte nicht mehr beeinflusst hätte (für Details dieser Abschätzung, siehe Online-Appendix 3.4).

Tab. 2 Ergebnisse des Predicitive Modeling und des Priority Screening je nach Iteration mit Anzahl inkludierter Arbeiten, vorhergesagter Inklusionsrate für die jeweils ausgewählten n = 500 Arbeiten und für alle bis dahin noch nicht gesichteten Arbeiten, tatsächlicher Inklusionsrate für die jeweilige Stichprobe inklusive 95%-Konfidenzintervall und aufgeklärter Varianz im Kriterium Sichtungsentscheidung via McFadden’s R2 durch die Signifikanzwerte für Digitalisierung, Bildung, aac, Kultur, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Musik, Literatur, Videospiele, quantitative Methoden und Forschungssynthesen als Prädiktoren

Insgesamt wurden in dieser Studie n = 8500 Arbeiten manuell gesichtet, wovon n = 2060 unsere Inklusionskriterien erfüllt haben. Dies entspricht einer Inklusionsrate von p = 0,24 (siehe Gesamt Zufall – Iteration 16, Tab. 2). Zusammengefasst mit den inkludierten Arbeiten aus den bisherigen Studien (Christ et al. 2021, 2022; Kröner et al. 2021), ergaben sich somit insgesamt n = 3846 inkludierte Arbeiten (siehe Gesamt, Tab. 2).

7.3 Bibliographische Angaben der inkludierten Arbeiten

Affiliationsland

Die inkludierten Arbeiten wurden von Erstautoren aus 87 Affiliationsländern verfasst. Von allen n = 3846 Arbeiten verteilten sich n = 2698 Arbeiten auf die zehn häufigsten Affiliationsländer, wobei ein Großteil der Arbeiten aus den Vereinigten Staaten (n = 1009) kam, gefolgt von dreistelligen Anzahlen an Publikationen für Großbritannien (n = 368), Taiwan (n = 219), Australien (n = 204), Spanien (n = 158), Kanada (n = 146), Deutschland (n = 138), die Niederlande und Süd-Korea (beide n = 117), China (n = 112) und Italien (n = 110).

Zeitschrift

Insgesamt wurden die n = 3846 inkludierten Arbeiten in n = 896 verschiedenen Zeitschriften publiziert. Die häufigsten Zeitschriften waren Computers in Human Behavior (n = 446), Computers and Education (n = 171), Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking (n = 119), Games and Culture (n = 112) und New Media and Society (n = 90). n = 62 weitere Zeitschriften kamen zweistellig vor, die übrigen n = 829 Zeitschriften nur einstellig, wovon n = 500 Zeitschriften nur mit einer Publikation vertreten waren.

Publikationsjahr

Fast 60 % aller Arbeiten (n = 2279) erschienen zwischen 2015–2020. Über 90 % (n = 3475) aller n = 3846 inkludierter Arbeiten erschienen zwischen 2010–2020. Die Publikationsdynamik wuchs deutlich ab 2013 und flacht gegen Ende des Suchzeitraums wieder leicht ab (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Kumulative Anzahl inkludierter Arbeiten zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung nach Jahren für den Suchzeitraum 2000–2020

7.4 Ergebnisse Topic Modeling

7.4.1 Forschungsfragen 1–3: Topic Modeling der untersuchten Facetten kultureller Aktivitäten

Bestimmung der Anzahl an Topics

Für die n = 3846 inkludierten Arbeiten mit dem Dictionary für Facetten kultureller Aktivitäten ergaben sich beim Gibbs-Sampling (siehe Online-Appendix 3.5.1) als sinnvolle Werte für die Zahl der Topics k = 4, 7, 9, 16, oder 17. Für k = 17 ergab sich eine Aufteilung in inhaltlich klar konturierte Topics. Für k > 17 ergaben sich darüber hinaus lediglich weitere Binnendifferenzierungen der Topics zu Videospielen. Deshalb wurde für die folgenden Analysen k = 17 als Anzahl der Topics herangezogen (Tab. 3). Darunter befanden sich je ein Topic zu Musik, Videos, Museen, Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Fotografie, Schreiben und Bloggen, Lesen und Bücher, Kultur und Tanz und Avatare. Darüber hinaus ergaben sich insgesamt sieben Topics zu Videospielen, davon je ein Topic zu Videospiele: Rollenspiele, Videospiele: Allgemein, Videospiele: Multiplayer und MOBA (multiplayer-online-battle-arena), Videospiele: Minecraft, Videospiele: Adventures, Videospiele: MMO (massive-multiplayer-online) und Videospiele: Konsolen.

Tab. 3 Ergebnisse des Topic Models nach den k = 17 kulturellen Aktivitäten der n = 3846 inkludierten Arbeiten mit Anzahl der zugeordneten Arbeiten aus dem Gesamtkorpus der inkludierten Arbeiten NTotal. Davon jeweils Arbeiten mit explizitem Bezug aus dem Korpus von Kröner et al. (2021) NKuBi-explizit und manuell kategorisierte Forschungssynthesen aus dem Korpus von Christ et al. (2022) NSynthesen. Weiterhin sind standardisierte Regressionsgewichte β für die Trendanalysen inkl. Standardfehler und Bonferroni-adjustiertes 95 %-Konfidenzintervall angegeben

Trendanalysen

Die Adjustierung des Signifikanzniveaus für die Analyse der Trends anhand der Anzahl der Topics resultierte in einem Signifikanzniveau von p = 0,003. Für fast jedes Topic resultierte ein positiver signifikanter Effekt des Publikationsjahres auf die γ‑Gewichte in den Regressionsanalysen. Die größten Effekte resultierten für die Topics Musik (β = 0,26, SE(β) = 0,033, 95 % C.I. [0,160; 0,356]), Videos (β = 0,25, SE(β) = 0,033, 95 % C.I. [0,150; 0,348]) und Fotografie (β = 0,24, SE(β) = 0,034, 95 % C.I. [0,139; 0,338]), die kleinsten Effekte für Videospiele: Rollenspiele (β = 0,06, SE(β) = 0,029, 95 % C.I. [−0,024; 0,146]), Videospiele: MMO (β = 0,10, SE(β) = 0,030, 95 % C.I. [0,007; 0,186]) und Videospiele: Konsolen (β = 0,11, SE(β) = 0,030, 95 % C.I. [0,018; 0,195]) (siehe Tab. 3). Für einen Großteil der Effekte ergaben sich Überlappungen für die Konfidenzintervalle.

Einordnung der Arbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi

Im finalen Topic Model wurden die manuell gesichteten und kategorisierten Arbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi aus Kröner et al. (2021) verortet. Dabei zeigte sich, dass ein Großteil dieser Arbeiten zum Topic Bildende Kunst zugeordnet wurde. Im Gegensatz dazu wurde nur eine dieser Arbeiten in den Topics zu Videospielen verortet (Tab. 3).

Einordnung der Forschungssynthesen zur DiKuBi

Bei der Zuordnung der aus Christ et al. (2022) manuell kategorisierten Forschungssynthesen zeigte sich, dass mit Ausnahme der Bildenden Kunst allen Facetten kultureller Aktivitäten Forschungssynthesen zugeordnet wurden. Ein eindeutiger Schwerpunkt der Forschungssynthesen ergab sich für das Topic-Cluster Videospiele.

7.4.2 Forschungsfragen 2–6: Topic Modeling der übergreifenden Themen

Bestimmung der Anzahl der Topics

Genauso wie bei dem Topic Model zu den Facetten kultureller Aktivitäten wurde auch für das Topic Model zur Bestimmung der übergreifenden Themen die Anzahl an Topics k per Gibbs-Sampling bestimmt (siehe Online-Appendix 3.5.2). Passende Werte für k resultierten für k = 6, 8, 10, 15, 17, 22, 24, 29 und 33. Für alle Werte von k bis ausschließlich k = 22 ergaben sich inhaltlich vermischte Topics, für alle Werte über k = 22 resultierten nur Binnendifferenzierungen bereits vorhandener Topics, die keine weiteren Informationen lieferten. Daher wurde sich für das finale Topic Model für k = 22 entschieden. Es resultierten verschiedenste übergreifende Themen der inkludierten Arbeiten, von Sucht und psychischen Störungen und Nutzergenerierte Inhalte und Streaming über methodische Topics wie Studiendesign und Methoden hin zu Topics mit starkem Fokus auf digitale Technologien wie Mobile Geräte und Apps oder auf Lernumgebungen und Kompetenzerwerb und Unterricht und Schule (siehe Tab. 4). Beispielhafte Arbeiten für das Topic Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe waren „STEAM Power: Integrating art and technology through cultural heritage museum partnerships“ (Bianchi 2016) oder „Play culture across makerspaces: Connecting into a global makerspace online“ (Pedersen 2020), für Medienkompetenz und Digitale Literacy „Minecraft and children’s digital making: implications for media literacy education“ (Dezuanni 2018) oder „The scope of digital image media in art education“ (Örtegren 2012) oder für Immersion und Interaktion in virtuellen Umgebungen die Arbeiten „The Immersive Virtual Reality Experience: A Typology of Users Revealed Through Multiple Correspondence Analysis Combined with Cluster Analysis Technique“ (Rosa et al. 2016) und „Factors affecting enjoyment of virtual reality games: A comparison involving consumer-grade virtual reality technology“ (Shafer et al. 2019). Beispielhafte Arbeiten mit hohen Dokument-Topic-Wahrscheinlichkeiten γ für alle Topics der übergreifenden Themen befinden sich im Online-Appendix.

Tab. 4 Ergebnisse des Topic Models nach den k = 22 übergreifenden Themen der n = 3846 inkludierten Arbeiten mit Anzahl der zugeordneten Arbeiten aus dem Gesamtkorpus der inkludierten Arbeiten NTotal. Davon jeweils Arbeiten mit explizitem Bezug aus dem Korpus von Kröner et al. (2021) NKuBi-explizit und manuell kategorisierte Forschungssynthesen aus dem Korpus von Christ et al. (2022) NSynthesen. Weiterhin sind standardisierte Regressionsgewichte β für die Trendanalysen inkl. Standardfehler und Bonferroni-adjustiertes 95 %-Konfidenzintervall und die fünf Wörter mit den höchsten Wort-Topic-Gewichten β angegeben

Trendanalysen

Für die Überprüfung von Trends in den Topics zu den übergreifenden Themen haben wir wegen der erforderlichen Adjustierung für die Anzahl der Topics k ein Signifikanzniveau von p = 0,0023 (p = 05/22) zugrunde gelegt, und für die Bedeutsamkeit eine Effektstärke von β = 0,10. Es ergaben sich generell deutlich niedrigere Regressionskoeffizienten als für die Trends in den Topics zu den kulturellen Aktivitäten. Für k = 20 der k = 22 Topics waren die Regressionskoeffizienten nur einstellig, 12 davon fielen nicht einmal statistisch signifikant aus (Tab. 4). Lediglich für die Topics Soziale Medien und Mobile Geräte und Apps ergaben sich bedeutsame statistisch signifikante Effekte.

Einordnung der Arbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi

Für die bei Kröner et al. (2021) identifizierten Originalarbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi zeigte sich, dass ein Großteil davon den Topics Unterricht und Schule, Lernumgebungen und Kompetenzerwerb, Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe und Medienkompetenz und Digital Literacy zugeordnet werden konnten. Allen weiteren Topics wurden allenfalls vereinzelte Arbeiten zugeordnet (zu den Häufigkeiten siehe Tab. 4).

Einordnung der Forschungssynthesen zur DiKuBi

Gänzlich anders als die bei Kröner et al. (2021) identifizierten Originalarbeiten verteilten sich die Forschungssynthesen zur DiKuBi aus Christ et al. (2022) auf die übergreifenden Themen: In absteigender Reihenfolge waren die am stärksten besetzten Topics Studiendesign und Methoden, Gewalttätiges und aggressives Verhalten, Soziale Medien, Kognitive Leistung und Training und Sucht und psychische Störungen. Allen weiteren Topics wurden nur wenige oder gar keine Arbeiten zugeordnet (Tab. 4).

7.4.3 Forschungsfrage 7: Zusammenschau von Forschung zu kulturellen Aktivitäten und übergreifenden Themen

Ergebnisse des hierarchischen Clusterings

Aus einem hierarchischen Clustering auf Basis der Dokument-Topic-Zugehörigkeiten wurde die euklidische Distanz der Topics ermittelt und via des in Abb. 2 dargestellten Dendrogramms veranschaulicht. Im Dendrogramm waren alle videospielbezogenen Topics einander benachbart. Das gleiche galt für Topics klassischer Facetten kultureller Aktivitäten mit hoher inhaltlicher Ähnlichkeit wie Schreiben und Bloggen und Lesen und Bücher oder wie auch Museen und Bildende Kunst. Ein besonderer Fokus dieser Analyse lag darauf, mit welchen übergreifenden Themen die ermittelten Cluster der Facetten kultureller Aktivitäten einhergehen. Die übergreifenden Themen mit großer Nähe zu den Topics der Facetten klassischer kultureller Aktivitäten wiesen eine große Heterogenität auf, mit Topics wie Unterricht und Schule, Kognitive Leistung und Training, Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe oder Nutzergenerierte Inhalte und Streaming. Hier fanden sich kaum Topics mit negativen Konnotationen wie Sucht oder solche, wie das Topic Körperbild – in denen sich hinter einer neutralen Bezeichnung vorwiegend Studien zu negativen Folgen wie Essstörungen oder negativem Selbstbild finden. Derartige Topics fanden sich vor allem im Cluster zu Videospielen, wo sich vor allem Topics zu Effekten auf die Persönlichkeit und auf das Verhalten fanden, wie Gewalttätiges und Aggressives Verhalten und Sucht und psychische Störungen, oder Einstellungen und Nutzerverhalten, aber auch Motivation und Flow. Derartige aufschlussreiche Zuordnungen zwischen kulturbezogenen und übergreifenden Topics fanden sich auch auf untergeordneter Ebene wieder bei der Betrachtung direkt benachbarter Topics. So fanden sich MMO-Videospiele in der Nähe des Topics Sucht und psychische Störungen, Avatare in der Nähe von Gender und Körperbild, und Videos in der Nachbarschaft von Nutzergenerierte Inhalte und Streaming sowie Fotografie in der Nähe von Sozialen Medien.

Abb. 2
figure 2

Dendrogramm der euklidischen Distanz aller Topics der Facetten kultureller Aktivitäten und der übergreifenden Themen. Je näher zwei Topics einander zugeordnet sind, desto mehr Arbeiten mit hohen Dokument-Topic-Wahrscheinlichkeiten in beiden Topics gibt es. Die Klammern der Visualisierung verbinden immer den oder die nächsten Nachbarn von Topics oder Topicgruppen anhand ihrer euklidischen Distanz. Die Topicbezeichnungen des Topic Models zu den übergreifenden Themen sind kursiv gesetzt, die aus dem Topic Model zu den Facetten kultureller Aktivitäten nicht

Ergebnisse und Visualisierung der internationalen Forschung anhand der Produkte der Dokument-Topic-Wahrscheinlichkeiten

Anhand der Heatmap wurde detaillierter betrachtet, wie sich die Forschung zu den übergreifenden Themen auf die Forschung zu den Facetten kultureller Aktivität verteilt: Die Forschung zu Videospielen fokussierte insbesondere die Topics Gewalttätiges und aggressives Verhalten, Sucht und psychische Störungen, Wohlbefinden und Online-Communities, Akademische Leistung und Kognition, Motivation und Flow und Persönlichkeit und individuelle Unterschiede (siehe Cluster rechts-unten in Abb. 3). Die Topics Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe, Nutzergenerierte Inhalte und Streaming, Sprachenlernen und Storytelling, Soziale Medien und Unterricht und Schule waren deutlich stärker in den Nicht-Videospiel-Topics vertreten (siehe Cluster links oben in Abb. 3). Die übrigen Topics wurden sowohl von Arbeiten zu „klassischen“ kulturellen Aktivitäten als auch zu Videospielen bearbeitet. Es ergaben sich insgesamt sieben große Schwerpunkte an den Schnittpunkten der Facetten kultureller Aktivitäten mit den übergreifenden Themen: Zu Forschung an dem Schnittpunkt zwischen Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe und Bildende Kunst zählen beispielsweise Arbeiten wie „The University of Western Australia 3D art challenges: Virtual promotion of an art community“ (Hearns und Jegathesan 2013). Zu demselben übergreifenden Topic und dem Topic kultureller Aktivität Museen gehörte zum Beispiel die Arbeit „Using 3D Printing to Enhance Understanding and Engagement with Young Audiences: Lessons from Workshops in a Museum“ (Turner et al. 2017). Beim Schnittpunkt zwischen Sprachenlernen und Storytelling und Lesen und Bücher wurden Arbeiten wie „The influence of interactive features in storybook apps on children’s reading comprehension and story enjoyment“ (Son et al. 2020) verortet. Für die Facette der Videospiele ergab sich ein starker Schwerpunkt für MMO und Wohlbefinden und Online-Communities, mit Arbeiten wie „Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs) and Socio-Emotional Wellbeing“ (Zhang und Kaufman 2017). Für Persönlichkeit und individuelle Unterschiede ergaben sich zwei starke Überschneidungen, einmal mit Rollenspielen, mit Arbeiten wie „Towards a Trait Model of Video Game Preferences“ (Fortes Tondello et al. 2018) und einmal mit Videospielen allgemein, mit Arbeiten wie „Video Game Players’ Personality Traits: An Exploratory Cluster Approach to Identifying Gaming Preferences“ (Potard et al. 2020). Für Videospiele allgemein ergab sich auch ein großer Schnittpunkt mit dem Topic Gewalttätiges und Aggressives Verhalten, mit Arbeiten wie „Video game violence and interactivity: Effect or equivalence?“ (Weber et al. 2020; siehe Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Heatmap zur Visualisierung der Anteile der Arbeiten der Topics der Facetten kultureller Aktivitäten innerhalb der jeweiligen übergreifenden Themen. Je dunkler die Matrixzelle, desto höher der Anteil der Verbund-Zuordnungswahrscheinlichkeiten am gesamten Korpus (siehe Legende). Die durchgezogenen Linien stellen jeweils die Cluster Videospiele vs. klassische kulturelle Aktivitäten und die zwei Cluster der übergreifenden Themen nach dem hierarchischen Clustering der euklidischen Distanz dar

8 Diskussion

8.1 Zusammenfassung der Ergebnisse

Die angewendeten Verfahren haben es ermöglicht, ausgehend von einer breiten Literaturrecherche eine sehr große Menge potenziell relevanter Arbeiten effizient zu sichten, relevante Arbeiten zu identifizieren und zu kartieren. Letzteres geschah sowohl im Hinblick auf die untersuchten Facetten kultureller Aktivitäten sowie hinsichtlich übergreifender Themen. Anschließend ließen sich die manuell inkludierten Arbeiten bisheriger Synthesen (Christ et al. 2022; Kröner et al. 2021) in den resultierenden Topic Models zur DiKuBi verorten. So konnten Schwerpunkte und Desiderate der gesamten internationalen Forschung, von Originalforschung mit explizitem Bezug zur KuBi (Kröner et al. 2021) und von Forschungssynthesen zur DiKuBi (Christ et al. 2022) bestimmt und verglichen werden. Abschließend konnte durch die Zusammenschau der beiden Topic Models bestimmt werden, welche wie intensiv übergreifende Themen in der Forschung zu einzelnen Facetten kultureller Aktivitäten bearbeitet werden, und wo sich Desiderate ergeben.

Insgesamt deutet die vorliegende Arbeit darauf hin, dass anhand der hier analysierten Titel und Abstracts im Suchergebnis enthaltener Arbeiten bereits eine relativ genaue Einschätzung sowohl der untersuchten Facetten kultureller Aktivitäten als auch der bearbeiteten übergreifenden Themen möglich ist. Die Ergebnisse waren kongruent mit den in zuvor publizierten Arbeiten enthaltenen manuellen Kategorisierungen von Arbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi (Kröner et al. 2021) sowie von bereits publizierten Forschungssynthesen zur DiKuBi (Christ et al. 2022). Ein großer Vorteil des hier gewählten Vorgehens gegenüber manueller Kategorisierung ist jedoch die Skalierbarkeit des Vorgehens auch auf sehr große Datenmengen, die Arbeiten wie die vorliegende überhaupt erst ermöglicht.

Im Folgenden wird nach einer kurzen Erörterung der Implikationen für Textmining als Zugang zu systematischen Überblicksarbeiten diskutiert, was sich aus der vorliegenden Arbeit für künftige Originalarbeiten und Forschungssynthesen auf dem Feld der DiKuBi ergibt, sowohl bezogen auf die verschiedenen Facetten kultureller Aktivitäten als auch auf deren Schnittpunkte mit übergreifenden Themen.

8.2 Bewährung von Textmining und Predictive Modeling

Die angewendeten Verfahren Predictive Modeling und Priority Screening haben eine effiziente thematische Kartierung der großen Zahl vorliegender potenziell relevanter quantitativ-empirischer Arbeiten zur DiKuBi ermöglicht. Um die knapp 4000 für die vorliegende Forschungssynthese relevanten Arbeiten zu bestimmen, mussten von den 250.000 Treffern der Literaturrecherche weniger als 10.000 Arbeiten tatsächlich gesichtet werden. Bevor daher die inhaltlichen Implikationen der Arbeit diskutiert werden, soll im Folgenden erörtert werden, inwieweit sich diese Vorgehensweise bewährt hat.

Bei der Bereinigung der Texte der Arbeiten konnte auf Korpora inkludierter und exkludierter Arbeiten aus vorliegenden Publikationen zurückgegriffen werden, in denen identische Inklusions- und Exklusionskriterien angewendet wurden (Christ et al. 2021, 2022; Kröner et al. 2021). Anhand dieser Korpora konnten zunächst mit hoher Wahrscheinlichkeit irrelevante Zeitschriften bestimmt und für die Exklusion einer großen Zahl von Artikeln aus dem Roh-Suchergebnis verwendet werden. Danach verblieb immer noch eine sehr große Anzahl an Datenbanktreffern, aus welchen die relevantesten Arbeiten im Rahmen iterativer Verfahren bestimmt und gesichtet wurden. Wie bereits erläutert, ist der Nutzen von Textmining im Rahmen dieser iterativen Sichtung umso größer, je mehr signifikante Wörter identifiziert wurden, die zu einer genaueren Vorhersage der Relevanz einer Arbeit führen – und damit einhergehend zu einer hohen oder niedrigen Inklusionswahrscheinlichkeit. Damit werden die Verfahren umso genauer und effizienter, je mehr bereits gesichtete Arbeiten vorliegen, aus denen signifikante Wörter sowohl für den initialen Suchbefehl als auch für die erste Iteration des Predictive Modeling verwendet werden können. Gegenüber vorangegangenen Arbeiten wie der von Christ et al. (2021) wurde der Arbeitsfortschritt in der vorliegenden Arbeit deutlich dadurch beschleunigt, dass für die Identifikation signifikanter Wörter bereits Eingangs auf die in den vorangegangenen Arbeiten gesichteten und inkludierten oder exkludierten Arbeiten zurückgegriffen werden konnte. Die Verwendung vorhandener Korpora als Trainingsset und die vorhandenen Listen an signifikanten Wörter haben zu einer sehr treffsicheren Auswahl von Studien für die erste Iteration des Priority Screening geführt, wie sich anhand einer im Vergleich zu Christ et al. (2021) nochmals drei Mal höheren initialen Inklusionsrate zeigt. Dies liegt daran, dass die dort zur Berechnung von Signifikanzscores im Predictive Modeling verwendeten Listen signifikanter Wörter nochmals verfeinert und erweitert wurden. Auch die Inklusionsrate in den nachfolgenden Iterationen des Predictive Modeling sowie schließlich die Gesamtinklusionsrate lagen deutlich über der einer zufälligen Stichprobe und der Inklusionsrate der vorherigen Synthesen. Nach Iteration 16 wurde das iterative Verfahren abgebrochen. Es liegt in der Natur des auf probabilistischen Zusammenhängen basierenden Predictive Modelings, dass dadurch wahrscheinlich einige potenziell relevante Arbeiten übersehen wurden. Entscheidend ist jedoch für die Ziele der vorliegenden Arbeit nicht, ob jede einzelne Arbeit identifiziert wurde, sondern ob die wesentlichen in der bisherigen Forschung bearbeiteten Themenfelder identifiziert wurden. Es kann insgesamt davon ausgegangen werden, dass nur wenige hunderte Arbeiten übersehen wurden (siehe Online-Appendix 3.4). Selbst wenn man davon ausgeht, dass die übersehenen Arbeiten sich auf alle Schnittpunkte gleich verteilen und nicht analog zu den bereits identifizierten Arbeiten an bestimmten Schnittpunkten häufen: Bei insgesamt 17 * 22 = 374 Schnittpunkten aus Facetten kultureller Aktivität und übergreifenden Themen führt dies bei weniger als 1000 potenziell übersehenen Arbeiten dazu, dass bei einer vollständigen Sichtung aller ca. n = 120.000 noch nicht gesichteten Arbeiten pro Schnittpunkt allenfalls eine Handvoll an übersehenen Arbeiten erwartet werden kann.

Da derart breite Überblicksarbeiten wie die vorliegende ansonsten allenfalls in Form unsystematischer narrativer Reviews leistbar wären, spricht dies insgesamt für die Verwendung von Predictive Modeling im Rahmen von Mapping Reviews und Scoping Reviews. Dies gilt umso mehr, wenn kumulativ über mehrere Arbeiten hinweg ein Trainingsset mit inkludierten und exkludierten Arbeiten aufgebaut werden kann.

Für die zukünftige Anwendungen von Textmining ergibt sich aus unserer Arbeit auch eine Reihe von Implikationen: Insbesondere bei einem Fokus auf einzelne relevante Facetten kultureller Aktivitäten oder auf einzelne übergreifende Themen liegt es nahe, künftig nicht nur mit Titeln und Abstracts der Publikationen zu arbeiten, sondern – deren Zugänglichkeit vorausgesetzt – mit Volltexten. Dadurch würden die Priorisierung der Suchergebnisse und die resultierende Kartierung noch genauer, da sie Information einbeziehen könnten, die in Titeln und Abstracts so nicht vorhanden ist. So wäre es mit Volltexten und einer Analyse von Informationen in Literaturverzeichnissen beispielsweise möglich, für quantitative Arbeiten die verwendeten Methoden inklusive untersuchter unabhängiger und abhängiger Variablen ebenso zu bestimmen wie potenzielle Mediatoren und Moderatoren. Außerdem ließe sich so nicht nur ein detaillierteres Bild der inhaltlichen Themen der Arbeiten zeichnen, sondern es wäre auch ein genauerer Überblick über die verwendeten Instrumente und Analyseverfahren möglich. Schließlich wäre durch Textmining der Volltexte die Bestimmung verbreiteter theoretischer Rahmenmodelle und Paradigmen möglich. All dies gilt jedoch vor allem für vertiefende Scoping Reviews. Bei breit angelegten Mapping Reviews wie der vorliegenden Arbeit stößt eine Analyse von tausenden Volltexten mit den verwendeten Textmining-Verfahren zumindest derzeit noch an die Grenzen der Leistung üblicher Desktop-Rechner.

Im Folgenden wird anhand der Ergebnisse diskutiert, welche übergreifenden und auf bestimmte Facetten kultureller Aktivität bezogenen Schwerpunkte die Forschung zur Digitalisierung aufweist, und welche Desiderate sich für künftige Originalforschung sowie für Forschungssynthesen ergeben.

8.3 Schwerpunkte, Desiderate und Trends der Forschung zu den Facetten kultureller Aktivitäten

Aus der textminingbasierten Sichtung der Suchergebnisse im Hinblick auf das Kriterium ihrer Relevanz für die DiKuBi hat sich in dieser Arbeit eine große Zahl an quantitativ-empirischen Publikationen zu Videospielen ergeben, sowie eine geringere, aber immer noch beachtliche Zahl an Publikationen mit Bezug zu den klassischen Facetten kultureller Aktivitäten. Dass zu Videospielen deutlich mehr Arbeiten als zu Facetten klassischer kultureller Aktivitäten identifiziert wurden, dürfte dem Fokus auf die Digitalisierung geschuldet sein: Während Arbeiten zu Videospielen per se immer einen Bezug zur Digitalisierung aufweisen, dürfte bei Facetten klassischer kultureller Aktivitäten derzeit die Forschung ohne Digitalisierungsbezug noch überwiegen.

Verortung der Arbeiten aus früheren Forschungssynthesen

Von den bei Kröner et al. (2021) identifizierten Originalarbeiten mit explizitem KuBi-Bezug ließ sich im Topic Model ein großer Teil dem – in der vorliegenden Arbeit nicht als außergewöhnlich großer Schwerpunkt aus dem Rahmen fallenden – Topic der Bildenden Kunst zuordnen und, in deutlich geringerem Maß, dem Topic Kultur und Tanz. Im Gegensatz dazu ließ sich dem Topic Bildende Kunst keine einzige der im Tertiary Review zu Forschungssynthesen mit Bezug zur DiKuBi von Christ et al. (2022) identifizierten Arbeiten zuordnen. Auch alle weiteren Facetten kultureller Aktivitäten waren hier kaum abgedeckt, allenfalls fanden sich vereinzelt Synthesen zu den Topics Kultur und Tanz sowie Lesen und Bücher, während ein Großteil der Synthesen sich den auf Videospiele bezogenen Topics zuordnen ließ.

Ein Grund für das Fehlen von Synthesen zur Bildenden Kunst könnte in fehlenden Voraussetzungen für Metaanalysen liegen, d. h. in zu wenig kumulativ ausgerichteter quantitativer Forschung zu vergleichbaren Fragestellungen und vergleichbar operationalisierten Konstrukten. Über Gründe für das Fehlen auch von narrativen Synthesen am Schnittpunkt von Digitalisierung, Bildung und Bildender Kunst lässt sich auf Basis der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit allerdings nur spekulieren. Es liegt nahe, dass sich womöglich lediglich noch niemand dieser Aufgabe angenommen hat und dass in der vorliegende Arbeit damit ein Desiderat für ein speziell auf diesen Themenbereich fokussiertes Scoping Review identifiziert wurde. Der Nutzen solcher fokussierten Scoping Reviews steigt mit zunehmenden Publikationszahlen und angesichts neuer Themen wachsender Heterogenität der Forschung zur DiKuBi. Sie ermöglichen nicht nur einen systematischen Überblick über ein heterogenes Themenfeld und zeigen auf, wo Möglichkeiten für Metaanalysen bestehen, sondern erleichtern auch den Transfer über die Grenzen von wissenschaftlichen Communities hinweg sowie in (Bildungs‑)Praxis und Politik.

Auf ein weiteres Forschungsdesiderat weist das weitgehende Fehlen von explizit aus der Perspektive der Forschung zur kulturellen Bildung durchgeführten Originalarbeiten zu Videospielen hin. Dies wird vor allem im Kontrast zur großen Zahl von – durchgängig nicht explizit aus Perspektive der kulturellen Bildung durchgeführten – Synthesen deutlich, die auf die große Bedeutung dieser Facette kultureller Aktivitäten verweisen.

8.4 Schwerpunkte, Desiderate und Trends der Forschung zu den übergreifenden Themen

Anders als bei Christ et al. (2021) wurden in dieser Arbeit nicht nur Schwerpunkte der Facetten kultureller Aktivitäten, sondern auch der übergreifenden Themen identifiziert. In den mehr als 20 identifizierten übergreifenden Themen spiegelt sich die Vielfalt der Inhalte internationaler Forschung mit Bezug zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung wider. Wenn über man über alle Facetten kultureller Aktivitäten aggregiert, war die Verteilung der identifizierten Arbeiten auf die übergreifenden Themen relativ gleichmäßig, und auch über die Zeit hinweg entfaltete sich keine besondere Dynamik für die unterschiedlichen Topics. Selbst für Topics wie Soziale Medien oder Mobile Geräte und Apps, bei welchen ein Anstieg an Publikationen zu erwarten war, resultierten kaum stärker ausgeprägte Trends als für die anderen Topics der übergreifenden Themen.

Verortung der Arbeiten aus früheren Forschungssynthesen

Wie auch bei den Topics zu den Facetten kultureller Aktivitäten ergaben sich bei der nachfolgend diskutierten Verortung der manuell gesichteten Arbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi von Kröner et al. (2021) und den manuell gesichteten Forschungssynthesen zur DiKuBi von Christ et al. (2022) unterschiedliche Schwerpunkte. Für diejenigen Originalarbeiten, in denen explizit von kultureller Bildung die Rede ist (Kröner et al. 2021), ließ sich eine große Zahl jeweils den übergreifenden Themen Lernumgebungen und Kompetenzerwerb und Unterricht und Schule zuordnen. Weiterhin zeigten sich – allerdings geringere – Schwerpunkte bei Topics wie Medienkompetenz und Digitale Literacy sowie Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe. Die manuell kategorisierten Forschungssynthesen mit – stets implizitem – Bezug zur DiKuBi von Christ et al. (2022) fokussierten auf die Topics Sucht und psychische Störungen, auf Gewalttätiges und Aggressives Verhalten, auf Soziale Medien und auf Studiendesign und Methoden.

Insgesamt zeigten sich damit für die Verortung der Arbeiten zu den untersuchten übergreifenden Themen eindeutige Diskrepanzen zwischen explizit aus Perspektive der KuBi geschriebenen Originalarbeiten und den identifizierten, de facto stets nur implizit auf KuBi bezogenen, Forschungssynthesen: Bei den beiden Topics zu den negativen Effekten wurde keine der Originalarbeiten aus der Perspektive der KuBi verortet, wohl aber fast ein Sechstel der Forschungssynthesen. Interessant war auch, dass einige Arbeiten mit explizitem Bezug auf KuBi im Topic Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe verortet wurden, jedoch keine der Forschungssynthesen. Generell zeigte sich im Vergleich der zugeordneten Arbeiten ein Fokus der Arbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi auf Lernen, Lernumgebungen, Kreativität und Literacy, bei den Forschungssynthesen hingegen ein Fokus auf negative Begleiterscheinungen digitaler kultureller Aktivitäten als auch auf soziale Medien und Studiendesign. Es zeigte sich ein Desiderat sowohl für auf quantitativ-empirische Forschung fokussierte Forschungssynthesen als für entsprechende Originalarbeiten mit explizitem Bezug zur KuBi bei dem Topic Motivation und Flow, zu welchem weder eine Forschungssynthese noch eine einzige Arbeit mit explizitem KuBi-Bezug zugeordnet wurde. Daraus resultiert, dass mehr Originalforschung aus der Perspektive der kulturellen Bildung zu Themen wie Motivation oder sozialen Medien notwendig ist, als auch Forschungssynthesen zu übergreifenden Themen wie Nutzergenierte Inhalte und Streaming oder Motivation und Flow. Gerade weitere Forschungssynthesen über die Grenzen von spezifischen Facetten kultureller Aktivitäten hinweg, wie sie für den deutschsprachigen Raum von Liebau et al. (2013) und für eine Teilmenge der internationalen Forschung von Winner et al. (2013) vorhanden sind, würden ein erhebliches Potenzial für interdisziplinären Transfer ihrer Ergebnisse und Erkenntnisse mit sich bringen. Mit der vorliegenden Aufarbeitung der quantitativ-empirischen internationalen Forschung wurde für alle diese Anknüpfungspunkte eine Grundlage geschaffen, auf welche zukünftige Arbeiten zur Information und Einordnung ihrer Forschung zurückgreifen können.

Über alle übergreifenden Themen hinweg zeigte sich außerdem, dass aktuelle relevante gesellschaftliche Diskurse wie die zu Migration, gesellschaftlicher Vielfalt oder Empowerment, nicht in einem Umfang bearbeitet wurden, der das Aufscheinen übergreifender Topics ermöglicht hätte. Ebenso wenig ergab sich ein Topic zur SARS-CoV-2-Pandemie oder zu künstlicher Intelligenz. Letzteres dürfte sich angesichts noch laufender Forschungsprojekte und Publikationsprozesse in den nächsten Jahren ändern. KI dürfte insbesondere in Form von Forschung zu „large language models“ und ChatGPT (Kasneci et al. 2023), zu Text-zu-Bild-Algorithmen wie Stable Diffusion (Dehouche und Dehouche 2023) oder zu KI-Musik-Generatoren wie Soundraw (Wang 2023) ihren Einzug in die KuBi-Forschung finden. Wünschenswert ist, dass dabei – anders als bei der zu Videospielen – von Beginn an neben kritischen Aspekten auch das Potenzial aktueller Entwicklungen für individuelles und gesellschaftliches Empowerment angemessen in den Blick genommen wird.

8.5 Schwerpunkte und Desiderate der Forschung an den Schnittpunkten spezifischer Facetten kultureller Aktivitäten und bestimmter übergreifender Themen

Bei der Zusammenschau der beiden Topic Models zeigte sich eine Zweiteilung der internationalen Forschung mit Bezug zur DiKuBi: Forschung zu Videospielen – relativ häufig mit implizitem Bezug zur KuBi – beschäftigte sich insbesondere mit Themen zu Effekten auf Personeneigenschaften. Die Forschung zu den Facetten klassischer kultureller Aktivitäten dagegen – hier fand sich ein Großteil der Arbeiten mit expliziten Bezug zur KuBi – nahm vielfältige übergreifende Themen in den Blick, zumeist mit einem Fokus auf den Inhalt der Aktivität oder auf Lernen und formale Bildung. Die Zusammenschau der Topic Models ergab eindeutige Schwerpunkte bisheriger Forschung für die klassischen vs. videospielbezogenen Facetten kultureller Aktivitäten und daraus folgende spezifische Schwerpunkte und Desiderate:

Schwerpunkte der Forschung zu Facetten klassischer kultureller Aktivitäten

Übergreifende Schwerpunkte bisheriger Forschung zu den Facetten klassischer kultureller Aktivitäten lagen bei den Topics Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe, Unterricht und Schule, Medienkompetenz und Digitale Literacy, Soziale Medien, Politischer Diskurs und Aktivismus sowie Sprachenlernen und Storytelling. Zudem ergaben sich im Detail unterschiedliche Schwerpunkte bei den übergreifenden Themen für einzelne Facetten kultureller Aktivität: Das Topic Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe wurde insbesondere von Arbeiten aus den Topics bildende Kunst und Museen aufgegriffen, das Topic Sprachenlernen und Storytelling insbesondere von Arbeiten aus dem Topic Lesen und Bücher.

Schwerpunkte der Forschung zu Videospielen

Zu den beiden einzigen klar negativ konnotierten übergreifenden Themen, Sucht und psychische Störungen und gewalttätiges und aggressives Verhalten, fanden sich – selbst bei Relativierung an der generell höheren Zahl von Arbeiten zu Videospielen – vor allem Arbeiten zu Videospielen. Videospielforschung war jedoch nicht ausschließlich auf negative Begleiterscheinungen fokussiert. Sie nahm daneben auch übergreifende Themen wie Wohlbefinden und Online-Communities, Kognitive Leistung und Training, Motivation und Flow, Persönlichkeit und individuelle Unterschiede oder Lernumgebungen und Kompetenzerwerb in den Blick.

Desiderate für künftige Forschung zu DiKuBi

Jenseits des Fokus auf negative Begleiterscheinungen bezog sich ein großer Anteil der Forschung zu Videospielen auf übergreifende Themen wie Wohlbefinden und Online-Communities oder Persönlichkeit und individuelle Unterschiede. Schwerpunkte der Forschung zu klassischen Facetten kultureller Aktivitäten lagen auf dem Topic Kreativität und Projekte zum kulturellen Erbe oder auf dem Topic Medienkompetenz und Digitale Literacy. Was bedeutet dies im Hinblick auf die Identifikation von Forschungsdesideraten? Sicherlich nicht, dass zukünftige Forschung beispielsweise verstärkt auf den bislang selten erforschten Schnittpunkt aus Musik und Aggressivität fokussieren sollte. Was sich stattdessen anbietet, ist eine Fokussierung auf diejenigen Schnittpunkte aus Kulturfacette und übergreifendem Thema, an denen Potenzial digitaler kultureller Aktivitäten für positive Effekte liegt. Beispiele hierfür sind die Schnittpunkte von Bildender Kunst mit Motivation und Flow oder von Musik mit Wohlbefinden und Online-Communities. Hinzu kommt, dass mehr Forschung zu potenziellen positiven Aspekten und Potenzialen von freizeitlichem Videospielen notwendig ist, um einen ausgewogenen Diskurs zu den Effekten von Videospielen zu ermöglichen. Diese Forschung könnte beispielsweise zu Themen sein wie Kreativität, Digital Literacy oder politische Bildung (Lin und Sun 2022; Reyes-de-Cózar et al. 2022; Shaw 2023).

8.6 Limitationen

Angesichts des Fokus der Arbeit auf quantitative und Mixed-Methods-Arbeiten ließe sich einwenden, dass in der vorliegenden Arbeit solche Schwerpunkte der Forschung zur Digitalisierung in der kulturellen Bildung verborgen blieben, die international vorrangig mit qualitativen Methoden erforscht werden. Das mag tatsächlich der Fall sein, da insbesondere aktuelle Themen oft zunächst mit qualitativen Methoden bearbeitet werden, bevor großangelegte quantitative Studien folgen. Dies haben wir jedoch in Kauf genommen, da unsere Arbeit darauf abzielte, gerade solche DiKuBi-Themenfelder zu identifizieren, die im Sinne der Descriptive-Correlational-Experimental-Loop nach Rosenshine und Furst (1973) bereits erste Schritte in Richtung hinreichender Evidenz für Metaanalysen gegangen sind. Dennoch könnte es sich lohnen, in zukünftigen Studien auch qualitativ-empirische Arbeiten einzubeziehen und zu bestimmen, ob sich abzeichnet, dass darin eine Bearbeitung just der in der vorliegenden Arbeit identifizierten Desiderate und blinden Flecken der quantitativ-empirischen Forschung erfolgt und es daher nur eine Frage der Zeit ist, bis sich auch dazu quantitativ-empirische Studien einstellen werden.

Die Recherchen der vorliegenden Arbeit basieren auf der Datenbank Scopus. Hierbei handelt es sich um eine der größten verfügbaren derartigen Datenbanken (Schotten et al. 2017), die einen Großteil der international verfügbaren Arbeiten mit Peer Review zur DiKuBi abdeckt. Dabei handelt es sich neben Konferenzbeiträgen vor allem um Publikationen in zentralen Zeitschriften sozialwissenschaftlicher Fächer, die bei Literaturrecherchen routinemäßig von einem vom Großteil der international in den Sozialwissenschaften Forschenden rezipiert werden. Scopus ermöglicht Literaturrecherchen mit komplexen, verschachtelten Suchen mit Boole’schen Operatoren und erlaubt den Export großer, detaillierter Datenmengen. Diese Funktionen fehlen leider bei Google Scholar ebenso wie bei einigen anderen Datenbanken, was deren Nutzung in breit angelegten Mapping Reviews erschwert. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Datenbanken es darüber hinaus nicht gestatten, umfassende Suchergebnisse automatisiert und skriptbasiert auszulesen und abzuspeichern (sog. Scraping) um dann die Detailauswahl im Rahmen selbst erstellter Datenbanken vorzunehmen. All dies spricht für die Verwendung von Scopus in der vorliegenden Arbeit. Dennoch kann es sich lohnen, in zukünftigen Synthesen weitere Portale zu inkludieren, um eine Abhängigkeit der Schwerpunkte und Desiderate vom Inhalt spezifischer Datenbanken noch besser ausschließen zu können und gezielt auch graue Literatur einzuschließen, in der sich ebenfalls oft relevante Arbeiten finden (siehe Glitsos 2016; Krecker 2014; Soares Palmer 2010). Allerdings würde ein solches Mapping Review, welches weitere Datenbanken beinhaltet und auch graue Literatur einschließt, nochmals zu weit mehr Datenbanktreffern führen als die vorliegende Arbeit. Daher ist bei einem solchen Unterfangen neben der Nutzung der von uns verwendeten Verfahren eine Fokussierung auf ausgewählte Facetten kultureller Aktivitäten ratsam, um den Umfang der Suchergebnisse in einem bewältigbaren Rahmen zu halten.

8.7 Fazit

Das Themenfeld der Digitalisierung in der kulturellen Bildung ist in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gewachsen und hat sich entlang verschiedenster Aspekte ausdifferenziert. Dies hat ein facettenreiches und heterogenes Themenfeld entstehen lassen, zu dem eine große Zahl von Arbeiten gehört, die zwar nicht unter dem Begriff der kulturellen Bildung zu finden sind, die aber gleichwohl wichtige Ergebnisse und Anregungen für dieses Feld liefert. Gleichzeitig wird aus der Perspektive der kulturellen Bildung bislang vergleichsweise selten zu aktuellen Phänomenen wie Videospielen geforscht – zumindest mit quantitativ-empirischen Methoden. Gerade an dieser Stelle wäre es wichtig, dass aus der Community der kulturellen Bildung künftig verstärkt international und interdisziplinär sichtbare Publikationen hervorgehen, da die Forschung anderer Communities mit lediglich impliziten Bezügen zur kulturellen Bildung den Fokus häufig auf negative Konsequenzen wie Aggressivität oder Sucht richtet oder auf, meist schulischen, Kompetenzerwerb fokussiert. Dies verstellt im gesellschaftlichen Diskurs den Blick auf eine differenzierte Wahrnehmung von Videospielen. Mehr international sichtbar publizierte Forschung aus der KuBi-Perspektive, die deren Potenzial für die ästhetische Bildung und die persönliche Entwicklung auslotet, tut daher not. Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Forschung in relevanten Nachbardisziplinen wichtige Impulse aus der Forschung zur kulturellen Bildung erhalten könnte.