1 Einleitung

Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen aus minoritären Gruppen ist in vielen Ländern von Assimilation und Segregation geprägt (vgl. Engel und Nohl 2022). In Deutschland erhalten neu zugewanderte Schüler*innen in der Regel mit dem Verweis auf mangelnde Deutschkenntnisse zunächst eine Zuweisung in sogenannte „Vorbereitungsklassen“ oder auch „Willkommensklassen“. Diese Klassen werden parallel zu den regulären Klassen angeboten, wobei es den entsprechend zugewiesenen Schüler*innen teilweise ermöglicht wird, zumindest partiell am Regelunterricht teilzunehmen. Schüler*innen besuchen Vorbereitungsklassen etwa ein bis zwei Jahre, bevor sie vollständig in Regelklassen wechseln können (vgl. Decker-Ernst 2017).

Die konkrete Praxis der Organisation schulischer Übergänge stellt sich insofern im Rahmen der Bildungswege neu zugewanderter Schüler*innen als noch bedeutsamer im Blick auf ihre Bildungslaufbahn dar, als dies ohnehin für alle Schüler*innen der Fall ist. So weisen einige Forschungen zu Bildung im Kontext Flucht*Migration auf die Relevanz von Schulübergängen als Risikofaktor hin und stufen die Bewältigung dieser Übergänge aufgrund ihrer Ressourcenabhängigkeit als für neu zugewanderte Schüler*innen besonders problematisch ein (vgl. Dewitz et al. 2018, S. 14). Schulische Übergänge können als institutionelle Nahtstellen verstanden werden, an denen sich Ein- und Ausschlussprozesse vollziehen (vgl. Dausien et al. 2016, S. 18). Dieser Zustand verweist u. a. auf die bereits in der erziehungswissenschaftlichen Forschung mehrfach benannte Erkenntnis, dass Bildungsinstitutionen „von gesellschaftlichen Differenzkonstruktionen und Machtverhältnissen durchzogen [sind] und [sie zugleich] reproduzieren“ (Dausien et al. 2016, S. 10). Bereits in mehreren empirischen Studien wurden die Erfahrungen von Schüler*innen mit Ein- und Ausschlussprozesse in ihrer Schullaufbahn als Weise der Subjektivierung untersucht (vgl. z. B. Kleiner und Rose 2014; Youdell 2006).

Anschließend an diese Studien werden wir im vorliegenden Beitrag unter Bezug auf ein durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördertes laufendes Promotionsprojekt Subjektivierungsprozesse neu zugewanderter Jugendlicher im Kontext von Praktiken der Organisation von Übergängen im Sekundarschulbereich analysieren. Übergänge werden dabei, im Anschluss an die neuere Übergangsforschung, insbesondere im Hinblick auf ihr „Zustandekommen“ (Walther et al. 2020, S. 12) untersucht. Entgegen der in diesem Forschungsfeld gängigen Fokussierung auf Lebensläufe und Biografien einheimische*r Staatsangehörige*r, richtet die Studie den Blick auf Bildungswege neu zugewanderter Jugendlicher, die zu einem großen Teil Fluchterfahrungen haben.

Im Kontext einer subjektivierungstheoretisch gefassten Übergangsforschung stellen wir im Folgenden auf methodologische Ebene einen doppelten Fokus auf das Forschungsfeld vor: Einerseits wird der Blick auf die rahmengebende Struktur der Organisation Schule gerichtet, andererseits auf einzelne Jugendliche als Schüler*innensubjekte. Auf der Basis einer sowohl subjektivations- als auch praxistheoretisch fundierten Perspektive wird sowohl nach den konkreten Praktiken der Organisation von Übergängen sowie des Umgangs mit Klassen- und Schulzuweisungen auf Schüler*innenseite, als auch nach den im Zuge dieser Prozesse sich vollziehenden Subjektivierungsprozessen gefragt. Insbesondere möchten wir hierbei den Mehrwert dieser doppelten Perspektive und des mit ihr verbundenen methodenpluralen Zugangs herausstellen.

Wir werden nun in einem nächsten Schritt knapp auf die vorliegende Forschungslage zum Kontext der Vorbereitungsklassen eingehen und die sowohl subjektivierungs- als auch praxistheoretisch fundierte theoretische Rahmung des Beitrages skizzieren. Nachdem wir anschließend die der Studie zugrunde liegenden methodologischen und methodischen Überlegungen darstellen, werden wir das Potenzial des gewählten Zugangs unter Bezug auf ein ausgewähltes Fallbeispiel exemplarisch erörtern. In der Diskussion reflektieren wir den Beitrag des vorgestellten methodischen Zugangs zu einer subjektivierungstheoretisch ausgerichteten erziehungswissenschaftlichen Forschung.

2 Forschungslage

Mehrere Studien (vgl. u. a. Massumi et al. 2015; Röhr-Sendlmeier 1992) weisen darauf hin, dass die separierte Beschulungsform in „Vorbereitungsklassen“ keine neue Erscheinung ist, sondern seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland von den jeweiligen Bundesländern genutzt wird. Im Rahmen verschiedener Zuwanderungsbewegungen, die innerhalb der letzten Jahrzehnte in die Bundesrepublik erfolgten, erreichte eine große Anzahl schulpflichtiger neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher das deutsche Schulsystem. Während manche der bereits damals umgesetzten Maßnahmen im Laufe der Zeit wieder verworfen wurden, bilden andere bis heute noch wichtige Säulen im Kontext der schulischen Förderung neu Zugewanderter. Massumi et al. (2015) zeigen in ihrer bundesweiten Erhebung, dass nach wie vor sehr viele Bundesländer von der Möglichkeit der Einrichtung von Vorbereitungsklassen Gebrauch machen. Insbesondere mit dem Anstieg der Zuwanderung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in den Jahren 2015/2016 erfuhr diese schulorganisatorische Maßnahme ein „Comeback“ (Brüggemann und Nikolai 2016).

Die segregierende, homogenisierende und diskriminierende Wirkung von sogenannten „Ausländerklassen“ für neu Zugewanderte wurde bereits Mitte der 1990er-Jahren von Radtke (1996) kritisch beleuchtet. In diesem Zusammenhang haben Gomolla und Radtke (2009) in ihrer einschlägigen Studie zu den Effekten des Entscheidungsverhaltens von Bildungsorganisationen gezeigt, inwiefern schulische Übergänge auf Grundlage von „sprachliche[r] und kulturelle[r] Heterogenität“ (Gomolla und Radtke 2009, S. 262) vonseiten der Organisation Schule gestaltet werden. Folglich weisen die Studienergebnisse auf (implizite) Mechanismen der institutionellen Diskriminierung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund hin, die sich u. a. durch „regelmäßig von der Organisation Schule vorgenommene (Selektions‑) Entscheidungen [auszeichnet], die in ihrer eigenen Logik und Pragmatik getroffen werden, [und] ungleiche Wirkungen auf die Schüler haben“ (Gomolla und Radtke 2009, S. 275). Dabei beruhen diese hergestellten Unterschiede auf Merkmalen, die der benachteiligten Gruppe zugeschrieben werden. Die Orientierung des Schulsystems an Homogenität bei gleichzeitiger Vermeidung von Heterogenität sind Charakteristika, die auch heute noch für das Bildungs- und Schulsystem gelten (vgl. Riegel 2016; Wenning 2004). Mecheril und Shure (2015) weisen mit Bezug auf solche verbesondernden Klassenformen zum einen auf die differenzherstellende und damit diskriminierende Wirkung solcher Klassen hin, aber auch darauf, dass „Vorstellungen einer (schulischen und unterrichtlichen) Norm(alität) und Eindeutigkeit im Hinblick auf Sprache, Herkunft, Sozialisationskontext oder Biographie zum Ausdruck gebracht werden“ (Mecheril und Shure 2015, S. 115). Entsprechend zeigen Karakayali und zur Nieden (2018) in ihrer Untersuchung zu sogenannten „Willkommensklassen“ in Berlin, inwiefern die separierte Beschulung zu einer Verstärkung einer Perspektive auf die dort beschulten Kinder und Jugendlichen beiträgt, die als Prozesse des „Otherings“ beschrieben werden können.

In diesem Zusammenhang betonen Massumi et al. (2015) in ihrer Studie zu schulorganisatorischen Modellen der Sprachförderung von Schüler*innen ohne bzw. mit wenig Deutschkenntnissen, dass die Frage, ob neu Zugewanderte einer Vorbereitungs- oder Regelklasse zugewiesen werden, „häufig von räumlichen, personellen und organisatorischen Ressourcen einer Schule und nicht (ausschließlich) von den Deutschkenntnissen“ (Massumi et al. 2015, S. 11) der Kinder und Jugendlichen abhängt. Hinsichtlich des Übergangs von der Vorbereitungsklasse in eine Regelklasse argumentieren von Dewitz und Bredthauser (2020), dass diese schulischen Übergänge zwar in der Regel von verschiedenen schulischen Maßnahmen begleitet würden, zugleich aber nicht von einem bedeutenden Grad an Professionalisierung oder einer großen Bandbreite an Maßnahmen an vielen Schulen mit Vorbereitungsklassen ausgegangen werden könne.

Die oben aufgeführten Studien nehmen die Aufnahme und schulische Eingliederung von Kindern und Jugendlichen in den Blick, die in unterschiedlichen Kontexten nach Deutschland zugewandert sind. Verschiedene erziehungswissenschaftliche Studien weisen zudem auf den speziellen Kontext von Fluchtmigration hin, der für individuelle Bildungswege, wie beispielsweise des im Rahmen dieses Beitrags dargestellten Fallbeispiels der Jugendlichen aus Syrien, von Bedeutung sein kann. Im Sammelband von Gag und Voges (2014) wird diese Gruppe von Zugewanderten in den Blick genommen. Die Autorinnen stellen heraus, dass zwar alle Kinder und Jugendliche, unabhängig ihres Aufenthaltsstatus, ein Recht auf (schulische) Bildung, haben. Junge Menschen mit Fluchterfahrung würde jedoch u. U. aufgrund eines anhaltenden Asylbewerbungsprozesses noch aufenthaltsrechtlichen Unsicherheiten begegnen, die sie in ihrer Lebensgestaltung einschränken können. Wie bereits einleitend angesprochen, gelten diese schulischen Übergänge als besonders sensible Abschnitte der Bildungslaufbahn neu Zugewanderter. Scherr und Breit (2020) zufolge würden gerade junge Geflüchtete „besonderen Belastungen [unterliegen], die dazu führen, dass Einmündungen und Übergänge, die im Ergebnis zum Aufbau einer Normalbiografie führen können, voraussetzungsvoll und riskant sind“ (Scherr und Breit 2020, S. 208). Dabei wird die Bewältigung schulischer Übergänge insbesondere für neu zugewanderte junge Menschen als ressourcenabhängig eingestuft. Fingerle (2018) verortet die spezifischen Ressourcen für die erfolgreiche Bewältigung der Übergangssituation auf Seiten der jungen Menschen u. a. bei ihren Freundschaftsbeziehungen, einem positiven (schulischen) Selbstkonzept sowie dem Instruktionsverhalten und Beratung durch die Eltern. Weiterhin ist in diesem Zusammenhang die einschlägige Studie von Seukwa (2006) zu widerständigen Bewältigungsweisen junger geflüchteter Menschen von Bedeutung. Hier wird exemplarisch dargestellt, inwiefern ein geflüchteter junger Mann vielfältige Handlungsstrategien im Spiegel des repressiven Asylrechtsystems entwickelt und es ihm schließlich gelingt, den „repressiven Maßnahmen spielerisch zu umgehen“ (Seukwa 2006, S. 246). Für die vorliegende Untersuchung relevant ist weiterhin die subjektivierungstheoretisch fundierte biografieanalytische Studie von Nadine Rose (2012), in der Subjektbildungsprozesse männlicher Jugendlicher aus Einwanderungsfamilien rekonstruiert werden. Ähnlich wie Seukwa arbeitet Rose Momente von Handlungsmacht und Widerstand heraus, die sie im Anschluss an Judith Butlers Subjektivierungstheorie als Praxen der resignifizierenden Positionierung diskutiert.

3 Theoretischer Rahmen

Die hier vorgestellte Analyse von Praktiken der Organisation schulischer Übergänge für neu zugewanderte Jugendliche und den mit diesen verbundenen Subjektivierungsprozessen erfordert eine sowohl praxis- als auch subjektivierungstheoretische Fundierung. Soziale Praktiken verstehen wir in Anlehnung an Theodore Schatzki, als „a temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings“ (Schatzki 1996, S. 89). Ein zentraler Aspekt dieser theoretischen Perspektive besteht in der Vorstellung von Praktiken als „nexus“, d. h. als Verbindungsglied zwischen Handlungen und Aussagen. Soziale Praktiken zeichnen sich insofern durch eine „relative Kontinuität der Form“ aus, „welche repetitiv an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder hervorgebracht wird“ (Reckwitz 2020, S. 50 f.). Schließlich lässt sich ein Spannungsfeld zwischen der beständigen Wiederholung von Praktiken einerseits und der „relative[n] Offenheit für Misslingen, Neuinterpretation und Konflikthaftigkeit des alltäglichen Vollzugs“ (Reckwitz 2020, S. 120) andererseits festmachen. Zur Verbildlichung kann in Anlehnung an Reckwitz das theoretische Konzept der sozialen Welt angeführt werden, welche aus einem praxeologischen Verständnis heraus als Arrangement verschiedener höchst heterogener Praxis-Komplexe begriffen werden kann (vgl. Reckwitz 2020, S. 49). Entsprechend lassen sich auch Organisationen – im Fall der vorliegenden Untersuchung beispielsweise die Schule – als „Praxisgebilde“ (vgl. Reckwitz 2008) begreifen.

Für die vorliegende Untersuchung sind diese Ausführungen insofern von Relevanz, als dass es über das theoretische Konzept von sozialen Praktiken möglich wird, die Handlungen von Akteur*innen innerhalb eines sozialen Feldes mit ihrem jeweiligen Kontext und relevanten Strukturen (analytisch) in Verbindung zu bringen. Auf diese Weise wird der Blick auf Schule als ein Konstrukt gerichtet, welches durch alltäglich wiederholte, wissensabhängige Praxismuster geformt wird. Schulisches Geschehen verstehen wir also als soziale Praxis, in der gesellschaftliche Ordnungen (re-)produziert werden (vgl. Balzer und Bergner 2012, S. 247). Im Anschluss an diese Überlegungen werden schulische Übergänge insbesondere im Hinblick auf ihr „Zustandekommen“ (Walther et al. 2020, S. 12) gefasst. Dadurch grenzen wir uns von der Vorstellung ab, Übergänge als „selbstverständliche, quasi-natürliche Gegebenheiten bzw. […] als soziale Tatsachen“ (Walther et al. 2020, S. 12) zu betrachten. Insofern richtet sich in diesem Forschungsprojekt der Blick auf die Praktiken, durch die Übergänge erst hergestellt und gestaltet werden.

Wie bereits angesprochen, wird im vorliegenden Beitrag eine Perspektive auf Praktiken der Organisation schulischer Übergänge mit einer Analyse der Erfahrungen und Wahrnehmungen neu zugewanderter Jugendlichen verbunden. Durch diesen zweiteiligen Blick auf das Forschungsfeld werden „subjektive Auseinandersetzungen mit Übergangsthematiken [fokussiert], in denen die gesellschaftliche Eingebundenheit, aber eben auch die Gestaltungsmöglichkeiten von Menschen zum Ausdruck kommen.“ (Walther et al. 2020, S. 23) Einer subjektivierungstheoretischen Perspektive folgend werden (Selbst- und Fremd‑)Positionierungen der zugewanderten Jugendlichen und damit einhergehende Subjektivierungsprozesse untersucht. Dies bedeutet auch, nach dem „Werden und Gewordensein von (konkreten) Subjekten“ (Saar 2013, S. 17) zu fragen. Dieser analytische Blick deckt sich mit einer praxistheoretisch informierten Lesart, der zufolge Subjekte als Konstrukte verstanden werden, die „in allen ihren Merkmalen Produkte historisch- und kulturell spezifischer Praktiken [sind], und […] nur innerhalb des Vollzugs sozialer Praktiken“ (Reckwitz 2008, S. 125) existieren. In Anlehnung an Rose und Ricken werden Subjektivierungsprozesse als Adressierungen sowie „zugehörige Antworten und Re-Adressierungen der Adressierten, die darin selbst wiederum zu Adressierenden werden“ (Rose und Ricken 2018, S. 167) untersucht. Hierbei gehen wir davon aus, dass es einer „Unterwerfung“ (Butler 2001, S. 24) des Individuums unter der zur Verfügung stehenden sozialen Kategorien bedarf, um einen Subjekt-Status zu erlangen. Dadurch erst gelingt es ihnen, sich zu einer Adressierung zu positionieren, handlungsfähig zu sein und gegebenenfalls innerhalb ihrer Handlungsfähigkeit widerständig zu handeln. Mit dieser theoretischen Perspektivierung lässt sich also danach fragen, welche Umgangsweisen neu zugewanderte Jugendliche im Rahmen von Zuweisungsprozessen entwickeln und inwiefern es ihnen gelingt, trotz rahmengebender, dominierender Strukturen im Kontext Schule handlungsfähig zu sein. Der gewählte forschungstheoretische Zugang leistet schließlich durch seine Orientierung am Subjekt einen Beitrag zur Analyse der „Anlässe, Verläufe und Bedingungskonstellationen“ (Thiersch et al. 2020, S. 3) von Bildungswegen und hierbei zur (Re)Produktion sozialer Ungleichheiten im Zuge der Organisation von Übergängen.

4 Methodische und methodologische Anlage

Der methodische Zugang zur Analyse der Subjektivierungsprozesse neu zugewanderter Jugendlicher im Kontext von Praktiken der Organisation von Übergängen im Sekundarschulbereich erfolgt über eine ethnographische Untersuchung der aktuellen Beschulungspraxis dieser Jugendlicher vorrangig in sogenannten „Vorbereitungsklassen“ an zwei ausgewählten Schulen der Sekundarstufe in einer baden-württembergischen Kommune. Über einem Zeitraum von ca. zwei Jahren fanden mehrere Phasen teilnehmender Beobachtung an diesen Schulen statt, die sich im Sinne des theoretical sampling nach der reflexiven „grounded theory“ Methodologie nach Franz Breuer (vgl. u. a. Breuer et al. 2018) sowohl hinsichtlich der Schulform als auch des genutzten Beschulungsmodells für neu zugewanderte Jugendliche unterscheiden: Insofern ist die erste Fallbeispielschule eine WerkrealschuleFootnote 1, die nach dem sogenannten „parallelen Beschulungsmodell“ (Massumi et al. 2015, S. 7) arbeitet, während die zweite Fallbeispielschule eine Realschule ist und nach dem sogenannten „teilintegrativen Beschulungsmodell“ (Massumi et al. 2015, S. 7) arbeitet. Im Rahmen der Feldaufenthalte wurden zusätzlich insgesamt acht offene, leitfadengestützte (Gruppen‑)Interviews mit Angehörigen der Schulverwaltung sowie Lehrkräften und Schulleitungen beider Schulen geführt. Darüber hinaus wurden mit insgesamt zwölf Jugendlichen sowohl aus sogenannten Vorbereitungsklassen als auch Regelklassen in einem Abstand von etwa einem halben bzw. dreiviertel Jahr ein bis zwei Interviews sowie mehrere ethnographische Gespräche geführt. Dabei stellte das Kernstück der Untersuchung die teilnehmende Beobachtung an beiden Schulen dar, worüber zum einen der Zugang zu einzelnen Schüler*innen sowie Lehrkräften und damit einher eine Vertrauensbasis zum weiteren Austausch hergestellt werden konnte (vgl. Breidenstein et al. 2015, S. 50). Zum anderen stellte die teilnehmende Beobachtung ein Mittel dar, das alltägliche unterrichtliche sowie allgemeine schulische Geschehen aus Forschendenperspektive zu erfassen, was die Basis zur Rekonstruktion von Praktiken und mit diesen einhergehenden Subjektivierungsprozessen bildete. Die spontan während der Schulzeit stattfindenden kürzeren ethnographischen Gespräche sowie die extra terminierten, ausführlicheren Interviews stellten eine Möglichkeit dar, einerseits zusätzliche, kontextualisierende Informationen zu Beobachtungen im Feld aus Sicht der Schüler*innen sowie Lehrkräfte zu erfassen. Andererseits zielten v. a. die Interviews mit den Schüler*innen darauf ab, ihren individuellen Bildungsweg sowie ihre biographischen Erfahrungen mit Bildungseinrichtungen im Kontext ihrer Zuwanderung nach Deutschland zu erfassen. Daneben dienten die Interviews mit Lehrkräften, Schulleitungen sowie Angehörigen der Schulverwaltung dazu, Wissen zu organisationalen Verfahrensweisen und Logiken im Kontext der Beschulung neu Zugewanderter zu generieren. Wie auch die Auswahl der beforschten Schulen verlief die Auswahl der einzelnen Interviewpartner*innen „forschungsprozess-begleitend“ (Breuer et al. 2018, S. 156) nach den Prinzipien des theoretical sampling, wobei besonderes Augenmerk auf eine möglichst große Bandbreite an Variationen und Kontraste bei den einzelnen Fällen gelegt wurde. Dabei erfolgte der Zugang zu den Interviewpartner*innen zum Großteil über das Schneeball-Prinzip.

Über die unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten und die Triangulation der erhobenen Daten wird in der Studie eine Untersuchung sowohl der Praktiken der Organisation von Übergängen als auch der subjektivierenden Folgen für die zugewanderten Jugendlichen ermöglicht. Die Auswertung des erhobenen Datenmaterials, welches sowohl aus Beobachtungsprotokollen, Interviewtranskripten, Postskripten sowie Memos besteht, erfolgt durch das Kodierverfahren nach der reflexiven „grounded theory“ inklusive feinsequenzieller line-by-line-Analyse einzelner Passagen (vgl. Breuer et al. 2018). So erfolgte im Zuge des Kodierverfahrens die detailliertere Analyse derjenigen Passagen, die sich im Hinblick auf die bereits rekonstruierten Kategorien als relevant erwiesen und zudem (aufgrund der besseren Analysierbarkeit) einen großen narrativen Anteil beinhalteten. Diesem Forschungsdesign liegt in Anlehnung an Helga Kelle (2001) die Annahme zugrunde, dass die einzelnen Verfahren der Datenerhebung „spezifische Forschungsperspektiven umsetzen und verschiedene Gegenstände konstruieren“ (Kelle 2001, S. 192) und insofern mit Blick auf ihre „eigenständige theoretische Produktivität“ (Kelle 2001, S. 192) genutzt werden müssen. Kelle verweist dabei auf eine notwendige Abgrenzung gegenüber der Vorstellung, dass sich durch die „Triangulation von Perspektiven und Methoden […] die Ergebnisse theoretisch integrieren“ (ebd.) ließen. Diesen Überlegungen folgend wird in der Studie davon ausgegangen, dass über die teilstrukturierten Leitfadeninterviews mit den Mitarbeitenden aus den kommunalen Behörden sowie mit schulischen Akteuren in erster Linie Daten zu sozusagen „erzählten Praktiken“ erhoben wurden. Hierzu ergänzend konnten durch die Feldaufenthalte an beiden Fallbeispielschulen über die Methode der teilnehmenden Beobachtung Daten erhoben werden, die Hinweise auf „beobachtete Praktiken im Vollzug“ geben. Im Zuge einer „Triangulation von Perspektiven“, wie Kelle sie anspricht, werden die auf diese Weise rekonstruierten Praktiken der Organisation von Übergängen zu den Erfahrungen und Perspektiven der Jugendlichen in Bezug gesetzt, die im Rahmen von Interviews und ethnographischen Gesprächen erhoben werden. Im folgenden Fallbeispiel werden wir eine „Triangulation von Perspektiven“ auf der Grundlage einer Analyse von erzählten Praktiken der Organisation von Übergängen sowie von den erzählten Erfahrungen einer Jugendlichen vorstellen.

5 Fallbeispiel

5.1 Organisationale Logiken: Perspektiven der Lehrkraft Frau Rombach und des Schulleiters Herr Nagel

Im vorliegenden Abschnitt wird auf Grundlage eines ethnographischen Gesprächs, welches zwischen der Forscherin und der Klassenlehrkraft einer Vorbereitungsklasse der Kiefer Werkrealschule, Frau Rombach, stattfand, zunächst einmal deren Perspektive auf die Gestaltung von schulischen Übergängen rekonstruiert. Hierbei kann unseres Erachtens aus den im Interview dokumentierten diskursiven Praktiken eine organisationale Logik herausgelesen werden, die wiederum Rückschlüsse auf Praktiken der Organisation von Übergängen eröffnet. Auf diese Weise ist es uns möglich, die Bedeutung von Praktiken der Organisation für Subjektivierungsprozesse zu rekonstruieren.

Zunächst möchten wir aus einem an der Kiefer Werkrealschule entstandenen Beobachtungsprotokoll zitieren:

„Wir unterhalten uns über das Zuteilungsverfahren an die allgemeinbildenden Schulen in [Großstadt A]. […] An der Kiefer Werkrealschule würde Herr Nagel [Schulleitung] sich um die Verteilung der Schüler*innen an die unterschiedlichen Schulen innerhalb der Kommune kümmern. Er würde versuchen, so Frau Rombach, eine ‚gute Mischung‘ zu bekommen. Die Kiefer Werkrealschule fände es gut, wenn die Schüler*innen aus der Vorbereitungsklasse auch danach in die Regelklassen der Kiefer Werkrealschule wechseln. So könnten sie besser von den Schulsozialarbeiter*innen und Lehrkräften begleitet werden; von Anfang an. Die Schulsozialarbeiter*innen seien die ersten Personen, die Kontakt zu den Schüler*innen hätten. Gehe der*die Schüler*in an eine andere Schule, so könne die Kiefer Werkrealschule nicht mehr beeinflussen, ob er bzw. sie nochmal an eine Vorbereitungsklasse zugewiesen werde. In diesem Zusammenhang erzählt Frau Rombach, dass sie mit Samira [Schülerin der 7. Klasse] und ihrer Mutter ein Gespräch hatte. Da hätte Frau Rombach gesagt, dass Samira lieber bis zum Ende an der Kiefer Werkrealschule bleiben und erst nach ihrem Schlussabschluss an eine Realschule wechseln solle. Sie hätte dadurch mehr Unterstützung und könne sicher gehen, dass sie auch in der Regelklasse durchgehend bleiben könne. Ihre Schulzeit würde sich dadurch nicht verlängern. Samira habe daraufhin erwidert, dass sie gerne zusammen mit Schüler*innen sein möchte, die so motiviert sind zum Lernen wie sie selbst.“

Zunächst geht die Lehrkraft auf die Hintergründe der Zuteilungsprozesse von Schüler*innen aus der Vorbereitungsklasse in anderen Schul- und Klassenformen ein. Als zentraler Akteur wird dabei die Schulleitung der Kiefer Werkrealschule genannt, die die Koordination aller neu eingereisten Kinder und Jugendlichen auf Schulen innerhalb der Kommune innehat. Dabei sei das Ziel, eine „gute Mischung“ zu erreichen – wobei nicht näher expliziert wird, was hiermit konkret gemeint ist. Zum anderen wird markiert, dass die Kinder und Jugendlichen nach einer Zuweisung in eine der Vorbereitungsklassen der Kiefer Werkrealschule, diese nach Möglichkeit auch nach dem Wechsel in die Regelklasse nicht verlassen sollen. Somit sei sichergestellt, dass diese jungen Menschen von Anfang an über ihre gesamte Schullaufbahn an dieser Schule von demselben sozialpädagogischen Personal begleitet werden können. Schulsozialarbeiter*innen werden in diesem Kontext als zentrale Akteure in der Begleitung der Schüler*innenschaft positioniert. Neu zugewanderte Jugendliche werden dadurch implizit als unterstützungsbedürftig bzw. begleitungsbedürftig vonseiten der Organisation Schule adressiert. Zudem argumentiert Frau Rombach, dass im Falle eines Schulwechsels nicht sichergestellt werden könne, dass der- bzw. diejenige betreffende Jugendliche nicht wieder einer Vorbereitungsklasse zugewiesen werde.

Der Organisation Schule wird somit eine machtvolle Position zugestanden, die innerhalb ihrer Zuständigkeiten Bildungswege eröffnen, aber auch verschließen kann. Schüler*innen erscheinen in diesem Machtgefüge als diejenigen, die diesen machtvollen Strukturen entmächtigt bzw. untergeben sind und neu zugewanderte Schüler*innen werden als besonders unterstützungsbedürftig durch pädagogisches Personal in Bezug auf den prekären Übergang von der Vorbereitungs- in die Regelklasse konstruiert. Insofern wird hier eine fürsorgliche Haltung eingenommen, die die Teilnehmer*innen aus Vorbereitungsklassen als unmündig und schutzbedürftig adressiert und einer organisationalen Logik des Verhinderns von Übergängen in höherwertige Schultypen Vorschub leistet. Der Verweis auf eine notwendige „gute Mischung“ bei der Verteilung von Schüler*innen unterstreicht zudem, dass Vorstellungen darüber, welche Zusammensetzung von Schüler*innen an einzelnen Schulen als günstig erachtet wird, Praktiken der Zuteilung entscheidender prägen, als das Bemühen, dem Leistungsniveau der einzelnen Schüler*innen gerecht zu werden.

Konkret in Bezug auf Samira, einer ehemaligen Schülerin der Vorbereitungsklasse die aktuell die 7. Klasse besucht, macht Frau Rombach der Forscherin gegenüber deutlich, dass die Jugendliche ihrer Meinung nach am besten auf der Werkrealschule aufgehoben sei. Dabei bekräftigt sie nochmals das Argument der Unterstützungsmöglichkeit durch die Schule. Indem sie versichert, dass Samiras „Schulzeit“ sich durch ihren Verbleib auf der Werkrealschule nicht verlängern werde, setzt sie die Gesamtlänge der Schulzeit Samiras als zentrales Entscheidungskriterium, das offensichtlich schwerer wiegt als die Qualität und Leistungsangemessenheit des zu erreichenden Abschlusses. Samira habe vorgebracht, dass sie eine Schulumgebung suche, die sie fördert: Sie wäre gerne mit anderen Schüler*innen zusammen, bei denen sie sich hinsichtlich ihrer Motivation zum Lernen wiederfinde. Dieser Widerstand Samiras gegenüber einer Adressierung als Schülerin, die an der Werkrealschule am besten aufgehoben sei, wird von der Lehrerin offensichtlich zur Kenntnis genommen, bleibt jedoch unkommentiert.

Die sich in diesem Ausschnitt eines ethnografischen Gesprächs dokumentierende Perspektive auf die Logik der Organisation von Übergängen, die zugleich Hinweise auf organisationale Praktiken gibt, zeigt sich homolog in einer Passage aus einem Interview mit der Schulleitung der Kiefer Werkrealschule, Herrn Nagel. Dieser bemerkt als Replik auf die letzte Interviewfrage bezüglich des Bedarfs nach der Verbesserung bestimmter Prozesse im Feld der Beschulung zugewanderter Kinder und Jugendlicher:

„Die Übergänge äh sind oft schwierig. Ähm wir stellen fest, wir sind eine Grund- und Werkrealschule. Und die Werkrealschulen waren schon prädestiniert mal für äh Kinder aus den Vorbereitungsklassen. In [Stadt A in Ba-Wü] gibt es nur noch zwei. Das heißt, die Werkrealschule ist eine Schulform, die rückläufig ist. Denn mit den ganzen, mit Klassenlehrerprinzip und so weiter. Die Schwierigkeit ist, dass ich Kinder, die bei uns in den Vorbereitungsklassen sind, gar nicht mehr alle in die Regelklasse aufnehmen kann, weil es keine Ressourcen mehr gibt. # Wir sind +// Klasse 5 geht es noch. Da haben wir jetzt pro Klasse 20 Schüler. Aber in Klasse 7, 8 haben wir schon 28, 29 (.) Also ich kann dann net noch äh: fünf Schüler nochmal dann da hen’ +// Die Ressourcen werden jetzt dann knapp. Die Realschulen bemühen sich, aber für viele Schüler wäre das, wär die Werkrealschule +// da würd’ ich mir ab und zu mal die eine oder andere Schule wünschen, aber die gibt es halt nicht mehr. Das Konzept sieht vor +// in [Stadt A in Ba-Wü] waren wir mal sechs Werkrealschulen, also sogar sieben, oder Hauptschulen. Und heute sind nur noch zwei.“

Auch anhand dieses Zitats kann das Narrativ der Deutungshoheit vonseiten der Organisation Schule rekonstruiert werden, demzufolge schulische Akteure am besten über die Bildungswege junger Menschen entscheiden können. Diese Einsicht wird durch die Aussage „Und die Werkrealschulen waren schon prädestiniert mal für äh Kinder aus den Vorbereitungsklassen“ insofern gestützt, als dass diese bestimmte Schulform als ideal für bestimmte Schüler*innen erklärt wird. Wie im oberen Zitat von Frau Rombach werden Schüler*innen der Vorbereitungsklassen als Schüler*innen, die vom Leistungsniveau und von ihren Bedürfnissen her die Werkrealschule besuchen sollten, konstituiert. Damit einher werden diese Schüler*innen homogenisierend als Gruppe adressiert, die allesamt dieselben Voraussetzungen für den Besuch einer Schule in Deutschland zu haben scheinen. Dadurch bleiben alle Fertigkeiten und fachliche Kompetenzen, die ein junger Mensch bereits in anderen Bildungsinstitutionen erhalten haben könnte, weitestgehend unbeachtet.

Es zeigt sich hier weiterhin, dass Praktiken der Zuweisungen von Schüler*innen im Sekundarschulbereich durch organisationale Zwänge reguliert werden. Das lässt sich insbesondere am Argument der Ressourcenknappheit festmachen, welches von der interviewten Schulleitung herangezogen wird. Die großflächige Abschaffung von Werkrealschulen und die dadurch entstandenen verringerten Platzkapazitäten an dieser Schulform werden als ausschlaggebende Rahmenbedingungen dargestellt, die die Praxis der kommunalen Zuweisungen neu Zugewanderter an Schulen der Sekundarstufe stark regulieren, wobei Herr Nagel die Veränderung der kommunalen Schullandschaft in den letzten Jahren stark problematisiert: Es gäbe nicht mehr so viele geeignete Schulen, in Schüler*innen der Vorbereitungsklassen wechseln könnten.

Es zeigt sich somit auch in diesem Interview, dass Übergänge von der Vorbereitungsklasse der Werkrealschule in andere Schulformen aus organisationaler Perspektive ungewollt sind, obwohl diese sich aus pragmatischer Perspektive durchaus anböten, da die Werkrealschulen gar nicht die Ressourcen haben, die Schüler*innen aus den Vorbereitungsklassen aufzunehmen. An dieser Stelle lässt sich vermuten, dass die sowohl von der Lehrerin als von der Schulleitung vertretene Position, die Werkrealschulen seien geeigneter als alle anderen Schulformen, um Schüler*innen aus den Vorbereitungsklassen zu beschulen, implizit auf eine Legitimation (und Rettung) dieser Schulform abzielen. Die sich in den rekonstruierten diskursiven Praktiken dokumentierenden organisationalen Logiken bei der Zuweisung neu zugewanderter Schüler*innen sind somit nicht am Ziel von deren individueller Unterstützung ausgerichtet, sondern orientieren sich einerseits an deren Konstitution als besonders schutzbedürftig und andererseits klar an institutionellen Interessen wie der Herstellung einer „guten Mischung“ in der Einzelschule und einer fortgesetzten Legitimation der Institution Werkrealschule.

Auf der Grundlage der somit rekonstruierten erzählten Praktiken und organisationalen Logiken lässt sich vermuten, dass ein Schulformwechsel für neu zugewanderte Schüler*innen mit großen organisationalen Hürden verbunden ist. Im nächsten Schritt werden wir die Thematik eines potenziellen Schulwechsels von Samira aus der Perspektive der Jugendlichen selbst analysieren.

5.2 Subjektivierungsprozesse: Perspektive der Jugendlichen Samira

Auf Grundlage zweier Interviews, die in einem Abstand von einem dreiviertel Jahr geführt wurden, kann rekonstruiert werden, wie Samira die bereits erwähnte Auseinandersetzung mit ihren Lehrkräften an der Kiefer Werkrealschule bezüglich ihres gewünschten Schulwechsels wahrnimmt. Zunächst sollen knapp Samiras bisherige Biografie sowie ihr Bildungsweg durch verschiedene Schulen skizziert werden.Footnote 2

Samira wurde Anfang der 2000er Jahre in Syrien geboren und lebte dort gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern, bis die Familie den Entschluss fasste, aufgrund des stattfindenden Krieges und der damit einhergehenden unsicheren Situation nach Deutschland zu fliehen. Als erste reiste ihre Mutter aus bis der Rest der Familie zwei Jahre später über den Luftweg nachkam. Im Januar 2017 zog die Familie gemeinsam direkt nach Stadt A, einer kleineren Großstadt in Süddeutschland, wo Samira fortan bis zu unserem Kennenlernen lebte. Zum Zeitpunkt der Forschung wohnt sie zusammen mit ihrer Familie in einer 2‑Zimmer Wohnung. Sie berichtet von der Schwierigkeit zuhause einen ruhigen Ort zu finden, um zu lernen. Bis sie gemeinsam mit ihren Geschwistern und ihrem Vater ihr Herkunftsland verließ, besuchte Samira die 9. Klasse einer Schule, die dem deutschen Gymnasium entspricht. In Stadt A angekommen, wurde sie nach ca. einem Monat einer Vorbereitungsklasse der Kiefer Werkrealschule zugewiesen. Sie verblieb ca. ein Jahr in der Vorbereitungsklasse, bis sie im laufenden Schuljahr in die 7. Klasse derselben Schule wechselte. Das erste Interview mit Samira fand Ende Juni statt. Am Ende dieses Schuljahres wechselte sie dann die Schule und kam auf eine Realschule in derselben Stadt und besuchte dort die 8. Klasse. Das zweite Interview wurde im Laufe dieses Schuljahres durchgeführt. Als ihr Ziel benennt Samira in diesem Interview den Besuch eines Gymnasiums und begründet dies mit ihrem innigsten Wunsch, in Deutschland Abitur zu machen, um schließlich Medizin studieren zu können. Langfristig wolle sie in Deutschland leben und arbeiten.

In folgender Passage aus dem zweiten Interview mit ihr berichtet sie somit über die erwähnte Auseinandersetzung mit ihren ehemaligen Lehrkräften an der Kiefer Werkrealschule:

„habe ich mit Herrn (Bauer) (.) (Bauer) ist (.) äh ja die Lehrer [I: Ja] äh hat mit mir (.) also ich wollte ja (3) ähm (.) mit (.) mit ihm und Frau (Rombach) (.) mein (.) Frau (Rombach) is (.) Frau (Rombach) ist ähm die Lehrerin vom VK (.) [I: VK] sie war mit mir (.) also sie ist (.) sie war mein Lehrerin [I: genau ja] Und da hab ich (.) äh gesagt äh mein Mutter möchte ja ein Termin ausmachen (.) damit wir mehr über Realschule sprechen können (.) dann ham wir ein Gespräch gebracht (.) also ausgemacht (.) wir haben ein Termin ausgemacht und (.) als der Termin komm (.) kam (.) ham wir geredet dass Realschule sehr schwer ist und sowas (.) Frau (Rombach) hat mir gesagt (.) es ist wirklich sehr schwer und du kannst es nicht so (.) also (.) ja es ist (.) wenn man ja dort geht (.) dann geht man zurück (.) dann hab ich (.) hab ich gedacht hä (.) das ist ja wirklich leicht (.) und meine Mutter hat äh zu ihr gesagt dass sie doch das schaffen kann (.) und so was (.) aber trotzdem hat sie gesagt dass es schwer ist und (.) äh Deutsch und so was (.) aber des ist es jetzt gerade nicht so schwer wie ich gedacht habe (.) [I: Ah, es ist so schwer (.) es ist so schwer wie du gedacht hattest] Nein (.) es ist nicht so schwer [I: Nicht so schwer? ah] Nein (.) es ist Deutsch hab ich eigentlich zwei bis drei (.) oder drei (.) [I: Mhm] sowas (.) drei ja:a (.) weil ich irgendwas (.) […] Und äh (.) dann hat er gesagt also Herr (Bauer) hat gesagt dass es okay ist wenn (Samira) es möchte [I: Mhm] also (.) vielleicht weiß sie besser als uns was sie schaffen kann (.) was sie nicht schaffen kann [I: Okay] Da:nn (.) ähm haben wir gesagt ja okay dann (.) schauen wir einfach bis Ende des Schuljahres.“

Samira berichtet davon, dass Frau Rombach, ihre ehemalige Klassenlehrerin der Vorbereitungsklasse, ihr explizit davon abriet, auf die Realschule zu wechseln. Sie argumentierte, dass diese Schulform „sehr schwer“ sei und sie möglicherweise zurückgestuft würde. An einer anderen Stelle des Interviews erläutert Samira, dass ihr nahegelegt wurde, die komplette Schullaufbahn an der Werkrealschule zu absolvieren, bevor sie die Schule wechsle. Hier deutet sich an, dass ungeachtet der oben rekonstruierten Dominanz auch institutioneller schulischer Interessen bei Zuteilungspraktiken in der direkten Kommunikation mit der Schülerin und ihrer Mutter ein Verbleib auf der Werkrealschule als Entscheidung in ihrem eigenen Interesse gerahmt wurde, dies mit dem Argument, die Realschule sei „sehr schwer“, weshalb Samira in Kürze wieder an die Werkrealschule zurückversetzt würde. Im beschriebenen Gespräch nahm ihr damaliger Lehrer der Regelklasse, Herr Bauer, dagegen eine offenere Haltung ein und überließ die Entscheidung, welche Schulform die beste für Samira sei, der Schülerin selbst. Er adressierte sie damit, im Gegensatz zu seiner Kollegin, als eine Person, die Mitspracherecht im Entscheidungsprozess bezüglich des Schulwechsels hat, entzog sich dabei aber gleichzeitig der Verantwortung einer professionellen Einschätzung ihres Leistungsniveaus. Schließlich einigten sich beide Lehrkräfte, Samira und ihre Mutter am Ende des Gesprächs darauf, bis zum Ende des Schuljahres abzuwarten und dann einen möglichen Schulwechsel nach ihren Schulleistungen besser einschätzen zu können. In diesem Kontext lässt sich noch die besondere Rolle ihrer Mutter festhalten, die Samira bei dem Gespräch begleitet und sie in ihrer Position unterstützt.

Des Weiteren berichtet Samira, dass sie im Anschluss an dieses Gespräch eigenständige Anstrengungen unternahm, sich selbst einen Schulplatz an einer Schule ihrer Wahl zu suchen, und nicht, wie vereinbart, bis zum Ende des Schuljahres abzuwarten. So schrieb sie den Schulleitungen verschiedener Realschulen und fragte sie konkret bezüglich eines Schulplatzes für das kommende Jahr an. Die Suche nach einem Schulplatz sowie die Kommunikation mit den verschiedenen Schulen beschreibt Samira als einen „wirklich kompliziert[en]“ (IntS1_2_Z.347ff) Prozess: es folgen sehr viele negative Antworten, die u. a. auf nicht vorhandene Ressourcen sowie auf Kriterien verweisen, die Samira nicht erfüllte. Dabei konnte die Schülerin nicht alle Regularien nachvollziehen. Sie verweist auf die Intransparenz mancher Schulen, die auch dazu führte, dass sie dort nicht hingehen wollte („das war wirklich kompliziert (.) und dann nein (.) ich komm nicht (.) und ich will dort auch nicht gehen“ (IntS1_2_Z.347ff)). Nichtsdestotrotz blieb sie zuversichtlich, irgendwann doch noch die Schule wechseln zu können. Schließlich war sie erfolgreich und erhielt für das darauffolgende Schuljahr einen Schulplatz auf einer Realschule ihrer Wahl. Darüber zeigt sie sich außerordentlich erfreut: „ja das war wirklich sehr schön für mich und sehr cool (.) es war wirklich (.) sehr Trau+// also ein Traum für mich“ (IntS1_2_Z.378ff). Ihr Klassenlehrer aus der 7. Klasse der Werkrealschule stellt ihr daraufhin eine schriftliche Empfehlung bezüglich ihres Wechsels auf die Realschule aus, die sie bei ihrer neuen Schule einreichen konnte. Im zweiten Interview, als sie bereits den Wechsel in die Realschule vollzogen hat, kommentiert Samira retrospektiv die Prognose ihrer Lehrerin, die Realschule sei zu schwer für sie: Bisher habe sie diese als gar nicht so schwer empfunden und sie sei im Nachhinein überrascht über Frau Rombachs Einschätzung.

Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sich Samira auf der einen Seite bewusst ist, dass sie die (schriftliche) Zustimmung der Lehrkräfte ihrer aktuellen Schule benötigt, um auf eine andere Schulform wechseln zu können und dadurch von ihnen in gewisser Weise abhängig ist. Zudem wird sie von einigen schulischen Akteur*innen als Person adressiert, die kein Mitspracherecht hinsichtlich der Gestaltung ihrer eigenen Bildungsbiographie hat. Auf der anderen Seite unternimmt sie verschiedene eigenständige Anstrengungen, um ihren Willen durchzusetzen. Dabei scheint Samira die Empfehlung, die v. a. vonseiten ihrer ehemaligen Klassenlehrerin aus der Vorbereitungsklasse kommt, allenfalls als Vorschlag zu deuten, dem sie nicht zwingend folgen muss. Die erfahrenen Adressierungen als Person ohne Mitspracherecht hatten insofern keine subjektivierenden Auswirkungen. Sie erkennt dabei die Machtverhältnisse in diesem Kontext an. Nichtsdestotrotz ist sie sich darüber klar, dass sie hierbei das Recht hat, sich für ihre Wünsche bzw. ihren Willen einzusetzen und handlungsfähig sein kann. Durch das verfügbare Wissen über ihre Rechte gelingt es ihr, einen Schulplatz an ihrer Wunschschule zu erhalten und den Schulwechsel nach Jahresabschluss zu erwirken. Dadurch führt sie innerhalb ihres Bildungsweges Übergänge herbei, die von organisatorischer Seite formell nicht geplant waren, wie es zum Beispiel bei einem Schulwechsel während eines laufenden Schuljahres der Fall ist, und gestaltet somit ihren eigenen Bildungsfahrplan.

In der Zusammenschau der vorgestellten Interpretation soll dieser Abschnitt mit einigen Überlegungen zu den subjektivierenden Wirkungen von Praktiken der Organisation des Übergangs abgeschlossen werden. Zwar erlebt Samira, wie bereits im vorherigen Abschnitt diskutiert, vonseiten der Organisation Schule eine Adressierung, die sie teilweise als unterstützungsbedürftig und unmündig markiert und bei der sie in ihren Bildungsaspirationen zum Teil keine Unterstützung erfährt. Nichtsdestotrotz gelingt es ihr, ihren Übergang an eine andere Schule selbstständig und aktiv mitzugestalten, wodurch sich ihre Subjektivierung als aktives, selbstbestimmtes Subjekt der aufgezeigten Logik der Organisation zum Trotz vollzieht. An dieser Stelle wird deutlich, dass Samiras Bildungsstrategien stark durch eine sozialisationsbedingte bildungsaffine und meritokratische Grundhaltung motiviert sind, die offensichtlich auch durch ihre Erfahrungen mit einem intransparenten Schulsystem und seiner Verfahrensweisen offenbar nicht irritiert wird. Denn trotz eines Bewusstseins über die Barrieren ihres Handlungsspielraumes, scheint sich Samira sicher zu sein, dass ein erfolgreiches Durchlaufen des Schulsystems ganz zentral von ihren individuellen Anstrengungen abhängt. Wie bereits erwähnt, nimmt Samiras Mutter eine zentrale Rolle in der Unterstützung der Bildungsaspirationen ihrer Tochter ein. Zudem hat ihr größerer Bruder, der innerhalb kürzester Zeit nach seiner Einreise in Deutschland die deutsche Hochschulzugangsberechtigung erhalten hat und daraufhin sein Medizinstudium annahm, eine zentrale Vorbildfunktion. Diese Erfahrungen in einer bildungsaffinen Herkunftsfamilie in Kombination mit den Erfahrungen, die Samira bereits in ihrem Herkunftsland als ehemalige Gymnasialschülerin gesammelt hat, können unseres Erachtens als entscheidend für die rekonstruierten Subjektivierungsprozesse, die sich im Widerstand gegenüber organisationalen Logiken und einigen erfahrenen Adressierungen vollziehen, betrachtet werden.

6 Diskussion

Ziel dieses Beitrages war es, zum einen organisationale Praktiken schulischer Übergänge und die mit diesen verbundenen Formen der Adressierungen neu zugewanderter Jugendlicher zu rekonstruieren und zum anderen die erlebten Handlungsmöglichkeiten oder auch -beschränkungen in Übergangsmomenten und damit einhergehende Subjektivierungsprozesse der Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Zudem sollte auch das spezifische Potenzial des gewählten methoden- und perspektivenpluralen Zuganges für eine Analyse des Zusammenspiels einer strukturellen und organisationalen Ebene sowie der Subjektebene bei Subjektivierungsprozessen herausgestellt werden.

In der Zusammenschau beider Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand können verschiedene Momente markiert werden: Im Kontext der Rekonstruktion von Praktiken der Organisation schulischer Übergänge ist deutlich geworden, inwiefern die Organisation Schule in einer machtvollen Position erscheint, die innerhalb ihrer Zuständigkeiten Bildungswege eröffnen aber auch verschließen kann. Vonseiten der Perspektive einer Lehrkraft und einer Schulleitung konnten spezifische organisationale Logiken herausgearbeitet werden, die wiederum Rückschlüsse auf Praktiken der Organisation von Übergängen eröffneten. Als bedeutsam ließ sich dabei ein Narrativ der Deutungshoheit vonseiten der Organisation Schule rekonstruieren, welches mit einer in eine Haltung der Fürsorge eingekleideten Adressierung der Schüler*innen der Vorbereitungsklasse als besonders unterstützungsbedürftig sowie unmündig in Bezug auf schulische Übergänge einhergeht. Kristallisationspunkt dieser Argumentationslogik stellt die herausgearbeitete organisationale Logik des Verhinderns von Übergängen in höherwertige Schultypen dar. Neu zugewanderte Schüler*innen werden in den rekonstruierten diskursiven Praktiken als per se einerseits schutzbedürftig und andererseits der Institution der Werkrealschule zugehörig konstituiert. Genau wie Gomolla und Radtke dies bereits 1996 konstatierten, stehen Selektionsentscheidungen insofern auch heute noch im Zusammenhang mit diskriminierenden Merkmalszuschreibungen. Diese konstituieren sich hier in einer pauschalen Kennzeichnung neu zugewanderter Jugendlicher als sozialpädagogisch fürsorgebedürftig, wobei unter der Hand gleichzeitig der Werkrealschule als Schule, die sozialpädagogischen Unterstützungsbedarf bereitstellt, eine weitergehende Existenzberechtigung bescheinigt wird. In diesem Sinne ließ sich ebenfalls aufzeigen, dass eine Beteuerung, dass neu zugewanderte Schüler*innen am allerbesten auf Werkrealschulen aufgehoben seien, auch im Dienste einer Legitimation dieser schwindenden Schulform steht.

Am Beispiel der Rekonstruktion des Interviews mit der Jugendlichen Samira konnte wiederum ein Subjektivierungsprozess, der in Abgrenzung zu den aufgezeigten Adressierungen verläuft, aufgezeigt werden. Samira positioniert sich vor dem Hintergrund ihrer Identifikation mit einer bildungsaffinen Familie und ihren Bildungserfahrungen im Herkunftsland als in der Lage, selbstbestimmt in einem meritokratisch ausgerichteten Bildungssystem zu agieren.

In Bezug auf die hier diskutierte Frage der Subjektivierung zeigt sich zudem im analysierten Fall, dass schulische Adressierungen nur bedingt subjektivierend wirken. Subjektivierungsprozesse können sich durchaus im Widerstand gegen diese Adressierungen entfalten und, wie im Fallbeispiel aufgezeigt, im Spannungsfeld zwischen einer sozialisationsbedingten bildungsaffinen Grundhaltung und hegemonialen Praktiken der Organisation von Übergängen, die dieser entgegenstehen, entfalten. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Befunden von Dausien, Rothe und Schwendowius (2016) zur Rolle von subjektivem Eigensinn bei Bildungsaufstiegen im Kontext von Flucht*Migration. Die Autorinnen argumentieren, dass es auch auf der Ebene individueller Biographien Evidenzen für Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Veränderung gebe. Dabei betonen sie, dass die Schule zwar dazu beitrage

„dass [sich] Lebenswege […] langfristig in den gesellschaftlich vorstrukturierten Bahnen und Grenzen der dominanten Ungleichheitsverhältnisse – Klasse, Geschlecht, migrationsgesellschaftliche Zugehörigkeitsordnungen – bewegen und dass diese damit zugleich reproduziert werden“ (Dausien et al. 2016, S. 10),

nichtsdestotrotz gelte dieser Befund auch dann noch, wenn individuelle Bildungsbiografien sich anders entwickelten und diese „Grenzen“ überschritten. Insofern betrachten sie Bildungsaufstiege und „‚untypische‘ Bildungsbiographien“ (Dausien et al. 2016, S. 10) nicht als „Ausnahmen von der Regel […], sondern vielmehr [als] Indizien dafür, dass die Reproduktion sozialer Ungleichheit keineswegs vollständig und lückenlos und, das heißt, auch nicht reibungslos funktioniert.“ (Dausien et al. 2016, S. 10) Individuen wie Bildungsinstitutionen hätten durchaus „Spielräume der eigensinnigen Gestaltung von Bildungsprozessen und für die Aushandlung (der Bedingungen) sozialer Teilhabe“ (Dausien et al. 2016, S. 11). Auch die eingangs erwähnten Studien von Seukwa (2006) und Rose (2012) verweisen auf eigensinnige und widerständige Praktiken, bzw. auf Resignifizierungen normativer Adressierungen von als migrantisch gelesenen Jugendlichen.

Die im dargestellten Fallbeispiel erfolgte Methodentriangulation ermöglicht es, zu erkennen, inwiefern sowohl Akteure innerhalb des Schulsystems als auch Schüler*innen als zwei Parteien in diesem komplexen Zusammenspiel zwischen organisatorischer Macht und individuellem Gestaltungsspielraum an ihre Grenzen stoßen. Lehrkräfte als Akteure der Organisation Schule handeln in einem vorgegebenen Rahmen innerhalb des Systems. Sie haben zwar einen gewissen Handlungsspielraum, können bzw. wollen diesen aber nur bis zu einer gewissen Grenze nutzen. Dabei zeigen weitere Ergebnisse der Studie, auf die der vorliegende Beitrag aufbaut, inwiefern schulische Übergänge im Kontext komplexer Aushandlungsprozesse der Verantwortung(zuschreibung) stehen. Geraten Lehrkräfte und Schulleitungen an eine selbst definierte Grenze ihrer Handlungsmöglichkeiten, so wird die Verantwortung für ein aus Perspektive der Schule vermeintliches Gelingen im Schulsystem auf die Schüler*innen übertragen und es findet eine Individualisierung des Gelingens bzw. Scheiterns statt.

In der Studie zeigt sich zudem, dass neu zugewanderte junge Menschen die organisationalen Logiken im Kontext schulischer Übergänge teilweise als intransparent wahrnehmen und wenig Möglichkeiten haben, ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Besonders deutlich wird in diesem Zusammenhang die starke Abhängigkeit der Schüler*innen von bestimmten Personen, die ihnen Informationen vermitteln. Die am Fall Samira aufgezeigte Subjektivierung, die in Abgrenzung zu schulischen Adressierungen erfolgt, zeigt sich dabei durchaus nicht bei allen interviewten Jugendlichen und ist unseres Erachtens auf ihre Sozialisationsgeschichte zurückzuführen. Das aufgezeigte Muster einer Legitimation von Zuweisungspraktiken, die im Dienste der „Rettung“ einer vom Aussterben bedrohten Schulart stehen, sind selbst verständlich nicht auf andere Schultypen bzw. die Situation in anderen Bundesländern übertragbar. Wie sich in der Studie jedoch zeigt, argumentieren sowohl Schulleitungen der Werkrealschule als auch der Realschule mit dem Prinzip der Homogenität der Klassen als organisatorische Bedingung, um die Schüler*innen am besten fördern zu können. So lässt sich am Fallbeispiel der Eiche Realschule nachzeichnen, inwiefern als leistungsschwach markierte ehemalige Schüler*innen der „Vorbereitungsklasse“ auch nach ihrer vollständigen Aufnahme in einer regulären Klasse die schulische Empfehlung bekommen, die Realschule zu verlassen und auf eine Werkrealschule zu wechseln. Obwohl die Realschule ihrer Schulkonzeption entsprechend diese Schüler*innen auch auf einen Werkrealschulabschluss vorbereiten könnteFootnote 3, wird zugunsten der Herstellung einer vermeintlichen Homogenität hinsichtlich schulischer Leistungen dahingehend entschieden, abweichende Schüler*innen einen Schulwechsel zu empfehlen. Hier zeigen sich Parallelen zu den oben aufgeführten wissenschaftlichen Befunden hinsichtlich der Orientierung des Schulsystems an Homogenität bei gleichzeitiger Vermeidung von Heterogenität (vgl. u. a. Gomolla und Radtke 2009; Riegel 2016; Wenning 2004). Entsprechend kann auch konstatiert werden, dass es aufgrund fehlender bundeseinheitlicher verbindlicher Rahmenbedingungen bezüglich der Gestaltung von Vorbereitungsklassen, es zu regionalen Disparitäten in deren Organisation kommt. Insofern lässt sich eine Limitation der vorliegenden Studie in Bezug auf die Organisationsform der Vorbereitungsklasse feststellen, da die erzielten Ergebnisse zunächst einmal kommunal bzw. bundeslandbezogen betrachtet werden müssen. Mit Blick auf eine weitere aktuelle fallbezogene Untersuchung in Nordrhein-Westfalen (Jording 2022) kann allerdings festgehalten werden, dass Zuweisungspraktiken auch in unterschiedlichen Bundesländern nach ähnlichen Prämissen – wie beispielsweise der Frage nach dem Ressourcenvorkommen – entschieden werden.

Durch den gewählten methoden- und perspektivenpluralen Zugang konnten verschiedene Sichtweisen auf das untersuchte Phänomen gewonnen werden, die jeweils eine „eigenständige theoretische Produktivität“ (Kelle 2001, S. 192) haben. Hierdurch war es möglich, eine Analyse des Zusammenspiels einer strukturellen und organisationalen Ebene und der Subjektebene bei Subjektivierungsprozessen anzustellen und zu rekonstruieren, welche Bedeutung Praktiken der Organisation von Übergängen für Subjektivierungsprozesse haben. Aufgrund des gewählten qualitativen Methodenzugangs an das Forschungsfeld lassen sich dabei zwar zunächst einmal nur fallbezogene und keine repräsentativen Erkenntnisse – im Sinne einer numerischen Repräsentativität – ableiten. Durch die Fallauswahl nach dem Prinzip der theoretischen Sättigung im Kontext der Grounded Theory Methodologie lassen sich auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse nichtsdestotrotz Aussagen treffen, die auf strukturelle und damit generalisierbare Praktiken des Ein- und Ausschlusses bei der Beschulung neu Zugewanderter hindeuten.

Über die Analyse des ethnographischen Gesprächs mit der Lehrkraft sowie einer Passage aus dem Interview mit der Schulleitung konnten auf der einen Seite Perspektiven erfasst werden, die in erster Linie Daten zu „erzählten Praktiken“ liefern. Darüber konnte Einblick in die organisationale Logik aus Perspektive schulischer Akteure ermöglicht werden, die wiederum Rückschlüsse auf Praktiken der Organisation von Übergängen eröffnet.

Auf der anderen Seite erlaubte es die Triangulation dieser Daten unter Bezug auf das mit der Jugendlichen Samira durchgeführte Interview ihre persönliche Wahrnehmung und Deutung ihres Gesprächs mit ihren Lehrkräften zu erfassen. Unter Hinzuziehung der ebenfalls über ein Interview gewonnenen Informationen zur Biografie Samiras ließ sich schließlich im Sinne einer subjektivierungstheoretisch justierten Übergangsforschung aufzeigen, dass Praktiken der Organisation von Übergängen nur bedingt subjektivierend wirken und sich Subjektivierungsprozesse in ihrem Fall in einem Spannungsfeld zwischen einer sozialisationsbedingt erworbenen Haltung und aktuell erlebten machtförmigen organisationalen Praktiken vollziehen.