Geboren 1965 und aufgewachsen im Sauerland begann die akademische Bildung von Sigrid Blömeke an der Universität Paderborn 1985. Sie studierte Geschichte, Sozialwissenschaften, Psychologie und Erziehungswissenschaft für das Lehramt der Sekundarstufe II und schloss ihr Studium 1991 ab. Im Anschluss an ihr Lehramtsstudium sowie einer Tätigkeit im Universitätsarchiv übernahm sie an der Universität Paderborn über viele Jahre die Geschäftsführung des Paderborner Zentrums für Bildungsforschung und Lehrerbildung (PLAZ). 1999 verfasste sie eine Dissertation über die Geschichte der Volksschullehrerinnen- und lehrerausbildung nach 1945. 2001 habilitierte sie zum Kompetenzerwerb in der universitären Lehrerinnen- und Lehrerausbildung und erhielt die Venia legendi für das Fach Erziehungswissenschaft verliehen.

Im Jahr 2002 folgte zunächst ein Ruf an die Universität Hamburg auf eine Professur für Medienpädagogik mit dem Schwerpunkt Neue Medien. Kurz darauf wurde sie mit nur 36 Jahren als Professorin für Systematische Didaktik und Unterrichtsforschung an die Humboldt-Universität zu Berlin berufen. Zugleich nahm sie zwei Jahre eine Forschungs-Professur für Kompetenzmessung bei Mathematiklehrkräften an der Michigan State University (USA) wahr. Seit 2014 war sie bis zuletzt als Forschungsdirektorin am Centre for Educational Measurement (CEMO) der Universität Oslo in Norwegen tätig.

Der akademische Werdegang von Sigrid Blömeke verdeutlicht eindrucksvoll, wie sich Forschung und Wissenschaftsmanagement in der Erziehungswissenschaft erfolgreich verbinden lassen – sowohl inhaltlich als auch strategisch. Als Geschäftsführerin des Zentrums für Bildungsforschung und Lehrerbildung (PLAZ) der Universität Paderborn, als Gründerin und Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Bildungsforschung (IZBF) der Humboldt-Universität zu Berlin, Leiterin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Programms Kompetenzmodellierung und -messung in der Hochschulbildung (KoKoHs) und schließlich Leiterin des Centre for Educational Measurement (CEMO) an der Universität Oslo. Hinzu kommt ihre wiederkehrende Tätigkeit als Sprecherin zahlreicher, im Verbund organisierter Drittmittelprojekte wie die Leitung der Beteiligung Deutschlands an der ersten und bisher einzigen international-vergleichenden large-scale Studie Teacher Education and Development Study in Mathematics (TEDS-M) 2008 in Zusammenarbeit mit Prof.in Dr.in Gabriele Kaiser und Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lehmann sowie weiterer in der Forschungstradition von TEDS‑M geführter Verbundprojekte (vgl. im Überblick Schwarz et al. 2022).

Über die drei Jahrzehnte ihres wissenschaftlichen Arbeitens und im Rahmen der verschiedenen Stationen ihrer Karriere gelang es Sigrid Blömeke, ein für eine Erziehungswissenschaftlerin ungewöhnlich breites Tableau hoch relevanter Themen zu bearbeiten und über innovative Ansätze zu profilieren sowie auszubauen. Hierzu gehören Leistungsmessung, im Besonderen die Kompetenzmessung, der internationale Vergleich der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, die empirische Lehr-Lern-Forschung mit neuen Medien, Interventionen zur Veränderung von Lehrerinnen- und Lehrerhandeln, Schulpädagogik und Systematische Didaktik, die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, der Umgang mit Heterogenität sowie die Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem wurde ihr 2016 von der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) der Forschungspreis verliehen (Miethe et al. 2016). 2021 wurde sie Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften. 2022 wurde sie in die International Academy of Education gewählt.

Über die letzten Jahre widmete sich Sigrid Blömeke in ihrer Forschung der Kombination aus Grundlagen- und Anwendungsforschung. So lagen ihre Schwerpunkte einerseits in der Entwicklung und psychometrischen Prüfung standardisierter Assessments zur Erfassung von Lehrkompetenzen; andererseits wendete sie solche Verfahren in international-vergleichenden Studien an, um Wirkungen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, von Schulen und auch Lehrkräften auf Leistungszuwächse und die Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern zu untersuchen.

An drei wissenschaftlichen Arbeiten, die während der vergangenen 15 Jahre entstanden, mag diese Schwerpunktlegung exemplarisch aufgezeigt werden – wohl wissend, dass das Tableau des wissenschaftlichen Werkes von Sigrid Blömeke eine sehr viel größere Reichweite besitzt als es hier dargestellt werden kann:

  1. 1.

    Mit TEDS‑M 2008 setzte sich Sigrid Blömeke mit großem Engagement für eine Beteiligung Deutschlands an der international-vergleichenden large-scale Untersuchung zur Wirksamkeit der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Fach Mathematik ein (Blömeke et al. 4,5,a, b) – an TEDS‑M nahmen 17 Länder mit repräsentativen Stichproben für den Primarstufen- und den Sekundarstufenbereich teil. Zugleich hatten die Beiträge von Sigrid Blömeke einen bedeutsamen Einfluss auf die international zu entwickelnde konzeptionelle und methodische Ausrichtung von TEDS‑M 2008. Vorbereitet wurde TEDS‑M durch die Studie Mathematics Teaching in the 21st Century (MT21), eine vergleichende Untersuchung über sechs Länder, in der maßgeblich von Sigrid Blömeke ein anspruchsvoller Rahmen für die Evaluation von Lehrkräftebildung entwickelt, ausgeschärft und in anspruchsvollen Instrumenten umgesetzt wurde (Blömeke et al. 2008). TEDS‑M bildete den Grundstein für ein umfassendes Forschungsprogramm mit zahlreichen, drittmittelgeförderten Verbundprojekten zur Ausbildung und Professionalisierung in der Lehrkräftebildung und im Fach Mathematik (vgl. Kaiser und König 2019; Schwarz et al. 2022), das bis heute in Projekten und Publikationen präsent ist und ihre deutliche Handschrift trägt.

  2. 2.

    Der Einsatz von Sigrid Blömeke, zusammen mit Prof.in Dr.in Olga Zlatkin-Troitschanskaia ein breites, innovatives und vom BMBF finanziertes Förderprogramm zum Thema Kompetenzmodellierung und -messung in der Hochschulbildung (KoKoHs) ins Leben zu rufen, war erfolgreich und mündete in drei Förderphasen im Zeitraum von 2011 bis 2021 (Blömeke et al. 2013; Blömeke und Zlatkin-Troitschanskaia 2015; Zlatkin-Troitschanskaia et al. 2020). In der Breite und in der Tiefe wurden zahlreiche Forschungsprojekte umgesetzt, die im Kern auf die standardisierte Erfassung akademischer Kompetenzen zielten. Zugleich wurden die entwickelten Kompetenztests in verschiedenen Studiendesigns anwendungsorientiert eingesetzt, um das Lehren und Lernen in der Hochschule auf eine zuvor unbekannte, empirisch belastbare Grundlage zu stellen. Sigrid Blömeke legte dabei zusätzlich den Fokus ihrer Forschungen von Lehrkräften auf die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, ein bis dato nur wenig mit quantitativen Methoden untersuchter Bereich (Dunekacke et al. 2015). Auch aktuell wird KoKoHs international breit rezipiert (vgl. Shavelson 2023).

  3. 3.

    Die Modellierung und Messung von Lehrkompetenzen wurde 2015 durch einen bahnbrechenden Beitrag von Sigrid Blömeke bereichert, den sie gemeinsam mit Jan-Eric Gustafsson und Richard Shavelson veröffentlichte: „Beyond dichotomies: Competence viewed as a continuum“ (Blömeke et al. 2015). Der Beitrag gibt dem breiten Diskurs empirischer Bildungsforschung den zentralen Impuls, bislang fokussierte kognitive bzw. affektiv-motivationale Dispositionen um situationsspezifische Fähigkeiten zu erweitern, um beobachtbare Performanz proximal vorherzusagen. Dabei werden in dem vorgeschlagenen Modell einzelne Konstrukte nicht isoliert, sondern auf einem Kontinuum betrachtet, es wird die Brücke von Wissen zur Performanz geschlagen, womit bislang verhärtete Positionen in der Kompetenzmessung zusammengeführt wurden (Kaiser et al. 2015). Mit diesem theoretischen Ansatz wurde die Kompetenzmodellierung und -erfassung, beispielhaft zu sehen an der Messung von Kompetenzen angehender wie berufstätiger Lehrkräfte, nachhaltig beeinflusst und stark weiterentwickelt. Viele Beiträge im Diskurs zur Lehrkräftebildung knüpften und knüpfen immer noch an dieses Modell an, das aus dem aktuellen Diskurs nicht wegzudenken ist. Doch ist es Sigrid Blömeke selbst, die mit einer ihrer letzten Publikationen am Beispiel von Mathematiklehrkräften überzeugende empirische Belege für die Annahmen dieses Modells vorgelegt hat: „Opening up the black box: Teacher competence, instructional quality, and students’ learning progression“ (Blömeke et al. 2022). Im Rahmen einer Mehrebenenanalyse mit knapp 3500 Schülerinnen und Schülern aus über 150 Klassen und ihren Mathematiklehrkräften konnte unter anderem gezeigt werden, dass der professionellen Unterrichtswahrnehmung als situationsspezifische Fähigkeit der Lehrkräfte eine vermittelnde Rolle zukommt zwischen ihrem professionellen Wissen und dem fachlichen Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler. Direkte Effekte des professionellen Wissens auf die Leistungszuwächse der Schülerinnen und Schüler zeigten sich dagegen nicht, was den Ansatz, Kompetenzen als Kontinuum mit Mediatoren zu modellieren (Blömeke et al. 2015), eindrucksvoll bestätigt.

Wer die Chance hatte mit Sigrid Blömeke zusammenzuarbeiten, die bzw. der wusste, dass Forschung auf hohem Niveau ausnahmslos erwartet wurde. Sigrid Blömeke war vorbildlich darin, auch besonders anspruchsvolle Forschungsprobleme zu analysieren, zu präzisieren – und konstruktiv zu lösen. Zugleich waren interdisziplinäre Kooperationen und damit ein Interesse an Perspektiven, die über engere Fragestellungen aus der Erziehungswissenschaft deutlich hinausgingen, grundsätzlicher Bestandteil ihres alltäglichen Schaffens. Spätestens mit ihrer Leitung der deutschen Beteiligung an der internationalen Vergleichsstudie TEDS‑M 2008 war auch die internationale Ausrichtung von Forschung für Sigrid Blömeke Grundprinzip. Dies zeichnete sich in internationaler Anschlussfähigkeit, international relevanten Themenstellungen, in der Betonung international-vergleichender Perspektiven ihrer Forschungsarbeiten ab. Ihre Grundüberzeugungen konnte sie ferner verwirklichen durch die Entscheidung, die Leitung des CEMO in Oslo zu übernehmen. Ihre Arbeiten wurden indes in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft und empirischen Bildungsforschung mehr denn je rezipiert.

Sigrid Blömeke war eine Wissenschaftlerin von enormer Kreativität, Eloquenz und einem enormen Interesse an Qualität und tiefgehenden theoretischen Klärungen. Ihr Einsatz für die Bearbeitung wissenschaftlich relevanter, innovativer Fragestellungen und für die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Ermöglichung solcher Bearbeitungen waren außergewöhnlich und vorbildhaft zugleich. Und sehr erfolgreich: Ab 2024 sollte sie die Leitung des von ihr eingeworbenen Center of Excellence an der Universität Oslo – das erste Exzellenzzentrum für Bildungsforschung in Norwegen – für fünf Jahre übernehmen, um damit wiederum neue Arbeitsschwerpunkte zu setzen.

Der frühe Tod von Sigrid Blömeke ist ein großer Verlust für die Erziehungswissenschaft und die empirische Bildungsforschung, verliert die scientific community doch damit eine außergewöhnliche, international renommierte Spitzenforscherin, die in ihrem wissenschaftlichen Werk verschiedene erziehungswissenschaftliche Forschungstraditionen bearbeitete, weiterentwickelte und es dabei auf kluge Weise verstand, verschiedene Ansätze an geeigneten Stellen zusammenzuführen, zu transformieren, in innovative Wege zu überführen. Von den wissenschaftlichen Fortschritten und Errungenschaften, den innovativen Anregungen, die sie für die Diskurse unter anderem der Erziehungswissenschaft, der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, der Professionsforschung, aber auch der Fachdidaktiken leistete, profitierten nicht nur jene, die mit ihr eng zusammenarbeiten durften. Ihr wissenschaftliches Vermächtnis richtet sich an alle Forscherinnen und Forscher, die sich an einer außergewöhnlich hoch engagierten und exzellenten Forscherinnenpersönlichkeit wie Sigrid Blömeke ein Beispiel nehmen wollen.