Reflexion wird im Kontext der Lehrer*innenbildung eine zentrale Rolle zugeschrieben. Vor allem in den letzten Jahren finden sich zahlreiche Beiträge (z. B. Stender et al. 2021; van Beveren et al. 2018; von Aufschnaiter et al. 2019), die sich sowohl theoretisch als auch empirisch mit Fragen auseinandersetzen, die die Förderung von Reflexionsfähigkeit, Indikatoren von Reflexionsqualität oder die Wirkung von Reflexion im Professionalisierungsprozess adressieren. Dabei zeigt sich eine große Heterogenität in den theoretischen Annahmen und den empirischen Ansätzen. Das vorliegende Themenheft resultiert aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Netzwerk Reflexion im pädagogischen Kontext: Interdisziplinäre Systematisierung und Integration. Ein Ziel dieses Netzwerks bestand darin, ein disziplinübergreifendes Reflexionsverständnis vorzuschlagen und als Ausgangspunkt für empirische Untersuchungen zu nutzen.

Gerlinde Lenske und Hendrik Lohse-Bossenz stellen im Stichwortbeitrag diesen Definitionsvorschlag für den Begriff der Reflexion im pädagogischen Kontext vor. Sie legen die Vielfältigkeit bestehender Reflexionskonzepte dar, die jedoch in empirischen Studien oft nicht ausreichend expliziert werden (vgl. Rodgers 2002). Ihr Ansatz bietet eine Strukturierungshilfe, um Reflexionsverständnisse in verschiedenen Studien hinsichtlich relevanter Kernbestandteile zu explizieren und mit etablierten Reflexionsmodellen in Zusammenhang zu bringen.

Die empirischen Beiträge des Themenschwerpunktes befassen sich mit verschiedenen Aspekten im Reflexionsprozess und liefern damit Ansatzpunkte und erste Befunde, um Reflexionsprozesse in der Lehrer*innenbildung besser zu verstehen. Die ersten zwei Beiträge befassen sich im Besonderen mit der Reflexionsinstruktion. Karsten Krauskopf und Katharina Fehn-Winterling untersuchen die Rolle der Videografie bei der Reflexion innerhalb der Lehrer*innenbildung. Die Autor*innen untersuchen die Unterschiede zwischen videobasierter und protokollbasierter Reflexion von Unterrichtssituationen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass videobasierte Reflexion zu differenzierteren Gedanken und konkreteren Bezugnahmen auf das pädagogische Handeln führen kann. Judith Schellenbach-Zell, Anna-Lena Molitor, Marcus Kindlinger, Kati Trempler und Ulrike Hartmann betrachten die Bedeutung von Prompts und Feedback für die Reflexionskompetenz von Studierenden. Dabei zeigt sich, dass Prompts Studierende dazu anregen können, mehr wissenschaftliche Theorien zu beschreiben und mehr Deutungen vorzunehmen, während zusätzliches Feedback dazu führt, dass Studierende mehr Konsequenzen für ihre eigene Professionalität benennen.

Die zwei nächsten Beiträge thematisieren Einflussfaktoren auf Reflexionsprozesse. Anja Henke, Andrea Westphal, Isabell Hußner und Rebecca Lazarides analysieren mit der Rolle von Emotionen bei der Reflexion einen bislang wenig thematisierten Aspekt. Die Ergebnisse zeigen, dass Studierende in ihren Reflexionen mehr positive als negative Emotionswörter nutzen und dass die Verwendung negativer Emotionswörter in Reflexionen von Erfolgserfahrungen mit geringeren Selbstwirksamkeitserwartungen assoziiert ist. Im Beitrag von Kira Elena Weber, Katharina Neuber und Christopher Neil Prilop wird die Bedeutung professionellen Wissens für reflexionsbezogene Denkprozesse untersucht. Dabei zeigt sich, dass deklaratives und konzeptionelles Wissen an unterschiedlichen Stellen des Reflexionsprozesses zum Tragen kommt.

In der vorgeschlagenen Reflexionsdefinition (Lenske und Lohse-Bossenz 2023) wird der Selbstbezug als zentrales Kernmerkmal konzeptualisiert. In zwei Beiträgen wird dieser spezifisch in den Fokus gerückt. Alexandra Merkert, Hendrik Lohse-Bossenz, Katharina Neuber und Gerlinde Lenske operationalisieren den Selbstbezug in videobasierten Unterrichtsreflexionen von Lehramtsstudierenden und differenzieren mittels eines Kategoriensystems empirisch fünf saturierte Dimensionen des Selbstbezugs. Die Ergebnisse zeigen weiterhin erste Befunde zu interindividuellen Unterschieden im Umfang des Selbstbezugs: situational interessierte und motivierte Studierende verfassen tendenziell umfangreichere Selbstbezüge in ihren Reflexionen. Dennoch gelingt es nicht allen Studierenden, einen tiefen Selbstbezug herzustellen. Die Befunde können als Ausgangspunkt für Forschungsbemühungen hinsichtlich der Bedeutung dieser Unterschiede für die professionelle Entwicklung dienen. Dass ein Selbstbezug von Relevanz ist, zeigen Hendrik Lohse-Bossenz, Markus Schmitt, Gerlinde Lenske und Bernadette Gold, indem sie die Auswirkungen von Unterrichtsanalysen (ohne Selbstbezug) und Unterrichtsreflexionen (mit Selbstbezug) auf die professionelle Unterrichtswahrnehmung und die klassenführungsbezogene Selbstwirksamkeit untersuchen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Unterrichtsanalysen und -reflexionen vergleichbar positive Effekte auf die Unterrichtswahrnehmung haben. Reflexionen mit Selbstbezug fördern jedoch zusätzlich stärker die klassenführungsbezogene Selbstwirksamkeit.

Abschließend trägt der Beitrag von Isabell Hußner, Rebecca Lazarides, Wendy Symes, Eric Richter und Andrea Westphal dazu bei, zu verstehen, wie die systematische Reflexion von Unterrichtsverhalten die Selbstwirksamkeit für Reflexion von Lehramtsstudierenden beeinflusst. Die Ergebnisse latenter Veränderungswertmodelle zeigen, dass eine systematische Reflexion die Selbstwirksamkeit für Reflexion signifikant steigert, wobei pädagogische Vorerfahrungen eine moderierende Funktion einnehmen, dahingehend, dass bei einem größeren Umfang pädagogischer Vorerfahrungen eine stärkere Zunahme reflexionsbezogener Selbstwirksamkeit zu verzeichnen ist.

FormalPara Fazit

Die im Themenschwerpunkt gesammelten Beiträge beleuchten exemplarisch die unterschiedlichen Aspekte im Reflexionsprozess – von Instruktionen im Sinne von Reflexionsanlässen, über Einflussfaktoren sowie spezifische Aspekte des Reflexionsprozesses bis hin zu möglichen Ergebnissen der Auseinandersetzung mit pädagogischen Erfahrungen. Anhand der vorgeschlagenen Reflexionsdefinition können alle Beiträge dieses Hefts sowie bestehende Befunde voneinander abgegrenzt, aber auch zueinander in Beziehung gesetzt werden. Des Weiteren lassen sich aktuelle Forschungsdesiderata identifizieren: So wissen wir aktuell sehr wenig über Reflexionsanlässe – v. a. solche, die nicht im Rahmen formaler Settings instruktional begleitet werden. Auch die Bedeutsamkeit spezifischer Aspekte professioneller Kompetenz (z. B. Wissen oder Überzeugungen) oder Emotionen für den eigentlichen Reflexionsprozess stellt ein Forschungsdesiderat dar. Zuletzt finden sich auf der Zielebene von Reflexion noch eine Vielzahl an Outcomes, die noch nicht empirisch in den Blick genommen wurden, z. B. die Zielstellung eines vertieften Verständnisses pädagogischer Praxis oder die Veränderung pädagogischen Handelns. Wie Lenske und Lohse-Bossenz (2023) im Stichwortbeitrag formulieren, bedarf es hierzu jedoch neben geeigneten Messinstrumenten vor allem systematischer experimenteller Forschungsdesigns, die es ermöglichen, Effekte spezifischer Variablen – frei von Konfundierungen – zu prüfen.