1 Einleitung

Nicht nur Schülerinnen und Schüler machen Fehler im Unterricht – auch Lehrkräfte. Die Vorstellung, dass Lehrkräfte alles wissen und können (müssen), ist eine Idealvorstellung, die auch in den Köpfen von Lehramtsstudierenden (im Folgenden: angehende Lehrkräfte) verbreitet sein dürfte. Vor dem Hintergrund komplexer Anforderungen und dynamischer (Anpassungs‑)Prozesse im Unterricht ist aber fehlerfreies Unterrichten – gerade für Studienanfängerinnen und -anfänger ohne ein routiniertes Handlungsrepertoire – kaum umsetzbar (vgl. Berliner 2001; Doyle 2006).

Dass Fehler durchaus ein wichtiges Lernpotential in den unterschiedlichsten Berufskontexten besitzen, wurde bereits vielfach aufgezeigt (Bauer et al. 2004; Farnese et al. 2020; Oser und Spychiger 2005; Rybowiak et al. 1999). Der damit verbundene Wissens- und Kompetenzaufbau dürfte auch von besonderer Relevanz für die Ausbildung von Unterrichtsexpertise im Lehramtsstudium sein (vgl. Böhnke und Thiel 2016). Hier verweisen Lutovac und Flores (2021) darauf, dass Fehlererfahrungen maßgeblich zur Entwicklung der zukünftigen Lehrkraftrolle von angehenden Lehrkräften beitragen. Diese beeinflussen u. a. ihre Instruktionsstrategien, aber auch ihre Einstellung zu Fehlern, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht machen. Letzteres steht im Zusammenhang mit der Fehlerkultur in den Schulen und damit der Fähigkeit, ein lernförderliches Unterrichtsklima herzustellen. Offenbar sind Lehrkräfte, die selbst Fehler machen und offen darlegen, toleranter gegenüber dem Fehlermachen ihrer Schülerinnen und Schüler und geben konstruktive Rückmeldungen (siehe Fehlerfreundlichkeit von Lehrkräften; Kreutzmann et al. 2014). Hier zeigen sich Zusammenhänge mit der Lernfreude, Selbstwirksamkeitserwartungen und Anstrengungsbereitschaft von Schülerinnen und Schülern (Kreutzmann et al. 2014).

Eine positive Einstellung zu Fehlern im Lehramtsstudium zu gewinnen, ist daher in vielfacher Weise bedeutsam. Gerade zu Studienbeginn sind Einstellungen und motivationale Orientierungen von angehenden Lehrkräften jedoch vorrangig von Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit geprägt, die sich im Zuge des Wissens- und Kompetenzerwerbs im Verlauf des Studiums verändern können (siehe Kunina-Habenicht 2020). Im Hinblick auf die Einstellung zu Fehlern (Fehlerorientierung) ist das erste Studienjahr besonders interessant, da sich die angehenden Lehrkräfte im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen erstmals mit der professionellen Lehrkraftrolle auseinandersetzen, sich fachdidaktisches und pädagogisch-psychologisches Wissen zum Handeln im Unterricht aneignen und in einer ersten Praxisphase die Gelegenheit haben, sich in der professionellen Lehrkraftrolle einzuüben.

In der Praxisphase beobachten die angehenden Lehrkräfte den Unterricht ihrer Mentorinnen und Mentoren und führen erste eigene Unterrichtseinheiten durch. Dabei können eigene Fehler aufgrund von Handlungsunsicherheiten auftreten, aber auch Fehler bei einer anderen Lehrkraft beispielsweise im Umgang mit Störungen beobachtet werden. Letztere werden von Oser (2009) auch als stellvertretende Fehler (advokatorische Fehler) bezeichnet, die durch den Aufbau von Fehlerwissen dennoch ein erhebliches Lernpotential in sich bergen (vgl. auch Hascher und Kaiser 2015). Entscheidend ist, wie die angehenden Lehrkräfte misslungene Situationen respektive Fehlersituationen im Unterricht für sich bewerten. Werden Fehler als Misserfolge interpretiert oder dienen sie als Lerngelegenheit, die den Aufbau einer professionellen Handlungskompetenz im Lehrberuf und die Entwicklung der eigenen Lehrkraftrolle befördern können?

Dass eigene Fehler im Unterricht belastend sein können und mit negativen Emotionen wie (Versagens‑)Angst, Scham und Schuld verbunden sind, haben bereits einige Studien aufgezeigt (z. B. Böhnke 2018; Weingardt 2014). Vorstellbar ist, dass auch advokatorische Fehler ein Gefühl der (Fremd‑)Scham auslösen können, das sich negativ auf das eigene Wohlbefinden auswirkt. Im Umgang mit Belastungen und Stress im Lehrberuf hat sich die Lehrkraftselbstwirksamkeit als entscheidender Resilienzfaktor erwiesen (z. B. Schmitz und Schwarzer 2000; Skaalvik und Skaalvik 2010; Zee und Koomen 2016). Inwiefern sie als Coping-Ressource im Umgang mit Fehlern dienen kann, ist jedoch kaum untersucht. Ebenso gibt es in diesem Zusammenhang bislang keine empirischen Befunde zur Entwicklung der Fehlerorientierung bei angehenden Lehrkräften. Gegenstand dieses Beitrags ist daher die Untersuchung der (lernorientierten) Fehlerorientierung und ihrer Veränderung im Lehramtsstudium im Zusammenhang mit der Lehrkraftselbstwirksamkeit.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Lernen aus Fehlern

Aus Fehlern zu lernen, beinhaltet im Kern den Aufbau Negativen Wissens und die Korrektur des Fehlers (Oser et al. 1999). Negatives Wissen verstehen Oser und Kolleginnen (1999) als Fehlerwissen. Fehlerwissen beinhaltet gespeicherte Informationen darüber, was in einer Situation als unangemessen und/oder falsch gilt (Hascher 2016). Negatives Wissen bildet quasi das Gegenstück zu Positivem Wissen – Wissen darüber, was richtig ist bzw. der Norm entspricht (Hascher 2016).

Oser (2009) unterscheidet vier Formen Negativen Wissens:

  • Wissen, wie etwas nicht ist (deklaratives Negatives Wissen),

  • Wissen, wie etwas nicht funktioniert (prozedurales Negatives Wissen),

  • Wissen, welche Strategien nicht zur Lösung führen (strategisches Negatives Wissen),

  • Wissen, welche Konzepte oder Theorien falsch sind, weil sie zu falschen Ergebnissen führen (konzeptuelles Negatives Wissen).

Negatives Wissen formiert sich über (Praxis‑)Erfahrungen und übt eine wesentliche Schutzfunktion aus. So kann die Erinnerung an die Folgen eines begangenen Fehlers – ob eigene oder advokatorische – im besten Fall das erneute Fehlermachen verhindern. Durch den Aufbau Negativen Wissens in universitären Lehrveranstaltungen (z. B. durch Rollenspiele oder Micro-Teaching) und Praxisphasen in Schulen erhöht sich somit die Sicherheit für zukünftiges kompetentes Handeln im Unterricht (vgl. Oser 2015).

Gemeinhin geht es bei Fehlern im Unterricht um Handlungen, die das intendierte Unterrichtsziel verfehlen (Böhnke 2018). Fehlersituationen sind oftmals durch dysfunktionale Unterrichtsverläufe gekennzeichnet: z. B. die unangemessene Reaktion der Lehrkraft im Konflikt mit einer Schülerin oder Schüler – dazu zählen auch fundamentale Attributionsfehler (vgl. Ross und Nisbett 1991), der didaktisch ungünstige Einsatz einer Unterrichtsmethode oder ein fehlgeschlagenes Zeitmanagement, ein eingeschränktes Monitoring des Verhaltens der Schülerinnen und Schülern sowie Schwierigkeiten bei der Herstellung eines lernförderliches Unterrichtsklimas (vgl. Böhnke und Thiel 2016; Kumschick et al. 2020). Was konkret als Fehler im Unterricht wahrgenommen wird, unterliegt dabei der subjektiven Einschätzung (Bewertung) der angehenden Lehrkräfte (vgl. Bauer et al. 2004). In diesem Zusammenhang kann das im ersten Studienjahr in den universitären Lehrveranstaltungen vermittelte deklarative und prozedurale Wissen als Handlungsrahmen für kompetentes Lehrkrafthandeln angesehen und zur Fehleridentifikation herangezogen werden. Die Identifikation eines Fehlers stellt eine wesentliche Voraussetzung für das Lernen aus Fehlern (auch fehlerbasiertes Lernen) dar (Oser und Spychiger 2005). Doch hier dürfte auch die Schwierigkeit für die angehenden Lehrkräfte liegen. Während es beispielsweise in der Medizin klar definiert ist, was richtig oder falsch ist, und negative Konsequenzen wie z. B. der Tod eines Patienten aufgrund eines Behandlungsfehlers unmittelbar erfahrbar sind, lassen sich Fehler im Unterricht gerade für angehende Lehrkräfte nicht immer eindeutig zuordnen bzw. wahrnehmen (vgl. Seifried et al. 2015). Vielmehr können Fehler im Unterricht im Rahmen des Erwerbs einer professionellen Handlungskompetenz als Kontinuum von mehr oder weniger angemessenen Handlungsweisen interpretiert werden.

Inwieweit angehende Lehrkräfte im ersten Studienjahr mit Blick auf Osers vier beschriebenen Wissensformen auf strategisches (negatives) Wissen (z. B. adäquate Einsatz störungspräventiver und -intervenierender Handlungsstrategien im Unterricht) und konzeptuelles (negatives) Wissen (z. B. Wissen über unterschiedliche Niveaus an Störungsinterventionen) zur Fehleridentifikation zurückgreifen können, ist unklar. Es wird angenommen, dass sich diese beiden Wissensfacetten erst durch Praxiserfahrungen in den Schulen formieren (vgl. Mertens und Gräsel 2018). Die Befunde über den Beitrag von Praxisphasen sind zwar uneinheitlich, das strategische (negative) Wissen und das konzeptuelle (negative) Wissen dürfte jedoch bei den angehenden Lehrkräften im ersten Studienjahr am geringsten ausgeprägt sein (vgl. Kunina-Habenicht 2020).

Ob aus (misslungenen) Unterrichtssituationen gelernt wird, ist neben der vorangestellten Identifizierung der Fehlersituation letztlich abhängig von der individuellen Bewertung des Fehlers durch die angehenden Lehrkräfte.

2.2 Lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht

Ein Fehler im Unterricht kann als stressauslösendes Ereignis angesehen werden (Kumschick et al. 2020). Aus bewertungstheoretischer Sicht sind dabei folgende Fragen zentral: Ist der Fehler relevant für einen selbst, welche individuellen Konsequenzen ergeben sich (z. B. persönliche Ziele werden nicht erreicht) und wie wirkt sich der Fehler auf das eigene (emotionale) Wohlbefinden aus (siehe Appraisal-Theorien; z. B. Moors et al. 2013)? Lazarus und Folkman (1984) beschreiben diesen kognitiven Bewertungsprozess in ihrem Transaktionalen Stressmodell auch als „Primary Appraisal“. Je nach Ergebnis dieses Bewertungschecks, können Fehler als Lerngelegenheit im Sinne einer Herausforderung oder als Bedrohung im Sinne von Misserfolg angesehen werden. Hierbei spielt das individuelle Stresserleben und die damit verbundenen Emotionen eine wesentliche Rolle. Weshalb sich hierin auch bedeutsame inter-individuelle Unterschiede in der Reaktion auf die Fehlersituation bei den angehenden Lehrkräften zeigen können (vgl. Moors et al. 2013).

Dass Fehlersituationen individuell durchaus unterschiedlich bewertet werden und daher in einem unterschiedlichen Ausmaß einen Lernanlass darstellen, konnte Bauer (2008) im Rahmen seiner Untersuchung von Pflegekräften und deren Engagements in soziale Lernaktivitäten (z. B. Austausch mit Kolleginnen und Kollegen über neue Handlungsstrategien) nach dem Auftreten eines Fehlers aufzeigen. Unterschiede zeigten sich zum Beispiel in den Motiven der Pflegekräfte: Die Tendenz Fehler zu verbergen, führte eher nicht zu sozialen Lernaktivitäten, während die lerndienliche Einschätzung der Fehlersituation den Austausch förderte.

Eine lernorientierte Bewertung von Fehlern ist für den Aufbau und die Weiterentwicklung von Handlungskompetenzen im Lehrberuf entscheidend. Charakteristisch für eine lernorientierte Bewertung von Fehlern ist, dass die (angehende) Lehrkraft Fehler als lerndienlich ansieht. Sie für die persönliche Weiterentwicklung bereit ist, einen Fehler im Unterricht zu riskieren, d. h. offen gegenüber dem Fehlermachen ist. Sie zudem davon ausgeht, über Strategien zu verfügen, um mit Fehlern im Unterricht umzugehen (Böhnke und Thiel 2016). Eine lernorientierte Bewertung ist daher der erste Schritt im Rahmen von fehlerbasiertem Lernen, die dem tatsächlichen Umgang mit Fehlern vorgeschaltet ist (vgl. Bauer et al. 2004).

Nach Oser et al. (1999) enthält grundsätzlich jeder Fehler ein Lernpotential. Wesentlich sind die im Rahmen einer lernorientierten Bewertung von Fehlern angestoßenen Reflexionsprozesse über die Ursachen von Fehlern, die es im Fortgang ermöglichen, bestehende Wissensstrukturen zu modifizieren (kognitive Perspektive, vgl. Kolodner 1983) und alternative Handlungsstrategien zu entwickeln und in der Praxis zu erproben (handlungstheoretische Perspektive, z. B. Gruber 1999). Lernen aus Fehlern ist letztlich Erfahrungslernen – darin eingeschlossen auch das Lernen durch Beobachtung als indirekte Erfahrungsquelle –, das mit dem Aufbau von Negativem Wissen einhergeht (vgl. Bauer et al. 2004). Baumert und Kunter (2006) sehen (praktisches) Wissen und Können als zentrale Komponenten einer professionellen Handlungskompetenz von Lehrkräften. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Professionswissen. Das umschließt pädagogisches Wissen (z. B. Wissen über effektive Klassenführung, Unterrichtsmethoden), Fachwissen (vertieftes fachliches Hintergrundwissen) und fachdidaktisches Wissen (Wissen darüber, wie fachliche Inhalte adäquat vermittelt werden) (Kunter und Pohlmann 2015). Der Aufbau Negativen Wissens in eben diesen Bereichen kann als eine Art Vorläuferkompetenz im Rahmen der Entwicklung einer professionellen Handlungskompetenz im Lehrberuf angesehen werden (vgl. Hascher und Kaiser 2015), der eine lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht zugrunde liegt.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung von Praxisphasen im Lehramtsstudium konnten Kumschick et al. (2018) nach dem Praxissemester eine Zunahme der lernorientierten Bewertung von Fehlern bei den angehenden Lehrkräften belegen. Dies kann als Indikator dafür gelten, dass die Praxiserfahrungen der angehenden Lehrkräfte im ersten Studienjahr ebenfalls zu einem Anstieg in der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht führen. Zum einen, weil das erstmalige Erkunden des beruflichen Umfeldes aus Lehrkraftperspektive mit dem (Handlungs‑)Wissen aus den universitären Lehrveranstaltungen, den Blick auf das unterrichtliche Handeln verändern dürfte, so dass idealtypische Vorstellungen – Fehler dürfen nicht im Unterricht passieren – revidiert werden könnten. Zum anderen das in den Fehlersituationen inhärent liegende Lernpotential z. B. durch Feedback-Gespräche mit den Mentorinnen und Mentoren erkannt wird (vgl. Hascher und Kaiser 2015). Empirische Belege dafür gibt es jedoch kaum. Hinsichtlich des Aufbaus Negativen Wissens im Rahmen universitärer Lerngelegenheiten und schulischer Praxisphasen könnte zudem angenommen werden, dass die (kumulativ) gemachte Erfahrung, etwas aus misslungenen Unterrichtssituationen gelernt zu haben – und sei es zunächst nur den Fehler nicht zu wiederholen –, sich positiv auf die Einstellung zu Fehlern auswirkt, was sich wiederum in einem Anstieg der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht widerspiegeln würde.

Mit Blick auf die Entwicklung einer professionellen Handlungskompetenz zeigten Kumschick et al. (2020) zudem, dass die lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht nach dem Praxissemester bedeutsam positiv mit der wahrgenommenen Unterrichtskompetenz (Planung, Durchführung, Reflexion) der angehenden Lehrkräfte zusammenhing. Während sich für die wahrgenommene Belastung durch Fehler bedeutsame negative Effekte auf die wahrgenommene Unterrichtskompetenz zeigten.

Fehlersituationen werden oft als belastend erlebt (Gully et al. 2002). Welche Rolle die Lehrkraftselbstwirksamkeit im Umgang mit diesen Belastungssituationen möglicherweise spielen kann, soll im Folgenden aufgezeigt werden.

2.3 Selbstwirksamkeitserwartungen als Coping-Ressource im Rahmen einer lernorientierten Bewertung von Fehlern

Ob Fehler als lerndienlich eingeschätzt werden, hängt laut Böhnke und Thiel (2016) neben individuellen und institutionellen u. a. auch von motivationalen Faktoren ab. Die Selbstwirksamkeitserwartung von (angehenden) Lehrkräften in der Praxis wird nicht nur als motivationale Einflussgröße, sondern auch als relevante Coping-Ressource im Zusammenhang mit einer lernorientierten Bewertung von Fehlern diskutiert (Böhnke und Thiel 2016; Rybowiak et al. 1999).

Lazarus und Folkman (1984) definieren Coping als einen regulativen Prozess der Stressbewältigung. Das umfasst den Umgang einer Person mit der für sie als subjektiv stressig, belastend und bedrohlich wahrgenommenen Situation unter Berücksichtigung ihrer verfügbaren sozialen und personalen Ressourcen. In ihrem Transaktionalen Stressmodell unterscheiden Lazarus und Folkman (1984) zwei Coping-Formen. Der problemorientierte Umgang mit Stress rückt das Problem selbst in den Mittelpunkt, dies kann entweder aktiv gelöst (funktionale Bewältigungsstrategie) oder ignoriert werden (dysfunktionale Bewältigungsstrategie). Im Kern geht es um die Veränderung der Situation durch die eigene Person. Während der emotionsbezogene Umgang das eigene Wohlbefinden in den Fokus rückt. Die Stresssituation kann z. B. durch positives Denken (funktional) bewältigt werden. Hier wird der Bezug zur Situation geändert, aber nicht die Situation selbst.

Schwarzer und Knoll (2003) haben den Coping-Ansatz von Lazarus und Folkman dahingehend erweitert, dass sie auch Coping-Strategien in den Blick nehmen, bei denen das auslösende Ereignis (Stressor) in der Zukunft liegt und von der Person nicht vordergründig als Belastung wahrgenommen wird, sondern eher als Herausforderung.

Sie beschreiben vier Formen der Stressbewältigung (Coping): reaktives Coping (Bewältigung von bereits eingetretenen Ereignissen), antizipatorisches Coping (Bemühung, mit einer unmittelbar bevorstehenden Bedrohung umzugehen), proaktives Coping (Bestreben, Ressourcen aufzubauen, die dem Erreichen von herausfordernden (Lebens‑)Zielen und der persönlichen Entwicklung dienen), präventives Coping (Aufbau von Widerstandsressourcen, um das künftige Stresserleben zu vermindern). Hier zeigen sich fruchtbare Ansätze für die Nutzbarmachung des Konzepts der Selbstwirksamkeit als Coping-Ressource (vgl. Lazarus und Folkman 1984; Schwarzer und Knoll 2003).

Selbstwirksame Lehrkräfte sind der Überzeugung, auch mit schwierigen beruflichen Anforderungen bzw. stressbehafteten Situationen umgehen zu können und dennoch ihre Ziele zu erreichen (Bandura 1977, 1993; Schwarzer und Hallum 2008). Böhnke und Thiel (2016) subsumieren unter solch schwierigen beruflichen Situationen auch Fehler, die im Rahmen einer misslungenen Unterrichtssituation auftreten können. Derartige Situationen werden von (angehenden) Lehrkräften mit einer hohen Selbstwirksamkeit bzw. hohen Kompetenzerwartung eher als Herausforderung denn als Bedrohungslage bewertet (vgl. Luszczynska et al. 2005). Dies wirkt sich positiv auf ihr Stresserleben aus. Einhergehend mit einem verminderten Belastungserleben werden negative Emotionen, wie sie in Leistungskontexten oftmals in Form von (Versagens‑)Angst vorkommen (Weinert 1999), in einem geringeren Ausmaß erlebt (Bandura 1993). Zwar verweisen Spychiger et al. (2006) darauf, dass ein gewisses Maß an Angst notwendig ist, um sich überhaupt (positiv) mit Fehlern zu beschäftigen, ein Übermaß wirke sich jedoch dysfunktional auf die Leistung aus. Hohe Selbstwirksamkeitserwartungen, die präventiv gegen Stress und einhergehende Ängste wirken, könnten sich daher positiv auf eine lernorientierte Bewertung von Fehlern auswirken.

Neben dem präventiven Aspekt führt Bandura (1993) mit Blick auf ein reaktives Coping zudem an, dass sich selbstwirksame Lehrkräfte schneller von Rückschlägen erholen und ihre Anstrengungen angesichts von aufgetretenen Fehlern sogar noch erhöhen würden. Dies könnte im Kontext der universitären Ausbildung bedeuten, dass selbstwirksame angehende Lehrkräfte Zeit und Mühe aufwenden, nach den Ursachen einer misslungenen Unterrichtssituation zu forschen, ihre eigenen Handlungsstrategien oder die ihrer Mentorinnen und Mentoren zu reflektieren und nach Handlungsalternativen zu suchen, um zukünftig kompetenter zu handeln. Ausgangspunkt für den Reflexionsprozess wäre auch hier zunächst die Identifikation eines Fehlers und die Bewertung, dass Fehler lerndienlich sind. Eine lernorientierte Bewertung von Fehlern könnte in diesem Zusammenhang daher resultieren, dass sich selbstwirksame angehende Lehrkräfte Fehlersituationen stellen und diese nicht als bedrohlich empfinden, weil sie zum einen der Überzeugung sind, über die notwendigen (Handlungs‑)Fähigkeiten und Ressourcen zu verfügen, um mit dieser herausfordernden Situation umzugehen, und zum anderen in der Ausschöpfung des Lernpotentials eines Fehlers möglicherweise ein Mittel sehen, um ihre individuellen (Entwicklungs‑)Ziele zu erreichen. Dies würde für ein proaktives Coping sprechen (vgl. Schwarzer und Knoll 2003). Hierin könnte sich auch der unrealistische Anspruch widerspiegeln, bereits in dem frühen Stadium der universitären Ausbildung einen weitestgehend (fach-)didaktisch fehlerfreien Unterricht zu gestalten. So verweisen Schwarzer und Jerusalem (2002) darauf, dass sich selbstwirksame Personen höhere Ziele setzen als nicht selbstwirksame Personen.

Anzunehmen ist, dass hohe Selbstwirksamkeitserwartungen in ihrer Funktion als Coping-Ressource einen positiven Effekt auf eine lernorientierte Bewertung von Fehlern haben. Darauf deuten auch die Ergebnisse von Böhnke und Thiel (2016) hin. Die Autorinnen wiesen einen positiven Zusammenhang der Lehrkraftselbstwirksamkeit von angehenden Lehrkräften mit der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht nach. Dabei wurde die Lehrkraftselbstwirksamkeit in den drei zentralen Anforderungsbereichen des Unterrichtens untersucht: Instruktion, Klassenmanagement und Motivierung der Schülerinnen und Schüler (zu den drei Basisanforderungen des Unterrichtens siehe Ophardt und Thiel 2013). Laut Bandura (1997) kann die Lehrkraftselbstwirksamkeit je nach Anforderungsbereich variieren. In der Forschung wurde lange diskutiert, ob bereits Lehramtsstudierende zu Beginn ihrer Ausbildung diese Anforderungsbereiche hinsichtlich ihrer wahrgenommenen Selbstwirksamkeit unterscheiden können (z. B. Duffin et al. 2012). Pfitzner-Eden et al. (2014) konnten dies in ihrer Validierungsstudie mit dem Einsatz ihres adaptierten Instruments der Teachers’ Sense of Efficacy Scale von Tschannen-Moran und Woolfolk Hoy (2001) für angehende Lehrkräfte nachweisen. Auch die aktuellen Befunde von Mang et al. 2022 deuten darauf hin, dass die Lehrkraftselbstwirksamkeit angehender Lehrkräfte je nach Anforderungsbereich des Unterrichtens variiert und sich domänenspezifisch entwickelt.

Während die Lehrkraftselbstwirksamkeit bei angehenden Lehrkräften in Quer- und Quasi-Längsschnittstudien im Prä-Post-Design bereits in Teilen gut untersucht ist (im Überblick siehe Bach 2022) – wenngleich sich Limitationen mit Blick auf die curriculare Standortspezifität und die Erfassung unterschiedlicher Domänen von Selbstwirksamkeit ergeben, bedarf es weiterer systematischer Längsschnittstudien im Rahmen latenter Veränderungsmessungen der Lehrkraftselbstwirksamkeit (z. B. Pfitzner-Eden 2016), um einen genaueren Einblick in die Entwicklung der Lehrkraftselbstwirksamkeit im Verlauf des Studiums zu erhalten (vgl. Bach 2022). Demgegenüber steht jedoch eine längsschnittliche Betrachtung der Entwicklung einer lernorientierten Bewertung von Fehlern bei angehenden Lehrkräften und der Zusammenhang mit ihrer wahrgenommenen Selbstwirksamkeit derzeit noch gänzlich aus.

3 Vorliegende Studie

Ziel dieses Beitrags ist es, zu untersuchen, wie sich die lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht innerhalb des ersten Studienjahres bei den angehenden Lehrkräften verändert und ob sich darauf ein positiver Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit zeigt.

Bislang gibt es im Kontext des Lehrberufs kaum belastbare empirische Studien, die sich mit der Fehlerorientierung und ihrem Beitrag zum Aufbau einer professionellen Handlungskompetenz beschäftigen. Auf die Entwicklung der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht und ihr Anstieg während einer fünfmonatigen Praxisphase verweist lediglich eine Studie (Kumschick et al. 2018). Unter Berücksichtigung dieses empirischen Befundes und theoretischer Vorüberlegungen zum Aufbau Negativen Wissens in universitären Lern- und Praxisphasen innerhalb des ersten Studienjahres wird angenommen, dass sich bei angehenden Lehrkräften ein Anstieg in der lernorientierten Bewertung von Fehlern beobachten lässt.

H 1:

Für angehende Lehrkräfte im Bachelor zeigt sich innerhalb des ersten Studienjahres ein Anstieg in der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht (intra-individuelle Veränderungen).


Für den Pflegebereich konnte Bauer (2008) aufzeigen, dass Fehlersituationen von den Pflegekräften individuell unterschiedlich bewertet und in einem unterschiedlichen Ausmaß als lerndienlich angesehen wurden. Daraus lässt sich folgende Hypothese ableiten:

H 2:

Intra-individuelle Veränderungen im Rahmen der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht variieren zwischen den angehenden Lehrkräften im ersten Studienjahr (inter-individuelle Unterschiede).


Fehlersituationen können belastend sein (Gully et al. 2002). Als eine relevante Bewältigungsressource im Umgang mit Belastungen wird die Lehrkraftselbstwirksamkeit angesehen (Zee und Koomen 2016). Böhnke und Thiel (2016) konnten in ihrer Studie zur Untersuchung der Fehlerorientierung bei angehenden sowie praktizierenden Lehrkräften positive Zusammenhänge mit der Lehrkraftselbstwirksamkeit nachweisen.

Als Coping-Ressource könnte eine hohe Selbstwirksamkeit zu Beginn des Studiums zum einen dazu beitragen, Fehlersituationen in situ besser zu bewältigen, und zum anderen bedingen, dass sich die angehenden Lehrkräfte schneller von Rückschlägen wie missglückten Unterrichtssituationen erholen (vgl. Bandura 1993).

Dies könnte den Weg dafür ebnen, dass die angehenden Lehrkräfte auftretende Fehler eher als Lernanlass bzw. Motor für Entwicklungsprozesse betrachten, was sich in der Folge positiv auf die Veränderung der lernorientierten Bewertung von Fehlern auswirken könnte.

H 3:

Die wahrgenommene Lehrkraftselbstwirksamkeit der angehenden Lehrkräfte in den Bereichen der Instruktion, des Klassenmanagements und der Motivierung der Schülerinnen und Schüler zu Beginn ihres Bachelorstudiums hat einen signifikanten positiven Effekt auf die Veränderung ihrer lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht.

4 Methode

4.1 Stichprobe und Prozedere

Die Daten der vorliegenden Längsschnittuntersuchung stammen aus einer im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ an einer großen lehrkräftebildenden Universität durchgeführten Befragung. Die erste Erhebung fand zu Beginn des Bachelor-Studiums im Wintersemester 2016/2017 während der Einführungsvorlesung statt (T1; N = 676). Die zweite Erhebung wurde am Ende des zweiten Fachsemesters im Rahmen der praxisbegleitenden Seminare durchgeführt, nachdem die angehenden Lehrkräfte ein vierwöchiges Schulpraktikum absolviert hatten (T2; N = 465). Der Fokus des Praktikums lag auf der Unterrichtshospitation. Die angehenden Lehrkräfte hatten jedoch auch die Gelegenheit, bereits eigene Unterrichtseinheiten in Anwesenheit ihrer Mentorinnen und Mentoren durchzuführen. Die Erhebungen fanden im Paper-Pencil-Format statt. Am häufigsten wurden die Unterrichtsfächer Deutsch (n = 400), Mathe (n = 320), Geschichte (n = 121) und Biologie (n = 106) von den Erstsemestern studiert. Lehrende Tätigkeiten übten bereits 154 der angehenden Lehrkräfte vor dem Studium aus. Am häufigsten wurde hier Nachhilfe genannt (n = 68).

Laut Studienverlaufsplanung sollten die angehenden Lehrkräfte in der vierwöchigen Praxisphase (ca. 90 h) zunächst einen Einblick in das zukünftige Aufgaben- und Berufsfeld erhalten. Dazu zählt eigene Unterrichtsaktivitäten mit Unterstützung der Mentorinnen und Mentoren vorzubereiten, durchzuführen und anschließend zu reflektieren. Zweitens ihr theoretisch erworbenes Wissen in der Vorlesung sowie Seminar mit Praxisbeobachtungen und -erfahrungen zu verknüpfen. Für die systematische Beobachtung wurde ein Unterrichtsbeobachtungsbogen mit Merkmalen zur Unterrichtsqualität eingesetzt. Die Beobachtungen wurden anschließend im Seminar besprochen und im Praktikumsbericht zusammengefasst und reflektiert. Drittens sollten die angehenden Lehrkräfte ihre Berufswahlmotive vor dem Hintergrund beruflicher Anforderungen und eigener Ressourcen und Ziele kritisch reflektieren.

4.2 Stichprobenausfälle

Ausgehend von 901 immatrikulierten angehenden Lehrkräften nahmen 75 % freiwillig zu T1 teil. Effekte von Selbstselektion zu T1 sind zu vernachlässigen, da davon auszugehen ist, dass die Studierenden zufällig während der Datenerhebung fehlten. Die Rücklaufquote zu T1 ist damit vergleichbar zu denen in anderen Studien, die angehende Lehrkräfte befragten (z. B. Garvis et al. 2012; 76 %). Die Rücklaufquote von T1 zu T2 lag bei 69 % und unter Berücksichtigung der Teilnehmenden, die zu beiden Messzeitpunkten teilnahmen („Matches“) bei 37 %. Studien wie die von Pfitzner-Eden (2016) verweisen auf ähnlich hohe Rücklaufquoten (60 % bzw. 32 %). Tab. 1 zeigt die deskriptiven Befunde für die Längsschnittstichprobe. Um systematische Ausfälle (attrition bias) zu testen, wurden T1-Merkmale mit Studierenden, die zu beiden Messzeitpunkten teilnahmen und solchen, die zu T2 ausschieden, verglichen (vgl. Pfitzner-Eden 2016). Für die beiden Subdimensionen der Lehrkraftselbstwirksamkeit – Instruktion und Klassenmanagement – zeigten sich keine signifikanten Unterschiede; ebenso nicht für das Geschlecht und die Wahl des Studiengangs (Lehramt Grundschulpädagogik vs. Integrierte Sekundarschule/Gymnasium) (ps > 0,05). Während ältere Studierende und Studierende, die zu T1 einen höheren Mittelwert in der Dimension der Motivierung der Schülerinnen und Schüler und der lernorientierten Bewertung von Fehlern aufwiesen, eher überzufällig ausschieden. Ein systematischer Drop-out wird dennoch nicht angenommen. Vielmehr werden organisatorische Gründe vermutet (z. B. Belegung des Seminars zu einem späteren Zeitpunkt), die zu dem Drop-out führten.

Tab. 1 Beschreibung der Längsschnittstichprobe

4.3 Instrumente

Lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht.

Die lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht ist eine Subdimension des von Böhnke und Thiel (2016) entwickelten Instruments zur Erfassung der Fehlerorientierung von angehenden Lehrkräften (Lehramtsstudierende/Referendarinnen und Referendare) sowie Lehrkräften in der Praxis. Die Subdimension lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht umfasst die drei Subfacetten Lernen aus Fehlern (Bsp.: „Aus eigenen Fehlern habe ich schon viel für die Optimierung meines Unterrichts gelernt.“), Fehlerkompetenz (Bsp.: „Ich habe Strategien, um auf kleinere Fehler im Unterricht spontan zu reagieren.“) und Risikobereitschaft (Bsp.: „Lieber mache ich einen Fehler, als gar nicht zu handeln.“) und besteht aus insgesamt neun Items (T1: α = 0,81, T2: α = 0,82). Die Antworten wurden auf einer 6‑stufigen Skala eingeschätzt (1 = trifft gar nicht zu, 6 = trifft vollkommen zu).

Lehrkraftselbstwirksamkeit.

Die Lehrkraftselbstwirksamkeit wurde mit dem Instrument von Pfitzner-Eden et al. (2014) erfasst. Die Skala besteht aus drei Subdimensionen mit je vier Items: Instruktion (Bsp.: „Wie überzeugt sind Sie davon, dass Sie angemessene Herausforderungen für leistungsstarke Schüler schaffen können?“, T1: α = 0,76, T2: α = 0,70), Klassenmanagement (Bsp.: „… störendendes Verhalten im Unterricht kontrollieren können?“, T1: α = 0,90, T2: α = 0,89) und Motivierung der Schülerinnen und Schüler (Bsp.: „… Schüler, die wenig Interesse am Unterricht haben, motivieren können?“, T1: α = 0,82, T2: α = 0,82). Die Antworten wurden auf einer 9‑stufigen Skala gegeben (1 = trifft gar nicht zu, 9 = trifft vollkommen zu).

Unterrichtserfahrung vor Studienbeginn.

Die Unterrichtserfahrung im Rahmen von lehrenden Tätigkeiten vor dem Studium wurde mit einem globalen Item dichotom erhoben („Haben Sie vor Ihrem Studium bereits lehrende Tätigkeiten ausgeübt?“) und anschließend rekodiert (0 = nein, 1 = ja).

4.4 Analysen

Die Auswertung der Längsschnittdaten erfolgte mittels Latent Change (LC-)Analysen (siehe Latent True Change (LTC-)Modelle; Steyer et al. 1997) mit RStudio (Version 1.1.456). LTC-Modelle basieren auf dem Ansatz von Strukturgleichungsmodellen (SEM) und erlauben es, inter-individuelle Unterschiede in intra-individuellen Veränderungen auf messfehlerfreier Ebene zu analysieren (Steyer et al. 1997; Geiser 2011). Dabei werden die Veränderungen über latente Differenzvariablen modelliert, die die „wahren“ Mittelwertsunterschiede von T1 zu T2 abbilden (siehe Abb. 1Footnote 1). Im Rahmen des SEM-Ansatzes kann die latente Differenzvariable nicht nur als exogene, sondern auch als endogene Variable fungieren, d. h. durch andere Einflussgrößen wie z. B. der Lehrkraftselbstwirksamkeit vorhergesagt werden.

Abb. 1
figure 1

Latent True Change Modell für die lernorientierte Bewertung von Fehlern (BEW). Je Messzeitpunkt wird das latente Konstrukt über drei Indikatoren abgebildet: LF Lernen aus Fehlern, FK Fehlerkompetenz, RB Risikobereitschaft. Der erste Index bezieht sich auf die Anzahl der Indikatoren, der zweite Index auf den Messzeitpunkt. λ1, 2, 3 = (invariante) Faktorladung für den jeweiligen Indikator

Eine wesentliche Voraussetzung für die LC-Analysen ist die Invarianztestung der Messmodelle und Überprüfung indikatorspezifischer Effekte, die durch die Messwiederholung gleicher Indikatoren über die Zeit auftreten können (Geiser 2011). Für den Vergleich der latenten Mittelwerte sollte skalare Invarianz über die Zeit vorliegen (z. B. Steyer et al. 1997). In einer Reihe von Invarianztests wurde zunächst schrittweise geprüft, ob konfigurale (gleiche Faktorstruktur) und metrische Invarianz (gleiche Faktorladungen) gegeben ist, um schließlich über die zusätzliche Restriktion gleicher Intercepts die skalare Invarianz zu testen (vgl. Brown 2006). Die Veränderung des Modell-Fits wurde anhand des χ2-Differenztests beurteilt. Invarianz liegt vor, wenn die χ2-Differenz der miteinander verglichenen, ineinander geschachtelten Modelle nicht signifikant ist. Die Ergebnisse zeigten, dass partiell metrische und partiell skalare Invarianz über die Zeit vorliegen (Tab. 2).Footnote 2

Tab. 2 Modell-Fit für Invarianztests (Full-Information-Maximum-Likelihood-Schätzungen)

Alle Parameterschätzungen basieren auf einem robusten Maximum-Likelihood-Verfahren („MLR“), das auch bei nicht-normalverteilten Daten korrekte Schätzungen ermöglicht (Finney und DiStefano 2013). Fehlende Daten, wie sie üblicherweise in Längsschnittstudien auftreten, wurden durch den in R implementierten Full-Information-Maximum-Likelihood-Schätzer („FIML“) berücksichtigt (vgl. Graham 2009).

Im Hinblick auf indikatorspezifische Effekte wurde die Autokorrelation der Residuen benachbarter Messzeitpunkte zugelassen – außer zwischen den Referenzindikatoren (Steyer et al. 2000; siehe Abb. 1). Für die Untersuchung des Effekts der Lehrkraftselbstwirksamkeit auf die Veränderung der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht (H 3) wurde zudem für die Unterrichtserfahrung im Vorfeld des Studiums kontrolliert, um Verzerrungen der Analysen hinsichtlich bisheriger Praxiserfahrungen als Quelle der eigenen Kompetenzerwartung ausschließen zu können. Ebenso wurde für das Alter und das Geschlecht kontrolliert. Zusätzlich wurde im Vorfeld anhand von T‑Tests überprüft, ob sich eine Veränderung der Lehrkraftselbstwirksamkeit in den Subdimensionen Instruktion, Klassenmanagement und Motivierung der Schülerinnen und Schülern von T1 zu T2 zeigt. Die Ergebnisse wiesen auf keine bedeutsamen Veränderungen hin. Dies zeigte sich auch in den LC-Analysen, so dass für die vorliegende Studie kein Cross-lagged-Panel-Modell berechnet wurde.

Die Modellgüte wird in dieser Studie anhand von inkrementellen (CFI: Comparative Fit Index, TLI: Tucker Lewis Index) und absoluten Fitindizes (RMSEA: Root Mean Square Error of Approximation, SRMR: Standardized Root Mean Square Residual) beurteilt. Die Cut-off-Werte für den CFI und TLI liegen bei 0,95, für den RMSEA bei 0,06 und SRMR nahe 0,08 (gut < 0,05; Hu und Bentler 1999). In Anbetracht der Sensitivität der χ2-Teststatistik bei großen Stichproben wird zwar der exakte Modellfit berichtet, aber lediglich als deskriptives Gütekriterium betrachtet. Ergänzend werden die χ2/Df-Werte berichtet, die für Werte < 3 auf eine gute Modellpassung hinweisen (Weiber und Mühlhaus 2014).

Um die praktische Bedeutsamkeit der latenten Veränderungen zu beurteilen, wird Cohens d als Effektstärke berichtet. Nach Cohen (1988) stellen Werte ≥ 0,20 kleine, ≥ 0,50 mittlere und ≥ 0,80 große Effekte dar. Mit Blick auf die praktische Relevanz der Vorhersage der intra-individuellen Veränderungen in der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht wird R2 als Indikator für die Effektgröße angeführt. R2 gibt dabei den Anteil der Varianz in der intra-individuellen Veränderung an, der durch den Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit aufgeklärt wird. Ein R2 ≥ 0,02; ≥ 0,13; ≥ 0,26 wird jeweils als kleiner, mittlerer und großer Effekt im Rahmen der LC-Analysen interpretiert (vgl. dazu Pfitzner-Eden 2016). Das Signifikanzniveau wurde für alle statistischen Tests auf α = 0,05 festgelegt.

5 Ergebnisse

5.1 Deskriptive Analysen

Im Mittel lag die lernorientierte Bewertung von Fehlern zu Beginn des Studiums über dem theoretischen Skalenmittelwert (µ = 3.50) (Tab. 1). Auch schätzten die angehenden Lehrkräfte ihre Selbstwirksamkeit zu Beginn des Studiums im Durchschnitt hoch ein. Die Korrelationen der lernorientierten Bewertung von Fehlern und den Dimensionen der Lehrkraftselbstwirksamkeit verweisen zu T1 sowie zu T2 auf positive mittlere Effekte (vgl. Cohen 1988) (Tab. 3).

Tab. 3 Korrelationsmatrix für die Modellvariablen zu T1 und T2

5.2 Modellgüte

Die Fitindizes für die LTC-Modelle sind in Tab. 4 dargestellt. Das LTC-Modell für die lernorientierte Bewertung zeigt einen sehr guten Modell-Fit. Die LTC-Modelle mit der jeweiligen Subdimension der Lehrkraftselbstwirksamkeit als Prädiktor weisen einen guten bis akzeptablen Modell-Fit auf. Die LC-Analysen erfolgten je Subdimension der Lehrkraftselbstwirksamkeit in getrennten Modellberechnungen.

Tab. 4 Modell-Fits für das Latent True Change Modell und jeweiligen Prädiktoren (Full-Information-Maximum-Likelihood-Schätzungen)

5.3 Durchschnittliche Veränderungen über die Zeit

Die unstandardisierten Mittelwerte, Varianzen und Korrelationen des LTC-Modells für die lernorientierte Bewertung von Fehlern sind in Tab. 5 dargestellt. Innerhalb des ersten Studienjahrs zeigte sich bei den angehenden Lehrkräften eine signifikante Zunahme der lernorientierten Bewertung (p < 0,001; d = 0,41). Alle Varianzen der latenten Veränderung waren signifikant (ps < 0,001). Das verweist darauf, dass es erhebliche inter-individuelle Unterschiede in den intra-individuellen Veränderungen gibt.

Tab. 5 Unstandardisierte Mittelwerte, Varianzen und Korrelationen der latenten Variablen des Latent True Change Modells (Full-Information-Maximum-Likelihood-Schätzungen)

5.4 Lehrkraftselbstwirksamkeit als Prädiktor für die Veränderung in der lernorientierten Bewertung von Fehlern

Das LTC-Modell für die lernorientierte Bewertung von Fehlern, dessen latente Veränderung durch die jeweilige Subdimension der Lehrkraftselbstwirksamkeit zu T1 vorhergesagt wird, ist in Abb. 2Footnote 3 dargestellt. Das Niveau der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit hinsichtlich der Anwendung effektiver Instruktionsstrategien zu Studienbeginn sagte die latente Veränderung in der lernorientierten Bewertung von Fehlern signifikant negativ vorher (R2 = 0,185; mittlerer Effekt). Ähnlich hohe Effekte zeigten sich für das Klassenmanagement und die Motivierung der Schülerinnen und Schüler; auch sie prädizierten die latente Veränderung signifikant negativ (R2 = 0,145 bzw. R2 = 0,166; jeweils mittlere Effekte). Die Korrelationen der Modellvariablen wiesen hingegen auf signifikante positive Zusammenhänge hin (siehe Abb. 2). Die Kontrollvariablen (Unterrichtserfahrung, Alter, Geschlecht) hatten keine signifikanten Effekte.

Abb. 2
figure 2

Latent True Change Modell für die lernorientierte Bewertung von Fehlern (BEW) mit den Subdimensionen der Lehrkraftselbstwirksamkeit (LSWK) als Prädiktoren. Dargestellt sind standardisierte Pfadkoeffizienten (Standardabweichung in Klammern) und Korrelationen. Die Modellberechnungen erfolgten je Prädiktor separat. Normal gedruckte Koeffizienten beziehen sich auf die LSWK-Dimension Instruktion (IS), fett gedruckte auf das Klassenmanagement (KM) und kursiv gedruckte auf die Motivierung von Schülerinnen und Schülern (SE). LF Lernen aus Fehlern, FK Fehlerkompetenz, RB Risikobereitschaft. Die Berechnungen wurden für die Unterrichtserfahrung vor dem Studium, Alter und Geschlecht kontrolliert. ***p < 0,001

6 Diskussion

Die vorliegende Studie untersuchte, inwiefern sich die lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht bei angehenden Lehrkräften im Verlauf des ersten Studienjahres verändert. Zentral ist dabei die Annahme, dass eine positive Veränderung in Form einer Zunahme – wie sie sich in den Ergebnissen der LC-Analysen widerspiegelt – zum Aufbau einer professionellen Handlungskompetenz im Lehrberuf beitragen kann und somit der Unterrichtsqualität zugutekommt. Gleichsam wurde der Einfluss der Lehrkraftselbstwirksamkeit als relevante Coping-Ressource im Umgang mit Misserfolgen – so auch Fehlern im Unterricht – untersucht. Hier zeigte sich jedoch ein negativer Effekt. Im Folgenden werden die Ergebnisse diskutiert.

6.1 Positive Veränderung der lernorientierten Bewertung von Fehlern

Erwartungskonform zeigte sich bei den angehenden Lehrkräften innerhalb des ersten Studienjahres ein Anstieg ihrer lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht. Hypothese 1 konnte somit bestätigt werden. Dies entspricht auch den Befunden von Kumschick et al. (2018). Diese Veränderung war – gemäß den Erwartungen – unterschiedlich stark ausgeprägt. Hypothese 2 wurde somit ebenso bestätigt. Inter-individuelle Unterschiede lassen sich – wenngleich Normen geleitet – aus der subjektiven Wahrnehmung von Fehlern und dem individuellen Belastungserleben angesichts aufgetretener Fehler ableiten, so dass Fehler in einem unterschiedlichen Ausmaß einen oder mitunter keinen Lernanlass darstellen können, was sich auch in der differentiellen Veränderung der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht widerspiegelt (vgl. Kumschick et al. 2020).

6.2 Einfluss der Lehrkraftselbstwirksamkeit

Erwartungswidrig hatte die wahrgenommene Lehrkraftselbstwirksamkeit zu Beginn des Studiums einen signifikant negativen Effekt auf die latente Veränderung bzw. die Zunahme, d. h. sehr selbstwirksame angehende Lehrkräfte veränderten ihre Einstellung zu Fehlern im Sinne eines Lernanlasses weniger stark als solche mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung zu Studienbeginn. Ihre Wirkung als Coping-Ressource hat die Lehrkraftselbstwirksamkeit augenscheinlich nicht entfaltet. Die Hypothese 3 konnte daher nicht bestätigt werden.

Dies könnte zunächst in der Nicht-Wahrnehmung von Fehlern begründet liegen, stellt die Identifikation eines Fehlers doch den Ausgangspunkt für eine lernorientierte Bewertung von Fehlern und somit fehlerbasiertes Lernen dar. Möglicherweise sind die angehenden Lehrkräfte mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung zu Beginn ihres Studiums der Überzeugung, dass sie über ein hinreichendes Handlungsrepertoire und Wissen verfügen, um beispielsweise auch mit auftretenden Störungen im Unterricht erfolgreich umgehen zu können, weshalb die Fehleranfälligkeit des eigenen Handelns im Sinne missglückter Unterrichtssituationen ausgeblendet wird und somit verhindert, tatsächlich aufgetretene Fehler im Rahmen der ersten Praxisphase als solche wahrzunehmen.

Hinzu kommt, dass angehende Lehrkräfte zu Beginn ihres Studiums ihre Selbstwirksamkeitserwartungen im Unterricht vorrangig auf stellvertretenden Erfolgserfahrungen und Handlungsmodellen, die sie aus der Perspektive als Schülerin bzw. Schüler in ihrer eigenen Schulzeit erlebt haben, gründen (vgl. Garvis et al. 2012) und sie den Umgang mit Rückschlägen – wie sie auch erfolgreiche Lehrkräfte im Verlauf ihrer beruflichen Praxis erfahren – in diesem Zusammenhang bislang nicht selbst erlebt haben. Das erstmalige Unterrichten im Klassenraum könnte bei angehenden Lehrkräften mit besonders hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen dazu führen, dass sie mit Blick auf eine hohe Kompetenzerwartung eigene Fehler weniger bzw. nicht wahrnehmen (wollen). Oser (2015) spricht im Kontext des Nicht-wahr-haben-wollens auch von einer Art Schock, den die angehenden Lehrkräfte erleiden könnten, weil ihnen im Moment der Fehlersituation schlagartig bewusst wird, dass beispielsweise ihre Unterrichtsvorbereitung unzureichend war. Sie aufgrund der mangelnden Vorbereitung aber wahrscheinlich bereits ahnten, dass Verständnisprobleme seitens der Schülerinnen und Schülern auftreten könnten. Die angehenden Lehrkräfte vor Stundenbeginn aber dennoch der Überzeugung waren, sie würden erfolgreich unterrichten, weil sie sich als hinreichend kompetent einschätzten. Hierin könnte sich eine Tendenz zur Selbstüberschätzung zeigen, die gerade bei Studienanfängerinnen und -anfängern in Bezug auf ihre Selbstwirksamkeitserwartung mitunter häufiger zu beobachten ist (vgl. Schüle et al. 2017). Darauf deuten auch die in dieser Studie durchschnittlich hohen Kompetenzerwartungen zu Beginn des Studiums hin. Das Phänomen der Selbstüberschätzung wird in der Forschung auch als „Implementation Dip“ überschrieben (z. B. Tschannen-Moran und McMaster 2009). Gerade nach Praxisphasen zeigt sich oftmals ein Rückgang der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, da ein Abgleich von zuvor selbsteingeschätzten Fähigkeiten und tatsächlicher Fähigkeiten mit Blick auf kompetentes Lehrkrafthandeln erfolgt (z. B. Mang et al. 2022). Angehende Lehrkräfte mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zu Studienbeginn könnten im Sinne eines Realitätsschocks (vgl. „Praxisschock“, Ballantyne und Retell 2020) größere Implementation Dips während der ersten Praxisphase haben, so dass sich ein negativer Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit auf die lernorientierte Bewertung von Fehlern zeigt. Inwieweit dieses Phänomen auf die vorliegende Studie zutrifft, kann nicht abschließend beurteilt werden. Zum einen ist unklar, wie viele angehende Lehrkräfte tatsächlich bereits eigene Unterrichtseinheiten durchgeführt haben und ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen auf ihre „mastery experience“ – als eine wesentliche Quelle der eigenen Kompetenzerwartung – gründen können (vgl. Lazarides und Warner 2020). Zum anderen erfolgte keine unmittelbare Messung der Kompetenzerwartung vor der Praxisphase, um mögliche Veränderungsprozesse aufzeigen zu können. Es kann jedoch festgestellt werden, dass sich im Rahmen des ersten Studienjahres keine bedeutsamen Veränderungen der Selbstwirksamkeitserwartungen bei den angehenden Lehrkräften in den Voranalysen zeigten. In der vorliegenden Studie scheint es sich bei der Lehrkraftselbstwirksamkeit um ein relativ stabiles Merkmal zu handeln.

Ein weiterer Erklärungsansatz für den negativen Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit könnte sein, dass sich bei den angehenden Lehrkräften mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung eine Art Immunisierung gegenüber Fehlern im Unterricht andeutet, die im Rahmen persönlicher Überzeugungen (Beliefs) möglicherweise auf die externale Attribuierung von missglückten Unterrichtssituationen bzw. Misserfolg in Lehr-Lernprozessen zurückgeht (vgl. Kunter und Pohlmann 2015). So könnten z. B. Störungen im Unterricht oder ausbleibender Lernzuwachs bei den Schülerinnen und Schülern nicht auf das eigene Handeln zurückgeführt werden, sondern auf stabile Merkmale der Schülerinnen und Schüler. Diese Situationen würden dann nicht als Fehler des eigenen unterrichtlichen Handelns, sondern gewissermaßen als Unvermögen der Schülerinnen und Schüler interpretiert, dessen Beseitigung außerhalb der Einflussmöglichkeit der angehenden Lehrkraft liegt. Die Lehrkraft würde demnach mit Blick auf die emotionale Belastung auch eher Ärger oder Mitleid als Angst verspüren (vgl. Frenzel et al. 2015). Hier könnte sich bestätigen, dass das Ausmaß erlebter Angst – wie sie Spychiger et al. (2006) für einen lernorientierten Umgang mit Fehlern postulieren – tatsächlich zu gering ist, als dass sich ein Lernanlass für die angehenden Lehrkräfte mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung abzeichnet und sich daher ein negativer Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit zeigt.

Die zuvor genannten Aspekte – eine Nicht-Wahrnehmung von Fehlern, das Phänomen des Nicht-wahr-haben-wollens von Fehlern und eine externale Fehlerattribuierung im Zusammenhang mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung – könnten bedingen, dass sich im Rahmen dieser Untersuchung ein negativer Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit auf die Veränderung der lernorientierten Bewertung von Fehlern innerhalb des ersten Studienjahres zeigt. Nicht zuletzt könnte das zugrundeliegende Studiendesign ursächlich für den negativen Zusammenhang sein. Zu fragen wäre, ob sich zu einem späteren Zeitpunkt des Studienverlaufs, zu dem die angehenden Lehrkräfte bereits mehr Praxiserfahrung gesammelt haben und durch die realistischere Einschätzung ihrer Selbstwirksamkeitserwartungen, eine Coping-Funktion im Rahmen fehlerbasierten Lernens offenbart. Offen bliebe dennoch, inwiefern sich die Beliefs bzw. externalen Fehlerattribuierungen der angehenden Lehrkräfte im Verlauf des Studiums verändern und welche Zusammenhänge sich dann mit der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit und einer lernorientierten Bewertung von Fehlern zeigen würden.

6.3 Limitationen

Die vorliegende Studie kann zwar eine signifikante Veränderung in der lernorientierten Bewertung von Fehlern im Unterricht aufzeigen, allerdings ist in ihr der Effekt des Hospitationspraktikums innerhalb des ersten Studienjahres mit dem Effekt universitärer Lehrveranstaltungen konfundiert. Insofern kann der Anstieg der lernorientierten Bewertung von Fehlern nicht unmittelbar auf das Praktikum als Erfahrungsraum zurückgeführt werden. Ein weiterer Messzeitpunkt zu Beginn der Praxisphase wäre hier aufschlussreich gewesen – auch mit Blick auf eine mögliche Veränderung der Lehrkraftselbstwirksamkeit. Des Weiteren wurde nicht untersucht, wie viele der angehenden Lehrkräfte bereits eigene Unterrichtseinheiten während des Praktikums durchgeführt haben, so dass eine differenzierte Betrachtung des Anstiegs der lernorientierten Bewertung von Fehlern hinsichtlich des Lernens aus eigenen oder advokatorischen Fehlern aussteht.

Auch kann die Untersuchung der Lehrkraftselbstwirksamkeit als alleiniger Prädiktor der Veränderung angesichts der Varianzaufklärung nicht als vollumfänglich gelten. Gerade mit Blick auf den negativen Effekt der Lehrkraftselbstwirksamkeit wären weitere motivationale Orientierungen wie beispielsweise die Untersuchung der Zielorientierung der angehenden Lehrkräfte sinnvoll. Lernzielorientierungen könnten damit einhergehen, dass angehende (selbstwirksame) Lehrkräfte misslungene Unterrichtssituationen eher als Lernanlass bewerten und sich hier positive Zusammenhänge zeigen. Während sich bei vermeidungszielorientierten angehenden Lehrkräften eher negative Effekte einstellen könnten (vgl. Böhnke und Thiel 2016; Dickhäuser et al. 2011). Die Untersuchung der Attributionen und Emotionen der angehenden Lehrkräfte könnte überdies dazu beitragen, den (negativen) Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeitserwartungen und der Bereitschaft, aus eigenen Fehlern zu lernen, aufzuklären.

Während in dieser Studie der Fokus lediglich auf dem (lernorientierten) Verarbeitungsmechanismus von Fehlern im Unterricht seitens der angehenden Lehrkräfte lag, könnten darüber hinaus kontextuelle Faktoren wie die Betreuungsqualität vor und während der Praxisphasen einen weiteren erklärenden Beitrag leisten (vgl. Schubarth et al. 2012). Insbesondere könnte die Erfassung der Qualität des Feedbacks zum eigenen Unterricht (siehe aufgabenbezogenes und prozessbezogenes Feedback; Hattie und Timperley 2007) Aufschluss darüber geben, inwieweit die Veränderung der lernorientierten Bewertung von Fehlern auf eine produktive Vorbereitung und Begleitung der Praxisphasen durch Dozierende sowie Mentorinnen und Mentoren in den (Hoch‑)Schulen zurückgeht.

Neben den genannten spezifischen Limitationen dieser Studie ergeben sich noch weitere Einschränkungen allgemeiner Art. So ist die Aussagekraft der Studie mit Blick auf Lehr- und Lerninhalte auf die curriculare Standortspezifität der Universität begrenzt. Ebenso lassen sich die Aussagen dieser Studie nicht für alle Studiengänge im Lehramt generalisieren, da ein Großteil der Teilnehmenden im Studiengang Integrierte Sekundarschule/Gymnasium eingeschrieben war.

Abschließend sei angemerkt, dass die in dieser Studie dargelegten Befunde auf Selbstauskünften der angehenden Lehrkräfte beruhen und daher subjektiv wahrgenommene Zusammenhänge darstellen. Um jedoch dem Problem geteilter Methodenvarianz zu begegnen, wurden (a) unterschiedlich formulierte Instrumente zur Erfassung der Selbsteinschätzungen eingesetzt und (b) unterschiedliche Skalenbereiche verwendet (vgl. Fernet et al. 2012).

6.4 Implikationen

Eine lernorientierte Bewertung von Fehlern ermöglicht zunächst, dass durch die Identifikation von Fehlern (eigene) Defizite und Wissenslücken im Rahmen des unterrichtlichen Handelns aufgezeigt werden. Durch die Wahrnehmung der Defizite bietet sich aber auch die Chance, daraus zu lernen. Lernen in diesem Kontext bedeutet, Negatives Wissen aufzubauen. Die Erkenntnis, dass z. B. das eigene Zeitmanagement fehlgeschlagen ist, kann dazu führen, dass die angehenden Lehrkräfte zukünftig mehr Zeit für die Bearbeitung von Aufgaben einplanen. Ebenso kann eine fehlende Aufgabenklarheit, die mit Verstehensproblemen seitens der Schülerinnen und Schüler und Unruhe einhergeht, anregen, künftig präzisere Lernziele und Anforderungen zu formulieren. Die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern, an deren Anfang die positive Einstellung zum Fehler (lernorientierte Bewertung) steht, und der in Praxisphasen angenommene Aufbau Negativen Wissens können dazu beitragen, dass die angehenden Lehrkräfte mehr Handlungssicherheit im Unterricht gewinnen, effizienter handeln und ein tieferes Reflexionsverständnis entwickeln (vgl. Gartmeier et al. 2008). Dies begünstigt den Aufbau von Unterrichtsexpertise und kann sich wiederum positiv auf die Unterrichtsqualität auswirken (vgl. Helmke 2014).

Im Hinblick auf die berufliche Praxis könnte eine lernorientierte Einstellung zu Fehlern zudem dazu beitragen, dass die (angehenden) Lehrkräfte auch fehlerfreundlicher gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern auftreten (z. B. konstruktives und wertschätzendes Feedback geben, einen offenen Umgang mit eigenen Fehlern pflegen), was das Unterrichtsklima aber auch die Lernprozesse positiv beeinflussen kann (vgl. Weinert 1999). Von daher gilt es bereits im Rahmen der universitären Ausbildung, eine positive Fehlerkultur in den Lehrveranstaltungen und Praxisschulen zu etablieren und die angehenden Lehrkräfte für einen fehlerfreundlichen Umgang zu sensibilisieren, der zudem kreative Denkprozesse bei den Lernenden fördern kann (vgl. Weingardt 2014).

6.5 Fazit und Ausblick

Die lernorientierte Bewertung von Fehlern im Unterricht gewinnt ihre Relevanz, weil sie fehlerbasiertes Lernen auslösen und die Entwicklung einer professionellen Handlungskompetenz im Lehrberuf befördern kann. Die vorliegenden Befunde zeigen, dass die lernorientierte Bewertung von Fehlern im Verlauf des ersten Studienjahres signifikant zunimmt unter den angehenden Lehrkräften – auch wenn sich ein negativer Zusammenhang mit den Subdimensionen der Lehrkraftselbstwirksamkeit zeigt. Aber eine hohe Kompetenzerwartung zu Studienbeginn anscheinend eine Nicht-Wahrnehmung bzw. das Nicht-wahr-haben-wollen von Fehlern im Unterricht impliziert und sich somit negativ auf die Veränderung einer lernorientierten Bewertung von Fehlern auswirkt. Des Weiteren könnte eine externale Fehlerattribuierung eine wesentliche Rolle spielen. Um den negativen Befund der Selbstwirksamkeitserwartungen abzusichern, sind – neben der Berücksichtigung weiterer Prädiktoren – zukünftig weitere Studien in Bezug auf die hier verwendeten Modellvariablen notwendig.

Sinnvoll könnte in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Kreuzeffekten im Rahmen von Cross-lagged-Panel-Analysen sein, um zum einen Veränderungsprozesse der Lehrkraftselbstwirksamkeit mit zu modellieren, zum anderen die Wirkrichtung genauer zu beleuchten. Interventionsstudien im Rahmen von Fehlermanagement-Trainings, bei denen Fehler positiv konnotiert waren und als Lerngelegenheit angesehen wurden, zeigten bereits einen positiven Effekt auf die Selbstwirksamkeitserwartungen der Teilnehmenden (Dimitrova et al. 2017; Steele-Johnson und Kalinoski 2014). Gleichsam fiel das emotionale Belastungserleben geringer aus. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine lernorientierte Bewertung von Fehlern das Stress- und Angsterleben im Unterricht minimiert, was sich wiederum positiv auf die Lehrkraftselbstwirksamkeit auswirken könnte. Dies unterstützen Forschungsbefunde, die somatische und affektive Zustände als Quelle der eigenen Selbstwirksamkeit beschreiben (vgl. Lazarides und Warner 2020).

Ob sich die Effekte aus den Interventionsstudien auch zeigen, wenn kein gezieltes Training erfolgt, bliebe im Rahmen der Lehramtsausbildung zu untersuchen. Dies könnte zudem die Untersuchung des tatsächlichen Umgangs mit Fehlern einschließen, um einen genaueren Einblick in den Prozess fehlerbasierten Lernens und somit den Aufbau professioneller Handlungskompetenz während universitärer Praxisphasen zu gewinnen.

Erste Einsichten ergaben sich bei Hascher und Kaiser (2015) im Rahmen ihrer qualitativen Studie. Sie werteten Lerntagebücher von angehenden Lehrkräften im Praktikum aus. Ihre Analysen heben hervor, dass mehr als die Hälfte der dokumentierten Lernsituationen erfasste Fehlerlernsituationen darstellten. Dies betont nochmals den Stellenwert von Unterrichtsfehlern als Lernpotential, der im ersten Schritt eine lernorientierte Bewertung von Fehlern zugrunde liegt.