1 Einleitung

Nicht-studienberechtigte Schulabgänger:innen sind eine zentrale Zielgruppe der beruflichen Bildung. Allerdings haben insbesondere jene mit maximal einem Hauptschulabschluss (max. HSA) anhaltende Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz im Dualen oder Schulberufssystem zu finden (z. B. Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung [AGBB] 2022). Ungleichheiten am Übergang zur Berufsausbildung und die Integration der oftmals als nicht ausbildungsreif bezeichneten Schulabgänger:innen sind angesichts zunehmender Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt und des (drohenden) Fachkräftemangels eine relevante Problemlage des deutschen Berufsbildungssystems. Sie erklären sich u. a. aus den institutionellen Logiken des Ausbildungszugangs und dem Rekrutierungsverhalten von Ausbildungsbetrieben (Granato und Ulrich 2014). Diese stellen vielschichtige Anforderungen an potenzielle Auszubildende, etwa die Fähigkeit zum logischen Denken, grundlegende Mathematik- und Lesekompetenzen, Sozialkompetenzen oder eine gewissenhafte Arbeitsweise. Für die betriebliche Rekrutierung scheint also eine mehrdimensionale Perspektive auf die Ausbildungsreife, d. h. schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale von Schulabgänger:innen relevant.

Bisherige Untersuchungen zeigten für einzelne der eben beispielhaft benannten Merkmale eine große (Leistungs‑)Heterogenität innerhalb der Gruppe nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen (z. B. Holtmann et al. 2018a). Eine mehrdimensionale Betrachtung steht allerdings aus. Offen ist etwa, welche Ausprägungskonstellationen sich in einem umfassenden Blick auf diese Merkmale ergeben. Diese Perspektive nehmen wir in unserem Beitrag ein. Unser Ziel ist es, die Ausbildungsreife und Heterogenität nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen unter Berücksichtigung relevanter Merkmale umfassend und differenziert zu beschreiben. In einer latenten Profilanalyse auf Basis der Startkohorte Klasse 9 des Nationalen BildungspanelsFootnote 1 (NEPS; Blossfeld und Roßbach 2019; NEPS-Netzwerk 2021) explorieren wir Ausprägungsprofile ausgewählter schulischer Kompetenzen und psychologischer Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogener Merkmale. Außerdem untersuchen wir den Zusammenhang der Ausprägungsprofile zur Wahrscheinlichkeit des Ausbildungsübergangs nach Verlassen der Schule.

2 Theoretischer Zugang und Forschungsstand

In Deutschland ist die berufliche Bildung die zentrale nachschulische Bildungsoption für nicht-studienberechtigte Schulabgänger:innen – also Jugendliche, die die allgemeinbildende Schule ohne Schulabschluss, mit einem Haupt- oder Mittleren Schulabschluss (MSA) verließen. Die Berufsausbildung im Dualen oder Schulberufssystem ermöglicht den Erwerb eines anerkannten Berufsabschlusses. Für das Schulberufssystem gilt dabei in der Regel ein MSA als Zugangsvoraussetzung (Dobischat 2010). Für das Duale System bestehen formalrechtlich keine Zugangsvoraussetzungen hinsichtlich der schulischen Vorbildung. Hier entscheiden Ausbildungsbetriebe als gatekeeper über die Vergabe von Ausbildungsplätzen (Granato und Ulrich 2014). Der Übergangssektor, in dem keine Berufsabschlüsse erworben werden können, dient der Berufsorientierung und -vorbereitung, der schulischen Nachqualifizierung und der Verbesserung von Ausbildungschancen (Kohlrausch 2012). Jugendliche mit max. HSA münden deutlich seltener in eine Berufsausbildung und häufiger in den Übergangssektor als Jugendliche mit MSA (AGBB 2022, S. 168 für Neuzugänge im Berufsbildungssystem).

2.1 Vielschichtige Anforderungen an Bewerber:innen – Ausbildungsreife als mehrdimensionales Konstrukt

Bei der Suche nach Auszubildenden beklagen Ausbildungsbetriebe häufig die mangelnde Ausbildungsreife von Bewerber:innen, insbesondere jener mit niedrigen Schulabschlüssen (z. B. Eberhard und Ulrich 2013). Der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife zählt darunter „schulische Basiskenntnisse“ (z. B. Lesen, mathematische Grundkenntnisse) und „psychologische Leistungsmerkmale“ (z. B. logisches Denken), „psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit“ (z. B. Durchhaltevermögen, Sorgfalt, Teamfähigkeit), „Berufswahlreife“ (z. B. Selbsteinschätzungskompetenz) und „physische Merkmale“ (z. B. Gesundheitszustand). Insgesamt werden dort 25 Merkmale gelistet (Bundesagentur für Arbeit [BA] 2009, S. 20 ff.). Auch in Betriebsbefragungen werden unterschiedliche Merkmale benannt, die in der Rekrutierung von Auszubildenden berücksichtigt werden (Ebbinghaus et al. 2013; Gericke et al. 2009; Kohlrausch 2011; Krug von Nidda 2019; Stalder 2000). Ausbildungsreife wird also als mehrdimensionales Konstrukt verstanden.

Hinter diesen vielschichtigen Anforderungen an potenzielle Auszubildende stecken möglicherweise Annahmen über ihr Leistungs- und Entwicklungspotenzial in der Berufsausbildung. Gestützt werden diese Annahmen durch Befunde internationaler und bildungsbereichsübergreifender Untersuchungen, die die Relevanz der genannten cognitive und non-cognitive bzw. socioemotional skills für erfolgreiche Bildungsprozesse aufzeigen (z. B. Gutman und Schoon 2013; Heckman et al. 2006; Lechner et al. 2019). Für berufliche Bildungsprozesse, etwa den Erwerb berufsfachlicher Kompetenzen oder den Abschluss einer Berufsausbildung, erwiesen sich insbesondere fluide Intelligenz und schulische Mathematikkompetenzen prädiktiv (z. B. Abele 2014; Mueller und Wolter 2014; Nießen et al. 2020). Für Ausbildungsbetriebe sind neben diesen leistungskritischen Merkmalen annehmlich auch verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale relevant, um die Eignung von Bewerber:innen hinsichtlich ihrer Arbeitsweise, Teampassung oder ihres Verhaltens gegenüber Dritten zu beurteilen (Imdorf 2010).

Ausbildungsreife, das individuelle Leistungs- und Entwicklungspotenzial sowie die Eignung von Bewerber:innen sind „hard-to-get information“ (Mueller und Wolter 2014, S. 1449), also nicht unmittelbar sicht- und erfassbar. Screeningverfahren wie Assessment-Center, Einstellungstests und -gespräche, Praktika oder Probearbeitstage zielen darauf ab, diese Informationen zu erlangen, um Bewerber:innen besser einschätzen zu können (Haeberlin et al. 2005; Solga und Kohlrausch 2013). Zuvor werden in betrieblichen Rekrutierungsprozessen allerdings üblicherweise Bewerbungsunterlagen gesichtet und die darin verfügbaren Informationen zur (Vor‑)Selektion von Bewerber:innen genutzt (Krug von Nidda 2019). Mikroökonomische Theorieansätze gehen davon aus, dass formale Leistungsmerkmale wie Schulabschlüsse und -noten hierbei Signalwirkung haben und zuvorderst als Indikatoren des individuellen Leistungs- und Entwicklungspotenzials herangezogen werden (z. B. Spence 1974). Sie wurden auch in Betriebsbefragungen als Auswahlkriterien identifiziert (z. B. Ebbinghaus et al. 2013; Krug von Nidda 2019). Daneben zeigen Studien, dass ebensolche Signalwirkungen von Verhaltensbewertungen (sogenannten Kopfnoten) oder Fehlzeiten in Zeugnissen ausgehen (Kübler et al. 2015; Protsch und Solga 2015).

2.2 Mangelnde Aussagekraft von Schulabschlüssen

Befunde der Übergangsforschung stützen die Annahmen zur Bedeutung formaler „Leistungslabels“ (Hupka-Brunner et al. 2011, S. 64). Schulabschlüsse erwiesen sich hier als stärkste Prädiktoren der Wahrscheinlichkeit, Dauer und des Verlaufs des Ausbildungsübergangs nach Verlassen der Schule (z. B. Busse 11,12,a, b; Holtmann et al. 2018a; Michaelis et al. 2022; Solga und Kohlrausch 2013). Angesichts der geringeren Ausbildungswahrscheinlichkeit von Schulabgänger:innen mit max. HSA und ihrer bemängelten Ausbildungsreife stellt sich die Frage, inwiefern interindividuelle Unterschiede in den schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen, sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen tatsächlich durch Schulabschlüsse abgebildet werden. Holtmann et al. (2017, 29,30,a, b, 2019) zeigten, dass Schulabgänger:innen mit max. HSA im schlussfolgernden Denken sowie in den Lese- und Mathematikkompetenzen zwar durchschnittlich ein niedrigeres Leistungsniveau aufweisen als Schulabgänger:innen mit MSA. Die Heterogenität innerhalb der Bildungsgruppen ist aber so groß, dass es zu deutlichen Leistungsüberschneidungen kommt. In verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen wie Sozialkompetenzen, Gewissenhaftigkeit oder Selbstwertgefühl sind noch geringere Unterschiede und deutlichere Überschneidungen zwischen den Bildungsgruppen erkennbar. Die pauschalisierende Defizitbeschreibung von Schulabgänger:innen mit max. HSA und ihrer mangelnden Ausbildungsreife trägt empirisch also nur bedingt. Schulabschlüsse erklären interindividuelle Unterschiede in schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen unzureichend.

2.3 Unklare Befundlage zur Bedeutung von Ausbildungsreife für die Ausbildungswahrscheinlichkeit

Inwiefern und welche der Dimensionen von Ausbildungsreife tatsächlich und unter Berücksichtigung formaler Leistungsmerkmale bedeutsam für die Ausbildungswahrscheinlichkeit von Schulabgänger:innen sind, lässt sich aus der bisherigen Studienlage nicht eindeutig bestimmen. Bei den untersuchten schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen konnten bisher keine Effekte fluider Intelligenz gefunden werden. Diese wurde in den rezipierten Studien als Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken operationalisiert (Busse 2020b; Holtmann et al. 2019; Nießen et al. 2020). Die Befundlage zur Bedeutung schulischer Kompetenzen für die Ausbildungswahrscheinlichkeit ist diskrepant: Deskriptive Auswertungen zeigten, dass sich Jugendliche, die in den Übergangssektor einmündeten, in den Lese‑, Mathematik- und Naturwissenschaftskompetenzen kaum von Jugendlichen unterscheiden, die bei gleichem Schulabschlussniveau den Übergang zur Berufsausbildung schafften (AGBB 2018). Dies deutet zunächst eine geringe Relevanz dieser Kompetenzen für die Ausbildungswahrscheinlichkeit an. Bestätigend fanden Holtmann et al. (2017, 2018b) für Schulabgänger:innen mit max. HSA keinen Zusammenhang ihrer Lese- und Mathematikkompetenzen und der Ausbildungswahrscheinlichkeit. Auch Buchholz et al. (2012) konnten für lesekompetenzschwache und -starke Jugendliche keine Unterschiede in ihren Ausbildungswahrscheinlichkeiten finden. Allerdings zeigten sie, dass lesekompetenzstarke Jugendliche schneller in die Berufsausbildung finden und häufiger in Ausbildungsberufe mit hohem Anforderungsniveau münden. Hier und in anderen Studien finden sich also doch vereinzelte Hinweise auf die (möglicherweise differenzielle) Bedeutung von schulischen Kompetenzen für die Ausbildungswahrscheinlichkeit von Jugendlichen (Hupka et al. 2006; Seeber 2011): So fanden Mueller und Wolter (2014), dass Jugendliche mit unterdurchschnittlichen Lesekompetenzen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit in die Berufsausbildung münden als Jugendliche mit durchschnittlichem Kompetenzniveau. Jugendliche mit überdurchschnittlichen Lesekompetenzen zeigten dagegen keine höhere Ausbildungswahrscheinlichkeit. (Höhere) Kompetenzen in Mathematik sowie Naturwissenschaften scheinen darüber hinaus eher für die Einmündung in die duale Berufsausbildung sowie die oberen Berufssegmente bedeutsam (z. B. IT und kaufmännische Berufe). Dies lässt sich aus der beruflichen Segmentierung des Ausbildungssystems und Selbstselektionsmechanismen erklären (z. B. AGBB 2018; Retelsdorf et al. 2017).

Die Studienlage zur Bedeutung verhaltens- und persönlichkeitsbezogener Merkmale für die Ausbildungswahrscheinlichkeit ist ähnlich diskrepant und durch die Vielzahl der untersuchten Merkmale komplex. Hinsichtlich (1) Merkmalen des Arbeits- und Sozialverhaltens untersuchten Holtmann et al. (2017, 2018a) die Bedeutung von Sozialkompetenzen anhand des prosozialen Verhaltens. Sie fanden keine Zusammenhänge zur Ausbildungswahrscheinlichkeit. Allerdings zeigte Busse (2020b) auf Basis derselben Daten, dass prosoziales Verhalten die Wahrscheinlichkeit einer Ausbildung im Schulberufssystem beeinflusst. Dies erscheint plausibel, da hierzu ein Großteil der Gesundheits‑, Erziehungs- und Sozialberufe gehört. Sozialkompetenzen können als Voraussetzung dieser beruflichen Tätigkeiten gesehen werden und Selbstselektion in diese Berufe begünstigen. Mueller und Wolter (2014) fanden, dass Schüler:innen, die Absentismus berichteten (z. B. hohe Fehlzeiten, häufiges Zuspätkommen im schulischen Kontext), nach Verlassen der Schule geringere Ausbildungswahrscheinlichkeiten zeigten. Die Bedeutung von Indikatoren des Arbeits- und Sozialverhaltens zeigte sich auch in Studien, in denen Bewerber:innen mit besseren Verhaltensbewertungen häufiger positive Bewerbungsrückmeldungen erhielten. Für Bewerber:innen mit schlechte(re)n Fachnoten hatten gute Verhaltensbewertungen sogar eine kompensierende Wirkung (Kübler et al. 2015; Protsch und Solga 2015). Allerdings wurden hier formale (Leistungs‑)Merkmale als Indikatoren individueller Ressourcen herangezogen. Angesichts ihrer begrenzten Validität lässt dies keine Aussagen über die Kompensation tatsächlicher Leistungsnachteile oder -defizite zu. Bisher existieren kaum Studien, die solche Kompensationsmechanismen auf Ebene individueller (Leistungs‑)Merkmale untersuchen.

Hinsichtlich (2) Persönlichkeitseigenschaften wurde in bisherigen Studien der Einfluss der Big-Five-Eigenschaften auf die Ausbildungswahrscheinlichkeit untersucht. Hier wurde insbesondere Gewissenhaftigkeit Bedeutung beigemessen, was möglicherweise ebenfalls als Indikator des Arbeitsverhaltens verstanden wird. Die Studienlage ist allerdings auch hier diskrepant: Ein Teil der Studien fand keine bedeutsamen Effekte von Gewissenhaftigkeit auf die Ausbildungswahrscheinlichkeit (Holtmann et al. 2017, 2018a). Dagegen fanden andere Studien, dass höher ausgeprägte Gewissenhaftigkeit die Ausbildungswahrscheinlichkeit erhöht (Nießen et al. 2020; Protsch und Dieckhoff 2011). Protsch und Dieckhoff (2011) fanden diesen positiven Effekt nur für Jugendliche mit MSA. Solga und Kohlrausch (2013) sahen dagegen auch bei Hauptschüler:innen, dass wenig gewissenhafte Jugendliche eine geringere Ausbildungswahrscheinlichkeit aufweisen. Zwischen Jugendlichen mit durchschnittlichem und hohem Ausprägungsniveau fanden sie keine Unterschiede. Die anderen Big-Five-Persönlichkeitseigenschaften erwiesen sich weniger bzw. nicht relevant für die Ausbildungswahrscheinlichkeit (Nießen et al. 2020; Protsch und Dieckhoff 2011; Solga und Kohlrausch 2013).

Schließlich zeigten sich unter den betrachteten (3) selbstbezogenen Merkmalen übereinstimmend positive Zusammenhänge zwischen Selbstwirksamkeitserwartungen und der Ausbildungswahrscheinlichkeit von Schulabgänger:innen (Buchholz et al. 2012; Hupka et al. 2006; Kohlrausch 2011; Zimmermann und Skrobanek 2015). Auch das leistungsbezogene Selbstkonzept und subjektive Kompetenzeinschätzungen scheinen positiv mit der Ausbildungswahrscheinlichkeit assoziiert (Hupka et al. 2006; Meyer und Sacchi 2020). Diese Zusammenhänge traten insbesondere bei Jugendlichen mit niedrigen Schulabschlüssen auf. Während Kohlrausch (2011) zudem positive Effekte des Selbstwertgefühls fand, zeigten sich dafür in anderen Untersuchungen keine Effekte (Holtmann et al. 2017, 2018a, 2019).

2.4 Fazit und Forschungsbedarf

Nicht-studienberechtigte Schulabgänger:innen sind am Übergang zur Berufsausbildung mit vielschichtigen Anforderungen konfrontiert. Ausbildungsreife erweist sich als mehrdimensionales Konstrukt und zeigt sich aus Sicht von Ausbildungsvermittlung und -betrieben sowohl in schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen als auch verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen. Unter diesen beiden Dimensionen von Ausbildungsreife wurden bisher eine Vielzahl unterschiedlicher Merkmale und ihre Bedeutung für die Wahrscheinlichkeit des Ausbildungsübergangs nach Verlassen der Schule untersucht: Zum einen schlussfolgerndes Denken und schulische Basiskompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften, zum anderen Sozialkompetenzen, Gewissenhaftigkeit und selbstbezogene Merkmale. Die überwiegend diskrepante Studienlage deutet auf eine unklare Prognosekraft dieser Dimensionen von Ausbildungsreife für die Ausbildungswahrscheinlichkeit von Schulabgänger:innen. Allerdings ist die Bewertung des Forschungsstandes nicht nur wegen der Vielzahl, sondern teilweise auch uneinheitlichen Operationalisierung der untersuchten Merkmale erschwert. Gleichzeitig lässt die Studienlage den Schluss zu, dass keine „silver bullets“ (Gutman und Schoon 2013, S. 4) im Sinne einzelner Merkmale mit herausragender Bedeutung für den Ausbildungsübergang existieren. Einzelne Studien verdeutlichten zudem die Heterogenität nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen in den untersuchten Dimensionen und Merkmalen von Ausbildungsreife und verweisen damit auf die begrenzte Validität von Schulabschlüssen. Die Studien nahmen zwar unterschiedliche Dimensionen und Merkmale von Ausbildungsreife in den Blick, betrachteten diese aber eher eindimensional bzw. entlang eines Merkmals. Offen ist, ob Schulabgänger:innen in unterschiedlichen schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen ähnliche Ausprägungstendenzen aufweisen oder sich differenziertere Ausprägungsmuster zeigen. Die These der mangelnden Ausbildungsreife beispielsweise suggeriert eine Defizitkumulation. Allerdings fehlen hierfür empirische Belege. Ausprägungsmuster bzw. -konstellationen unterschiedlicher Merkmale bzw. Dimensionen von Ausbildungsreife wurden bisher nicht untersucht.

3 Die vorliegende Studie

Im ersten Teil unseres Beitrags untersuchen wir entlang der Dimensionen schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale, welche Ausprägungsmuster und -konstellationen – im Folgenden: Ausprägungsprofile – bei nicht-studienberechtigten Schulabgänger:innen identifiziert werden können (Forschungsfrage 1). Unser Ziel liegt in einer umfassenden und gleichzeitig differenzierten Beschreibung ihrer Ausbildungsreife und Heterogenität, die die vielschichtigen Anforderungen am Übergang zur Berufsausbildung berücksichtigt. Wir nutzen mit der Latenten Profilanalyse einen Untersuchungsansatz, der es ermöglicht, unterschiedliche Merkmale und ihre Ausprägungen simultan zu betrachten (z. B. Bergman und Trost 2006). Zudem nehmen wir eine personenorientierte Perspektive ein, da sich über die Ausprägungsprofile unterschiedliche Subgruppen nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen identifizieren, abbilden und beschreiben lassen. Ein solches Vorgehen bietet die Chance für „differenzierten Beschreibungen über die Typen, Häufigkeiten und Erscheinungsformen relevanter Sachverhalte in der Bildungspraxis“ (Euler 2016, S. 30). Differenziertes Wissen über die Entwicklungs- und Lernvoraussetzungen von Jugendlichen sowie damit verbundene Förder- und Unterstützungsbedarfe ist beispielsweise für die Maßnahmengestaltung und -zuweisung am Übergang zur und in der Berufsausbildung relevant.

Unsere Untersuchung basiert auf Daten der NEPS Startkohorte Klasse 9 und ist explorativ angelegt. Den Analysen liegt kein theoretisch fundiertes und eindeutig operationalisierbares Konstrukt zugrunde. Ausgehend vom Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife und den rezipierten Studien berücksichtigen wir als schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale die Merkmale schlussfolgerndes Denken sowie Lese‑, Mathematik- und Naturwissenschaftskompetenzen. Als verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale beziehen wir Gewissenhaftigkeit, prosoziales Verhalten, Selbstwertgefühl und schulisches Selbstkonzept ein. Diese Merkmalsauswahl erscheint geeignet, um trotz explorativen Studiendesigns den Anschluss zum Forschungsstand zu wahren. Aus der gleichen Überlegung greifen wir Merkmale auf, die auch in anderen Studien auf NEPS-Basis berücksichtigt wurden (u. a. Busse 11,12,a, b; Holtmann et al. 2017, 29,30,a, b, 2019; Nießen et al. 2020). Unsere Analysen sind auch deswegen explorativ, da wir mangels theoretischer Fundierung und empirischer Vorarbeiten keine Annahmen über die Anzahl und Muster der Ausprägungsprofile treffen können. Unser Ziel liegt gerade in der empirischen Identifikation aussagekräftiger, interpretierbarer und differenzierter Ausprägungsprofile (vgl. Abschn. 4.2.1).

Im zweiten Teil unseres Beitrages untersuchen wir die Zusammenhänge der identifizierten Profile und der Wahrscheinlichkeit, nach Verlassen der Schule in eine Berufsausbildung im Dualen oder Schulberufssystem zu münden (Forschungsfrage 2). Zum einen prüfen wir so die prognostische Validität der Ausprägungsprofile an einem für ihren weiteren Bildungsweg relevanten Kriterium. Zum anderen können wir damit Hinweise zum Auftreten von Subgruppen mit unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen in der beruflichen Bildung generieren. In die Validierungsanalysen beziehen wir neben formalen Leistungsmerkmalen wie Schulabschlüssen und -noten weitere übergangsrelevante und annehmlich mit den Ausprägungsprofilen konfundierte Merkmale ein (vgl. Abschn. 4.2.2).

4 Methoden

4.1 Daten und Stichprobe

Für die Analysen nutzten wir Daten der NEPS Startkohorte Klasse 9. Die Grundgesamtheit der Kohorte bilden Schüler:innen, die im Schuljahr 2010/11 die 9. Klasse einer allgemeinbildenden Schule besuchten. Schüler:innen von Haupt‑, Gesamt- und Förderschulen (Schwerpunkt Lernen) wurden in der Stichprobenziehung überproportional berücksichtigt (Steinhauer und Zinn 2016). Die initiale Gesamtstichprobe umfasste N = 16.425 Schüler:innen. Wir grenzten die Stichprobe auf n = 6873 nicht-studienberechtigte Schulabgänger:innen ein, die die allgemeinbildende Schule nach Klasse 9 oder 10 mit maximal MSA verließen und deren nachschulischen Verbleib wir identifizieren konnten (detaillierte Dokumentation der Datenaufbereitung siehe Anhang). Förderschüler:innen schlossen wir aus (n = 752). Einzelne Merkmale, die wir in die latente Profilanalyse einbezogen, wurden für sie nicht erfasst (z. B. Mathematikkompetenzen).

Die Analysestichprobe umfasste mehrheitlich Schulabgänger:innen mit MSA (67,43 %) und HSA (30,12 %) (Abb. 1). Schulabgänger:innen ohne Schulabschluss nahmen u. a. durch den Ausschluss von Förderschüler:innen einen geringen Stichprobenanteil ein (2,45 %). Im nachschulischen Verbleib zeigte sich, dass etwa die Hälfte der Schulabgänger:innen nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule eine Berufsausbildung im Dualen oder Schulberufssystem aufnahm (50,17 %). Etwas weniger als ein Viertel mündete in einen Bildungsgang des Übergangssektors (21,47 %) oder strebte den Erwerb der allgemeinen oder fachgebundenen Hochschulzugangsberechtigung (HZB) an einer berufsbildenden Schule (BBS; 22,02 %, z. B. berufliches Gymnasium) an. Die übrigen Schulabgänger:innen berichteten einen sonstigen Verbleib (6,34 %, z. B. ungelernte Erwerbstätigkeit). Zwischen den Bildungsgruppen waren deutliche Unterschiede im nachschulischen Verbleib erkennbar: So mündeten Schulabgänger:innen ohne Schulabschluss deutlich seltener in eine Berufsausbildung (11,80 %). Bei den Schulabgänger:innen mit HSA und MSA waren die Anteile derer mit Ausbildungsübergang vergleichbar (59,19 % bzw. 51,56 %). Allerdings mündeten jene mit HSA häufiger in den Übergangssektor (43,52 %), während Schulabgänger:innen mit MSA stattdessen häufiger zum Erwerb der HZB an eine BBS wechselten (32,66 %). Dieser Unterschied ist plausibel, da letztere Bildungsoption den MSA voraussetzt.

Abb. 1
figure 1

Analysestichprobe nach schulischem Vorbildungsniveau und nachschulischem Verbleib. (HZB allgemeine oder fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung. NEPS SC4, SUF 12.0.0, eigene Berechnungen, gewichtet (Non-Response-Querschnittsgewicht Welle 1, Steinhauer und Zinn 2016))

4.2 Statistische Verfahren und Operationalisierung

4.2.1 Latente Profilanalysen

Zur Untersuchung der ersten Forschungsfrage nach den Ausprägungsprofilen schulischer Kompetenzen und psychologischer Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogener Merkmale nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen führten wir Latente Profilanalysen (LPA) durch.Footnote 2 An den Forschungsstand anschließend, berücksichtigten wir darin acht Merkmale. Als schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale bezogen wir schlussfolgerndes Denken (Summenscores) sowie Kompetenzen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften (WLE-Schätzer) ein. Als verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale berücksichtigten wir Gewissenhaftigkeit, prosoziales Verhalten, globales Selbstwertgefühl und allgemeines schulisches Selbstkonzept (jeweils Summenscores; Operationalisierung siehe Tab. 1). Diese Merkmale wurden in bisherigen Studien als Prädiktoren der Ausbildungswahrscheinlichkeit untersucht und teilweise als bedeutsam identifiziert (vgl. Kap. 2). Alle Merkmale wurden in der 9. Klasse erfasst (NEPS-Erhebungswellen 1 und 2). Wir fanden große bis mittlere signifikante Korrelationen zwischen den schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen und geringe bis mittlere Korrelationen zwischen den verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen. Zwischen den Dimensionen korrelierten die Merkmale geringer und teilweise nicht signifikant (Tab. 2).

Tab. 1 Latente Profilanalysen: Operationalisierung und Deskription der einbezogenen Merkmale
Tab. 2 Latente Profilanalysen: Interkorrelationen der einbezogenen Merkmale

Da wir die Profilanzahl nicht vorab theoriegeleitet festlegen konnten, führten wir zur empirischen Bestimmung Latente Profilanalysen mit k = 2 bis 10 Profilen durch. Anschließend nahmen wir einen kennwertgestützten Modellvergleich vor. Dabei zogen wir Kennwerte heran, die sich in Metastudien als verlässliche Beurteilungskriterien erwiesen (z. B. Nylund et al. 2007):

  1. a.

    Log Likelihood und Likelihood-Ratio-Tests (größere Werte und signifikantes Testergebnis = höhere Modellgüte)

  2. b.

    Informationskriterien (kleinere Werte = höhere Modellgüte)

  3. c.

    Entropiebasierte Kennwerte (höhere Werte = höhere Zuordnungssicherheit von Beobachtungen zu Profilen, Cut-Off < 0,80) sowie den

  4. d.

    Stichprobenanteil des kleinsten Profils (Cut-Off < 5 % der Analysestichprobe).

Die Analysen erfolgten in Mplus (Muthén und Muthén 1998–2017; n = 6825).Footnote 3 Aufgrund von Item-Nonresponse fehlende Werte wurden mittels Full Information Maximum Likelihood Methode berücksichtigt (FIML, Lüdtke et al. 2007; Anteil fehlender Werte siehe Tab. 3). N = 48 Beobachtungen schlossen wir aus den Analysen aus, da sie in allen Merkmalen fehlende Werte aufwiesen. Zur besseren Interpretierbarkeit wurden die Merkmale an der Analysestichprobe z‑standardisiert (M = 0, SD = 1).

Tab. 3 Logistische Regressionsanalysen: Operationalisierung und Deskription der unabhängigen Variablen

4.2.2 Logistische Regressionsanalysen

Um unsere zweite Forschungsfrage nach der prognostischen Validität der identifizierten Profile zu untersuchen, führten wir logistische Regressionsanalysen durch (z. B. Spurk et al. 2020). Das Validierungskriterium und die abhängige Variable bildete ab, ob Schulabgänger:innen bis Ende des Schulabgangsjahres in eine Berufsausbildung im Dualen oder Schulberufssystem einmündeten (AV = 1) oder alternativ verblieben (d. h. Übergangssektor, Erwerb der HZB an einer BBS oder Sonstiges, AV = 0). Zur Identifikation des Ausbildungsübergangs zogen wir alle nach Verlassen der Schule und bis zum Ende des Schulabgangsjahres begonnenen Biographieepisoden heran (vgl. Dokumentation der Datenaufbereitung im Anhang). Als Ausbildungsübergang werteten wir, wenn eine Berufsausbildungsepisode im Dualen oder Schulberufssystem bis zum Ende des Schulabgangsjahres begonnen wurde. Wurden für diesen Zeitraum mehrere Episoden berichtet, berücksichtigten wir die Episode mit dem höchsten Tätigkeitsstatus (vgl. Busse 2020b; Holtmann et al. 2018a). Wurden mehrere Episoden desselben Status berichtet, berücksichtigten wir die zuerst begonnene Episode.

In den Regressionsmodellen schätzten wir die Wahrscheinlichkeit, nach Verlassen der Schule in eine Berufsausbildung einzumünden. Um mögliche Konfundierungen zu berücksichtigen, nahmen wir Kovariaten auf, die annehmlich mit der Ausbildungswahrscheinlichkeit sowie den Ausprägungsprofilen assoziiert sind (z. B. Beicht und Walden 2019; Busse 2020a; Holtmann et al. 2017). In die stufenweise aufgebauten Modelle inkludierten wir nach den Profilen (Modell 1) den Schulabschluss bei Verlassen der allgemeinbildenden Schule (Modell 2), die Durchschnittsnote des Schulabgangszeugnisses (Modell 3), das Bewerbungsverhalten (Modell 4) sowie Geschlecht und Migrationshintergrund der Jugendlichen und den höchsten sozio-ökonomischen Berufsstatus ihrer Eltern (ISEI) als soziodemografische Kontrollvariablen (Modell 5; Operationalisierung, statistische Kennwerte und fehlende Werte siehe Tab. 3). Fehlende Werte in den Kovariaten schätzten wir modellspezifisch mittels multipler Imputation (MICE-Algorithmus in Stata, m = 15 Imputationen).

5 Ergebnisse

5.1 Profile der Ausbildungsreife nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen

Unsere erste Forschungsfrage lautete, welche Profile schulischer Kompetenzen und psychologischer Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogener Merkmale bei nicht-studienberechtigten Schulabgänger:innen identifizierbar sind.

Zur Bestimmung der Profilanzahl führten wir zunächst Latente Profilanalysen mit k = 2 bis 10 Profilen durch. Der anschließende kennwertgestützte Modellvergleich erbrachte keinen eindeutigen Hinweis auf eine die Daten am besten abbildende Profillösung (Tab. 4). Gemessen an den durchgehend sinkenden Werten der Log-Likelihood (LL) und Informationskriterien BIC, SaBIC und AIC zeigte sich übereinstimmend mit jedem Profil eine Verbesserung der Modellgüte. In jedem Modellvergleich wäre also das Modell mit höherer Profilanzahl vorzuziehen, wobei die Kennwertdifferenzen und damit die Modellverbesserung sukzessive abnahmen. Der Bootstrap-Likelihood-Ratio-Test wies die Differenzen durchgehend als signifikant aus (BLRTp). Da der Test sensibel gegenüber der Stichprobengröße und Anzahl einbezogener Merkmale ist, stellte dies möglicherweise ein statistisches Artefakt dar (Ferguson et al. 2020; Marsh et al. 2009; Pastor et al. 2007). Der robustere Lo-Mendel-Rubin Adjusted Likelihood-Ratio-Test zeigte ab sieben Profilen keine signifikante Modellverbesserung (LMRTp). Deshalb schlossen wir die Lösungen mit mehr als sechs Profilen aus.

Tab. 4 Latente Profilanalysen: Kennwertgestützter Modellvergleich

Die entropiebasierten Maße lieferten kaum entscheidungsrelevante Informationen: Der Schwellenwert von 0,80 konnte gemessen an der Entropie (E) in keinem Modell erfüllt werden. Hinsichtlich der niedrigsten mittleren Zuordnungswahrscheinlichkeit probmin wurde der Schwellenwert bereits bei drei Profilen unterschritten und hinsichtlich der höchsten mittleren Zuordnungswahrscheinlichkeit probmax in allen Modellen eingehalten. Unter Hinzunahme des kritischen Stichprobenanteils des kleinsten Profils nmin von 5 % entschieden wir, die Sechs-Profile-Lösung auszuschließen, die dieses Kriterium nicht mehr erfüllte. Von den übrigen Profillösungen erwies sich die Fünf-Profile-Lösung in der wiederholten Zusammenschau aller Kennwerte als die empirisch geeignetste. Wir entschieden uns daher für diese Lösung und werten sie im Folgenden aus.Footnote 4

Abb. 2 zeigt für alle Profile die jeweils mittleren Merkmalsausprägungen, anhand derer sie sich charakterisieren lassen. Dabei handelt es sich um relative Ausprägungen innerhalb der Analysestichprobe (z-standardisierte Mittelwerte; Profilparameter siehe Tab. A‑2 im Anhang).

  1. 1.

    Leistungsstärkere mit relativ hoch ausgeprägten verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen (VP): Das erste Profil beschreibt Schulabgänger:innen, die überdurchschnittliche Ausprägungen der schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmale aufweisen. Die Schulabgänger:innen dieses Profils gehören zu den Leistungsstärkeren bzw. -stärksten, da sie die im Profilvergleich höchsten Ausprägungen im schlussfolgernden Denken, Mathematik‑, Lese- und Naturwissenschaftskompetenzen aufweisen. Die verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmale sind (mit Ausnahme von Gewissenhaftigkeit) ebenfalls eher überdurchschnittlich ausgeprägt, aber geringer als die schulischen und psychologischen Leistungsmerkmale. Dem Profil gehören etwa 11 % der nicht-studienberechtigten Schulabgänger:innen in der Analysestichprobe an (Tab. A‑2 im Anhang).

  2. 2.

    Leistungsstärkere mit relativ gering ausgeprägten VP: Im zweiten Profil zeigen die Schulabgänger:innen überdurchschnittlich ausgeprägte schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale. Sie gehören zu den Leistungsstärkeren der Stichprobe, zeigen aber im Vergleich zum ersten Profil geringere Ausprägungen. In den verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen weisen sie unterdurchschnittliche Ausprägungen auf. Dem Profil gehören etwa 20 % der Analysestichprobe an.

  3. 3.

    Durchschnittlich Leistungsstarke mit relativ hoch ausgeprägten VP: Das dritte Profil bildet Schulabgänger:innen ab, deren schulische Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmale durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich ausgeprägt sind. Die verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmale sind überdurchschnittlich ausgeprägt. Dem Profil gehören etwa 34 % der Analysestichprobe an.

  4. 4.

    Leistungsschwächere mit relativ hoch ausgeprägten VP: Das vierte Profil beschreibt Schulabgänger:innen mit unterdurchschnittlichen und den niedrigsten Ausprägungen der schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmale. Diese Schulabgänger:innen gehören damit zu den Leistungsschwächeren bzw. Leistungsschwächsten. Die verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmale sind dagegen überdurchschnittlich ausgeprägt. Dem Profil gehören etwa 15 % der Analysestichprobe an.

  5. 5.

    Leistungsschwächere mit relativ gering ausgeprägten VP: Im fünften Profil finden sich Schulabgänger:innen mit unterdurchschnittlichen Merkmalsausprägungen in beiden Dimensionen. Sie gehören gemessen an den geringen Ausprägungen der schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmale zu den Leistungsschwächeren bei gleichzeitig relativ gering ausgeprägten verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen. Dem Profil gehören etwa 20 % der Analysestichprobe an.

Abb. 2
figure 2

Latente Profilanalysen: Profilplot der Fünf-Profile-Lösung. (NEPS SC4, SUF 12.0.0, eigene Berechnungen (n = 6825), ungewichtet. Geschätzte Profilparameter (Mittelwerte und Varianz) und Stichprobenanteile siehe Tab. A‑2 im Anhang)

In der Profildeskription nach schulischem Vorbildungsniveau zeigte sich, dass alle Profile sowohl Schulabgänger:innen mit max. HSA als auch MSA abbildeten (Abb. 3a). Allerdings waren deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung erkennbar: So wurden Schulabgänger:innen mit MSA stärker unter den (1) und (2) Leistungsstärkeren sowie (3) Durchschnittlich Leistungsstarken mit relativ hoch ausgeprägten VP abgebildet. Schulabgänger:innen mit max. HSA hingegen wiesen höhere Anteile unter den (4) Leistungsschwächeren mit relativ hoch ausgeprägten VP auf. Bei (5) Leistungsschwächeren mit relativ gering ausprägten VP zeigte sich eine annähernde Gleichverteilung der Bildungsgruppen. Wir fanden einen moderaten Zusammenhang zwischen schulischem Vorbildungsniveau und den identifizierten Profilen (Cramér’s V = 0,397, p ≤ 0,001).

Abb. 3
figure 3

Profile nach schulischem Vorbildungsniveau und nachschulischem Verbleib: a schulisches Vorbildungsniveau, Cramér’s V = 0,397 (Chi2-Test p ≤ 0,001), b nachschulischer Verbleib, Cramér’s V = 0,168 (Chi2-Test p ≤ 0,001). (NEPS SC4, SUF 12.0.0, eigene Berechnungen (n = 6825), gewichtet (Querschnittsgewicht Welle 1))

Mit Blick auf den nachschulischen Verbleib zeigten sich für alle Profile vergleichbare Anteile von Schulabgänger:innen, die nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung im Dualen oder Schulberufssystem übergingen (jeweils etwa 50 %, Abb. 3b). Unterschiede waren in den Anteilen derer zu erkennen, die in den Übergangssektor übergingen oder zum Erwerb der HZB an eine BBS wechselten: Von den Leistungsstärkeren und durchschnittlich Leistungsstarken entschieden sich etwa ein Viertel bis knapp 40 % für den Erwerb der HZB. Dagegen mündeten leistungsschwächere Schulabgänger:innen häufiger und zu etwa einem Drittel in den Übergangssektor. Zwischen den Profilen und dem nachschulischen Verbleib der Schulabgänger:innen bestand ein schwacher Zusammenhang (Cramér’s V = 0,168, p ≤ 0,001).

5.2 Prognostische Validität der Profile

Im Rahmen unserer zweiten Forschungsfrage untersuchten wir die prognostische Validität der identifizierten Profile hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, nach Verlassen der Schule in eine Berufsausbildung im Dualen oder Schulberufssystems einzumünden. In den logistischen Regressionsmodellen berücksichtigten wir neben den Profilen weitere Kovariaten. Da die Profile einen geringen eigenständigen Prognosebeitrag leisteten (Pseudo‑R2 = 0,001, vgl. Modell 1 in Tab. 5), beziehen wir uns im Folgenden nur auf das umfassendste Untersuchungsmodell (vgl. Modell 5). Zur besseren Interpretierbarkeit berichten wir die Ergebnisse als average marginal effects (AME) und vorhergesagte Ausbildungswahrscheinlichkeiten (predicted probabilities).

Tab. 5 Logistische Regressionsanalysen: Ergebnisse

Unter Berücksichtigung aller Kovariaten fanden wir bei zwei Profilen signifikante Assoziationen zur Ausbildungswahrscheinlichkeit. Diese sind jeweils relativ zur Referenzgruppe – (5) Leistungsschwächere mit relativ gering ausgeprägten VP – zu interpretieren: Im Vergleich zu diesen Schulabgänger:innen zeigten (1) Leistungsstärkere mit relativ hoch ausgeprägten VP (−0,067, p ≤ 0,001) sowie (2) Leistungsstärkere mit relativ gering ausgeprägten VP (−0,038, p ≤ 0,001) eine um sieben bzw. vier Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, in Berufsausbildung überzugehen. Unter den berücksichtigten Kovariaten ergab das Bewerbungsverhalten den stärksten Zusammenhang zur Ausbildungswahrscheinlichkeit (0,352, p ≤ 0,001). Für den Schulabschluss (0,064, p ≤ 0,001) sowie die Durchschnittsnote des Abschlusszeugnisses (−0,024, p ≤ 0,001) ergaben sich geringere Assoziationen, ebenso für Geschlecht (−0,056, p ≤ 0,001) und Migrationshintergrund (0,119, p ≤ 0,001). Zwischen dem Berufsstatus der Eltern (HISEI) und der Ausbildungswahrscheinlichkeit fanden wir keinen Zusammenhang.

Mit Blick auf die vorhergesagten Ausbildungswahrscheinlichkeiten fiel die niedrigere und insgesamt niedrigste Ausbildungswahrscheinlichkeit der (1) Leistungsstärkeren mit relativ hoch ausgeprägten VP auf (Abb. 4a; Tab. A‑4 im Anhang). Im Vergleich zu den übrigen Schulabgänger:innen gingen sie mit sechs bis neun Prozentpunkten geringerer Wahrscheinlichkeit in eine Berufsausbildung über (p ≤ 0,01). Einzig der Unterschied zu (2) Leistungsstärkeren mit relativ gering ausgeprägten VP erwies sich nicht signifikant. Diese Schulabgänger:innen zeigten wiederum eine um sechs bzw. vier Prozentpunkte niedrigere Ausbildungswahrscheinlichkeiten als (4) Leistungsschwächere mit relativ hoch ausgeprägten VP und (5) Leistungsschwächere mit relativ gering ausgeprägten VP (p ≤ 0,05). Zwischen den anderen Profilen waren keine signifikanten Unterschiede in den Ausbildungswahrscheinlichkeiten erkennbar. Zudem fanden wir, dass Schulabgänger:innen mit max. HSA durchgehend mit etwa sechs Prozentpunkten geringerer Wahrscheinlichkeit in eine Berufsausbildung übergingen als Schulabgänger:innen mit MSA und gleichem Ausprägungsprofil.

Abb. 4
figure 4

Logistische Regressionsanalysen: Vorhergesagte Ausbildungswahrscheinlichkeiten nach Profilen und schulischem Vorbildungsniveau (AV: Übergang in Berufsausbildung vs. alternativer Verbleib): a einschließlich Erwerb der HZB an einer BBS (Modell 5a), b ohne Erwerb der HZB an einer BBS (Modell 5b). (NEPS SC4, SUF 12.0.0, eigene Berechnungen (n = 6825 bzw. n = 5475))

Die vergleichsweise niedrigen Ausbildungswahrscheinlichkeiten der Leistungsstärkeren erschienen erklärungsbedürftig. In der Profildeskription wurde deutlich, dass diese mehrheitlich Schulabgänger:innen mit MSA abbildeten. Mehr als ein Viertel der Leistungsstärkeren entschied sich nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule für den Erwerb der HZB an einer BBS (vgl. Abb. 3a, b). Womöglich ziehen insbesondere leistungsstärkere Schulabgänger:innen mit MSA diesen Weg einer Berufsausbildung vor, um so ihre Bildungsoptionen und -chancen zu erweitern (z. B. Hochschulzugang). Schulabgänger:innen mit max. HSA steht diese Möglichkeit mangels Zugangsvoraussetzungen nicht offen. Für sie ist der Übergangssektor, in dem sie keinen Berufsabschluss und selten höherqualifizierende Schulabschlüsse erwerben (z. B. Menze und Holtmann 2019), die dominante Verbleibalternative. Der Erwerb der HZB an einer BBS und Bildungsgänge im Übergangssektor unterscheiden sich damit sowohl in den Zugangsvoraussetzungen als auch Zielen. Sie stellen keine gleichwerten Verbleiboptionen für alle Schulabgänger:innen dar. Dieser Differenz wurde in unseren bisherigen Analysen nicht Rechnung getragen, da beide Optionen als alternativer Verbleib zählten.

Wir replizierten die Analysen daher unter Ausschluss des Erwerbs der HZB an einer BBS (vgl. Modell 5b sowie Tab. A‑3 im Anhang). So betrachteten wir für alle Schulabgänger:innen den Übergangssektor als dominante Verbleibalternative zur Berufsausbildung. In dieser Sensitivitätsanalyse konnten wir die geringeren Ausbildungswahrscheinlichkeiten von leistungsstärkeren Schulabgänger:innen nicht bestätigen. Die vorhergesagten Ausbildungswahrscheinlichkeiten fielen zwar durchgehend höher aus, unterschieden sich jedoch nicht signifikant und nur marginal zwischen den Profilen. Die Prognosekraft der Profile war auch hier gering (Pseudo‑R2 = 0,016). Die Bildungsgruppenunterschiede fielen dagegen deutlich stärker zugunsten von Schulabgänger:innen mit MSA aus (22 bis 23 Prozentpunkte, p ≤ 0,001; Abb. 4b und Tab. A‑4 im Anhang).

6 Diskussion

Die Sicherung beruflich qualifizierter Fachkräfte ist eng an die Integration nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen in die Berufsausbildung geknüpft. Aus Mikroperspektive ermöglicht der Erwerb eines Berufsabschlusses außerdem gesellschaftliche Teilhabe und eröffnet Arbeitsmarkt- und Lebenschancen (Seeber und Seifried 2019). Dass von den nicht-studienberechtigten Schulabgänger:innen insbesondere jene mit max. HSA Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, ist eine persistente Problemlage im deutschen Berufsbildungssystem und stellt dessen Integrationsfähigkeit in Frage (Solga und Menze 2013).

Der Zugang zur Berufsausbildung wird neben institutionellen Zugangsvoraussetzungen des Schulberufssystems von Ausbildungsbetrieben reguliert. Sie stellen vielschichtige Anforderungen an potenzielle Auszubildende. Ausbildungsreife, die Betriebe häufig bei Bewerber:innen mit max. HSA bemängeln, wird als mehrdimensionales Konstrukt verstanden, das unter anderem schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale umfasst (BA 2009; Eberhard und Ulrich 2013). Eine umfassende Forschungsperspektive auf diese Dimensionen scheint somit für die Untersuchung der Ausbildungsreife und Ausbildungschancen nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen geboten, stand in bisherigen Studien allerdings aus.

6.1 Heterogene Profile der Ausbildungsreife

Wir untersuchten im ersten Teil unseres Beitrages, welche Ausprägungsprofile nicht-studienberechtigte Schulabgänger:innen in den Dimensionen schulische Kompetenzen und psychologische Leistungsmerkmale sowie verhaltens- und persönlichkeitsbezogene Merkmale (VP) aufweisen. In einer Latenten Profilanalyse auf Basis der NEPS Startkohorte Klasse 9 berücksichtigten wir acht Merkmale: Schlussfolgerndes Denken, Lese‑, Mathematik- und Naturwissenschaftskompetenzen einerseits sowie Gewissenhaftigkeit, prosoziales Verhalten, schulisches Selbstkonzept und Selbstwertgefühl andererseits. Anhand der Ausprägungsprofile identifizierten wir fünf Subgruppen nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen mit substantiellen Stichprobenanteilen: (1) Leistungsstärkere mit relativ hoch ausgeprägten VP (11 %), (2) Leistungsstärkere mit relativ gering ausgeprägten VP (20 %), (3) Durchschnittlich Leistungsstarke mit relativ hoch ausgeprägten VP (34 %), (4) Leistungsschwächere mit relativ hoch ausgeprägtem VP (15 %) und (5) Leistungsschwächere mit relativ gering ausgeprägten VP (20 %).

Die Profile zeichnen ein differenziertes Bild der Ausbildungsreife nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen: Sie zeigen, dass innerhalb dieser Gruppe mehrere Subgruppen mit heterogen ausgeprägter Ausbildungsreife identifizierbar sind. Dies steht im Einklang mit bisherigen Befunden zur (Leistungs‑)Heterogenität nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen (z. B. Holtmann et al. 29,30,a, b, 2019). Unser Beitrag liefert insofern ergänzende Befunde, als dass Ausbildungsreife und Heterogenität anhand der Profile personenorientiert und mehrdimensional betrachtet wird. Die Profile zeigen neben der Kumulation von Vor- bzw. Nachteilen in den betrachteten Merkmalen differenzierte Ausprägungskonstellationen. Deutlich wird unter anderem, dass in schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen schwächere Schulabgänger:innen nicht zwangsläufig auch geringe Ausprägungen in verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen aufweisen, wie es die These der mangelnden Ausbildungsreife suggeriert. Allerdings fanden wir in unseren Analysen auch, dass bei einem Fünftel der Schulabgänger:innen beide Dimensionen relativ gering ausgeprägt sind. Inwiefern es sich bei ihnen um eine Risikogruppe hinsichtlich nachfolgender Bildungsprozesse handelt, bleibt zu untersuchen.

In der Zusammensetzung nach schulischem Vorbildungsniveau fanden wir in allen Profilen substantielle Anteile von Schulabgänger:innen mit max. HSA und MSA. Dies verdeutlicht in Übereinstimmung mit vorliegenden Studien nochmals die Binnenheterogenität dieser Bildungsgruppen und hinterfragt die Aussagekraft von Schulabschlüssen (z. B. Holtmann et al. 2019). Zwar fanden wir einen mittleren Zusammenhang zwischen Profil- und Bildungsgruppenzugehörigkeit sowie insbesondere in der Leistungsdimension eine stärkere Nachteilskonzentration und -kumulation bei Schulabgänger:innen mit max. HSA. Pauschalisierende Defizitannahmen und -beschreibungen qua Schulabschluss sind angesichts unserer Ergebnisse aber unzulässig. Sie führen dazu, dass vielen ausbildungsreifen Schulabgänger:innen eine Berufsausbildung verwehrt wird. Angesichts des (drohenden) Fachkräftemangels und meritokratischer Ansprüche des (Berufs‑)Bildungssystems erscheint das höchstproblematisch.

Die explorative Anlage der latenten Profilanalyse stellt eine Grenze unserer Untersuchung dar. Eine stärkere theoretische Fundierung wäre sowohl hinsichtlich der Merkmalsauswahl als auch der Identifikation und Interpretation der Profile wünschenswert (z. B. Berlin et al. 2014). Die theoretische Modellierung, Operationalisierung und empirische Erfassung von Ausbildungsreife geht über den Forschungstand hinaus, konzentriert sich aber auf eine Auswahl von Merkmalen. Andere möglicherweise relevante Merkmale bleiben unberücksichtigt. Die ausgewählten Merkmale und identifizierten Profile ermöglichen eine komplexitätsreduzierende Beschreibung der Ausbildungsreife nicht-studienberechtigter Schulabgänger:innen, bilden aber kein theoretisch fundiertes Konstrukt oder eine Typologie ab. Das Konstrukt Ausbildungsreife bedarf mangels theoretischer und empirischer Fundierung weiterer Forschung (z. B. Eberhard und Ulrich 2013). Dabei wäre unter anderem zu prüfen, welche weiteren Dimensionen und Merkmale in die theoretische Modellierung und Operationalisierung einzubeziehen sind. In den hier identifizierten Profilen dominieren Unterschiede in den schulischen Kompetenzen und psychologischen Leistungsmerkmalen, während in den verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen Merkmalen eine geringere Streuung erkennbar ist. Insofern bleibt fraglich, ob die Profile nicht hauptsächlich Leistungsgruppen repräsentieren. Die berichteten Stichprobenanteile sind aufgrund der probabilistischen Zuweisung der Beobachtungen und unseres Stichprobenzuschnitts mit Unsicherheiten verbunden. Sie liefern aber eine datengestützte Grundlage, entsprechende Größenordnungen abzuschätzen.

6.2 Relevanz von Profilen der Ausbildungsreife im Übergang zur Berufsausbildung

Im zweiten Teil unseres Beitrages untersuchten wir die prognostische Validität der Profile hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, nach Verlassen der Schule in eine Berufsausbildung überzugehen. Dabei fanden wir unter Berücksichtigung formaler Leistungsmerkmale und weiterer Kovariaten geringe Prognosebeiträge der Profile. Ein erklärungsbedürftiger Befund lag in den niedrigeren Ausbildungswahrscheinlichkeiten der leistungsstärksten Schulabgänger:innen. Gestützt durch eine Sensitivitätsanalyse unter Ausschluss von Schulabgänger:innen, die sich für den Erwerb der HZB an einer BBS entschieden, deuten wir dies als Hinweis auf eine Positiv(-selbst-)selektion der Leistungsstärkeren in weiterführende Bildungsgänge an berufsbildenden Schulen. In diese Richtung weisen auch Untersuchungen von Buchholz et al. (2012) und Busse (2020b). Dass ein Teil relativ leistungsstarker Schulabgänger:innen den Erwerb einer HZB der Berufsausbildung vorzieht, ist im Hinblick auf den Mangel an Fachkräften in Industrie und Handwerk ebenfalls problematisch. Hier stellt sich die Frage nach der Attraktivität einer Berufsausbildung für leistungsstärkere Schulabgänger:innen. Analysen zu Zusammenhängen zwischen (Profilen der) Ausbildungsreife und Bildungsaspirationen sowie Selbstselektionsmechanismen können an dieser Stelle weitere Erkenntnisse bringen. Hinweise auf die Bedeutsamkeit einzelner schulischer und psychologischer Leistungsmerkmale und verhaltens- und persönlichkeitsbezogener Merkmale für die (Realisierung von) Bildungsaspirationen fanden beispielsweise Nießen et al. (2022).

Unter Ausschluss von Schulabgänger:innen im Erwerb der HZB an einer BBS fanden wir keine Profil-, aber persistente Bildungsgruppenunterschiede in den Ausbildungswahrscheinlichkeiten. Die Analysen zeigten, dass Schulabgänger:innen mit MSA auch bei (gemessen an ihren Profilen) gleicher Ausprägung der Ausbildungsreife mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit in die Berufsausbildung mündeten als Schulabgänger:innen mit max. HSA. Formale Leistungsmerkmale scheinen bedeutsamer als die individuelle Ausbildungsreife. Vielen ausbildungsreifen Schulabgänger:innen bleiben damit Ausbildungschancen verwehrt. Unsere Befunde decken sich hier mit denen bisheriger Studien (z. B. Holtmann et al. 2017; Nießen et al. 2020). Ferner bestätigen sie soziologische und (mikro-)ökonomische Erklärungsansätze, die Schulabschlüsse als bedeutsame Signale und Indikatoren des individuellen Leistungs- und Entwicklungspotenzials betonen und auf Mechanismen der statistischen Diskriminierung und Diskreditierung verweisen (z. B. Arrow 1973; Solga 2005; Spence 1974). Zu beachten ist allerdings, dass wir in unseren Analysen auch Übergänge in das Schulberufssystem betrachteten, für das formale Zugangsvoraussetzungen gelten und der Zugang weniger oder nicht betrieblich gesteuert ist (v. a. bei vollzeitschulischen Ausbildungen). Nach den Sektoren des Berufsbildungssystems und Berufssegmenten differenzierte Analysen könnten hier Hinweise zur differenziellen Bedeutung der Ausprägungsprofile bringen (vgl. Hinweise in AGBB 2018; Busse 2020b). Darüber hinaus sollte die prognostische Validität der Ausprägungsprofile anhand unterschiedlicher Ergebnisse der Berufsausbildung untersucht werden. Es ist zu vermuten, dass die Profile der Ausbildungsreife hierfür bedeutsamer sind als für den Übergang in die Berufsausbildung (z. B. Abele 2014 zur Bedeutung fluider Intelligenz und schulischer Kompetenzen für den Erwerb berufsfachlicher Kompetenzen).

6.3 Implikationen

Dass Schulabgänger:innen mit max. HSA auch bei vergleichbar ausgeprägter Ausbildungsreife seltener eine Berufsausbildung aufnehmen, deutet auf deren Benachteiligung. Es kann ebenso als Anzeichen von Stigmatisierung aufgefasst werden. Unsere Ergebnisse zur Heterogenität dieser Schulabgänger:innen können helfen, ihre Stigmatisierung abzumildern. Handlungsmöglichkeiten sehen wir insbesondere für betriebliche Rekrutierungsprozesse und die Ausbildungsvermittlung: Hier sollten nicht (nur) formale Leistungsmerkmale von Bewerber:innen fokussiert, sondern ihre individuellen Potenziale und etwaige Unterstützungsbedarfe ermittelt werden. Eine Studie von Velten und Schnitzler (2011) etwa legt nahe, dass ergänzende Eignungstests den späteren Ausbildungserfolg (z. B. Ergebnisse der Abschlussprüfungen) präziser vorhersagen als Schulnoten als alleinige Auswahlkriterien. Dazu braucht es valide und umfassende eignungsdiagnostische Instrumente und Verfahren, wie sie beispielsweise im Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife vorgeschlagen werden (BA 2009). Mit Blick auf das Schulberufssystem sind wegen der eingeschränkten Aussagekraft von Schulabschlüssen außerdem dessen institutionelle Zugangsvoraussetzungen zu hinterfragen.

Die Ergebnisse unseres Beitrages legen ferner nahe, Fördermaßnahmen zu gestalten und zuzuweisen, die die sowohl die vielschichtigen Anforderungen einer Berufsausbildung als auch die individuellen Voraussetzungen und Bedarfe der Jugendlichen adressieren. Dies erscheint bereits bis zum Verlassen der allgemeinbildenden Schule relevant, ebenso aber in der Übergangsphase selbst sowie nach Einmündung in die berufliche Bildung. Im Anschluss an unseren Beitrag lässt sich ableiten, dass die berufspädagogische Praxis an allen Lernorten des Berufsbildungssystems mit heterogenen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen konfrontiert ist. Diesen zu begegnen, setzt selbstverständlich eine spezifische(re) und differenzierte(re) Diagnostik voraus.