1 Einleitung

Verhaltensprobleme sind für Lehrkräfte eine der größten Herausforderungen im (inklusiven) Unterrichtsalltag (de Boer et al. 2011; Rudberg und Porsch 2017). Diese konkretisieren sich in der Schule z. B. in häufigen Regelverletzungen und negativen Interaktionen mit Mitschüler*innen sowie Lehrkräften (Simpson 2004), was nicht nur zu einem erhöhten Belastungserleben von Lehrpersonen führt (Avramidis und Norwich 2002). Schüler*innen mit Verhaltensproblemen sind (unter anderem) auch häufig von sozialem Ausschluss betroffen und zeigen schwache schulische Leistungen (Spilles 2020).

Vor dem Hintergrund dieser multifaktoriellen Probleme ist ein effektiver Umgang mit Verhaltensproblemen eine wichtige Kompetenz von Lehrkräften. Classroom Management (CM) gilt in diesem Kontext als ein gut evaluiertes Handlungskonzept (z. B. Korpershoek et al. 2016). Die Darstellung von CM in der einschlägigen Literatur ist jedoch äußerst facettenreich. Neben lehrkraftzentrierten Techniken (z. B. Kounin 2006) wird in aktuelleren Darstellungen die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schulkind (z. B. Leidig und Pössinger 2018) als ein wesentlicher Gelingensfaktor des CM diskutiert.

Um zu erörtern, welche Faktoren ein möglichst effektives CM bedingen, wird im aktuellen Beitrag konkret untersucht, ob der Zusammenhang eines stark lehrkraftzentrierten Umgangs mit Unterrichtsstörungen (LUU) (z. B. ein zügiges Eingreifen bei Störungen oder die Vermittlung von Konsequenzen bei Regelverstößen) und der Regeleinhaltung von Schüler*innen durch deren wahrgenommene Schüler*innen-Lehrkraft-Beziehung (LSB) begünstigt wird.

2 Classroom Management

CM (bzw. Klassenführung) gilt als eine zentrale Voraussetzung für einen qualitativ hochwertigen Unterricht (Helmke 2015). Im Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke (2015) wird angenommen, dass diese Kompetenz von Lehrkräften neben z. B. dem Professionswissen, der fachlichen, didaktischen und diagnostischen Kompetenz sowie den pädagogischen Orientierungen, Erwartungen und Zielen die Qualität des unterrichtlichen Angebots und somit den Umfang der aktiven Lernzeit erhöht. Wie CM definiert wird, divergiert je nach Forschungsdisziplin, Publikationszeitraum und Autor*innengruppe. Grundsätzlich lassen sich eine traditionelle, lehrkraftzentrierte Perspektive von einer erweiterten Perspektive, bei der Schüler*innen stärker miteinbezogen werden, unterscheiden.

2.1 Lehrkraftzentrierter Umgang mit Unterrichtsstörungen

CM im Sinne eines LUU, dessen Wurzeln in etwa in den 60er und 70er-Jahren liegen, basiert im Wesentlichen auf dem Behaviorismus (Syring 2017). Dieser Ansatz zielt im Kern darauf ab, Störungen im Unterricht durch Sanktionen oder Belehrungen zu begegnen und ist somit durch eine starke Reaktivität charakterisiert. Diese Auffassung von CM wird unter anderem im deutschen Sprachraum stark kritisiert. Hennemann und Hillenbrand (2010, S. 256) merken hierzu an: „Kritisch wird insbesondere die Dominanz der Lehrkraft und die lern- und verhaltenstheoretische Fundierung betrachtet, hinter der die Legitimation für eine einseitige ‚Dompteurrolle‘ der Pädagogen vermutet wird.“

In den 70er und 80er-Jahren verlagerte sich der Fokus des LUU insbesondere in den Arbeiten von Kounin (2006) vom reaktiven Umgang mit Unterrichtsstörungen hin zum präventiven Handeln, bei dem Unterrichtsstörungen durch die Lehrkraft bereits antizipiert werden. So soll die Lehrkraft den Schüler*innen unter anderem vermitteln, dass sie jegliche Geschehnisse in der Klasse stets im Blick hat, sodass Regelverstöße nach Möglichkeit gar nicht erst begangen werden (Allgegenwärtigkeit). Zudem wird mit demselben Ziel auf einen möglichst zügigen Übergang zwischen Unterrichtsphasen geachtet (Reibungslosigkeit). In dem Begriffsverständnis von Kounin zeigt sich, dass Unterrichtsstörungen nicht mehr ausschließlich den Schüler*innen zugeschrieben, sondern vielmehr als Symptom für ein mangelndes Interaktionsgeschehen zwischen Schüler*innenschaft und Lehrkraft betrachtet werden.

2.2 Ökologisches und relationales Verständnis

Beginnend mit den Arbeiten von Kounin rücken aktuellere Arbeiten zunehmend von einer Lehrkraftzentrierung ab (z. B. Evertson und Emmer 2012). Stattdessen werden auch Strategien auf Seiten der Schüler*innen (wie die Festlegung von Verantwortlichkeiten der Schüler*innen oder die Umsetzung kooperativer Lernformen) berücksichtig, wobei die präventive Ausrichtung z. B. durch die Etablierung von Regeln und Routinen, aber auch reaktive Strategien zum Umgang mit Unterrichtsstörungen weiterhin bestehen bleiben. Das unterrichtliche Geschehen wird in neueren Ansätzen des CM als komplexe systemische Interaktion betrachtet, bei der monokausale Erklärungen für Unterrichtsstörungen von einer ökologischen Sichtweise abgelöst werden (Syring 2017). So wird nicht nur die spezifische Interaktion zwischen Lehrkraft und einem störenden Schüler betrachtet, sondern auch andere Aspekte wie die Gestaltung des Klassenraums oder die Reaktionen der Mitschüler*innen als ursächliche oder moderierende Faktoren berücksichtigt.

Einhergehend mit diesem erweiterten Begriffsverständnis von CM wird in verschiedenen Arbeiten zusätzlich betont, dass die Basis für ein effektives CM eine tragfähige LSB sei (Evertson und Emmer 2012; Leidig und Pössinger 2018; Raczynski und Horne 2015). Wubbels et al. (2015) postulieren mit Blick auf eine solch relationale Auffassung von CM, dass die Wirksamkeit des Lehrkrafthandelns davon abhängig sei, wie die Schüler*innen dieses subjektiv interpretieren bzw. bewerten. Anders ausgedrückt: Das Bewusstsein darüber, dass die Lehrkraft durch ihr Handeln die Schüler*innen in erster Linie unterstützen möchte oder deren Wunsch, das gute Verhältnis zu dieser zu bewahren, führt vermutlich auch dazu, dass sich das Verhalten der Schüler*innen besser regulieren lässt und sie z. B. Klassenregeln besser einhalten.

3 Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung

LSB konstituieren sich einerseits über direkte, sich wechselseitig beeinflussende Interaktionen zwischen den Parteien, andererseits spielen individuelle kognitive und emotionale Dispositionen sowie Umweltfaktoren (z. B. familiäre Herkunft, Gesellschaftssystem, personelle und räumliche Ressourcen) eine entscheidende Rolle (Pianta 1999).

Knierim et al. (2017) identifizieren in einer Übersichtsarbeit drei theoretische Zugänge zur LSB. Die 1) Erziehungsstilforschung (Lewin et al. 1939; Tausch und Tausch 1965) fokussiert individuelle Differenzen im Führungsstil von Lehrkräften und deren Einfluss auf die Schüler*innen. Einen besonderen Stellenwert nehmen hierbei die emotionale Wärme und eine wertschätzende Haltung gegenüber den Kindern und Jugendlichen ein. Aus der 2) Bindungstheorie (Bowlby 1969) leitet sich eine mögliche Einflussnahme der kognitiven Repräsentation der Eltern-Kind-Beziehung auf die subjektive Wahrnehmung der Beziehung zur Lehrkraft ab. Dieser Tradition folgend spielt die Empathiefähigkeit und emotionale Unterstützung durch die Lehrkraft eine tragende Rolle innerhalb der LSB. Die 3) Selbstbestimmungstheorie (Deci und Ryan 2000) postuliert die Bedeutsamkeit psychologischer Grundbedürfnisse (Kompetenzerleben, Autonomie, soziale Eingebundenheit) für die menschliche Motivation. Für die LSB ergibt sich hieraus eine Sensibilisierung für die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse innerhalb des Unterrichts- und Interaktionsgeschehens.

Im Rahmen von CM lassen sich in erster Linie Bezüge zur Erziehungsstilforschung ziehen. Mit Blick auf die Reduzierung von Verhaltensproblemen im Unterricht ist annehmbar, dass sich die von Schüler*innen subjektiv wahrgenommene Handlungen der Lehrkraft sowie die empfundene emotionale Wärme bzw. wertschätzende Haltung gegenüber der eigenen Person auf das Verhalten im Unterricht auswirken. Ebenfalls lässt sich vermuten, dass die LSB den Einfluss des LUU auf die Regeleinhaltung moderiert. Besteht z. B. das Gefühl, dass Fehlverhalten in der Klasse von der Lehrkraft stets wahrgenommen und konsequent unterbunden wird, dürfte sich dies bei einer positiv empfundenen LSB deutlicher auf die eigene Regeleinhaltung auswirken, als bei einer negativ wahrgenommenen LSB. Im Falle einer positiven LSB besteht vermutlich grundsätzlich mehr Verständnis für die Regeln und die damit verbundenen Konsequenzen, da diese eher als Unterstützung seitens der Lehrkraft wahrgenommen werden. Der Wunsch, die Qualität der LSB nicht durch die Missachtung von Klassenregeln zu gefährden, dürfte hier ebenso von Relevanz sein. Im weitesten Sinne lässt sich diese Kombination aus Kind-Zentrierung und gleichzeitig routiniertem und konsequentem LUU auch als autoritativer Erziehungsstil bezeichnen (Baumrind 1966).

Empirisch zeigen lässt sich, dass die Qualität der LSB, die sich z. B. durch Konfliktfreiheit, erlebte Nähe und emotionale Wärme auszeichnet (Endedijk et al. 2021), einen positiven Einfluss auf die Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen (Bear 2015; Davis 2003), die Reduktion von Verhaltensproblemen (Bear 2015; Obsuth et al. 2017), die Entwicklung akademischer Leistungen und der Leistungsmotivation (Roorda et al. 2017) sowie das Wohlbefinden (Quin 2017) von Schüler*innen nimmt. Ein Fokus auf die Einhaltung von Klassenregeln wurde bislang jedoch äußerst selten gesetzt. In einer der wenigen Publikationen mit Peer-Review-Verfahren von Rey et al. (2007) zeigt sich anhand einer Stichprobe von 89 Schüler*innen (dritte bis sechste Klasse) ein mittlerer positiver Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen LSB (sowohl aus Lehrkraft- als auch aus Schüler*innenperspektive) und der Regeleinhaltung im Selbsturteil. Eine möglicherweise moderierende Wirkung der LSB im Hinblick auf den Einfluss des Lehrkrafthandelns auf die Regeleinhaltung von Schüler*innen wurde in keiner der von uns gefundenen Publikationen untersucht.

4 Wirkmodell der aktuellen Studie

Durch die Zusammenfassung der oben dargestellten empirischen Befunde und theoretischen Annahmen ergibt sich das folgende Wirkmodell (Abb. 1):

Abb. 1
figure 1

Wirkmodell der aktuellen Studie. LUU Lehrkraftzentrierter Umgang mit Unterrichtsstörungen, LSB Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung

Wir gehen auf Basis bisheriger Studien (vgl. bspw. die Metaanalyse von Korpershoek et al. 2016) zunächst grundsätzlich davon aus, dass ein effektiver LUU positiv mit der Regeleinhaltung von Schüler*innen zusammenhängt (a). Im Sinne eines ökologischen Begriffsverständnisses von CM lässt sich der LUU um eine relationale Dimension (Wubbels et al. 2015) erweitern, bei der zusätzlich die LSB berücksichtigt wird. Aus einer etwas dünneren empirischen Basis (z. B. Rey et al. 2007) geht hervor, dass die LSB positiv mit der Regeleinhaltung von Schüler*innen korrelieren sollte (b). Die zentrale Annahme der aktuellen Untersuchung ist, dass der positive Zusammenhang des LUU und der Regeleinhaltung der Schüler*innen umso höher ausfällt, je positiver sie die LSB wahrnehmen (c). Zu dieser konkreten Fragestellung liegen nach unserem Wissensstand bislang keine Studienergebnisse vor. Vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen Herausforderung von Lehrkräften, Verhaltensproblemen im Unterricht adäquat zu begegnen, wäre diese Erkenntnis jedoch von enormer Bedeutung.

5 Fragestellungen

In der vorliegenden Studie werden basierend auf dem oben beschriebenen Wirkmodell drei Fragestellungen verfolgt, die im Rahmen einer Querschnittserhebung untersucht werden.

5.1 Fragestellung 1: Lehrkraftzentrierter Umgang mit Unterrichtsstörungen und Regeleinhaltung (Pfad a im Wirkmodell)

Gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung von Schüler*innen?

Diese Fragestellung ist als eine Replikation bisheriger Studienergebnisse im Rahmen der CM-Forschung zu verstehen. In der Metaanalyse von Korpershoek et al. (2016) zeigen sich positive CM-Effekte auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen sowohl im Vorschulalter als auch in den Jahrgangsstufen 1 bis 6. In unserer Studie nehmen wir Grundschulkinder der dritten und vierten Jahrgangsstufe in den Blick, weshalb wir von ähnlichen Ergebnissen ausgehen. Prinzipiell ist dabei ein positiver Einfluss des LUU auf die Regeleinhaltung anzunehmen, was im Rahmen der hiesigen Querschnittsuntersuchung jedoch nur im Sinne eines Zusammenhangs untersucht wird.

5.2 Fragestellung 2: Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung und Regeleinhaltung (Pfad b im Wirkmodell)

Gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen der LSB und der Regeleinhaltung von Schüler*innen?

Auch diese Fragestellung ist eine Replikation der bisherigen Studienlage, die sich allerdings nicht so umfänglich darstellt wie in Bezug zur CM-Forschung (z. B. Rey et al. 2007). Theoretisch ist eine wechselseitige Beeinflussung beider Variablen anzunehmen, da sich Schüler*innen vermutlich bei einer besseren LSB eher an Klassenregeln halten, aus einer guten Regeleinhaltung jedoch auch eine positive LSB resultieren könnte. Auch hier ist anzumerken, dass im Rahmen der Studie nur ein Zusammenhang untersucht werden kann.

5.3 Fragestellung 3: Moderation der Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung (Pfad c im Wirkmodell)

Erhöht sich der positive Zusammenhang zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung von Schüler*innen durch eine positiv wahrgenommene LSB?

Wubbels et al. (2015) gehen davon aus, dass die Qualität der LSB die Interpretation und Bewertung des Lehrkrafthandelns durch die Schüler*innen und somit auch dessen Wirksamkeit beeinflusst. Dementsprechend wird in Bezug zur aktuellen Studie ebenfalls angenommen, dass der positive Zusammenhang zwischen einem effektiven LUU und der Regeleinhaltung von Schüler*innen bei einer positiven LSB höher ausfällt. Konkret gehen wir davon aus, dass sich auch bei einer gering wahrgenommenen LSB ein positiver Zusammenhang ergibt. Die Zusammenhänge sollten jedoch bei zunehmend positiv wahrgenommener LSB ansteigen.

6 Methode

6.1 Durchführung

Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen des Projekts PARTI (Grosche et al. 2019). Ziel des Projekts war es, Grundschulen anhand von vier ganztägigen Fortbildungen und fünf begleitenden Coachings bei der erfolgreichen Unterrichtung von Kindern mit Verhaltensproblemen zu unterstützen und in diesem Zusammenhang die kooperativen Strukturen des Kollegiums zu verbessern sowie wirksame Unterrichtsmethoden zum Umgang mit Unterrichtsstörungen zu implementieren.

In der vorliegenden Studie werden Querschnittsdaten der ersten Erhebung aus dem Sommer 2019 analysiert. Im Zuge der Datenerhebung wurden Kinder über eine Papier-Bleistift-Erhebung zu ihrer Klassensituation im Rahmen von ca. einer Schulstunde im Klassenverband durch geschulte Projektmitarbeitende befragt. Hierzu wurden den Schüler*innen alle Fragen vorgelesen. Außerdem wurden Rückfragen bei Verständnisproblemen beantwortet. Es nahmen nur Schulkinder an der Befragung teil, von denen eine Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten vorlag.

6.2 Stichprobe

Im Projekt wurden insgesamt ca. 3000 Schüler*innen aus 21 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen befragt, die freiwillig am oben genannten Projekt teilnahmen. In der vorliegenden Studie wurden dritte und vierte Klassen und ausschließlich Kinder mit vollständigen Datensätzen hinsichtlich der unten beschriebenen Erhebungsinstrumente betrachtet. Außerdem wurden lediglich Klassen mit mindestens 75 % vollständiger Daten in die Analyse einbezogen, weil die Regeleinhaltung auf Basis eines Peer-Ratings erfasst wurde (s. unten) und somit auf der Einschätzung möglichst aller Mitschüler*innen basieren sollte. Im Rahmen des Projekts wurde den Lehrkräften aufgrund des hohen Erhebungsvolumens freigestellt, ob sie die Integrated Teacher Report Form (ITRF; Volpe et al. 2018; s. unten) für ihre gesamte Klasse oder nur für die fünf Kinder ausfüllen, die am häufigsten den Unterricht stören. Viele Lehrkräfte wählten letztere Option, was den starken Stichprobenverlust erklärt (diese Klassen wurden im zuvor beschriebenen Sinne nicht mit in die Analysen einbezogen).

Es resultiert eine Stichprobe von n = 548. Davon besuchten im Sommer 2019 n = 285 Kinder die dritte und n = 263 Kinder die vierte Klasse. 49 % der Kinder waren weiblich. Das durchschnittliche Alter lag bei M = 9,10 (SD = 0,70). Die Lehrkräfte waren zu 93 % weiblich, zum Zeitpunkt der Erhebung im Schnitt 43,90 Jahre alt (SD = 9,82) und hatten 14,81 Jahre Berufserfahrung (SD = 8,81).

Im Hinblick auf sämtliche Variablen, die in den statistischen Modellen betrachtet werden, lagen keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Klassenstufen vor.

6.3 Erhebungsinstrumente

6.3.1 Regeleinhaltung

Die Einhaltung der Klassenregeln wurde anhand eines selbstentwickelten Peer-Rating-Fragebogens erfasst. Die Schüler*innen wurden gebeten, auf einer vierstufigen Skala (0 = sehr schlecht, 1 = eher schlecht, 2 = eher gut, 3 = sehr gut) einzuschätzen, wie gut sich jedes andere Kind der Klasse allgemeinhin an die Klassenregeln hält. Die Einschätzungen aller Mitschüler*innen wurden anschließend zu einem einzelnen Mittelwert pro Kind aggregiert. Die durchschnittlichen bivariaten Korrelationen der Peer-Ratings innerhalb der Klassen lagen im Bereich von r = 0,24 und r = 0,71 (M = 0,43, SD = 0,12), sodass das Aggregieren zu einem Mittelwert pro Kind angemessen erscheint. Zwischen den mittleren Peer-Ratings zur Regeleinhaltung und einem standardisierten Verhaltensscreening (ITRF; Volpe et al. 2018) ergab sich ein Zusammenhang von r = −0,69, was auf eine gute Kriteriumsvalidität verweist.

6.3.2 Lehrkraftzentrierter Umgang mit Unterrichtsstörungen

Der LUU wurde anhand einer leicht modifizierten Version der Skala Klassenführung des Fragebogens zur Erfassung von Störungen im Unterricht (Wettstein et al. 2016) erhoben. Auf einer vierstufigen Ratingskala (0 = stimmt gar nicht, 1 = stimmt kaum, 2 = stimmt ziemlich, 3 = stimmt genau) beurteilten die Schulkinder fünf Aussagen zum Umgang ihrer Klassenlehrkraft mit Unterrichtsstörungen (z. B. „Meine Lehrer greifen gleich ein, wenn Kinder anfangen zu stören.“, „Meine Lehrer haben klargemacht, was passiert, wenn man Regeln verletzt.“). Der Fragebogen erfragt somit einen sowohl proaktiven als auch reaktiven LUU. Die Items des Originalfragebogens wurden so verändert, dass der Fokus auf die Klassenleitung gesetzt wurde. Da der Fragebogen leicht modifiziert und in der Studie von Wettstein et al. (2016) mit Schüler*innen der fünften und sechsten Klassenstufe umgesetzt wurde, erfolgte zur Absicherung noch eine konfirmatorische Faktorenanalyse mit WLSMV-Schätzer, die nach den Kriterien von Hu und Bentler (1999) eine gute Passung der Daten zu einem einfaktoriellen Modell bestätigt: χ2 = 10,269, df = 5, p = 0,068, CFI = 0,975, TLI = 0,950, SRMR = 0,048, RMSEA = 0,044, 90 % CI = [0,000; 0,082].

Wettstein et al. (2016) geben in ihrer Publikation eine interne Konsistenz von α = 0,71 an. In der vorliegenden Stichprobe liegt diese bei einem Wert von α = 0,61 (Klassenstufe 3: α = 0,61, Klassenstufe 4: α = 0,62).

Der LUU wurde bewusst aus der Perspektive der Schüler*innen erfasst, da die Quelle der angenommenen Wechselwirkung in Bezug zu Fragestellung 3 die individuelle Kognition eines jeden Schulkinds sein dürfte. Besteht z. B. das Gefühl, dass Fehlverhalten in der Klasse von der Lehrkraft stets wahrgenommen und konsequent unterbunden wird, dürfte sich dies bei einer positiv empfundenen LSB deutlicher auf die eigene Regeleinhaltung auswirken, als wenn die LSB eher negativ empfunden wird.

6.3.3 Beziehung zur Klassenlehrkraft

Die Beziehung zur Klassenlehrkraft wurde über die Skala Gefühl des Angenommenseins durch die Lehrkraft aus dem Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern dritter und vierter Klassen (FEESS 3–4; Rauer und Schuck 2003) erfasst. Hierbei wurden 13 Aussagen zur LSB (z. B. „Meine Lehrer mögen mich.“, „Meine Lehrer hören mir zu, wenn ich etwas zu sagen habe.“) auf einer vierstufigen Ratingskala (0 = stimmt gar nicht, 1 = stimmt kaum, 2 = stimmt ziemlich, 3 = stimmt genau) durch die Schüler*innen eingeschätzt. Die Fragen wurden im Gegensatz zum Originalfragebogen konkret auf die Beziehung zur Klassenleitung bezogen. Die LSB wurde somit dyadisch aus Perspektive der Schüler*innen gemessen. Die interne Konsistenz der Skala in der aktuellen Stichprobe liegt bei einem Wert von α = 0,82 (Klasse 3: α = 0,78, Klasse 4: α = 0,85) und ist vergleichbar mit den Angaben von Rauer und Schuck (2003).

6.3.4 Kontrollvariablen

Zur statistischen Kontrolle des Ausmaßes an Verhaltensproblemen wurde die Integrated Teacher Report Form (ITRF; Volpe et al. 2018) eingesetzt. Bei dem universellen Verhaltensscreening beurteilen Lehrkräfte die Ausprägung problematischer Verhaltensweisen eines jeden Schulkindes im Unterricht (Probleme im lernförderlichen Verhalten: z. B. „Stellt Unterrichtsaufgaben nicht rechtzeitig fertig.“, „Erledigt Hausaufgaben unvollständig“ und störendes bzw. oppositionelles Verhalten: z. B. „Streitet und zankt mit Lehrkräften.“, „Verwendet unangemessene Sprache.“) auf einer vierstufigen Ratingskala (0 = nicht problematisch, 1 = leicht problematisch, 2 = mäßig problematisch, 3 = stark problematisch). In die aktuelle Studie fließt die Gesamtskala des Instruments ein. Diese weist eine interne Konsistenz von α = 0,92 auf (Volpe et al. 2018), die sich in der hiesigen Stichprobe exakt bestätigt (Klassenstufe 3: α = 0,91, Klassenstufe 4: α = 0,92).

Da in vergangenen Studien immer wieder repliziert wurde, dass im Grundschulbereich Jungen eher Verhaltensprobleme aufweisen als Mädchen (Klipker et al. 2018), wird ebenfalls für das Geschlecht statistisch kontrolliert.

6.4 Statistik

In der Stichprobe sind die Schüler*innen in Schulklassen genestet. Die statistische Analyse der Daten erfolgte daher anhand einer Mehrebenen-Regressionsanalyse mit Random-Intercept-Modellen.

Die Items der psychometrischen Fragebögen (LUU, LSB, ITRF) wurden zunächst je Skala zu einem Mittelwert zusammengefasst (Range: 0–3). Alle Kontroll- und unabhängigen Variablen wurden anschließend in Anlehnung an die Empfehlungen von Enders und Tofighi (2007) am jeweiligen Klassenmittelwert zentriert. Zur besseren Interpretierbarkeit der Effekte werden zusätzlich z-standardisierte Regressionsgewichte berichtet.

Zur Abbildung der vermuteten Zusammenhänge im Studienmodell (vgl. Abb. 1) wird in einem ersten Regressionsmodell erörtert, inwieweit die Regeleinhaltung der Schulkinder mit der wahrgenommenen LUU zusammenhängt. In einem zweiten Modell wird um die LSB als unabhängige Variable erweitert. In einem dritten Modell wird zusätzlich geprüft, inwieweit der Zusammenhang zwischen LUU und Regeleinhaltung durch die LSB moderiert wird (Interaktionseffekt). In einem vierten und letzten Modell wird darüber hinaus untersucht, ob die gefundenen Effekte auch unter statistischer Kontrolle von Geschlecht (dummy-kodiert mit 0 = weiblich und 1 = männlich) und Verhaltensproblemen (Einschätzung durch die Lehrkraft anhand der ITRF) erhalten bleiben.

Die Rechnungen wurden mit Hilfe der R‑Pakete lme4 (Bates et al. 2015) und lmerTest (Kuznetsova et al. 2017) durchgeführt.

7 Ergebnisse

7.1 Deskriptive Ergebnisse

Zur Übersicht findet sich in Tab. 1 zunächst eine Darstellung der deskriptiven Werte und bivariaten Interkorrelationen der erhobenen Variablen. Die theoretischen Skalenmittelwerte liegen entsprechend der möglichen Range von 0 bis 3 bei M = 1,5. Die Mittelwerte für die Regeleinhaltung, LUU und LSB liegen über dem theoretischen Mittelwert, die durch die Lehrkraft eingeschätzten Verhaltensprobleme deutlich darunter. Insgesamt weisen die Untersuchungsvariablen eine vergleichbare Standardabweichung und Spannweite auf. Tab. 1 zeigt ferner, dass die Regeleinhaltung signifikant mit allen anderen Variablen in der zu erwartenden Richtung korreliert, wobei der Zusammenhang zwischen Regeleinhaltung und dem LUU am schwächsten ausfällt.

Tab. 1 Deskriptive Werte und bivariate Interkorrelationen

7.2 Ergebnisse der Mehrebenenanalyse

Im Nullmodell (nicht in Tab. 1 enthalten) zeigt sich, dass 7 % der Varianz im Hinblick auf die Regeleinhaltung der Kinder durch Unterschiede zwischen den Klassen erklärt werden kann, wodurch die Notwendigkeit einer mehrebenenanalytischen Auswertung untermauert wird.

Modell 1 enthält zusätzlich zu Modell 0 den von den Kindern wahrgenommenen LUU und klärt signifikant mehr Varianz als das Nullmodell auf (∆R2m = 2,8 %). Es zeigt sich erwartungskonform ein signifikanter (schwacher) Zusammenhang zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung der Kinder. Je effektiver die Kinder den Umgang ihrer Klassenleitung mit Störungen wahrnehmen, desto besser halten sie sich nach Meinung ihrer Mitschüler*innen an die Klassenregeln (Fragestellung 1).

Modell 2 enthält zusätzlich die von den Kindern wahrgenommene LSB und klärt signifikant mehr Varianz als Modell 1 auf (∆R2m = 8,5 %). Die LSB hängt ebenfalls wie angenommen signifikant (mittelstark) mit der Regeleinhaltung zusammen. Je positiver Kinder die LSB wahrnehmen, desto regelkonformer verhalten sie sich nach Meinung ihrer Mitschüler*innen (Fragestellung 2). Der Zusammenhang von Regeleinhaltung und LUU ist in Modell 2 nicht mehr signifikant (Fragestellung 1).

Modell 3 enthält weiterhin die statistische Interaktion von LUU und LSB und klärt signifikant mehr Varianz als Modell 2 auf (∆R2m = 0,8 %). Die statistische Interaktion zwischen LUU und LSB fällt signifikant aus. Je positiver die LSB von den Kindern wahrgenommen wird, desto größer fällt der Zusammenhang zwischen LUU und Regeleinhaltung aus (Fragestellung 3). Um die Moderationswirkung der LSB in Modell 3 zu verdeutlichen, wurde dieses (ohne Interaktionsterm) für drei Teilstichproben mit unterschiedlich stark ausgeprägter LSB separat berechnet (basierend auf Abweichungen von ± einer SD vom Mittelwert). Dabei ergeben sich folgende Zusammenhänge zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung: Unterdurchschnittliche LSB (n = 74): B = −0,13 bzw. β = −0,13; durchschnittliche LSB (n = 414): B = 0,11 bzw. β = 0,09; überdurchschnittliche LSB (n = 60): B = 0,09 bzw. β = 0,07. Somit zeigen sich negative Zusammenhänge zwischen LUU und Regeleinhaltung bei einer schlecht beurteilten LSB und positive Zusammenhänge zwischen LUU und Regeleinhaltung bei einer mindestens durchschnittlich beurteilten LSB. Der Zusammenhang zwischen LUU und Regeleinhaltung fällt auch in Modell 3 nicht signifikant aus (Fragestellung 1). Der Zusammenhang zwischen LSB und Regeleinhaltung bleibt weiterhin signifikant (mittelstark) (Fragestellung 2).

Modell 4 beinhaltet zusätzlich die Kontrollvariablen Geschlecht und Verhaltensprobleme und klärt signifikant mehr Varianz auf als Modell 3 (∆R2m = 39,8 %), was einerseits durch den starken Zusammenhang zwischen der Einschätzung der Verhaltensprobleme durch die Lehrkraft (ITRF) mit der Regeleinhaltung zu erklären ist. Andererseits halten sich scheinbar die Mädchen insgesamt besser an die Klassenregeln als die Jungen. Wie im dritten Modell besteht weiterhin kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung (Fragestellung 1). Der positive signifikante Zusammenhang zwischen Regeleinhaltung und LSB (Fragestellung 2) bleibt jedoch mit einem schwachen Effekt erhalten. Auch der Interaktionseffekt (Fragestellung 3) bleibt weiterhin signifikant (sehr schwach).

8 Diskussion

In der vorliegenden Querschnittsstudie wurde untersucht, inwieweit der LUU und die LSB in Zusammenhang mit der Regeleinhaltung von Dritt- und Viertklässler*innen stehen. Im Fokus stand dabei die theoretische Annahme, dass sich der Einfluss eines effektiven LUU auf die Regeleinhaltung durch eine positiv wahrgenommene LSB erhöht. Hintergrund dieser Forschungsbemühungen im Kontext des CM ist die Abgrenzung einer traditionellen, lehrkraftzentrierten Perspektive von einer erweiterten Perspektive, bei der Schüler*innen stärker miteinbezogen werden. Bei der letzteren Perspektive wird unter anderem postuliert, dass eine tragfähige LSB die Basis eines effektiven CM sei (Wubbels et al. 2015).

8.1 Fragestellung 1: Lehrkraftzentrierter Umgang mit Unterrichtsstörungen und Regeleinhaltung

Die signifikante positive Korrelation zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung der Schulkinder (Tab. 1) deutet zunächst auf einen positiven Zusammenhang hin, der sich auch im ersten Mehrebenenmodell bestätigt (Tab. 2). Dieser Effekt blieb jedoch in den weiteren Modellen (2, 3, 4) bei gleichzeitiger Betrachtung der LSB bzw. der Kontrollvariablen nicht erhalten, weshalb die Hypothese verworfen wird. Insgesamt bleibt der Effekt damit deutlich hinter den bisherigen Forschungsergebnissen zum CM zurück (Korpershoek et al. 2016). Für diesen zunächst überraschenden Befund lassen sich aus Autorensicht drei Erklärungen benennen. Erstens wurde lediglich der LUU betrachtet. CM im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses geht jedoch deutlich darüber hinaus (Hennemann und Hillenbrand 2010). Maßnahmen auf Seiten der Schüler*innen wie kooperative Lernformen oder Verantwortlichkeiten der Schüler*innen (Evertson und Emmer 2012) sowie der Aspekt der LSB (Wubbels et al. 2015) fanden in dieser Fragestellung keine Beachtung. Somit wurde hier nur ein Teilaspekt von CM betrachtet. Zweitens wurde der LUU durch die Schüler*innen eingeschätzt. Obwohl zur Erhebung ein validiertes Verfahren genutzt wurde, stellt sich die Frage, inwieweit Schulkinder die CM-Kompetenzen ihrer Lehrkraft tatsächlich zuverlässig einschätzen können oder ob (drittens) die LSB als der für sie salientere Teil des Lehrkraftverhaltens (subjektiv) einen größeren Einfluss auf ihr Unterrichtsverhalten nimmt. Interessant ist, dass sich bei Korpershoek et al. (2016) in Bezug zu den Effekten von CM auf das Verhalten von Schüler*innen die kleinsten Effektstärken ergaben, wenn die Variablen aus Schüler*innenperspektive erfasst wurden. Größer fielen die Effekte bei Lehrkrafteinschätzungen und externen Beobachter*innen aus. Perspektivisch bietet sich in diesem Bereich also Potenzial für weitere Studien.

Tab. 2 Ergebnisse der Mehrebenenanalyse

8.2 Fragestellung 2: Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung und Regeleinhaltung

Die Annahme, dass die durch das Schulkind empfundene LSB positiv mit dessen Regeleinhaltung zusammenhängt, wird beibehalten. Die signifikant positive Korrelation zwischen der LSB und der Regeleinhaltung der Schulkinder (Tab. 1) wird in den Mehrebenenmodellen 2, 3 und 4 (Tab. 2) untermauert. Der Zusammenhang liegt insgesamt im schwachen (Modell 4) bis mittleren (Modell 2 und 3) Effektbereich. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen bisheriger Forschungsarbeiten, die günstige Einflüsse einer tragfähigen LSB auf die Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen (Bear 2015; Davis 2003) sowie Korrelationen mit der Regeleinhaltung von Schulkindern (Rey et al. 2007) aufdeckten. Konkret fanden Rey et al. (2007) ebenfalls eine mittlere Korrelation zwischen der Regeleinhaltung (selbstbezogene Einschätzung der Schüler*innen) und der LSB heraus (wahrgenommene Unterstützung durch die Lehrkraft). Die Ergebnisse zeigen, dass eine positive LSB ein entscheidender Faktor neben dem rein störungszentrierten Lehrkrafthandeln für einen störungsfreien Unterricht sein könnte. Aus den Ergebnissen könnte einerseits geschlossen werden, dass sich Schüler*innen vermutlich bei einer besseren LSB eher an Klassenregeln halten, anderseits könnte aber aus einer guten Regeleinhaltung auch eine positive LSB resultieren. Dies müsste perspektivisch durch Längsschnittstudien geklärt werden.

8.3 Fragestellung 3: Moderation der Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung

Zentrales Ziel der Untersuchung war es, aufzuzeigen, dass im Sinne eines relationalen Begriffsverständnisses von CM der Zusammenhang des LUU und der Regeleinhaltung der Schüler*innen durch eine positive LSB begünstigt wird. Diese theoretische Annahme wird durch die empirischen Ergebnisse in den Mehrebenenmodellen 3 und 4 durch signifikante Moderationseffekte im Sinne der Hypothese bestätigt, allerdings nur mit sehr kleinen Effekten. Dass jedoch der Interaktionseffekt trotz der Aufnahme der durch die Lehrkraft eingeschätzten Verhaltensprobleme in Modell 4 nahezu unverändert bleibt, deutet auf einen sehr stabilen Effekt hin, der anscheinend einen eigenständigen Varianzanteil des Regelverhaltens aufklären kann. Entgegen der konkreten Hypothese zur Moderationswirkung ergaben sich jedoch im Falle einer unzureichend wahrgenommenen LSB tendenziell negative Zusammenhänge zwischen dem LUU und der Regeleinhaltung, was zunächst überrascht. Es könnte gemutmaßt werden, dass Schüler*innen, die die LSB negativ einschätzen, bewusst den Unterricht stören, gerade dann, wenn sie wissen, dass dies von der Lehrkraft wahrgenommen und geahndet wird.

8.4 Methodenkritik und Forschungsperspektiven

Es ergeben sich einige methodische Einschränkungen und somit auch Perspektiven für weitere Forschungsvorhaben.

Einerseits enthält das Studiendesign Schwächen. Die Analysen wurden lediglich mit Querschnittsdaten durchgeführt. Zukünftige Untersuchungen müssten diese Ergebnisse im Längsschnitt replizieren, um theoretisch anzunehmende Einflussnahmen zu prüfen.

Weiterhin sollten die zentralen Variablen (Regeleinhaltung, LUU, LSB) jeweils aus mehreren Perspektiven und durch ergänzende Verfahren wie Unterrichtsbeobachtungen erhoben werden. Insbesondere die eher mäßige interne Konsistenz des eingesetzten Klassenführungsfragebogens ist bei der Interpretation der Effekte zu berücksichtigen. In der Publikation von Wettstein et al. (2016) zum zugrundeliegenden Fragebogen wurden Schüler*innen der fünften und sechsten Klassenstufe befragt, weshalb die interne Konsistenz dort möglicherweise etwas besser ausfiel als bei uns. Auch die Erhebung der LSB sollte zukünftig mittels anderer Instrumente deutlich genauer und differenzierter erfolgen (vgl. Koomen und Jellesma 2015). Ebenso sollten weitere Kontrollvariablen erhoben werden, da in vergangenen Studien gezeigt wurde, dass z. B. kognitive Fähigkeiten oder die motivationale Orientierung von Schüler*innen prädiktiv für die Wahrnehmung der Unterrichtsqualität sind (z. B. Igler et al. 2019). Eine entsprechende statistische Kontrolle könnte Verzerrungen in der hiesigen Untersuchung, die im Wesentlichen auf den Wahrnehmungen von Schüler*innen basiert, entgegenwirken.

Zur Erklärung des Interaktionseffekts zwischen dem LUU und der LSB im Hinblick auf die Regeleinhaltung wurde gemutmaßt, dass bei einer positiven LSB seitens der Schüler*innen mehr Verständnis für die Klassenregeln und die damit verbundenen Konsequenzen vorherrscht oder der Wunsch besteht, die Beziehungsqualität nicht zu gefährden. Beides könnte erklären, warum die Klassenregeln im Falle einer positiven LSB besser eingehalten werden. Überprüft wurde diese Annahme jedoch nicht. Auch hier sollte zukünftig detaillierter nachgeforscht werden. Außerdem könnte ebenfalls untersucht werden, ob neben der LSB auch die Beziehung zwischen Schulkindern in Zusammenhang mit der Effektivität des CM stehen.

Aufgrund der selektiven Stichprobe (nur dritte und vierte Klassen aus Nordrhein-Westfalen, freiwillige Projektteilnahme) ist zudem eine grundsätzliche Generalisierbarkeit der Ergebnisse anzuzweifeln, weshalb Replikationsstudien mit anderen Stichproben wünschenswert wären. Auch der hohe Anteil an fehlenden Werten könnte zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben. So wurden Klassen, in denen nur fünf Kinder anhand der ITRF bewertet wurden, nicht in den Berechnungen inkludiert. Möglicherweise waren aber gerade dies Klassen mit einem hohen Anteil an störenden Kindern – so könnten sich deren Klassenleitungen aufgrund der hohen Belastung im Schulalltag gegen die aufwändigere Variante der Datenerhebung, bei der die gesamte Klasse anhand der ITRF beurteilt wurde, entschieden haben.

8.5 Praktische Implikationen

Die Befunde der Untersuchung sind vor dem Hintergrund der einleitend dargestellten Herausforderung von Lehrkräften, Verhaltensproblemen im Unterricht adäquat zu begegnen (de Boer et al. 2011; Rudberg und Porsch 2017), zu betrachten. Aus den Erkenntnissen kann geschlossen werden, dass eine tragfähige LSB ein wichtiges Fundament für die Wirksamkeit evidenzbasierter Maßnahmen zur Verhaltensförderung (Fabiano und Pyle 2019; Waschbusch et al. 2019) sein dürfte, auch wenn die Effektgrößen nur als schwach bis mittel (Fragestellung 2) bzw. sehr gering (Fragestellung 3) beurteilt wurden. Die Effektivität von Konzepten zur Verhaltensunterstützung darf daher nicht losgelöst von dem Verhältnis von Lehrkraft und Schulkind betrachtet werden.

Evaluationen konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der LSB liegen zum aktuellen Zeitpunkt kaum vor. In einer niederländischen Interventionsstudie von Spilt et al. (2012) reflektierten Lehrkräfte (n = 32) zunächst ihre Beziehung zu einem Schulkind (mit Verhaltensproblemen) in einem strukturierten Interview. Anschließend wurden die berichteten Aussagen zur LSB anhand von Videosequenzen analysiert. Außerdem wurde ein Beziehungsprofil zur Darstellung von Stärken und Schwächen in verschiedenen Beziehungsbereichen (Perspektivübernahme, Bedürfniserkennung, erlebte Hilflosigkeit, Emotionalität etc.) erstellt. Auf dieser Basis wurden Ziele in ausgewählten Bereichen zur Verbesserung der LSB aufgestellt und entsprechende Interventionen durchgeführt. Für etwa ein Drittel der Lehrkraft-Schulkind-Dyaden ergab sich eine Verbesserung der Beziehungsnähe, die jedoch nicht signifikant war. Außerdem moderierte die Selbstwirksamkeitserwartung der Lehrkräfte (Beeinflussung der Kinder in den Bereichen Lernen und Verhalten) den Rückgang von Konflikten.

Auch das Konzept der Banking Time (Vogel 2019), bei dem (knapp zusammengefasst) Kinder mit Verhaltensproblemen in verbindlich festgelegten Zeitfenstern im bewertungsfreien Einzelsetting erleben, dass die Lehrperson zuverlässig für sie da ist und sich für ihr Tun interessiert, stellt ein vielversprechendes Konzept zur Förderung der LSB dar. Eine US-amerikanische Untersuchung mit 116 Kindern von Driscoll und Pianta (2010) deutet auf eine deutliche Verbesserung der LSB im Vergleich mit einer Kontrollgruppe hin. Umfangreiche Untersuchungen in Deutschland stehen jedoch noch aus.