1 Einleitung

Im Jahr 2007 veröffentlichte die Kultusministerkonferenz die Erklärung zu „Integration als Chance – gemeinsam für mehr Chancengerechtigkeit“ (KMK 2007). An der Erarbeitung und Unterzeichnung des bildungspolitischen Dokuments, in dem, im Anschluss an den „Nationalen Integrationsplan“ der Bundesregierung (2007), „Empfehlungen und Selbstverpflichtungen zur Verbesserung von Integration und zur Förderung des Schulerfolgs der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ (KMK o.J.) formuliert werden, waren erstmals „Organisationen von Menschen mit Migrationshintergrund“ (KMK 2007) beteiligt. Die KMK-Erklärung kann als Ausdruck einer breiten Anerkennung Deutschlands als „Einwanderungsland“ (BMI 2001, S. 12) verstanden werden sowie einer politischen Hinwendung zu Fragen der Integration, wie sie Anfang der 2000er Jahre einsetzte (vgl. Meinhardt 2006). Zugleich verweist die Erklärung auf einen Wandel hinsichtlich der sog. Migrantenorganisationen zugeschriebenen Rolle bei der Gestaltung gesellschaftlicher Pluralisierungsprozesse: Wurde von Politik und Verwaltung eine Zusammenarbeit mit den Akteur:innen bis in die 1990er-Jahre hinein noch weitgehend gemieden, da sie primär als Ausdruck einer parallelgesellschaftlichen Organisierung ‚migrantischer Communities‘ verstanden wurden (Klevermann 2022, S. 10), werden die Organisationen seither als wichtige Akteur:innen adressiert, die es in gesellschaftspolitische Prozesse einzubeziehen gilt. Vor allem im Kontext von Schule wird den Organisationen bereits seit Jahren eine „Schlüsselrolle“ zugeschrieben, sei es als außerschulische Lern- und Bildungsorte, als „Brücken“ zwischen Familien und Schulen (Bundesregierung 2007, S. 55), oder in der Funktion der „Kooperationspartner“ von Bildungsverwaltungen (KMK 2013, S. 1). Dabei kommen unterschiedliche Konzeptionen hinsichtlich der Rolle von sog. Migrantenorganisationen am Schnittfeld von Schule und Migrationsgesellschaft zum Ausdruck, die sich mit den Verständnissen der Organisationen nicht immer decken. So haben sich in den letzten Jahren einige Organisationen öffentlich gegen eine Migrantisierung ihres Engagements gewendet und dieser ein Selbstverständnis als „neue deutsche Organisationen“ entgegensetzt (vgl. neue deutsche organisationen o.J.; vgl. Foroutan 2022).

Rollen und Verständnisse von sog. Migrantenorganisationen befinden sich in stetiger Aushandlung. Dies nicht nur im gesellschaftspolitischen Diskurs, sondern auch im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, in der sich ebenfalls eine Verschiebung der Perspektiven auf migrantisch (selbst)positionierte Organisationen im Laufe der Zeit beobachten lässt (vgl. Klevermann 2022, S. 79 ff.; Hunger und Holz 2019). So wurden in den 1980er-Jahren vor allem Fragen nach dem Integrationspotenzial der Organisationen für migrantisch adressierte Personen formuliert. Dabei standen sich Studien gegenüber, die diese auf der einen Seite als „Brücken zur Integration“ (Esser 1986, S. 106) verstanden, während auf der anderen Seite „Integrationshemmnisse“ durch „eigenethnische Sozialbeziehungen“ konstatiert wurden (Elwert 1982, S. 718). Diese, von ethnisierenden und essentialisierenden Verständnissen über in Deutschland lebende Migrant:innen geleitete „‚entweder-oder‘-Diskussion“ (Pries und Sezgin 2010, S. 10) differenzierte sich seit den 1990er-Jahren weiter aus. Vor allem im Rahmen neo-institutionalistisch informierter Studien rückten die Organisationen in ihrem Verweisungszusammenhang mit ihrer institutionellen Umwelt (vgl. Pries und Sezgin 2010) ins Zentrum des Erkenntnisinteresses. Gefragt wurde nach den (gesellschaftlichen) Bedingungen, unter denen die Organisationen agieren, dies weitgehend unter Ablehnung dichotomer Kategorisierungen, jedoch gleichsam mit Blick auf die, von wissenschaftlicher Seite zunehmend positiv angenommene ‚Integrationswirkung‘ der Organisationen (vgl. Schultze und Thränhardt 2013, S. 4; Weiss 2014). Seit einigen Jahren mehren sich Analysen, die ein organisationstheoretischen Untersuchungen vielfach zu Grunde liegendes Verständnis in Frage stellen, nach dem die Organisationen das Regierungswissen ihrer institutionellen Umwelt gewissermaßen erst im Nachhinein inkorporieren. So fassen Bruch und Türk „Einzelorganisationen“ als „Verkörperungen des ‚Gouvernements Organisation‘“ (Bruch und Türk 2007, S. 268), deren Entstehung und Werdung im dialektischen Verhältnis zu ihrer organisationalen Umwelt stehen. An diese Perspektive schließen jüngere Analysen an, die (kollektive) Subjektivierungsprozesse von (Migranten‑)Organisationen fokussieren (vgl. Eickhoff 2018; Gertenbach 2014; Klevermann 2022). Diese Untersuchungen bewegen sich, unter Bezug auf poststrukturalistische Theorieansätze, weg von der Frage nach den integrationsfördernden bzw. -hemmenden Bedingungen der Organisationen. Vielmehr suchen sie zu rekonstruieren, inwiefern die Unterscheidung der Organisationen und ihrer Bedingungen in ‚integrationsfördernd‘ und ‚integrationshemmend‘ selbst einen „zentralen Aspekt in der Organisationswerdung“ (Klevermann 2022, S. 92) darstellt und wie sich die Organisationen und ihre Mitglieder zu ihrer institutionellen Umwelt ins Verhältnis setzen. Dieser Beitrag knüpft an diese Perspektive an, indem er ‚Migrantenorganisationen‘ als soziale Konstrukte versteht, deren Grenzen zu anderen Selbstorganisationen fluide sind, wobei das Verständnis und die Bezeichnung als ‚Migrantenorganisation‘ sowohl auf das Selbstverständnis der Organisationen und ihrer Mitglieder als auch auf gesellschaftliche Diskurse und hieraus hervorgehende Zuschreibungen rund um die Differenzierung in Organisationen von ‚Migrant:innen‘ und ‚Einheimischen‘ zurückgeht.Footnote 1

Die oben skizzierten Bestrebungen, die Organisationen in schulische und bildungspolitische Prozesse einzubeziehen sowie darin zum Ausdruck kommende unterschiedliche Erwartungen und (Selbst‑)Positionierungen der Organisationen, wurden bislang nicht näher untersucht. Dieser Beitrag setzt an dieser Leerstelle an, indem er Prozesse und Praktiken der Bildung und Selbst-Bildung von und in migrantisch (selbst)positionierten Organisationen im Kontext der Schule fokussiert. Dabei frage ich, (1.) wie die Organisationen als ‚Migrantenorganisationen‘ im politisch-behördlichen Diskurs konstituiert und zur Schule positioniert werden und (2.) wie Mitglieder dieser Organisationen die an sie diskursiv vermittelten normativen Erwartungen und Rollenverständnisse aufgreifen und in ihre Selbstverständnisse einbetten. Über die Verbindung von Diskurs- und Subjektivierungsanalyse im Rahmen eines triangulativen Forschungsdesigns sollen die (normativen) sozialen Ordnungen identifiziert werden, in denen sich ‚Migrantenorganisationen‘ bilden ebenso wie Formen der Selbstartikulation und des Handelns, mittels welcher diese Bedingungen von den Mitgliedern der Organisationen anerkannt und/oder überschritten werden. Bevor ich auf das Forschungsdesign näher eingehe (Abschn. 3) und die Ergebnisse meiner Analyse darlege (Abschn. 4), skizziere ich im Folgenden den theoretisch-analytischen Rahmen meiner Untersuchung.

2 Theoretischer Zugang

Die Konstituierung von ‚Migrantenorganisationen‘ und ihren Mitgliedern im Kontext von Schule untersuche ich vor dem Hintergrund migrationsgesellschaftlicher Entwicklungen in Deutschland. Unter einer Migrationsgesellschaft verstehe ich einen gesellschaftlichen Kontext, der von Phänomenen der Migration und damit verbundenen sozialen Transformationsprozessen geprägt ist. Diese betreffen „nicht allein spezifische gesellschaftliche Bereiche“, sondern die „Strukturen und Prozesse der Gesellschaft im Ganzen“ (Mecheril 2010, S. 9). Mit der migrationsgesellschaftlichen Perspektive verbindet sich die Frage, wie soziale Realitäten unter Bedingungen von Migration hergestellt werden. Diese Realitäten sind, so dass diesem Beitrag zugrunde liegende Verständnis, über Diskurse vermittelt. Unter einem Diskurs verstehe ich nach Foucault institutionalisierte Redeweisen, über die ein bestimmtes Wissen in Form selbstverständlicher Annahmen bzw. spezifischer ‚Wahrheiten‘ prozessiert wird und die „systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“ (2001, S. 874). So verweist die Gesamtheit der in einem Diskurs auftretenden Aussagen über sog. Migrantenorganisationen, die Form der Verkettung dieser Aussagen, die spezifische Organisation der darin vorkommenden Begrifflichkeiten sowie die Arten und Weisen, in denen die Organisationen hier thematisch werden, auf ein dominantes Wissen, über welches bestimmte Organisationen als ‚Migrantenorganisationen‘ gesellschaftlich in Erscheinung treten. Ein solch diskursives Wissen ist nach Foucault nicht nur „mit spezifischen Machtwirkungen ausgestattet“ (vgl. Foucault 1978, S. 53), d. h. es wirkt nicht nur machtvoll, vielmehr werden Wissen und Subjektivitäten im Rahmen diskursiver Machtbeziehungen konstituiert. Über Foucaults produktives Verständnis von Macht geraten auch die subtilen und komplexen Formen gesellschaftlicher Machtverhältnisse in den Blick, die sich fernab ausgeprägter Hierarchien, sichtbarer Herrschaftsverhältnisse oder expliziter sozialer Ausschlüsse realisieren (vgl. Foucault 1981). So wird Macht auch über soziale Normen prozessiert, die als „unbefragte und unbefragbare Bedingung der Anerkennung“ von Individuen und sozialen Gruppen fungieren können (Lehmann-Rommel 2004, S. 263 f.).

Subjektivierungsprozesse, verstanden als sukzessive und zugleich fragile Fixierungen von Positionierungen und Selbstpositionierungen, vollziehen sich vor dem Hintergrund (migrations)gesellschaftlicher Normen der Anerkennbarkeit. Subjektivität zeigt und bildet sich dabei vor allem im Ausbalancieren heterogener Erfahrungen, die in teilweise widersprüchlichen Anforderungsstrukturen und vor dem Hintergrund disparater, normativer Erwartungshorizonte gesammelt und bearbeitet werden (vgl. Alkemeyer und Bröckling 2018, S. 27). Von diesen Kontexten wird Handeln einerseits limitiert; denn werden bestimmte Normen nicht befolgt, gefährdet dies nach Butler die „Fähigkeit […], sich einen Sinn für den eigenen fortwährenden Status als Subjekt zu erhalten“ (Butler 2003, S. 63). Andererseits basiert die Subjekt-Werdung, z. B. in und von ‚Migrantenorganisationen‘, nicht auf einer reinen Identifizierung mit (migrations)gesellschaftlichen Normen. Vielmehr ist es den Subjekten zu einem gewissen Grad auch möglich, sich gegen die ihnen auferlegten sozialen Erwartungen zu wenden. So ist agency zwar „diskursiv konstituiert, allerdings nicht determiniert, was so viel bedeutet, dass Handlungsfähigkeit in der Unterordnung ermöglicht wird“ (Jäckle 2015, S. 110).Footnote 2 Der Begriff der Subjektivierung bezeichnet somit zwei Seiten eines Formationsprozesses: Des Zum-Subjekt-gemacht-Werdens und des Sich-zum-Subjekt-Machens bzw. des Bildens und Selbstbildens von Subjektivität.

In den letzten Jahren sind zahlreiche Arbeiten entstanden, die Subjektivierungsprozesse von migrantisch (selbst)positionierten Subjekten analysiert und nachgezeichnet haben, wie diese mit dem Spannungsverhältnis von Affirmation und Kritik eines normierenden migrationsgesellschaftlichen Wissens umgehen (vgl. u. a. Hoffarth 2016; Rose 2012; Velho 2016). Diese haben u. a. gezeigt, dass als Migrant:innen adressierten Personen vor allem „solche Identifizierungen, Verkörperungen und Biografisierungen“ diskursiv nahegelegt werden, die dominante migrationsgesellschaftliche Zugehörigkeitsordnungen „stützen“, „bestätigen“ und ihre „Unterscheidungslogik plausibel machen“ (Rose 2013, S. 117). Sich dabei vollziehende Prozesse der Subjektivierung sind, in den Worten Butlers, von „der Paradoxie durchzogen“, dass das Individuum „nach Anerkennung seiner eigenen Existenz in Kategorien, Begriffen und Namen“ trachtet, „die es nicht selbst hervorgebracht hat“ (vgl. Butler 2001, S. 25) und sich so immer wieder dazu veranlasst sieht, sich auf seine diskursiv vermittelte Position zu beziehen – selbst dann, wenn es durch diese entwürdigt, marginalisiert oder diskriminiert wird.

Jüngere Subjektivierungsanalysen im migrationsgesellschaftlichen Kontext zeigen zudem, dass Logiken einer Ökonomisierung des Sozialen (vgl. Bröckling et al. 2000) und hieraus resultierende Anforderungen von Selbstverantwortung, Optimierung und Individualisierung insbesondere die Selbstverständnisse und -verhältnisse von migrantisch adressierten Individuen und Kollektiven anleiten (Hoppe 2022; Khakpour 2022; Kollender 2020; Uhlendorf 2018). So sehen sich diese besonders gefordert, sich als gesellschaftlich ‚nützlich‘ und ‚produktiv‘ in Institutionen wie der Schule zu präsentieren, u. a. um als sich legitim in Deutschland aufhaltende Personen oder als ‚gute Partner‘ von Schule anerkannt zu werden. Dabei erweist sich das meritokratische Versprechen der Leistungsgerechtigkeit vielfach als ein leeres Versprechen, da es die Subjekte letztlich nicht vor sozialen Ausschlüssen schützt, sondern sie vielmehr dazu veranlasst, migrationsgesellschaftliche Logiken des Unterscheidens und hiermit verbundene Adressierungen mittels neoliberal präfigurierter Selbsttechnologien zu bearbeiten (vgl. Hoppe 2022; Khakpour 2022; Kollender 2020; Uhlendorf 2018). Neben gesellschaftlichen Dynamiken im Zuge globaler Migration geraten somit auch sozialstaatliche Transformationsprozesse als zentrale Kontexte von Subjektivierungsprozessen in den Blick, ebenso wie Fragen nach der Bedeutung dieser Prozesse für aktuelle diskursive Verhältnisbestimmungen von ‚Migrantenorganisationen‘ und Schulen. So adressiert der Wandel vom (ver-)sorgenden zum aktivierenden Sozialstaat nach Alkemeyer und Bröckling „nicht nur das Individuum als ein für sich selbst und darüber hinaus für die Gesellschaft verantwortliches Subjekt“, vielmehr „präsentiert sich die neosoziale Gesellschaft der Gegenwart auch als eine Gemeinschaft von Gemeinschaften, die ebenfalls dazu aufgerufen werden, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, und denen sich die Individuen zuordnen sollen“ (2018, S. 29; vgl. Lessenich 2008). Welche Verantwortung ‚Migrantenorganisationen‘ im (bildungs-)politischen Diskurs in diesen Kontexten zugeschrieben wird und wie sich die Mitglieder der Organisationen diese Verantwortung zu eigen machen und handeln bzw. ihr Handeln entsprechend inszenieren oder versuchen sich Prozessen kollektiver Aktivierung zu entziehen, werde ich im Folgenden näher betrachten.

3 Methoden

Kritische Auseinandersetzungen mit Subjektivierungsforschungen haben angemerkt, dass diese dazu tendieren, (zu) unmittelbar vom Subjekt auf gesellschaftliche Diskurse und ein hierin kursierendes normierendes Wissen zu schließen (Peter 2018, S. 34). Dabei bliebe die Frage vielfach unbeantwortet, ob und wie sich über die Rekonstruktion der Perspektiven der Subjekte zugleich Diskurse analysieren lassen. Demgegenüber konzentrieren sich Diskursanalysen vorwiegend „auf die Frage nach dem Diskurs der Subjektivierung“; sie analysieren somit nicht die Wirkmächtigkeit von „diskursiven Anrufungen in der Alltagspraxis bzw. interessieren sich gerade nicht für die theoretische Fassung und empirische Beschreibung des Subjektivierungsprozesses“ (Amling und Geimer 2016). Dieser Beitrag sucht deshalb über ein triangulatives Forschungsdesign die Analyse von Diskursen und Subjektivierungsprozessen zu verbinden. Über die Untersuchung von politisch-behördlichen Dokumenten werden erstens die diskursiven Adressierungen und normativen Erwartungen an ‚Migrantenorganisationen‘ im migrationsgesellschaftlichen Kontext der Schule rekonstruiert.Footnote 3 Zweitens wird über die Analyse qualitativer Interviews mit Mitgliedern migrantisch (selbst)positionierter Organisationen untersucht, inwiefern diese auf die an sie gerichteten Erwartungen Bezug nehmen, um zu verstehen, welche diskursiven Adressierungen und Subjektpositionierungen sich für die Akteur:innen als besonders wirkmächtig erweisen bzw. ob und inwiefern diese in ihrer Selbstthematisierung über ein dominantes diskursives Wissen ‚hinausschießen‘. Dabei fokussiert die Analyse auf Subjektivierungsprozesse in ‚Migrantenorganisationen‘, ausgehend von der Annahme, dass die Frage nach der Subjektivierung in Organisationen und diejenige nach der Subjektivierung von ‚Migrantenorganisationen‘ eng aufeinander verweisen (vgl. Buschmann und Ricken 2018, S. 325). Sich im Rahmen von Subjektivierungsprozessen der Mitglieder der ‚Migrantenorganisationen‘ konstituierende soziale Zugehörigkeiten werden somit in ihrer relationalen Verfasstheit zur Konstitution der Migrantenorganisation als „eine identitätsstiftende“, ihre „Mitglieder affizierende und normativ bindende“, zugleich stets „heterogene“ und „fragile Entität“ (Buschmann und Ricken 2018, S. 319) untersucht.

Die Analyse konzentrierte sich auf den Forschungsraum Berlin, um den Diskurs in seiner Dichte und seinen Verwebungen mit stadtstaatspezifischen diskursiven Ereignissen zu analysieren, behielt dabei jedoch die Entwicklungen auf Bundesebene stets im Blick.Footnote 4

3.1 Analyse des politisch-behördlichen Diskurses

Der Diskursanalyse lag ein Textkorpus bestehend aus circa 120, von Berliner Senatsbehörden herausgegebenen Dokumenten zugrunde, darunter u. a. auf den Websites der Behörden veröffentlichte politische Beschlüsse, Handreichungen, Plenarprotokolle und Pressemitteilungen, die sich im weiten wie im engen Sinne mit Schul- und Bildungsprozessen in der Migrationsgesellschaft befassen. Die Auswahl und Sammlung der Dokumente erfolgte schrittweise nach theoriegeleiteten Kriterien. Da die Analyse zum Ziel hatte, den Diskurs in seinem Verlauf als ‚Fluss von Wissen durch die Zeit‘ (vgl. Jäger 2009, S. 129) in den Blick zu nehmen, wurden Dokumente in die Analyse einbezogen, die zwischen den Jahren 2000 und 2020 veröffentlicht wurden. Für die Wahl dieses Analysezeitraums war zudem relevant, dass dieser weitgehend dem Erfahrungs- und Erzählhorizont der interviewten Akteur:innen entsprach.

Die politisch-behördlichen Dokumente wurden zunächst thematisch kodiert, um eine Indizierung von für die Analyse relevanten Textpassagen, mit Fokus auf Äußerungen zu sog. Migrantenorganisationen, vorzunehmen und diese aus ihren (normalisierten) Zusammenhängen herauszulösen. Mithilfe der Methode der thematischen Diskursanalyse (vgl. Höhne 2010) verschob sich der Fokus sukzessive von der thematischen Sortierung verstreuter Äußerungen hin zur Rekonstruktion diskursiver Aussagen. Die Analyse bewegte sich zwischen der Feinanalyse einzelner Diskursfragmente, dem axialen In-Beziehung-Setzen dieser und dem sekundäranalytischen Studium des diskursiven Kontextes. Im Rahmen der Feinanalyse wurden die thematisch codierten Textstellen zu ‚Migrantenorganisationen‘ als Diskursfragmente im Hinblick auf zuvor formulierte heuristische Fragen und diesbezüglich zum Einsatz kommende semantische Elemente untersucht (vgl. Höhne 2010, S. 448). Dabei erwiesen sich vor allem solche textanalytischen Konzepte als hilfreich für die Analyse, die der präsuppositionalen Struktur des im Diskurs artikulierten Wissens auf den Grund gehen (vgl. Höhne et al. 2005, S. 233). An die textimmanente Feinanalyse schloss sich ein Vergleich der Diskursfragmente an, basierend auf der Annahme, dass sich erst im Vergleich mehrerer Fälle „gemeinsame Grundmuster“ bzw. das ‚Typische‘ im Diskurs über ‚Migrantenorganisationen‘ herauskristallisieren (Nohl 2016, S. 128).

3.2 Analyse von Subjektivierungsprozessen

Für die Analyse von Subjektivierungsprozessen wurden insgesamt 15 Interviews mit aktiven Mitgliedern aus 12 migrantisch (selbst)positionierten Organisationen geführt, die ihren Hauptsitz in Berlin haben. Die Auswahl der Interviewpersonen erfolgte über ein theoretisches Sampling (Glaser und Strauss 2008). Aufgrund der sich im Diskurs zu erkennen gebenden Fokussierung auf arabisch-türkisch-muslimisch positionierte ‚Migrantenorganisationen‘, wurden vor allem Organisationen ausgewählt, auf die in den Dokumenten direkt Bezug genommen wurde und/oder die sich nach außen, z. B. im Rahmen der Präsentation der Arbeit der Organisationen auf ihren Websites, entsprechend verorteten. Dabei unterscheiden sich die ausgewählten Organisationen hinsichtlich ihrer Größe sowie ihres Wirkungskreises, d. h. sie sind lokal, regional oder bundesweit organisiert. Demgegenüber ist den befragten Personen gemeinsam, dass sie seit mehreren Jahren aktiv waren und ihre Organisationen alle mit einer oder mehreren Schulen in Berlin kooperieren bzw. über eigene bildungsbezogene Projekte in Schulen tätig sind.

Als Erhebungsverfahren kamen narrativ fundierte Interviews (vgl. Nohl 2012) zur Anwendung, die eine Mischung aus biografischen, Experten- und leitfadengestützten Interviews darstellten. Um eine spätere Analyse der Auseinandersetzung mit den diskursiv vermittelten Erwartungen und „Normen des Subjektseins“ (Amling und Geimer 2016) zu ermöglichen, wurden in den Interviews neben offenen Erzählaufforderung auch Selbst-Positionierungen bzw. Argumentationen der Akteur:innen erfragt. Die Interviews wurden mittels der dokumentarischen Methode (Bohnsack et al. 2013) ausgewertet. Dabei rückten insbesondere Passagen ins Zentrum, in denen Argumentationen und Selbstentwürfe der Akteur:innen dominierten. Die Analyse folgte dem Prinzip der Sequenzanalyse und war in dreierlei Hinsicht komparativ ausgerichtet: Erstens wurden innerhalb eines Falls sich ähnelnde Passagen mit Erzählungen und Beschreibungen dokumentiert, die auf Homologien hinsichtlich eines konjunktiven Wissens der Akteur:innen verwiesen. Zweitens wurden die herausgearbeiteten Wissensbestände eines Falls in ihrer Relationierung zu den anderen untersuchten Fällen in den Blick genommen, um so fallübergreifende Aspekte zu analysieren (vgl. Amling und Geimer 2016). Drittens wurden Relationen zwischen dem Wissen der Interviewpersonen sowie den an sie diskursiv vermittelten Erwartungen analysiert, mit dem Ziel einer detaillierten Rekonstruktion der Aneignung und Aushandlung dieser Erwartungen durch die Akteur:innen.

Im Folgenden präsentiere ich einige zentrale Ergebnisse meiner Untersuchung. Die dabei angeführten Zitate und Dokumentenverweise, die für eine Fülle ähnlicher Formulierungen in den Interviews und Dokumenten stehen, dienen der Nachvollziehbarkeit und Veranschaulichung der Analyse von Diskurs- und Subjektivierungsprozessen.

4 Ergebnisse

4.1 Normative Adressierungen von ‚Migrantenorganisationen‘ im politisch-behördlichen Diskurs

Im hier untersuchten politisch-behördlichen Diskurs Berlins werden ‚Migrantenorganisationen‘ in ihrer Bedeutung für die Schule erstmals im 2007 veröffentlichten „Berliner Integrationskonzept“ (Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales 2007) thematisch. Das Konzept knüpft inhaltlich an das von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport herausgegebene Konzept „Integration durch Bildung“ (2006) an, in dem sich eine seit Mitte der 00er-Jahre zu beobachtende, starke programmatische Verschränkung von Integrations- und Bildungspolitik widerspiegelt. Diese politische Ausrichtung wird im Dokument mit einem vergleichsweisen schlechten Abschneiden von Berliner Schüler:innen mit sog. Migrationshintergrund in (inter-)nationalen Schulleistungsuntersuchungen begründet (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006). Hieraus wird abgeleitet, dass die bisher unternommenen „Integrationsbemühungen nicht zum erwarteten Erfolg geführt haben“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006, S. 19). Bildungseinrichtungen wie die Berliner Schulen werden in diesem Zusammenhang als „wichtigste Instrumente“ bezeichnet, um „die Integration von Menschen unterschiedlicher […] Herkunft“ in die „aufnehmende Gesellschaft“ zu „fördern“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006).

Im Kontext der Fokussierung von Schule als zentralem integrationspolitischen Handlungsfeld werden ‚Migrantenorganisationen‘ vor allem in der Funktion der „Bindeglieder“ (Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales 2007, S. 41) zwischen einer migrantisch positionierten Schüler:innen- bzw. Elternschaft und Berliner Schulen in den Dokumenten thematisch. In dieser Funktion werden die Organisationen mit verschiedenen Aufgaben belegt: Sie sollen z. B. „bei mehrsprachigen Elternabenden“ helfen, „Beratungs‑, Informations- und Vermittlungsangebote für Eltern“ anbieten, oder „Nachhilfeunterricht“ für ihre Kinder in den Schulen organisieren (ebd.). Zudem sollen die „Migrantenorganisationen“ in als „interkulturell“ definierten „Konfliktfällen“ zwischen Eltern und Schulen als „Vermittler zur Verfügung“ stehen (Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration 2007, o. S.). Die Positionierung der Organisationen bewegt sich hier zwischen dem Anspruch einer ‚interkulturellen Öffnung‘ von Schule, sowie dem Ziel der Kompensation vermeintlicher Integrationsdefizite seitens migrantisierter Schüler:innen und Eltern. Letztere Positionierung basiert auf der Annahme eines konfliktreichen bzw. mangelnden kulturellen Passungsverhältnisses zwischen einer ‚deutschen Schulkultur‘ und ‚migrantischen Familienkultur‘. Indem die sog. Migrantenorganisationen in einem anderen Kulturraum positioniert werden, wird ihnen einerseits eine besondere Nähe zur einer natio-ethno-kulturell geanderten Schüler:innen- und Elternschaft zugeschrieben. Andererseits werden die Organisationen in einer bestimmten Nähe zur ‚deutschen Schule‘ positioniert, die durch ihre Einbindung in sog. Kooperations- und Partnerschaftsverhältnisse durch und mit Berliner Schulen und Behörden entstehe, im Rahmen derer sich die Organisationen als „Vermittler“ (Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration 2007) qualifizierten.

In der Rolle der vermittelnden Akteur:innen zwischen migrantisch positionierten Familien und Berliner Schulen, werden die Organisationen auch in der 2010 veröffentlichten Handreichung „Islam und Schule“ (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung) maßgeblich adressiert. Das Dokument wurde im Kontext einer verstärkten politischen wie gesellschaftlichen Debatte zum schulischen „Umgang mit der Vielfalt der Religionen“, insbesondere mit „Schüler/innen muslimischer Religion“, veröffentlicht (Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration 2005, S. 34). Im Zentrum der Handreichung stehen zahlreiche „alltägliche […] Probleme“, die dann auftreten, „wenn islamische – oder als islamisch verstandene – Normen und Wertvorstellungen im Schulalltag kollidieren“ (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2010, S. 3). Um diese „Probleme“ zu bewältigen wird Lehrkräften in der Handreichung geraten, sich Unterstützung durch außerschulische Akteur:innen, wie von „Migrantenorganisationen“ (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2010, S. 24), zu suchen. Diesbezüglich heißt es u. a.:

„In all diesen Bereichen empfiehlt es sich wenn möglich, Migrantenorganisationen und Beratungseinrichtungen als Partner einzubeziehen. So hat die Zusammenarbeit mit arabischen Migrantenorganisationen […] in Berliner sozialen Brennpunkten gezeigt, dass eine als ‚schwierig‘ geltende Klientel, angesprochen in ihrer Muttersprache von Menschen mit vergleichbarem Migrationshintergrund, bereit ist, sich auf die Kooperationsangebote von Schule nachhaltig einzulassen.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2010, S. 24)

Die Organisationen werden hier als „Partner“ von Schulen positioniert, die vor allem im Kontakt mit einer als „‚schwierig‘ geltenden Klientel“ vermittelnd tätig werden sollen, womit vor allem Menschen mit „Migrationshintergrund“ bzw. arabischem Hintergrund gemeint sind, die in der Handreichung mit muslimischen Eltern gleichgesetzt werden. Ihnen wird indirekt zugeschrieben, dass sie sich nur schwer auf „Kooperationsangebote“ der Schulen einließen. Dabei kommt ein Verständnis von Partnerschaft zum Ausdruck, bei der die Organisationen primär als Sprecher:innen von Schulen und Behörden fungieren, die (bestimmte) Eltern von Schüler:innen dazu anhalten, sich entsprechend schulischer Erwartungen zu verhalten bzw. auf „Kooperationsangebote […] einzulassen“. Dieser funktionalisierenden Adressierung zur Folge sollen die Organisationen bestimmte integrationspolitische Ziele und Erwartungen an migrantisch adressierte Eltern und Schüler:innen weitergeben.

Die diskursive Hervorbringung der Organisationen als ‚Migrantenorganisationen‘ steht somit in einem ko-konstitutiven Verhältnis zur diskursiven VerAnderung und Besonderung von migrantisch positionierten Schüler:innen und Eltern. Durch die konstatierte kulturell-religiöse Andersheit der Schüler:innen und Eltern entsteht die Notwendigkeit eines präzisen und fokussierten Zugriffs auf diese. Die Organisationen werden dabei in der Funktion der moderierenden Akteur:innen als ‚Migrantenorganisationen‘ markiert, während andere, nicht-migrantisch positionierte Organisationen unmarkiert bleiben. Sie repräsentieren die nationale, nicht-migrantische Norm(alität), über die die Andersheit der kollektiven und personalen Migrationssubjekte definiert und bewertet wird.

Die beschriebene Subjektpositionierung von ‚Migrantenorganisationen‘ als „Akteure der Integrationsförderung“ (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2013, S. 19) bzw. „Mittler“ und „Unterstützer“ (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2016, S. 4) von und in Schule, dominiert den Diskurs bis zum Ende der 2010er Jahre. Dabei finden sich im politisch-behördlichen Sprechen über die Organisationen zunehmend aktivierungspolitische Positionen, die sich im Sinne der sozialpolitischen Prämisse des Fördern und Forderns artikulieren und behördliche Maßnahmen mit dem Ziel der Stärkung der „Selbstorganisation und Selbsthilfe“ von in Berlin lebenden Individuen und Gruppen mit Migrationsgeschichte fokussieren (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2013, S. 19). Diese Perspektive hat in die Dokumente am thematischen Schnittfeld von Integration und Schule insofern Eingang gefunden, als dass es vor allem ‚Eltern mit Migrationshintergrund‘ sind, die zur Unterstützung sowie Mitgestaltung in und von Schule durch verschiedene Maßnahmen aktiviert werden sollen. Den Berliner ‚Migrantenorganisationen‘ wird in diesem Zusammenhang die Aufgabe der „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2013, S. 19) zugeschrieben. Ihnen wird einerseits eine wichtige Bedeutung zugesprochen, wenn es darum geht, insbesondere „Väter“ zu „motivieren“, „sich bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder einzubringen“ (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2013, S. 55). Andererseits erhalten die Organisationen in der Funktion der „Integrationslotsen“ (Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen 2013, S. 55) sowie als Träger von „Elternintegrationskursen“ eine behördlich-finanzielle Förderung, mit dem Ziel die Organisationen zu „befähig[en], integrationspolitische Vorhaben des Senats umzusetzen“ (Abgeordnetenhaus Berlin 2016, S. 1). In diesem Zusammenhang werden in den Dokumenten zunehmend Maßnahmen benannt, die unter dem Stichwort der „Qualifizierung“ und „Professionalisierung“ von „Berliner Migrantenorganisationen“ (Abgeordnetenhaus Berlin 2016, S. 1) firmieren. Besonders häufig wird dabei auf „Tandem-Partnerschaften“ referiert, in denen sich „zwei Träger der deutschen und ethnischen Infrastruktur zusammen [tun], um ein Projekt zu beantragen und zu realisieren“ (Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration 2007, S. 6). Die Tandem-Projekte fallen unter das integrationspolitische Ziel einer „Etablierung bzw. Weiterentwicklung von herkunftsübergreifenden Kooperationen“, durch welche sich versprochen wird, dass „sich Einwanderer in die Rolle als verantwortliche Akteure ein[arbeiten]“ (Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration 2007, S. 6). Zum Ausdruck kommt ein Verständnis, nach dem es vor allem die „Berliner Migrantenorganisationen“ sind, die sich im Rahmen des Tandems ‚professionalisieren‘, wohingegen die ‚autochthonen‘ „Kooperationspartner“ in der Rolle der „etablierten Träger“ positioniert werden (Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration 2007, S. 6).

Gegen Ende der 2010er Jahre ändert sich der Duktus im politisch-behördlichen Sprechen über Berliner ‚Migrantenorganisationen‘, was auf einen, in den Dokumenten auch explizit benannten „Kurswechsel vom traditionellen Integrationsverständnis hin zu Diversitäts- und Partizipationsstrategien“ verweist (Abgeordnetenhaus Berlin 2016, S. 2). Dieser wird auf einen „intensiven Dialog“ zwischen politisch-behördlichen Akteur:innen und Berliner ‚Migrantenorganisationen‘ im letzten Jahrzehnt zurückgeführt. Seitdem wird in den Dokumenten verstärkt auf das Ziel der „Partizipation“ referiert, definiert als „gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit eigener oder familiärer Zuwanderungsgeschichte unter Berücksichtigung der Vielfalt ihrer Lebenswelten“ (Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration o.J.). Damit dominiert im Rahmen der Thematisierung der Organisationen im schulischen Bereich nach wie vor eine Perspektive auf die Organisationen als Ko-Akteur:innen in der Integrationsarbeit, die um die Subjektpositionierung der Organisationen als souveräne politische Akteure erweitert wird. Auch in dieser Position wird den Organisationen ein (Spezial‑)Wissen über migrantisch positionierte Personen und soziale Gruppen zugeschrieben und hierüber die wichtige Bedeutung und Notwendigkeit eines verstärkten Einbezugs der Organisationen in die Integrations- bzw. Partizipationspolitik des Berliner Senats abgeleitet.

4.2 Subjektivierungsprozesse von ‚Migrantenorganisationen‘ im Kontext der Schule

In den Interviews mit den Vertreter:innen migrantisch (selbst)positionierter Organisationen in Berlin kommt durchweg eine starke Identifikation dieser mit der Rolle der „Brücken“ (MO3_8), „Bindeglieder“ (MO5_170) und „kulturellen Mittler“ (MO8_126) zwischen Berliner Schulen und migrantisch (selbst)positionierten Schüler:innen und Eltern zum Ausdruck. Dabei verstehen sich die meisten der interviewten Akteur:innen, wie die im Folgenden zitierte Interviewperson, in einer ‚kulturellen Nähe‘ sowohl zur Berliner Schule als auch zu migrantisch positionierten Familien:

„Ich bin eine gebürtige Türkin, komme aus Istanbul, bin mit fünf Jahren hergekommen und war in der Zwischenzeit noch mal drei Jahre in Istanbul. Deshalb kenn’ ich die Kulturen beider Gesellschaften, die Sprache, Kultur, und was alles dazu gehört, sehr ((!)) gut.“ (MO1_12-15)

Die Organisationsvertreterin schließt von ihren mehrjährigen Aufenthalten in Deutschland und der Türkei auf eine Kenntnis der „Kulturen beider Gesellschaften“, die sie als ‚Mittlerin zwischen den Kulturen‘ qualifiziere. Es kommt hier ein monokulturelles und statisches Kulturverständnis zum Ausdruck, durch welches eine Kluft zwischen den Nationalkulturen konstatiert wird. Dabei wird das Wissen über die ‚eigene nicht-deutsche Kultur‘ als etwas interpretiert, das sich von Personen außerhalb dieser Kultur nur schwer aneignen lässt. Dieses Verständnis artikuliert sich auch in der Argumentation einer Akteurin, die sich unter Verweis auf ihren „türkischen Migrationshintergrund“ die Eigenschaft zuschreibt, dass sie „türkische Eltern“ „besser spüren“ könne als dies „deutsche Pädagogen“ könnten: „Manchmal spüren das die deutschen Pädagogen der Schule nicht. Ich kann türkische Eltern besser ((!)) spüren, besser verstehen als eine Deutsche“ (MO4_61). Das Verständnis für die „türkische[n] Eltern“ wird hier als eine besondere empathische Fähigkeit dargestellt, die aus der eigenen türkischen Migrationsgeschichte resultiere. Über diese Fähigkeit verfügend, positioniert sich die Vertreterin im weiteren Verlauf des Interview als eine Art Medium, das den Kontakt zu „türkische[n] Eltern“ herzustellen vermag, die, basierend auf der artikulierten Kulturdifferenzhypothese, als von der Schule unerreichbar konstituiert werden.

Zudem drückt sich in vielen erzählten Praktiken der Organisationsvertreter:innen eine Problem- und Defizitperspektive auf migrantisch (selbst)positionierte Schüler:innen und Eltern aus: „Wir haben bei einigen Schulen auch gesagt: Wenn die Probleme haben sollten mit den Eltern, sie können uns einladen. Dass wir dann aus unseren ((!)) Erfahrungen mit diesen Eltern reden können“ (MO8_110). Das Nichterscheinen von migrantisch (selbst)positionierten Eltern auf Elternabenden sowie ein vermeintliches Nichtkümmern der Eltern um ihre Kinder stellen dabei häufig genannte Anlässe der Organisationen dar, die Eltern aufzusuchen und ihr als problematisch bewertetes Verhalten anzusprechen. Eine Interviewperson versteht solche Interventionen ihrer Organisation als wichtige „ambulante Hilfe“ (MO12_119) für die Schule, die sich durch eine hohe „interkulturelle Sensibilität“ auszeichne: „Das heißt, wir wissen wie wir uns annähern gegenüber der Familie. Da ist eine ganz andere Mentalität da, und Kulturbereich, Mentalitätsbereich, und mit der Sprache halt“ (MO12_73). Wie im politisch-behördlichen Diskurs steht somit auch in den Interviews ein natio-ethno-kulturelles Othering migrantisch (selbst)positionierter Familien in einem dialektischen Verhältnis zur Selbstpositionierung der Organisation als ‚kulturelle Mittler‘ von Schule.

Einige der interviewten Akteur:innen berichten zudem, dass ihre Organisationen in behördliche Beschäftigungsmaßnahmen eingebunden sind, im Rahmen derer langzeitarbeitslose Personen mit Migrationsgeschichte an die Organisationen vermittelt werden, um in diesen für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ‚aktiviert‘ zu werden. Diesbezüglich erzählt eine Interviewperson, dass in ihrer Organisation aktuell „25 bis 30 vom Jobcenter finanzierte“ (MO14_71f.) Mitarbeiter:innen in unterschiedlichen Bereichen tätig sind, während eine weitere Akteurin berichtet: „Und wir haben, also der Verein hat auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch die Jobcenter, das sind diese MAE-Jobs, die Ein-Euro-Jobs oder Bürgerarbeit, die zum Teil vom Senat finanziert werden“ (MO3_187f.). Die Eingebundenheit einiger der Organisationen in behördliche Maßnahmen verbindet sich mit einem Selbstverständnis, nach dem den Organisationen nicht nur die Aufgabe zukommt, sich an der Ausrichtung und Unterstützung von Maßnahmen wie „Elternintegrationskursen“ und dem sog. Integrationslotsenprogramm zu beteiligen. Sie sehen sich auch in der Rolle, migrantisch (selbst)positionierte Eltern zu aktivieren bzw. dazu anzuhalten, bestimmte schulische Erwartungen zu erfüllen. Mit diesem Selbstverständnis positionieren sich u. a. zwei Personen im Interview, die selbst im Rahmen einer Beschäftigungsmaßnahme vom Jobcenter an eine Berliner ‚Migrantenorganisation‘ vermittelt wurden. Eine der Personen vertritt im Interview die Sichtweise, dass „der Staat viel Geld für diese [migrantische] Bevölkerung“ ausgebe, „um sie zu integrieren“ (MO6_168) und es unzählige Organisationen wie seine gebe, die vor allem Kinder von „arabischen Eltern“, z. B. durch „Nachhilfe“ und „Sprachkurse“, unterstützten („Die sind nur ((!)) nur für Araber, meistens“, MO6_171). Diese Angebote würden von den Familien jedoch „nur selten“ wahrgenommen (MO6_172), was der Organisationsvertreter auf ein vermeintlich geringes Interesse „arabischer Eltern“ am Schulerfolg ihrer Kinder und eine hiermit verbundene „Passivität“ (MO6_172) der Eltern zurückführt. Der Integrations- und Bildungserfolg wird hier an eine individuelle Anstrengungsbereitschaft migrantisch positionierter Eltern gebunden und an das aktivierungspolitische Prinzip des Fördern und Forderns appelliert. Dementsprechend versteht es der hier zitierte Organisationsvertreter als zentrale Aufgabe seiner Organisation, Schulen darin zu unterstützen, Eltern zu „vermitteln, dass die Kinder Motivation brauchen, dass Sprache sehr wichtig ist, dass sie die Ziele im Auge halten sollten“ (MO6_53).

Durch die doppelte Anforderung, Angebote für ihre Mitglieder zu entwickeln sowie als wichtige Akteur:innen (schulischer) Integrationsarbeit aufzutreten und anerkannt zu werden, u. a. um eine finanzielle Förderung für ihre Organisationsarbeit zu erhalten, scheinen die Vertreter:innen die Notwendigkeit zu sehen, ihre Organisationen als Träger:innen sozialstaatlicher Maßnahmen zu positionieren. Dabei sind die in diese Maßnahmen involvierten Personen an der VerAnderung bestimmter Eltern als ‚passive migrantische Andere‘ z. T. beteiligt. Sie adressieren migrantisch (selbst)positionierte Eltern vor allem mittels solcher kulturalisierender Integrations- und Leistungsimperative, mit denen sie selbst im Diskurs und in hieran anschließenden behördlichen Maßnahmen identifiziert und ‚aktiviert‘ werden. Neben der finanziellen Unterstützung scheint auch der betonte Gemeinwohlcharakter von aktivierenden Integrationsmaßnahmen dazu zu führen, dass sich viele der Akteur:innen mit den Zielen dieser Maßnahmen identifizieren. Diesbezüglich erzählen einige Interviewpersonen von Auszeichnungen wie Integrationspreisen, einer hohen medialen Aufmerksamkeit sowie Besuchen ihrer Organisationen durch bekannte Politiker:innen, die sie als Beleg für die wichtige gesellschaftliche Bedeutung ihrer Integrationsarbeit interpretieren. Somit scheinen das Verständnis der organisationalen Arbeit als gemeinnützige Tätigkeit und hiermit verbundene, subtil wirkende Anerkennungsmechanismen dazu beizutragen, dass die interviewten Organisationen die Subjektposition der Integrationsakteur:innen verkörpern und die ihnen staatlich zugeschriebenen Integrationsaufgaben übernehmen.

Die Identifikation der Organisationen mit den beschriebenen Subjektpositionen lässt sich jedoch nicht als eine reine Verinnerlichung diskursiv vermittelter Erwartungen interpretieren. So wird die Selbstpositionierung als ‚Integrationshelfer‘ in und von Schule auch als eine Form des strategischen Umgangs mit behördlichen Förderlogiken und hiermit antizipierten Erwartungen an die Organisationen in den Interviews reflexiv:

„Wenn man das anguckt, dann ist ja überall Integration, Integration, Integration. Und wenn du dann hinkommst und sagst: ‚Ich mach keine Integration‘, dann gibt’s da tausend Andere, die sagen: ‚Aber wir machen Integration.‘ Das ist halt das Dilemma, dann bewirbt man sich doch für solche Projekte, und dann erweckt man den Anschein auch gleichzeitig, man macht Integration.“ (MO9_112-116)

Die zitierte Vertreterin beschreibt es als „Dilemma“, dass es die Abhängigkeit von und Konkurrenz um Fördergelder nahezu verunmögliche, sich einem Labeling ihrer Projekte als ‚Integrationsprojekte‘ zu entziehen. Dabei problematisiert sie ein dominantes Integrationsverständnis und positioniert sich in kritischer Distanz zum behördlichen Diskurs. Dieser Kritik entsprechend wird deutlich, dass es sich bei der Rezeption des Integrationsbegriffs im Rahmen der Beantragung von Fördergeldern lediglich um eine vordergründige Anerkennung hiermit verbundener politisch-behördlicher Erwartungen handelt. So erzählt die zitierte Akteurin, dass Projekte, die in ihrer Organisation unter dem Begriff der Integration durchgeführt und gefördert werden, vor allem das Ziel eines diskriminierungssensiblen Empowerments von Schüler:innen und Eltern verfolgten, welches sie einem im behördlichen Diskurs dominierenden, einseitigen Integrationsverständnis explizit entgegenstellt. Im Rahmen dieser subversiven Praktik lotet die Organisation Raum für die Anwendung eines alternativen Integrationsverständnisses in der Unterordnung unter die Subjektposition der Integrationshelfer:innen aus. Dabei bleibt ihre Kritik jedoch weitgehend intern, d. h. sie regt keine Verschiebung diskursiver Normalitätsverständnisse an. Dies hat zur Konsequenz, dass die Organisation von behördlich-schulischen Akteur:innen immer wieder auf eine Subjektposition verwiesen wird, mit der sie laut der hier zitierten Vertreterin eigentlich nicht identifiziert werden möchte.

Neben subtilen Formen der Kritik an dominanten, diskursiv vermittelten Subjektpositionen, äußern einige der Interviewpersonen auch explizite Kritik an diskursiven Normen der Anerkennung im migrationsgesellschaftlichen Kontext der Schule. Diese Kritik wird meist aus konkreten Erfahrungen im Kontakt mit Berliner Schulen abgeleitet. So wird vielfach von einer reservierten bis skeptischen Haltung berichtet, mit der den ‚Migrantenorganisationen‘ seitens der Schulen begegnet werde. Ein Akteur erzählt, dass es schon „immer so gewesen ist“, dass seine Organisation „erst mal so eine Art abwartende Haltung zu spüren“ bekomme (MO4_45), die einige Interviewpersonen mit der Positioniertheit ihrer Organisationen als muslimische Organisationen und auf sie bezogene verallgemeinernde Zuschreibungen in Verbindung bringen: „Und dann wird gesagt: ‚Alle Türken und Araber sind Moslems und alle Moslems sind gleich. Ein Moslem, eine Muslimin verhält sich dann so oder so‘“ (MO4_45). Pauschalisierende Zuschreibungen wie diese gingen in den Schulen vielfach mit Ängsten vor einer „Islamisierung“ der Schule im Falle einer Kooperation mit muslimisch (selbst)positionierten Organisationen einher: „Die haben auch Angst: Islamisierung und diese ganzen Ängste, die in den Medien auch sind. Obwohl wir sagen: ‚Wir sind keine parteiische, keine ideologische, keine religiöse Einrichtung.‘ Aber die Ängste sind größer als unsere Worte“ (MO4_190f.). Der Organisationsvertreter referiert hier auf die diskursive Macht medialer Islam-Bilder, die seine Organisation im Kontakt mit den Schulen antizipiert und hieraus die Notwendigkeit ableitet, sich gegenüber den Schulen explizit als nicht-religiöse Organisation zu positionieren. Diese Selbstpositionierung wird jedoch als wirkungslos wahrgenommen. Dies bringt auch ein weiterer Organisationsvertreter zum Ausdruck, demzufolge sein Verein an einer Schule mit dem „Vorschlag“ herangetreten sei, dort am Nachmittag eine „Arabisch-AG“ zu organisieren, um arabisch-sprachigen Schüler:innen der Schule zu ermöglichen, „richtig Hocharabisch“ (MO14_147) zu lernen. Allerdings sei es nicht möglich gewesen, mit der Schule über diese Idee näher ins Gespräch zu kommen. Er schildert dies wie folgt:

„Also die Schule ist so wie eine Burg. Die haben sich wirklich wie eine Burg abgeschottet. Also da kommt man nicht rein, wenn man nicht Mitglied ist oder irgendwie dazu gehört. Und sie haben dann dort ihr eigenes System, auch mit ihren AGs und so weiter, alles gut und schön, aber von außen lassen sie nix zu. […] Und sie haben bestimmte Vorstellungen, die Direktorinnen, die eigentlich mit der Realität meiner Meinung nach nix zu tun haben. Das ist wie ein Kolonialding eben: ‚Also wir haben eine bestimmte Art zu Verhalten, zu Lernen, zu Wissen‘, und das wird dann durchgedrückt.“ (MO14_147-152)

Die Interviewperson beschreibt die Schule hier metaphorisch als „Burg“, die sich gegenüber einer Kooperation mit seiner muslimisch positionierten Organisation abschotte, da die von ihr vorgeschlagene Zusammenarbeit als eine bedrohliche Intervention von außen verstanden werde. Diese Praktik der Schule wird als etwas beschrieben, das an der migrationsgesellschaftlichen „Realität“ vorbeigeht. In dieser Kritik kommt eine ambivalente und höchst herausfordernde Positionierungsanforderung an die Organisationen im Alltag der Schule zum Ausdruck. So sind sie einerseits angehalten, sich in einem binären Sinne in einer kulturellen Nähe zu einer migrantisch adressierten Schüler:innen- und Elternschaft zu positionieren, um als wichtige Kooperationspartner:innen bzw. Mittler:innen von Schule verstanden zu werden. Auf der anderen Seite kann über die (Selbst‑)Positionierung der Organisationen als natio-ethno-kulturell andere Organisation eine Kooperation verwehrt werden, was von den Organisationen erfordert, sich von der Subjektposition der ‚kulturell Anderen‘ explizit abzugrenzen. Dies erscheint zumindest dann relevant, wenn die Mitglieder der Organisationen eigene Vorstellungen in die Kooperation mit Schulen einbringen möchten. Durch ihre Positionierung in einer ‚kulturellen Nähe‘ zur Schulen ist jedoch nicht garantiert, dass die Organisationen ihre Vorstellungen im Rahmen einer Partnerschaft geltend machen können; vielmehr obliegt es der Schule, dies zu ermöglichen bzw. zu verunmöglichen, da sie die ‚Diskursmacht‘ besitzt, die Organisationen immer wieder auf die Position der ‚kulturell Anderen‘ zu verweisen.

5 Diskussion

Die in diesem Beitrag dargestellte Untersuchung von (Selbst‑)Bildungsprozessen von ‚Migrantenorganisationen‘ im migrationsgesellschaftlichen Kontext der Schule stützt jüngere nationale wie internationale Studien, die machtvolle Verknüpfungsordnungen eines diskursiven Wissens um Differenz und Zugehörigkeit sowie von Identitätsbildungsprozessen seitens migrantisch adressierter Individuen und Kollektive aufgezeigt haben (vgl. Kap. 2). Am Beispiel Berlins wurde analytisch nachvollzogen, wie in der ko-konstitutiven Verzahnung von politisch-behördlichem Diskurs und Subjektivierungsprozessen von Mitgliedern migrantisch (selbst)positionierter Organisationen die intelligible Subjektposition der ‚Migrantenorganisation‘ sowie ein komplexes Feld von Normierungen und Positionierungen hervorgebracht werden. Damit ergänzt die Analyse das sozialwissenschaftliche Forschungsfeld zu ‚Migrantenorganisationen‘, indem sie aufzeigt, dass dieser Subjektstatus auch an eine von Bildungspolitik und -behörden vermittelte Rolle der Organisationen in Schule und Migrationsgesellschaft eng gekoppelt ist. Sich in diesem Kontext vollziehende Selbstbildungsprozesse wurden in diesem Beitrag als ein ambivalentes Anerkennungsgeschehen rekonstruiert, das sich im Sinne von Foucaults „Gouvernementalität“ (1987) vor allem über weiche und mittelbare Formen der ‚Führung zur Selbstführung‘ realisiert, über die die Akteur:innen primär in der Funktion der ‚Integrationshelfer‘ und ‚kulturellen Mittler‘ im binär konstituierten Feld von Schule und migrantisch (selbst)positionierter Schüler:innen- und Elternschaft angeleitet werden. Diese Anerkennungsbedingungen versprechen eine Teilhabe der Organisationen in Schule und Migrationsgesellschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen. Hierfür müssen die Organisationen als ‚kulturell Andere‘ sichtbar werden, während sie gleichzeitig ihre Mitgliedschaft zur ‚deutschen Schule‘ durch das Erfüllen spezifischer Erwartungen an sie als ‚Migrantenorganisationen‘ stetig unter Beweis stellen müssen. D. h. um in der Funktion der ‚Brücken‘ und ‚kulturellen Übersetzer‘ autorisiert und so als wichtige Partner:innen von Schule anerkannt zu werden, müssen sie den Zweck ihrer Inauguration aufrechterhalten und sich an der Hervorbringung ‚kulturell anderer Schüler:innen und Eltern‘ beteiligen. Das Begehren nach einer intelligiblen Existenz (Butler 2001) scheint es zu erfordern, dass sich die Organisationen auf dieses prekäre Spiel sozialer Anerkennbarkeit einlassen.

Die ‚Migrantenorganisationen‘ stellen jedoch keine monokausalen Effekte politisch-behördlicher Adressierung dar, sondern nehmen auch kritisch auf dominante Anerkennungsordnungen in Schule und Migrationsgesellschaft Bezug und/oder unterlaufen diese. Insbesondere mit Blick auf solche Disruptionen eines dominanten diskursiven Wissens zeigt sich die Bedeutung einer systematischen Analyse sowohl von Subjektivierungsprozessen als auch des Diskurses der Subjektivierung. So sensibilisiert der hier vorgenommene triangulative Zugriff auf den Analysegegenstand auf vorschnelle und einseitige Rückschlüsse von Phänomenen der Subjektbildung auf die normative Ordnung des Diskurses. Wie hier gezeigt wurde, sind es auch materielle Handlungszwänge, wie finanzielle Abhängigkeiten von behördlichen Förderungen, die sowohl das Handeln als auch die beschriebenen kritische Reflexionen der Organisationen unterschiedlich motivieren. Auch spezifische Adressierungen und Erfahrungen im Rahmen ihrer Kooperationen mit Schulen prägen die (Selbst‑)Bildungsprozesse von und in ‚Migrantenorganisationen‘, die es insbesondere mit Blick auf die Praktiken und (Selbst‑)Verständnisse schulischer Akteur:innen noch näher zu beleuchten gilt.

Dass sich die interviewten Akteur:innen z. T. affirmativ auf solche Diskurspositionen beziehen, die im Berliner Diskurs mittlerweile weitgehend kritisch hinterfragt werden, wie z. B. einseitige Integrationsverständnisse, verweist auf die Kontingenz von Subjektivierungspraktiken ebenso wie unterschiedliche Zeitlichkeiten und Spuren (in) der Rezeption und (Re‑)Produktion eines diskursiven Wissens auf Ebene von Politik, Behörden und ‚Migrantenorganisationen‘. Zudem wird die Bedeutung sozialstaatlicher Transformationsprozesse deutlich, die sich parallel zum (selbst)verantwortlichen Subjekt in und von ‚Migrantenorganisation‘ sowie einer diskursiven Verengung von sozialer Gerechtigkeit auf das meritokratische Prinzip der Leistungsgerechtigkeit vollziehen. Dass diese Prozesse eng mit migrationsgesellschaftlichen Differenzkonstruktionen verwoben sind und in dieser Verwebung Subjektivierungsprozesse auf spezifische Weise anleiten, konnte an einzelnen Beispielen skizziert werden und soll künftige Analysen auf die Vielschichtigkeit von Bildungs- und Selbst-Bildungsprozessen im migrationsgesellschaftlichen Kontext der Schule sensibilisieren.